56. Ein neuer Weg
Gloráre seufzte leise, während sie weiter auf den breiten Rücken des Uruks starrte. Schweigen füllte den Raum, wie so oft seit jenem Vormittag, als er von Dreck und Blut besudelt zurückgekommen war. Er hatte ihr nie erzählt, was geschehen war, sie nur gebeten, seine Wunde zu versorgen. Das hatte sie getan, während ihr hundert Fragen auf der Seele brannten, aber sie fühlte, dass er es ihr freiwillig erzählen musste. Jede Frage von ihr trieb ihn weiter in sein Schweigen. Sie stand langsam auf, ging zum Fenster herüber und stellte sich neben ihn, lehnte ihren Kopf gegen seinen Arm. Er drehte sich halb zu ihr herum, um sie an sich zu ziehen, das Gesicht in ihren Haaren vergrabend.
„Ich kann es dir nicht sagen, Gloráre. Noch nicht und vielleicht niemals. Also, dränge mich nicht…" murmelte er in ihren Haarschopf hinein. Sie nickte…ja, sie hatte es nun oft genug versucht, sie, und auch Rûmil, doch beide waren an der Schweigsamkeit des Uruks gescheitert. Kharek seufzte leise. Er hatte Angst zu erzählen, was vorgefallen war. Er fürchtete sich davor, was er in ihren Augen sehen würde. In der letzten Zeit hatte es immer wieder kleine Zwischenfälle gegeben, in denen er seine Zurückhaltung vergessen und sie zu hart angefasst oder auch versehentlich mit Krallen oder Zähnen verletzt. Sie beschwerte sich nicht, aber der Ausdruck in ihren Augen sagte ihm mehr als alle Worte, dass sie begann Angst vor ihm zu haben. Und das wollte er auf keinen Fall verstärken, also schwieg er hartnäckig. Auch Rûmil hatte er nichts erzählt, denn der hätte es ihr sicher weiter erzählt, er hatte ein zu weiches Herz und konnte ihr sicher keine Bitte abschlagen.
Sanft strich er nun ihren Rücken herunter, sehr darauf bedacht, sie nicht in irgendeiner Form zu verletzten. Erschrocken fuhr er zusammen, als sie sich dennoch leicht krümmte und aufstöhnte.
„Gloráre, verzeih mir, ich habe es nicht gewollt." Entfuhr es ihm unwillkürlich. Aber sie schaute ihn nur ruhig an, die Augen vom Schmerz leicht verdunkelt. „Nein Kharek…es war nicht deine Schuld…ich habe schon länger Schmerzen, es begann schon heute Nacht…es ist das Kind…es will nicht mehr warten…es wird bald auf die Welt kommen…" erklärte sie mit leiser gepresster Stimme. Seine Augen wurden groß, als er sie liebvoll an sich zog. „Ist das wahr? Oh Gloráre…das ist eine gute Nachricht…aber, was kann ich tun, damit du nicht so leiden musst?"
Die Elbin lächelte sanft. „Gar nichts…sei einfach da und halte meine Hand. Im Moment ist das noch alles, was wir tun können. Später werden wir eine Heilerin dazu holen, welche hier den Menschenfrauen hilft, wenn sie ein Kind bekommen. Aber bis dahin bin ich bei dir gut aufgehoben…"
Kharek hob seine Geliebte langsam hoch und trug sie dann behutsam zum Bett, wo er sie sanft niederlegte. Er selber setzte sich neben sie und hielt ihre Hand…so saßen sie eine lange Zeit. Als die Fruchtblase platzte, bat Gloráre Kharek zu gehen und Rûmil bescheid zu sagen, der bei Aragorn war. Er wüsste dann, was zu tun sei und würde ihr die Frau zu Hilfe schicken. Kharek ging und war sogar einen Moment froh dem dämmerigen Raum, mit dem Geruch nach Schweiß und Schmerzen zu entkommen. Auch wenn sie ihm immer wieder versicherte, dass es ihr gut ginge und die Schmerzen eben dazu gehörten, so fiel es ihm doch schwer, sie so zu sehen.
Er fand Rûmil und Aragorn im Besprechungszimmer, wo sie einen Stadtplan von Minas Tirith vor sich liegen hatten und über die Befestigungsanlagen der Stadt sprachen. Rûmil hob den Kopf, als Kharek herein kam und ihn leise ansprach. Aragorn schien informiert zu sein, denn er nickte nur, als der Elb nun mit raschen Schritten dem Ork folgte. Rûmil legte Kharek eine Hand auf den Arm und lächelte ihm aufmunternd zu.
„Geh zurück zu ihr, ich hole die Frau, und ich beeile mich. Gloráre wird einen starken Arm jetzt sicher brauchen können." Khareks Antwort war ein dankbares Kopfnicken, ehe er sich umwandte, um zum Haus zurück zu gehen. Gloráre hatte sich inzwischen etwas bequemer hingelegt und atmete mit den Schmerzen, machte sie so erträglicher. Sie hatte vielen Kindern auf die Welt geholfen und kannte den Ablauf einer Geburt. Doch bei sich selber war es natürlich etwas völlig anderes, dennoch empfand sie ihre Erfahrung als tröstlich. Als Kharek zurückkam, lächelte sie ihm entgegen und bat ihn, sich wieder zu sich zu setzen. Er tat es, nahm ihre Hand, obwohl der seltsame Geruch, der von ihr und dem nassen Laken ausging ihn verwirrte. Es war ihr Geruch, aber da war noch was anderes…ein fremder Geruch und dennoch vertraut, als würden sich ihre beiden Düfte mit einer neuen Note vermischen…dies musste der Geruch des Kindes sein. Gloráre stöhnte wieder gepeinigt auf, als die nächste Wehe sie erfasst und Kharek schaute dankbar auf, als sie die Tür öffnete und Rûmil eintrat, gefolgt von einer Frau mittleren Alters, deren Körperhaltung und Blick eine große Ruhe ausstrahlten. Er machte der Hebamme sofort Platz, als diese begann die Elbenfrau zu untersuchen. Anschließend nickte sie.
„Es geht alles seinen Gang, das Kind liegt richtig und es will raus. Es ist allerdings ein ziemlich großes Kind, ich fürchte, das Ihr noch eine Menge Schmerzen aushalten müsst." Gloráre nickte, sie hatte nichts anderes erwartet und diese Schmerzen würde sie gern in Kauf nehmen. Ihr Blick suchte Kharek, der auch gleich wieder an ihre Seite kam.
Fast zwei Stunden später fürchtete Gloráre zum ersten Mal, dass sie die Strapazen der Geburt nicht länger würde ertragen können. Inzwischen lag ihr Kopf auf Khareks Schoß, der ihr immer wieder das nasse Haar aus der Stirn strich und ihr kühles Wasser in kleinen Schlucken zu trinken gab. Die Hebamme hatte eine kleine Räucherschale aufgestellt und die darin glimmenden Kräuter verbreiteten einen angenehm würzigen Duft, der dazu beitrug, dass sich die Elbe entspannte. Sie hatte das Fenster einen Spalt geöffnet, um auch für frische Luft zu sorgen. Rûmil kehrte gerade mit einer weiteren Schüssel mit heißem Wasser zurück und Tüchern, die er auf dem Kamin im Nebenraum angewärmt hatte. Die Hebamme nickte ihm zu und als er an ihre Seite trat, um die Schüssel abzustellen blickte er erstaunt auf den kleinen Kopf, der sich dort Stück für Stück aus Gloráres Schoß schob. Dieser Kopf hatte einen dunklen Hautton, aber die feinen Haarlocken darauf schimmerten wie altes Gold. Er lächelte Kharek zuversichtlich zu und nahm dann seinen Platz am Fenster wieder ein.
„Ich möchte Euch bitten Gloráre, wenn die nächste Wehe kommt, dann legt alles, was Euch noch an Kraft verbleibt hinein, um das Kind auszutreiben, aber Ihr müsst sofort innehalten, wenn ich es Euch sage…" Gloráre nickte kraftlos, doch sie schöpfte neuen Atem und als die nächste Welle aus Schmerz durch ihren Körper lief presste sie mit aller Kraft, unterstützt von Kharek, der sie stützte. Es reichte, das Kind glitt aus ihrem Leib, unterstützt von der Hebamme und gleich darauf war der Raum erfüllt von einem zornigen, kräftigem Geschrei, als das kleine Geschöpf seinen Protest gegen den plötzlichen Temperaturabfall kund tat. Doch die Hebamme verstand sich auf ihre Arbeit, sie wickelte den kleinen Jungen, denn es war einer in die warmen Tücher und legte ihn, noch durch die Nabelschnur verbunden auf den Bauch der Elbenfrau. Dann schaute sie zu Kharek. In ihrem Gesicht war nichts zu erkennen, ob sie befremdet war, über die Kreatur, der sie soeben ins Licht der Welt geholfen hatte. Sie lächelte vielmehr und drückte Gloráre die freie Hand.
„Ich gebe Euch Euren Sohn, er ist groß und kräftig und wird Euch sicher viel Freude bereiten." Sie zog ein kleines silbernes Messer aus dem Gürtel und bat Kharek, den kleinen Jungen abzunabeln. Sie hatte bereits die Nabelschnur an zwei Stellen abgebunden. Kharek nahm das Messer zwar, aber sein Blick ruhte fragend auf der Frau. Diese ergriff nach einem kurzen Moment des Zögerns seine Pranke und half ihm den Schnitt zu setzen. Danach drehte sie das Kind wieder herum und hüllte es sorgsam in die Tücher ein. Gloráre nahm ihren kleinen Sohn sorgsam wieder zu sich und legte ihn einfach mal an die Brust. Einen winzigen Moment lang schien das kleine Wesen zu wittern, dann fand es die Brustwarze und begann kräftig daran zu saugen. Gloráre bemerkte zu ihrer großen Erleichterung, dass ihr kleiner Junge noch keine Zähne hatte. Die Hebamme zog sich zurück. Sie begann dann Gloráre sanft zu waschen, während sie auf die Nachgeburt wartete. Als auch diese aus dem Körper heraus war, legte sie frische Laken auf das Bett und half der Elbenfrau sich anzukleiden, ohne, dass sie aufstehen musste. Dann verließ sie das Zimmer und auch Rûmil schloss sich nach einem letzten Blick an.
Als sie nun allein waren, verlor Kharek die Anspannung, welche die ganze Zeit noch auf ihm gelegen hatte und als Gloráre ihm dann noch seinen Sohn in die Arme legte, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Aufmerksam betrachtete er den Kleinen, der friedlich in seinem Arm schlummerte. Er hatte dunkle Haut, nicht so dunkel wie Kharek aber deutlich dunkler als Gloráre, ein warmer Bronzeton. Im Gegensatz dazu standen die Haare, welche sich inzwischen getrocknet auf dem Kopf lockten, sie waren blond, dunkler als die seiner Mutter, aber eindeutig blond. Das Gesicht des Säuglings war schwer zu beschreiben. Vielleicht war es orkisch, mit viel elbischem Einfluss oder es war elbisch mit einem großen orkischen Anteil, dass würde man wohl erst später sagen können. Kharek löste seinen Blick nur langsam von seinem Sohn, er lächelte Gloráre sanft an, strich über ihre Hand.
„Was meinst du, welchen Namen sollen wir ihm geben?" fragte er leise, um den Schlaf des Kleinen nicht zu stören. Gloráre erwiderte das Lächeln liebevoll und drückte seine Hand. „Ich dachte, wir nennen ihn Syniamen…das bedeutet „neuer Weg" in der Sprache meines Volkes."
Kharek schwieg einen langen Moment, ehe er langsam nickte und den fremdartigen Namen wiederholte. „Syniamen…ja…ich finde, das passt sehr gut…so soll er heißen. Ein neuer Weg, der Weg, der mich zu dir brachte, der Weg, der ihn ins Leben brachte…Syniamen."
Sie saßen lange Zeit so da, Gloráre an Kharek geschmiegt, der Syniamen in den Armen wiegte…auch als es langsam dunkel wurde bewegten sie sich nicht. So kam die Nacht über Minas Tirith und ihr dunkles samtenes Tuch breitete sich auch über der kleinen Familie aus, die hier zusammen war…
PS: Ich lass mich auf keine Gentechnologischen Diskussionen ein, was die blonden Haare angeht, denn es ist Fiktion…und da ist alles möglich. g So, und nun gleich das Ende hinterher…
57. Aussichten
---- Aufgrund einiger Denkanstöße habe ich den Epilog abgewandelt. Jetzt ist es eben ein Ausblick auf kommende Ereignisse und ich werde, sobald ich irgendwann wieder mehr Zeit habe auch diese ausführlich beschreiben.----
Das folgende Jahr brachte viele Veränderungen mit sich. Gondor fiel in Rhûn ein und überzog es mit einem erbitterten Krieg, an dessen Ende die Befreiung alles Uruk-Sklaven stand. Die nunmehr freien Orks rächten sich an ihren Peinigern auf grausame Weise, aber wer mag es ihnen verdenken? Die Uruks zogen zurück nach Mordor und die Jagd auf sie zu Zwecken der Sklaverei wurde von Gondor verboten. Sicher versuchten in der Folgezeit manche Rhûnarer sich an der Jagd auf die großen Orks, um sie zu töten, doch bald gaben sie es auf, denn die Uruks hatten sich in Mordor ihr eigenes Reich geschaffen und die Grenzen wurden scharf bewacht. Die anderen Länder Mittelerdes betrachteten Mordor als verlorenes Land und mieden jeden Kontakt mit den Uruks, so wie diese ihr Land nicht verließen.
Kharek nahm an diesem Krieg teil und es war ihm das besondere Vergnügen vergönnt den ehemaligen Sklavenhändler Lekhamzaam aufzuspüren. Er tötete diesen Mann mit dessen eigenem Folterinstrument. Kharek zeigte kein Zeichen der Reue, als der Mann diesen qualvollen Tod fand.
Gloráre kehrte bei Beginn des Krieges mit Elronds Söhnen nach Bruchtal zurück, Rûmil begleitete Kharek und die Armee aus Gondor. Die Wege des Elben und des Orks verloren sich im Schlachtgetümmel und als sie Gondor aus dem geschlagenen Land zurückzog, fehlte von Kharek jede Spur. Rûmil blieb noch ein halbes Jahr in Gondor, auf eine Rückkehr seines Freundes hoffend, aber es kam kein Lebenszeichen des Uruks und schließlich brach der Elb ebenfalls nach Imladris auf, um dort mit den Elben zu leben. Aber auch hier verließ ihn und Gloráre die Hoffnung nicht, dass Kharek eines Tages seinen Weg hierher finden würde…
