See der Tränen

Discl.: Siehe Prolog.

Chapter two

Children in the past

Es vergingen wenige Stunden.

Die Nacht wich dem Tag und Samiel wachte kaum ausgeschlafen aus.

Obwohl sie gut sechs Stunden geschlafen hatte, kam es ihr vor, als wäre sie gar nicht erst im Bett gewesen.

Dennoch quälte sie sich aus dem Bett heraus.

Heute hatte sie frei und wollte sich den Tag in der Stadt vertreiben. Sie brauchte neue Kleidung und bessere Gedanken.

Doch die kamen, wie sie feststellte, auch nicht während des Shoppens.

Kino stand zur Auswahl, aber sie wollte nicht.

Sie überlegte, sich eine Flasche Whiskey zu kaufen und sich die Kante zu geben. Doch das Bild des allzeit betrunkenen Pips schwirrte vor ihrem geistigen Auge und sie schüttelte den Kopf. Das konnte es nicht sein.

Sam spazierte den ganzen Tag durch die Stadt, bis die Sonne begann unterzugehen.

Gut zwei Stunden hatte Sam damit verbracht in einem Park auf einer Bank zu sitzen und Kindern beim Spielen zuzusehen.

Sie erinnerte sich nicht daran, selbst je so ausgelassen gespielt zu haben.

Am liebsten würde sie ihre Kindheit komplett vergessen. All die Tränen, all das Blut.

Wie viel hatte sie davon in ihrem jungen Leben schon gesehen?

Sam legte den Kopf in den Nacken und starrte in den geröteten Himmel.

War der Tag schon vorbei? Die Nacht begann, es war sicherlich besser zurückzukehren.

Sam stand auf und blickte noch einmal zu den Kindern, die jetzt mit ihren Eltern den Heimweg antraten.

Heim? Wo war eigentlich ihr zu Hause?

Samiel schüttelte den Kopf, um den unerwünschten Gedanken zu vertreiben, und machte sich auf den Weg in den Stützpunkt zurück.

Dort wollte sie den Rest ihres Daseins fristen und das tun, für was sie geboren worden war. Töten. Vernichten. Etwas anderes konnte sie nicht. Wie sie ihrem Kollegen schon gestand hatte. Keine Ausbildung, kein Schulabschluss.

Sie taugte zu nichts anderem als zum Soldaten.

Walter rückte sein Monokel zurecht und trat zu Lady Integra, um ihr Tee nachzugießen.

„Wie ist die Stimmung der neuen Soldaten? Viele sind ja nicht mehr da!"

Das war wohl wahr. Außer zweien hatten alle ausnahmslos nach dem ersten Einsatz gekündigt.

„Ziemlich gut. Die Jüngste zeigt sich etwas einzelgängerisch, aber das legt sich bestimmt noch. Sie wird sicherlich bald wissen, wie wichtig es ist im Team zu arbeiten."

„Das hoffe ich," murrte Integra und zog an ihrem Zigarillo. „Ich brauche Leute, auf die ich mich verlassen kann!"

„Ich denke, das können Sie, Sir. Sie ist wirklich mit viel Erfahrung und Ernst bei der Sache!"

Integra nickte nur und griff nach weiteren Unterlagen, um sie zu bearbeiten.

Die große Uhr im Foyer des Hellsinggebäudes schlug neun Uhr, als Samiel wieder durch die Tür trat. Sie war ziemlich müde und wollte nur noch einen Orangensaft trinken und dann ins Bett verschwinden.

Während sie sich den Saft in ein Glas eingoss, spürte sie einen eisigen Luftzug und fröstelte leicht. Schnell verstaute sie die Packung wieder im Kühlschrank und schloss ihn.

Als sie sich umdrehte, stieß sie so heftig gegen jemanden, dass das Glas in ihrer Hand zerdrückt wurde. Orangensaft und Glasscherben fielen zu Boden und zwischen sie mischten sich dicke Bluttropfen.

Sam sah ihnen erschrocken nach und schaute einige Sekunden fasziniert zu, wie immer mehr Blut sich mit dem Orangensaft vermischte und dieser eine interessante Färbung annahm.

Nun hob Samiel den Kopf und blickte denjenigen an, den sie angerempelt hatte.

Vor ihr stand dieser Vampir. Alucard.

Jetzt wo er stand bemerkte Samiel erst, wie groß er doch war. Sie musste den Kopf weit in den Nacken zurücklegen, um ihn ins Gesicht sehen zu können.

Sie wusste nicht, ob sie sich entschuldigen oder wütend werden sollte. Was stellte er sich denn auch genau hinter sie? Kein Wunder, dass sie gegen ihn stoßen MUSSTE!

Doch Samiel wollte keinen Ärger.

„Tschuldigung!" nuschelte sie und wollte an ihm vorbeigehen, doch der Vampir hatte seinen Arm ausgestreckt.
„Warte," meinte er nur und seine Stimme klang kalt und gleichmütig. Er nahm ihre zerschnittene, blutende Hand in seine. „Lass mich das heilen!"

Verwirrt blickte ihn Sam an.

„Was…?" machte sie, als Alucard ihre Hand zum Mund führte, und verstummte sofort, als sie seine Zunge über ihre Wunden fahren spürte. Gleißender Schmerz füllte die Fläche der Hand aus. Erschrocken schrie Samiel auf und riss ihre Hand im Affekt von ihm weg.

Alucard grinste sie triumphierend an.

Samiel stieß ihn beiseite und eilte aus der Küche in ihr Zimmer.

Der Schreck saß tief und sie wusste im ersten Moment nicht, was sie denken sollte.

Erst als sie sich etwas beruhigt hatte, blickte sie ihre Hand an. Sie war noch leicht rot und geschwollen, doch die Wunden und das Blut waren verschwunden.

Hatte er das bewirkt?

Ungläubig schüttelte sie den Kopf und ging in das Bad, um sich das restliche Blut von den Händen zu wischen.

Alsdann übermannte sie die Müdigkeit und Samiel legte sich geschlagen in das Bett und schlief fast sofort ein.

Ihre Träume waren verwirrend.

Orangensaft und Blut auf kalten Marmorboden.

Ein Lachen in der Finsternis. Alucard.

Nach dem Geschehen am Abend hatte er sie die ganze Nacht verfolgt und als Samiel erwachte, stellte sie fest, dass er sie auch am Morgen noch nicht allein lassen wollte.

„Was willst du hier?" schnauzte sie ihn wütend an. Doch dann zögerte sie in ihrer anfänglichen Wut. Vor ihr saß ein überaus gefährliches Geschöpf, sie wusste nicht, ob es so klug war ihn zu irgend etwas zu provozieren.

Alucard grinste vor sich her und ergötzte sich an Samiels rasendem Herzschlag.

Samiel wurde zornig. Der Vampir schien es wohl nicht für nötig zu halten ihr zu antworten.

„Zieh Leine!" zischte sie und Alucard lachte leise und verschwand im Schatten.

Müde von dieser Prozedur legte sich Samiel noch mal hin, verfiel in einen traumlosen Schlaf und verschlief die Morgenrede von Pip.

Es war wohl nicht weiter wichtig gewesen, denn ein Kollege meinte nur, was Pip denn wieder für einen Scheiße von sich geben würde.

Sam schloss sich den Übenden an, wegen dem Verschlafen kam von keiner Seite jemand auf sie zu.

Sie überlegte, ob sie sich über die Vampir beschweren sollte. Aber vielleicht würde das aufhören. Vielleicht war er nur auf irgendeine Art neugierig gewesen.

„Blöder Vampir," murmelte Samiel vor sich hin, während sie die Schussübungen absolvierte.

Diese wurden eigentlich in der Nacht getätigt, doch Samiel hatte Wache und war dazu verdonnert, sich heute Mittag schon darum zu kümmern.

Vor der Wache genehmigte sie sich noch einen Orangensaft. Die Sonne war schon untergegangen.

Etwas nervös blickt sie ihre vernarbten Schnittwunden an. Sie hatte vorerst kein Interesse daran diesem Freak zu begegnen.

Sie trank ihren Saft aus und ging früher als geplant zu der Wache. Unterwegs ließ sie sich bei der Waffenausgabe ihre Waffe mit einem Munitionspäckchen geben und ging dann zur Einteilung.

Na toll! Sie war der Mauer zugeteilt!

Wie wäre es mal mit dem warmen Wachlokal am Eingang von „Resident Evil"?

Doch als sie dachte, es wäre schon schlimm genug gewesen, bei der Kälte und dem strömenden Regen auf der Mauer stehen zu müssen, so wurde sie eines Besseren belehrt.

Sie hatte Dienst mit Seras Victoria und nach noch nicht mal der Hälfte der verregneten Nacht war sie sich sicher, dass sie lieber 'nen Liter Blut an diesen bescheuerten Vampir abgeben würde, als sich noch einmal die Geschichte erzählen zu lassen, wie Seras mit Pip zusammengekommen war.

Diese Mickerling-Vampirella und der Säufer?

Verrückte, sarkastische Vorstellung.

Das Leben war der pure Wahnsinn. Sogar hier in der Hellsingorg.

Samiel hatte erhofft, endlich Ruhe zu finden, und etwas Gutes für die Menschheit tun zu können, aber irgendwie war beides doch nicht möglich.

Hier war es nicht wirklich möglich, die Schuld die sie sich aufgeladen hatte, abzuzahlen.

Aber wenn nicht hier, wo dann?

Einfach sich zurückziehen, eine Familie gründen und so tun, als wäre all dies nie passiert, konnte doch nicht die Lösung sein. Oder etwa doch?

„Hey, Samiel, was ist? Du siehst so nachdenklich aus?" fragte Seras schließlich, als sie merkte, dass Sam ihr nicht wirklich Gehör schenkte.

„Ah, nichts, bin nur etwas müde, habe sehr wenig geschlafen letzte Nacht," meinte sie nur und ging weiter.

Die Nacht zog sich hin und es schien beinahe so, als wollte sie nicht enden.

Seras erzählte Sam, dass sie Polizistin gewesen war, und versuchte sie zu ein paar Gesprächen zu verlocken.

„Was hast du denn vorher gemacht, bevor du herkamst!"

„Ich?" fragte Sam und überlegte kurz. „Ich war Soldat!"

„Aber du bist doch erst achtzehn, da kann man doch nicht vorher schon Soldat gewesen sein?"

„Ich war schon immer Soldat," meinte Sam nur und zuckte mit den Achseln.

„Dann waren deine Eltern bestimmt auch beim Militär?"

„Weiß nicht," meinte Sam darauf und stand auf. „Die Sonne geht auf, die Wache ist vorbei. Bis heute Abend, Seras."

Und damit ging sie fort.

Seras blickte ihr hinterher.

„Merkwürdig," sagte sie nur und ging dann ebenfalls zur Wachablösung.

Sam war zu müde, um noch irgendwas zu machen. Sie zog sich gleich in ihr Zimmer zurück und legte sich schlafen.

Kaum war die Nacht hereingebrochen, wurde sie unsanft vom nächsten Alarm geweckt.

Doch es war diesmal nicht Sams Trupp, der gefragt gewesen war.

Sie blieben zurück und dennoch machte sich Sam ausrückbereit. Sie dachte sich, dass der Trupp, der nun schon draußen war, später Hilfe benötigen könnte.

„Hey, Sam? Warum so nervös?" fragte Bill.

Er und Martin saßen mit ihr in der großen Fahrzeughalle. Es war eine Schande, dass jemand wie er eine Truppe anführte, auch wenn sie noch so unbedeutend war. Seine Entscheidungen würden über kurz oder lang zu einer Tragödie führen.

„Ich hab das Gefühl, als wären wir für diese Nacht alles andere als aus dem Schneider. Heute ist irgendwie mehr los," meinte Sam und schulterte das schwere Gewehr.

„Hast du auch das Gefühl, dass irgend etwas anders ist? Heute Nacht?" fragte Martin und Sam nickte.

Sie spürte, dass ihr Teamkollege ebenfalls nervös war.

Sam überprüfte noch einmal den Munitionsvorrat, den sie bei sich trug, als im gleichen Moment eine weitere Durchsage kam.

Sie mussten zur Verstärkung mit einem weiteren Angriffstrupp ausrücken.

Samiel hatte es gewusst. Sie hatte schon immer das Gefühl für den „richtigen Moment" gehabt.

Es war eine Gabe und ein Fluch.

Die Fahrzeuge rasten die Straße hinunter, die Dunkelheit schien sie zu verschlucken.

Samiel war die Erste, die das Fahrzeug verließ. Es hatte nicht geregnet und doch stand sie in einer Pfütze. Nach kurzen Augenblicken stieg ihr der Geruch von Blut in der Nase.

Zornig entblößte sie die Zähne. Sie hatte am früheren Abend fast zwei Stunden damit zugebracht die Stiefel zu reinigen und zu fetten. Alles umsonst.

Ihre Gefährten hatten dasselbe Schicksal vor sich, Sam war nicht kollegial genug, sie vor der schmierigen Pfütze zu warnen.

Das dämmrige Licht offenbarte zum Teil, was in der Finsternis verborgen lag.

Der Vortrupp hatte schon ganze Arbeit geleistet. Vom Kugelhagel zerrissene Ghouls lagen überall herum. Der Trupp war kaum ein Stück vorgestoßen, als sie schon den nächsten Schusshagel vernahmen.

Und dann kamen sie von hinten.

Eine ganze Gruppe Ghouls hatte sie umzingelt.

„Bildet einen Kreis!" schrie der Truppführer der anderen Truppe, doch Sam stürzte vor und rammte dem nächsten Ghoul das Bajonett in die Brust.

Dieser kreischte auf und spie einen Schwall Blut. Sam drückte ab und beförderte den Ghoul zurück in die heranschlurfende Truppe der restlichen. Wie Kegel stürzten sie hin.

„Schießt, eröffnet das Feuer!"

Samiel spürte, wie die Kugeln knapp an ihr vorbeizischten, als sie zurück in die Gruppe stürmte.

„Über diese Aktion sprechen wir später noch!" meinte Bill knurrend zu ihr.

Sam blickte zu Martin, der nur mit den Schultern zuckte.

Der Trupp kämpfte sich den Weg frei und befreite den eingekesselten Angriffstrupp.

Pip freute sich sichtlich, sie alle zu sehen. Er nahm einen großen Schluck aus der Whiskeyflasche und schrie, oder eher lallte, ihnen irgendwas laut zu!

„Kein Wunder, dass die in eine Zwangslage gerieten, mit dem Säufer!" knurrte Sam so laut, dass es einige wohl hörten. Ein leises Kichern ging durch die Menge.

„Angriffstrupp zurück und austauschen."

Die müden und angeschlagenen Truppen tauschten mit dem „frischen" Trupp die Plätze.

Es dauerte kaum zwei Minuten, als ein neuer Schusswechsel erforderlich wurde.

Die Wände in der Lagerhalle, worin sie kämpfen mussten, waren fast gänzlich durchlöchert, als mit der Morgensonne die Gefechte endeten.
Samiel hatte ihr gesamte Munition verschossen und sich schon darauf gefasst gemacht, einen Rückzug antreten zu müssen.

Doch der Strom von Ghouls war abrupt abgebrochen, nachdem Alucards Schüsse die alte Nacht zerrissen hatten.

Die Kämpfe hatten die ganze Nacht gedauert und einige Male war es echt schwierig gewesen, die Ghouls daran zu hindern, durch die Lagerhalle hinaus ins Freie zu gelangen.

Viele verletzte und übermüdete Soldaten waren zu beklagen, und einen Toten!

Flashback

Es war Bill gewesen, der sich zu weit vorgewagt hatte.

Es war schneller geschehen, als man hätte denken können.

Im Handumdrehen war Bill umzingelt gewesen, und obwohl er schoss war es, als ob auf jeden geschlagenen Ghoul zwei neue auftauchen würden.

Und sie hatten ihn gepackt, an ihm gezerrt und gebissen.

Samiel war es gewesen, der dem Sterbenden mit einem gezielten Kopfschuss den Tod schenkte.

Die anderen Soldaten schienen wie versteinert, als die heranrückende Horde immer näher kam.

„Schießt weiter!" war der Befehl gewesen, der sie aus der Starre riss.

Sie war vom Truppenführer gekommen, von Pit, der Sam nur dabei beobachtete, wie sie, ungerührt von der Tatsache, dass sie gerade einen Kameraden erschossen hatte, ihr Gewehr mit der rechten Hand hoch hielt und an ihre Schulter lehnte und die Kampfszene zu beobachten schien.

Nach wenigen Momenten wandte sie sich dann ab und ging wieder hinter die sichere Verteidigungslinie.

„Ich schätze, das Gespräch mit Bill bleibt dir jetzt erspart," flüsterte ihr Martin auf der Heimfahrt zu.

„Anscheinend," meinte Samiel nur.

In ihrer von Blut durchtränkten Uniform fühlte sie sich alles andere als wohl, aber sie fühlte sich auch nicht so schlecht wie manch einer der anderen, die jetzt mit ihr in diesem Fahrzeug saßen.

Sie hatten die ganze Nacht damit zugebracht, Menschen zu töten. Egal ob sie schon tot waren, es waren dennoch irgendwo Menschen.

Doch es war Samiel einerlei. Denn das hatte sie doch schon immer getan.

Die Uniformen wurden von Walter eingesammelt und neue wurden zur Verfügung gestellt.

Die Stiefel konnte Sam auch gleich wegwerfen. Die waren nicht mehr zu gebrauchen.

Das Blut der Ghouls war sehr klebrig. Es war schwierig, es sich aus dem Gesicht zu entfernen und noch länger dauerte es die Waffe zu reinigen.

Es war Mittag, bevor Sam ins Bett kam, und sie schlief lange und traumlos.

Ungerührt von der Tatsache, was in der letzten Nacht geschehen war.