34. Das Gesicht des Feindes

Müde ließ sich Kharek auf dem Deckenlager niederfallen. Ein weiterer Tag sank zur Neige, ein weiterer auf ihrer langen Reise. Auch dieser Tag hatte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Nach langen beschwerlichen Tagen auf dem Pferderücken war er froh endlich Süd Gondor erreicht zu haben. Wann immer es möglich gewesen war hatten sie in den wenigen Dörfern, an denen sie vorbei kamen Proviant aufgenommen. Ansonsten mussten sie sich auf ihr Jagdglück verlassen. Das einzig Erfreuliche war das Wetter, denn es blieb meist trocken und die seltenen Regenschauer waren eher erfrischend denn ein Grund zum Ärgern.

In den Dörfern, die sie zuletzt passiert hatten waren ihnen Berichte zugetragen worden über plündernde Horden, Ostlinge aus Harad in Begleitung großer dunkler Orks mit dem Zeichen Mordors. Dennoch hatten sie außer kalten Spuren nichts von diesen Trupps gefunden. Die Dörfler berichteten von geplünderten Vorratslagern und Kornkammern, Viehdiebstählen und ähnlichen Dingen. Wer sich der Horde in den Weg stellte riskierte erschlagen zu werden. Sie kamen meist in der Nacht, schnell und brutal und verschwanden im Schutz der Dunkelheit in ihre Schlupflöcher.

Die Erwähnung der Uruks aus Mordor hatte Kharek nachdenklich gemacht. Es hatten also auch hier welche überlebt. Und auch wenn ihre Methoden ihm nicht zusagten, so kämpften sie anscheinend ums Überleben. Und hier war der Konflikt. Er konnte es nachempfinden, denn auch er hatte die Entbehrungen des Hungers kennen gelernt. Und mit wem sollten sie sich verbünden, wenn nicht mit den alten Bündnispartnern ihres dunklen Herren? Andererseits war ihr Vorgehen gegen die Dörfer der Menschen aggressiv und barbarisch. Hätten sich die Haradhrim dem neuen Königreich unterworfen, dann müssten sie nun sicher nicht Hunger leiden, sondern könnten ihr Land wieder aufbauen. Aber wie Aragorn es erklärt hatte lehnten die Ostlinge jeden Anschluss an Gondor und Ithilien ab, ja sie kämpften sogar weiter um ihre Unabhängigkeit. Anscheinend hatte sie nun Hilfe in ihrem Kampf erhalten, denn Saurons Uruk-hai kamen aus Mordor und ihre Heimstätten waren beim Ausbruch des Schicksalsberges zerstört worden. Doch auch sie würden sich niemals einem König der Menschen unterwerfen, das war für ihn nur allzu klar.

In düstere Gedanken gehüllt glitt er schließlich ins gnädige Vergessen des Schlafes. Diese Gnade war Rûmil nicht vergönnt, denn nach dem langen Ritt hatte er noch die zusätzliche Aufgabe eine der ersten Nachtwachen zu übernehmen. Um sich wach zu halten beschloss er einen kleinen Rundgang zu machen. Dabei traf er auf Elladan, der für die Pferde zuständig war. Er grüßte Elronds Sohn mit einen kurzen Nicken und wurde mit einem warmen Lächeln willkommen geheißen. Der dunkelhaarige Elb hielt ihm einen Becher dampfenden Tee hin, welchen Rûmil gern annahm. Ein paar Minuten in Gesellschaft konnten nicht schaden, entschied er, zumal die Pferde sie warnen würden, wenn Gefahr drohte. So ließ er sich neben Elladan auf einem umgestürzten Baumstamm nieder. Eine Weile saßen sie nur schweigend nebeneinander, dann brach Rûmil das Schweigen.

„Ich frage mich, ob es richtig war, dass Kharek uns begleitet. Immerhin werden wir auch gegen Uruk-hai kämpfen, sollte es zu Auseinandersetzungen mit den Plünderern kommen."

Elladan zuckte die Schultern. „Weißt du Rûmil, dass hat er im Vorfeld bereits gehört und ich denke es ist nun mal seine Entscheidung. Er hat auch gegen die Uruks in Imladris gekämpft."

Kurz zuckte Rûmil zusammen, als er an jene schicksalhafte Nacht zurückdachte, dann seufzte er leise. „Ich hoffe, du hast Recht, Elladan. Und ich hoffe, er wird seinen Entschluss nicht bereuen."

Er stellte den leeren Becher auf dem Stamm ab und erhob sich. Mit einem leisen Abschiedswort gen Elladan nahm er seine Wanderung wieder auf. Fast hatte er seine Lagerstatt wieder erreicht als ein alarmierender Ton an seine Ohren drang. Alagosion blies das Signalhorn. Gefahr! Rûmil zog einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn an die Sehne. Überall im Lager kam Bewegung auf, Elben griffen zu ihren Waffen und liefen in die Richtung, aus der das Horn sie rief.

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Er konnte es sehen, lange bevor er ankam. Der flackernde Schein der Fackeln, welche die Angreifer trugen hüllte die Szene in unruhiges rötliches Licht. Aber auch ohne Licht hätte der Geruch ihn geführt. Er roch ungewaschenen Menschen und noch etwas anderes, was er fast schon vergessen hätte…Uruk-hai. Er hörte ihre kehligen rauen Stimme, dazwischen andere, wohl die der Menschen, mit hartem Akzent.

Gerade als er aus dem Schutz des letzten Baumes hervortrat, wurde ihm mit einem Schlag bewusst, dass sie gefunden hatten, was sie suchten. Der Feind hatte nun ein Gesicht, eher eigentlich zwei. Die einen sonnengebräunt und mit seltsamen Zeichnungen verziert, die anderen dunkel, animalisch, mit scharfen Zähnen und gelben Augen, welche das Mondlicht reflektierten.

Er sah die Elben ankommen, sie waren schnell und sie waren bereit für diesen Kampf. Schwerter trafen klirrend aufeinander, Schmerzensschrei und zornige Ausrufe erfüllten die Nacht. Kharek hatte sein Schwert gezogen, aber er stand nur da, den Baum im Rücken und den Blick auf den Kampf vor sich gerichtet. Er sah vertraute Gesichtzüge, grotesk verzerrt im Feuerschein der Fackeln, von denen nun viele schwelend im Gras lagen. Große dunkle Körper, geschmeidig wie Raubkatzen in der Nacht. Nur einen Moment lang glitt ihm ein Gedanke durch den Kopf. Was wäre, wenn sein Weg anders verlaufen wäre? Wenn er nicht frei gewesen wäre zu entscheiden? Wäre er in einer Schlacht des heftigen Krieges gefallen, oder würde er nun hier sein, um sein Überleben kämpfend?

Überleben? Ja, der Kampf der Angreifer wirkte verzweifelt und je länger er sie beobachtete, wobei er den Uruks eindeutig mehr Aufmerksamkeit schenkte, bemerkte er etwas. Es waren etwa ein Dutzend, aber nur die Hälfte schien ausgewachsen, die anderen waren eher klein zu nennen, sie kämpften verbissen, ließen jedoch eindeutig Erfahrung vermissen. Die Ostlinge waren zähe Kämpfer, die sich voller Eifer in den Kampf stürzten, ohne jedoch jegliche Vorsicht zu vergessen.

Doch gegen die Elbenkrieger konnte sie nicht viel ausrichten, denn die waren ihnen schon zahlenmäßig weit überlegen. Ein dumpfes Signal erklang und die Angreifer zogen sich in die Dunkelheit der Nacht zurück, schneller als es möglich schien, aber sie kannten hier wohl jeden Stein und Strauch.

Kharek hörte wie Aragorn den Elben befahl ihnen nicht zu folgen. Er wollte nicht riskieren im Dunkel der Nacht durch Hinterhalte Kämpfer zu verlieren. Sie hatten ihre Übermacht gezeigt und darauf vertraute er.

Langsam zogen die Elbenkrieger sich zurück ins Lager, sie respektierten Aragorns Befehl, doch es gab auch ein paar mürrische Stimmen bei denen, die vom Jagdfieber gepackt lieber der Horde gefolgt wären.

Kharek blieb an jenem Baum stehen. Tief sog er die Luft ein, die seine Nüstern beben ließ. Er spürte jenem Geruch nach, so vertraut und doch so fremd, wie ihre Gesichter im Feuerschein. Und doch zogen sie ihn an, wie das Licht die Mücken lockte. Sein Herz klopfte heftig gegen den Käfig seiner Rippen und fast unbewusst setzte er einen Fuß vor den anderen. Seine feine Nase würde ihn leiten und so bewegte er sich wie ein lautloser Jäger zwischen den Bäumen und Sträuchern. Aber wohl nicht lautlos genug, denn er wurde verfolgt.

Die Augen begleiteten ihn, jeden seiner Schritte. Warten. Eine günstige Gelegenheit abwarten. Nur nichts übereilen. Der Wind stand gegen ihn, der Uruk würde ihn nicht riechen. Endlich eine Blöße, ein freies Stück zu überqueren ohne Deckung. Die Finger spannten sich und langsam glitt die Bogensehne zurück. Der Schütze hielt den Atem an…und erstarrte.

Die Hand auf seiner Schulter, eine leise Stimme an seinem Ohr.

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Rûmil hatte bemerkt, wie Alagosion das Lager verlassen hatte. Neugierig war er dem Hauptmann gefolgt, ohne sich bemerkbar zu machen. Alagosion war ein Stück dem Pfad gefolgt, über welchen die Angreifer geflohen waren, hatte sich aber dann abgewandt und hatte einen anderen Weg gewählt. Ein kaum Mannsbreiter Trampelpfad, der die Hügel hinauf führte und dem er so gut wie lautlos folgte. Durch die Bäume konnte Rûmil den anderen Pfad erkennen, beschienen vom fahlen Mondlicht. Dort bewegte sich etwas, eine Person, die er alsbald als Kharek erkannte lief in einiger Entfernung diesen Pfad entlang.

Schließlich hielt Alagosion inne und zog zu Rûmils Verwunderung einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn an die Sehne und zielte. Durch eine Lücke im Geäst der Sträucher konnte Rûmil, der nun fast hinter Alagosion stand Kharek erkennen. Und der Hauptmann hatte ihn zu seinem Ziel erkoren.

Ohne lange zu zögern trat Rûmil von hinten an Alagosion heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm leise einige Worte ins Ohr, als er erstarrte:

„Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung dafür, was du hier tust."

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Nichts von der Gefahr ahnend, welcher er nur knapp entronnen war, setzte Kharek seinen Weg fort. Der Geruch wurde stärker, vermischt mit der fremden Witterung der Harad Krieger. Dann war er fast überall, umgab ihn und hüllte ihn ein. Aufmerksam glitt sein Blick über die Hügel, von Strauchwerk überwuchert, mit dürren Bäumen.

Das Geräusch war kaum hörbar, aber es genügte, um ihn herumfahren zu lassen. Sein Schwert schwang aufwärts und wurde von einer unsichtbaren Klinge abgefangen. Dann spürte er kalten Stahl an seiner Kehle. Die raue Stimme in seinem Ohr ließ keinen Zweifel daran, dass seine Suche hier endete.

„Unsere eigene Art als Spion einsetzen…diese Menschen sind nicht so dumm wie sie scheinen. Doch du scheinst nicht mit Schläue gesegnet zu sein, mein dunkler Bruder…"

Das kehlige Lachen entbehrte jeder Freundlichkeit.

***Lange hat es gedauert, ich weiß, aber mir fehlt die Zeit. Ich habe den Kopf voller Ideen und komme nicht zum Schreiben. Dennoch hoffe ich, dass ihr mir treu bleibt, meine kleinen Fehler ignoriert, mich über grobe Schnitzer aufklärt und mich durch eure Reviews daran erinnert, dass es richtig ist, was ich hier mache und ein paar Leuten gefällt. Ich zähle auf euch!***