52. Probleme
Er konnte es riechen, den beißenden Geruch der Angst, welchen der Mann verströmte. Er konnte es spüren, das mühsam unterdrückte Zittern der Furcht in der Schulter unter seiner Pranke. Er konnte es sehen, das Flackern im Blick des Sklavenhändlers, als wenn er nach einem Fluchtweg Ausschau halten wollte. Und er konnte es hören, das schnellere Atmen, im Moment der Erkenntnis begann das Herz des Rhûnarers lauter zu schlagen und nach einem kurzen Anhalten der Luft, schnappte er umso gieriger danach. Seinem Nebenmann ging es nicht viel besser. Er hatte zumindest die Möglichkeit sich ein Stück zur Seite zu schieben, welche er auch sofort nutzte. Aber auch seine Augen ruhten angstvoll auf der großen dunklen Gestalt hinter seinem Freund. Der versuchte aufzustehen, doch Kharek drückte ihn unerbittlich wieder auf den Hocker nieder.
„Du möchtest mich allein erwischen, ja?" knurrte Kharek hasserfüllt. „Ich bin allein…also…was möchtest du gern machen? Oder verlässt dich der Mut, weil ich weder betäubt noch in Ketten vor dir liege? Du bist so mutig, nicht wahr? Du kannst deine ganze Macht ausspielen, wenn dein Opfer wehrlos ist. Aber was wirst du nun tun? Hah! Was wirst du nun tun, Abschaum?" Mit jedem Satz wurde das Grollen in Khareks Kehle lauter, nur mühsam beherrschte er seine Wut, zwang seine Krallen sich nicht ins Fleisch der Schulter unter seiner Pranke zu graben. Der Mann schien unter seinem Druck zu schrumpfen, bei seinen geknurrten Worten immer kleiner zu werden. Sein Begleiter hingegen schob sich, von Kharek in diesem Moment unbeachtet an der Wand entlang, bis er sich ein Stück entfernt hatte. Dann lief er rasch aus der Schenke. Auf der Straße begann er aus Leibeskräften zu schreien. „Hilfe, Garde, zu Hilfe! Der Ork will meinen Freund töten…rettet uns vor diesem Tier…Hilfe…zu Hilfe!" Es dauerte nicht lange, bis zwei bewaffnete Gardisten zu ihm kamen. Er lotste sie in die Taverne und deutete auf die Szene in der dunklen Ecke, wo Kharek nun den Mann aus Rhûn am Kragen gepackt und von seinem Hocker gehoben hatte. Er trug seine Kapuze nicht mehr und sein ganzer Körper spiegelte den Hass und die Wut wieder, die er kaum im Zaum halten konnte. Doch noch hatte er dem Sklavenhändler kein Haar gekrümmt. Der hatte nur eine wagemutige Beleidigung ausgestoßen, auf welche er Uruk mit dem Hochzerren reagiert hatte. Für die Garde sah es allerdings wohl eher gefährlich aus, wie ein Angriff des Orks auf den Mann. Mit gezogenen Schwertern kamen sie auf Kharek zu. Dieser sah den Triumph in den Augen seines Gegenübers aufblitzen, kurz bevor er den Stahl der Klingen an seinem Hals spürte. Er ließ den Mann sofort los, abwartend, reglos verharrend. Vielleicht würde ja doch jemand, der vielleicht in der Nähe gesessen oder gestanden hatte das Wort erheben und klarstellen, dass nie eine Mordabsicht geäußert wurde. Doch nichts dergleichen geschah. Die meisten Gäste wandten sich ab, schielten allenfalls aus den Augenwinkeln zu dem gebotenen Schauspiel. Andere waren mutiger und äußerten laut ihren Unmut und ihre Wünsche bezüglich der Zukunft des Uruk-hai. Dass sie ihm nicht das Beste wünschten war nur zu ersichtlich. Kharek hatte es gewusst, tief in seinem Inneren hatte er es gewusst und dieses Wissen hatte ihn im Quartier verweilen lassen. Darum war er nicht auf die Wünsche Rûmils eingegangen an dessen Seite die Stadt zu erkunden. So langsam wie es ihm möglich war drehte er sich zu den beiden Wachen herum, er hob die Arme und versuchte möglichst ruhig auszusehen. Er konnte die Angst der beiden deutlich riechen, obgleich sie bewaffnet waren und eindeutig im Vorteil. Einer von ihnen ergriff nun das Wort und befahl Kharek vorauszugehen, langsam und mit erhobenen Armen. Beim kleinsten Anzeichen von Gegenwehr oder Fluchtversuch würde er ihre Klingen spüren. Der Uruk seufzte innerlich, als diese Ankündigung mit mühsam unterdrücktem Zittern in der Stimme vorgebracht wurde, aber er nickte ergeben. Was blieb ihm auch anderes übrig? In ihm ruhte noch die winzige Hoffnung, dass er Aragorn oder zumindest Rûmil von den Männern aus Rhûn erzählen konnte und ihren widerlichen Praktiken der Sklaverei. Er war sich ziemlich sicher, dass der König von Gondor ein solches Tun nicht billigen würde.
Doch nun lag die Straße vor ihm und von leisen Befehlen gelenkt erreichten er und seine beiden Wächter ein flaches Gebäude, in welches sie ihn hineingehen ließen. Dieses Haus beherbergte einen Teil der Zellen von Minas Tirith. Kerkerhäuser gab es auf jeder Ebene und dann noch einen gesonderten unter dem Königspalast.
Sie brachten ihn in eine Zelle, auf direktem Wege. Hatte er doch einen Moment darauf gehofft, dass sie ihn dem König vorführen würden, aber diese Hoffnung wurde zunichte gemacht. Er hegte keinen Groll gegen diese Männer, sie taten nur ihren Dienst, und sie dachten, wie Menschen eben dachten. Also ließ er sich ohne Gegenwehr von ihnen durch den dunklen Gang führen, der von Fackeln erhellt wurde. Die anderen Zellen waren nicht belegt. Dort legten sie ihm ein Halseisen an, welches durch eine Kette mit der Wand an der Rückseite der Zelle verbunden war. Dann nahmen sie ihm die Rüstung ab, sowie Gürtel und Stiefel. Die Männer waren nicht besonders vorsichtig dabei und das Eisen scheuerte bereits nach kurzer Zeit. Hier in diesen Räumen und mit ihm in Ketten verloren sie einen Teil ihrer Angst, was sich schließlich darin zeigte, dass einer der Männer Kharek in einem Moment überraschend zu Boden stieß und der andere kräftig mit seinem schweren Stiefel in die Rippen des Uruks trat. Sie lachten laut und verhöhnten Kharek, doch der hörte sie kaum, zu sehr war er in seinen eigenen trüben Gedanken gefangen.
Was schmerzte mehr? Die Blessuren, die er bei der unsanften Behandlung durch die Garde erfahren hatte oder war es der Schmerz der Enttäuschung in seiner Brust? Warum hatte er den Menschen nur vertraut? Niemand hatte ihn gefragt, wie es wirklich abgelaufen war. Die beiden Männer aus Rhûn hatte Unterstützung erfahren, von ihren Mitmenschen. Schon allein dieses Wort schien ihm höhnisch im Kopf zu rotieren. Keiner von ihnen hatte das leise Gespräch mithören können, keiner kannte ihre Vorgeschichte, aber da war ein großer böser Ork, der anscheinend einen kleinen wehrlosen Menschen bedrohte, ihn vielleicht sogar umbringen wollte. Darum war er nun im Kerker und der Mann wurde von allen bemitleidet.
Einige Zeit verging, während er die Wände der Zelle anstarrte. Ob Rûmil es wohl schon wusste? Hatte die Garde den König informiert und wie würde Aragorn auf ihre Version der Geschichte reagieren? Er war auch ein Mensch. Wusste er von den Umständen in Rhûn? War er vielleicht ein Befürworter der Sklaverei? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, ob sie je darüber geredet hatten. Seufzend schob er sich in eine sitzende Position, nicht dass es seine Lage verbesserte, aber so konnte er zumindest durch das Gitter auf den Gang hinaus sehen. Aber niemand kam und es schien ihm, als wartete er seit Stunden. Nicht einmal die Wächter ließen sich blicken. Entmutigt sank er zurück auf das Strohlager, welches in einer Ecke der Zelle aufgeschüttet war. Es war frisch und sauber, als hätten diese Zellen schon lange keine Insassen mehr beherbergt und dieses war nun für ihn neu hereingebracht worden. Er hatte einen Krug mit Wasser bekommen, den er zitternder Wächter fast außerhalb seiner Reichweite abgestellt hatte. Und es gab eine Art Abfluss im Boden der Zelle, ein Loch in das er seine Notdurft verrichten konnte. Ein seltener Komfort, der auf den Fortschritt der großen Stadt hindeutete, oder das Wissen, dass ein lebender Gefangener manchmal wünschenswerter war als ein toter.
Schnaufend rollte er sich auf den Rücken. Das Halseisen mit der schweren Kette schnürte ihm einen Moment den Atem ab. Die Kette war direkt hinter ihm an der Wand angeschmiedet und erlaubte es ihm, sich halb durch den kleinen Raum zu bewegen.
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Sie zügelte ihr Pferd. Fast war es nicht zu glauben, dass sie es tatsächlich geschafft hatte. Nicht ohne Stolz blickte sie empor, nahm die ganze Pracht der weißen Stadt in sich auf. Minas Tirith, sie hatte ihr vorläufiges Ziel erreicht. Hier würde man ihr sicher sagen, wo der König mit seiner Gefolgschaft verweilte. Sie hegte ja die stille Hoffnung, dass sie vielleicht schon wieder hier waren. Sie hatte große Sehnsucht nach Kharek und je eher sie ihn wieder sehen durfte, umso besser. Sie trieb die Stute wieder an und ritt nun auf das Tor zu. Die Wache musterte sie kurz, ließ sie aber dann passieren. Gloráre wusste, dass sich der Königspalast an höchster Stelle befand, also verlor sie keine Zeit, sondern ritt den äußeren Ring hinauf, der direkt dorthin führte. So errechte sie auch den Innenhof. Sie stieg vom Pferd und schaute beinahe andächtig zu dem legendären weißen Baum herüber, der in der Mitte des Hofes von einer eigenen Wache beschützt wurde. Doch lange währte ihr Blick nicht, denn nun kam ein Bediensteter zu ihr und fragte nach ihrem Begehr. Gloráre teilte ihm in knappen Worten mit, dass sie den König zu sehen wünschte, musste jedoch die Frage, ob er sie erwarten würde verneinen. Aber ihr Herz schlug schneller bei dieser Frage, bedeutete es doch, dass der König und somit auch seine Gefolgsleute in der Stadt weilten. Gerade wollte sie sich erkundigen, wann denn der König zu sprechen sein würde, da trat eine ihr bekannte Gestalt aus einer der Seitentüren des Thronsaales.
„Rûmil!" rief sie erfreut. Der Abgesprochenen fuhr herum und starrte sie ungläubig an. Es dauerte einen kleinen Moment, bis er sich von seinem Schreck erholt hatte, doch dann eilte er ihr entgegen. „Gloráre…was bei den Valar tust du denn hier? Ich dachte, du bist in Bruchtal?" Die blonde Elbe schmunzelte. „Sehnsucht, mein Lieber, nur die Sehnsucht. Ich konnte nicht länger dort bleiben, ich musste euch folgen. Doch sag mir bitte wo ich Kharek finde, ich vermisse ihn so, ich möchte auf der Stelle zu ihm."
Rûmil nickte lächelnd, dann schüttelte er den Kopf. „Du bist doch verrückt. Aber das dein Vater dir diese Reise erlaubt hat ist…hm…noch verrückter, wenn du mich fragst. Das musst du mir unbedingt alles genau erzählen, aber jetzt bringe ich dich erst mal zu Kharek. Wir wohnen zusammen in einem der Gästehäuser…hier, wir sind schon da."
Rûmil hielt vor dem hellen Gebäude an, welches ihm und Kharek als Quartier diente. Er öffnete die Tür und hielt sie für Gloráre auf. Sie eilte in das kleine Haus, während der Elb ihr langsamer folgte. Sie lief schnurstracks in den Wohnraum, doch dieser war leer. Rûmil schaute in die Schlafräume und den Waschraum, doch auch hier war der Uruk nicht zu finden. Er runzelte die Stirn, doch dann hielt er inne und blickte sich in dem schmalen Flur um. „Seltsam, sein Umhang ist nicht da, und sein Gürtel mit dem Schwert auch nicht. Dabei geht er doch nicht allein hinaus…"
In diesem Moment fiel ihm ein, dass er ja Kharek versprochen hatte zusammen mit ihm zu Abend zu essen. Er hatte es vergessen…schon wieder. Vielleicht hatte der große Ork ihn suchen wollen. Er winkte Gloráre zu sich und zusammen verließen sie das Haus wieder. „Er kann nicht weit weg sein Gloráre, er mag nicht allein unterwegs sein in dieser Stadt. Wir sollten ihn bald finden." Sprach er zuversichtlich. Sie schlugen den kleinen Weg ein, der einmal um den Palast herum führte, doch dann hielt Rûmil inne, als einer der Wächter in schnellem Schritt die Straße zum Palast herauf kam. Der Mann hielt bei den Torwächtern des Palastes an und sprach mit ihnen. Auch wenn er schon ein gutes Stück entfernt stand, hörte Rûmil jedes Wort, und ein jedes war wie ein kalter schwerer Stein, der in seinen Magen fiel. „Sagt dem König, wir haben den Ork verhaftet, er wollte einen Mann töten."
Gloráre schien es auch gehört zu haben, denn noch ehe Rûmil sich recht besann eilte sie schon zu den Männern herüber. Er folgte ihr, den stummen Wunsch auf den Lippen, dass es sich um einen furchtbaren Irrtum handelte.
---- So, das soll es erst mal wieder sein. Ich möchte mich für die lieben Reviews bedanken, die mir immer wieder zeigen, dass ich das hier nicht nur für mich mache, sondern dass es ein paar Leute gibt, denen es genauso gut gefällt. Ich grüße „stern", die sich mir erst jetzt als fleißiger Mitleser offenbart hat. wink Dann natürlich Shelley, Waylander (ich hoffe, du vermisst Gloráre nun nicht mehr g)und little lion. Sollte ich jemanden vergessen haben, dann fühlt euch gegrüßt. Ich danke euch allen und hoffe ihr bleibt mir weiter treu. ----
