49. Aufbruch
Zufrieden ließ Aragorn seinen Blick noch einmal über die Ansammlung der Wagen und Packtiere gleiten. Sie waren fertig und bereit aufzubrechen. Aus den nahen Dörfern hatte er sich die Transportmittel und diverse andere Dinge erbeten, wie Decken, Geschirr, Saatgut und ähnliches. Die Elben hatten alles gut verstaut und warteten bereits auf den Pferden. Aragorn wandte den Blick zu dem Pfad, der zwischen den Hügeln verschwand, als er dort eine Bewegung wahrnahm. Die Uruk-hai kamen auf sie zu. Sharka ging voraus, Kharek einen Schritt hinter ihr. Aragorn schmunzelte, als er feststellte, dass es inzwischen schwer war, diesen von den anderen Uruks zu unterscheiden. Die Orks, welche bisher in den Höhlen verborgen waren schauten misstrauisch auf die Elben und hielten sich im Hintergrund. Sharka trat auf Aragorn zu und wie zum Zeichen ihres Vertrauens streckte sie ihm begrüßend die Hand entgegen. Der ergriff sie und drückte sie kräftig. „Wir sind soweit, alles ist verstaut, wenn ihr wollt, können wir gleich aufbrechen." Sharka nickte. „Ja, gut. Ich will nicht länger als nötig warten, und wir sind auch bereit."
Also veranlasste Aragorn, dass die Elben die Wagen und Lasttiere aufstellten. Sharka erklärte den anderen, dass sie sofort aufbrechen würden und eine nervöse Unruhe machte sich breit.
Kharek hatte Rûmil gesucht und schließlich gefunden. Der Elb blickte seinen Freund kopfschüttelnd an und grinste. „Oh ja, ich hätte ja nicht gedacht, dass es noch schlimmer werden könnte, aber du stinkst echt erbärmlich…was ist das nur für ein Geruch?" Rûmil krauste die Nase, als er den starken Geruch einatmete, der von Kharek ausging. Der sog demonstrativ die Luft ein und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ich rieche wie immer, nur intensiver. Aber lass mal, ich werde mich schon bald waschen, heute Morgen war nur keine Zeit." Rûmil nickte ernsthaft. „Ich bitte darum, denn sonst werde ich nicht an deiner Seite reiten…" Kharek lachte leise und knuffte Rûmil in die Seite, was der Elb mit einem empörten Aufschrei quittierte. Aber er schlug nicht zurück, denn er wusste, dass ihm das vermutlich mehr schmerzen würde, als dem großen Ork. Stattdessen nahm er demonstrativ Abstand zu Kharek. Der grinste nur breit und ging zu den Uruks, die sich abseits gesammelt hatten. Er ließ seinen Blick über diejenigen gleiten, die in den letzten Wochen fast seine Familie geworden waren. Sharka, die sich leise mit Kharan unterhielt, Nakur, die Samenkapseln aus einer Blüte löste und schließlich Lurtz und Phera, die wie fast immer Seite an Seite saßen, wobei sein Arm um ihre Hüfte lag. Die Kinder tollten des Wartens müde und langsam ihre Scheu vor den Menschen verlierend herum und begannen sich zu rangeln und zu balgen, wie sie es immer taten. Kharek ließ sich neben Nakur nieder, welche die Blüten eben fortwarf. Sie musterte in fragend, mit einem kleinen Funkeln in den Augen. „Nun, Kharek, willst du es dir nicht doch noch mal überlegen, ob du uns begleitest? Du bist kaum noch von uns zu unterscheiden, vor allem, was deinen Geruch angeht. Sehr angenehm…aber ob das deinen Elbenfreunden gefällt?" Sie knuffte ihn kameradschaftlich in die Seite. „War ne schöne Nacht, hm?" Ein verschwörerisches Zwinkern, was ihn nun grinsen ließ. „Vielleicht…vielleicht auch nur die Einhaltung eines Versprechens." antwortete er. „Ich hab ihr Hilfe versprochen und die hat sie bekommen. Nein, Nakur, ich werde nicht mit euch gehen. Mein Weg ist ein anderer. Aber das bedeutet nicht, dass sich unsere Pfade nicht irgendwann mal wieder kreuzen können."
Die Schamanin nickte langsam. „Wäre schön, mal zu erfahren, was aus dir geworden ist. Und vielleicht magst du ja auch mal sehen, wie dein Nachwuchs sich macht." Bevor Kharek noch antworten konnte kam Bewegung in die Orks rundherum. Aragorn war auf dem Weg zu ihnen und winkte. Sharka drehte sich um und bellte ein paar scharfe Befehle, um die wilde Horde der tobenden Kinder zur Ruhe zu bekommen. Es dauerte nicht lange und alles war bereit für den Aufbruch.
Es wurde eine Einteilung betroffen, zehn Elben, sowie Aragorn, Faramir und Kharek würden die Uruk-hai begleiten, bis zur Grenze. Die restlichen Elben würden nach Minas Tirith voraus reiten und dort warten. Alagosion übernahm die Führung dieser Gruppe. Seine Verfehlung war nie wieder angesprochen worden und würde es auch nicht werden, bis sie wieder in Bruchtal waren. So brachen beide Gruppen nun auf. Sharka führte die Uruk-hai an, sie kannte den Weg, der sie zurück bringen würde, über einen Gebirgspfad hinein nach Mordor. Mit jedem Schritt den sie ging verließ sie die Zeit des Leides und des Kampfes und ging einer neuen besseren Zukunft entgegen. Ein neuer Weg…
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Mit einem leisen Seufzen glitt sie vom Pferd und sah sich um. Die Lichtung am Waldrand war einladend und mit dem schmalen Bachlauf ein idealer Lagerplatz für die Nacht. Sie schmunzelte leicht, als sie überlegte, ob ihre stillen Verfolger wohl ähnliches Glück mit einer Stelle zum Rasten haben würden. Sie gaben sich ja große Mühe unentdeckt zu bleiben, aber es war ihnen nicht ganz gelungen. Doch Gloráre hatte nicht vor, sie bloßzustellen. Sie machten ihre Sache ja gut und eigentlich gefiel es ihr schon, dass ihr Vater sich so große Sorgen machte, dass er sie mit einer Leibgarde versah. Ein wenig ärgerte sie sich aber auch, dass er es ihr nicht zutraute, allein nach Minas Tirith zu kommen, doch musste sie auch zugeben, dass es nicht unbedingt ein Spaziergang war. Nun gut, sie hatte ihre unsichtbaren Wächter in ihrer Nähe und ansonsten ging es ihr gut. Sie kam problemlos voran, ritt jeden Tag eine ordentliche Strecke und rastete meist erst, wenn schon die Sterne am Himmel standen. Meril graste entspannt in der Nähe des Bachlaufes und Gloráre machte sich daran ein kleines Feuer zu entfachen. Nicht mehr lange würde es dauern, bis sie Kharek wieder sah. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer, als sie an ihn dachte. Er würde sicher ziemlich überrascht sein, sie zu sehen, aber es kam ihr nicht einmal in den Sinn, dass er sich nicht freuen könnte. Sie ließ sich rücklings ins Gras gleiten und schaute zu den Sternen auf. Ein kleines Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie daran dachte, dass er dieselben Sterne sehen konnte, wenn er zum Himmel aufblickte.
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Immer unwegsamer wurde das Gelände, die Zugtiere brüllten nervös, wenn sie mal wieder abrutschten, aber der Gebirgspass war der Weg, den sie nehmen mussten. Es gab nicht mehr viele Wege nach Mordor, und die, welche es gab wurden nicht offen preisgegeben. Die schwarzen Lande wurden nach dem Ende des Krieges immer mehr zu einem Sammelpunkt üblen Gelichters, alle Schurken, Scharlatane und Taugenichtse fanden sich dort ein, krochen direkt über die steilen Bergkuppen oder fanden aus reinem Glück einen der verborgenen Pfade. Schließlich hatten sie es geschafft den Aufstieg zu bewältigen und ein breites Felsplateau erreicht, von wo aus gesehen die Landschaft Mordors unter ihnen lag, wie der zerfetzte blutgetränkte Fächer einer toten Tänzerin. Noch immer glühte der Gipfel des Schicksalsberges in Unheil verkündendem Feuer, aber er spuckte schon lange keine Glut und Asche mehr. Die Lavaströme, die sich weit über das gesamte Land hinweg ergossen hatten, waren zu bizarren Hügelketten erstarrt, deren Ränder wie das lückenhafte Gebiss eines großen Raubtieres wirkten. Von ihrem Standpunkt aus konnten sie aber auch das Tal von Nurn sehen, das große Binnenmeer funkelten wie ein dunkler Edelstein aller Schrecknis des Landes zum Trotz. Dort unten lag ihr Ziel und sie würden es am nächsten Tag erreichen. Aragorn wusste, dass nun der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen war. Sie hatten die Grenze zu Mordor überschritten und nun lag das Schicksal der Uruk-hai nicht mehr in seinen Händen. Er ließ den Blick noch einmal über die fremdartigen aber längst nicht mehr so fremden Gesichter gleiten. In den letzten Tagen hatte er sie oft beobachtet, ihre zwar primitive aber zweckmäßige Lebensart kennen gelernt und erkannt, dass sie niemanden brauchten, um es besser zu machen. Sie waren zufrieden mit dem was sie konnten und hatten. Und so sollte es auch bleiben.
Er trat zu Sharka heran, die sich gleich zu ihm herumdrehte, als sie ihn witterte. „Aragorn, was gibt's denn? Kommst du, um dich zu verabschieden?" Er nickte langsam. „Ja, es wird Zeit, dass wir uns trennen. Wir sind in Mordor und von jetzt an seit ihr wieder für euch selber verantwortlich. Ich wünsche euch alles Gute für eure Zukunft und das meine ich ernst."
Er hielt ihr die Hand hin die sie ergriff und fest drückte. „Danke Aragorn. Ich weiß, dass du es ehrlich meinst. Du bist einer der wenigen Menschen, denen ich es vorbehaltlos glaube, nicht, dass ich viele Menschen kenne…zwei um genau zu sein. Auch ich wünsche dir ein langes glückliches Leben und einen ehrenvollen Tod."
Bei ihren letzen Worten hob er erstaunt eine Augenbraue, denn solch einen Wunsch hatte noch niemand für ihn geäußert. Aber für Sharka schien es völlig normal zu sein, also sagte er nichts weiter dazu. Sie wandte sich dann um und ließ den Blick über das Land unter sich schweifen, nickte langsam.
„Es ist ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein, egal wie zerstört es ist, wie wenig es anderen bedeutet und wie viele es hassen. Es ist unsere Heimat und hier liegen unsere Wurzeln. Ich bin froh, wieder hier zu sein, und noch glücklicher bin ich, weil ich weiß, dass wir nun hier bleiben können, ohne die Bedrohung des schwarzen Turmes." Sie schaute Aragorn noch mal lange in die Augen. „Ich mach nicht viele Worte, also leb wohl und bleib wie du bist."
Sie drehte sich zu den anderen um und rief sie zusammen. Die Orks übernahmen die Wagen und die Elben zogen sich zurück, sammelten sich bei Faramir und Aragorn. Langsam setzte sich der Zug nun wieder in Bewegung, dieses Mal ohne seine Begleiter. Aragorn, Faramir, Rûmil und Kharek bleiben noch lange auf dem Plateau und schauten den Uruks nach, die in der Ferne schließlich um eine Kehre bogen und sich so ihren Blicken entzogen. Dann erst begaben sie sich auf den Rückweg. Jeder von ihnen hing seinen Gedanken nach, aber einen Moment lang ging jedem von ihnen dasselbe durch den Kopf. ‚Ob wir sie wohl jemals wieder sehen?'
---- Hat etwas gedauert dieses Mal, aber ich hatte einfach keine Idee, wie ich weiter schreiben sollte. Jetzt scheint der Knoten wieder geplatzt zu sein, mal sehen. Ich hoffe ihr seid mir treu geblieben, trotz der längeren Pause. :o) ----
