Lange ist es her, ich weiß, aber ich habe mich entschieden, weiter zu schreiben. Ich hoffe, einige meiner Leser sind mir treu geblieben und begleiten nun Kharek auf seinem weiteren Weg. Ich freue mich auf eure Reviews und widme dieses Kapitel Sharka, die mir den Anstoß gab weiter zu machen.
57. Die richtige Entscheidung?
Warum nur blieb ihr nichts anderes zu tun, als zu seufzen? Wieder und wieder schien ihr das Gefühl der Hilflosigkeit die Kehle zuschnüren zu wollen und nur ein tiefer langer Seufzer konnte ihr Abhilfe verschaffen.
Schweigen, das verdammte Schweigen. Über Kharek schwebte zumindest für ihre Augen eine tiefschwarze Wolke aus Grübelei und Schwermut und es gab keinen Weg, ihn aus seinem Schweigen zu holen. Also seufzte sie, wieder einmal…
Ihre Aufmerksamkeit wurde dann allerdings sofort von ihrem Sohn in Anspruch genommen, als dieser mit leisem Greinen erwachte und seinen Hunger verkündete. Sein Schreien war kräftiger geworden in den letzten Tagen, es klang noch immer leicht heiser, völlig anders als das Schreien elbischer Säuglinge. Behutsam nahm sie ihn aus der Wiege, um ihn anzulegen. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Kharek trat ein. Gleich kam er zu ihr herüber und beugte sich über sie, strich ihr übers Haar und gab ihr einen sanften Kuss in den Nacken, ehe er seinen kleinen Sohn recht verliebt anschaute. Er setzte sich ihr gegenüber und betrachtete die stille Szene. Sie war so völlig anders, als das Geschehen, dass er von wenigen Augenblicken verlassen hatte, Tumult, Trubel, durcheinander gebrüllte Meinungen...
Die Vorbereitungen waren in vollem Gange, denn aus Rhûn war keine Antwort gekommen, und nun war das Ultimatum abgelaufen. Aragorn bereitete seine Truppen auf den Ausmarsch vor und Kharek war oft dabei. In ihm tobte allerdings eine ganz eigene Schlacht, sein innerer Konflikt, der mit jedem Tag stärker wurde. Er war hin und hergerissen und vermochte keine Entscheidung zu treffen. Zum einen wollte er bei Gloráre bleiben, seinen Sohn aufwachsen sehen und neugierig in seine Zukunft hineinleben, hier oder in Bruchtal, doch da war dieser andere Teil von ihm, ein wilder Teil. Dieser hatte einen Schwur geleistet und wollte ihn erfüllen.
Vor seinem inneren Auge sah er sich dem entstellten Sklavenhändler gegenüber und hörte seine eigenen Worte: „Wie du dann dein armseliges Leben weiter leben wirst ist mir egal, aber eines schwöre ich dir: Sollte Gondor nach Rhûn reiten, um die Sklaverei zu beenden, dann reite ich mit und ich werde nach DIR suchen. Und wenn ich dich finde…und ich werde dich finden, dann tust du deinen letzten Atemzug."
Das hatte er geschworen und das war es, was dieser Teil von ihm tun wollte. Aber sein Konflikt bestand nicht nur darin. Was, wenn er nicht zurückkehren würde aus Rhûn? Was, wenn er in dieser Schlacht fallen würde? Gloráre würde ohne ihn sein, ohne ihn bleiben und vermutlich würde sie nicht einmal einen neuen Gefährten finden, mit diesem Kind. Mit leisem Knurren wischte er diese Gedanken fort, wie schon so oft zuvor. Zurück blieb Schweigen, unangenehmes Schweigen, nur durchbrochen vom leisen Schmatzen des Kindes an Gloráres Brust.
Als Syniamen fertig getrunken hatte, legte Gloráre ihn wieder zurück in die Wiege, wo er begann auf einem Zipfel des Kissens zu kauen. Da er noch keine Zähne hatte, konnte er hier nicht viel Schaden anrichten, also ließ sie ihn gewähren.
Langsam drehte sie sich um, fixierte Kharek mit einem langen Blick, ehe sie das Schweigen brach. „Kharek, wie lange soll das noch so weiter gehen? Kannst du mir nicht sagen, was dich so beschäftigt?"
Ihre Stimme klang sanft, bittend. Was immer es war, es würde besser sein darüber zu reden, als es immer weiter zu verdrängen, so dass es eine Schlucht zwischen ihnen entstehen ließ, die von Tag zu Tag breiter wurde.
Er wollte den kopf schütteln, wie schon so viele Male zuvor, sie nicht belasten mit den Zweifeln, die an ihm nagten und den Sorgen, die sein Gemüt beschatteten. Doch er wusste, dies war der Zeitpunkt, das Schweigen zu brechen. Die Mauer aus Schweigen zwischen ihnen musste fallen und zwar jetzt. Also holte er tief Luft und schaute ihr dann fest in die Augen.
„Ich wünschte, ich könnte dir das alles hier ersparen, Gloráre, aber du hast recht, es gibt etwas, das mir das Herz schwer macht. Ich versuchen schon seit einiger Zeit eine Entscheidung zu treffen, aber ich habe einfach Angst, dass es die falsche ist. Vielleicht sollte ich wirlich mit dir reden, vielleicht hast du einen Rat, der mir die Entscheidung leichter macht."
Er merkte, dass sie ihn unterbrechen wollte, also fuhr er rasch fort.
„Nein, lass mich ausreden, ehe mich der Mut verlässt. Es geht um den bevorstehenden Zug gegen Rhûn. Aragorn hat mir erlaubt, mitzureiten, und ich möchte es wirklich gern tun. Aber auf der anderen Seite birgt diese Entscheidung auch eine Menge Gefahren, die größte wäre, dass ich falle und dich allein mit Syniamen zurücklasse. Ich bin hin und her gerissen zwischen Gehen und Bleiben, meine Gefühle wirbeln durcheinander und ich kann einfach nicht erkennen, was ich tun soll." erklärte er.
Sie hatte es geahnt, natürlich hatte sie das. Sie kannte seine Gefühle bezüglich der Sklavenhändler, den Zuständen in Rhûn und nicht zuletzt gegenüber den Uruk-hai, die er getroffen hatte. Und genau der letzte Punkt machte es für ihn so persönlich, er wollte Rache für sein Volk und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Jedoch hatte er auch genau ihre Angst angesprochen, die Angst, dass er nicht wiederkommen könnte. Allerdings lag diese Angst bei ihr nicht nur in dem anstehenden Krieg begründet, sondern zu einem fast noch größeren Teil darin, dass sie fürchtete, er könne sich noch immer für ein Leben unter seinesgleichen entscheiden und bei den Orks in Mordor bleiben.
Ja, er hatte ihr gesagt, dass er das nicht wollte, dass er seinen Platz an ihrer Seite sah, aber sie hatte auch den Glanz in seinen Augen gesehen und die Leidenschaft in seiner Stimme gehört, als er von den anderen Uruks sprach. Er fühlte sich zu ihnen hingezogen und sie konnte es ihm ja auch nicht ganz verdenken, es war nun mal sein Volk. Er hoffte also, sie könnte ihm die Entscheidung leichter machen, dabei war sie doch genauso hilflos, was ihre Gefühle betraf. Wieviel leichter war es doch mit Syniamen, ihn brauchte sie nur anzusehen und schon überflutete sie das Gefühl reiner und starker Liebe.
Langsam hob sie den kopf, um Khareks Blick zu suchen. Während ihrer krausen Gedanken waren ihre Augen zu ihren Händen gewandert, deren Finger sich ineinander verflochten hatten. Jetzt, als sie sprach hob sie den Blick, ihre hellen Augen trafen seine dunklen.
„Kharek…ich verstehe deinen Konflikt, aber einen wirklichen Rat kann ich dir auch nicht geben. Allerdings kann ich dir eine Angst nehmen: Wenn du nicht zurückkehren solltest, was ich natürlich nicht hoffe, dann werde ich keinesfalls allein sein. Ich kann zurückgehen nach Bruchtal, mein Vater wird mich unterstützen und er wird sicher nicht der einzige sein. In diesem Punkt kannst du also unbesorgt sein, ich werde nicht allein sein. Aber ich werde natürlich dafür beten, dass du zurückkehrst und das wir zusammen sein können. Hilft dir diese Gewissheit deine Entscheidung zu treffen?"
Kharek antwortete nicht sofort, er übrdachte ihre Worte. Dann erhob er sich und setzte sich neben sie, legt einen Arm um sie. Gloráre legte ihren Kopf an seine Schulter und lächelte, als sie spürte, wie er sanft mit ihren Haaren spielte. Als er sprach, klang seine Stimme leise und ruhig. „Du weißt, dass ich dich liebe, vielleicht mehr als mein Leben. Du kennst mich so gut, ich muss dir nicht sagen, wie gern ich Aragorn begleiten möchte. Aber wenn du mich darum bittest, dann werde ich bleiben, dann bleiben wir hier, oder wir kehren zurück nach Bruchtal, was immer du willst. Aber, wenn du bereit bist, mich gehen zu lassen, um meinen geleisteten Schwur zu erfüllen, um meinem Volk zu helfen, dann werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um zu dir zurück zu kehren. Ich möchte mit dir leben, Gloráre, mit dir und unserem Sohn, aber ich fühle mich auch meinem Volk verpflichtet…"
„Dann solltest du gehen und deinem Volk helfen." Sagte sie schlicht und hob eine Hand um ihm über die Wange zu streichen. Sie spürte, dass er lächelte und ihr schien es, als würde ein schwerer Stein von ihrer Brust genommen. Sicher, sie würde sich Sorgen machen, bis zum Tag seiner Rückkehr, aber jetzt würde kein unangenehmes Schweigen mehr zwischen ihnen stehen. Langsam schob er seine Hand unter ihr Kinn und hob ihren Kopf an, so dass er ihr in die Augen sehen konnte. Ihre Lippen trafen sich zu einem langen innigen Kuss, wie um das eben gesagt zu besiegeln.
Als sie sich wieder voneinander lösten, schmiegte sie sich wieder an seine Brust. „Du solltest Aragorn deine Entscheidung mitteilen." Meinte sie dann. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis alles vorbereitet ist, nicht wahr?"
Kharek schüttelte den Kopf. „Nein, wenn alles ohne Probleme vorangeht, dann sind die Truppen in fünf Tagen marschbereit. Ich werde zu ihm gehen, aber ich bleibe nicht lange, ich möchte soviel Zeit wie möglich mit dir und Syniamen verbringen…"
Noch ein kurzer Kuss, dann erhob er sich. Gloráre beobachtete lächelnd, wie er sich über das Bettchen seines Sohnes beugte, der inzwischen dazu übergegangen war soviel Kissen wie möglich in seinen Mund zu stopfen. Er zupfte den Stoff heraus und lächelte, als der Kleine das mit einem unwilligen knurrenden Laut kommentierte. Kurz strich er ihm über das dunkelblonde Haar, ehe er dann die Hütte verließ.
Aragorn sah fragend auf, als Kharek in den Besprechungsraum betrat. Gerade hatte er mit Faramir und Rûmil über den großen Ork gesprochen und wie auf einen stummen Befehl hin trat dieser nun ein.
„Kharek…gut das du kommst. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass wir deine Hilfe gebrauchen könnten, solltest du gewillt sein, uns zu begleiten…" erklärte Aragon mit einem erfreuten Lächeln.
Kharek setzte sich auf einen einladenden Wink des Königs hin auf einen der hölzernen Schemel, die um den Kartentisch gruppiert waren. „Aus diesem Grund bin ich hier. Ich habe meine Entscheidung getroffen, ich werde Gondors Truppen begleiten." Erklärte er.
Faramir und Aragorn tauschten einen Blick, der fast erleichtert wirkte und den Grund dafür erklärte der König Gondors auch sofort. „Das ist eine Ankündigung, die mich sehr freut. Und ich gebe gern zu, dass es mir die Durchführung einer nicht leichten Aufgabe doch deutlich leichter machen könnte…doch wie ich eingangs schon sagte, hängt das von dir ab."
Neugierig ruhte Khareks Blick nun auf Aragorn. „Was müsste ich tun?" fragte er. Aragorn setzte sich ebenfalls und Faramir nahm im gegenüber Platz.
„Nun, es ist eigentlich recht simpel. Ich habe mir überlegt, dass du unsere Vorhut bilden könntest, denn ich hoffe auf Unterstützung der Uruk-hai von Mordor. Du sollst sie sozusagen einmal auf uns vorbereiten, denn immerhin wird unser Heer ihr Land durchreiten, und dann sollst du jedem von ihnen anbieten, sich uns anzuschließen. Ich könnte mir vorstellen, dass es so manchem von ihnen unter den Krallen brennt mit den Sklavenhändlern und dem ganzen Pack abzurechnen. Was meinst du dazu?"
Kharek blickte ihn einen Moment lang etwas überrascht an, doch dann nickte er langsam. Aragorn hatte sicher recht: Wenn sich den Uruks von Mordor eine Gelegenheit bot, ihre jahrelangen Peiniger zur Rechenschaft zu ziehen, dann würden sicher viele von ihnen diese Möglichkeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Das Heer von Gondor würde eine wilde ungestüme Unterstützung bekommen, getrieben von Hass und Rachegelüsten… Sein Herz schlug schneller bei dem Gedanken mit einer blutdürstigen Rotte von Uruk-hai Kriegern in Rhûn einzufallen, und er sah sich mitten unter ihnen.
Mit glänzenden Augen antwortete er: „Das ist ein sehr guter Einfall und nur zu gern nehme ich diesen Auftrag an. Wann soll ich aufbrechen?"
Aragorn erwiderte seinen begeisterten Blick mit leichtem Lächeln. „Nun, meine Männer sollten in vier bis fünf Tagen marschbereit sein. Da du einen gewissen zeitlichen Vorsprung haben solltest, denke ich, dass es am besten ist, wenn du schon übermorgen aufbrichst."
Kharek schluckte. So sehr er sich auch darauf freute, dass es endlich losging, so bedeutete es doch, dass er weniger Zeit mit seiner Frau und seinem Sohn verbringen konnte, so wenig Zeit, die ihnen noch blieb. Aber natürlich hatte Aragorn recht… Also nickte er nur kurz, denn der Kloß in seinem Hals machte ihm in diesem Moment das Reden unmöglich. Er beugte sich über die Karte, um den Weg des Heeres zu studieren, denn diesen würde er selbst auch nehmen, also sollte er ihn kennen…
