36. Verschwörung

Schweigend folgte Rûmil Alagosion den schmalen Pfad entlang. Er hatte dem anderen Elben die Waffen abgenommen und ihm befohlen zum Lager zurück zu gehen. Noch immer steckte ihm der Schreck in den Gliedern. Er hatte sicher nicht erwartet, den Hauptmann der Wachen vom Imladris so zu finden, mit einem tödlichen Pfeil auf der Sehne, welcher für Kharek bestimmt war.

Doch der Schreck für Alagosion war mindestens genauso groß gewesen, als Rûmil ihn überraschte und seinen Plan vereitelte. Sofort hatte er seine Waffen abgelegt und sich in sein Schicksal ergeben. Tief in Gedanken versunken schritt er nun den Weg ins Lager zurück, den Elben aus Lorien im Rücken.

Im Lager brachte Rûmil Alagosion direkt zum Zelt von Aragorn, denn er wollte größeres Aufsehen vermeiden. Der König war wach, er saß mit Faramir zusammen und schaute ihnen neugierig entgegen.

„Rûmil, Alagosion. Was tut ihr hier zu solch später Stunde? Fürchtet ihr einen weiteren Angriff dieses Lumpenpacks?"

„Nein, Aragorn." erwiderte Rûmil bitter. „Viel eher fürchte ich, dass wir über einen anderen Angriff reden müssen. Alagosion hat vorgehabt Kharek zu töten"

Ungläubig richteten sich nicht nur Aragorns sondern auch Faramirs Augen auf das Elbenpaar. Aragorn stand auf und trat zu ihnen. „Das ist doch wohl ein Irrtum? Ich kenne Alagosion seit meiner frühesten Kindheit und weiß er ist ein Mann von Ehre."

Doch das Kopfschütteln des Hauptmanns der Wache machte diese Hoffnung zunichte. Mit ruhiger Stimme sprach er, Aragorn fest in die Augen zu blickend: „Es ist die Wahrheit Aragorn, ich hatte zumindest den Auftrag Kharek zu töten."

Rûmil schaute den anderen Elben fassungslos an. „Aber Alagosion, warum denn bei den Valar? Wer hat dir diesen Auftrag erteilt? Und wie konntest du ihn annehmen?"

Alagosion schwieg, er schüttelte traurig den Kopf. In diesem Moment traten Elronds Söhne aus dem Schatten. Sie waren auf dem Weg zu Aragorns Zelt gewesen und hatten so die letzten Worte gehört. Sie stellten sich Aragorn zur Seite und schauten Alagosion aufmerksam an. Dann sprach Elladan, wie so oft als erster der Brüder.

„Diese Frage wird er dir nicht beantworten können, Rûmil. Wie die Galadhrim, so leisten auch unsere Wächter einen Schwur. Dieser ist nicht ganz so ausschweifend wie der Kodex des goldenen Waldes, aber er beinhaltet eben Stillschweigen in bestimmten Situationen. Er kann und wird dir seinen Auftraggeber nicht nennen, nicht wahr, Alagosion?"

Der Hauptmann der Wachen nickte ruhig, in seinem Blick lag Bedauern. Rûmil schwieg einen Moment, doch dann kam ihm ein Gedanke. Wenn Alagosion nicht den Namen preisgeben konnte, dann konnte er aber vielleicht andere Fragen beantworten. Er wandte sich an Elladan.

„Also gut, den Namen wird er uns nicht sagen, dann sollten wir andere Dinge herausfinden, zum Beispiel, wem Kharek dermaßen im Weg sein könnte, dass er ihm den Tod wünscht."

Elladan nickte und die drei Elben versanken in nachdenklichem Schweigen, nur hin und wieder wurde ein Gedanke laut ausgesprochen. Doch es war nicht der stets vorpreschende Elladan und auch nicht Rûmil, der sich erinnerte, sondern Elrohir.

„Elladan, weißt du noch? Die Sache mit Lhûnrhofal? Damals haben wir jemanden gedeckt, weil wir dessen Motive nicht nachvollziehen konnten. Aber vielleicht ist es derselbe wie damals?"

Sein Bruder zog eine Augenbraue hoch und nickte dann. „Ja, das wäre gar nicht so abwegig. Zumal es auch passen würde, da Kharek etwas bekommen hat, was dieser Jemand gern gehabt hätte."

Spätestens jetzt erreichte Rûmils Neugier ihren Höhepunkt, während Alagosion weiter schwieg, doch schien es ihm, als läge ein gewisses Maß an Erleichterung in den Augen des anderen Elben. „Von wem redet ihr denn? Und was könnte Kharek haben, was ein Elb begehrt?"

Elladan schmunzelte. „Wie wäre es mit Gloráre?" Elrohir nickte. „Ja, zum Beispiel. Und jener Elb war schon immer missgünstig, wenn es um Dinge ging die er gern sein nennen wollte. So auch den Sitz über Imladris, den er ja auch nicht bekam."

Jetzt war es Elladan der nickte und fortfuhr. „Ja ich denke wir sprechen von demselben Mann. Er hat damals Lhûnrhofal angestiftet Kharek anzugreifen und wie ich das sehe hat er auch etwas mit dem „versehentlich" abgeschossenen Pfeil zu tun, nicht wahr, Alagosion?"

Der Angesprochene nickte nur. Elladan sprach dann weiter. „Gut, dann möchte ich den Namen sagen und du Alagosion wirst nur nicken oder den Kopf schütteln, kein Wort kommt über deine Lippen und so hast du weder seinen Namen gesagt noch ihn schuldig gesprochen. Ich denke, dem Kodex ist damit Genüge getan. Der Schuldige, den ich benenne ist Erestor."

Aragorn zog scharf die Luft ein, als dieser Name genannt wurde. Vor seinem Auge tauchte Elronds Berater auf, der mit kühlen Augen stets wachsam über die Vorgänge in Imladris wachte. Er hatte das Geschick immer dann aufzutauchen, wenn etwas im Argen war und man ihn nicht gebrauchen konnte. Zu oft hatte er Lord Elrond von den kleinen Streichen erzählt, die er zusammen mit den Zwillingen ausgeheckt hatte oder sie überrascht, wenn sie gerade die Regeln, welche sie betrafen ein wenig dehnten. Er war wie ein Schatten, wie ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Ja, wer würde es ihm zutrauen, zumal er auch schon davon gehört hatte, dass Erestor nicht damit einverstanden war, das Glorfindel Elronds Stellung eingenommen hatte.

Auch Rûmil nickte zu Elladans Worten, dieser Verdacht war ihm schon damals gekommen, als sie Kharek für den Mord an Lhûnrhofal belangen wollten. Damals war Erestor dermaßen selbstgefällig, dass es schon fast auffällig war. Er hatte dermaßen mit einem schlechten Urteil für Kharek gerechnet und war dann von Glorfindel und vor allem durch die Aussagen der Zwillinge eines Besseren belehrt worden.

Nun richteten sich alle Augen auf Alagosion, nachdem Elladan den Namen genannt hatte. Dieser schaute Elronds Sohn einen langen Augenblick an, dann nickte er langsam ohne dass ein Wort über seine Lippen kam.

Elladan lächelte und legte Alagosion eine Hand auf die Schulter. „Gut, du hast ihn nicht verraten, wir haben es ganz allein herausgefunden. Aber vielleicht möchtest du deine Seele erleichtern und uns alles erzählen?"

Nach einem kurzen Moment der Überlegung nickte Alagosion und Aragorn bat sie alle sich zu setzen. So geschah es dann auch und Alagosion erzählte ihnen die Geschichte.

„Es begann recht unauffällig, eine kleine Bemerkung hier, eine Stichelei dort, laut geäußerte Gedanken. Er bekam Hilfe von Lhûnrhofal und einigen anderen, welche es nicht guthießen, dass Kharek bleiben durfte. Die Geschichte mit Lhûnrhofal ist euch ja weitestgehend bekannt. Er hatte beschlossen Kharek zu töten, sollte der bei dem Angriff der Uruks auf dem Kampfplatz erscheinen. Dieses schlug fehl…trotz meiner Unterstützung."

Rûmil unterbrach ihn an dieser Stelle. „DU? Du hast den Pfeil abgeschossen?"

Alagosion nickte. „Ja, das habe ich. Erestor hatte so lange auf mich eingeredet, bis ich fast bereit war ihm zu glauben. Ich wollte Kharek aber wirklich nur entwaffnen, das ist die Wahrheit."

Elladan fiel ihm hier ins Wort. „Jemand mit deinen Fähigkeiten hätte nicht den Arm getroffen, wenn er ihn hätte töten wollen, ich glaube dir Alagosion."

Dankbar schaute dieser Elronds Sohn an, ehe er weiter sprach. „Doch nach Lhûnrhofals Tod wurde es noch schlimmer mit Erestors Anfeindungen gegen Kharek, sein Neid und seine Missgunst wuchsen und erreichten den Höhepunkt, als Kharek und Gloráre sich offen zueinander bekannten. Erestor hatte lange um Glorfindels Tochter geworben, ohne je erhört zu werden und nun sollte ein Ork bekommen, wonach er sich so sehnte? Das war zuviel für ihn. er kam zu mir und sagte, ich solle einen Weg finden Kharek zu beseitigen. Ich teilte ihm mit, dass ich seine Ziele nicht länger unterstützen würde, da ich meine Meinung Kharek betreffend ja schon nach dem Überfall der Uruks geändert hatte. Doch Erestor erpresste mich damit, dass er erzählen würde, dass ich auf Kharek geschossen hatte, mit dem Motiv ihn zu töten. Und so hatte er mich in der Hand. Ich willigte ein, aber sagte ihm auch, dass ICH den Zeitpunkt bestimmen würde. Als nun die Abreise anstand suchte er mich auf und erinnerte mich an meinen Auftrag. Und so hat Rûmil mich heute Abend gefunden. Doch weiß ich nicht mit Sicherheit zu sagen, ob ich es dieses Mal zu Ende gebracht hätte."

Alagosion blickte auf den Boden zwischen seinen Füßen und seufzte leise. Rûmil legte ihm eine Hand auf die Schulter.

„Aber was hättest du dann Erestor erzählt, wenn wir zurückkämen, und Kharek würde uns begleiten?"

Der andere Elb seufzte noch einmal, hob dann aber den Kopf und schaute Rûmil entschlossen an. „Ich wäre zu Glorfindel gegangen und hätte ihm alles erzählt. Ja, der Herr von Imladris sollte von diesen Dingen erfahren."

Elladan nickte ihm zu. „Das wird er, Alagosion, da kannst du sicher sein. Erestor wird seine Spielchen nicht mehr spielen. Und ich denke, ich kann mir schon vorstellen, welches Urteil auf ihn wartet…eine lange Reise in den Westen. Und dann kann er wieder an Vaters Seite sitzen, vorausgesetzt, der will ihn dort noch haben."

Er schmunzelte, doch dann bemerkte er Rûmils düsteres Gesicht. „Was bekümmert dich Rûmil? Wir konnten diese Verschwörung doch nun endlich aufdecken."

„Ja, das konnten wir." sagte Rûmil leise. „Aber ich mache mir dennoch Sorgen um Kharek."

Er hob den Kopf, um zu den Sternen aufzusehen, welche zwischen den Wipfeln der Bäume hindurchschienen.

„Wenn ich die Spuren richtig deutete, folgte er den Uruks. Was hofft er dort zu finden? Und was…wenn er sich dafür entscheidet nicht…zurück zu kommen?"