46) Hoffnung

Allein. Endlich einmal ohne die anderen um sich herum. Hier konnte er ohne Ablenkung seinen Gedanken nachhängen. Und er hatte viel zu bedenken. Er atmete tief durch, die frische Abendluft füllte seine Lungen und machte ihm den Kopf frei. Sein Blick glitt über den kleinen Bergsee, der vor ihm lag und den rötlichen Schimmer der sinkenden Abendsonne widerspiegelte. Ein paar Vögel flogen ruhig darüber hinweg, kurz hörte er ihre klagenden Rufe. In diesem Moment verspürte er einen tiefen Frieden in sich, wie er ihn lange nicht gefühlt hatte. Er ließ sich nach hinten fallen, verschränkte die Arme unter dem Kopf und blickte in den Abendhimmel hinauf. Rûmils Worte klangen noch in seinem Ohr. Er hatte einen Ort an dem er willkommen war, wo er erwartet wurde. Er dachte an Gloráre, etwas, was er sich sonst meist verwehrte, denn er hatte niemanden, mit dem er über sie reden konnte. Aber hier gab er sich seinen Erinnerungen hin, stellte sich vor, wie ihr Haar duftete, wie sich ihre Stimme anhörte, wie sich ihre Hände anfühlten, wenn sie sein Gesicht streichelte. Er vermisste sie so sehr, dass es ihm fast das Herz zerriss. Er hoffte, dass es ihr gut ging und dass sie keine Probleme mit dem Kind hatte, das sie trug, sein Kind.

Ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust, denn er hatte eine Entscheidung zu treffen. Wollte er bei den Uruk-hai bleiben, wenn sie wirklich eine Lösung fand, die ihnen half? Oder wollte er Rûmil und die Elben zurück nach Bruchtal begleiten, zurückgehen zu Gloráre, um mit ihr zu leben? Die Uruks waren seine Art, bei ihnen war er einer von vielen. Er würde sich sicher langsam an ihre Lebensart anpassen und nach einiger Zeit nicht mehr zu unterscheiden sein. Er könnte sich eine Gefährtin suchen und eine Aufgabe in der Rotte übernehmen. Und er wusste, dass er unter anderen Umständen nicht gezögert hätte, diesen Weg zu gehen. Rûmil hätte es sicher verstanden. Doch da war nun Gloráre und die Bürde des ungeborenen Kindes. er konnte sie nicht allein lassen, denn dieses Kind würde es ihr nicht leicht machen. Sie würde ihn an ihrer Seite brauchen, sie vertraute darauf, dass er zu ihr zurückkam. Doch in Bruchtal war er der Fremde, ein Ork unter Elben. Sie hatten ihn zwar größtenteils akzeptiert, doch gerade Erestors Intrigenspiel hatte ihm gezeigt, dass nicht alle aufrichtig waren in den Gefühlen, die sie zeigten. Konnte es sich nicht jederzeit wiederholen? Langsam schüttelte er den Kopf, seufzte wieder…er konnte diese Entscheidung einfach noch nicht treffen. Er würde zunächst einmal abwarten, was der morgige Tag bringen würde. Am Morgen stand das Treffen mit Aragorn an. Er würde Sharka wieder begleiten, nicht zuletzt, um eine Weile mit Rûmil sprechen zu können. Lurtz würde dieses Mal sicher nicht mitkommen, vielleicht war es besser, wenn er dem Mann aus Gondor nicht noch einmal begegnete, dessen Bruder er getötet hatte.

Nakur hatte die Pfeilwunde versorgt und es wurde nicht weiter darüber gesprochen. Allerdings war der Krieger aus Isengart seither noch verschlossener. Nicht einmal Phera schaffte es ihn aus der Reserve zu locken. Düster und schweigsam stapfte er durchs Lager und die anderen hielten respektvoll Abstand. Einzig allein Daro wurde hin und wieder in seiner Nähe gesehen und Lurtz schien seine Anwesenheit zu dulden.

Langsam, doch stetig kroch die Dunkelheit über den See auf die Hügel zu. Fröstelnd erhob sich Kharek und streckte seine Glieder. Er beschloss alle weiteren Entscheidungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Er würde jetzt erst mal abwarten, welche Entscheidung Aragorn getroffen hatte und dann für sich eine Lösung zu suchen.

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Müde legte er die Karte beiseite, die er zuletzt studiert hatte. Er rieb sich die Schläfen und schloss für einen Moment die Augen. Erst ein Rascheln am Zelteingang ließ sie ihn wieder öffnen. Erwartungsvoll blickte er Faramir entgegen, der eintrat und nach einer knappen Verbeugung Platz nahm. Lange hatten sie gesprochen in der Nacht, nach dem verhängnisvollen Treffen. Sie sprachen über den Krieg, über Schuld und Sühne, Schuldige und Unschuldige, Rache und Vergebung. Aragorn konnte Faramirs Wunsch nach Vergeltung verstehen, doch wusste er auch, dass eine Aktion der Rache eine weitere nach sich ziehen würde und es war kein Frieden möglich, solange nicht Bereitschaft vorhanden war, die Hand der Versöhnung zu reichen, egal wie schwer es auch sein mochte. Faramirs Schmerz würde nicht geringer werden, sein Bruder nicht von den Toten zurückkehren und viele andere schlimme Dinge nicht ungeschehen, wenn er an Lurtz Rache übte. Das hatte Aragorn ihm schließlich nahe gebracht und Faramir hatte ihm versprochen, keine weiteren Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen.

Jetzt saß der junge Fürst ihm gegenüber und neigte fragend den Kopf. „Nun, Aragorn, hast du eine Entscheidung treffen können? Was wirst du den Orks morgen sagen?" Aragorn deutete auf die Karte, welche auf der Truhe vor ihm lag, die ihm als Tisch diente. „Ich habe mir das Land genau angesehen, habe abgewogen und gesucht, doch ich denke, dass ich nun eine Lösung gefunden habe. Doch zuvor würde ich gern wissen, welche Gedanken du dir gemacht hast. Sicher hast du auch darüber nachgedacht, was wir für Möglichkeiten haben, nicht wahr?"

Überrascht schaute Faramir seinen Freund an, doch er zögerte nicht, ihm seine Überlegungen mitzuteilen. „Ja, das habe ich und ich kann dir jetzt schon sagen, dass ich die Uruks auf keinen Fall in Ithilien haben will. Am liebsten würde ich sie weit weg von hier wissen, sie nach Khand oder gar nach Harad schicken. Aber das würde sicherlich neue Unruhen nach sich ziehen, die wir im Moment nicht gebrauchen können. Doch eine richtige Lösung habe ich nicht gefunden."

Aragorn nickte, er konnte den Wunsch Faramirs nachvollziehen, was das Verbleiben der Orks anging. Und so war er froh, dass er noch eine weitere Alternative vorzuweisen hatte. Er zeigte mit dem Finger auf ein Gebiet der Karte. Faramirs Augen weiteten sich ein wenig, als er erkannte, dass es sich um einen Flecken in Mordor handelte. Es war das Gebiet Nurn, in dessen Mitte das Nurnenmeer lag, ein großer Salzwassersee. Hier lebten zu Saurons Zeiten Orks und anderes Gelichter und es war bekannt, dass hier auch Menschen in Sklaverei lebten, die für Sauron Frondienste verrichteten auf den kargen Feldern. Doch die Schergen des schwarzen Herrschers waren geflohen oder vertrieben worden, die Menschen befreit. Das Land lag brach. Faramir nickte langsam, während er seinen Blick über die Karte schweifen ließ. Dieser Ort dürfte den Ansprüchen der Uruks genügen, es gab Möglichkeiten zu jagen und zu fischen, die Felder waren noch vorhanden und konnten sicher wieder bestellt werden. Und es war weit entfernt von Gondor und Ithilien. Von seiner Seite aus gab es keine Einwände zu Aragorns Vorschlag. Nun war es an den Uruk-hai zu entscheiden.

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Unruhig ging sie auf und ab, fast wie ein eingesperrtes Tier im Käfig. Seufzend glitt ihr Blick über den Boden und sarkastisch dachte sie, dass dort inzwischen eine Furche sein müsste, so oft war sie nun schon hin und her gelaufen. Sie konnte sich die ansteigende Nervosität kaum erklären, es war ein schemenhaftes unbestimmtes Gefühl, welches ihr Unbehagen bereitete. Mit einem zornigen Seufzen warf sie ihr Haar zurück und griff nach ihrer Tasche. Sie würde nur wenige Sachen benötigen, und es musste schnell gehen. Kurze Zeit später trat sie nach draußen und atmete erst einmal tief durch. Doch ihr Entschluss stand fest und sie würde ihn nicht wieder zurück nehmen. Sie überprüfte noch einmal den Sitz der Lederrüstung, schob den Schwertgürtel ein wenig weiter nach hinten. Dann war es Zeit aufzubrechen. Ihre Augen blitzten, als sie sich auf den Weg machte.

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Sie waren allein gekommen, so wie drei Tage zuvor. Nur die beiden Menschen und der Elb, welchen Kharek seinen Freund nannte. Sharka atmete fast erleichtert auf, als sie aus dem Schatten des Hügels trat und nun Aragorn und seinen Begleitern entgegen ging. Sie hatte keine großen Worte darüber verloren, als Lurtz heute Morgen zu ihr kam, mit der Bitte sie begleiten zu dürfen. Kurz zuvor hatte sie schon Kharek erlaubt, mit ihr zu kommen. Sie sagte Lurtz nur, dass sie einverstanden war, denn sie wusste, es hatte wenig Sinn ihn zu fragen, warum er an dem Treffen teilnehmen wollte. Sie würde es wohl früh genug erfahren. Also waren auch sie zu dritt und so kam es, dass sich wieder sechs Personen auf dem Feldweg gegenüber saßen. Die Waffen waren wie beim ersten Mal abgelegt worden. Aragorn hatte es unauffällig geschafft, dass Lurtz und Faramir so weit wie möglich auseinander saßen, um eine weitere Konfrontation weitestgehend zu vermeiden.

Nun breitete er die Karte zwischen sich und Sharka aus, um seinen Vorschlag besser erklären zu können. „Hier liegt das Gebiet Nurn, in dessen Mitte sich das Nurnenmeer befindet. Dieses Gebiet ist nach dem Krieg weitestgehend unbewohnt. Ihr hättet dort Möglichkeiten zu jagen, ihr könntet dort die brachliegenden Felder bearbeiten und ihr hättet genug Platz für euch. Und dieses Gebiet wäre euer Gebiet, und dort könntet ihr frei über euch selbst bestimmen. Wie ihr euch mit euren Nachbarn aus Rhûn einigt, überlasse ich euch. Momentan stehen die Länder Harad, Khand und Rhûn unter Bann von Gondor. Und das bringt mich zu der Bedingung, die ich an diesen Vorschlag knüpfe. Wenn ihr euch dazu entschließt mein Angebot anzunehmen, dann gelten für euch dieselben Bedingungen, die ich auch den Haradhrim genannt habe. Ihr werdet in eurem Land bleiben, und weder Gondor noch Ithilien in großen Gruppen und feindlicher Absicht aufsuchen. Die Ausnahme sind Gruppen von zweien, höchstens dreien, unter dem Banner der Verhandlung. Wer unter anderen Umständen aufgegriffen wird, hat die Konsequenzen in ihrer vollen Härte zu tragen."

Es folgte ein langer Moment des Schweigens, während alle wohl über Aragorns Worte nachsannen. „Was, wenn wir diesen Vorschlag nicht akzeptieren, Menschenkönig?" erklang eine knurrige raue Stimme. Lurtz blickte Aragorn herausfordernd an. Doch der ging nicht auf die Provokation ein, schon allein, weil er aus dem Augenwinkel wahrnahm, dass Faramir sich anspannte. „Wenn ihr diesen Vorschlag nicht akzeptabel findet, dann werden wir eine andere Lösung finden müssen…ohne Gewalt." Die letzten Worte sprach er direkt zu Lurtz, der sie mit einem leisen Grollen quittierte.

Sharka entschärfte die Situation, indem sie das Wort ergriff. „Ich finde dein Angebot durchaus akzeptabel, Aragorn, König von Gondor. Ich bin bereit ihn zu akzeptieren, mit allen Bedingungen, die du daran knüpfst. Alles Weitere werde ich mit meinen Leuten besprechen. Doch ich bitte dich um eines. Gib uns etwas Zeit unseren Rückweg zu organisieren. Wir brauchen vor allem Vorräte. Ich denke, dass zwei Wochen ausreichen dürften. Ich versprechen, dass wir keine weiteren Dörfer mehr plündern werden oder sonst in irgendeiner Weise gegen die Gesetze dieses Königreiches verstoßen." Abwartend ruhte ihr Blick auf Aragorn, der ihr nach kurzem Überlegen die Hand hinhielt. „Gut Sharka, dann ist es beschlossen, das Gebiet Nurn geht an die Uruk-hai von Mordor und ich gewähre euch zwei Wochen, mit dem heutigen Tag, um Vorräte zu beschaffen, und den Rückweg anzutreten. Noch mehr, ich werde veranlassen, dass euch geholfen wird, was Wasser und Proviant betrifft." Sharka ergriff Aragorns Hand und schüttelte sie kräftig. Dann erhob sie sich. Auch die anderen standen auf. Während Aragorn und Sharka einen Treffpunkt für die Übergabe der Vorräte ausmachten entfernten sich Rûmil und Kharek ein Stück von den anderen.

„Wirst du mit ihnen gehen, Kharek? Nach Nurn, in ihre neue Heimat?" Rûmil stellte ohne Umschweife die Frage, die ihm am meisten am Herzen lag. Er fürchtete sich vor der Antwort, hegte jedoch noch immer die Hoffnung, dass Kharek sich anders entschied, dass er mit ihm zurückkehrte nach Bruchtal. Er schien Gloráre und das Kind völlig verdrängt zu haben. Und auch hier war die Hoffnung, dass er sich irrte. Kharek seufzte leise, doch er wich Rûmils Blick nicht aus. Tief schaute er seinem Freund in die Augen, er dachte an den langen Weg, den sie zusammen zurückgelegt hatten und das Vertrauen, welches er erfahren hatte. Vielleicht war es in diesem Moment, dass sein Herz eine Entscheidung traf. Er nickte Rûmil zu. „Nein Rûmil, ich habe einen Platz an dem ich willkommen bin, und wo ich erwartet werde. Ich habe hier etwas erlebt, was mich sehr glücklich macht und zu wissen, dass es für Sharka und die anderen Hoffnung gibt erfüllt mich mit Freude. Doch mein Herz hängt an Bruchtal und natürlich an Gloráre. Ich will zurück zu ihr, ich vermisse sie sehr."

Rûmils Herz tat einen freudigen Hüpfer bei diesen Worten. Er umarmte Kharek, löste sich aber sofort wieder von ihm, leicht die Nase rümpfend. „Es freut mich Kharek, ich habe sehr gehofft, dass du diese Entscheidung triffst. Doch, nimm es mir nicht übel, aber wenn du uns begleiten möchtest, dann wirst du ein Bad nehmen müssen, du stinkst wie ein…hm…"

Kharek grinste. „Wie ein Ork, ja?" Da mussten beide lachen und Rûmil durfte eine weitere Umarmung über sich ergehen lassen. Doch dann wurde Kharek wieder ernst. „Ja Rûmil, ich werde mit euch zurückgehen, aber vorher, werde ich noch Sharka begleiten, bis sie wirklich aufbrechen. Ich möchte ihr meine Entscheidung mitteilen und meine Hilfe anbieten." Der Elb nickte verständnisvoll. „Ja, das kann ich verstehen Kharek. Nun, da ich weiß, dass ich dich nicht verloren habe, kann ich auch noch etwas länger auf dich warten."

So trennten sich ihre Wege erneut, als Kharek Sharka und Lurtz folgte, die bereits den Rückweg angetreten hatten. Doch beiden war das Herz nun leichter. Erstaunt hielt Kharek inne und beobachtete, wie Lurtz sich umwandte und Aragorns Gruppe nachging. Ein fragender Blick zu Sharka zeigte ihm, dass auch sie keine Ahnung hatte, was er damit bezweckte. Abwartend blieben sie stehen. Unbeirrt näherte sich Lurtz nun Faramir, der tief in Gedanken versunken Aragorn und Rûmil folgte.

Faramirs Hand zuckte zum Schwertgriff, er hatte den großen Ork tatsächlich nicht herankommen hören. Doch dann hielt er inne, denn Lurtz hielt keine Waffe in der Hand. Sein Schwert steckte in der Scheide. Faramir zwang sich tief durchzuatmen, ehe er sprach. „Warum schleichst du dich an mich an?" fragte er mit unterdrücktem Zorn in der Stimme. Lurtz schwieg einen Moment, er musterte den Mann vor sich ruhig und abwägend, dann nickte er wie zu sich selbst. „Ich wollte dir nur etwas sagen, Mensch. Dein Bruder starb mit meinem Respekt, nicht verachtenswert, sondern als großer Krieger, voller Ehre. Ich wollte, dass du das weißt." Damit drehte er sich um und ließ einen Faramir zurück, der ihm mehr als überrascht nachblickte.

Ich wollte eigentlich noch mal detailliert auf eure Reviews eingehen, aber leider fehlt mir im Moment einfach die Zeit. Ich bin froh, dass ich es wenigstens geschafft habe ein weiteres Kapitel zu fabrizieren. Aber ich lese eure Reviews alle aufmerksam und freue mich sehr darüber. Eure Gedanken haben mich schon manches Mal beflügelt und auch schon manche Wendung in den Geschehnissen herbeigeführt. Also bleibt mir bitte erhalten. :o)