47) Aufbruchstimmung

Als er sich umwandte, entspannte sie sich und nahm die Hand vom Schwertgriff. Sie hatte Lurtz nicht aus den Augen gelassen, als dieser zu Faramir zurückging. Doch jetzt kam er zurück. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass auch Kharek seine angespannte Haltung aufgab. Lurtz erreichte sie, blieb jedoch nicht stehen, er ging an ihnen vorbei. Sharka seufzte leise und schüttelte den Kopf. Der Isengarter würde ihr noch eine Menge Rätsel aufgeben, da war sie sich sicher. Dann drehte sie sich halb zu Kharek herum und schaute ihn fragend an. „Wirst du bei uns bleiben, Kharek? Wirst du uns begleiten in unsere neue Heimat?"

Er hatte auf diese Frage gewartet, er hatte überlegt, wie er es ihr sagen wollte und dann hatte er sich für den direkten Weg entschieden. Seine Aufgabe, die er sich eher unbewusst gestellt hatte, war erfüllt, kein Grund mehr, länger mit der Wahrheit zu hadern. „Nein, Sharka. Ich kann und werde nicht bei euch bleiben. Ich begleite euch, bis an die Grenze zu Mordor, aber dann werde ich Aragorn und die anderen begleiten. Ich möchte zurück nach Bruchtal, wo meine Gefährtin auf mich wartet…"

So, nun war es gesagt, und ihr erstaunter, ungläubiger Gesichtsausdruck verriet ihm, dass er richtig vermutet hatte. Sie blieb stehen und schüttelte leicht den Kopf. „Willst du mir jetzt etwa sagen, dass deine Gefährtin eine Elbenfrau ist? Und erwartest du dann auch noch, dass ich dir das glaube?" Sie begann zu lachen, rau und kehlig. „Wir stehen vor dem Aussterben und du lässt dich mit einem spitzohrigen Weib ein. Mal abgesehen davon, dass ich es die sowieso nicht glaube, ist das wohl eher ein Wunschdenken von dir."

Kharek schwieg, er lachte nicht und er schaute ihr ruhig in die Augen. Ihr Lachen brach ab und sie legte den Kopf schräg, blickte ihn prüfend an. „Du meinst das wirklich ernst? Du hast eine Verbindung mit einer Elbe?" Er nickte. „Ja, es ist wahr, Sharka. Auch wenn es unglaublich ist für dich. Es war auch nicht einfach, wir hatten einen Weg voller Hindernisse, aber schließlich fanden wir zusammen. Und ich möchte diese Beziehung nicht verlieren, darum begleite ich euch noch ein Stück, helfe, wenn ich kann und kehre dann zu ihr zurück."

Sharka knuffte ihn gegen den Arm. „Ist ja sehr anständig von dir, dass du dich nicht einfach so aus dem Staub machst. So ganz kann ich deine Geschichte zwar nicht glauben, aber es steht dir natürlich frei zu gehen, wohin du willst. Allerdings freu ich mich, dass du uns noch helfen möchtest." Ein kleines Grinsen glitt über ihre Züge, als habe sie schon eine konkrete Vorstellung, wie diese Hilfe aussehen könnte. Doch sie ging nicht näher darauf ein, sondern beschleunigte ihre Schritte um zu Lurtz aufzuschließen. Kharek folgte in einigem Abstand, hing seinen eigenen Gedanken nach, die sich um seine Rückkehr nach Bruchtal drehten.

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Die Schatten als natürliche Deckung nutzend, näherte sie sich den Stallungen. Ein leises Kribbeln in ihrem Nacken ließ sie alarmiert herumfahren, doch niemand war zu sehen. So leise wie möglich schob sie die Stalltür auf und trat auf die Stallgasse. Verschlafenes Schnauben begrüßte sie, leises Rascheln von Stroh, friedliche Nachtgeräusche, die sie wieder ein wenig beruhigten. Mit geübten Handgriffen machte sie Meril fertig, schnallte ihre Tasche an den Sattel und führte die Stute aus dem Stall. Vorsichtig schob sie die Tür wieder zu und wandte sich dann ihrem Pferd zu, um aufzusitzen.

„Machst du einen nächtlichen Ausritt, Gloráre?" erklang eine sanfte fragende Stimme, die sie herumfahren ließ. Glorfindel stand an einen Baum gelehnt und betrachtete seine Tochter halb amüsiert, halb verärgert. Er hatte sie beobachtet, wie sie sich davongestohlen hatte, wie sie zum Stall geschlichen war. Rüstung und Tasche zeigten ihm, dass sie keinen kleinen Abendspaziergang plante. Sie wollte Bruchtal verlassen…ohne ihm etwas davon zu sagen. In den letzten Tagen war sie sehr verschlossen gewesen, hatte sich zurückgezogen. Es schmerzte ihn, dass seine Tochter sich ihm nicht anvertrauen mochte. Wieder einmal wünschte er sich, dass ihre Mutter noch leben würde. Doch bei einem Erkundungsritt war ihr Pferd an einem felsigen Hang abgestürzt und hatte sie mit in die Tiefe gerissen. Damals war Gloráre gerade dem Kleinkindalter entwachsen und seitdem bemühte Glorfindel sich, ihr gleichsam Vater und Mutter zu sein. Aber bei manchen Sachen spürte er, dass seine Bemühungen umsonst waren.

Gloráre erstarrte, als sie die Stimme ihres Vaters vernahm. Nun war all ihr Bemühen umsonst gewesen. Die ganze Heimlichkeit vergebens. Er hatte sie erwischt und nun würde er eine Erklärung erwarten. Er würde sie nicht verlangen, aber in seinen Augen stand deutlich der Wunsch sie verstehen zu wollen. Langsam legte sie Meril die Zügel über den Hals und ließ sie das Gras entlang des Weges fressen, während sie zu ihrem Vater herüber ging und ihm fest in die Augen sah. „Ada…ich weiß, du bist enttäuscht von mir, weil ich dich nicht ins Vertrauen gezogen habe. Aber ich wusste doch, dass du mir nie deine Einwilligung gegeben hättest, Bruchtal zu verlassen und Kharek zu folgen. Also beschloss ich heimlich zu gehen."

Jetzt war es gesagt und sie konnte in seinem Gesicht lesen, dass er erschrocken war, erschrocken und enttäuscht. Er drehte sich ein Stück von ihr weg, starrte auf den Baum, als könnte er in dessen Rinde eine Antwort finden, während er leise seufzte. Sie trat noch näher an ihn heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Und auch wenn du mich dieses Mal erwischt hast, so werde ich es wieder versuchen, Ada. Ich hatte seltsame Träume in der letzten Zeit und ich muss einfach wissen, ob es ihm gut geht."

Er drehte sich abrupt zurück zu ihr, seine Augen waren dunkel und seine Stimme klang gepresst. „Du würdest es wieder tun, ja? Dich über mein Verbot hinwegsetzten, das ich hier nun ausspreche? Du kannst nicht mutterseelenallein nach Gondor reiten. Wie stellst du dir das vor? Mal abgesehen von deinem Zustand ist es auch so gefährlich genug. Was für eine wahnwitzige Idee, die du da hattest."

Trotzig schob Gloráre das Kinn vor und funkelte ihren Vater furchtlos an. „Ja, ich werde gehen. Du kannst mich nicht einsperren. Ich bin kein Kind mehr. Und schieb meinen Zustand nicht vor. Ich kann auf mich aufpassen und ein einzelner Reiter erregt weniger Aufsehen, als eine Gruppe. Du traust mir nichts zu. Aber du wirst schon sehen, dass ich mir nicht vorschreiben lasse, was ich zu tun oder zu lassen habe."

Glorfindel fasste sie an den Schultern und starrte sie verärgert an. „In diesem Fall wirst du deinen Starrkopf nicht durchsetzen. Schön, dass du mich auf den richtigen Gedanken gebracht hast, denn ich kann dich sehr wohl einsperren, wenn ich das will. Aber ich hoffe doch, dass deine Vernunft siegen wird und du einsiehst, dass dein Plan viel zu gefährlich ist."

Sie schnaubte entrüstet und schob seine Hände weg. „Das wagst du nicht, mich einzusperren!" sagte sie mit funkelnden Augen, doch Glorfindel schaute nicht minder wütend zurück. „Führe mich in Versuchung, Gloráre und du wirst sehen, welche Wagnisse ich eingehe. Und nun bring Meril zurück in den Stall."

Sie stampfte mit dem Fuß auf, um ihrer Gefühle Herr zu werden, doch so ganz gelang es ihr nicht. Sie ging mit energischen Schritten zu ihrer Stute, warf einen zornigen Blick zurück und schwang sich dann ohne lange zu überlegen in den Sattel. Fest drückte sie dem Pferd die Hacken in die Flanken und mit einem kleinen Aufbäumen preschte Meril davon. Glorfindel hatte noch versucht sie zu erreichen, doch er kam zu spät. Die hellen Haare seiner Tochter, die mit dem weißen Schweif der Stute im Mondlicht um die Wette leuchteten waren das letzte, was er von beiden sah, als sie in der Ferne verschwanden.

‚Lieber zehn Balrogs, als eine aufgebrachte Tochter' dachte er grimmig, während er zu den Wächterquartieren lief. So einfach würde sie ihm nicht davon kommen. Vielleicht konnte sie ja tatsächlich ganz gut auf sich aufpassen, aber Vertrauen war gut, Kontrolle war besser. Kurz darauf hatte er zwei Elben damit beauftragt seiner Tochter nachzureiten, natürlich so, dass sie unbemerkt blieben. Sie sollten nur im äußersten Notfall eingreifen. Wenn Gloráre ohne Zwischenfälle Minas Tirith erreichte, was wohl ihr Ziel sein dürfte, dann sollten die beiden Wächter umgehend nach Bruchtal zurück kehren und berichten.

Als die beiden aufgebrochen waren, zog sich Glorfindel deutlich beruhigt in seine Gemächer zurück.

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Die zwei Wochen Frist waren fast vorüber, die Uruks hatten sich auf den Aufbruch in ihre neue Heimat vorbereitet und warteten nun, dass es losgehen konnte. Sie hatten Wagen mit Proviant und Wasser bekommen. In anderen wurde Ausrüstung und Hausrat transportiert. Zudem hatten sich zwei Gruppen wieder Sharkas Truppe angeschlossen, die sich bislang an anderen Orten verborgen hatten. Hierbei handelte es sich ausschließlich um Frauen mit kleinen Kindern, einige noch Säuglinge, die sich nicht an den Raubzügen hatten beteiligen können. Kharek war bei seiner letzten Zählung auf sechzig gekommen, eine recht stolze Anzahl.

Er suchte Sharka, die er schließlich mit einigen anderen an einem der zahlreichen Feuer fand. Die Uruks feierten den Aufbruch. Sie hatten Sharka ungläubig zugehört, als sie nach dem Treffen mit Aragorn von dessen Vorschlägen berichtete. Doch als sie erst begriffen hatten, dass sie nicht länger umherziehen und plündern mussten, sondern Aussicht auf ein neues, ein eigenen Landstück hatten, da begann ein wildes Freudengeheul, das weit über die Berge erschallte. Immer wieder musste Sharka Fragen beantworten, doch sie tat es gern. Heute Abend nun herrschte eine ausgelassene Stimmung. Die Kinder, die es kaum glauben konnten, dass sie sich nicht länger verstecken mussten tobten laut johlend herum und immer wieder fanden wilde Rangeleien statt, Vorübungen auf die später folgenden Rangkämpfe. Die Frauen kümmerten sich vornehmlich um das Essen und überall saßen die Orks in kleinen Gruppen zusammen und malten sich gegenseitig aus, wie sie sich ihr neues Leben vorstellten. Sharka hing ihren eigenen Gedanken nach, vor allem die Nähe zu Rhûn machte ihr Sorgen, doch sie konnte sich nicht zuviel damit beschäftigen, dann eben jetzt trat Kharek an ihre Seite.

„Sharka…ich wollte fragen, ob ich noch irgendwie helfen kann, ansonsten würde ich mich jetzt verabschieden wollen. Besser jetzt, als morgen im Trubel des Aufbruches." Abwartend schaute er sie an, doch sie deutete auf den Platz neben sich. Als er sich hingesetzt hatte, drehte sie sich blitzschnell herum und setzte sich rittlings auf seinen Schoß. Ihre Augen glitzerten begehrlich im Schein der Feuer, als sie sich ihm näherte und ohne jede Vorwarnung in den Hals biss. Er schrie auf und versuchte sie abzuschütteln, aber sie hing wie eine Klette an ihm. Sie zog den Kopf zurück, schmeckte seinem Blut an ihren Fängen nach und lachte kehlig. Dann grollte sie leiser. „Du kannst mir helfen, mein dunkler Schöner. Teile heute Nacht das Lager mit mir…" Nach diesen Worten löste sie sich von ihm, stand auf und verschwand im Dunkel. Kharek schaute ihr leicht verwirrt nach und schüttelte dann den Kopf. Dabei fing er Nakurs Blick auf, die ihm gegenüber saß. „Diese Bitte werde ich ihr sicher nicht erfüllen." meinte er leise, doch sie grinste spöttisch. „Das war keine Bitte, Kharek…das war ein Befehl und du tätest gut daran ihn zu befolgen…"

Mit einem überraschten Stirnrunzeln starrte Kharek an die Stelle, wo Sharka verschwunden war…

--- Ja, hm…ist etwas….trocken dieses Mal, ich hab wohl ne kleine Schreibblockade. Aber ich möchte nicht zuviel Zeit verlieren und vielleicht irre ich mich ja auch und es ist gar nicht so schlecht. ---