44. Begegnung
Sie bewegte sich leise, wollte niemanden unnötig stören. Khareks Silhouette hob sich gegen den hellen Höhleneingang ab, er erwartete sie also schon. Sharka ließ ihren Blick noch einmal über die ruhenden, teils schlafenden Uruks gleiten. Würde es ein Wiedersehen geben? Sie hoffte es, doch sicher war es nicht. Nach einem kurzen Abschiedsblick zu Kharan trat sie nach draußen in die frische Morgenluft. Zu ihrer Überraschung war Kharek nicht allein. Lurtz stand bei ihm und beide wandten ihre Gesichter zu ihr. Sharka beschloss nichts weiter dazu zu sagen, dass Lurtz seine Meinung wohl geändert hatte, denn genau wie Kharek trug er seine Waffe und hatte eine Decke dabei. Doch insgeheim freute sie sich, dass er dabei war. Sie ahnte wohl, dass sie diesen Umstand Phera zu verdanken hatte.
„Guten Morgen, Jungs…was meint ihr, welchen Weg sollen wir einschlagen?" fragte sie möglichst optimistisch. Alle drei tauschten einen Blick, ehe sie ihre Augen über die Umgebung gleiten ließen. Jeder von ihnen sog die Witterung des frühen Morgen ein. Kharek sprach zuerst. „Ich denke, es wäre klug, wenn wir in Richtung der Straße zurückgehen, dort wo die Dörfer sind. Es könnte ja sein, dass die Menschen und Elben dort noch Stellung halten, auf weitere Überfälle wartend."
Sharka nickte langsam und auch Lurtz grunzte zustimmend. „Ja, kein schlechter Vorschlag. ich dachte ähnlich. Also, zurück zur Straße und sucht die Witterung jener, die wir suchen." So machten sie sich an den Abstieg aus den Bergausläufern, schlugen die Richtung zurück zur Straße ein. Sie sprachen nicht, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sharka zweifelte noch immer, ob sie eine gute Entscheidung getroffen hatte, hoffte jedoch, dass ihr Herz ihr das Richtige geraten hatte. Nun, sie hatten immer noch ihre Waffen dabei, sie würde jedenfalls nicht kampflos untergehen, dass war sicher.
Kharek war froh über die Wendung, die das Schicksal den Uruks beschert hatte. So ähnlich hatte er es sich vorgestellt, sie zum Umdenken zu bringen. Und wenn es auch nur Sharka war, die den neuen Weg zuerst beschritt, so war er doch sicher, dass ihr andere folgen würden. Nun hoffte er, dass er sich in dem neuen König von Gondor nicht getäuscht hatte und dass er bereit war, sich Sharkas Worte anzuhören.
Lurtz hingegen hatte ganz andere Gedanken. Er hatte die Witterung der Menschen schon beim letzten Mal wahrgenommen, und die eine war ein Geruch, der er nie vergessen würde. Dieser Mann mit den hellen Augen war es gewesen, der ihn fast getötet hatte. Damals, vor einer Ewigkeit, wie es schien, als er willenlos Befehlen folgte. Er hatte einen anderen Menschen mit mehreren Pfeilen außer Gefecht gesetzt und wollte ihm mit einem letzten Schuss den Garaus machen, doch dieser Mann war aufgetaucht und hatte es vereitelt. Sie hatten sich einen heftigen Kampf geliefert, bis der Mensch ihn schwer verletzte, ihm fast den Arm abschlug. Lurtz hatte in diesem Moment seine Wahl getroffen, dass ein Moment der Feigheit mit der Aussicht auf Leben besser war, als einen Heldentod zu sterben. Also ließ er sich mit einem Aufschrei fallen und stellte sich tot. Zu seinem Glück, ließ der Mensch von ihm ab und wandte sich seinem gefallenen Kameraden zu. So hatte er überlebt…um eben jenem Menschen nun erneut gegenüber zu treten. Welch eine Ironie des Schicksals. Jedoch war die Hoffnung stark in ihm, dass auch dieser Mann, wie alle Menschen einen Ork nicht vom anderen unterscheiden konnte. Und wenn doch? Dann würde er immer noch eine Entscheidung treffen können.
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Aragorn zügelte sein Pferd und drehte sich im Sattel zu seinen Begleitern um. Faramir und Rûmil folgten ihm in geringen Abstand. Sie hatten sich darauf geeinigt die Straße entlang zu reiten, der Richtung folgend, in welche die Uruks geflohen waren. Sie hofften Spuren zu finden, die ihren Fluchtweg verrieten. Sie sprachen nicht und ein jeder hielt seine Augen offen. Jetzt wartete Aragorn darauf, dass Faramir und Rûmil zu ihm aufschlossen. Dann teilte er ihnen seine Gedankengänge mit. „Das letzte Dorf, welches überfallen wurde war Nardol, als nächstes käme Eilenach, aber sie haben sich über die Hügel ins Steinkarrental geflüchtet. Wir sollten also vielleicht abbiegen und einen Bogen um Eilenach schlagen, dann von dort an die Hügel heran reiten, die Straße verläuft dort, schmal und nur wenigen bekannt."
Faramir nickte, während Rûmil nur lauschte. Faramir kannte die Gegend hier sehr gut und stimmte Aragorn gern zu, da er ähnlich gedacht hatte. So geschah es dann auch. Sie ließen das verschlafene Dorf hinter sich, wo der Einzige, der Notiz von ihnen nahm ein räudiger Dorfköter war, der sich auf dem staubigen Weg in der Sonne wärmte. Doch hielt er sie nicht mal eines Bellens für würdig, sondern folgte ihnen nur mit verschlafenen Augen.
So kamen sie zum Weg ins Steinkarrental. Plötzlich stieß Rûmil einen leisen Warnruf aus, was Faramir und Aragorn sofort die Pferde zügeln ließ. Alle drei glitten zu Boden und lauschten…doch nichts war zu hören, jedenfalls im Moment. Abwartend blieben sie stehen, die Hände an den Schwertgriffen, die Augen auf den Weg gerichtet, der in einer Kehre zwischen den Hügeln verschwand.
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Lurtz, der voraus ging, blieb stehen und hob die linke Hand, um Sharka und Kharek Einhalt zu gebieten. Scharf zog er ein zweites Mal die Luft ein, nur um sicher zu gehen. Und er fand seinen Verdacht bestätigt. Er roch den Menschen, an den er noch vorhin gedacht hatte. Der andere Mensch war bei ihm und er konnte noch einen Elben wittern. Was ihn verwirrte, war die Tatsache, dass es nur diese Drei waren, die er wahrnehmen konnte. Wo waren die anderen Elben? Kharek trat an seine Seite. „Es sind nur drei, Lurtz…jedenfalls, die mit dem Wind kommen. Der König von Gondor, sein Freund und einer der Elben, der mir bekannt ist." Lurtz nickte langsam und auch Sharka stimmte zu. Sie runzelte die Stirn. „Wo sind nur die anderen? Warum sind diese Drei allein unterwegs?"
Doch keiner von ihnen konnte es sich erklären, also beschlossen sie wachsam ihren Weg fortzusetzen. Sie hatten die Hände an den Schwertern und witterten prüfend, während sie langsam den Weg weiter gingen, der vor ihnen einen Bogen schlug, zwischen den Hügeln hindurch zog er sich weiter, bis er wieder auf die große Straße traf.
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Sie erblickten einander, keine hundert Schritt lagen zwischen ihnen. Sie erstarrten, die Waffen im Griff, die Augen fest aufeinander gerichtet, jeder mit dem Wunsch, die Handlung des anderen vorauszusehen.
Doch der Moment der Überraschung währte nicht lange. Kharek brach die Starre als Erster, er trat vor, nahm die Hand vom Schwert. Seine Augen suchten den Blick Rûmils und fanden ihn ruhig und mit stiller Hoffnung auf sich ruhend. Ein unmerkliches Nicken, dann glitten seine Augen weiter zu Aragorn und er deutete eine knappe Verbeugung an. Aragorn entließ die Luft aus seinen Lungen, die er im Moment des Erblickens angehalten hatte. Khareks Gebaren sprach nicht von Kampf, also entspannte er sich ein wenig. Er nickte Kharek zu, als dieser sich verbeugte und schaute dann zu dessen Begleitern. Einer war die Anführerin der Rotte, die er schon im Dorf gesehen hatte. Sie wirkte angespannt, ihre Hand lag am Schwertgriff, aber ihre Augen waren eher neugierig auf ihn gerichtet. ihre geweiteten Nüstern verrieten ihm, dass sie wohl gerade seine Witterung aufnahm. Also war es wohl eher eine gegenseitige Überprüfung, wie er mit einem Anflug von Amüsiertheit bemerkte.
Der andere jedoch veranlasste ihn seine Stirn zu runzeln. Es war der große Krieger mit dem lahmen rechten Arm, der ihm ebenfalls schon zuvor aufgefallen war. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag, als ihm sein inneres Auge eben jenen Uruk zeigte. Doch trug er nun das Zeichen Sarumans im Gesicht und hielt einen schweren Bogen in den Händen. Der aufgelegte Pfeil zeigte auf einen Mann, der vor ihm kniete, Boromir von Gondor, getötet am Amon Hen, von eben jenem Ork. Er war sich sicher ihn getötet zu haben, doch nun erkannte er seinen Irrtum. Kurz glitt sein Blick zu Faramir, der reglos an seiner Seite verharrte. Dort stand der Mörder seines Bruders. Sollte er dieses Wissen mit ihm teilen? Doch er beschloss, das hier und jetzt nicht der rechte Zeitpunkt dafür war. Er wollte seine Neugier befriedigt wissen.
Zurück wandte sich sein Blick auf Kharek, der ihn abwartend ansah. „Nun Kharek, hast du dich entschieden zurück zu kommen? Und wen bringst du mit?" fragte er mit ruhiger beherrschter Stimme. Sharka nickte Kharek zu, gern überließ sie ihm in diesem Moment das Sprechen, so konnte sie in Ruhe überlegen, welche Worte sie wählen wollte, wenn es zu ihrer Verhandlung kam.
Kharek verstand ihren Wink und antwortete: „Ich komme zurück, das stimmt. Ob ich bleibe, vermag ich nicht zu sagen, noch nicht. Und meine Begleiter sind Sharka, die Führerin der Uruk-hai aus Mordor, die ihr sucht und Lurtz von Isengart, der sich ihnen anschloss."
Rûmil starrte den anderen Uruk-hai überrascht an. Noch ein Krieger Sarumans hatte also überlebt und einen eigenen Weg gefunden. Auch Aragorns Blick hing an der hochgewachsenen Gestalt und für einen kurzen Moment trafen sich ihre Augen und jeder von ihnen konnte das Erkennen im Blick des anderen sehen. Aragorn fand seine Vermutung also bestätigt. Doch ihm blieb nicht viel Zeit zum Nachdenken, denn Kharek sprach weiter.
„Wir sind hierher gekommen, auf der Suche nach euch. Sharka wünscht mit Euch zu sprechen, Aragorn. Sie möchte verhandeln…wenn das möglich ist…" Bei den letzten Worten stockte er etwas, versuchte die Mimik Aragorns zu deuten. Der war einen Moment voller Unglauben, als er hörte, dass die Uruk-hai aus demselben Grund nach ihnen suchten, wie sie nach ihnen. Dann glitt ein winziges Lächeln über sein Gesicht. Er hörte, wie Faramir an seiner Seite einen überraschten Laut ausstieß, dann wandte er sich direkt an Sharka.
„Ich bin
zugegebenermaßen überrascht, dass ich euch in derselben Mission antreffe, die
auch wir zu unserer machten. Denn auch wir waren auf der Suche nach euch, nicht
um zu kämpfen, sondern um zu reden. Also, dann sage ich, lasst uns reden. Und
zum Zeichen, dass ich wahre Worte spreche lege ich hier meine Waffen nieder…"
Mit diesen Worten zog er sein Schwert aus der Scheide und legte es vor sich auf
den Weg, sein Dolch folgte, dann der Bogen und der Köcher mit den Pfeilen. Sogar
das kleine Stiefelmesser legte er ab. Dann trat er über diese Waffen hinweg und
setzte sich ein Stück entfernt davon mitten auf den Weg.
Sharka betrachtete den Menschenkönig lange. Er strahlte Ruhe aus und eine Menge Weisheit. Sie spürte, dass es hier eine Möglichkeit geben konnte alles zum Guten zu wenden, und diese würde sie nutzen. Also zog sie ebenfalls ihr Schwert und tat es Aragorn gleich, dann setzte sie sich ihm gegenüber. Kharek und Rûmil folgten ihrem Beispiel. Faramir zögerte, seine Hand lag weiter am Schwertgriff und seine gerunzelte Stirn verriet Besorgnis und Misstrauen. Doch es ging ihm nicht allein so. Lurtz hatte zwar sein Schwert gezogen, hielt es jedoch noch in der Hand. Aragorn warf einen Blick über die Schulter zurück.
„Nun, Faramir, er einen neuen Weg gehen will, muss bereit sein, den ersten Schritt zu gehen, denn sonst bleibt er immer auf der Stelle stehen, bis er irgendwann festwächst." meinte er leise zu seinem Freund. Der Fürst von Ithilien schwieg, aber unendlich langsam zog er seine Klinge und legte sie dann neben das Schwert des Königs. Dann kam er zu ihm und setzte sich an seine Seite. Sharka folgte Aragorns Blick zu Lurtz und schüttelte den Kopf. Es war schwer für ihn vom Weg des Kriegers abzulassen, zu erkennen, dass ihm hier im Moment keine Gefahr drohte. Er kannte keinen Frieden, nur Kampf, Krieg und Tod. Er würde lange brauchen, viel länger als alle andere, um umzudenken. Sie konnte dass Misstrauen an ihm riechen und da war noch etwas anderes in seinen Augen. Der Blick, den er dem Menschenkönig zuwarf war seltsam und für sie nicht zu deuten, fast würde sie ihn rachsüchtig nennen wollen. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt danach zu fragen.
„Lurtz, bitte leg dein Schwert nieder. Du hast es gehört, wir werden reden. ich werde meine Bitte vortragen, wie ich es euch erzählte. Du warst nicht erfreut darüber und wie es aussieht, bist du es immer noch nicht. Doch dann frage ich dich, warum bist du mitgekommen? Also, lege deine Waffe ab und setz dich zu uns oder kehre zu den anderen zurück, diese Entscheidung liegt bei dir, doch triff sie bitte rasch."
Lurtz zögerte immer noch, schien die Möglichkeiten zu überdenken, doch schließlich siegte die Neugier, die ihn auch mit getrieben hatte. Mit einem Knurren warf er sein Schwert zu Boden und stapfte zu Sharka und Kharek, wo er sich setzte, die Augen fest auf Aragorn gerichtet.
Der nickte knapp, hielt dem Blick des großen Uruk stand, während er jedoch das Wort an Sharka richtete: „Nun, wir sitzen ohne Waffen, bereit zu verhandeln. Du hast von einer Bitte gesprochen. Ich werde mir anhören, was du zu sagen hast, ohne dich zu unterbrechen und dann entscheiden, ob ich dieser Bitte stattgeben kann oder sie ablehnen muss." Ihm entging nicht das Aufblitzen in den Augen von Lurtz bei seinen letzten Worten und ihm war klar, dass es auf eine Konfrontation hinauslief, sollten sich die Wünsche der Uruks als unerfüllbar herausstellen…
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Ja, was werden die Verhandlungen ergeben? Frieden für die Uruks? Wird Faramir erfahren, in welcher Verbindung Lurtz und Boromir standen? Ich werde mich bemühen hier bald Licht ins Dunkel zu bringen. Helft mir mit euren Reviews. Danke!
