25. Lehren und Lernen
Langweilig. Es war so langweilig allein in diesem Zimmer. Keine anderen Kranken oder Verletzen waren hier zu versorgen und Besuche waren immer viel zu kurz. Am schönsten war es wenn ihr Vater bei ihr war, oder Rûmil, die Zwillinge oder Celoniell sich ein paar Minuten mehr Zeit nahm, wenn sie nach ihr sah. Aber auch wenn sie es sich selber nicht eingestehen mochte zu diesem Zeitpunkt so wartete sie dennoch am meisten auf jemand anderen. Jemand der ihr neue Dinge erzählen konnte, jemand, mit dem sie sich austauschen konnte und der ihr noch immer so fremd war, dass es viel zu entdecken gab. Kharek war es, auf dessen Schritte sie lauschte.
Doch es war still auf dem Gang und mit einem leisen Seufzen ließ sie noch einmal die letzten Tage an sich vorbei ziehen.
Kharek hatte ihren Vater geholt und auch Rûmil und Celoniell waren gleich mitgekommen, als sie von der Rückwandlung hörten. Glorfindel hatte offen zugegeben, dass er bald schon die Hoffnung aufgegeben hätte und nun war er umso glücklicher seine Tochter wieder in gewohnter Gestalt in die Arme schließen zu können.
Er hörte sich genau Khareks und Gloráres Erzählung an, was alles geschehen war während des Feuers und später hier in Celoniells Zimmer und als sie damit geendet hatten wie sie am Morgen in ihren eigenen Körpern aufgewacht waren, da lächelte der alte Elb verschmitzt.
„Nun, meine Tochter, ich bin fast versucht zu sagen, dass dir die Valar eine Lektion erteilen wollten, indem sie dich zwangen durch den Körpertausch dich mit Kharek zu befassen und Zeit mit ihm zu verbringen. Und nun, wo du deine Fehler eingesehen hast und ihr euch endlich friedlich einigen konntet, hatten sie ein Einsehen und nahmen den Tausch zurück."
Rûmil und Celoniell tauschten einen Blick, denn etwas Ähnliches hatten sie am gestrigen Abend auch schon zueinander gesagt. Gloráre aber lächelte nur und hauchte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange.
„Egal was es war Ada, ich bin froh, dass es vorbei ist. Aber ich bin auch froh, dass es überhaupt geschehen ist, denn wie du schon sagtest, hätte ich ohne das nie meinen Stolz und meinen Hass überwunden."
Sie blickte mit einem warmen Lächeln zu Kharek, der aber völlig in die Betrachtung des Bodenmosaiks vertieft schien.
Rûmil neben seinem Freund stehend sprach leise mit Celoniell, die nickte und sie verließen Seite an Seite das Zimmer. Kharek schien ihnen folgen zu wollen, aber Glorfindel stand auf und schob den Uruk dann in Richtung Bett.
„Ich muss leider schon wieder fort, meine Tochter. Durch die vielen Nachforschungen ist eine Menge Arbeit liegen geblieben, die nun keinen Aufschub mehr duldet. Aber Kharek wird dir sicher gern Gesellschaft leisten, verriet er mir doch, dass er sich noch immer schuldig fühlt, wegen deinem Bein."
Er küsste seine Tochter auf die Stirn, ignorierte Khareks verwirrt hilflosen Blick und verschwand durch die Tür. Gloráre schaute ihm ein wenig irritiert nach, aber dann nickte sie Kharek zu.
„Komm, setzt dich ruhig. Ich würde mich wirklich gern mit dir unterhalten und zuerst einmal möchte ich dir sagen, dass du absolut keine Schuld an meinem gebrochenem Bein hast, und dir das auch nicht einreden sollst."
Kharek, der einen Einwand bringen wollte, kam nicht dazu, denn sie sprach gleich weiter.
„Ich möchte also nichts mehr darüber hören, ja? Erzähl mir lieber von dir…"
Und so war es geschehen. Inzwischen kannte sie Khareks wenn auch kurze aber nicht minder aufregende Lebensgeschichte und hatte auch ihm viel von sich erzählt.
So wartete sie auch heute auf seinen Besuch und als er dann endlich kam, begrüßte sie ihn mit einem strahlenden Lächeln.
„Mae Govannen Kharek. Ich vergehe hier vor Langeweile und niemand scheint an mich zu denken." meinte sie mit weinerlicher Stimme, aber das kleine Lächeln zeigte, dass es nicht ganz so schlimm war, wie sie es darstellte.
Kharek erwiderte das Lächeln, noch immer ein wenig scheu, aber er setzte sich auf die Bettkante zu ihr, nicht wie in den ersten Tagen in den Sessel an der Wand.
„Ich war mit Rûmil und Alagosion auf dem Kampfübungsplatz und habe völlig die Zeit vergessen." Verlegen strich er eine Haarsträhne, die sich aus dem Zopf gelöst hatte hinter das Ohr zurück.
Gloráre schmunzelte als sie sich die drei in einem erbitterten Trainingskampf vorstellte. Denn als sie in Khareks Körper steckte, da war sie sehr überrascht gewesen, wie geschmeidig und vor allem schnell sich der große Ork bewegen konnte. Vom Aussehen her war er da leicht zu unterschätzen. Sicher hatte er die beiden Elben gut auf Trab gehalten.
Sie seufzte leise. „Draußen wäre ich auch gern wieder, unter freiem Himmel, ein gutes Buch, ein wenig Sonnenschein, das wäre traumhaft schön."
Kharek runzelte leicht die Stirn, als er über ihre Worte nachsann.
„Aber du kannst doch nach draußen. Ich kann dir eine Liege auf die Terrasse stellen und dich nach draußen tragen, wenn du möchtest, dann bist du im Freien."
Gloráre
blickte ihn überrascht an. „Das würdest du machen? Oh Kharek, das wäre furchtbar
lieb von dir. Dann würde ich mich auch nicht mehr so langweilen."
Und so geschah es dann auch. Kharek trug eine breite Liege auf die Terrasse und noch einen kleinen Tisch mit einem Krug Wasser und einem Becher. Dann kehrte er zu Gloráre zurück.
Er zögerte, doch sie lächelte ihm aufmunternd zu und hob die Arme. So vorsichtig, wie es ihm möglich war, hob er sie auf und trug sie nach draußen. Gloráre schlang ihre Arme um seinen kräftigen Hals und hoffte, dass er nicht bemerkte wie sie tief seinen warmen Geruch einatmete, nach Leder, dem Öl, welches er in sein Haar gerieben hatte und der ihm eigene Duft, wie eine leichte Moschusnote. Sie hatte diesen Geruch so verinnerlicht, als sie in seinem Körper war, dass er ihr nun beinahe fehlte.
Kharek ließ sie sanft auf die Liege gleiten, ein letzter Atemzug, der ihm ihren ihm so bekannten Geruch nahe brachte. Sie duftete nach Wiesenblumen und Sonne, jedenfalls war das sein Empfinden, ein leichter zarter Duft, der ihr eigen war und den er nun, da er nicht mehr in ihrem Körper weilte oft vermisste.
Behaglich rekelte sich die blonde Elbe auf der Liege, dann blinzelte sie zu Kharek auf. „Jetzt fehlt mir nur noch ein gutes Buch. Könntest du nicht zu meinem Vater gehen und mir ein paar Bücher holen, bitte?"
Kharek zuckte die Schultern.
„Ich weiß nicht, wenn du mir sagst welche du haben möchtest, dann kann ich sie dir bringen, aber ich kann nicht lesen, es müsste jemand da sein, der es kann und mir die Bücher gibt."
Gloráre hob eine Augenbraue, nickte aber dann.
„Natürlich…warum solltest du auch lesen können? Dafür wurdest du ja nicht erschaffen. Ich werde dir die Titel sagen…aber ich könnte dir auch Lesen beibringen, wenn du magst."
Abwartend ruhte sein Blick auf ihm. Kharek schaute sie überrascht an bei diesem Angebot.
„Das würdest du wirklich tun? Aber ich weiß nicht, ob ich es lernen kann. Ich will dich nicht damit belasten oder deine Freizeit in Anspruch nehmen." sagte er leise.
Sie schüttelte den Kopf und griff vorsichtig nach seiner Hand.
„Bitte Kharek, ich habe es dir angeboten und so meine ich es auch. Wenn du es möchtest, dann werde ich versuchen dir Lesen beizubringen. Es könnte dir nützlich sein."
Kurz wanderte sein Blick zwischen ihrer Hand und ihren Augen hin und her, dann nickte er einwilligend.
„Gut, dann darfst du es gern versuchen. Aber nun werde ich dir erst mal die Bücher holen, die du haben möchtest."
Gloráre ließ seine Hand los und nannte ihm die Titel. Kharek wiederholte sie und machte sich dann auf den Weg zur Bibliothek. Sie blickte ihm nach, bis er aus ihrem Blick verschwand, ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
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Zwei Wochen später saßen Gloráre du Kharek an ihrem Lieblingsplatz, am Ufer des kleinen Sees, an welchem sie damals das Schicksal ereilt hatte. Sie saßen auf einer weichen Decke und übten zusammen.
Kharek hatte sich als sehr gelehrig erwiesen, er verfügte über eine rasche Auffassungsgabe, so dass es eine Freude war ihn zu unterrichten.
„Bitte lies diesen Absatz noch einmal ja? Und versuch auf die richtige Betonung zu achten. Es ist eines meiner Lieblingsgedichte. Noch schöner ist es in seiner Ursprungsform in Sindarin."
Sie gab ihm das Buch und Kharek vertiefte sich in den Text. Mit ruhiger Stimme begann er das kurze Gedicht zu lesen, doch er hielt inne und schaute sie dann fragend an.
„Gloráre, warum sagt dieser Mann solche Dinge?" fragte er sie.
Die blonde Elbe lächelte leicht und neigte den Kopf. „Weil er sie liebt, Kharek. Er beschreibt, wie er sie sieht, mit den Augen der Liebe, verstehst du?"
Der große Ork schüttelte den Kopf.
„Nein, das verstehe ich nicht. Was ist denn Liebe?" fragte er weiter.
Gloráre stutzte und lauschte überrascht der Frage nach.
‚Er kennt es nicht. Er weiß nicht, was Liebe ist. Wie soll ich ihm das nur erklären, ausgerechnet ich?' ging es ihr durch den Kopf.
Als das Schweigen zwischen ihnen ungemütlich wurde, atmete sie tief durch.
„Es ist ein starkes Gefühl von Zuneigung zwischen zwei Personen. Es ist tiefer als Freundschaft und man teilt es normalerweise nur mit einer Person. es gibt verschiedene Arten von Liebe. Eltern lieben ihre Kinder, Geschwister lieben sich oder eben zwei Personen, die dann ein Paar sind, so wie Celoniell und Thârnathron, Gefährten eben, die nicht ohne den anderen sein mögen. Es ist schwer zu beschreiben, weißt du?"
Kharek nickte nur. Ihre Worte hatten ihn nicht aufgeklärt, sondern noch mehr verwirrt. Er beschloss Rûmil danach zu fragen, immerhin hatte er noch andere Fragen, besonders solche die Gloráre betrafen.
Vielleicht ein wenig zu schnell erhob er sich und gab ihr das Buch zurück.
„Ich möchte gern zu Rûmil gehen, lass uns Schluss machen für heute ja?" fragte er sie. Gloráre nickte, sie hatte seine Unsicherheit gespürt und konnte sich schon denken, dass er vielleicht lieber mit einem Mann darüber reden wollte.
„Sicher Kharek, grüß Rûmil von mir und wir sehen und dann morgen Mittag wieder hier."
Kharek hob die Hand zum Abschiedsgruß und machte sich auf den Weg zu Rûmil, den er auf dem Übungsplatz wusste. Es wurde Zeit Antworten auf seine vielen Fragen zu finden…
***Und auch eure Fragen sollen beantwortet werden, aber nicht jetzt. Doch es werden ja weitere Kapitel folgen, wenn ihr möchtet….lasst es mich wissen. *smile* ***
