Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem Plot. Alle originalen Charaktere und Schauplätze, die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.
Kapitel 2 - Zurück am Grimmauldplatz
Um Punkt zwölf hatte Harry wieder das überaus unangenehme Gefühl, als ob er an einem Widerhaken direkt hinter seinem Nabel plötzlich mit großer Kraft nach vorne gerissen würde. Er hatte den Boden unter den Füßen verloren und spürte, daß Hermine ihm die ganze Zeit nah war. In wirbelnden Farbspiralen rasten sie dahin, und sein Zeigefinger klebte an dem Lineal, als zöge es ihn magnetisch an, und dann war es so schnell vorbei, daß es ihn völlig unvorbereitet traf. Sofort landete er auf seinem Hosenboden in der Küche am Grimmauldplatz und Hermine auf ihm, während ihre beiden Koffer polternd in die Ecke flogen. Mühsam rappelten sie sich hoch und blickten sich um. Remus war da und auch Molly Weasley.
»Schön, daß ihr endlich hier seid«, begrüßte sie Remus und umarmte Harry. Es war ein ungewohntes Gefühl, doch war es auch nicht schlecht, dachte er, während ihn schon Molly Weasley in die Arme nahm.
»Hallo, Remus, hallo, Mrs. Weasley«, grüßte Harry und versuchte ein lächelndes Gesicht aufzusetzen, was ihm nicht leicht fiel. Remus lächelte warm, nannte Harry ihn doch zum ersten Mal bei seinem Vornamen.
»Nenn mich Molly. Wird wirklich Zeit. Schön, euch beide hier zu sehen!« rief sie plötzlich und grinste ihn breit an.
»Ich hoffe, ihr habt noch nichts gegessen. Molly hat sich große Mühe gegeben«, sagte Remus und deutete auf den Herd. Tatsächlich stand er voll mit Töpfen, und sofort bemerkte Harry auch den angenehmen Geruch.
»Wer ist denn noch hier?«
»Ron und Ginny sind auch da. Die schlafen aber beide noch. Gab gestern ein Treffen des Ordens bis in die frühen Morgenstunden, und sie haben versucht zu lauschen«, antworte sie mit einem Augenzwinkern und konzentrierte sich wieder auf das Essen. Keine fünf Minuten später kamen Ron und Ginny in die Küche.
»Endlich seid ihr hier«, rief Ron und fiel Harry schon um den Hals. »Ohne euch war es so langweilig. Mum hat uns von allem abgeschirmt.«
Harry bemerkte, daß Rons Umarmung mit Hermine weit weniger herzlich ausfiel, was ihn verunsicherte. Ob er wirklich etwas für sie empfand? Ich will Ron nicht verlieren, dachte er und begrüßte nun auch Ginny herzlich. Seit sie mit in die Mysteriumsabteilung gekommen war, hätte er den höchsten Respekt vor ihr, war sie doch unglaublich mutig gewesen und hätte sich von Harry beinahe sinnlos in den Tod führen lassen. Niemals wieder wollte er das zulassen.
An diesem Nachmittag erfuhr Harry, daß sich im Ministerium sehr viel verändert hatte. Fudge war zwar noch immer Zaubereiminister – eine Neuigkeit, die er nur ungern vernahm –, aber ansonsten wurden viele Abteilungen vereint und umstrukturiert. Die Aurorenabteilung wurde um mehr als Doppelte aufgestockt, und die Prioritäten wurden neu verteilt. Normalerweise wäre Fudge abgesetzt worden, doch Dumbledore hatte ein Machtwort gesprochen und zugleich Fudge unter Druck gesetzt, in Zukunft mehr nach Dumbledores Willen zu handeln.
Mit Remus hatte Harry ein kurzes Gespräch unter vier Augen, in dem er sich für sein Verhalten bei den Dursleys entschuldigte. Als Remus ihm darauf erzählte, daß er nur Dumbledore und Hermine von seinem Zustand während der Ferien erzählt hatte, bat Harry ihn, dies auch lieber für sich zu behalten. Auch Ron und Ginny gegenüber sollte er lieber nichts erwähnen, da sie sich doch nur unnötig Sorgen machen würden. Remus versprach es und meinte, daß er jetzt, da er hier war, an dem Ort, der alles wieder in Erinnerung rief, mit diesen Erinnerungen auch fertig würde. Schließlich sprachen sie auch noch ein wenig über Sirius, was nicht nur Harry schwerfiel, sondern auch Remus deutlich zuzusetzen schien. Am Schluß erfuhr Harry auch, wie Kreacher gestorben war, und daß der Grimmauldplatz nun absolut sicher wäre.
Nach dem Gespräch mit seinem ehemaligen Lehrer erzählte er Ron, Ginny und Hermine von seinen bisherigen Ferien, wobei er alles wegließ, worüber sich die Weasley-Kinder Sorgen machen könnten. Natürlich ließ er auch unerwähnt, daß er mit Hermine mehr als nur einmal das Bett geteilt hatte, und niemals im Leben würde er Ron erzählen, daß er sie halbnackt gesehen hatte.
Am Abend tauchte Hedwig auf. Anscheinend hatte sie unterwegs reiche Beute gemacht, da sie nicht einen einzigen Eulenkeks anrühren wollte. Als es auf die Nacht zuging, wuchs Harrys Anspannung fast ins Unermeßliche. Hier und vor allem vor Ron konnte er Hermine nur schwer bitten, bei ihm im Bett zu schlafen, und er hoffte inständig, daß die bloße Anwesenheit seines zweitbesten Freundes ausreichen würde, ihm einen halbwegs erholsamen Schlaf zu ermöglichen. Als er gegen halb zwölf schlafen gehen wollte, kam Hermine zu seiner Überraschung noch kurz zu ihm.
»Du mußt es nur sagen, und ich bleibe bei dir. Egal, was die anderen denken oder sagen«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Ron wurde sofort darauf aufmerksam. »Was tuschelt ihr da?«
»Hermine dachte, daß es mir peinlich sein könnte, wenn sie mir Nachhilfe gibt. Aber es ist mir nicht peinlich. – Heute aber nicht mehr, Hermine. Ich geh' besser schlafen. Trotzdem danke für das liebe Angebot«, sagte Harry und sah beim ersten Teil Ron an, während er danach Hermine ansah. Ron schien die Antwort zu genügen, und sie verstand, wie er es meinte.
»Muß ihm doch vor mir nicht peinlich sein, Hermine!« brummte Ron und verschwand unter der Decke, ohne sie noch einmal anzusehen.
»Dann Nacht, Jungs!«
»Nacht«, stöhnte Ron.
»Schöne Träume, und danke für alles!« sagte Harry.
Beim Verlassen des Zimmers machte sie das Licht aus und schloß die Tür. Dunkelheit war alles, was Harry sehen konnte, und sofort schien diese auf ihn zuzukommen. Einen Moment hielt er die Luft an, immer in Erwartung, einen Panikanfall zu bekommen, doch nichts passierte. Niemand griff nach ihm, und auch keine schlimmen Bilder erschienen vor seinem geistigen Auge. Erleichtert schloß er die Augen und schlief kurze Zeit später ein.
Am nächsten Morgen hatte er starke Kopfschmerzen. Zum Teil lag es an den Alpträumen, die er gehabt hatte und weshalb er nicht gut geschlafen hatte, größtenteils jedoch daran, daß er einmal dabei aus dem Bett gefallen war und mit dem Kopf an seinen Nachttisch geschlagen war. Er verband das jedoch gleich mit Nützlichem, da er so eine zusätzliche Motivation hatte, sofort mit dem Lernen zu beginnen. Bis zum Mittag beschäftigte er sich deshalb mit einem Zaubertrank, der seine Schmerzen vertreiben würde, was ihm tatsächlich ohne Probleme gelang. Schon beim Mittagessen, bei dem auch Tonks, Mad-Eye und Arthur anwesend waren, ging es ihm wieder gut.
Die ganze nächste Woche verbrachte er mit Lernen. Hermine hatte einen Plan aufgestellt, und sogar Ron konnte er davon überzeugen, alles zu tun, um diesen Plan zu erfüllen. Zwar hatte er ihm dafür Gewalt androhen und ihn mit zehn Galleonen bestechen müssen, doch danach machte er sich ohne Widerwillen an die Arbeit. Zwar war die Woche hart – vierzehn Stunden am Tag zu lernen, war sogar für Hermine ungewohnt –, doch klappte es besser als erwartet. Auch seine Alpträume wurden immer weniger, so daß er nach den Nächten frisch und ausgeruht war.
An einem Montagmorgen tauchten auch die Weasley-Zwillinge kurz auf. Sie apparierten, als die anderen gerade zum Frühstück in der Küche eintrafen, und nicht nur ihre Eltern freuten sich über alle Maßen. Auch Harry war erfreut, wollte er doch unbedingt von den Fortschritten mit ihrem Geschäft hören. Ihr Laden lief gut, aber noch nicht perfekt. Die beiden hatten im Moment nur wenig freie Zeit, da sie ununterbrochen ihr Sortiment ausbauen mußten, um mit der Konkurrenz mitzuhalten. Die Zwillinge erzählten, bis sie erschrocken bemerkten, daß es schon acht Uhr dreißig war und sie schon vor einer halben Stunde den Laden hätten öffnen sollen. Sofort disapparierten sie mit einem lauten Knall und waren verschwunden. Harry bemerkte, daß Mr. und Mrs. Weasley sich sehr stolz ansahen, hatten es die Zwillinge doch auch ohne ihre Hilfe geschafft.
Auch diese Woche lernten die vier eine von Ron im vorhinein für unmöglich gehaltene Menge an Stoff, und diesmal nicht nur allein, sondern auch mit der Hilfe einiger Auroren, die im Dienste des Ordens standen. Immer wieder kam einer für ein paar Stunden vorbei und zeigte ihnen nützliche Zauber, die sie an die DA weitergeben wollten, sofern es diese auch in diesem Jahr noch geben würde.
Eines Morgens flatterten mit der Eulenpost die ZAG-Ergebnisse auf den Frühstückstisch. Wie erwartet hatte Hermine fast nur Ohnegleichen erhalten und so viele ZAGs, wie es überhaupt nur möglich war. Rons Ergebnisse sahen nicht ganz so gut aus, aber auch er war ziemlich erfolgreich gewesen und immerhin deutlich besser als Fred und George, was besonders seine Mutter mit wahnsinnigem Stolz erfüllte. Bei Harry sah es besser als bei Ron, aber auch teilweise eher durchwachsen aus. Zwar hatte er im Kurs Zaubertränke kein Ohnegleichen erhalten, aber immerhin die zweitbeste Note. In einem Begleitschreiben von McGonagall stand jedoch, daß er Förderung erhalten würde und deshalb trotzdem für Professor Snapes Klasse zugelassen war, genauso wie Ron, der ebenfalls kein Ohnegleichen geschafft hatte. McGonagall schrieb weiter, daß sie das mit Snape und Dumbledore abgesprochen hätte, da sie Harry unbedingt als Auror würde sehen wollen und Ron sicher auch gute Chancen hätte. Sie würde aber erwarten - das schrieb sie unmißverständlich -, daß Harry und Ron sich in Zukunft in diesem Fach noch gewaltig steigern würden. Beide waren ihr dafür sehr dankbar und waren sicher, daß sie sie nicht enttäuschen würden.
Auch der Rest seiner Noten war für ihn zufriedenstellend, nur in Geschichte der Zauberei und Wahrsagen war er eher mäßig gewesen. In Verteidigung gegen die dunklen Künste bekam er sogar eine Sonderauszeichnung, die ihn sehr stolz machte. Hermine strahlte aufgrund ihrer Noten, und auch mit denen von Ron und Harry war sie letztlich zufrieden. Trotzdem sprach sie ständig davon, daß es von jetzt an noch viel besser würde, da sie nun endlich eingesehen hätten, daß es ohne viel Lernen nicht zu schaffen sei. Dem Schreiben lag auch ein Formular bei, auf dem sie die UTZ-Kurse für das nächste Jahr auswählen sollten. Nach reiflicher Überlegung entschied sich Harry, nur Wahrsagen zu streichen, da er kein weiteres Jahr mit Todesomen vergeuden wollte. Hermine war stolz, daß er sich nicht damit begnügte, nur die erforderliche Mindestanzahl von fünf Kursen zu wählen, sondern lediglich auf das eine unnütze Fach verzichten wollte. Dagegen war Ron entschlossen gewesen, diverse Fächer zu streichen, ehe er sich etwas widerwillig Harry anschloß. Hermine wollte auf kein einziges ihrer Fächer verzichten, auch wenn sie wußte, daß das für sie einen Haufen Arbeit bedeutete.
Nur zwanzig Minuten später traf eine Eule mit einem Brief von Viktor Krum ein. Kaum hatte Hermine ihn freudestrahlend geöffnet, wich das Lächeln aus ihrem Gesicht. Die Nachricht schien sie zu bedrücken, und so zog sie sich für ein paar Stunden von den anderen zurück, um an ihrer Antwort zu schreiben.
Harry nutzte die Gelegenheit, um Ginny und Ron von der Prophezeiung erzählen. Kaum hatte er geendet, wurde er von beiden ungläubig angestarrt. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, ehe Ron ein Wort herausbekam:
»KRASS!«
Danach starrte er ihn einfach weiter an. Während Ron eher beeindruckt zu sein schien, war Ginny total geschockt. Schließlich griff sie seine Hand. Einige Sekunden lang sahen sie sich in die Augen, bis auch Ron seine Hände dazulegte.
»Wir sind immer für dich da! Gemeinsam packen wir es!« versprach Ginny, und Ron nickte heftig.
Obwohl er Angst gehabt hatte, daß ihre Reaktion genauso aussehen würde, freute er sich innerlich so sehr, daß es in seinem Magen brannte. Angst hatte er, weil er seine Freunde am liebsten irgendwo verstecken würde, damit Voldemort sie nie in die Hände kriegen könnte, doch er wußte gleichzeitig, wie sehr er seine Freunde brauchte. Ohne sie hätte er längst aufgegeben, wie es erst vor wenigen Wochen geschehen war. Obwohl es ihm schwerfiel, würde er ihre Hilfe akzeptieren, auch mit dem Risiko, sie dabei zu verlieren, denn eines war ihm vor kurzem klargeworden: es war ihr eigenes Leben, und wenn sie es riskieren wollten, für ihn zu sterben, dann konnte er es ihnen nicht wirklich verbieten.
»Ich danke euch beiden«, hatte er zu ihnen gesagt und war danach mit ihnen in die Küche gegangen, um weiter zu lernen.
Zwei Stunden später kam Hermine herunter und sah nicht so aus, als würde sie über Viktors Brief reden wollen. Für den Moment konnte er das akzeptieren und sprach sie nicht darauf an.
Auch in der nächsten Woche ließ der Lerneifer nicht nach, was Hermine am meisten beeindruckte. In dieser Zeit schrieb sie Krum zwei Briefe, nachdem sie wieder zwei von ihm erhalten hatte. Den beiden blieb auch nicht verborgen, daß Hermine sich nicht mehr wirklich über jeden Brief, den sie von Krum erhielt, zu freuen schien; ebenso nicht, daß sie für die Antworten einen immer größeren Zeitraum benötigte. Nach beiden Briefen benahm sich Hermine ein wenig eigenartig, was sogar Ron auffiel. Dieser wollte aber den Mund halten, da es ihn ja eigentlich nichts anginge, wie er Harry beiläufig mitteilte. Darüber war Harry ein bißchen verblüfft, weil Ron bisher überaus an Hermines Liebesleben interessiert schien. Die Antwort Rons war klar und einfach: Falls sie wirklich Hilfe benötigen würde, würde sie schon nicht zögern, die beiden um ebendiese zu bitten.
Weiter im unklaren war sich Harry, welche Gefühle Ron tatsächlich für Hermine hegte, traute sich aber nicht, ihn direkt danach zu fragen, da er die Anwort fürchtete; er wüßte nicht, wie er damit klarkommen sollte, falls Ron tatsächlich in Hermine verliebt wäre. Immerhin hielt ihn sein Geburtstag am nächsten Morgen, auf den er sich ungemein freute, davon ab, auch den Rest des Tages darüber nachzugrübeln. Besonders auf das Geschenk von Hermine war er gespannt, da sie extra in die Winkelgasse gereist war, um ihm etwas zu besorgen.
Als er am Morgen erwachte, saß Ron schon auf seinem Bett und starrte ihn grinsend an.
»Was ist los?« fragte Harry unsicher.
»Du solltest weniger im Schlaf reden«, erwiderte der Rotschopf und grinste noch breiter.
»Was hab' ich gesagt?« Harry fühlte, wie Panik in ihm hochstieg, doch bekam er statt einer Antwort nur sein Geschenk.
»Los, mach auf!« drängte ihn Ron. Harry zerriß das Papier, und zum Vorschein kam ein Buch.
»Ein Buch?« fragte Harry und sah Ron ungläubig an.
»Ja, ein Buch.«
»Aber kein Quidditch-Buch. Komm mal her. Bist du vielleicht krank, hast du Fieber?« Er näherte sich Ron und tat so, als ob er dessen Stirn befühlen wollte.
»Mir geht's bestens! Ich dachte mir, im Moment ist doch Lernen mit Abstand das wichtigste, und dazu sind Bücher immer gut.« Dabei zeigte auf den Titel.
»›Dunkle Künste und wie man sie bekämpft‹«, las Harry und schlug es auf. »Immerhin mit einer Widmung!« Leise las er sie.
»Komm her, Alter!« sagte Ron und umarmte ihn.
»Ich danke dir, Kumpel. Ist wirklich ein schönes Geschenk!« sagte Harry und legte es auf das Bett. Er war gerade dabei sich umzuziehen, als Ginny, ohne anzuklopfen, ins Zimmer platzte.
»Happy Birthday«, brüllte sie dabei und starrte den halbnackten Harry an, der nur mit Boxershorts bekleidet auf einem Bein stand und versuchte, eine Socke anzuziehen. Harry war darüber so erschrocken, daß er das Gleichgewicht verlor und einen Moment später auf der Erde lag.
»Mach so was nie wieder«, schalt er sie mit einer übertrieben zornigen Stimme.
»Alles Gute, Harry«, wünschte ihm Ginny, während sie ihm auf die Beine half.
»Vielen Dank.«
»Gib ihm schon dein Geschenk. Ich will sein Gesicht sehen«, sagte Ron zu seiner Schwester.
»Hier. Ich hoffe es gefällt dir.«
Sie reichte ihm ein Paket. Es war groß und schwer und hatte die Form eines Buches. Harry fing breit zu grinsen an, genau wie die beiden anderen.
»Laß mich raten, ein Buch«, sagte er und begann an der Verpackung zu reißen. »›Heilpflanzen und Heilkräuter‹«, las er leise und öffnete es.
Auch in diesem war eine sehr persönliche Widmung, die Harry beinahe zu Tränen rührte. Er umarmte auch Ginny, ehe er sich weiter anzog, um dann mit den beiden zum Frühstück zu gehen. Hermine, Remus, Molly, Arthur, Fred, George, Mad-Eye und Tonks warteten schon auf ihn, der ganze Küchentisch war voll mit eingepackten Geschenken, die allesamt die Form von Büchern hatten. Nach vielen Umarmungen und Gratulationen war auch Hermine an der Reihe, und auch sie umarmte ihn.
»Alles Gute«, flüsterte sie leise, und Harry spürte dabei ihren Herzschlag an seiner Brust. Es pochte außergewöhnlich schnell, und das verwirrte ihn ein wenig.
»Geschenke!« rief jemand, und alle stimmten mit ein.
Breit lächelnd öffnete er das erste, welches von Hagrid kam. Auch von ihm bekam er ein Buch, wieder mit einer Widmung. Es war ein Buch über magische Geschöpfe, ihre Stärken und Schwächen. Von Molly und Arthur bekam er ebenfalls ein Buch mit Widmung, und dieses hatte Zaubertränke zum Thema. Von Professor Dumbledore und Professor McGonagall bekam er ein gemeinsames Geschenk, natürlich auch ein Buch mit Widmung, welches sich dem Thema Abwehrzauber widmete. Fred und George schenken ihm eine Buch über unangenehme Verfluchungen, und Mad-Eyes Buch war über die Geschichte der Angriffzauber, während er von Remus und Tonks ein Buch über Wundheilung bekam. Als letztes öffnete er Hermines Geschenk. Während er das Papier aufriß, konnte er mit einem Auge beobachten, wie sie nervös mit ihren Fingern spielte. Zum Vorschein kam ein Buch über die Geschichte der Magie und wie alles überhaupt begonnen hatte. Ihre Widmung war so schön, daß ihm eine Träne die Wange hinunterlief, die er sofort abwischte.
»Ich danke euch allen wirklich«, rief er schnell und umarmte sie alle gleich noch einmal. Nur bei Hermine flüsterte er ihn ein leises »Danke!« ins Ohr und gab ihr, ohne daß es jemand mitbekam, einen flüchtigen Kuß auf die Wange.
Sie feierten noch fast bis Mittag, ehe alle Erwachsenen bis auf Mrs. Weasley verschwanden, um ihrem Tagewerk nachzugehen. Inzwischen hatte er von Molly erfahren, daß es Hermines Idee gewesen war, daß ihm alle ein Buch mit Widmung schenken sollten, in dem jeder seine Gefühle für Harry offenbaren und ihm damit zeigen sollte, wie wichtig er ihnen war. Alle hatten sich von der Idee begeistert gezeigt, und das Ergebnis rührte Harry gewaltig.
Auch die nächsten zwei Wochen verbrachten Harry, Ron und Hermine von morgens bis abends mit Lernen. Harrys Beziehung zu Hermine war noch immer sehr vertraut, aber nicht so, wie er es sich eigentlich gewünscht hätte. Sie schien noch immer so verwirrt zu sein, wie es auch Harry war, und stand auch weiterhin in regem Briefkontakt mit Viktor, der inzwischen in Italien war, wie ihm Hermine einmal verraten hatte. Sie selbst schien nach jedem der Briefe durcheinander zu sein, doch wollte sie nicht darüber reden.
Ihr tägliches Arbeitspensum betrug zwölf Stunden, dabei nahmen sie sich besonders Zaubertränke noch einmal vor und brauten viele verschiedene, teilweise sehr schwierige Tränke. Mit einer Ausnahme gelangen Harry alle davon, was Hermine außerordentlich stolz machte, was sie ihm auch mehr als nur einmal mitteilte. Auch Ron war von Harrys Fortschritten beeindruckt, während er selbst sich ebenfalls schnell und deutlich verbesserte. Ohne Snape um sich herum fielen Harry die Tränke viel leichter, und auch Ron war mit einem Lächeln auf den Lippen bei der Arbeit, was er bei dieser Tätigkeit nie zuvor bei ihm gesehen hatte.
Diesen einen Trank, der mißlungenen war, hatte er nur deshalb nicht zustande gebracht, weil Hermine währenddessen einen Brief an Krum geschrieben hatte und Harry immer wieder versucht hatte, ihr dabei über die Schulter zu schauen. Dadurch hatte er die neunundzwanzigste mit der dreißigsten Zeile der Rezeptur vertauscht, was sie erst sehr spät am Abend herausgefunden hatten. Anstatt daß der Trank dafür sorgte, daß er sich selbst in einen schweren Betonklotz verwandelte - wofür auch immer das gut sein sollte - hatten sich seine Arme in Tentakel verwandelt, was ihm aber immerhin brauchbar erschien. Ron hatte derweil in der Küche gesessen und war für Geschichte der Zauberei noch einmal die Riesenkriege durchgegangen – auch weil er sich erhofft hatte, etwas zu finden, was im Umgang mit Hagrids Bruder nützlich sein könnte –, als Harry mit seinen Tentakeln, die er nur schwer unter Kontrolle bringen konnte, durch die Tür geächzt kam. Am schlimmsten war, daß er ständig an irgendwelchen Gegenständen der Küche festgeklebt war und diese dann unbeabsichtigt durch die Gegend geworfen hatte. Einmal hatte sogar Ron an den Tentakeln geklebt - was dieser allerdings gar nicht mehr zum Lachen gefunden hatte - war aber nach ein paar Minuten wieder freigekommen.
Fast fünf Stunden hatte Hermine gebraucht, um das Problem zu erkennen und den Zauber rückgängig zu machen, da Mrs. Weasley nicht hatte helfen können und Arthur es wohl nicht gewollt hatte. Wieder einmal war er ihr dafür überaus dankbar und wußte gar nicht mehr, wie er sich für alles, was sie getan hatte, jemals revanchieren sollte.
Die Alpträume, die Harry geplagt hatten, wichen weitaus schöneren Träumen, die leider nur Träume blieben und ihn noch stärker verwirrten, was seine Gefühle für Hermine anging.
Da auch Remus ihm beipflichtete, daß er wohl über das Schlimmste hinweg war, stand ihm nun ein schwerer Gang bevor, um den er sich bisher gedrückt hatte. Er mußte zu Sirius' Grab gehen. Nicht, weil es jemand von ihm verlangte, sondern, weil er es von sich selbst erwartete. Deshalb versprach er Remus, am Abend des achtundzwanzigsten August das Grab zu besuchen. Da er aber nur sehr ungern allein dorthin gehen wollte, sprach er eines Abends Hermine darauf an, ob sie ihn auf dieser Reise begleiten wolle. Sie erklärte sich sofort einverstanden und schenkte ihm ein unglaubliches Lächeln, das seine Stimmung sofort hob. Er merkte allerdings auch, daß Ron, der mit im Zimmer war, ihn voller Erwartung anblickte und sich fragte, warum Harry ihn nicht dabeihaben wollte. Harry beschloß, am Abend mit Ron zu sprechen, und hoffte, daß dieser es verstehen würde.
Als sie sich zur Nachtruhe zurückgezogen hatten, setzte er sich neben ihn und begann direkt: »Ich würde gern nur mit Hermine zu Sirius' Grab gehen.«
»Und warum?«
»Ich kann es dir nicht genau sagen. Es ist nur ein Gefühl, auf das ich vertraue. Es ist nicht so, daß ich ...«
»Sie ist dir wichtiger als ich«, schnitt ihm Ron das Wort ab.
»So hab' ich das nicht gemeint. Aber wenn du es genau betrachtest, hast du damit etwas recht.«
»Das wußte ich schon. Trotzdem trifft es mich als deinen Freund, daß du mich nicht dabeihaben willst.«
»Wie meinst du das?«
»Ich bin dein Freund und will dir helfen, mit deinen Problemen fertig zu werden. Ich fühle mich aus deinem Leben ausgeschlossen.«
»Und was heißt, das wußtest du schon?«
Ron begann zu grinsen. »Verrat' ich dir ein anderes Mal. Kommen wir zum Thema zurück. Ich bin dein bester Freund ...«
»Okay. Wenn es dir soviel bedeutet, dabei zuzusehen, wie Harry Potter, der Retter der Welt, am Grab seines verstorbenen Paten heult, dann kannst du gerne mitkommen«, sagte Harry sarkastisch und wußte genau, daß Ron es richtig verstehen würde. Langsam streckte er ihm die Hand entgegen.
»Nein, danke. Ich hatte nie vor mitzukommen, ich hatte aber wirklich erwartet, daß du mich zumindest fragen würdest!« grinste Ron und schüttelte die ausgestreckte Hand.
»Und die andere Sache?«
»Später, wenn wir beide alt und grau sind und ein Butterbier zusammen trinken.« Ron grinste jetzt so breit, daß man ihm eine Forelle quer in den Mund hätte stopfen können.
»Dann hast du also wirklich kein Problem, wenn ich nur Hermine mitnehme?«
»Nein. Ist vielleicht sogar am besten so!«
Nun war Harry nicht nur rat-, sondern auch sprachlos. Er konnte sich auf Rons Verhalten keinen Reim machen, und das machte ihn für Harry unberechenbar. Es störte ihn also nicht, wenn er mit Hermine alleine zum Grab ging, und es störte ihn auch nicht, daß sie für ihn wichtiger war als er. Merkwürdig, dachte Harry und starrte seinen Kumpel an, was hatte das nur zu bedeuten? Dieser schien tatsächlich nicht schlecht gelaunt zu sein. Zwar war es auch schon vorgekommen, daß Ron ihm die gute Laune nur vorgespielt hatte, doch tat er dies immer so schlecht, daß man ihn sofort durchschaut hatte.
Zwei Wochen vor Ende der Ferien, an einem Sonntagmorgen, kam Percy auf Besuch vorbei. Er war sehr angespannt und wollte mit allen über die Ereignisse des letzten Jahres und insbesondere auch über sein eigenes Verhalten sprechen. Es war ihm alles sehr unangenehm und er wollte sich ernsthaft bei allen entschuldigen, wie er ihnen versicherte. Harry gefiel es nicht, daß er hier war, denn eigentlich hatte er ihm nicht verziehen und würde es auch nicht tun wollen.
»Ron, können wir bitte unter vier Augen miteinander sprechen«, fragte Percy seinen Bruder, und zu Harrys Überraschung nickte dieser bejahend und führte ihn nach oben.
Eine halbe Stunde später stand Percy plötzlich vor Harry. »Mit dir möchte ich auch gern unter vier Augen sprechen.«
Harry sah seinen fast flehenden Gesichtsausdruck und erklärte sich deshalb einverstanden.
»Ich entschuldige mich hiermit bei dir und hoffe, du kannst mir für meine dummen Fehler verzeihen«, begann Percy, als sie alleine waren. »Ich war geblendet von meinen schnellen Erfolgen und meinem noch schnellerem Aufstieg, daß ich vergessen habe, was das Wichtigste im Leben ist.«
»Und was ist das Wichtigste im Leben?« fragte Harry, noch immer wütend auf Percy.
»Familie!«
»Was hab' ich mit deiner Familie am Hut?«
»Du weißt genau, was du mit meiner Familie am Hut hast, und deshalb weißt du auch, was du mit mir am Hut hast«, erwiderte Percy und blieb dabei kühl und distanziert, wie er fast immer war.
»Es mag sein, daß ich mich schon mit zur Familie Weasley zähle, doch bei dir hatte ich nie ein solches Gefühl.«
»Das weiß ich, und es wird sich jetzt ändern«, erwiderte Percy, und zu Harrys Erstaunen klang er weniger kühl als zuvor.
»Warum sollte ich dir das glauben?«
»Weil auch meine Mutter mir glaubt. Und weil ich es ehrlich meine. Alles Gute zum Geburtstag, auch wenn es nachträglich ist«, sagte Percy und gab ihm ein Geschenk, welches er irgendwo unter dem Umhang versteckt hatte. Natürlich war es ein Buch, was Harry dann doch ein Lächeln abnötigte.
»Glaub nicht, daß du mich kaufen kannst«, sagte er scherzend und riß das Papier auf. »Edel«, war das erste, was Harry herausbekam, als er es in Händen hielt. Es war alt und mußte ausgesprochen teuer gewesen sein. Das Leder des Einbandes war von bester Qualität und unglaublich zart. »›Verteidigung‹«, las er laut und schlug es auf, um zu sehen, ob auch Percy ihm eine Widmung hineingeschrieben hatte.
Es tut mir wirklich leid, wie ich Dich behandelt habe. Ich glaube, ich war einfach nur eifersüchtig, daß Du bekannter und geachteter warst als ich, obwohl Du damals, am Anfang Deines ersten Schuljahres, noch nichts geleistet hattest, außer zu überleben. Heute muß auch ich Deine Leistungen anerkennen und zugeben, daß ich ein Idiot war und hoffe, daß Du mir dies vergeben kannst.
Percy Weasley
Harry klappte das Buch wieder zu, blickte überrascht hoch und sah in Percys erwartungsvolles Gesicht.
»Ich werde dir noch mal vergeben, daß du mich als Idioten hingestellt hast, der nur phantasiert hat, wenn du laut und deutlich zu mir sagst: Ich, Percy Weasley, war ein Idiot und glaube heute fest daran, daß Voldemort zurück ist und die Welt bedroht.« Dabei beobachtete er Percy genau und sah, wie dieser bei der bloßen Erwähnung von Voldemorts Namen zusammengezuckt war.
»Nun gut. Ich denke, ich bekomme das hin. Ich, Percy Weasley, war ein Idiot und glaube heute daran, daß V-Voldemort zurückgekehrt ist und die Welt bedroht.«
»War zwar nicht ganz identisch, aber das macht nichts. Gut, Percy! Hiermit nehme ich deine Entschuldigung an und hoffe wirklich, daß du es begriffen hast. Ich selbst habe ja auch schon mehr als genug Fehler gemacht und hoffe immer, daß ich aus ihnen lerne und man sie mir verzeiht.«
Harry und erhob sich vom Bett, legte sein Geschenk auf den Nachttisch und reichte Percy die Hand. Zuerst starrte dieser ihn ungläubig an, aber dann schüttelte er sie kräftig und hatte ein freundliches Lächeln auf den Lippen, wie Harry es nur höchst selten bei ihm gesehen hatte.
Anschließend sprach Percy mit Ginny, die nicht gerade begeistert war, aber ihm doch vergab, als sie hörte, daß auch Harry es getan hatte. Nun galt es bis zum Abend zu warten, bis Mr. Weasley von seiner Arbeit für den Orden zurückkehrte. Als dieser endlich auftauchte, schien er überaus überrascht, seinen Sohn in stiller Eintracht mit dem Rest seiner Familie in der Küche vorzufinden.
»Was machst du hier?« fragte Arthur übertrieben ruhig und sah Percy herablassend an.
»Ich möchte mit dir unter vier Augen reden, Vater!«
»Es gibt nichts zu sagen«, erwiderte Arthur und schenkte seiner Frau einen angesäuerten Blick. Arthur begrüßte Ginny und Ron und umarmte auch seine Frau, doch der Kuß blieb aus.
»Vater, bitte!« flehte Percy, doch Arthur sah nicht mal auf. Statt dessen nahm er den Deckel vom Kochtopf auf dem Herd und blickte hinein.
»Sieht gut aus«, sprach er leise und ignorierte Percy völlig.
»Bitte, Arthur«, flüsterte Molly plötzlich leise. So hatte Harry sie noch nie erlebt. Er hatte sie weinen sehen, lachen sehen, doch der Blick zuerst zu ihrem Kind und dann zu ihrem Mann war einfach anders; fast so, als müßte sie sich zwischen beiden entscheiden.
»Dad, wenn du nicht mit ihm redest, rede ich auch kein Wort mehr mit dir!« sagte Ginny, und alle sahen sie erstaunt an.
»Warum sollte ich das tun?« fragte Arthur und drehte sich um.
»Du mußt nur mit ihm reden. Egal, was danach ist.« Sie stand vom Tisch auf. Langsam ging sie zu ihrem Dad und umarmte ihn schließlich. Arthur schien überrascht, doch erwiderte er die Umarmung.
»Gut. Wir reden«, preßte er nach einer ewig langen Pause hervor und folgte Percy aus dem Zimmer.
Harry und die anderen konnten Mr. Weasley in den folgenden zwei Stunden einige Male sehr laut werden hören, auch ohne daß sie die Langziehohren verwenden mußten, die Fred und George ihnen mit allerlei anderem Kram in einer großen Tüte dagelassen hatten. Mit Arthur schien es nicht ganz so gut geklappt zu haben, wie von Percy und seiner Mutter erhofft, wenn Harry dessen Stimmung danach richtig deutete. Es würde wohl einfach noch eine Weile dauern, bis Arthur wieder ein normales Vertrauensverhältnis zu seinem dritten Sohn würde haben können. Molly dagegen war wieder ausgesprochen gut gelaunt, wie Harry feststellte. Sie hatte Percy als erste verziehen und ihn überredet, sich auch bei den anderen zu entschuldigen. Als Harry sie kurz vor dem Schlafengehen darauf ansprach, sagte sie nur: »Schwere Zeiten stehen bevor, und nichts soll zwischen uns stehen, falls es zum Fall der Fälle kommt.«
Diese Einstellung konnte er gut verstehen. Ron konnte das nicht, er war noch immer eher auf der Seite seines Vaters und hatte Percy nur widerstrebend verziehen, weil seine Mutter ihn darum gebeten hatte.
Auch die nächste Woche war so voll gepackt mit Arbeit, daß Ron am Donnerstag durchdrehte. »Lernen ist ätzend!« hatte er geschrien und seine Schulsachen vom Tisch gefegt.
Harry sagte nichts dazu, konnte ihn aber gut verstehen. Zwar machte es ihm meistens Spaß, mit den anderen zu lernen, doch würde er selbst auch lieber etwas anderes machen – wichtig war nur, daß er mit Hermine zusammensein konnte.
»Laß uns Spaß haben, Harry«, sagte Ron und sah ihn mit flehenden Augen an.
»Ron, du weißt, es ist meine Bestimmung. Wenn wir das alles überleben, dann werden wir noch genug Spaß zusammen haben, versprochen!« antwortete Harry ihm und wandte sich ein wenig traurig wieder seinem Buche zu. Ron verließ frustriert den Raum und verschwand. Er war nicht beim Mittagessen und kam den ganzen Nachmittag nicht in die Küche.
»Muß wirklich ernst sein. Er verpaßt sonst keine Mahlzeit«, meinte Hermine und sah für einen Augenblick so aus, als ob sie Mitleid mit Ron hätte.
Harry sah, daß Ginny dazu nur still lächelte. Sie war schon immer eine gute Schülerin gewesen und würde sicher einst so gut werden können wie Bill und Charlie und vielleicht sogar wie Percy. Ron hingegen war bisher ein eher durchschnittlicher Schüler gewesen, was er aber fast ausschließlich seiner chronischen Faulheit verdankte, wie Hermine immer klarstellte. Zwar hatte sich Ron von Harry bestechen lassen, an dem von Hermine geleiteten Lernprogramm teilzunehmen, doch schien er jetzt schon ein bißchen ausgebrannt zu sein. Auch Harry hätte sich etwas Lustigeres vorstellen können, als den ganzen Tag vor Büchern zu verbringen, aber er mußte sich auf Voldemort und den unvermeidlichen Entscheidungskampf vorbereiten. Daß er sich dabei immer auf Hermine verlassen konnte, war für ihn das wichtigste. Sie würde ihn immer weiter treiben und stets daran erinnern, warum er das tat, auch wenn es jeden Tag leichter für ihn wurde. Vielleicht war es auch für Ron nur eine Sache der Gewohnheit. Schließlich hatte er allein in diesen Sommerferien mehr gelernt als in seiner ganzen Freizeit während der fünf Jahre in Hogwarts. Als Ron dann auch beim Abendessen nicht auftauchte, ging Harry schließlich zu ihm, um auszukundschaften, was los war.
»Darf ich reinkommen?«, fragte Harry vorsichtig und sah erstaunt, daß Ron in seinem Bett lag.
»Klar«, sagte Ron und drehte sich um. Harry bemerkte, daß er ein Buch las.
»Ähm, was machst du da?«
»Ich liege in deinem Bett und lese dein Buch«, stellte Ron nüchtern fest und schien verwirrt, daß Harry das nicht selbst erkannte.
»So meinte ich das nicht«, erwiderte Harry und nahm ihm das Buch aus der Hand. Es war das Buch, das er von Percy nachträglich zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte und das er inzwischen beinahe jeden Abend las. Er gab es ihm wieder zurück. »Zuerst haust du ab, weil du keinen Bock mehr auf Lernen hast, und dann finde ich dich hier, und du lernst.«
»Ich ... na ja ... ich hab' ein schlechtes Gewissen gehabt.« Dabei näherte sich Rons Gesichtsfarbe seiner Haarfarbe an.
»Weshalb?«
»Weil ich es viel leichter als du habe und trotzdem früher aufgebe.« Nun war sein Gesicht noch tiefroter als seine Haare. Harry setzte sich zu ihm aufs Bett.
»Ron! Du hast es nicht leichter. Dein Leben ist genauso gefährdet wie das meine. Dein Schicksal ist eng mit dem meinen verknüpft, und ich danke dir, daß du überhaupt noch mein Freund bist. Du könntest es dir einfach machen und mich meinem Schicksal überlassen. Du glaubst gar nicht, wieviel es mir bedeutet, daß du zu mir stehst. Ich werde dir niemals einen Vorwurf machen, wenn du wie heute die Schnauze voll hast. Selbst Hermine hat nicht ein Wort darüber verloren. Ich glaube, sie ist sehr stolz auf dich. Auch deine Mum hat nicht einen Ton gesagt. Sie hat bestimmt gedacht, daß du viel früher die Lust verlierst.« Er legte dabei seine Hand auf Rons Schulter, der noch immer auf dem Bauch lag.
»Ich will ja lernen, wirklich. Aber manchmal muß ich auch was anderes tun. Wäre schön, wenn wir wenigstens ab und zu zusammen Spaß haben könnten. – Auch mit Hermine«, fügte er hinzu und sah Harry ein wenig traurig an.
»Kein Problem, Alter!« erwiderte Harry, klopfte ihm auf die Schulter und stand auf. »Wir werden sicher mal wieder dafür Zeit finden. Komm mit runter. Hermine bereitet alles für einen schwierigen Trank vor. Morgen nehmen wir uns dann einfach mal frei.« Langsam ging er in Richtung Tür. Ron erhob sich und kam hinterher. Er wußte genau, daß Ron es sich niemals einfach machen würde. Er würde alles tun, um Harry im Kampf beizustehen.
Am Sonntag, nur eine Woche vor dem Ende der Ferien, erschien Dumbledore zum Mittagessen und brachte ihnen ihre Hogwarts-Briefe persönlich vorbei. Ron und Hermine waren noch immer Vertrauensschüler, während Harry froh war, diese Pflichten nicht zu haben.
»Professor, vielleicht sollten Ron und ich von unseren Ämtern zurücktreten«, schlug Hermine für alle im Raum überraschend vor, doch Dumbledore schien nur zu lächeln.
»Ich weiß, daß du besorgt bist, nicht genügend Zeit zum Lernen zu haben, doch denke ich wirklich, daß du dir nur ungern die Möglichkeit nehmen möchtest, Schulsprecherin zu werden. Schulsprecher haben, wie du mit Sicherheit weißt, einen eigenen Schlafbereich, was manchmal angenehme Vorteile mit sich bringt«, erwiderte Dumbledore und zwinkerte ihr zu.
Sofort errötete sie sichtlich und warf Harry einen merkwürdigen Blick zu, was diesen sofort veranlaßte, Dumbledore anzusehen. Noch im gleichen Augenblick hatte er plötzlich eine Vision, und ohne sich dagegen wehren zu können, sah er Hermines perfekte und nackte Brüste vor sich.
»Das muß dir nicht unangenehm sein. Ich selbst war schließlich auch einmal jung, selbst wenn es mir schon schrecklich lange herzusein scheint«, ergänzte Dumbledore, und Harry schreckte beinahe wie aus einer Trance hoch.
Sein Schulleiter lächelte jetzt noch breiter und aß weiter, während Hermine einige Zeit benötigte, um sich von diesem kurzen Gespräch zu erholen. Seitdem hatte Harry sie allerdings nie wieder davon reden hören, den Vertrauensschülerposten aufgeben zu wollen.
»Professor, wer wird denn der neue Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste?« fragte Ginny plötzlich. Erst jetzt bemerkte Harry die Erwähnung eines neuen Lehrers auch in seinem Brief.
»Ihr werdet ihn, wie auch alle übrigen Schüler, erst in Hogwarts kennenlernen. Zudem würde euch sein Name nichts sagen, da ihn niemand von euch kennt«, erwiderte Dumbledore lächelnd. Harry war von dieser Antwort ein wenig enttäuscht, doch wandte er sich dann der Bücherliste zu.
Nur eines von den Büchern kannten sie noch gar nicht, da sie die alten Bücher von Fred und George durchstöbert hatten, die diese ihnen dagelassen hatten. Trotzdem würden sie in die Winkelgasse reisen müssen, um für jeden ein Exemplar zu kaufen. Zudem brauchten sie auch noch jede Menge andere Sachen, und er wollte auch seine Schulden bei Hermine begleichen. Außerdem wollte er für sie auch ein schönes Geburtstagsgeschenk kaufen, um sich bei ihr für alles zu bedanken, was sie für ihn getan und geopfert hatte. Diesmal muß ich wirklich viel Geld holen, dachte er und rechnete zusammen, was er alles zu besorgen hatte und wieviel Geld er dafür benötigen würde.
Am Montag wollten sie schon früh los. Hermine hatte wieder einen Brief von Krum erhalten, der sie zu betrüben schien. Da allerdings keine Zeit mehr war, vor dem Besuch der Winkelgasse zu antworten, steckte Hermine ihn schnell in ihren Umhang, warf als erste das Flohpulver ins Feuer und verschwand in die Winkelgasse. Der Brief fiel ihr dabei aus der Tasche. Im hektischen Durcheinander wurde es nur von Harry bemerkt, der ihn vom Boden aufhob. Er rang mit sich selbst, ob er ihn lesen sollte, doch schließlich steckte er ihn in seinen Umhang. Ron verschwand im Kamin, danach Ginny und Arthur. Molly war die nächste, und nun standen nur noch Remus und Harry in der Küche. Remus nickte Harry zu; dieser nahm nun ebenfalls eine Prise Flohpulver, warf sie ins Feuer, trat hinterher, sprach seine Worte und trat einen Augenblick später aus dem Kamin in der Winkelgasse. Erstaunlicherweise war er diesmal nur wenig eingerußt, während Ron schrecklich aussah und von Molly erst einmal gereinigt werden mußte.
»Ich denke, wir gehen erstmal zu Gringotts«, schlug Arthur vor. Keine fünf Minuten später betraten sie die Zaubererbank, und wie bei jedem Besuch klappte Harry der Mund auf. Hermine wollte schon zum Schalter gehen, um ihr Geld zu wechseln, als Harry sie am Arm hielt.
»Du brauchst kein weiteres Geld. Ich schulde dir eine Menge«, sagte er und lächelte sie an. Sie schien immer noch ein wenig deprimiert, lächelte aber nun ebenfalls. Plötzlich fiel Harry ihr Brief wieder ein, und er holte ihn aus seinem Umhang.
»Den hast du verloren, bevor du im Kamin verschwunden bist.« Dabei reichte er ihn ihr. Ihr Gesicht wurde ein wenig härter.
»Hast du ihn gelesen?« fragte sie und starrte ihm in die Augen, bereit, jede Lüge zu entlarven.
»Ich ... wollte es tun ...«, gab er leise zu und sah sie noch fester an, »... und obwohl ich es vielleicht sollte, weil darin sicher nichts Gutes steht, über das du aber nicht mit mir reden willst, respektiere ich dich viel zu sehr, als daß ich das jemals tun würde!«
Er griff nach ihrer Hand, was sie erwiderte. Dabei kehrte für einen Moment das Lächeln zurück, so, als ob er überhaupt keine bessere Antwort hätte abliefern können, ehe sie ihn losließ.
»Wieviel schulde ich dir?« fragte Harry jetzt und lächelte sie warm an.
»Sagen wir, du bezahlst meine Schulbücher. Dürften so fünfzehn Galleonen sein. Und dann krieg ich noch ein Eis von dir.«
»Miss Hermine Granger, Sie können vielleicht versuchen, mich für blöd zu verkaufen, doch gelingen wird es Ihnen damit nicht. Ich schulde Ihnen sicher weit mehr als diese Summe. Das deckt wahrscheinlich nicht mal die Kosten für das Taxi.« Er sah, wie sie lächelte. Er überlegte einen Moment, ehe er weiter sprach: »Machen wir es einfach so, daß ich heute alles von dir bezahle. Und wehe, wenn du deshalb extra sparsam bist.« Spielerisch drohend hob er den Zeigefinger. Ron schien nur den letzten Teil gehört zu haben und zog sofort einen beleidigten Gesichtsausdruck, der Harry gar nicht entgehen konnte.
»Kommst du, Harry? Wir sind dran«, sagte Remus und zeigte auf die Tür, die in die Kellergewölbe führte.
»Warte hier, Hermine, und wehe, du wechselst dir Geld«, sagte er noch, bevor er schon mit Remus verschwand. Die schnelle Fahrt machte Harry richtig Spaß, und er fand es fast schade, daß sie kurze Zeit später schon an seinem Verlies ankamen.
»Sie haben den Schlüssel, Sir?« fragte der Kobold, und Harry reichte ihn hinüber.
»Wir haben Sirius' Vermögen dem deinen hinzugefügt«, sagte Remus plötzlich leise, als der Kobold das Verlies öffnete. Drin sah es fast aus wie immer, doch mehr Galleonen waren es schon. Gott sei Dank nicht so viel mehr, dachte Harry, dem das viele Geld mehr als unangenehm war, da er es nicht selbst verdient hatte. »Eigentlich sollte es komplett in dein zweites Verlies, doch es wurde einfach zu voll. Albus wird dir den Schlüssel geben, wenn du volljährig bist.«
»Welches zweite Verlies?«
»Laß dich überraschen!«
Bei dem Gedanken an das ganze Geld wurde Harry mulmig zumute, als er zwei kleine Beutel hervorholte und weit mehr einsteckte, als er es jemals getan hatte. Trotzdem sah das Verlies kaum leerer aus.
»Der Beutel ist magisch vergrößert, oder?« bemerkte Remus lächelnd, und Harry grinste. Er hatte sich den Spruch von Hermine geben lassen, die damit ihren Rucksack vergrößert hatte; Moody hatte die Beutel gleichzeitig durch einen Zauber leichter gemacht. Harry zog die Beutel zu und steckte beide in seinen Umhang.
Auch auf der Rückfahrt hatte Harry seinen Spaß, wohingegen Remus' Gesichtsfarbe ein wenig fahl wurde. Kaum waren sie wieder oben, bemerkte Harry, daß Arthur und Molly wohl noch unten waren und daß nur noch Hermine, Ginny und Ron oben standen. Er ging zu Ron und öffnete seinen Geldbeutel.
»Mach deine Tasche auf«, forderte er Ron auf, der ihn ungläubig ansah.
»Ich kann nichts annehmen«, erwiderte dieser und wurde rot.
»Ron, ich biete es dir nur einmal an. Ich hab' viel mehr, als ich je ausgeben könnte. Und wenn ich dich erinnern dürfte: deinen beiden Brüdern habe ich eintausend Galleonen geschenkt, und du willst fünfzig ablehnen, mit denen du deine Eltern auch mal auf ein Eis einladen könntest, weil sie dich jetzt schon so lange ertragen haben?« Ron errötete noch stärker, überlegte einige Sekunden, ehe er doch seine Tasche öffnete.
»Wenn ich je Geld verdiene, kriegst du alles wieder.«
»Jetzt du, Ginny«, sagte Harry, doch sie schüttelte energisch den Kopf.
»Dann möchtest du auf einen schönen Umhang verzichten?« Sie schüttelte erneut den Kopf.
»Sieh es als Verlobungsgeschenk für dich und Dean an.«
»Ich ging nie mit Dean. Hab' ich nur erzählt«, sagte sie und wurde rot.
»Mit wem dann?« fragte Ron, doch sie schüttelte nur den Kopf.
»Mit niemandem. Ich mag zwar einen ganz bestimmten Jungen, doch ist er sehr schüchtern, und es wird schwer, ihn dazu zu bewegen, mal mit mir reden.«
»Kennen wir ihn? Würde ich ihn hassen?« fragte Ron grimmig.
»Du kennst ihn, und hast ihn bisher gern, soweit ich weiß. Und wenn du ihn dann nicht mehr gern hast, dann kriegst du Ärger.« Dabei versuchte sie, noch grimmiger zu klingen als ihr Bruder.
»Los, Ginny«, drang Harry weiter. »Nimm die fünfzig, kauf dir einen schönen Umhang und mach ihn sprachlos. Dann fragst du ihn nach einer Verabredung, und er wird einfach nicken – sofern nicht ich das Ziel deiner Begierde bin.«
Ginny wurde ein wenig rot, doch dann sagte sie mit Nachdruck: »Harry Potter, du bist es nicht!«
Die Umstehenden mußten lächeln, was Harry aber nur aus den Augenwinkeln mitbekam, als er Ginny fünfzig Galleonen in die Tasche schaufelte. Kurze Zeit später kamen Molly und Arthur zurück, sahen aber nicht wirklich glücklich aus.
»Ich fürchte, dieses Jahr können wir uns keine großen Sprünge erlauben, obwohl Fred und George nicht mehr von uns ausgestattet werden müssen«, erklärte Molly, doch Harry hob die Hand.
»Molly, wenn du erlaubst. Ihr habt mich behandelt, als wäre ich euer Kind, und ich fühle mich inzwischen wirklich so. Wir sind eine Familie, und ich habe viel Geld, während ihr nur wenig habt. Mir bedeutet es viel, wenn ihr mir einfach erlauben würdet, euch diesen Beutel hier geben zu können. Es ist nicht viel, aber doch genug, so hoffe ich«, sagte er und holte einen der kleinen Beutel hervor, aus denen er schon Ron und Ginny Geld gegeben hatte.
Remus begann zu grinsen, wußte er doch, daß in dem verkleinerten Beutel sicher noch etwa fünftausend Galleonen enthalten waren und Harry so die Weasleys austricksen wollte. Molly und Arthur sahen sich einen Moment unsicher an, betrachteten die Größe des Beutels und entschieden, ihm diese vermeintlich kleine Freude nicht zu verwehren. Molly kam zu ihm und umarmte ihn.
»Das bleibt aber einmalig«, sagte sie leise, und Harry warf Arthur den Beutel zu, der ihn in den Umhang steckte, ohne hineinzusehen.
Beim Verlassen der Bank zwinkerten sich Remus und Harry zu. »Remus, Mad-Eye hat den Beutel leicht gemacht. Heb bitte den Zauber auf.«
Remus nahm seinen Zauberstab und tat es. Arthur ging plötzlich in die Knie. Molly blickte ihn erschrocken an und zückte sofort den Zauberstab, da sie wohl mit einem Angriff rechnete.
»Immer mit der Ruhe«, beschwichtigte Remus sie lachend. Harrys Gag schien ihm ausgesprochen gut zu gefallen.
»Was ist denn los?« fragte Molly ihren Mann und blickte zwischen ihm und Remus hin und her.
»Weiß nicht. Mein Umhang ist plötzlich so schwer.« Arthur tastete seinen Umhang ab und erkannte den Grund. »Es ist Harrys Beutel!« Er öffnete ihn und sah hinein. »Bei Merlin ...«, sagte er nur und starrte Harry an. »... das geht nicht.« Er zeigte den Beutelinhalt seiner Frau. Für einen Augenblick glaubte Harry, Molly würde in Ohnmacht fallen, ehe sie ihn grimmig anblickte.
»Harry James Potter. Das ist viel zuviel Geld! Das werden wir nicht annehmen«, sagte sie, und ihre Stimme duldete keinen Widerspruch.
»Findet euch damit ab. Falls ich sterbe, erbt ihr sowieso einen Teil meines Geldes!« erwiderte er nur. »Gehen wir zuerst neue Umhänge kaufen. Meine sind schon wieder zu klein, und Hermine, Ron und Ginny brauchen auch ein paar.« Dabei zog er Ron an der Schulter aus der Bank. Arthur nahm den Geldbeutel und steckte ihn wieder in den Umhang. Er flüsterte etwas mit Remus, und dieser wurde wieder ernster.
Kaum waren sie bei Madam Malkins Anzüge für alle Gelegenheiten angekommen, warfen Ginny und Ron ihren Eltern einen fragenden Blick zu. Als diese stumm nickten, stürmten beide in die Abteilung für die nagelneuen Umhänge und wurden schnell fündig. Harry suchte sich vier neue aus, und auch Hermine fand schnell ein paar neue Kleidungsstücke. Danach kaufte er auch noch ein paar neue Hosen, Socken, Pullover und T-Shirts. Anschließend ging er zu Madam Malkin.
»Würden sie für Mr. Lupin bitte zwei überaus hochwertige Umhänge hinzulegen lassen, am besten mit einem Instandsetzungszauber versehen, und sie mit auf meine Rechnung setzen. Ich bezahle heute auch alles in bar«, wandte er sich leise an die Inhaberin, so daß Remus es nicht hören konnte, und stellte seinen kleinen Beutel auf den Tisch.
Sie musterte erst Remus einen Augenblick, während sie wohl seine genauen Maße abschätzte, und dann den Beutel, der ihr wohl auch zu klein erschien. Dann musterte sie kurz Harry und verschwand mit einem »Kein Problem, Mr. Potter«, um die Umhänge für Remus zu holen.
Als Harry die Rechnung sah, schluckte er zwar kurz, da sie einen vierstelligen Betrag aufwies, doch irgendwie war es ihm auch recht, einmal etwas mehr auszugeben, wo er sich doch sonst meist ziemlich zurückgehalten hatte.
Anschließend besuchten alle Fred und Georges neuen Scherzartikelladen, und Harry staunte nicht schlecht, als er die Auswahl betrachtete.
»Noch nicht so gut besucht, wie er mal sollte«, sagte Fred, doch Harry fand den Anfang schon sehr vielversprechend, da gerade ein paar weitere Hogwartsschüler eintraten, die sich staunend umblickten.
»Wird schon werden«, meinte Harry und musterte kleine Lutscher, die mit allen möglichen Verwandlungszaubern belegt waren.
»Wir haben unserem Teilhaber ...«, begann Fred, »... natürlich kostenlos ...«, ergänzte George, » .. eine Auswahl zusammengestellt«, schloß Fred und holte eine große Tüte hinter der Theke vor. »Für Ron, Ginny und Hermine ist sicher auch genug drin.« Dabei zwinkerten sie Harry zu.
»Das ist nicht nötig gewesen, daß ihr mich zum Teilhaber macht. Aber wenn es wirklich so sein soll, werde ich akzeptieren. Ich erhalte als stiller Teilhaber zwanzig Prozent vom Gewinn und decke fünfzig Prozent möglicher Verluste in jedem Jahr, über die ihr mich bitte genauestens informiert. Zusätzlich akzeptiert ihr zwei weitere Bedingungen, die ich erst nenne, wenn ihr einverstanden seid.«
»Wir sind ...«, begann George, » ...einverstanden«, vollendete Fred, nachdem die beiden für einen Moment angesehen hatten und wohl keine Bedenken wegen der Bedingungen sahen.
»Dann nenne ich jetzt meine Bedingungen. Erstens, gebt ihr mir die Möglichkeit hier zu arbeiten, wann und solange ich will. Zweitens akzeptiert ihr weitere tausend Galleonen, um den Laden auszubauen und den nebenan gleich mitzumieten. Da hängt ein Schild im Fenster, wie ihr sicher schon bemerkt habt.«
Fred und George sahen sich kurz an und schienen erst ablehnen zu wollen, akzeptierten aber schließlich doch. Harry stellte seinen vollen Beutel auf die Theke, und Fred verschwand damit im Hinterzimmer, um sich die tausend Galleonen herauszunehmen, ohne daß es jemand hätte bemerken können.
Eine halbe Stunde später verließen sie den Laden der Weasley-Zwillinge und gingen zu Flourish & Blotts, um sich die benötigten neuen Bücher zu kaufen. Hier wollte Harry auch Hermines Geschenk besorgen. Leider hatten sie das Buch, an dem er sehr interessiert war, nicht dort vorrätig, sondern nur in der Filiale in Arabien, würden jedoch eine Sondereilbestellung auslösen, damit es noch vor Hermines Geburtstag bei ihm eintreffen würde. Obwohl dieses Buch überaus teuer war – als niemand hinsah, zahlte er knapp über neunhundert Galleonen dafür –, war es ihm Hermine wert. Anschließend gingen sie in die Apotheke und füllten ihre Vorräte an Zaubertrankzutaten auf, die sie während ihrer Ferienübungen beinahe komplett verbraucht hatten. Wieder verließ eine nicht unerhebliche Menge Galleonen seinen Geldbeutel, und auch Arthur und Molly schienen jetzt keine Hemmungen mehr zu haben, Harrys Geld für die benötigten Einkäufe auszugeben, was er erfreut registrierte.
Sie sahen noch auf einen kurzen Sprung bei Qualität für Quidditch vorbei, wo es zu Harrys Enttäuschung keinen neuen Superbesen gab. Der Feuerblitz war noch immer das neueste und beste Modell, doch war er jetzt in einer speziell limitierten Auflage erschienen, bei dem die einzige Besonderheit darin lag, daß weltweit nur zehn Exemplare hergestellt worden waren, die ein besonders edles Design aufwiesen und obendrein von ihrem Erbauer handsigniert waren. Ron kaufte sich ein Besenpflegeset und Harry neue verbesserte Handschuhe, die mehr Haftung aufweisen sollten.
Noch einigen weiteren kleineren Einkäufen stand am Nachmittag auch endlich der ersehnte Besuch von Florean Fortescues Eissalon auf der Tagesordnung. Ron und Ginny setzten tatsächlich Harrys Idee um und luden ihre Eltern zu einem riesigen Eis ein, wovon diese absolut überrascht und begeistert waren. Das Eis war absolute Weltklasse und stellte den krönenden Abschluß eines anstrengenden Einkaufstages dar.
Als sie schließlich wieder im Grimmauldplatz eintrafen und ihre Einkäufe verstaut hatten, setzten sich Harry und die anderen sofort hin, um weiter zu lernen. Selbst Ron schien plötzlich wieder richtig Lust zu haben, was Harry am allerwenigsten erwartet hatte.
Am Abend, als sich Ron schon schlafen gelegt hatte, verpackte Harry die beiden Umhänge für Remus und brachte sie zu Molly herunter. Sie sollte sie für ihn aufbewahren, um sie Remus an dessen Geburtstag auszuhändigen. Molly war gerührt über diese Idee, was er an ihren feuchten Augen erkannte, und verbot Harry sofort, ihr oder Arthur jemals wieder etwas zu schenken. Arthur hatte nämlich inzwischen das Geld gezählt und war kurz zuvor mit einem Gesicht, so rot wie seine Haare, zu seiner Frau geeilt und hatte ihr davon berichtet.
Immer näher rückte nun der achtundzwanzigste August und damit der Besuch am Grab von Sirius. Obwohl sich Harry nicht wirklich darauf freute, kam er doch ziemlich gut damit klar. Er lenkte sich mit Lernen ab, und in den Pausen sprach er mit Hermine über seine Ängste und Sorgen, während Ron meist einfach nur in der Nähe saß und zuhörte.
Am Vorabend des Achtundzwanzigsten erschien Dumbledore noch einmal kurz, um mit Harry zu sprechen. »Ihr werdet mit dem DA-Training fortfahren«, begann er und lächelte weise.
»Professor, sind Sie sicher, daß das nötig wird. Ich meine, wir haben das doch nur wegen der Umbridge gemacht ... wir kriegen doch jetzt einen tauglichen Lehrer, oder?«
»Euer neuer Lehrer ist sogar überaus tauglich, und ich bin wirklich untröstlich, daß er nicht schon im letzten Jahr zur Verfügung stand, doch haben ihn leider private Verpflichtungen davon abgehalten.«
»Nun gut, Professor! Wenn Sie sich dessen sicher sind, dann werden wir es machen.«
»Ihr solltet euch am besten schon eine Strategie zurechtlegen, mit der ihr den größtmöglichen Erfolg erzielen könnt. Zudem ist der Raum der Wünsche nun nicht mehr im siebten Stock, sondern im vierten, da er ja nun auch dem ehemaligen Inquisitionskommando von Professor Umbridge bekannt war; auch wenn das nun erst einmal keine wirkliche Bedrohung mehr darstellt.«
Dumbledore unterstrich seine Worte mit einem typischen Augenzwinkern. Harry war sich unsicher, wie es dem Schulleiter gelungen war, einen Raum zu verlegen, fand das aber sehr sinnvoll. »Sicher eine gute Vorsichtsmaßnahme.«
»Wir werden später in Hogwarts noch ausführlicher darüber reden können. Jetzt aber noch eine eher unangenehme Nachricht für dich: du wirst mit Professor Snape deinen Okklumentikunterricht wieder aufnehmen, und diesmal erwarte ich eine größere Ernsthaftigkeit und auch mehr Erfolg von dir.«
Harry wurde ein wenig zornig. Erst hatte Dumbledore zugegeben, daß es ein Fehler gewesen war, ihn von Snape unterrichten zu lassen, und dann diese Nachricht. Harry wollte wirklich protestieren. »Professor. Ich habe seit etlichen Wochen keine Narbenschmerzen mehr, bis auf die eine Nacht zumindest, noch bei Hermine zu Hause, und auch in letzter Zeit keine Alpträume mehr«, sagte er und blickte verstohlen zu Ron und Hermine, die in der Ecke der Küche arbeiteten. Er fühlte sich schuldig, es ihnen nicht gesagt zu haben, doch beide reagierten nur unmerklich. Harry wußte, daß sie warten würden, bis Dumbledore wieder gegangen war.
»Es ist unbedingt erforderlich. Voldemort verhält sich im Augenblick sehr ruhig, doch bündelt er nur neue Kräfte um sich. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, und wir sollten uns schon jetzt für den Sturm wappnen. Er wird kommen, Harry! Bitte vertraue mir, auch wenn ich dich im letzten Jahr enttäuscht habe.« Das Lächeln war aus dem Gesicht des alten Mannes verschwunden, es sah jetzt vielmehr überaus ernst und bedrückt aus.
»Wenn ich das für das beste halten«, preßte hervor, schien aber nicht so recht daran glauben zu wollen.
»In der Tat, das tue ich! Ich werde keine dich betreffende Entscheidung mehr leichtfertig fällen, sondern versuchen, auch auf deine Gefühle mehr Rücksicht zu nehmen«, beschied Dumbledore und verabschiedete sich.
Kaum war er verschwunden, kam Hermine aufgeregt auf ihn zu: »Wann hat deine Narbe geschmerzt, das habe ich nicht gemerkt.«
Harry konnte Rons merkwürdigen Blick sehen, doch wollte er darauf nicht stärker eingehen. »Es war nicht so schlimm, wirklich. Deshalb konntest du es nicht mitbekommen. Ich hab' ja nicht rumgebrüllt, so daß du mich in deinem Zimmer auch gar nicht hören konntest.« Dabei warf er ihr einen Blick zu, doch in Rons Gegenwart ein wenig diskreter zu sein. Sie verstand sofort, was er meinte, und hakte nicht weiter nach.
Die Schlafenszeit rückte näher und damit für Harry die Gewißheit, bald am Grab seines Paten zu stehen. Diese Tatsache beschäftigte ihn nun doch so stark, daß er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte, und er war froh, als Hermine das Lernen an diesem Tag für beendet erklärte.
Später im Bett erging es ihm nicht viel besser. Während Ron längst tief und fest schlief, lag er mit offenen Augen da, und ein gelegentlicher Blick auf die Uhr offenbarte ihm, wie die Stunden langsam verrannen. Wäre Seidenschnabel noch im Grimmauldplatz gewesen, hätte er ihm einen Besuch abgestattet, um sich ein bißchen abzulenken. Leider war er nach Sirius' Tod von Charlie Weasley nach Rumänien gebracht worden, da er sich eingesperrt in einem Haus niemals wohl gefühlt hatte.
Trotzdem stand Harry schließlich auf, verließ das Zimmer und stromerte leise durch das alte Anwesen, welches sich seit seinem letzten Besuch wahrlich verändert hatte. Irgendwie schien er es bisher nicht wirklich bemerkt zu haben, oder auch nur unterbewußt ignoriert, aber inzwischen fand er es dort richtig schön. Wahrscheinlich war es für ihn leichter, diesen Ort als unerträglich in Erinnerung zu behalten, weil Sirius dann einen besseren Grund gehabt hätte, ihn in der Mysteriumsabteilung zu retten, nämlich auch, um diese Gemäuer zu verlassen.
Harry sah sich in dieser Nacht das ganze Haus genau an und mußte anerkennen, daß Molly gute Arbeit geleistet hatte. Es war eine freundliche Behausung, die einem das Gefühl gab, hier absolut sicher sein zu können.
Auf dem Rückweg kam er auch am Mädchenzimmer vorbei und hörte von drinnen ein Geräusch. Überrascht blieb er stehen und wartete einen Augenblick, als plötzlich die Tür aufging und Hermine vor ihm stand. Sie hatte Schreibzeug dabei und schien im Begriffe zu sein, einen Brief zu schreiben. Um vier Uhr nachts, dachte er, was soll das denn?
»Was machst du hier?« fragte sie mißtrauisch, nachdem sie sich vom kurzen Schreck erholt hatte. Lautlos schlüpfte sie aus dem Raum und zog die Tür lautlos zu.
»Ich konnte nicht schlafen ... aber was machst du hier?«
Sie gab ihm einen Wink, ihr zu folgen. Kurze Zeit später waren sie in der Küche, Hermine legte ihre Sachen auf den Tisch und machte Licht.
»Ich muß noch lernen«, sagte sie, doch wurde sie sofort rot, was nur bedeuten konnte, daß sie log.
»Was machst du wirklich?« Harry blickte sie ruhig an, bis sie beschämt wegsah.
»Ich ... muß ... einen Brief«, stotterte sie, während sich Harry setzte.
»Warum schreibst du ihn nachts?«
»Ich glaube, daß ich dafür lange brauchen werde, und ich wollte nicht, daß es einer mitbekommt.« Sie blickte ihn wieder ängstlich an. Harrys Blick wanderte tiefer. Sie trug nur ein atemberaubend dünnes Nachthemd, und er glaubte mehr von ihr zu erahnen, als ihm selbst recht war. Vorher war es ihm nicht bewußt geworden, aber sie sah noch schöner aus als im Hause ihrer Eltern, als er für einen Augenblick ihre perfekten Brüste gesehen hatte. Plötzlich verschränkte sie langsam ihre Arme vor der Brust und als er ihr daraufhin in ihr errötetes Gesicht sah, wurde ihm peinlich bewußt, daß er sie gerade angestarrt hatte.
»Ich wollte nicht ... es tut mir leid«, stammelte er und sprang auf. Er verließ die Küche, ohne sich umzudrehen, und war so schnell wieder in seinem Bett, wie es seine müden Beine zuließen.
Am nächsten Morgen schwebte der Zwischenfall merklich zwischen ihnen. Zuerst fiel ihm auf, daß sie einen hochgeschlossenen Pullover trug und nicht ein T-Shirt wie in den Tagen zuvor. Auch ihr Verhalten, während sie mit ihm sprach, war von Zurückhaltung geprägt. Jedesmal, wenn er sie länger ansah und sie es bemerkte, zuckte sie zusammen und sah verschämt in eine andere Richtung. Ihr ganzes Verhalten erschien Harry höchst seltsam und konnte eigentlich nur bedeuten, daß sie entschieden hatte, daß es zwischen ihnen niemals mehr als Freundschaft geben sollte. Irgendwie war er darüber traurig, andererseits auch ein wenig erleichtert, daß er diese Entscheidung nicht selbst hatte treffen müssen.
Den ganzen Tag über blieb eine seltsame Anspannung zwischen ihnen und war dem Lernerfolg nicht gerade zuträglich. Der Abend rückte näher, und Remus hatte den Portschlüssel schon in der Küche deponiert. Sie würden um neunzehn Uhr hinreisen und um zwanzig Uhr zurück, damit Harry genug Zeit hatte, sich zu verabschieden. Mit jeder Minute wurde er sich unsicherer, ob Hermine weiterhin mitkommen wollte. Natürlich konnte er noch immer Ron bitten mitzukommen, doch fand er es irgendwie blöd, ihn erst zu bitten, ihn nicht zu begleiten, und ihn später zu bitten, es doch noch zu tun.
Kurz vor sieben kam Remus in die Küche, wo Harry bereit saß und zweifelte, ob er es wirklich tun wollte. Er wollte sich schon von Sirius verabschieden, doch war er unsicher, ob es überhaupt möglich war, wo doch kein Leichnam im Sarg liegen konnte. Hermine räumte gerade ihre Sachen zusammen, während Ron Vorbereitungen für einen Zaubertrank traf, an dem er schon zweimal gescheitert war und den er, während sie fort waren, noch einmal versuchen wollte.
Remus gab jetzt das Signal und nahm den Portschlüssel. Es war ein alter Kochtopf, und er streckte ihn in Hermines Richtung, während Harry von seinem Stuhl aufsprang und dazukam. Sofort spürte er das Ziehen, sah den Strudel und fand sich unvermittelt auf einem kleinen Friedhof wieder.
Es war noch immer hell, und er konnte sich gut umsehen. Vielleicht zwei- oder dreihundert Gräber gab es hier, und der Friedhof war von drei Seiten durch einen Wald eingerahmt. Zur Front hin, wo sich auch der Eingang befand, stand ein kleineres Häuschen, das bewohnt zu sein schien. Langsam streifte Harrys Blick über die Gräber auf der Suche nach dem seines Paten, doch konnte er es nicht entdecken.
»Wo ist es?« fragte er leise und blickte Remus ein wenig hilflos an.
»Dort drüben, nah am Wald«, antwortete dieser und wies nach links. Schweigend gingen sie hinüber, Remus voraus, bis dieser stehenblieb und stumm auf ein Grab deutete. Langsamen Schrittes ging er an Remus vorbei, der sich umdrehte und zu einer kleinen Bank schritt, die nicht weit entfernt war.
Harry blickte nach vorn und fühlte sein Herz pochen. Hermine, die hinter ihm lief, griff seine Hand, und ihre Finger hakten sich in die seinen. Leicht erschrocken drehte er sich um, doch ihr Gesichtsausdruck, der dem eines Engels gleichen mußte, gab ihm Kraft. Eine Kraft, die er immer dringender benötigte, jetzt, wo er nur noch wenige Schritte davon entfernt war. Da war es. Es stand nicht viel auf dem Grabstein, doch Harry erschien es perfekt. »Sirius, ein Rumtreiber, ein Freund, ein Pate« stand darauf. Er sackte in die Knie.
Hermine hielt die ganze Zeit seine Hand und setzte sich im Schneidersitz neben ihn, einfach auf den Boden. Mit feuchten Augen blickte er sie an, doch sie lächelte nur. Langsam sah er auf das noch frische Grab, fand es im ersten Moment etwas kahl, doch war er im nächsten Moment so seltsam sicher, daß Sirius es so gewollt hätte. Seine Gedanken schweiften wieder zu dem Moment, als er Sirius fallen sah. Bei dem Gedanken daran fühlte er, wie eine Träne seine Wange herablief und von seinem Kinn auf sein T-Shirt tropfte, wo sie eine winzige feuchte Stelle hinterließ.
Das nächste, was Harry bewußt wahrnahm, war ein Arm, der sich um seine Hüfte schlang, und daß er plötzlich eine rechte statt einer linken Hand in der seinen hielt. Ein haariger Kopf war an seine Schulter gelehnt, und dieses unglaublich warme Gefühl, das von dieser Person neben ihm ausging, schaffte es tatsächlich, langsam, aber doch stetig, die Kälte aus seinem Inneren zu vertreiben, die ihn befallen hatte, seit er hier niedergekniet war. Weder er noch Hermine fühlten das Verlangen, die Stille mit einem einzigem Laut zu durchbrechen, und Harry war so unglaublich glücklich, mit ihr hierzusein und nicht mit Ron. Mühsam rappelte er sich eine Ewigkeit später auf und fiel Hermine dankbar um den Hals. Sie schwitzte leicht, was an der Sonne und ihrem Pullover lag, doch war es beiden in diesem Moment egal. Er bemerkte die kleinen Perlen auf ihrer Stirn, als er ihr tief in die Augen blickte, und spürte sie auf der seinen, als er seinen Kopf an den ihren legte. Langsam gingen sie zu Remus, der auf einer Bank saß und mit geschlossenen Augen in die Sonne blickte, die sich anschickte, gleich hinter den Baumwipfeln des Waldes zu verschwinden.
»Wieviel Zeit haben wir noch?«, erkundigte sich Harry, der noch immer Hermines Hand hielt.
»Zehn Minuten. Setzt euch doch.« Remus rutschte ein Stück nach rechts und bot ihnen Platz an.
»Was liegt im Sarg?«, fragte Harry leise, während er sich zögerlich mit Hermine hinsetzte.
»Jeder seiner Freunde hat einen Gegenstand, der einmal ihm gehörte, hineingelegt«, antwortete Remus mit geschlossenen Augen.
Harrys Herz wurde wieder kälter. Er wünschte, er wäre hiergewesen und hätte es auch tun können. Hermine bemerkte es und streichelte sanft seine Hand.
»Von dir ist auch etwas drin. Die Beerdigung war einen Tag nach meinem Besuch bei dir. Der Spiegel, erinnerst du dich? Ich habe ihn zufällig in deinem Mülleimer gesehen und mitgenommen.« Diese Worte zauberten ein Lächeln auf Hermines Gesicht, dem auch Harry sich nicht entziehen konnte.
»Ich danke dir Remus; dafür, daß du ein guter Freund warst und mich nicht aufgegeben hast, dafür, daß du mir diesen Abschied ermöglichst. Auch dir danke, Hermine! Dafür, daß du heute hier warst, obwohl es den ganzen Tag so wirkte, als würdest du es nicht mehr wollen.«
Hermine kam langsam mit ihrem Kopf an sein Ohr und flüsterte so leise, daß er es kaum verstehen konnte, daß sie ihm ihr Verhalten erklären würde, sobald sie wieder alleine wären.
Einige Minuten später waren sie in die Kühe zurückgekehrt, wo sie Ron erschreckten, der gerade zusammen mit Ginny hochkonzentriert an seinem Trank braute. Ohne viele Worte zu verlieren, verschwand Harry nach oben. Tatsächlich war er jetzt ziemlich müde und überlegte, ein Nickerchen zu machen. Er ging in sein Schlafzimmer und setzte sich auf sein Bett. Laut gähnend dachte er an Sirius, und wieder fühlte er ein Gefühl der Leere in sich, die Hermine in dem Moment ausfüllte, als sie den Raum betrat. Sie hatte sich umgezogen und trug statt des Pullovers wieder nur ein T-Shirt, unter dem sich leicht die Konturen ihres BH abzeichneten.
»War es dir zu warm?«
Sie nickte, während sie näherkam und sich neben ihn setzte.
»Ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig.«
»Bist du nicht. Wenn du nur Freundschaft willst, werde ich das zu akzeptieren lernen, zumal ich ja noch immer nicht weiß, was ich selbst gern möchte.« Dabei blickte er sie lächelnd an, aber dieses Lächeln schien ihn unglaubliche Überwindung zu kosten.
»Du hast es falsch verstanden. Ich ... als du mich ... angestarrt hast ... heute morgen, da ... wollte ich nicht ... daß du ... auf dem Friedhof genauso handelst und dich nicht auf Sirius konzentrieren ... dich nicht richtig von ihm verabschieden kannst.«
»Hat funktioniert. Habe die Hoffnung schon aufgegeben, dir je näherzukommen«, flüsterte er und fand seine Hand in der von Hermine wieder.
»Ich kann noch nicht sagen, was passiert. Bitte hab Geduld mit mir«, flüsterte sie fast unhörbar leise zurück, doch er verstand. Es würde vorerst alles beim alten bleiben, doch das war mehr, als er noch zehn Minuten zuvor geglaubt hatte.
Die letzten Tage der Ferien vergingen so schnell, daß Harry schwindlig wurde. Die vier hatten so viel Unterrichtsstoff wiederholt und so hart gearbeitet, daß er es nur schwer glauben konnte. Hermine hatte ihnen eine Übersicht zusammengestellt, und selbst sie war erstaunt, wieviel sie geschafft hatten, auch wenn sie sich teilweise dafür ein wenig quälen mußten. Inzwischen hatte Hermine auch wieder einen Brief von Krum bekommen und schien wegen des Inhalts leicht besorgt zu sein. Da sie sich noch immer nicht dazu äußerte, blieben Harry nur Spekulationen darüber, was sie sich wohl in ihren Briefen schrieben, das ihr Verhalten und ihre Stimmung erklären könnte. Nur Ginny wußte anscheinend etwas, aber es war leider nichts aus ihr herauszubekommen, obwohl Harry in den beiden letzten Tagen mehr als einmal probiert hatte, ihr etwas zu entlocken.
Am Vorabend der Zugreise nach Hogwarts begannen alle zu packen, und anschließend spielte Harry mit Hermine noch eine Runde Schach mit einem improvisierten und selbstgebauten Schachspiel, während Ginny mit Ron Zaubererschach spielte.
Die Küchentür schwang auf, und Remus erschien im Raum. »Hermine, ich würde dich gern um einen Gefallen bitten.«
Diese sah ihn neugierig an. »Klar. Worum geht's?«
»Kann ich mir Krummbein für eine unbestimmte Zeit ausleihen. Ich meine, ich weiß, er ist im Moment bei Professor McGonagall und du vermißt ihn sicher schrecklich, doch ich muß allein auf eine größere Reise und würde ihn gerne als meinen Begleiter mitnehmen.«
Für Harry kam diese Frage völlig überraschend und er wußte, daß sie ihn schrecklich vermissen würde. Hermine schien auch zu zögern, doch schließlich wurde sie weich und erklärte sich einverstanden.
»Vielen Dank, ich weiß das sehr zu schätzen«, erwiderte Remus und verließ den Raum. Dabei wehte der Lumpen, den Remus als Umhang benutzte, hinter ihm her, und Harry freute sich sehr darauf, ihn nach seinem Geburtstag im nächsten Monat endlich in einem seiner neuen Umhänge zu sehen.
Das Schachspiel zwischen Hermine und ihm blieb unvollendet, da Molly sie um halb elf ins Bett jagte, doch hatte sie ihn am Rande der Niederlage, was sie ihm auf der Treppe grinsend ins Gesicht rieb. Oben lag er noch für einige Zeit wach und dachte über den Sommer nach. Zu Beginn der Ferien war er sich nicht sicher gewesen, ihn überhaupt überstehen zu können, und nun war alles fast wieder beim alten und eigentlich noch viel schöner. Er fühlte sich gut und war zufrieden wie selten.
