43. Erklärungen
Ruhig glitt sein Blick über die Anwesenden. Er hatte nichts anderes erwartet. Natürlich verstanden sie ihn nicht, vor allen in Faramirs Augen sah er Unglauben. Aragorn seufzte leise, als er sich wieder setzte. So leicht würde er nicht aufgeben.
„Ich weiß, es klingt für euch alle unglaublich. Doch ich bitte euch, denkt einmal darüber nach. Im Krieg haben wir alle Dinge getan, die vielleicht nicht unserer Natur entsprechen. Viel Blut ist geflossen, und viele Unschuldige ließen ihr Leben. Und ich möchte keine falsche Entscheidung treffen…"
Faramir stand abrupt auf, seine Augen funkelten… „Aragorn, welche Entscheidung gibt es da zu treffen? Wir müssen diese Orks jagen und töten. Sie haben nichts anderes verdient als den Tod. Sie haben meinen Bruder getötet, du selbst hast es mir erzählt. Wie kannst du sie nun verschonen wollen?"
Die meisten der Elben nickten zustimmend, wenige blickten nachdenklich. Rûmil gehörte zu der zweiten Gruppe. Besonders seit seinem Zusammentreffen mit Kharek hatte ihn der Gedanke nicht losgelassen, welches Ziel sein Freund bei den Uruks verfolgte. Noch immer keimte in ihm die Hoffnung, dass Kharek vielleicht versuchen wollte ihnen seinen Weg nahe zu bringen. Aragorns Stimme riss ihn aus den Grübeleien.
„Faramir, ich kann deine Gefühle verstehen. Auch ich habe gegen die Uruk-hai aus Mordor und Isengart gekämpft und gesehen, wie Freunde und Verbündete fielen. Aber der Krieg ist vorbei, zumindest auf dem Schlachtfeld. Sicher wird es in den Köpfen noch viele Kämpfe geben. Wir sprechen von Siegern und Verlierern nach dem Krieg, aber haben nicht alle verloren? Ich meine nicht den Krieg an sich, aber viele verloren Geliebte, Freunde, ihre Heimat…solche Dinge. Und diese Verluste erlitten beide Seiten. Wir, auf der Seite der so genannten Sieger haben nun den Vorteil, dass wir uns voll und ganz auf den Wiederaufbau konzentrieren können, dass wir Verbündete haben, die uns helfen, dass wir ein Land haben, das darauf wartet wieder bevölkert zu werden und das es uns den Umständen entsprechend einfach gut geht."
Er überging Faramirs Kopfschütteln und sprach schnell weiter. „Bitte hört mich erst einmal zu Ende an, ehe ihr mein Urteil in Frage stellt. Ich habe die Uruks beobachtet, schon beim unserem ersten Zusammentreffen. Es sind keine Krieger, wie jene, die uns in den Schlachten gegenüberstanden. Es sind Frauen und Halbwüchsige. Sie kämpfen zwar verbissen und wild, aber sie sind nicht ausgebildet. Und ihre Motive sind nicht Mordlust, oder der Spaß am Kampf. Was tun sie denn in den Dörfern, in die sie einfallen? Sie plündern die Vorratslager, stehlen Vieh, Decken und sonstige Dinge. Dass sind keine mordenden Monster, das sind hungrige Kreaturen."
Wieder wollte Faramir einen Einwand bringen, doch Aragorn hob eine Hand um ihn zu stoppen. „Noch einen Moment Faramir, bitte, lass mich zu Ende sprechen." Ein kurzes Nicken, dann sprach er weiter. „Nun, als ich die ersten Gerüchte hörte, auf Grund derer ich auch die Unterstützung von Imladris erbat, ging ich von einer Rotte Uruk-hai aus. Ich habe nicht bedacht, dass die Dörfler in ihrer Angst übertreiben könnten. Ich musste davon ausgehen, dass es Orkkrieger sind, die ihren Frust über die Niederlage an den einfachen Menschen hier auslassen wollen. Doch die einzigen Krieger hier waren die Südländer. Jene haben ihre Lektion hoffentlich gelernt. Aber die Uruks, mit denen wir es hier zu tun haben, verdienen nicht den Tod. Sie haben, so wie ich das sehe, sogar vermieden jemanden zu töten. Sie haben die Dörfler kampfunfähig gemacht, aber sie haben niemanden getötet. Das passt nicht zu dem Bild, welches ich von diesen Kreaturen habe. Und…" Er holte tief Luft, denn nun kam der wichtigste Punkt seiner Rede. „…ich möchte gern erfahren, was sie hierher brachte, ich möchte mit ihnen verhandeln, wenn das möglich sein sollte. Natürlich geht es nicht, dass sie hier die Siedlungen plündern und Angst und Schrecken verbreiten. Aber sie zu jagen ist keine Lösung und es widerstrebt mir eigentlich sie zu töten. Also möchte ich eine andere Möglichkeit finden. Überdenkt meine Worte und urteilt nicht vorschnell…darum bitte ich euch."
Aragorn endete und auch wenn ihm viele fragende Blicke folgten zog er sich in sein Zelt zurück. Stimmengewirr brandete auf, es wurde diskutiert. Die Worte des Königs hatten viele widersprüchliche Gefühle geweckt, das war deutlich herauszuhören.
Einer, der Aragorn sehr gut verstand, war Rûmil. Er konnte den Wunsch des Königs verstehen, mit den Uruk-hai Kontakt aufzunehmen, war es ihm doch nicht anders gegangen damals, als er Kharek fand. Vielleicht gab es doch einen Weg, weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Wenn sich die Kunde der standhaften Dorfbewohner verbreiten würde, dann sah er ernste Probleme auf die Rotte zukommen. Ohne ihre Verbündeten aus Harad waren sie verwundbar. Langsam entfernte er sich von den anderen Elben. Er hörte die Schritte weiterer Personen hinter sich und wandte sich um. Elladan und Elrohir folgten ihm. Schweigend gingen sie zu dritt, bis sie einen ruhigen Platz im Schatten einer ausladenden Eiche fanden. Hier ließen sie sich im gras nieder. Elladan brach das Schweigen als erster.
„Da hat Estel die Gemüter aber ziemlich erregt, obgleich ich finde, dass es seinen unkonventionellen Weg unterstreicht. Er wird ein König eines neuen Zeitalters sein und ein neues Zeitalter bedeutet jedes Mal einen Umbruch, das hat die Geschichte gezeigt. Was meint ihr? Wird es eine Begegnung zwischen ihm und den Uruks geben?"
Rûmil zuckte die Schultern. „Vielleicht. Zumindest würde ich es mir wünschen. Ich habe so eine Hoffnung, dass Kharek sich nicht bei den Uruks aufhält um seiner hm…wilden Seite nachzugehen. Ich hoffe eher, dass er dort ist, um ihnen einen Weg zu zeigen, wie sie weiter machen können, ohne ihren Stolz zu verlieren und vor allem, ohne ihr Leben zu lassen."
Die Zwillinge tauschten einen Blick, dann ergriff Elrohir das Wort, kam seinem Bruder einmal zuvor, was nicht oft passierte. „Ja, Rûmil, das ist eine schöne Hoffnung. Bleibt nur zu wünschen, dass die Uruks ähnlich denken. Seit ich Kharek kenne, sehe ich sie zumindest nicht mehr als tierhafte Kreaturen, die ohne Sinn und Verstand Blut vergießen wollen. Gibt es mehr wie ihn oder ist er ein Einzelfall? Wenn Estel sein Vorhaben in die Tat umsetzt, und glaubt mir, das wird er; dann werden wir Antworten erhalten." Alles schien gesagt, die drei Elben verfielen wieder in nachdenkliches Schweigen.
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Ruhig glitt ihr Blick über die Anwesenden. Sie hatte nichts anderes erwartet. Natürlich verstanden die anderen sie nicht, vor allen in Lurtz' Augen sah sie Unglauben. Sharka seufzte leise, als sie sich wieder setzte. So leicht würde sie nicht aufgeben.
Sie wartete einen Moment, bis sich das leise Knurren und Murmeln wieder gelegt hatte, dann sprach sie weiter. „Ich habe nicht den Verstand verloren. Ich habe auch keinen harten Schlag auf den Kopf gekriegt oder war zu lange in der Sonne. Ich weiß, dass es sich unmöglich anhört, aber denkt doch mal einen Augenblick nach, was wäre, wenn es gelingt. Ich habe jedenfalls nicht vor weiter zu kämpfen, einen nach dem anderen zu verlieren, bis keiner mehr übrig ist, für den ich eine neue Heimat finden will. Ist das klar soweit?"
Herausfordernd blickte sie in die Runde. Lurtz erwiderte ihren Blick, funkelnd, seinen Zorn nicht unterdrückend und er sprach seine Gedanken auch laut aus. „Deine Worte klingen für mich, wie Feigheit. Du willst dich ergeben, dich der Gnade der Menschen ausliefern. Doch ich sage dir, die Menschen kennen keine Gnade für uns. Alles was sie den Orks je geben werden ist ein rascher Tod. Geh wenn du willst, finde es selber heraus, aber jeder Uruk-hai, der Stolz und Ehre besitzt, wird deinen Vorschlag verlachen." Er drehte sich um, zeigte deutlich seine Missbilligung.
Doch ausgerechnet Phera, seine Gefährtin schüttelte den Kopf. Sharka wartete ab, vielleicht würde sie von unerwarteter Seite Hilfe erfahren. Phera ergriff Lurtz' linke Hand und legte sie an ihren sanft gerundeten Leib. „Du sprichst wie ein echter Jäger, Lurtz. Aber wir sind keine Krieger, wir sind nicht auf der Suche nach Kampf, nach Herausforderungen und Kräftemessen. Alles was wir wollen ist ein Platz zum Leben, ein Ort, an dem wir unsere Kinder aufwachsen sehen können. Für dich ist das sicher schwer zu verstehen, aber wir kennen ein Leben vor dem Krieg."
Sanft rieb sie ihre Wange an seiner, schnurrte ihm ins Ohr, besänftigend. während ihre Hände auf seiner lagen. „Ich möchte unser Kind nicht zwischen zwei Überfällen bekommen, mitten in einem Land, in dem wir Feinde sind. Und ich möchte nicht mit der Angst leben, es jeden Tag verlieren zu können. Kannst du das verstehen?"
Sharka unterdrückte den Drang zu lächeln. Phera hatte die schwache Stelle des Isengarter Kriegers gefunden. Eine kleine Bewegung an ihrer Seite zeigte ihr, dass Kharek zu ihr getreten war. Er nickte ihr aufmunternd zu. „Scheint so, als würde die schwerste Bastion des Widerstandes unter sanften Händen zu bröckeln beginnen, hm?" Er deutete unauffällig zu Phera und Lurtz hinüber. Sharka antwortete mit einem kleinen Nicken.
Doch noch hatte Lurtz sein Pulver nicht verschossen. „Ich kenne euer Leben nicht, wie es vor dem Krieg war, das ist richtig. Aber ich weiß, dass es für euch kein Zurück mehr gibt in jenes Leben. Und nun will eure Anführerin zu den Menschen gehen, um Gnade winseln, wie ein geschlagener Hund. Und ich verstehe nicht, wie du sie unterstützen kannst in diesem Bestreben, Phera. Denk doch nur daran, was die Menschen dir angetan haben. Du hast das Zeugnis ihrer Schandtaten jeden Tag vor Augen."
Bei diesen Worten zuckte ein junger Uruk im Hintergrund zusammen und senkte den Blick zu Boden. Sein Name war Daro und er war Pheras Sohn. Doch schon sein Aussehen verriet, dass er kein reinrassiger Uruk-hai war. Seine Augen waren braun, mit runden Pupillen, sein Haar zwar schwarz, doch glatt und weich. Seine Gesichtszüge waren sanfter, als die der Orks, seine Fänge nicht so stark ausgebildet und seine Haut war deutlich heller. Sein Vater war ein Sklavenhändler aus Rhûn gewesen, der Phera und ihre Geschwister vor vielen Jahren gefangen hatte. Die Menschen aus Rhûn hielten sich gern Uruks als Sklaven. Sie hatten brutale Methoden entwickelt, die stolzen Orks zu brechen und gefügig zu machen. Phera war die Flucht gelungen, trotz des Kindes unter ihrem Herzen. Wieder bei der Rotte beschloss sie, das Kind auszutragen. Schon immer war sie sanfter Natur gewesen, was auch ihre Zugehörigkeit zu den Wahrern erklärte. Sie vertrat den Standpunkt, dass das Kind nichts für das Verbrechen seines Vaters konnte und nun sollte das Schicksal entscheiden, ob es leben würde. Der Junge lebte, er war hochgewachsen und schlank, hatte das sanfte Wesen seiner Mutter geerbt. Doch die anderen Kinder nahmen ihn nicht als Ihresgleichen an, sie ließen ihn immer spüren, dass er nur ein Halbblut war. Meist hielt er sich im Hintergrund, darum bemüht nicht aufzufallen. Jetzt hatte Lurtz direkt von ihm gesprochen und viele Blicke richteten sich auf ihn.
Phera nickte kurz, doch ihre Stimme blieb ruhig. „Ja, ich weiß, was die Menschen mir angetan haben, mir und vielen anderen von uns. Doch diese Männer waren aus Rhûn, sie haben keine Achtung vor dem Leben anderer. Sie meinen andere Personen besitzen zu können. Doch wenn du diese Menschen mit allen anderen Menschen dieser Welt gleichstellst, dann machst du es wie sie, die alle Kreaturen, die sie nicht kennen als bedrohlich einstufen."
Mit diesen Worten löste sie sich von Lurtz und ging zu ihrem Sohn herüber, rieb ihre Wange gegen seine und schnupperte in seinen Haaren, eine Geste, die deutlich zeigte, wie eng das Band zwischen ihr und ihrem Sohn geknüpft war.
Daro hielt den Blick jedoch auf den Boden gerichtet, er wollte nicht im Mittelpunkt stehen. Sharka erlöste den Jungen, indem sie wieder sprach und so die Aufmerksamkeit auf sich zog. „Lurtz hat seinen Standpunkt deutlich gemacht. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele von euch ähnlich denken wie er. Also, ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich werde gehen und die Menschen aufsuchen, gleich morgen. Sollte ich innerhalb von drei Tagen nicht zurück sein, wird Nakur die Rotte weiter führen. Ich werde niemanden bitten mich zu begleiten, aber wer sich mir anschließen möchte, der ist willkommen."
Nach einem kurzen Moment des Schweigens ergriff Kharek das Wort. „Ich werde dich begleiten Sharka." Mehr sagte er nicht, doch ihr Blick zeigte ihm deutlich, dass sie darüber erfreut war. Sie nickte knapp. „Dann ist es also beschlossen, mein Entschluss steht fest."
Die Uruks begannen sich zu zerstreuen, den seltsamen Plan ihrer Anführerin diskutierend. Phera begann die mageren Kaninchen und Eichhörnchen zu häuten, die ihnen das Jagdglück beschert hatte. Ein karges Mahl, vor allem für die leeren Mägen, doch es war besser als nichts.
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Faramir hob den Blick von seinem Schwert, als Aragorn aus dem Zelt trat. Er legte den Schleifstein beiseite und schaute den König prüfend an. „Es scheint, als wäre dein Entschluss fest gefasst."
Aragorn nickte. „Ja, das ist er, Faramir. Gleich morgen werde ich mich auf die Suche nach den Uruk-hai machen. Ich würde mich über Begleitung freuen, aber ansonsten gehe ich auch allein."
Langsam ließ Faramir sein Schwert wieder in die Scheide gleiten. Er legte Aragorn eine Hand auf die Schulter. „Ich werde mit dir gehen, vielleicht kann ich noch was lernen, aber auf jeden Fall stehe ich an deiner Seite." Lächelnd nickte Aragorn ihm zu. „Danke Faramir, es tut gut, dich an meiner Seite zu wissen."
So, viele Erklärungen, viel Gerede und wenig Action. Hat es euch dennoch gefallen? Freue mich über Reviews.
