53. Aufklärung

Dunkelheit umgab ihn, warme dumpfe Dunkelheit, vermischt mit dem Geruch nach Wasser und Stein. Er stöhnte unruhig in seinem Schlaf, als sein geschundener Leib über den harten Boden rollte. In seinen Ohren klang das stete Hämmer und Schlagen der Schmiede, er meinte die Feuer riechen zu können… Wieder träumte er von Isengart. Er war zusammen mit den anderen in einer Zelle, sie warteten…nur worauf? Er konnte riechen, wie aufgeregt sie waren, ihre Wut wuchs ständig und es war schon zu ersten Rangeleien gekommen. Ohne Verstand, instinktgeleitet gingen die großen dunklen Kreaturen sich gegenseitig an… Er hatte sich zurückgezogen, er war anders, das spürte er. Seitdem er diesen seltsamen Trunk genommen hatte wusste er es, wie er viele Dinge seit jenem Moment einfach wusste. Schritte kamen näher, eilige Schritte. Sicher war ER es, der, welcher sie erschaffen hatte, er kam oft. Trotz der Schwere, die ihn umfing zwang er sich die Augen zu öffnen, seinem Schöpfer entgegen zu sehen.

Doch es war nicht Saruman, der zu seiner Zelle kam, und jene Zelle befand sich auch nicht in Isengart. Fackelschein erhellte den Gang und ließ die Haare der beiden Personen aufleuchten, welche dem König folgten, der hier entlang schritt. Aragorns Blick war düster und die gestammelten Entschuldigungen des Wächters schien er gar nicht zu hören. Er war erzürnt, weil man ihm erst jetzt von der Verhaftung Khareks erzählt hatte, ja, er war wütend, dass es überhaupt soweit gekommen war. Es war ihm deutlich anzumerken, dass es ihm am liebsten gewesen wäre, hätte man ihn schon in der Taverne hinzugeholt. Mit raschen Schritten kam er an die Zellentür und befahl mit knappen Worten Kharek sofort frei zu lassen. So geschah es, auch wenn der Wärter so heftig zitterte, dass es ihm erst im dritten Anlauf gelang, das Halseisen zu lösen. Kharek war äußerlich ruhig und gefasst, doch hatte er schon längst erkannt, wer da Aragorn begleitete, nicht nur ihr Schritt, sondern vor allem ihr Geruch hatte sie angekündigt. Das Rûmil den König begleitete überraschte ihn nicht, was ihn in tiefstes Erstaunen versetzte war die Tatsache, dass neben dem Elben eine Frau ging, die er in der letzten Zeit nur in seinen Träumen anschauen konnte. Gloráre war es, aber wie war sie hierher gekommen und aus welchem Grund? Doch diese Fragen würden warten müssen. Zudem erfüllte ihn eine große Scham, welche die Freude auf ein Wiedersehen überlagerte. Denn sicherlich hatte er sich nicht vorgestellt in einer Kerkerzelle zu hocken, wenn er sie wieder sah. Was mochte sie nun wohl von ihm denken? Er wagte es nicht den Kopf zu heben, um in ihre Augen zu blicken. Schweigend und mit gesenktem Haupt folgte er Aragorns Wink und ging hinter ihm den schmalen Gang entlang, der nach draußen führte. Plötzlich schob sich eine kühle zarte Hand in seine und nun wandte er doch überrascht den Kopf. Gloráre ging an seiner Seite und schaute mit sanftem Lächeln zu ihm auf. Keine Spur von Enttäuschung fand er in ihren Augen, nur eine stumme Frage. Mit nun deutlich leichterem Herzen ging er an ihrer Seite. So erreichten sie den Königspalast, wo Aragorn sie ins große Audienzzimmer führte und die Türen hinter ihnen eigenhändig schloss. Mit energischen Schritten trat er dann an den großen runden Tisch, welcher die Mitte des Raumes einnahm und ließ sich in einen der Stühle sinken, bedeutete ihnen, sich ebenfalls zu setzen. Als alle sich dann am Tisch versammelt hatten suchten die Augen des Königs Khareks Blick.

„Kharek, zuerst einmal möchte ich klarstellen, dass du hier nicht vor Gericht stehst. Alles was ich möchte ist die Wahrheit. Aus deinem Munde will ich hören, was vorgefallen ist. Ich kenne die Geschichte dieses Mannes aus Rhûn und die Schilderungen anderer Gäste, aber was ist deine? Ich habe gelernt, dass man kein Urteil fällen soll, wenn man nicht alle Seiten beleuchtet hat. Und ich hatte einen weisen Lehrmeister in diesen Fragen." Kurz glitt sein Blick zu Gloráre hinüber, die ihm leicht zunickte, sprach er doch von ihrem Vater, welcher genau nach diesem Grundsatz Recht sprach.

Kharek räusperte sich und wartete einen Moment, bis er wieder die volle Aufmerksamkeit des Königs hatte. „Aragorn…ich werde dir gern erzählen, was vorgefallen ist, doch ich glaube, um es richtig verstehen zu können, muss ich etwas weiter in die Vergangenheit gehen, wenn es gestattet ist. Ich habe dem Mann ja nicht ohne Grund eine Lektion erteilen wollen." Aragorn nickte langsam. „Wenn du meinst, dass ich es dann besser verstehen kann bitte, erzähl mir alles, was du für wichtig hältst."

Und genau das tat Kharek nun auch. Er erzählte, was Phera ihm erzählt hatte, wie die Männer aus Rhûn die Uruks einfingen, wie sie abgerichtet wurden, um als Sklaven verkauft zu werden. Das sie getötet wurden, wenn sie sich nicht beugten, zur Abschreckung. Er schilderte die Zustände in den Sklavenquartieren, wie sie Phera ihm erzählt hatte. Dann kam er auf die Vorfälle des Abends zu sprechen, wie er gewartet hatte und dann beschlossen umher zu gehen, wie er das Gespräch im Wirtshaus gehört hätte und den Sklavenhändler nach Pheras Beschreibung erkannt. Er gab zu, dass die Wut und der Hass ihn beinahe überwältigt hätten, doch dann habe er entschieden, dem Mann erst mal einen gehörigen Schrecken einzujagen. Dann war sein Komplize auf die Straße gerannt und kurz darauf mit der Garde wiedergekommen. Er sagte noch einmal, dass er zu keiner Zeit vorgehabt hatte, den Mann zu töten und das er auch nichts in dieser Richtung geäußert hatte. Hier endete er und einen Moment lang senkte sich Schweigen über die Tischrunde. Aragorns Gesicht war düster, seine Stirn gekraust. Unvermittelt hieb er mit der geballten Faust auf den Tisch, so dass alle anderen erschrocken zusammenfuhren.

„Kein Mensch sollte ein denkendes, verständiges Geschöpf versklaven!" rief der König mit bebender Stimme aus. „Solches Pack wird in den Mauern meiner Stadt beherbergt? Sie kamen unter dem Banner der Verhandlung. Eine Abordnung aus Rhûn so sagte man mir, die über die Bedingungen eines Protektorates verhandeln wollten. Diese Männer gehörten dazu. Doch es sind keine Diplomaten, sondern Sklavenhändler!" Das letzte Wort spuckte er förmlich aus. Seine Augen funkelten und seine Wangen waren zornesrot. Eine Woge der Erleichterung durchströmte Kharek, als er sah, dass er Aragorn richtig eingeschätzt hatte. Dieser wandte seinen Blick just in diesem Moment dem Uruk zu. „Kharek…ich weiß, es klingt vielleicht unglaublich, aber in meinen Augen hast du eine Belohnung verdient, und keine Strafe. Natürlich wäre es besser gewesen, du wärst erst zu mir gekommen und hättest mich über diese Männer und ihre Machenschaften aufgeklärt, als Selbstjustiz üben zu wollen. Aber immerhin hast du diese üblen Dinge nun aufgedeckt, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich verabscheue die Sklaverei und ich werde sie nicht dulden. Rhûn wird sich von diesem Tun verabschieden, oder ich werde es mit dem Schwert durchsetzen. Ich werde ein Edikt verfassen, dass die Sklaverei in Zukunft verboten ist und wer Sklaven hält und erwischt wird, der ist des Todes." Aragorn nickte bekräftigend zu diesen Worten. Dann stand er auf und ging zu einer Ecke herüber, wo er an einem Glockenstrang zog. Alsbald stand einer der Wächter im Raum und schaute abwartend und aufmerksam zu seinem König. Aragorn gab ihm den Befehl, die Rhûnarer Abordnung herzubringen. Der Mann salutierte und verschwand, den Auftrag zu erfüllen. Aragorn läutete ein zweites Mal und trug einem anderen Wächter auf, er möge bitte nach Faramir schicken lassen. Dann setzte der König sich wieder an den Tisch. Nun sichtlich ruhiger schaute er in die Runde. Ein kleines Lächeln trat in seine noch leicht angespannten Züge, als er den liebevollen Blick von Gloráre zu Kharek bemerkte.

„Nun, Kharek, zuerst einmal möchte ich dich um Verzeihung bitten, für die unsanfte Behandlung, die dir widerfahren ist." sagte er dann, doch der große Ork schüttelte den Kopf. „Es ist nicht deine Schuld gewesen Aragorn. Deine Garde tat nur, was ihr Befehl war und sie handelten nach bestem Wissen. Die anderen Menschen taten nichts, um den Sachverhalt aufzuklären, was also sollten deine Männer glauben, wenn nicht die Geschichte der Rhûnarer?" Aragorn zuckte leicht die Schultern. „Sie hätten dich fragen können." Kharek lachte grollend. „Mich? Oh nein, das hätten sie nicht getan. Sie folgten blind ihren Vorurteilen, aber ich bin ihnen nicht böse, sie können das alte Feindbild eben so wenig abschütteln, wie der Rest der Menschen…mal abgesehen von wenigen Ausnahmen. "Der Blick, den Kharek dem König zuwarf wies diesen als eine dieser Ausnahmen aus. Dann aber schaute er lieber wieder zur Seite, betrachtete Gloráre liebevoll, als habe er Angst, sie würde sich im nächsten Moment in ein Trugbild verwandeln und verschwinden…

Aragorn konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er diesen Blick bemerkte. Er nickte Kharek zu: „Ich glaube, ihr beide solltet die Zeit nutzen, bis diese seltsame Abordnung hier eintrifft. Ich denke mal, ihr habt euch eine Menge zu erzählen, also nutzt diese Zeit schon mal…ich lasse euch rufen, wenn es hier zu einer Entscheidung kommt." Kharek warf Aragorn einen dankenden Blick zu und erhob sich. Gloráre folgte seinem Beispiel und er ging mit ihr zurück zum Gästehaus. Doch weit kamen sie nicht, denn kaum waren sie draußen, da umarmte die Elbe den großen Ork stürmisch und drückte sich an ihn. Sie hob den Kopf und schaute ihn voller Sehnsucht an. Sich nicht um die ungläubigen und entsetzten Blicke der Wachen kümmernd senkte er den Kopf und ihre Lippen fanden sich in einem leidenschaftlichen Kuss. Nach einer Zeit, die wie eine Ewigkeit schien lösten sich die beiden Liebenden voneinander. Gloráre ließ ihre Hände streichelnd über seine kräftige Brust gleiten, lächelte ihn strahlend an. Er legte einen Arm um sie und führte sie nun weiter, bis sie schließlich in seinem Quartier ankamen. Es war wie ein stummes Einverständnis, das sie am Wohnraum vorbei gingen, bis in sein Schlafzimmer, wo er sich aufs Bett fallen ließ und sie mit sich zog, wobei er aber vorsichtig war, auf ihren Zustand achtend. Doch etwas tief in ihm warnte ihn, dass es nicht so bleiben würde. Das Tier in ihm war geweckt worden und es hatte Blut geleckt, aber ihr das zu erzählen würde auch eine Beichte beinhalten. Er fühlte sich nicht wohl in dieser Zwickmühle und sie musste sein Zögern gespürt haben, denn ihr Blick ruhte fragend auf ihm, während sie sich an seine Brust schmiegte.

„Kharek, was hast du denn? Ich habe gedacht, wir könnten die Zeit auch anders nutzen, reden können wir immer noch… Ich bin hergekommen, weil ich mich so sehr nach dir sehnte. Bitte erfülle meine Sehnsucht…" Sie hauchte ihm einen Kuss auf den Hals und er merkte, dass er sich wünschte, sie würde ihn beißen, statt küssen. Mit einem leisen Seufzen schob er sie ein Stück von sich, so dass er sie ansehen konnte.

„Nein, Gloráre. Bitte lass uns erst reden. Es gibt einige Dinge, die ich dir erzählen muss, einiges, was du wissen solltest und ich möchte wissen, wie deine Reise hierher verlief. Wahnsinnig genug, allein diesen langen Weg zu machen. Reden können wir eher unterbrechen als andere Dinge. Dafür haben wir später immer noch Zeit." Sie zog eine Augenbraue hoch, als sie den bittenden Unterton in seiner Stimme vernahm. Aber dann nickte sie. Was immer ihn bedrückte, er würde es ihr sagen, wenn er dazu bereit war. Also kuschelte sie sich an seine Brust und seufzte wohlig. „Dann erzähl mir bitte, was du meinst, das ich wissen muss."

---- Joah…das muss jetzt erst mal reichen. Im Moment herrscht mal wieder Zeitnot bei mir, aber ich bemühe mich so schnell wie möglich weiter zu machen. Danke für die netten Reviews. :o) ----