45. Späte Rache

Es fiel ihm schwer sich zu beherrschen, eindeutig. Jede Faser seines mächtigen Körpers war gespannt. Der Geruch in seiner Nase fast unerträglich. Immer wieder blitzten Bilder in seinem Kopf auf, Szenen, die er längst vergessen glaubte. Er stand vor diesem Mann, einem Krieger, in der Tat. Voller Stolz erwiderte der Mensch seinen Blick, auch wenn er am Boden kniete. In seinem Körper steckten zwei kräftige Pfeile und der dritte lag an der Sehne des unbarmherzigen Bogens, welchen er führte. Nur noch ein kleiner Moment, die stille Hoffnung, der Mensch möge um Gnade flehen. Aber dazu kam es nicht. Ein heftiger Schlag in die Seite riss ihm den Bogen aus den Händen und brachte ihn zu Fall. Schnell kam er geschmeidig wie eine Raubkatze wieder auf die Füße, sich seinem neuen Angreifer stellend. Es war ein weiterer Mensch, der sich überraschend schnell bewegte und sich als ein ernstzunehmender Gegner erwies. Sie kämpften miteinander, bis der Mensch einen wirklichen Glückstreffer landete. Mit einem mächtigen Hieb hatte er ihm fast den Arm vom Körper getrennt. Der Schmerz war überwältigend und er konnte sein Schwert nicht länger halten. Er ging zu Boden und in diesem Moment kam ihm der Gedanke, dass dies ein guter Zeitpunkt war, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Warum sollte er sein Leben wegwerfen, für einen größenwahnsinnigen Zauberer und dessen Visionen seiner Weltherrschaft? Er hatte das Geschenk des Lebens erhalten, war mit großem Wissen gesegnet worden und sollte dies alles nun auf einen Schlag verlieren? Nein, das wollte er nicht. Und Lurtz tat etwas, das keinem Ork wohl zuvor in den Sinn gekommen war, er stellte sich tot, zog feiges Verstecken dem endgültigen Ende vor.

Zu seinem Glück hatte der Mensch sich nicht weiter um ihn gekümmert. Im Glauben ihn getötet zu haben, rannte er zu dem anderen Mann hinüber um diesen auf seinem letzten Weg beizustehen. Dann tauchten zwei weitere Personen auf, ein Elb und ein Zwerg und kurz darauf verließen diese drei die Lichtung, die mit toten Uruk-hai übersät war. Sie nahmen den toten Mann mit. Lurtz hatte noch lange dort gelegen, bis er hörte, wie sich ihre Schritte entfernten, sie wohl die Jagd nach den Entführern der Halblinge aufnahmen. Erst dann hatte er sich aufgerafft, seine Wunde notdürftig versorgt und sich auf den Weg gemacht. Er hatte den Fluss durchquert, was mit einem Arm nicht leicht war und kam auf diesem Weg dann bald nach Mordor. Nach langen Irrwanderungen durch die Gebirgszüge traf er endlich auf Lebewesen und dann noch auf solche, die er nicht erwartet hätte. Es waren Uruks aus Mordor, die ihn bei sich aufnahmen. Ihre Rotte war ohne Krieger, da alle Männer in Saurons Dienste berufen worden waren. So war er zu Sharka und ihren Leuten gekommen.

Sein Blick ruhte weiter auf dem Mann, dem König von Gondor, wie er genannt wurde. Doch sein Name tat nichts zur Sache. Er war es, der Lurtz in seinen Träumen verfolgte, er war es, der ihn damals fast getötet hatte. Und nun saßen sie sich hier gegenüber und sprachen von Verhandlungen. Der Mann hatte ihn ebenfalls wieder erkannt, das konnte er in dessen Augen lesen, machte aber keine Anstalten diese Beobachtung zur Sprache zu bringen.

Stattdessen hatte Sharka nun das Wort ergriffen. Zuerst sprach sie noch leise, fast zögernd, doch dann gewann ihre Stimme zunehmend an Festigkeit und Kraft. „Gut, dann werde ich auch ohne lange Umschweife zur Sache kommen. Alles was ich haben möchte ist ein Platz, wo wir Uruk-hai leben können. Unsere Heimat in Mordor ist unbewohnbar geworden und wir suchen einen Ort, an dem wir eine neue Existenz aufbauen können. Wir wollen nicht länger gejagt werden, wir wollen nicht mehr plündern müssen, für das was wir zum Leben brauchen. Das wäre meine Bitte."

Knapp und einfach brachte sie dies hervor, ihr Blick ruhte dabei auf Aragorn, der ihn ebenso ruhig erwiderte. Einen Moment lang herrschte Stille im Kreis der Versammelten. Dann nickte Aragorn langsam. „Eine nachvollziehbare Bitte ist das, Sharka. Doch kann ich eine solche Entscheidung nicht hier auf einem Feldweg treffen, ich hoffe, du kannst das verstehen. Aber ich kann dir ein Versprechen geben. Ich verspreche dir, dass ich prüfen werde, ob es eine Möglichkeit gibt, diese Bitte zu erfüllen. Von daher möchte ich vorschlagen, dass wir uns in drei Tagen wieder hier treffen, zur selben Zeit. Dann werde ich dir meine Entscheidung mitteilen. Was sagst du dazu?"

Sharka überlegte einen Moment. Er hatte nicht abgelehnt, er wollte nach einer Möglichkeit suchen, sagte er. Konnte sie ihm trauen oder würde er in drei Tagen mit allen Elben wiederkommen, um sie an einen Ort zu verweisen, von dem es keine Rückkehr gab? Sie suchte erneut seinen Blick und fand nur Ehrlichkeit darin. Also nickte sie schließlich. „Gut, dann in drei Tagen. Ich vertraue deinem Wort, Menschenkönig."

Sie erhob sich als Erste und Kharek folgte ihr nach. Rûmil kam auf die Füße und trat zu Kharek, legte ihm ruhig eine Hand auf die Schulter, schaute ihm direkt in die Augen. „Bitte vergiss nicht, dass es für dich bereits einen Ort gibt, an dem du willkommen bist und erwartet wirst, ja?" meinte er leise. Kharek antwortete mit einem kleinen Nicken, sagte aber nichts weiter, wandte sich dann mit Sharka zum Gehen, wobei sie ihre Waffen wieder an sich nahmen.

Auch Faramir und Aragorn waren aufgestanden. Der Dunedain warf einen Blick über die Schulter zurück zu Lurtz, der gerade sein Schwert zurück in die Scheide steckte, was Faramir zum Anlass nahm eine Frage zu stellen, die ihm schon länger auf der Zunge lag. „Warum schaust du diesen Ork immer an, als würdest du einen Geist sehen, Aragorn? Ich möchte fast glauben, du kennst ihn."

Aragorn nickte langsam. In ihm gab es einen kurzen Widerstreit der Gefühle, doch dann siegte die wahrheitsliebende Seite. „Nun, damit liegst du gar nicht so falsch, Faramir. In der Tat ist er mir bekannt. Wir trafen aufeinander am Berg des Sehens, als die Uruks von Saruman die Halblinge entführten."

Faramirs Blick verdunkelte sich, als Aragorn diesen Ort erwähnte. Hier hatte sein Bruder den Tod gefunden. Der König bemerkte dieses und legte seinem Freund eine Hand auf den Arm. „Ja, es war dort, wo Boromir fiel. Ich kam zu spät um ihn zu retten, doch dachte ich zumindest, dass ich seinen Mörder gerichtet hätte. Doch ich irrte mich, wie ich nun feststellen musste. Der Ork, der deinen Bruder tötete hat überlebt…" Weiter sprach er nicht, und es war auch nicht nötig. Faramirs Augen weiteten sich, als er den Kopf zuerst zu Lurtz drehte, der sich an Sharkas Seite langsam entfernte und dann zurück zu Aragorn blickte…

„Er…" war alles was er sagte, als er sich langsam umwandte und zu seinen Waffen zurückging, die am Boden lagen. Er wirkte sehr gefasst, während er sein Schwert umband, seinen Bogen zur Hand nahm und den Köcher über die Schulter hängte. Aragorn folgte ihm, warf noch einen Blick zu Rûmil, der aber noch hinter Kharek herschaute. So entging es ihm, was vor ihm geschah und erst als er das Geräusch des Pfeils vernahm, der die Bogensehne verließ, ruckte sein Kopf zu Faramir zurück.

„Faramir…nein…!" rief er, natürlich zu spät. Der Pfeil war auf dem Weg und traf Lurtz, der sich bei Aragorns Ausruf herumdrehte unterhalb der Rippen. Er brüllte auf, wohl eher vor überraschtem Zorn, denn vor Schmerz. Fast augenblicklich hatte er sein Schwert gezogen und eilte mit raschen Schritten auf Faramir zu. Doch er erreichte ihn nicht, denn Aragorn stellte sich mit gezogenem Schwert zwischen seinen Freund und den heranstürmenden Uruk. Kharek und Sharka tauschten einen Blick, der ihre Verwirrung ausdrückte, doch beide rührten sich nicht, schienen zu spüren, dass es eine Sache zwischen den drei Männer war. Auch Rûmil hielt sich zurück, trat nur an die Seite seines orkischen Freundes.

„Es ist genug Blut geflossen, bitte haltet ein. Faramir hat seine Beherrschung verloren, was nicht geschehen sollte. Doch kann ich seine Gefühle verstehen. Aber ich bitte dich Lurtz, hör mich an, ehe du auf Rache deinerseits sinnst."

Der große Ork schnaubte wütend, seine gelben Augen sprühten Funken und seine Stimme grollte vor Wut. „Er hat versucht mich zu töten, und du willst mich an der Vergeltung hindern? Du hast mich einmal besiegt Mensch, doch ein zweites Mal wird es dir nicht gelingen." Lurtz wollte an Aragorn vorbei, doch der hob sein Schwert in einer fließenden Bewegung und nahm Angriffshaltung ein. „Ich habe dich besiegt, als du dein Schwert noch mit der trainierten Hand führtest. Ich sah dich kämpfen und glaub mir, es ist nicht überheblich, wenn ich sage, dass du mir dieses Mal nur unterliegen kannst." Seine grauen Augen waren dunkel vor Anspannung, als er den Uruk fixierte.

Lurtz knurrte wieder, doch sein Instinkt sagte ihm, dass der Mensch Recht hatte, er konnte ihn nicht besiegen. Zudem stand der andere Mann nicht länger mit dem Bogen da, sondern hatte sein Schwert gezogen. Langsam trat er einen Schritt zurück, starrte die beiden Menschen hasserfüllt an. In dieser sich entspannenden Situation trat Sharka nun an seine Seite. „Ich kann deinen Zorn verstehen Lurtz, doch bitte mach nichts Unüberlegtes. Ich will dich nicht verlieren in einem Akt später Rache.

Aragorn nickte zustimmend. „Ja, das ist es, ein Akt später Rache…denn dieser Mann hier verlor seinen Bruder durch die Hand dieses Kriegers." Er deutete zuerst auf Faramir, dann auf Lurtz. „Ich habe es ihm gesagt und damit diesen Angriff heraufbeschworen. Doch lag dies nicht in meiner Absicht. Doch durch eine solche Aktion wird dein Bruder nicht wieder lebendig Faramir."

Der Fürst Ithiliens stand angespannt auf der Stelle, an der er den Uruk erwartet hatte, das Schwert erhoben, mit grimmigem Blick. Da glitt eine Stimme durch sein Bewusstsein, Boromirs Stimme, die zu ihm sprach. Worte, die er ihm vor langer Zeit gesagt hatte, kamen ihm wieder in den Sinn. „Das ist das Gesicht des Krieges. Die Krieger folgen dem Befehl ihrer Kriegsherren. Manche werden durch Drohungen oder Schlimmeres dazu gebracht blind ins Verderben zu laufen. Sie kämpfen nicht aus persönlichen Motiven und ihre Gegner tragen keine Namen. Sie sind einfach nur Feinde. Und manch einer von ihnen wird niemanden haben, der um ihn trauert oder sein Andenken bewahrt, wenn der Kampf vorbei und ihr Leben beendet ist."

Aragorn stand weiter zwischen Faramir und dem Uruk-hai, er konnte es also nicht sehen, aber doch hören, wie sein Freund das Schwert zurück steckte. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging davon. Aragorn betrachtete Lurtz abwartend und aufmerksam. Der Ork blickte dem Menschen hinterher, der ihn angeschossen hatte und nun einfach wegging. Er hatte also seinen Bruder getötet. Er hatte viele Menschen getötet und nie war einer da gewesen um Rache zu nehmen. Doch hier war nun einer. Seine Neugier wuchs, während der erste Zorn abebbte. Nach einem tiefen Atemzug senkte er sein Schwert ein Stück und schaute Aragorn fragend an.

„Ich habe viele Menschen getötet. Viele Uruks haben das. Wie kommt dieser Mann darauf, das gerade ich seinen Bruder getötet habe?" Aragorn neigte leicht den Kopf, er hatte eine solche Frage nicht erwartet. „Nun, weil ich es ihm gesagt habe. Ich war ja dabei. Sein Bruder war der Krieger, am Amon Hen, der so beherzt die Halblinge verteidigte, ehe deine Pfeile sein Leben beendeten."

Lurtz Blick glitt weiter zu Faramir, besser gesagt zu dessen Rücken. Ja, die Worte des Königs machten Sinn. Dieser Mensch bewegte sich ähnlich wie jener Krieger und strahlte auch dessen Stolz und Kampfgeist aus. Es war also sein Bruder gewesen. Mit einem letzen Grollen schob er sein Schwert zurück, umfasste den Pfeilschaft und brach ihn ab. Dann wandte er sich an Sharka.

„Gehen wir…du hast deine Bitte vorgetragen und eine Antwort erhalten. Mehr haben wir hier nicht zu tun." sprach er mit gepresster Stimme. Sharka betrachtete ihn einen Moment und ahnte, dass diese Sache noch nicht ausgestanden war. Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt für eine Diskussion. Sie machte eine auffordernde Kopfbewegung zu Kharek und er folgte ihnen nach, als sie dann mit Lurtz den Rückweg zu den anderen einschlug, um ihnen die Entscheidung des Königs mitzuteilen.

Aragorn schaute ihnen lange nach, auch als ihre Gestalten bereits aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Erst als Rûmil an seine Seite trat erwachte er aus seiner Starre. „Wollen wir nicht auch zurückgehen Faramir hat sicher schon fast das Lager erreicht. Ich glaube er könnte dich jetzt brauchen." meinte der Elb leise. Der Mann seufzte leise und drehte sich dann um. „Ja, gehen wir zurück, ich habe eine Entscheidung zu treffen."

--------

So, jetzt habe ich versucht noch mal etwas Spannung aufzubauen, ich hoffe es hat gefallen. Wie es weiter geht? Tja…ihr werdet wohl leider länger warten müssen, als drei Tage, aber spätestens nächste Woche geht es weiter. Versprochen. Inspiriert ihr mich solange durch ein paar Reviews? Würde mich freuen.