Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem Plot. Alle originalen Charaktere und Schauplätze die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.

Kapitel 3 - Hogwarts

Am nächsten Morgen erwachte Harry ausgeruht und gut gelaunt und nahm erst einmal ein letztes ausgiebiges Frühstück zu sich. Inzwischen fragte er sich wirklich, warum er es damals strikt abgelehnt hatte, mit Remus hierherzukommen, wo es ihm hier doch so gut ergangen war. Während er mit den anderen lachte und scherzte, traf nach und nach auch der restliche Geleitschutz ein. Wieder waren Mad-Eye, Tonks, Mundungus, Molly, Arthur und Remus für ihre Sicherheit zuständig und würden sie zum Bahnhof begleiten. Die Koffer wurden nach unten gebracht, und gegen neun Uhr verließen sie schließlich das Haus, liefen einen halben Kilometer durch die Straßen, um in zwei vom Ministerium gestellten Fahrzeugen zum Bahnhof King's Cross zu fahren.

Bevor sie zum Gleis neundreiviertel konnten - sie waren noch sehr früh dran, war es doch noch nicht einmal zehn Uhr -, trafen sie am Bahnhof schon auf Neville, Luna, Zacharias Smith und Cho, die zusammenstanden und sich über die DA unterhielten. Man trennte sich kurz von den Erwachsenen und ging zu Neville und den anderen. Während er sich der Gruppe näherte, musterte Harry Cho von Kopf bis Fuß, und er mußte sich eingestehen, daß sie ihn noch immer körperlich anzog. Als er ihr jedoch kurz in die Augen blickte, reichte allein dieser Moment aus, um ihm klarzumachen, daß er nicht mehr das geringste für sie empfand, was über eine mögliche Freundschaft hinausging. Er war sich nicht sicher, ob es ihr genauso ging; aber die Blicke, die sie ihm zuwarf, ließen beinahe vermuten, daß sie noch etwas für ihn empfand – vielleicht mehr als je zuvor.

Sie sprachen leise über die DA, darauf bedacht, daß sie nicht belauscht werden konnten, und vereinbarten, sich bereits während der Zugfahrt in den hinteren Waggons zu einem ersten Treffen zu versammeln. Während des Gesprächs sah er Ginny einen merkwürdigen Blick auf Neville werfen und konnte sich jetzt sehr gut vorstellen, wen sie mit dem schüchternen Jungen gemeint hatte. Andererseits machte Neville einen eindeutig selbstbewußteren Eindruck als vor den Ferien. Vielleicht war für ihn die Nacht im Ministerium das Schlüsselerlebnis gewesen, das er gebraucht hatte, um der Zauberer zu werden, der er immer hatte sein sollen.

Dagegen hatte Luna fast nur Augen für Ron und sah ihn beinahe ununterbrochen mit dem gleichen verträumten Gesichtsausdruck an, den sie schon im ganzen letzten Jahr gezeigt hatte und der so typisch für sie war. Wenn sie hingegen einen der anderen ansah, wirkte sie viel wacher als früher und sah gar nicht mehr aus wie die Luna die er kannte. Während sich Harry noch fragte, warum sie ihm so verändert erschien, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. Im Sommer mußte sie einen kleinen Wachstumsschub bekommen haben, war sie nun doch fast so groß wie er; vor allem aber hatte ihre Oberweite zugelegt, wie Harry mit leicht verschämten Seitenblicken feststellen konnte. Ihr gesamtes Erscheinungsbild hatte sich deutlich geändert: sie trug nun kleine dezente Ohrringe und hatte auch sehr gepflegte, seidig glänzende und deutlich kürzere blonde Haare, die zu einem einfachen Pferdeschwanz nach hinten gebunden waren, während ihr einige wenige Strähnen ins Gesicht fielen. Statt des sonderbaren Halsbandes aus Butterbierkorken trug sie eine normale Kette mit einem kleinen Anhänger, den Harry aber nicht genau erkennen konnte. Ihre Augen wirkten zwar noch immer ein wenig groß, doch längst nicht mehr so dominant wie beim letzten Mal, als er sie gesehen hatte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen trug sie kein Make up, was aber keinesfalls zu ihrem Nachteil war und was sie mit Hermine gemeinsam hatte, wie er lächelnd feststellte. Man könnte sagen, sie ist hübsch, aber vielleicht würde eher süß zutreffen, dachte er bei sich und bemerkte, daß auch Ron diese Veränderung nicht entgangen zu sein schien, wie er an dessen erstaunten Blicken erkannte.

»Hörst du noch zu?« stupste Hermine ihn plötzlich von der Seite an. Er nickte leicht erschrocken. »Dann besetzen wir den letzten Waggon, und ihr informiert die anderen.« Erneut nickte er.

Neville, Luna, Cho und Zacharias schlüpften nun hinter die Barriere, während die anderen zu den Erwachsenen zurückkehrten und mit ihnen in Zweiergruppen ebenfalls in der Absperrung zwischen Gleis neun und zehn verschwanden. Nur Tonks, Mundungus und Mad-Eye waren zurückgeblieben, um den Bahnhof weiter im Auge zu behalten.

Der Bahnsteig war schon belebt, doch noch immer war der Hogwarts-Expreß ziemlich leer. Als erstes schickte er Ron und Ginny los, um zu klären, ob der letzte Waggon frei war. Kurze Zeit später tauchte Ron an einem der Fenster auf und nickte ihnen zu, woraufhin auch Harry und Hermine mit ihren Sachen und Hedwig den Zug bestiegen. Tatsächlich waren die meisten Abteile noch leer, und sie entschieden sich für das letzte im hintersten Waggon.

Nacheinander fanden sich die DA-Mitglieder bei ihnen ein, zuerst Parvati und Neville und einige andere. Erfreut sah er auch etliche Schüler, die im letzten Jahr noch nicht dabeigewesen waren und offensichtlich in diesem Jahr mitmachen wollten. Auch sie bat Harry in den letzten Waggon, um sie von allen anderen und vor allem von den Slytherin-Schülern zu trennen, damit das Treffen ungestört stattfinden konnte.

Noch einmal verließ Harry mit Hermine kurz den Zug und sah Draco Malfoy kommen, mit dem Abzeichen eines Vertrauensschülers auf der Brust. Mit Genugtuung nahm Harry zur Kenntnis, daß er allein war und von seinen Eltern weit und breit keine Spur war.

»Potter und sein wertloses Schlammblut«, fauchte Malfoy und starrte ziemlich unverhüllt auf Hermines Brust. Innerlich begann Harry zu kochen, doch versuchte er keine Miene zu verziehen. Natürlich wollte Malfoy ihn auf die Palme bringen und ihn damit zu unerlaubten Handlungen provozieren, doch so leicht wollte er es ihm nicht machen. Ein kurzer Blick auf Hermine zeigte ihm, daß sie verletzt war, aber sich ebenfalls bemühte, eine ungerührte Miene aufzusetzen. Unbewußt hatte sie ihre Arme vor der Brust verschränkt, doch hielt dies Malfoy nicht davon ab, weiter dort hinzustarren.

»Draco Malfoy und sein Vater Luc... Ach nein, wie dumm von mir. Draco Malfoy ganz allein, sein Vater ist ja in Askaban«, sagte Harry mit überlegter Ruhe.

»Wie kannst du es wagen … gnade dir Gott, wenn er da rauskommt«, zischte Malfoy, während Crabbe und Goyle aus dem nichts auftauchten. Die beiden blickten nicht so herausfordernd wie früher, sondern schienen fast ein wenig verängstigt zu sein. »Da seid ihr ja endlich. Nie seid ihr da, wenn man es Potter und seinem geilen Schlammblut zeigen will«, fauchte er wütend in ihre Richtung, und beide zuckten zusammen, genau wie es Hermine getan hatte.

Crabbe wollte sich entschuldigen, doch Draco schnitt ihm das Wort ab. »Schnauze! Rein in den Zug. Sichert mir ein Abteil, und nehmt mein Gepäck mit ... ihr Idioten.« Crabbe und Goyle nahmen Malfoys Gepäck und stiegen in den Zug. »Hast dich gut entwickelt, Granger«, zischte er, wieder zu Hermine gewandt, während er schamlos auf ihre Brust starrte. »Schade, daß du ... hätte nett mit dir sein können.«

»Dann kann ich ja froh sein, ein Schlammblut zu sein, wenn mir das eine Mißgeburt wie dich vom Leibe hält«, schrie Hermine nun fast und schien kurz davor, Malfoy an die Kehle zu springen. Dieser wich überrascht zurück und trollte sich wortlos von dannen, während einige der Umstehenden erschrocken zu ihnen herüberblickten.

»Dieses widerliche...«, schniefte sie so leise, daß nur Harry es hören konnte und bekam feuchte Augen.

Sofort griff er ihre Hand und drückte sie ganz fest. »Laß dich nicht ärgern. Komm, laß uns zu den anderen gehen und uns von Molly und Remus und Arthur verabschieden.« Während er ihr diese Worte ins Ohr flüsterte, schob er sanft ihr Kinn hoch. Ihre Augen sahen wieder normal aus, und sie lächelte kurz. Wie gern würde ich sie küssen, dachte er, doch unterdrückte er diesen Drang. Vorher mußten einfach noch zu viele Fragen geklärt werden, bevor er überhaupt an so etwas denken durfte.

Harry saß im letzten Abteil zusammen mit Hermine, Ron, Luna, Neville und Ginny, als sich der Zug stampfend in Bewegung setzte. Hermine blieb allerdings nicht lange sitzen, da sie sich ihrer Pflichten als Vertrauensschülerin bewußt wurde, und Ron mit sich aus dem Abteil zog, um die Gänge zu kontrollieren. Sie würden sicher nicht innerhalb der nächsten halben Stunde zurückkehren, und Harry fand die Gelegenheit günstig, in der Zwischenzeit Luna ausfragen. Seit sie ihr Leben für ihn riskiert hatte, erschien sie ihm in einem ganz anderen Licht, und er war gespannt darauf, von ihr zu erfahren, wie es ihr im Sommer ergangen war. Flugs setzte er sich ihr gegenüber und blickte sie an. Es dauerte einige Zeit, bis sie es bemerkte, da sie in einer Ausgabe des Klitterers las.

»Warum starrst du mich so an?«

»Weil mich wundert, was mit dir passiert ist.«

»Was soll passiert sein«, erwiderte sie achselzuckend und richtete ihre Augen wieder auf das Magazin.

Harry riß es ihr einfach aus der Hand und gab es Neville. »Raus mit der Sprache!« rief er lauter als gewollt. Ginny schien zu wissen, worauf er hinauswollte, und begann ganz leise zu kichern. Er lächelte der Rothaarigen zu: »Wirst du es mir sagen, wenn sie es nicht selbst tut?«

Luna wurde plötzlich rot im Gesicht. Harry hatte sie noch nie erröten sehen und war überrascht, denn bisher hatte Luna meist den Eindruck erweckt, als wäre ihr die Meinung anderer egal. Dabei sah sie wirklich süß aus, und wenn er nicht schon diese unerklärlichen Gefühle für Hermine gehegt hätte, wäre sie glatt eine Überlegung wert gewesen. Zumindest fuhr ihm das durch den Kopf, und er lächelte sie an.

Sie schwieg unsicher, während alle Augenpaare auf sie gerichtet waren, denn selbst Neville schien die Sache mehr und mehr zu interessieren. Er hat Trevor gar nicht dabei, dachte Harry, dem gerade auffiel, wie Pig seiner Hedwig auf den Geist zu gehen schien, obwohl er sich seit der Abfahrt schon merklich beruhigt hatte.

»Ich mag einen Jungen. Und damit er mich beachtet, mußte ich was ändern«, entfuhr es Luna. Sie wirkte zwar schüchtern, aber nicht mehr so abwesend wie noch im letzten Jahr.

»Wer ist denn der Glückliche, der dich mal küssen darf?« fragte Harry so nett er konnte und lächelte sie freundlich an. Er meinte es wirklich ehrlich, und sie schien es zu spüren, da sie sich langsam entspannte, wenn auch nur ein wenig.

»Ich kann es dir nicht sagen. Du wirst es ihm sagen, und dann...« Sie hielt inne, aber das bestätigte nur seinen Verdacht. Natürlich war es möglich, daß es sich um Neville oder gar ihn selbst handelte, doch schien sie sich nur für Ron wirklich zu interessieren. Ginny hatte unterdessen eindeutig Neville im Blick, was dieser aber noch nicht bemerkte.

»Luna. Wenn du mir etwas sagst und nicht möchtest, daß irgendwer davon weiß, dann erfährt er es auch nicht von mir!« Harry sprach langsam und betont und lächelte sie dabei an.

Luna blickte verstohlen zu Neville. Harry glaubte schon beinahe sich geirrt zu haben, aber sie hatte sich nur vergewissern wollen, daß auch Neville schweigen würde. Als dieser nickte, beugte sie sich zu Harry vor.

»Es ist Ronald«, flüsterte sie fast, als hätte sie Angst, daß es Ron hören könnte, obwohl er sich am anderen Ende des Zuges befand. Ginny hatte die ganze Zeit vergnügt vor sich hin gekichert.

»Das ist nichts Schlimmes. Und wenn du wirklich nicht möchtest, daß ich ihm auf die Sprünge helfe, dann werde ich nicht mal die kleinste Andeutung machen«, beschied Harry.

»Danke. Mir wäre es wirklich lieber, wenn ihm niemand was sagt.« Deutlich entspannt lehnte sie sich zurück.

Luna hat sich wirklich über die Sommerferien verändert, dachte Harry, während seine Augen zu Ginny und Neville wanderten. Sie blieben bei letzterem hängen, und er beschloß, bei diesem nachzuforschen. »Sach mal, Neville, wo wir dabei sind, über das jeweils andere Geschlecht zu sprechen. Für wen interessierst du dich?«

Luna und Ginny blickten sofort Neville an, der ganz langsam rot wurde.

»Komm schon, Neville. Wir verraten es niemandem!« ermunterte ihn Luna und sah nun wieder so verträumt aus, wie Harry sie in Erinnerung hatte, während Ginny ängstlich gespannt auf die Antwort wartete. Das mußte ihm doch auffallen, dachte sich Harry.

»Ich mag jemanden, aber ich weiß nicht so recht. Ich mochte Hermine sehr, aber seit sie Viktor hat, denke ich das nicht mehr«, druckste er herum und hoffte damit aus der Schußlinie zu sein, doch Luna setzte nach, während Harry darüber nachdachte, nun vielleicht auch noch mit Neville um Hermine konkurrieren zu müssen.

»Nicht, wen du bisher mochtest, wen du jetzt magst, wollen wir wissen.«

»Ich kann es wirklich nicht sagen, tut mir leid«, flüsterte Neville leise und verließ fluchtartig das Abteil.

»Warum ist er so schüchtern? Letztes Jahr im Ministerium war er so mutig«, meinte Luna, und Ginny nickte nur still.

Harry überlegte einen Moment, ob er seine Gedanken verraten sollte. Vielleicht würde es Neville verärgern, doch wenn er seinen Freunden helfen konnte, glücklich zu werden, sollte er es vielleicht einfach tun, ohne über die Konsequenzen nachzudenken. »Weil es ihm peinlich ist, es dir nicht unter vier Augen zu sagen, daß er dich mag. Weil er wahrscheinlich sogar weiß, daß du ihn auch magst. Aber vor allem deshalb, weil du Erfahrung hast und ein Jahr jünger bist, während er noch nie ein Mädchen geküßt hat.« Die Worte sprudelten aus ihm heraus. »Mach dir keine Sorgen um Neville. Er wird es dir sagen, wenn die Zeit reif ist, und das wird schon bald sein. Bleib deinem Gefühl ihm gegenüber treu, laß dich nicht auf ein schnelles Abenteuer mit jemand anderem ein, und du wirst es niemals im Leben bereuen. Neville ist der Beste, den du dir wünschen kannst.«

Harry konnte gar nicht glauben, das alles eben gesagt zu haben. Aber Ginny nickte nur stumm und dachte über seine Worte nach. Dann hob sie unvermittelt ihren Kopf und ihre Augen funkelten. »Wie sieht es bei dir aus, Harry? Stehst du noch auf Cho oder jemand anderen?«

»Es ist jemand anderes. Leider ist es sehr kompliziert.« Er sah an ihren Gesichtern, daß er nicht hoffen durfte, damit durchzukommen.

»Mehr«, sagte Luna nur und grinste so süß und verträumt, daß Harry tatsächlich warm ums Herz wurde. Hätte nie gedacht, daß Luna so hübsch sein kann, dachte er bei sich und lehnte sich ein Stück vor.

»Ich kann euch nicht den Namen sagen, aber wahrscheinlich werdet ihr es aus meinen Worten erraten. Das bleibt aber unter uns, und zwar unter allen Umständen. Ihr werdet auch nicht gemeinsam darüber reden, dann kann euch auch keiner zufällig belauschen; und ihr dürft auch nichts andeuten, daß daraus Gerüchte entstehen könnten!« Er wartete auf ihr Nicken, bevor er weiter sprach. »Sie weiß, daß ich sie sehr gern mag. Sie mag mich auch sehr gern, nur daß sie sich im Moment nicht sicher ist, wie sie wirklich empfindet, so wie auch ich mir nicht hundertprozentig sicher bin. Leider ist sie sich schon eine Ewigkeit darüber im unklaren, und das macht es für mich noch schwerer, mir selbst sicher zu sein, wie sehr ich sie wirklich mag.« Seine eigenen Worte verwirrten ihn noch stärker, aber die anderen blickten ihn nickend an. »Zudem stehe ich sehr tief in ihrer Schuld, und diese Schuldgefühle könnten auch dafür verantwortlich sein, daß ich sie noch viel mehr mag als vor der Sache in der Mysteriumsabteilung.

Doch es gibt auch noch andere Probleme. Sie hat eigentlich einen Freund, den sie aber nur selten sieht, und sie weiß auch nicht wirklich, wie sie für ihn empfindet, zumindest denke ich das, da sie ihn bisher nur einmal geküßt hat. Zwar hat sie mich noch nie richtig geküßt, aber es gab da etwas anderes zwischen uns, das ich aber nicht verraten kann. Zudem würde das unser Verhältnis zu einer dritten Person ändern, und da sind wir uns beide mehr als nur unsicher, obwohl ich inzwischen glaube, daß diese Person vielleicht doch jemand anderes mag und es ihr und mir nicht übel nehmen würde, falls wir zusammenkommen sollten.«

Als Harry seine verwirrende Rede beendet hatte, war auf den Gesichtern der beiden Mädchen deutlich abzulesen, daß sie genau wußten, um wen es ging. Ginnys Augen waren immer größer geworden, und er konnte ihr förmlich ansehen, daß sie Fragen stellen wollte; doch sie hielt sich zurück, genau, wie sie es versprochen hatte. Luna starrte Harry mit offenem Munde an und bekam kein Wort heraus.

Durch die Stille ertönte ein Klopfen an das Abteilfenster. Harry drehte sich um und erkannte Cho. Sie ist noch immer sehr schön, dachte er bei sich, sah aber im gleichen Moment Hermines nackten Oberkörper vor sich. Damit konnte selbst Cho nicht mithalten, ganz zu schweigen von Hermines engelsgleichem Gesicht, das ihm beinahe magisch erschien, wann immer es ihm gelang, ein Lächeln hineinzuzaubern.

Langsam schob sie die Tür des Abteils auf und blickte kurz zu den beiden Mädchen. »Können wir reden?«

Wortlos drückten sich Luna und Ginny an Cho vorbei nach draußen. Die Abteiltür wurde geschlossen, und sie setzte sich ihm gegenüber.

»Worüber?« fragte er und sah sie freundlich, aber distanziert an.

»Über uns.«

»Es gibt kein uns, du gehst doch mit Michael Corner.«

»Nein. Michael und ich ... ich bin nur ... nicht wirklich mit ihm gegangen«, stotterte sie.

»Ich sage es ganz direkt und hoffe, du bist mir nicht böse. Es tut mir wirklich leid, weil ich dich wirklich gut leiden kann, doch mehr als Freundschaft ist nicht drin.« Dabei versuchte er sie leicht anzulächeln.

Über ihr Gesicht glitt ein fast unmerkliches Zucken, doch sie versuchte sich unter Kontrolle zu halten und stand auf.

»Dann laß uns auf unsere Freundschaft die Hand geben«, sagte sie überraschend schnell. Er griff ohne Zögern zu.

Sie war schneller verschwunden, als sie gekommen war, und schon Augenblicke danach waren Luna und Ginny wieder da, die ihn groß anblickten und scheinbar erwarteten, daß er ihnen nun alles über sich und Cho erzählen würde. Harry ließ sie noch etwas zappeln, ehe er zu lächeln begann. »Wir sind nur Freunde … hoffe ich.«

»Sie empfindet mehr, das weißt du«, warf Ginny ein. Harry nickte unbewußt.

An den Fenstern flog die Landschaft vorbei. Langsam, aber sicher verließen sie die Stadt und fuhren aufs offene Land hinaus. Es war ein schöner Tag, und die Sonne schien angenehm wärmend ins Abteil. Hermine und Ron waren noch immer fort, nur Neville war längst zurückgekehrt, vermied es aber geflissentlich, Ginny direkt anzusehen. Der Imbißwagen war inzwischen dagewesen, und nun machten sich die vier über die Schokofrösche her, nachdem sie bereits einen Kürbiskuchen verspeist hatten. Harry und Ginny tauschten ihre Schokofroschkarten, während Neville angestrengt so tat, als wäre Ginny nicht im Raum. Luna las nun wieder im Klitterer und lachte dabei leise vor sich hin. »Dad läßt manchmal wirklich herrlichen Blödsinn drucken«, kicherte sie und reichte Neville die Zeitschrift, der laut vorlas:

»Bei Cornelius Fudge, unserem Zaubereiminister, soll es sich neuesten Gerüchten zufolge um den Dunklen Lord höchstpersönlich handeln. Dies würde einige Ungereimtheiten erklären, die in der letzten Zeit publik geworden sind.« Alle vier begannen laut zu lachen, bis die Abteiltür aufglitt und Hermine und Ron hereinkamen.

»Mensch, das war noch öder als letztes Jahr«, stöhnte Ron, und sein Blick fiel auf die Schokofroschkarten in Nevilles Hand. »Cool, den muß ich haben. Den such ich schon über ein Jahr.« Dabei zeigte er auf eine Karte von einem Zauberer mit dem Namen Hogan Hingwill.

»Wer ist das überhaupt? Halt doch mal still, Neville«, sagte Harry und versuchte, die kleine Schrift zu entziffern.

»Das ist der beste Besenbauer der Welt«, erwiderte Ron und sah Neville flehend an.

Dieser lächelte und gab Ron die Karte. »Klar, kannst ihn haben.«

Hermine erinnerte sie daran, daß jetzt die richtige Gelegenheit für das Treffen war. Keine drei Minuten später stand Harry auf dem Gang inmitten seiner Mitstreiter, deren Zahl nun deutlich verkleinert war, da die Siebtkläßler des Vorjahres die Schule verlassen hatten.

»Dumbledore möchte, daß wir mit der DA weitermachen. Wir werden wie im letzten Jahr auf die Münzen setzen, doch wollen wir auch regelmäßig Treffen abhalten, und zwar so viele wie möglich, denn nun, da Voldemort auch offiziell zurück ist, werden wir uns auf den Kampf vorbereiten müssen. Quidditch ist auch für mich wichtig, doch dies ist um einiges wichtiger! Einige Themen, die wir durchnehmen werden, haben wir uns bereits angesehen, und als Übungsraum wird weiter der Raum der Wünsche fungieren.«

»Der Raum ist nicht sicher«, warf Zacharias ein, doch Harry begann zu grinsen.

»Er ist wieder sicher! Dumbledore hat ihn verlegt, er ist jetzt im vierten Stock. Er befindet sich zwischen zwei alten Rüstungen, nur zwanzig Meter rechts von Klassenzimmer hundertneun, nahe der Sackgasse. Jeder von euch sollte andere Umwege laufen, vielleicht über die Bibliothek oder die Eulerei oder was euch sonst noch einfällt. Bleibt immer möglichst unauffällig, und sichert euch wenn nötig doppelt ab, damit der Raum auch geheim bleibt.«

»Malfoy kommt«, warnte Cho, die nahe an der Tür zum nächsten Waggon stand.

Die Versammlung löste sich auf und traf auf Malfoy, der soeben mit Crabbe und Goyle den Waggon betreten hatte. Diese blickten ein wenig nervös angesichts der Masse, mit der sich Malfoy wohl gleich anlegen wollte.

»Was macht ihr hier?« fragte Malfoy scharf und sah, wie sich die meisten Schüler wieder in die Abteile zurückzogen.

»Verzieh dich einfach«, meinte Harry und klang fast ein wenig gelangweilt.

»Ich kann hier machen, was ich will. Siehst du das, Potter?« Dabei deutete Malfoy auf sein poliertes Vertrauensschülerabzeichen, das sich an seinem makellosen Umhang befand.

»Und siehst du das, Malfoy«, entgegnete Harry und zeigte auf seinen Hintern, den er ihm im gleichen Moment zudrehte. Nur einen Augenblick später hatte Malfoy seinen Zauberstab gezogen und bedrohte Harry damit. »Ich würde das lassen, Malfoy. Egal was du mit mir machst, danach hast du nichts mehr zu lachen.« Aus den Abteilen strömten nun die DA-Mitglieder, und jeder hatte seinen Zauberstab in der Hand.

»Wir sehen uns noch, und grüß das geile Schlammblut von mir«, verabschiedete sich Malfoy grinsend, steckte seinen Stab weg, drehte sich langsam um und verließ den Waggon.

Eine Stunde später befanden sich Harry und Neville alleine im Abteil. Ron und Hermine mußten ihren Pflichten als Vertrauensschüler nachkommen, und Harry war mittlerweile heilfroh, daß ihm diese Bürde erspart geblieben war. Plötzlich erschienen Dean und Seamus an der Tür.

»Hi, Leute. Ich habe gehört, es gibt einen interessanten Klub, dem man beitreten könnte«, fing Seamus an und setzte sich neben Harry.

Dieser erzählte von der Armee und lud die beiden ein mitzumachen, was diese freudig taten. Irgendwann begannen Neville, Seamus und Dean damit, Snape explodiert zu spielen, und Harry blickte wieder aus dem Fenster, bis er einschlief. Er träumte vom goldenen Schnatz; davon, wie Cedric gestorben war; von seinem Sieg über den Basilisken und wie er Ginny gerettet hatte; davon, wie Sirius gestorben war; und wie er Hermines entblößten Oberkörper gesehen hatte, ihre Brüste und ihre Brustwarzen. Hermine ist so schön. Warum ist mir das nie aufgefallen? Warum merke ich es erst, als sie längst mit Viktor zusammen ist? Warum hab ich es nicht vorher gesehen? Ich hab es doch beim Ball im vierten Jahr gesehen, warum hab ich nichts unternommen? Aber interessiert sie mich nur, weil sie gut aussieht? So ein Quatsch! Aber warum habe ich solange nichts unternommen?

»Was?« brüllte Harry erschrocken und zuckte zusammen, als er Hermine leibhaftig vor sich sah. Nun schreckte auch Hermine ein Stück zurück.

Ron fing an zu lachen. »Schlaf nicht so viel, sonst kriegst du heute Nacht kein Auge zu.«

Harry blickte in das leicht verstörte Gesicht von Hermine. Das ließ die Angst in ihm aufsteigen, daß er vielleicht wieder im Schlaf geredet hatte, traute sich aber nicht nachzufragen.

»Du hast da was«, sagte Hermine und zeigte an ihren Mundwinkel. Harry fühlte über die Stelle und erkannte sofort, daß ihm beim Schlafen der Speichel aus dem Mund gelaufen war. Er wischte ihn sich peinlich berührt mit dem Ärmel seines Umhanges ab.

»Ich dreh' noch mal 'ne kurze Runde. Mal sehen, ob ich nicht irgendeinen Slytherin bei irgendwas erwische«, verkündete Ron und verließ das Abteil, wo er auf seine Schwester traf, die gerade von ihren Freundinnen aus der vierten Klasse zurückkam. Diese setzte sich neben Hermine, um sie über die ZAG-Prüfungen, die sie in diesem Jahr erwarten würden, auszufragen. Gott sei Dank hab' ich das schon hinter mir, dachte sich Harry und überlegte, wie schwer wohl dieses Jahr für ihn werden würde, jetzt, da er beschlossen hatte, mehr als je zuvor lernen zu wollen. Würde er sich bei den Abschlußprüfungen am Ende des Schuljahres erneut schwertun, oder würde er es diesmal mit links schaffen können? Hermine war ja immer gut in der Schule, doch vor den Prüfungen hatte sie weit mehr Angst als jeder, den er sonst kannte.

Einige Minuten später kam Ron zurück und sah Hermine verzweifelt an, bekam aber kein Wort heraus.

»Was ist? Sag schon«, forderte sie ihn schließlich auf.

»Ein Vertrauensschülerproblem, aber ich kann da nicht helfen.«

»Ron, sag es einfach.«

»Mädchenprobleme.«

»Wo? Sag schon«, drängelte sie ungeduldig.

»Auf der Toilette, zwei Waggons weiter«, preßte Ron heraus und lief rot an.

Hermine schnappte sich Ginny, und beide verließen das Abteil. Ron setzte sich neben Harry, der ihn interessiert anblickte.

»Was ist denn los?«

Ron schüttelte leicht angewidert den Kopf. »Ich möchte nicht darüber reden.«

»Was hältst du von Lunas Wandlung?« Jetzt da er mit Ron alleine war, wollte er ihm ein wenig auf den Zahn fühlen.

»Hab' sie gerade draußen getroffen. Sie hat mich merkwürdig angesehen und wollte wohl was sagen, aber dann ging sie einfach weiter. Echt merkwürdig. Sieht jetzt ganz anders aus. Nicht mehr so sonderbar, fast normal.«

»Fast normal? Ich finde, sie sieht sehr hübsch und richtig süß aus«, erwiderte Harry und behielt Ron im Blick, um seine Reaktion abzuschätzen. Für einen Augenblick umspielte ein Lächeln Rons Lippen, ehe er sich nach vorne lehnte.

»Das bleibt unter uns«, warnte er ihn leise.

Harry war verwirrt. »Sag mal, Ron, ich würde dir gerne eine sehr persönliche Frage stellen und fürchte mich vor deiner Reaktion darauf. Wäre es dir möglich, egal, was ich dich frage, ruhig zu bleiben und mir diese Frage nicht übelzunehmen?« Er blickte Ron unsicher an. Dieser schien eine Ewigkeit darüber nachzudenken und versprach es schließlich.

»Mir sind ein paar Sachen aufgefallen, und die haben mich verwirrt, weil ich bisher dachte, daß du darüber ganz anders denkst, als es jetzt den Anschein hat«, tastete er sich behutsam voran, da er wußte, wie schnell Ron in die Luft gehen konnte.

»Das ist möglich. Ich habe über einige Dinge tatsächlich meine Meinung geändert.«

»Zum einen ist mir aufgefallen, daß du Luna anders ansiehst als noch im letzten Jahr und daß du auch … Hermine anders ansiehst. Ich würde gern wissen, warum.«

Ron dachte eine Weile nach. »Bei Luna bin ich mir nicht sicher. Sie ist sehr mutig gewesen, und ich respektiere sie dafür sehr. Und sie sieht wirklich ziemlich gut aus. Ich weiß aber nicht, ob sie sich wirklich geändert hat oder nur so tut. Mir wäre es lieber, sie wäre früher schon so gewesen wie jetzt. Ich hoffe, du verstehst, was ich damit meine. Ich finde es nicht gut, wenn man sich ändert, nur um anderen zu gefallen, verstehst du?« Er sprach leise und langsam und schien seine Worte genau abzuwägen. »Zu Hermine möchte ich nichts sagen. Ich denke, du verstehst, daß mir das zu weit geht. Mir sind einige Sachen an ihr aufgefallen, und ich habe einiges an ihr verstanden. Ihre Reden haben meine Ansichten über sie ein wenig verändert.«

Harry nickte verständnisvoll. Über Mädchen zu sprechen, fiel ihnen fast immer schwer. Aber über ein Mädchen zu sprechen, das sie beide so sehr mochten, das war fast unmöglich. Sie redeten noch ein wenig über Quidditch, als unvermittelt die Tür des Abteils aufgerissen wurde. Hermine stand dort und funkelte Ron böse an: »Du bist ja so ein pubertierender …«

Harry erkundigte sich, was geschehen war, aber Hermine sandte nur böse Blicke in Richtung Ron, und Ginny, die hinter ihr stand, kicherte nur leise vor sich hin: »Hat mein Bruder dir nicht mal einen Ton gesagt?«

»Es ist ekelig. Darüber reden Jungs nicht«, erwiderte Ron pikiert.

»Mir platzt gleich der Schädel, wenn ihr mir nicht endlich sagt, was los ist«, sagte Harry wütend.

Ginny übernahm die Antwort, da Hermine immer noch stumm auf Ron herabblickte. »Samantha Blitch hat ein Problem verursacht.«

»Toll. Wer ist das, und was ist das für ein Problem.«

»Sie ist im zweiten Jahr, natürlich Gryffindor, und sie hat die Toilette verstopft.«

»Na ja, das ist schon ekelig«, meinte Harry achselzuckend.

»Nicht so verstopft. Mit etwas, das nur Mädchen benutzen«, warf Luna als Dritte im Bunde ein.

»Hä?« Harry verstand gar nichts mehr.

»Samantha hat mit einigen Tampons und Binden die Toilette verstopft, was sie wohl ziemlich lustig fand«, rief Hermine, die anscheinend endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte.

»Was ist daran jetzt so schlimm?« fragte Harry schließlich und fing sich einen entsetzten Seitenblick von Ron ein.

»Das ist es ja, überhaupt nichts! Ron hätte es selbst beheben können.«

»Das ist ekelig. Weiß ich, ob die Dinger benutzt sind?« verteidigte dieser sich und verzog angewidert das Gesicht.

»Sie waren aber nicht benutzt, und selbst wenn, dann wäre es auch nicht so schlimm gewesen, wie du hier tust.« Bei diesen Worten funkelte sie Ron wieder an.

»Nicht schlimm? Widerlich wäre das. Ich meine, sie ist doch erst zwölf, ich kenne sie überhaupt nicht, und das ist doch viel zu privat!« entrüstete sich Ron.

»Da hat er recht. Ist ja keine gute Freundin oder gar die eigene Freundin, wo man so was vielleicht noch tun kann«, pflichtete Harry bei, und Ron fühlte sich mit Beistand gleich sichtlich wohler.

Hermine dachte einige Zeit über die Worte nach und befand schließlich: »Vielleicht habt ihr recht. Jungs sehen das wohl wirklich anders. Vielleicht ist das für uns zu normal.«

»Eigentlich hätte ich ja gedacht, Hexen hätten nicht diese Probleme mit … na ja … nur Muggel und … ähhm …« Harry hatte sich jetzt in eine Falle manövriert.

»Sag es. Es muß dir nicht peinlich sein.«

»Na ja. Ich weiß nicht so viel darüber, aber … ich meine Tampons und Binden … was ist mit Zaubertränken?« druckste Harry herum.

Luna blickte ihn an und schien begierig, ihm darauf zu antworten. »Oh, da geht es Hexenfrauen fast genauso wie Muggelfrauen. Es gibt keine Zaubertränke gegen Regelblutungen, und es gibt keine einfachen Zauber, mit denen man um die Benutzung von Tampons oder Binden herumkommen würde. Wobei ich Binden bevorzuge und …« Als ihr bewußt wurde, daß Ron sie erschrocken anblickte, lief sie leicht rot an und versuchte verträumt aus dem Fenster zu blicken. Ganz hat sie sich ja nicht verändert, dachte Harry und lächelte unmerklich, obwohl ihm dieses Thema doch nun wirklich nicht ganz geheuer war.

»Warum lächelst du. Ich finde das Thema überhaupt nicht zum Lachen«, meinte Ron zu ihm. Er schien jetzt leicht verstört zu sein und warf einen Blick auf Luna, die angestrengt die vorbeiziehende Landschaft betrachtete.

Ginny fügte hinzu: »Wenn wir schon beim Thema sind. Mum hat mir erzählt, es gebe neue Slips, die mit einem sehr starken Reinigungszauber belegt sind, aber die sind so teuer, daß nicht mal sie sich einen kaufen kann.«

Ron starrte sie entsetzt an. »Das will ich nicht hören! Nichts über Mum oder dich, das ist mir viel zu … ähhm … igitt!« Er wandte sich ab und bemerkte deswegen nicht, wie Ginny zu grinsen begann, ihren Bruder derart in Verlegenheit gebracht zu haben.

Obwohl auch Harry dieses Gespräch immer unangenehmer wurde, begannen sich Fragen in seinem Kopf zu bilden. »Was kostet denn so was?« erkundigte er sich schließlich bei Ginny.

»Einer kostet über hundert Galleonen. Und der sieht dann noch nicht mal gut aus.«

Harry begann zu überlegen. Die Umhänge für Lupin waren weitaus teurer gewesen, und ein solches Geschenk für Hermine wäre wirklich gut, ging es ihm durch den Kopf. Wäre das wirklich gut? Wäre das nicht viel zu intim? Er wurde wieder unsicher, konnte aber seine Neugier nicht bremsen: »Was kosten die schönen, und wie sehen die aus?«

Alle im Raum außer ihm selbst wurden rot. Ron drehte sich zum Fenster, verbarg mit seinen Händen sein Gesicht und versuchte alles zu ignorieren.

»Komm schon, Ginny, du hast damit angefangen. Jetzt will ich alles wissen!«

Ron sprang mit einem Schrei auf und flüchtete hinaus. Sie hörten ihn noch etwas wie »Was meine Schwester für Unterhosen mag, das ist nun wirklich viel zu privat!« grummeln, und dann war er verschwunden.

»Ich finde rote schön, weil sie gut zu meinen Haaren passen«, antwortete Ginny unbeeindruckt von Rons Verhalten, jedoch mit einer zarten Röte auf ihren Wangen. »Und ich liebe Spitze. Sie sollen bequem sein, und das bedeutet, daß es keine Tangas oder so sind.«

»Und du, Luna?« Normalerweise wäre er genau wie Ron vor einem solchen Gespräch geflohen, doch wollte er unbedingt wissen, was Hermine gefallen könnte, und der Weg dazu führte über Luna.

»Ich … ähhm … aber das bleibt unter uns?« fragte sie zweifelnd, während sie mit einem Blick auf den leeren Platz wies, wo bis eben Ron gesessen hatte. Als Harry nickte, fuhr sie fort: »Also ich mag schwarze Slips, weil sie irgendwie nicht so unschuldig wirken. Spitze finde ich eigentlich nicht so schön, hab' aber viele damit. Aber Tangas sind wirklich unbequem, die gefallen mir also auch nicht. Toll ist, wenn sie nahtlos sind, weil man sie dann kaum sehen kann, und außerdem ist es bequemer, als auf einer Naht zu sitzen.« Sie klang bei diesen Worten sehr selbstbewußt und stellte Harry damit einmal mehr vor ein Rätsel. Manchmal war sie schüchtern und errötete bei der geringsten Kleinigkeit, und dann sprach sie über derart heikle Themen wie über das Wetter. Ein wahrhaft seltsames Mädchen, dachte er sich und blickte jetzt neugierig zu Hermine.

Natürlich wußte Harry, daß es ihr unangenehm war, ihm eine solche Frage zu beantworten, doch er wußte auch, daß sie sich jetzt keine Blöße geben konnte. Hier als einzige nicht zu antworten, wäre sehr verdächtig gewesen, und sie konnte ja nicht ahnen, daß Ginny und Luna längst über ihr spezielles Verhältnis Bescheid wußten.

»Ähhm …«, begann sie und wirkte leicht verunsichert. »Ich würde Luna bei allem zustimmen, nur nicht bei der Farbe und bei der Spitze. Schwarz mag ich nicht so sehr, ich bevorzuge weiß oder helle Farben, und ein wenig Spitze finde ich sehr schön.« Dabei zeigte sich für einen kurzen Moment der Anflug eines Lächelns, ehe es wieder einem nervöseren Gesichtsausdruck wich.

»Gut. Wo wir das geklärt haben, werde ich mal Ron suchen gehen«, sagte Harry und stand auf.

»Warte. Jetzt wollen wir wissen, was du gut findest«, hielt Luna ihn zurück und grinste verschlagen.

»Wenn ihr Damenwäsche meint, dann kann ich euch da nicht viel sagen, weil ich noch nicht sehr viel davon gesehen habe. Wüßte also nicht, was ich da schön finde. Weiß auch gar nicht, was Spitze sein soll.«

»Ich zeig' dir Spitze«, rief Luna und sprang auf.

»Ähhm, stopp!« rief Harry panisch, und Luna hielt mitten in der Bewegung inne. »Worte reichen mir!«

Sie setzte sich lächelnd hin und blickte wieder so verträumt, wie Harry sie im letzten Jahr so häufig gesehen hatte.

»Spitze ist einfach nur eine bestimmte Art von Stoff. Meist ist es halb durchsichtig, und ein Muster ist dort eingearbeitet«, klärte ihn Hermine auf, der es wohl auch unangenehm gewesen wäre, wenn Luna ihm ihren Slip gezeigt hätte, wie sich Harry vorstellen konnte.

»Dann sag uns, was du trägst«, forderte Ginny ihn auf.

»Na ja, ich hab' eigentlich immer Boxershorts an, und die sind meist ziemlich bunt. Ich finde etwas längere und bunte Boxershorts am besten«, erzählte Harry und ging dann eilig auf die Suche nach Ron, nicht ohne sich die Stelle des Gesprächs genauestens einzuprägen, in der es darum gegangen war, welche Art von Slip Hermine am liebsten hatte. Als er dann versuchte, sie sich darin vorzustellen, wurde ihm ziemlich heiß zumute.

Die weitere Fahrt wurde mit Karten- und Schachspiel verbracht, ferner wurden die neuesten Kreationen im Süßigkeitenbereich getauscht. Harry merkte deutlich, daß der Zusammenhalt der DA über die normalen Häusergrenzen hinaus gewachsen war. Sogar mit Zacharias Smith spielte Harry eine vergnügliche Partie Schach, die er am Ende knapp gewann, ohne daß Zacharias deswegen beleidigt gewesen wäre. Zudem konnte er mit Hilfe von Ginny und Luna zwei weitere Schüler anwerben, nämlich Richard Bellow, einen Fünftkläßler aus Gryffindor, und Peter Shaw, der ebenfalls im fünften Jahr war, aber zu Ravenclaw gehörte. Schon sechs neue, dabei hatten sie mit der Rekrutierung noch gar nicht richtig begonnen, stellte Harry zufrieden fest. So leicht wollte er es seinen Feinden nicht machen. Wenn sich Voldemort neue Anhänger sucht, dann suche ich mir auch neue Verbündete, ging es ihm durch den Kopf, als er draußen schon die Dächer von Hogsmeade erkennen konnte.

Endlich verlangsamte der Zug seine Fahrt, und der übliche Tumult brach los, als alle überstürzt ihr Gepäck und ihre Tiere zusammensuchten und sich zum Aussteigen bereitmachten. Weil Ron und Hermine dies beaufsichtigen sollten, hatte Harry sie nicht mehr gesehen und so kümmerte sich Luna genau wie im letzten Jahr um Pigwidgeon, während Harry mit Hedwig und seinem Koffer schon alle Hände voll zu tun hatte. Sie drängten sich aus dem Abteil, und jeder rempelte einen anderen an, während schon die kühlere Nachtluft durch die offenen Türen in den Zug strich. Langsam ging es zu den Türen voran, und Harry konnte vertraute Gerüche wahrnehmen. Er trat auf den Bahnsteig, dicht gefolgt von Luna, Ginny und Neville, sah sich um und lauschte nach dem vertrauten Ruf »Erstkläßler ... Erstkläßler ...«, der dieses Jahr wieder zu hören war.

Hagrid war in der Menge umzingelt, so daß Harry nicht zu ihm durchkommen konnte. Trotzdem sah ihn der Riese und grüßte mit seiner riesigen Pranke. Ohne Hast lief Harry über den Bahnsteig und durch den Bahnhof, immer noch von seinen drei Freunden gefolgt. Von Hermine und Ron war noch keine Spur zu entdecken. Hedwig kreischte einige Male wegen des Gedränges und Geschaukels, und auch Pig konnte Harry mehr als nur deutlich hinter sich hören, während sich die Menge ganz langsam durch eine enge Tür und hinaus auf die Straße schob. Er hielt Ausschau nach Ron und Hermine, aber von den beiden war nichts zu sehen, und so ließ er sich wie beinahe jedes Jahr die dunkle Straße vor dem Bahnhof von Hogsmeade entlangtreiben. Einige Male drehte er sich um und vergewisserte sich, daß Neville dicht hinter ihm war.

»Da sind die Kutschen«, sagte Harry, und Neville nickte.

Etwa hundert pferdelose Kutschen warteten auf die Schüler ab der zweiten Klasse, um sie zum Schloß hochzubringen. Harry warf einen kurzen Blick auf sie und vergewisserte sich, daß zwischen den Deichseln noch immer Thestrale standen, und als er sie genauer betrachtete, kamen sie ihm gar nicht mehr so häßlich vor. Im Gegenteil fühlte er sich ihnen merkwürdig vertraut und mochte sie sogar. Harry öffnete die Tür einer der Kutschen und stieg hinein, um Hedwig und auch das Gepäck der anderen zu verstauen. Als er wieder ausstieg, waren sowohl Ron als auch Hermine wieder da, und beide lächelten ihm zufrieden zu.

»Wir können! Alles gut gelaufen diesmal. Sogar Malfoy hat sich merkwürdig zurückgehalten, hat nur zwei Erstkläßler heruntergeputzt«, berichtete Hermine und bestieg mit den anderen die Kutsche.

Die Kolonne setzte sich in Bewegung. Im Wagen wurde darüber gerätselt, was es in diesem Jahr wohl für Essen geben würde und was für eine Rede Dumbledore diesmal halten würde, und diese Reden drückten die Vorfreude aus, die Harry und die anderen verspürten. Die Kutschen ratterten und schwankten den Weg zum Schloß hinauf, und als sie die hohen Steinsäulen mit den geflügelten Ebern zu beiden Seiten des Tores passierten und auf das Schulgelände fuhren, empfand Harry wieder dieses vertraute Gefühl, endlich nach Hause zu kommen.

»Ich liebe dieses Schloß mit seinen hohen Türmen und den dicken kalten Mauern, die aussehen, als könnten sie jedwedes Unheil fernhalten. Findest du nicht auch, Ronald?« fragte Luna und blickte verträumt aus dem Fenster. Ron antwortete nur mit einem Lächeln, doch dies schien Luna Antwort genug zu sein.

Kurze Zeit später hielten die Kutschen an der Steintreppe, die zu den Eichenportalen hinaufführte, Ron stieg aus der Kutsche, und die anderen folgten ihm. Sie schlossen sich der Menge an, die über die steinerne Treppe hoch ins Schloß eilte. Die Eingangshalle stand in loderndem Fackellicht und war erfüllt vom Geräusch Hunderter Füße, die über Steinfliesen liefen und nach rechts zur Flügeltür der Großen Halle hinstrebten, wo wie in jedem Jahr die Begrüßungsfeier stattfinden sollte. Die Schüler verteilten sich an den vier langen Haustischen und füllten allmählich die leeren Plätze. So oft war Harry jetzt schon hier gewesen, doch allein der schwarze und nur mit wenigen Sternen erleuchtete Himmel der Großen Halle, der immer genauso aussah wie der echte Himmel draußen vor den Mauern des Schlosses, ließ ihn begeistert staunen. Hunderte Kerzen schwebten über den Tischen und tauchten die Halle, die Schüler, Lehrer und Gespenster in ein warmes und schummriges Licht. Ein lautes Gemurmel war in der Großen Halle zu vernehmen, jetzt, da über alle möglichen Neuigkeiten und Erlebnisse in den Ferien getratscht und erzählt wurde, obwohl es dafür schon während der Zug- und Kutschfahrt soviel Gelegenheit gegeben hatte.

Luna war inzwischen am Tisch von Ravenclaw, was sie jedoch nicht davon abhielt, eifrig mit Ron Blicke zu tauschen, was Hermine und Ginny nicht entging. Harry begrüßte kurz den Fast Kopflosen Nick, das Hausgespenst der Gryffindors und vielleicht einzigen Geist, den Harry als Freund bezeichnen würde. Auch einige andere begrüßte er, die er zuvor im Zug nicht gesehen hatte. Als er zum Lehrertisch, der längs zur Stirnseite der Halle aufgestellt war, blickte, bemerkte er einen ihm unbekannten Zauberer, bei dem es sich wohl nur um den neuen Lehrer in Verteidigung gegen die Dunklen Künste handeln konnte. In der Mitte des Lehrertisches saß wie immer Professor Dumbledore, der auf seinem goldenen hohen Lehnstuhl thronte, in einem dunkelvioletten Umhang, der mit silbernen Sternen gesprenkelt war, und mit einem dazu passenden Hut. Harry betrachtete jetzt den neuen Professor genauer. Er war deutlich älter als Remus, wenn auch deutlich jünger als Mad-Eye. Harry schätzte ihn auf sechzig bis siebzig Jahre, wirkte jedoch fit und durchtrainiert. Ein Lächeln umspielte sein bartloses und nur mit wenigen Falten verziertes Gesicht, während er sich angeregt mit Snape unterhielt.

»Der kann nicht gut für uns sein. Snape scheint ihn nicht zu hassen«, stellte Harry fest, und Ron verzog angewidert sein Gesicht.

»Bloß nicht noch so einen wie Snape«, stöhnte Ron. »Dann haben wir wirklich alle durch, außer Snape höchstpersönlich. Erst hatten wir einen, der V-V-oldemort persönlich am Kopf mit sich herumtrug, und danach den dümmsten Zauberer überhaupt, der sich selbst das Gedächtnis löschte. Zur Abwechslung mal einen netten Zauberer, der sogar wußte, was er tat, und danach einen alten, verdrießlichen, der nicht der war, der er vorgab zu sein. Danach die dümmste und gemeinste Hexe, die man sich nur vorstellen kann, und nun jemanden, den Snape nicht haßt. Hab' ich jemanden vergessen?« Harry und Hermine mußten kurz grinsen, konnten ihm aber nicht widersprechen.

Plötzlich tauchte Hagrid hinter ihnen auf und erschreckte Harry, als er ihm auf die Schulter tippte. »Hey, Harry. Wollen wir uns nächst'n Nachmittag treffen? Sobald die Schule aus ist. Könnt' euch auch am Tor abhol'n und dann geh'n wir zur Hütte runter, können reden, wegen Grawp und so.«

Harry nickte, und Hagrid begab sich zufrieden zum Lehrertisch, an dem er seinen üblichen Platz einnahm. Seine Anwesenheit war auch das Zeichen dafür, daß die Erstkläßler den See überquert hatten und im Schloß angekommen waren.

Momente später öffnete sich die Tür zur Eingangshalle, und in einer langen Reihe kamen die Neulinge herein, angeführt von Professor McGonagall, die einen Stuhl trug, auf dem ein alter Zauberhut lag, arg geflickt und gestopft und mit einem breiten Riß über der ausgefransten Krempe. Die Erstkläßler sahen wie in jedem Jahr überaus verängstigt aus, und Harry wußte genau warum. Er selbst hatte genauso ausgesehen, und so empfand er leichtes Mitleid mit den Kleinen. Das Stimmengewirr in der Großen Halle erstarb. Die Erstkläßler stellten sich vor dem Lehrertisch auf, die Gesichter den anderen Schülern zugewandt, während Professor McGonagall den Stuhl bedächtig hinstellte und dann beiseite trat. Einige der Neuen sahen erschreckend jung aus, und Harry fragte sich, ob er jemals so klein und schwach ausgesehen hatte. Trotzdem wirkten sie insgesamt mutiger als noch die Erstkläßler im letzten Jahr. Hoffnung war in Harrys Herzen, daß ein jeder von ihnen beherzt genug war, um die richtige Entscheidung zu treffen, wenn es an der Zeit war.

Harry sah zum Sprechenden Hut. Der Riß an der Hutkrempe öffnete sich und brachte Worte hervor. Einige sahen sich überrascht um, während er sprach, doch der Grund dafür waren nicht die Worte, sondern die Tatsache, daß er wohl zum ersten Mal nicht sang und sich überhaupt nichts reimte. Seine Stimme klang müde und voller Ernst.

»Viel ist passiert in der letzten Zeit. Einiges davon war gut, doch manches davon war auch sehr schlecht. Was gut und was schlecht war, ist für jeden verschieden, doch habe ich die Hoffnung, daß viele in dieser Halle es so wie ich sehen. Mut statt Feigheit! Freundschaft statt Feindschaft! Liebe statt Haß! So lautet die Losung für dieses Jahr. Falls das nicht umgesetzt werden kann, sehe ich schwere Zeiten auf uns alle zukommen; und ob wir uns dann in einem Jahr hier wiedersehen, wird noch ungewisser sein, als es die Zukunft ohnehin ist. Die vier Häuser in dieser Halle, welche so verschieden sind in ihren Eigenschaften und Attributen, müssen sich helfen, müssen zusammenhalten und sich vorbereiten, um miteinander für die gute und gerechte Sache zu kämpfen. Gelingt dies nicht, könnte die gute Seite untergehen, und das Böse könnte die Welt für immer beherrschen. Zwietracht wird gesät werden, wann immer es möglich ist, doch vertraut euren Gefühlen, ihr werdet erkennen, wann es soweit ist. Bekämpft den Drang, in Klassen und Schablonen zu denken, seht über den Rand hinaus und erkennt, worauf es wirklich ankommt. Es wird zwei Wege geben, und ihr müßt euch an der Kreuzung des Lebens für einen davon entscheiden. Einer wird sehr leicht sein und sehr verlockend aussehen, doch ihr müßt widerstehen. Geht nicht den leichten Weg, geht den richtigen Weg. Desto mehr von euch diesen Weg wählen, um so einfacher wird es für die anderen, doch leicht wird dieser Weg nie. Die Entscheidung ist ganz nah, viel näher als je zuvor, doch erst wenn ihr bereit seid, solltet ihr sie treffen. Dies wird ein schweres Jahr, das schwerste eures Lebens und vielleicht das letzte … seid euch dessen immer bewußt.«

Der Hut erstarrte wieder, doch kein Beifall brandete auf. Was war das denn? Kein Lied, dafür diese Rede? Warum? Außerdem ... da fehlen doch Worte, dachte Harry, Worte, die er immer vom Hut gehört hatte. Zum ersten Mal, soweit sich Harry erinnern konnte, war es absolut still in der Großen Halle. Totenstill. Kein Murmeln und Wispern war zu hören. Überall tauschten Schüler Blicke mit ihren Nachbarn, doch niemand sagte auch nur ein Wort. Einige waren bleich geworden, während andere still lächelten, doch sagte niemand ein Wort oder kaum einer wagte, laut zu atmen. Harry blickte zu Dumbledore. Kein Lächeln war zu sehen, selbst die anderen Lehrer saßen mit versteinerten Mienen an ihrem Tisch und sagten kein Wort. Eine Ewigkeit passierte nichts. Ganz langsam erhob sich Dumbledore von seinem Stuhl. Ganz langsam nur.

»Da fehlen Worte«, flüsterte Harry und war der erste, der die Stille durchbrach. Viele Köpfe drehten sich zu ihm um, und er bemerkte erschrocken, was er soeben getan hatte. Er blickte zu Hermine, doch sie verstand nicht, was er meinte.

»Er hat nicht gesagt, daß die Auswahl beginnen soll«, flüsterte Harry so leise zu Hermine, daß nur noch sie es hören konnte. Alle drehten sich zu Dumbledore, der selbst ein wenig verwirrt zu sein schien.

»Möge die Auswahl beginnen«, sprach Dumbledore nun und setzte sich wieder. Professor McGonagall machte sich wie jedes Jahr daran, die Liste mit den Namen der Erstkläßler zu verlesen und stellte sich dafür direkt neben den Stuhl. Sie entrollte ein langes Pergament, senkte die Augen darauf und rief laut den ersten Namen auf.

»Allgood, Sara.«

Ron kicherte kurz, wohl über ihren Nachnamen, während ein kleines Mädchen von elf Jahren zum Stuhl ging und sich den Hut aufsetzte. Sie sah selbstbewußt aus und trug ihr Kinn hoch. Der Hut überlegte einen Moment, dann öffnete sich der Riß an der Krempe wieder, doch er sagte nichts. Eine Ewigkeit passierte einfach gar nichts. Das kleine Mädchen wirkte von Sekunde zu Sekunde beklommener, bis sie den Hut entnervt absetzte und auf den Stuhl legte. Tränen standen in ihren Augen, und sie blickte unsicher zu McGonagall, die ihrerseits ratlos zu Dumbledore blickte, der den Nichtsprechenden Hut ansah.

»Hier stimmt was nicht«, sagte Hermine und brachte damit zum Ausdruck, was wohl alle in der Großen Halle dachten.

Dumbledore erhob sich, ging um den Tisch herum und stand gleich danach neben dem Mädchen. Langsam beugte er sich hinunter und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was nur es verstehen konnte. Er beugte sich etwas tiefer, und es flüsterte zurück. Dumbledore ging zum Stuhl, legte seinen eigenen Hut ab und setzte sich den Sprechenden Hut auf. Es dauerte einige Zeit, in der ein ganz leises Gemurmel in der Halle entstand, das nach einem bösen Blick von Professor McGonagall sofort abebbte. Dumbledore legte den Hut zurück auf den Stuhl und setzte seinen eigenen wieder auf. Er ging zu dem Mädchen, flüsterte wieder etwas in sein Ohr und lief zurück zu seinem Platz an der Tafel. Sara Allgood hatte inzwischen aufgehört zu weinen und sich erneut den Hut aufgesetzt. Der Hut überlegte einen Moment, dann öffnete sich der Riß an der Krempe, und er verkündete:

»Ravenclaw!«

Das Mädchen lächelte sofort, am Ravenclaw-Tisch brandete Beifall auf, und lachend nahm Sara Allgood an dem Tisch Platz. Jetzt ging es plötzlich Schlag auf Schlag, und bei keinem schien es mehr Probleme zu geben.

»Burke, Tom.« – »Slytherin!« – »Griffies, Ethel.« – »Hufflepuff!« – »Jones, Sally Ann.« – »Slytherin!« – »Lucan, Arthur.« – »Gryffindor!«

Es ging so schnell, daß Harry nur einen Bruchteil der Namen mitbekam, weil er dabei immer wieder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Trotzdem bekam er mit, daß bei jedem einzelnen neuen Schüler an irgendeinem der Tische geklatscht wurde, während bei manchen aufgrund des Namens auch gelacht wurde, wie es bei »Wright, Humberston.« der Fall war.

Auch Ron hatte gekichert, und besonders am Slytherin-Tisch wurde von einigen etwas lauter gelacht. Humberston schien das nicht das geringste auszumachen, und wenn Harry ehrlich war, beneidete er ihn darum.

Als alle neuen Schüler zugeteilt waren, nahm Professor McGonagall Hut und Stuhl und schritt mit ihnen davon, während sich Professor Dumbledore erhob. Nun war es endlich soweit, und gleich konnte das beginnen, worauf besonders Ron immer am allermeisten wartete.

»An unsere Neuen«, sagte Dumbledore mit schallender Stimme, die Arme weit ausgebreitet und ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, »willkommen! An unsere alten Hasen - willkommen zurück! Es gibt eine Zeit, um Reden zu halten, und diese ist jetzt nicht gekommen, so daß ich eigentlich nur sagen sollte, daß das Mahl beginnen könne. Indes gibt es bedauerlicherweise doch einige Dinge, die einer Erläuterung bedürfen. Wie alle von euch vorhin selbst miterlebt haben, gab es bei Miß Allgood ein kleines ... technisches Problem mit dem Sprechenden Hut. Dies hat nichts mit ihr persönlich zu tun und wäre bei jedem anderen in derselben Art und Weise auch eingetreten. Ich bitte euch alle, Miß Allgood wie jeden anderen zu behandeln, mit der einen Ausnahme, sie nicht nach diesen Geschehnissen zu fragen, da sie darüber längst nichts mehr weiß. Nun bleibt mir fürs erste nur noch zu sagen: HAUT REIN!«

Dumbledore setzte sich und warf seinen Bart über seine Schulter. Beifall brandete auf, während aus dem nichts Speisen erschienen, und die fünf langen Tische ächzten unter Geflügel und Pasteten und Schüsseln mit Gemüse, unter Brot und Soßen und Krügen voll Kürbissaft oder Tee.

»Endlich«, kam es von Ron, der sofort mehr auf den Teller schaufelte, als ein gesunder Mensch an einem ganzen Tag essen konnte. »Reichlich merkwürdig heute.«

»Erst singt er nicht, und dann spricht er nicht. Irgendwas stimmt mit dem Hut nicht, denke ich«, sagte Hermine nachdenklich und langte nun auch zu.

Harry dachte über alles nach. Auch darüber, daß Sara Allgood nichts mehr über die Probleme mit dem Hut wissen sollte, was nur bedeuten konnte, daß Dumbledore ihr Gedächtnis verändert hatte. Eigentlich hätte er sich über diese ganze Angelegenheit den Kopf zerbrechen sollen, doch war ihm im Moment alles andere egal. Er sah nur das herrliche Essen und begann zu schlemmen. Er futterte so viel Pastete, Hühnchen und Kartoffelbrei, daß ihm beinahe schlecht wurde, während er mit den anderen über die Worte des Hutes sprach.

»Dies wird ein schweres Jahr, das schwerste eures Lebens und vielleicht das letzte. Seid euch dessen immer bewußt«, wiederholte Hermine die Worte, und Harry konnte sich nur schwer ein Grinsen verkneifen.

»Trelawney hätte das gut gefallen«, witzelte er, und Ron fing an zu kichern.

»Nehmt es ernst«, bat Hermine.

»Hermine, glaube mir, jedes einzelne Wort des Hutes habe ich verstanden, und ich bin mir absolut im klaren, was sie bedeuten. Vielleicht mehr, als irgend jemand der anderen Schüler«, erwiderte Harry sofort leise, aber mit Nachdruck. Hermine nickte nur.

Als alle Schüler mit dem Essen fertig waren und der Lärm in der Halle allmählich immer weiter anschwoll, erhob sich Dumbledore erneut. Die Unterhaltungen verstummten sofort, und alle Blicke wandten sich ihrem Schulleiter zu. Harry war so voll, daß er sich kaum bewegen wollte, und träumte von seinem Himmelbett, wunderbar warm und weich, und er wünschte jetzt eigentlich nichts sehnlicher, als einfach nur hineinzufallen.

»Jetzt, da wir alle ein weiteres wunderbares Festessen verdauen, bitte ich für einige Momente um eure Aufmerksamkeit für die üblichen Ankündigungen zum Beginn des Schuljahres und einige andere Bemerkungen«, sagte Dumbledore. »Die Erstkläßler sollten unbedingt erfahren, daß der Wald auf dem Schloßgelände für Schüler verboten ist, und zwar ausdrücklich und ohne Ausnahme, es sei denn, ein Lehrer nimmt euch dorthin mit. Im Wald lauern viele Gefahren und dunkle Kreaturen, und diese könnten euch euer noch viel zu junges Leben kosten! Einige unserer älteren Schüler sollten sich ebenfalls lieber daran erinnern und es unter keinen Umständen vergessen.« Dumbledore machte eine kurze Pause, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken. »Mr. Filch, der Hausmeister, hat mich gebeten, euch daran zu erinnern, daß Zauberei zwischen den Unterrichtsstunden auf den Gängen nicht erlaubt ist, ebenso wenig wie eine Reihe anderer Dinge, die alle auf den Listen nachzulesen sind, die jetzt an Mr. Filchs Bürotür und zusätzlich an den Wänden daneben hängen. Dieses Jahr habe ich auch erneut eine Veränderung im Kollegium bekannt zu geben. Wir freuen uns sehr, Professor McNally bei uns willkommen zu heißen, er wird der neue Lehrer für Verteidigung gegen die dunklen Künste. Er war bereits unser Wunschkandidat für das letzte Jahr, doch könnte er die Stelle damals leider nicht antreten.« Dumbledore setzte sich und gab das Wort an Professor McNally, der sich von seinem Stuhl erhob und sich räusperte, bevor er lächelnd zu sprechen begann:

»Es freut mich sehr, euer aller Bekanntschaft zu machen, und es erfüllt mich mit viel Stolz, nach all den Jahren wieder hier zu sein. Ich selbst war vor einer Ewigkeit ein Schüler hier und habe seitdem niemals vergessen, was für eine wunderbare Zeit es für mich war. Auch wenn die Zeiten inzwischen andere sind und das Leben eines jeden einzelnen von euch und euren Familien bedroht ist, bin ich doch frohen Mutes, euch ein wenig von dem beibringen zu können, mit dem ihr euch selbst und eure Liebsten schützen könnt. Ich freue mich darauf, einen jeden von euch näher kennenzulernen.« Er setzte sich wieder, und ein leiser Beifall erhob sich, der immer lauter wurde, und auch Snape schien ehrlich einzustimmen. Nach einigen Sekunden erhob sich Dumbledore noch einmal, um wohl die letzten Worte zu sagen.

»Nun einige abschließende Worte von mir, ehe ihr entlassen seid, und ich bitte um höchste Aufmerksamkeit. Im Moment verhält sich der Feind der Zauberergemeinschaft ruhig. Trotzdem müßt ihr wissen, daß Voldemort noch immer da draußen lauert und seine Ziele umzusetzen versucht. Nehmt euch die Worte des Sprechenden Hutes zu Herzen, sie sind so wahr, daß es mir im Herzen wehtut. Ihr alle solltet euch bewußt sein, daß es bald schlimme Nachrichten geben könnte. Diese werden den einen oder den anderen besonders stark treffen, und ich bitte euch darum, euren Kameraden über die schlimme Zeit hinwegzuhelfen und ihnen immer zur Seite zu stehen.«

Als Harry seine Mitschüler betrachtete, sah er, wie alle Dumbledore ehrfurchtsvoll anblickten. Als er hinüber zum Tisch der Slytherins blickte, fiel ihm auf, daß selbst Crabbe und Goyle Angst zu haben schienen. Nur Draco Malfoy, Pansy Parkinson und einige Siebtkläßler, die ihm nur vom Sehen bekannt waren, schienen sich nicht an den Worten zu stören.

Dumbledore sprach weiter: »Es wird in diesem Jahr auch einige Änderungen im Ablauf geben. Dieses Jahr werden erst Ende Juni, genauer gesagt zwischen dem siebenundzwanzigsten Juni und dem vierten Juli, die UTZ-Prüfungen für die Siebtkläßler stattfinden, ebenso wie die ZAG-Prüfungen für die Fünftkläßler und die Jahresabschlußprüfungen aller anderen Schüler. Wir haben die Prüfungen verschoben, um euch so ein wenig mehr Zeit zum Lernen zu geben und damit die Chance, noch erfolgreicher abzuschneiden. Die ZAG-Ergebnisse werdet ihr auch nicht erst in den Ferien erhalten, sondern noch vor Ende des Schuljahres. Das Schuljahr dauert diesmal auch etwas länger, eure Sommerferien werden also leicht gekürzt. Dies und auch einige weitere wichtige Ankündigungen können am Schwarzen Brett nachgelesen werden, dazu zählen natürlich auch die Termine der Quidditch-Auswahlspiele. Ihr habt noch eine Stunde, bis ein jeder von euch den Gemeinschaftsraum nicht mehr verlassen darf, und ich wünsche euch allen nun eine gute erste Nacht und einen erholsamen Schlaf.«

Dumbledore setzte sich wieder. Ringsum begann ein großes Stühlerücken und Fußgetrappel, während alle aufstanden und sich bereitmachten, die Halle zu verlassen.

Hermine sprang auf. »Bis nachher«, rief sie und lief mit Ron los, der sich auch erhoben hatte, um nach den Erstkläßlern zu sehen.

Harry fing einen Blick von Dumbledore auf, der ihm wohl bedeutete, zu ihm zu kommen. Er ging also zum Lehrertisch und stand nur Sekunden danach vor seinem Schulleiter.

»Es wäre gut, noch heute das erste Treffen abzuhalten«, sagte dieser bloß, und Harry verstand.

Sofort zog er seine falsche Galleone aus dem Umhang und änderte unauffällig die Ziffern rings um den Rand der Münzen, ohne daß es irgend jemand sonst mitbekam. Sie zeigten nun Datum und Uhrzeit des nächsten Treffens an, und zwar in zwanzig Minuten. Erstaunt blickten sich einige DA-Mitglieder in der Großen Halle um und fanden schließlich Harry vorne am Tisch bei Dumbledore. Sie versuchten möglichst unbemerkt, ihre Münzen zu lesen. Währenddessen versuchte Harry, Draco Malfoy im Auge zu behalten, um sicherzustellen, daß dieser davon nichts mitbekam.

Auf seinem Weg nach oben begegneten ihm einige der DA-Mitglieder, die nun auf den verschiedensten Wegen zum Raum der Wünsche im vierten Stock eilen würden, immer darauf bedacht, nicht zu große Gruppen zu bilden, um möglichst unauffällig zu bleiben. Harry wollte sicherheitshalber die Karte des Rumtreibers aus seinem Koffer holen und machte deshalb einen Umweg über den Gemeinschaftsraum, während andere über die Bibliothek oder auch über die Eulerei gehen würden, so, wie sie es im Zug verabredet hatten. Auf dem Weg nach oben blieb ihm nicht verborgen, daß Draco Malfoy ihm in einigem Abstand folgte. Im Gemeinschaftsraum angekommen, traf er auch Ron und Hermine wieder, die gerade die Erstkläßler in ihre Unterkünfte gebracht hatten und sich jetzt wohl auf den Weg zum DA-Raum machen wollten.

»Ich hol' die Karte und gehe vor. Malfoy verfolgt mich. Wartet, bis er weg ist, ich locke ihn auf eine falsche Fährte«, sagte Harry zu ihnen. Ron und Hermine nickten zur Bestätigung und setzten sich vor den Kamin, während Harry die Treppe zu seinem Schlafsaal hochstieg.

Er stand nun vor der Tür seines alten Schlafsaals, auf dem jetzt ein Schild mit der Aufschrift Sechstkläßler angebracht war. Er betrat das vertraute runde Turmzimmer mit den fünf samtbehangenen Himmelbetten und den hohen, schmalen Fenstern. Die Koffer waren schon hochgebracht worden und standen vor den Betten. Er öffnete seinen Koffer und fand sofort die Karte, die er suchte. Er holte seinen Zauberstab hervor, entfaltete das Pergament, tippte es mit dem Zauberstab an und murmelte: »Ich schwöre feierlich, daß ich ein Tunichtgut bin.«

Eine Karte von Hogwarts erschien auf dem vorher leeren Pergament. Darauf bewegten sich winzige schwarze, mit Namen versehene Punkte, die zeigten, wo verschiedene Leute sich im Schloß aufhielten. Sofort sah er Ron und Hermine, die noch immer im Gemeinschaftsraum waren, und er fand auch Draco Malfoy recht schnell, der sich in der Nähe des Eingangs zum Gryffindor-Turm versteckte und wohl auf Harrys Auftauchen wartete.

Er steckte die Karte und den Zauberstab in den Umhang und ging hinunter in den Gemeinschaftsraum, wo er seinen beiden Freunden kurz zunickte. Keine 10 Sekunden danach war er auf dem Weg zum DA-Raum, wollte sich aber die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Draco Malfoy ordentlich an der Nase herumzuführen. Er befand sich auf dem Wege zur Bibliothek und hörte in einiger Entfernung Schritte hinter sich, die nur von dem blonden Slytherin sein konnten. Die Karte wurde von ihm aus dem Umhang gezogen und aufgeklappt. Er wußte, daß sich gleich hinter der Ecke eine kleine geheime Nische hinter einem Wandteppich befand, und verschwand nur Sekunden später darin. Gebannt wartete er, was Malfoy tun würde, und verfolgte alles auf der Karte des Rumtreibers. Malfoy blieb in der Nähe des Teppichs stehen und wandte sich scheinbar unentschlossen in verschiedene Richtungen, irritiert darüber, daß er Harry aus den Augen verloren hatte. Nur zehn Schritte entfernt war eine kleine Kreuzung, die in verschiedene Teile des Schlosses führte, und Malfoy war nun unsicher, welchen Weg sein Widersacher wohl genommen hatte. Augenblicke später entschied sich Draco, den linken Weg zu nehmen, der ihn schnell in den siebten Stock führen würde, doch dieser Teil des Schlosses war nicht Harrys Ziel. Sein Ziel lag im vierten Stock, und auf diesen schritt er jetzt zu, kaum daß er die Nische verlassen hatte, aber nicht ohne sich vorher abzusichern, daß Malfoy weiter unbeirrt in die falsche Richtung lief.

Einige Minuten später betrat er zusammen mit Neville, der einen Umweg über die Bibliothek gemacht hatte, den Raum und begrüßte diejenigen, die schon vor ihnen hier eingetroffen waren. Auch Dumbledore war schon im Raum, stand aber etwas abseits und wurde von einigen unsicher beäugt, zu denen auch Zacharias Smith zählte. Nach und nach traf auch der Rest ein, ebenso wie Ron und Hermine. Einige neue waren dabei, so daß sie jetzt knapp über fünfundzwanzig zählten, obwohl die Siebtkläßler des Vorjahres fehlten. Harry ergriff das Wort und dankte allen für ihr Kommen, bis er das Wort an Dumbledore weitergab.

»Ihr werdet euch sicher nach dem Grund fragen, weshalb ich heute in eurer Mitte bin«, begann dieser, »und weshalb ich überhaupt vorgeschlagen habe, diese – ich nenne es mal – neue Institution, weiter bestehen zu lassen, sie sogar noch auszubauen zu wollen. Nun, diese Gründe möchte ich euch erläutern. In Zeiten wie diesen ist es unbedingt erforderlich, eine Gruppe von Leuten um sich zu haben, denen man nicht nur vertraut, sondern auf deren Hilfe man sich immer verlassen kann und denen man immer helfen wird. Vieles von dem, was ihr wissen müßt, können wir euch im regulären Unterricht beibringen, doch ist es immer ratsam, Kräfte und Fähigkeiten zu besitzen, deren sich kein Feind bewußt ist. Aus diesem Grund ist das Fortbestehen diese kleinen Gruppe auch in meinem Interesse, auch, da viele von euch schon im nächsten Jahr nicht mehr hier sein werden und statt dessen aktiver als jetzt ins Geschehen eingreifen können.

Harry bleibt natürlich der Leiter dieser Gruppe, doch erlaube ich es mir, von Zeit zu Zeit Gastvorlesungen zu geben, in denen ihr besonders schwierige Sachen erlernen werdet. Einige Treffen werde ich womöglich selbst leiten, wobei dies immer auch von euren Fortschritten abhängt. Dies alles geschieht, um Harry in seinem Bestreben, aus euch gute wehrhafte Zauberer zu machen, die schon in naher Zukunft an meiner Seite gegen Voldemort kämpfen werden, bestmöglich zu unterstützen,. Sofern es meine knapp bemessene Zeit ermöglicht, werde ich mich mit Harry treffen, und wir werden eure Fortschritte besprechen, ebenso wie den Lehrplan, den er für euch entwickelt. Ich weiß, daß ein jeder von euch auch noch andere Interessen hat und natürlich auch möglichst viel Zeit für das Erlernen des normalen Schulstoffes verwenden möchte, doch bitte ich euch, diese Sache sehr ernst zu nehmen, da es für das Überleben eines jeden einzelnen von euch von entscheidender Bedeutung sein kann.« Mit diesen Worten verschwand er.

Die Schüler beredeten kurz ihre Vorstellungen vom weiteren Verlauf der Übungen und beschlossen, auf vorsichtige Art und Weise neue Mitglieder zu werben. Besonders auf Malfoy und seine Bande sollte jeder acht geben und sich nicht von ihnen erwischen lassen. Anschließend wurde die erste Versammlung aufgelöst, und Harry entließ alle, nicht ohne noch einen Blick auf die Karte zu werfen.

Gerade als er auch gehen wollte, hielt Neville ihn am Arm fest. Da er davon ausging, daß dieser ein vertrauliches Gespräch mit ihm führen wollte, wartete er, bis alle anderen den Raum verlassen hatten. Als er ihnen nachsah, entging ihm nicht, daß sich Ron und Luna zum Abschied sehr lange in die Augen sahen, ehe sie sich trennten, um ihre Häuser aufzusuchen.

»Was ist los, Neville?« fragte Harry, als sie alleine waren, und sah ihn neugierig an.

»Es geht um meinen Patronus. Ich kriege ihn einfach nicht hin. Ich kann mich einfach an nichts Glückliches erinnern, obwohl ich die ganzen Ferien drüber nachgedacht habe«, erwiderte dieser.

»Du hast doch jetzt einen neuen Zauberstab von Mr. Ollivander bekommen, oder?«

»Ja, habe ich. Großmutter war nicht gerade begeistert, aber dann meinte sie, vielleicht sei es besser so. Aber was hat das mit dem Patronus zu tun?«

»Nun, eine ganze Menge. Ich erkläre es dir. Du hast nun endlich einen Zauberstab, der optimal zu dir paßt. Dieser wird es dir ermöglichen, besser zu zaubern und damit bessere Noten zu bekommen. Du wirst sehr schnell selbstbewußter werden, und ein Mädchen wird das bemerken. Du wirst sie ansprechen oder sie dich, und nach dem ersten Kuß wirst du auf ewig die perfekte Erinnerung für deinen Patronus haben.« Die Worte kamen so schnell und selbstverständlich aus seinem Mund, daß weder er noch Neville dabei peinlich berührt waren.

»Ähhm, vielleicht hast du recht«, meinte Neville, doch Harry wußte genau, daß er recht hatte.

Ginny wartet nur darauf, und dann wird dir ein grandioser Patronus gelingen, dachte Harry im stillen und verließ zusammen mit Neville den Raum.

Als er den Gemeinschaftsraum betrat, sah er Hermine alleine am Kamin sitzen und nachdenklich ins Feuer blicken. Er setzte sich neben sie und fragte sie, ob alles in Ordnung sei.

»Ja klar, ich denke nur über Ron und Luna nach«, erwiderte sie und drehte sich zu ihm. Der Gemeinschaftsraum war schon fast leer und nur noch wenige Schüler saßen in weit entfernten Ecken, so daß sie ungestört sprechen konnten.

»Was ist mit den beiden?«

»Ich habe eben mit Ron gesprochen und wollte wissen, was da zwischen ihnen läuft, und ...«

»Warum wolltest du das wissen?« unterbrach er sie.

Sie schien einige Zeit über die passende Antwort nachzudenken, dann antwortete sie: »Weil ich wissen muß, wie er für mich empfindet. Das ist mir sehr wichtig.«

»Erzähl weiter.«

»Na ja, mir ist aufgefallen, daß er sie merkwürdig ansieht, und sie ihn auch – obwohl Luna ja die meiste Zeit merkwürdig schaut. Aber diese Veränderung, die sie durchgemacht hat, ist schon auffällig. Irgendwas geht vor, und das wollte ich auch klären. Ich hab' Ron auf ihre Veränderung angesprochen ...«

»Was sagt er denn?« unterbrach Harry sie erneut.

»Er findet es wirklich gut, wie sie sich jetzt gibt. Ihm ist natürlich auch aufgefallen, daß sie ihm verstohlen Blicke zuwirft, und er hat auch schon über sie nachgedacht, hat er zumindest erzählt. Er ist sich aber noch nicht sicher, wie gut er sie wirklich leiden kann.«

»Ist das gut, oder findest du das schlecht, daß er vielleicht Interesse an ihr hat?« fragte Harry ganz offen und natürlich mit gewissen Hintergedanken.

»Ich finde es gut. Ich hab' ihm gesagt, daß ich vermute, daß sie sich nur wegen ihm so verändert hat. Dabei hat er die Augen verdreht. Ich weiß jetzt aber nicht, wie ich das deuten soll.«

»Na ja. Er findet es nicht unbedingt gut, daß sich jemand nur deshalb ändert, um einem anderen besser zu gefallen.«

Sie dachte wohl einen Augenblick darüber nach und nickte schließlich. »Er hat mich gebeten, mit ihr zu sprechen. Ich wollte zuerst nicht, doch er hat mich überredet. Ich weiß gar nicht, wie ich das machen soll. Ich wollte Ginny bitten, doch das hat er vehement abgelehnt. Seine Schwester darf kein Wort wissen.«

»Das kannst du dir sparen. Luna steht auf Ron, und Ginny weiß alles darüber.«

»Woher weißt du das?« fragte sie und blickte unsicher in sein überlegen lächelndes Gesicht.

»Wir haben während der Zugfahrt nicht nur über Damenunterwäsche gesprochen, sondern auch über dieses Thema. Aber rede mit niemandem darüber, auch nicht mit Ron. Sag ihm nur, sie wäre wahrscheinlich nicht abgeneigt, wenn er sich nicht wie ein Esel benimmt.« Er wollte sich nun erheben und ihr eine gute Nacht wünschen, als ihm noch etwas einfiel. »Wo wir gerade beim Thema sind. Was ist jetzt zwischen dir und Viktor?«

Sie wurde rot. »Das kann ich dir jetzt nicht sagen. Ich möchte jetzt lieber ins Bett«, sagte sie schnell, sprang auf und war fort, bevor Harry sich überhaupt vom Sessel erheben konnte. Sein Blick schweifte zurück zum Feuer, und er sah dem Spiel der Flammen zu.

»Ich werde dir sagen, was mit ihr und Viktor ist.«

Er sah erschrocken auf und erkannte Ron, der sich neben ihn setzte. »Wo kommst du jetzt her?«

»Neville hat gesagt, daß du noch mit Hermine sprichst, und mir war klar, daß ihr auch über mich sprechen würdet. Also bin ich heruntergekommen, habe aber nur noch mitbekommen, wie du sie nach Krum gefragt hast. Normalerweise wäre ich darüber wirklich wütend, daß ihr hinter meinem Rücken über mich sprecht, doch sie hat dir wahrscheinlich weniger sagen können, als du ohnehin schon wußtest, oder?«

Harry nickte stumm.

»Na ja. Wenn sie mit dir über mich spricht, obwohl ich sie gebeten habe, es nicht zu tun, dann kann ich auch mit dir über sie und Viktor sprechen.«

»Schieß schon los. Ich sterbe vor Neugier.«

»Gut, Kumpel, dann will ich mal nicht so sein. Ich habe ihr also erzählt, daß sie sich ja vollkommen … eigenartig benimmt. Ich wollte nur wissen, ob sie in Ordnung ist oder ob sie ein Problem hat. Sie wollte zuerst gar nichts sagen, du kennst sie ja. Aber weil ich mit ihr auch über Luna gesprochen hatte, mußte sie sich revanchieren.« Dabei grinste er schelmisch. »Jedenfalls hat sie gesagt, daß es mit Viktor ganz schlecht läuft. Der will doch wirklich, daß sie zu ihm nach Italien kommt. Ich meine, jetzt sofort. Nicht mal die Schule soll sie beenden, kannst du dir das vorstellen?«

Ron war sichtlich entrüstet, und auch Harry konnte nur den Kopf schütteln. »Viktor kennt sie nicht. Für niemanden würde sie die Schule schmeißen.«

»Aber sie weiß nicht recht. Er sagt, er liebt sie. Aber sie fühlt sich auch viel zu jung für so was, und eigentlich wäre ihre Beziehung auch gar nicht soweit; und zudem glaubt sie nicht, daß sie in ihn verliebt ist. Ich meine, soviel Zeit haben sie ja auch noch nicht miteinander verbracht.«

»Und das hat sie dir alles erzählt? Das kann ich kaum glauben«, meinte Harry.

»Ich konnt's auch kaum glauben. Sie ist sonst nicht so, und sie war anfangs auch sehr zögerlich, hat dann aber doch alles erzählt. Weiß nicht genau warum, aber vielleicht mußte sie es einfach mal loswerden. Das geht ja schon seit Wochen so. Das fing wohl an, als sie den Urlaub in Bulgarien abgebrochen hat.«

»Hört sich ja schrecklich an«, erwiderte Harry etwas gedämpft, da auch Ron zuletzt leiser gesprochen hatte.

»Hab' ich auch gesagt. Ich hab' vorgeschlagen, daß ich Viktor mal einen Brief schreiben könnte, aber sie traut sich wohl nicht, offen zu sein. Na ja, sie hat abgelehnt, und ich bin dann auch gegangen. Ganz schön hart, oder?«

»Das kannst du laut sagen. Daß es so schlimm ist, hätte ich nicht gedacht.« Dann stand er auf. »Laß uns schlafen gehen. Morgen müssen wir früh raus, ist ja Montag. Wetten, daß wir zuerst Snape haben?«

»Die Wette würdest du gewinnen, lassen wir das lieber«, sagte Ron lächelnd und folgte Harry zum Schlafsaal.

In dieser Nacht träumte Harry erstmals wieder von Sirius, doch war es für ihn bei weitem nicht mehr so schlimm, daß er davon aufgewacht wäre. Trotzdem fühlte er sich am nächsten Morgen ziemlich schlecht, als er von Ron geweckt wurde. Entsprechend müde ging er mit den anderen zum Frühstück. Vor der Großen Halle traf er überraschend auf Dumbledore, der ihn kurz zur Seite nahm.

»Du hast heute abend deine erste Okklumentik-Stunde bei Professor Snape. Er erwartet dich um achtzehn Uhr im Kerker. Allen anderen sagst du, du habest Nachhilfestunden in Zaubertränken«, sagte dieser ihm leise, so daß niemand sonst ihn hören konnte. Harry war über diese Mitteilung nicht erfreut, nickte aber und lief in die Große Halle, um sich sogleich neben Ron niederzusetzen.

»Was wollte Dumbledore?« fragte dieser leise.

»Achtzehn Uhr bei Snape im Kerker. Okklumentik« antwortete Harry flüsternd, bevor er sich eine Schüssel mit Cornflakes zurecht machte.

Ron stieß ein Stöhnen aus, und Harry tat es ihm gleich. Dann schüttete er Milch in seine Schüssel, als eine Eule vor Hermine landete und sie ihre Ausgabe des Tagespropheten erhielt. Kaum hatte sie damit begonnen, diese durchzublättern, als eine weitere Eule vor ihr landete. Diese brachte keine Zeitung, sondern einen Brief, der unverkennbar von Viktor Krum war. Harry hatte die Handschrift schon einige Male gesehen und sofort wiedererkannt. Mit leicht zittrigen Fingern versuchte Hermine den Brief zu öffnen, bis ihr wohl bewußt wurde, daß Harry neben ihr saß. Nervös tauschte sie einen Blick mit ihm und verschwand schneller aus der Halle, als Harry es je bei ihr gesehen hatte. Dabei wäre sie beinahe mit Professor McGonagall zusammengestoßen, die gerade dabei war, ihnen die Stundenpläne auszuteilen. Eine Sekunde später hatte er den seinen in den Händen und sah zuerst auf die Spalte für den Montag.

»Doppelstunde Zaubertränke«, riefen Ron und er im Chor und fingen an zu lachen, obwohl ihnen nicht danach zumute war.

Andererseits waren sie diesmal gut vorbereitet, und Harry nahm sich vor, aufmerksam zu bleiben und sich nicht wieder von Snape provozieren zu lassen, dann würde es schon erträglich werden. Als er sich den Rest des Planes ansah, bemerkte er, daß es nur noch Doppelstunden gab, was ihn aber nicht verwunderte. Zwar fragte er sich, wie er eine Doppelstunde Geschichte der Zauberei überstehen sollte, doch nahm er es sich fest vor, egal, wie langweilig Binns auch sein würde.

Etliche Minuten später kam Hermine zurück und sah kein bißchen glücklicher aus. Ganz im Gegenteil glaubte Harry einen Moment, daß sie vielleicht sogar geweint hatte, wovon sie sich aber nichts anmerken ließ.

Er reichte ihr ihren Stundenplan, und gemeinsam brachen die drei auf. Da sie in weiser Voraussicht schon ihre Unterlagen für Zaubertränke dabei hatten, konnten sie ohne Umweg zum Kerker gehen, während Neville mit vielen anderen noch einmal in den Gemeinschaftsraum zurückmußte. Sie gingen den Weg, den sie schon so oft genommen hatten, und trafen vor dem Kerker auf einen Haufen Slytherins. Harry entdeckte Malfoy unter ihnen, und seine Stimmung sank weiter.

»Ah, Potter! Wieder mit dem Wiesel und dem Schlammblut. War nur eine Frage der Zeit, wann unser Möchtegernheld hier auftaucht«, giftete dieser, als er sie bemerkte, doch die drei antworteten nicht. »Was ist los, Potter? Hat es dir die Sprache verschlagen, oder hat dir das arme Wiesel was ins Maul gestopft?« Noch immer zeigten die drei keine Reaktion. »Potter, Potter, Potter. Du solltest wissen, daß die gute alte Ignoriertaktik bei fast jedem wirkt, doch bei mir nicht. Vielleicht ignorierst du mich ja auch gar nicht und bist nur deshalb so still, weil dir keine passenden Beleidigungen einfallen. Frag mal dein widerliches geiles Schlammblut, die kennt ein paar.« Nun kochte Ron schon fast über. Auch Harry hatte inzwischen sichtlich Mühe, sich zurückzuhalten, wohingegen Hermine äußerlich ruhig wirkte. Trotzdem machte keiner Anstalten, etwas zu erwidern. »Wer von euch kriegt jetzt eigentlich das Schlammblut Granger? Du oder das Wiesel? Oder teilt ihr sie euch, wie es unter Freunden üblich ist?« Malfoy begann laut zu lachen.

»Fünf Punkte Abzug für Slytherin«, sagte ein ölige Stimme, die nur von Snape stammen konnte. Malfoys Lachen erstickte, er drehte sich erschrocken zur Tür und blickte in das versteinerte Gesicht seines Hauslehrers, dessen schwarze Augen einmal aufblitzten.

»Sir!« begann Malfoy, ließ es dann aber doch bleiben und sah zornig zu Harry herüber. Das erste Mal, dachte Harry und fing an zu lächeln. Plötzlich sah Snape ihn an, und an seiner Lippe zuckte es kurz.

»Zwanzig Punkte Abzug für Gryffindor«, sprach er leise und so ruhig, daß es Harry fast Angst machte.

Sofort beruhigte sich Malfoy und ging schließlich mit einem Lächeln in den Kerker. Die Ungerechtigkeit dieser ganzen Aktion ging Harry auf die Nerven, doch wenn er ehrlich war, würde er von Snape wohl nie etwas anderes erwarten können.

Inzwischen waren auch die restlichen Schüler bei den Kerkern eingetroffen. Sofort ging Snape zur Tafel, und ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren, erschien an ihr das Rezept für einen komplizierten Trank. Obwohl Harry sich schon große Teile des Lehrbuches für das sechste Jahr angesehen hatte, war ihm dieser Trank unbekannt, schien aber nur wenig schwieriger zu sein als die Tränke, die sie in den Ferien geübt hatten. Die Klasse hatte inzwischen die Plätze eingenommen und wartete darauf, daß Snape seine weiteren Anweisungen gab.

»Dieser Trank ermöglicht es Ihnen, sofern überhaupt jemand von Ihnen ihn fehlerfrei hinbekommen sollte ...«, dabei sah er zu Neville und Harry, »... für eine kurze Zeit zu schweben. Dieser Trank ist komplex und schwierig, und ich bin mir ziemlich sicher, daß wir am Ende der Stunde einiges zu lachen haben werden.« Wieder warf er bei diesen Worten einen Seitenblick auf die beiden. »Da für diesen Trank sehr viele Zutaten entsprechend vorbereitet werden müssen und wir es in dieser Doppelstunde sonst nicht schaffen würden, werdet ihr in Gruppen zu je vieren arbeiten. Malfoy, Parkinson, Granger, Potter ...«, Verachtung klang beim letzten Namen durch, »die nächste Gruppe besteht aus Weasley, Longbottom, Thomas, Finnigan ...«

Harry hörte gar nicht mehr hin, während Snape die anderen einteilte. Statt dessen fragte er sich ernsthaft, womit er all dies verdient hatte. Nicht nur, daß er die Welt retten sollte, jetzt mußte er auch wieder mit Malfoy zusammenarbeiten, was ihm überhaupt nicht schmeckte. Auch Ron sah nicht gerade begeistert aus, und Harry konnte sich vorstellen, daß es wohl wegen Neville war. Trotzdem überkam Harry das merkwürdige Gefühl, daß es wohl so kommen mußte. Ihm wurde plötzlich klar, daß Professor Snape nach dem Gespräch mit Professor McGonagall und Dumbledore, infolge dessen es ihm ermöglicht worden war, an diesem Kurs teilzunehmen, ein noch schärferes Auge auf seine Leistungen werfen würde. Angesichts dessen wunderte er sich nicht mehr wirklich, daß er mit den drei Klassenbesten zusammen in eine Gruppe kam. Zwar war es ihm zuwider, Malfoys Anweisungen zu befolgen, doch konnte er seinerseits auch ihm Anweisungen erteilen, und das könnte lustig werden, wie er sich überlegte. So fügte er sich ohne Murren darein und begann mit der Arbeit.

Harry fiel dabei auf, daß Snape die vier häufig beobachtete und er sehr zufrieden dreinzublicken schien. Zwar mußte er einmal eingreifen, als sich Harry und Draco nicht einig waren und die Mädchen genervt die Augen verdrehten, aber ansonsten waren die vier bisher anscheinend fehlerlos geblieben.

Kurz vor Ende der ersten Stunde machte Snape dann einen größeren Rundgang. Er sah in jeden einzelnen Kessel und prüfte von jedem einzelnen Trank genauestens Farbe, Geruch und Konsistenz. Als erstes kam Snape zu ihnen und blickte in den Kessel, in dem eine widerlich riechende braune Flüssigkeit brodelte. Er steckte seinen Zauberstab hinein und rührte einmal um.

»Hervorragender Trank, Mr. Malfoy, Miß Parkinson«, sagte Snape und deutete eine Verbeugung an.

Innerlich kochte Harry, und auch Hermine schien alles andere als glücklich zu sein. Nicht einmal fünf Minuten zuvor hatten sie zwei schwere Fehler von Malfoy verhindert, und Snape fiel offenbar nichts anderes ein, als nur die beiden zu loben. Malfoy strahlte mit Parkinson um die Wette, während sich Harry wieder dem Rezept zuwandte und nur sehr schwer seinen Zorn bändigen konnte. Anschließend ging Snape weiter zu Ron, Dean, Seamus und Neville. Gewissenhaft prüfte er auch deren Trank und machte dabei einen überraschten Gesichtsausdruck. Sofort sah Harry zu Neville, der geheimnisvoll lächelte. Eigentlich hatte Harry erwartet, daß Neville Zaubertränke abwählen würde oder gar nicht erst für diesen fortgeschrittenen Kurs zugelassen worden wäre, doch schien er andere Pläne zu haben. Vielleicht hatte auch er eine ähnliche Abmachung mit McGonagall wie er selbst, dachte sich Harry, der nie im Leben erwartet hätte, daß Neville es in diese Klasse schaffen würde.

»Bis jetzt ist er wider Erwarten völlig makellos. Ich schätze, in etwa zehn Minuten ist er es nicht mehr«, sagte Snape leise und begann beim letzten Teil seiner Worte zu lächeln.

»Was ist in zehn Minuten?« fragte Hermine leise, und Harry zuckte mit den Schultern.

»Ich seh' mal nach«, flüsterte er zurück und las sich das Rezept genauestens durch. Plötzlich huschte ein Lächeln über sein Gesicht »Schau dir mal die Schritte neunzig bis dreiundneunzig an.« Harry nahm sich ein kleines Gefäß und füllte es mit der brodelnden Flüssigkeit im Kessel. Auch Hermine begann zu lächeln.

»Typisch Snape. Gibt die Anweisung, daß man eine kleine Menge abnehmen soll, um sie zehn Minuten abkühlen zu lassen, an der Stelle, an der man mit der schon abgekühlten Menge arbeiten muß. Klare Falle. Wenigstens hat er ein bißchen drauf hingewiesen«, flüsterte sie Harry ins Ohr. Unbemerkt von Snape nahm sie mit Ron Kontakt auf, um ihn zu warnen. Normalerweise würde sie so etwas nicht tun, dachte Harry, doch es war hinterlistig von Snape, und so etwas gefiel Hermine nicht.

»Was machst du da für einen Blödsinn, Potter?« schalt Malfoy und machte sich daran, die abgenommene Menge in den Trank zurückzukippen.

»Lies hier!« Harry hielt ihm das Buch unter die Nase und zeigte auf die entsprechende Stelle. Malfoy verzog nicht die geringste Miene und begann sogar damit, die Braunkrautwurzel zuzuschneiden, die bald in die separierte Menge gegeben werden sollte.

»Ron hat verstanden«, flüsterte Hermine und begann nun, die Itsch-Schnecken aus den Häusern zu ziehen, was ihrer Kehle zwei merkwürdige Töne entlockte, die nur von einem mühsam unterdrückten Brechreiz stammen konnten. Auch Malfoy bemerkte diese Geräusche wohl, da er sie mit einem Grinsen quittierte, als er erst die Schnecken ansah und dann in Hermine leicht grünliches Gesicht blickte.

»Ich mach' das. Kümmere dich um Schritt siebenundachtzig«, sagte Harry und nahm Hermine schnell die Schnecken weg, bevor sie in den Kessel spucken konnte. Sie dankte ihm mit einem warmen Lächeln.

Niemand sonst schien Snapes verdeckte Andeutung richtig interpretiert zu haben, da Harry bei keinem außer Ron einen kleinen Behälter entdecken konnte, in den gleich die Braunkrautwurzel gegeben werden mußte. Die Itsch-Schnecken wurden nun auch Harry fast zuviel, wobei es ihm mehr Sorgen bereitete, daß er etwas trinken sollte, in dem diese Viecher mitgekocht worden waren. Trotzdem pulte er zwölf von ihnen aus ihren Häusern und legte sie auf einen kleinen Teller, wo sie sich scheinbar ängstlich wanden, bis sie ihr Ende in dem heißen Trank finden sollten.

»Die Viecher sind einfach widerlich«, mußte sogar Malfoy eingestehen, und Pansy konnte sie gar nicht richtig ansehen, als Harry sie fünfzehn Minuten später in den Trank gab.

»Fünf Minuten, dann müssen sie alle fertig sein«, schallte Snapes Stimme durch den Raum, der inzwischen an seinem Lehrertisch saß.

Die vier erledigten die letzten Schritte und füllten schließlich vier kleine Schalen ab, da sie alle gleichzeitig den Trank schlucken sollten, um niemanden zu benachteiligen.

»Trinkt!« kam nur eine kurze Anweisung, und Harry setzte die Schale an.

Der Geruch war noch widerlicher als der Gedanke an die darin befindlichen Schnecken, doch würgte er es einfach in einem Schluck herunter. Der Geschmack mußte wohl irgendwo zwischen Gülle und rostigem Eisenstaub liegen, wobei Harry sich glücklich schätzte, nicht zu wissen, wie beides schmeckte. Aus diesem Grund war er auch überaus froh, daß Wingsterwurzel wie in den meisten widerlichen Tränken enthalten war, was immer noch als sicherstes Mittel galt, den Brechreiz zu unterdrücken. Mit jeder Sekunde fühlte er sich leichter und verlor schließlich den Bodenkontakt.

»Wie ich sehe, haben nur acht von Ihnen alles richtig gemacht. Die Gruppe um Mr. Malfoy und die Gruppe um Mr. Longbottom erhalten die volle Punktzahl. Die Gruppe um Mr. Zabini hat nur wenige Fehler gemacht und bekommt acht Punkte. Alle anderen gehen leer aus, und ich rate einem jedem von ihnen eindringlich, eine Rezeptur immer erst in seiner Gänze zu lesen.« Mit diesen Worten entließ Snape die Klasse. »Potter, Sie bleiben. Wir müssen noch über die Nachhilfe reden«, sagte Snape so laut, daß es Harry fast in den Ohren klingelte und es wirklich jeder hören konnte. Die Slytherins um Malfoy grinsten, während sie mit den anderen den Raum verließen. Ein wenig wütend blickte Harry seinen Freunden nach, die nun aus dem Kerker schwebten. Ron, der schon fast wieder Boden unter den Füßen hatte, warf ihm einen mitleidigen Blick zu, während der von Hermine eher ermutigend war.

»Nun, Potter, haben Sie sich ausreichend auf die heutige Stunde vorbereitet?« fragte Snape, als sie alleine waren, und ein sarkastischer Unterton schwang deutlich mit.

»Ich glaube schon, Sir«, erwiderte Harry, und Unbehagen breitete sich in ihm aus. Natürlich hatte er ein wenig geübt, doch wußte er nur zu gut, daß es nicht ausreichen würde.

»Das werden wir heute abend mit Sicherheit feststellen.« Nie zuvor hatte Snapes Stimme für Harry so zuckersüß geklungen.

»Ja, Sir!« preßte er dennoch hervor und hielt seinen Zorn zurück.

»Ich muß zugeben, daß Ihre heutige Leistung überraschend war. Daß Sie hier sind, verdanken Sie ausschließlich der Bitte von Professor McGonagall und der Anweisung von Professor Dumbledore. Enttäuschen Sie die beiden nicht, Sie würden es bereuen. Ich hoffe, Sie können Ihre übliche Arroganz überwinden und werden die Leistung bringen, die von Ihnen erwartet wird! Sie sind entlassen, Potter.«

Harry glaubte die Verachtung in Snapes Augen zu sehen, obwohl er ihn soeben mehr gelobt hatte als in den fünf Jahren zuvor. Eigentlich bot Snape schon wieder genug Grund, um auf ihn sauer zu sein, doch Harry schloß einen Moment die Augen, schluckte, drehte sich um und ging. Dabei wäre er fast über einen hochstehenden Stein des Kerkerfußbodens gestürzt, da er vergessen hatte, daß er noch immer schwebte. Sein Trank hatte jedoch inzwischen nachgelassen, und so war er kaum noch einen Zentimeter vom Boden entfernt, als es passierte. Er konnte sich gerade noch abfangen, sah jedoch dabei in einem der Kessel das Spiegelbild von Snapes Gesicht, der seinen Fehltritt höhnisch verfolgt hatte. Schadenfreude ist doch die schönste Freunde, dachte Harry und verfluchte seinen Lehrer, bis ihm plötzlich der Gedanke kam, daß es nur deswegen passiert war, weil sein Trank hervorragend gewesen war. Mit dieser Erkenntnis schwebte er gutgelaunt aus dem Kerker, immer darauf achtend, nicht ein weiteres Mal zu stürzen. Am Fuße der Treppe hatte er schließlich wieder festen Boden unter seinen Füßen. Er ging die Stufen hinauf und eilte den anderen hinterher.

Erst fünfzig Meter vom Gewächshaus entfernt holte er Ron und Hermine ein. Sie sprachen über die soeben zu Ende gegangene Stunde und drückten ihre Verwunderung über Neville aus, der, wie Ron berichtete, enorme Fortschritte gemacht hatte und bei der Zubereitung ihres Trankes der mit Abstand beste von ihnen gewesen war.

»Ich war wirklich überrascht. Er hat nicht einen Fehler gemacht, nur ein paar Kleinigkeiten übersehen, aber das ist ja sogar euch fast passiert.«

»Mich hat Nevilles Leistung nicht wirklich überrascht«, meinte Hermine. »Habt ihr nicht bemerkt, daß er selbstbewußter wirkt. Im Zug ist es mir noch nicht aufgefallen, doch eben in der Stunde hat er sich nicht von Professor Snape beeindrucken oder gar nervös machen lassen.«

Dabei lächelte sie schelmisch, was Ron verdächtig vorkam. »Warum lächelst du? Du weißt doch noch etwas mehr!«

»Ginny hat mir heute morgen verraten, daß sie an ihm interessiert ist.«

Rons Miene verfinsterte sich leicht, doch drang er weiter: »Das kann nicht alles sein.«

»Sie hat ihn heute morgen geküßt. Nur auf die Wange, aber das reichte wohl schon. Dann hat er ihr erzählt, daß er in den Ferien, nach diesen ganzen Erlebnissen im Ministerium, einige Zeit bei seinen Eltern war und mit seinen Dämonen - wie er es ausdrückte - Frieden geschlossen hätte. Er hat sich mit der Situation abgefunden und beschlossen, die Zeit in Hogwarts würdevoll zu Ende zu bringen. Dies beinhaltet auch, sich nicht mehr von Professor Snape lächerlich machen zu lassen.« Sie sprach jetzt leiser, da sie nun in der Nähe des Gewächshauses waren, vor dem die anderen warteten. »Neville hat einen guten Eindruck auf Ginny gemacht und schien wohl auch an ihr interessiert zu sein. Ich wette, die beiden kommen bald zusammen.« Dabei strahlte sie, und ließ in Harrys Herz die Sonne ein zweites Mal an diesem herrlichen Tag aufgehen. Als sich dann unwillkürlich ihre Blicke trafen und sie dabei ein wenig errötete, hätte Harry vor Glück sterben können.

»Meine Lieben ... wir werden uns heute ganz und gar den Hydrophilakteen widmen. Diese sind hochgiftig und sollten nur mit Drachenhauthandschuhen berührt werden. Sollten Sie bespuckt werden, was sicher häufiger vorkommen wird, werden Sie von diesen Schutzbrillen vor dem Verlust des Augenlichts bewahrt.« Professor Sprout zeigte bei diesen Worten auf eine Kiste mit den häßlichsten Brillen, die Harry je gesehen hatte. Sie nahm die Kiste und verteilte die Brillen. In der Zwischenzeit blickte Harry zu Neville herüber, der tatsächlich überaus selbstsicher wirkte. Das war aber auch nicht verwunderlich, da er in Kräuterkunde ein absolutes As war und sogar Hermine ausstach.

»Widerlich«, hörte Harry aus einer Ecke und sah etliche, die die Brillen mit einem zweifelnden Blick musterten. »Wo hat sie bloß immer das häßliche Zeug her?«

Der Unterricht selbst war für Harry problemlos zu bewältigen, hatte er sich doch mit Hermine und Ron auf dieses Thema vorbereitet, und so waren sie und Neville schließlich die einzigen, die nicht von den magischen Wasserkakteen bespuckt worden waren. Dean hatte weniger Glück und bekam eine große Ladung genau auf seinen Umhang, wo es einen scheußlichen Fleck hinterließ, der selbst mit dem stärksten Reinigungszauber nicht mehr weggehen würde.

»Den kann ich wegschmeißen«, hatte er geflucht, als ihm Madam Sprout die schlechte Nachricht verkündet hatte.

Beim Mittagessen bemerkte Harry, wie Neville und Ginny, die nebeneinander saßen, sich immer wieder an den Händen berührten, ohne sich dessen bewußt zu sein. Dies alles geschah sehr zum Mißfallen von Ron, der die beiden scharf beobachtete und auch bei der kleinsten Berührung der beiden leise aufstöhnte. Harry waren solche Gedanken fremd, und er freute sich für die beiden.

Nach dem Essen trafen sie vor der Großen Halle auf Luna. Ron lächelte plötzlich und schien allen Ärger völlig vergessen zu haben. Er grüßte sie stotternd, was sie mit einem »Hallo, Ronald« erwiderte. Etwa dreißig Sekunden währte die darauffolgende Stille, in der sich die beiden tief in die Augen sahen, ohne sich der Welt um sie herum bewußt zu sein.

»Wir müssen los. Wir müssen noch unsere Bücher holen«, rief Hermine von der Seite und unterbrach den magischen Augenblick. Ron zuckte zusammen, als stünde eine riesige Spinne hinter ihm, die ihn angefallen hätte. Er löste sich von Luna und sah ihr nach, als sie wieder getrennte Wege gingen, da ihr Weg ein gänzlich anderer war.

Keine zehn Minuten später standen sie schon bei Professor McGonagall vor dem Klassenzimmer, nachdem sie noch kurz oben im Turm gewesen waren, um von dort ihre Bücher zu holen. Keiner wollte unaufgefordert ins Klassenzimmer hineingehen, da sie etwa fünf Minuten zu früh waren, und so warteten sie gemeinsam mit den anderen Schülern als die letzten in der Schlange. Die Tür öffnete sich, und McGonagall forderte sie auf einzutreten. Als Hermine mit den anderen durch die Tür schreiten wollte, wurde sie von der Lehrerin zurückgehalten, die einige Worte mit ihr wechselte, während sich Ron und Harry ihre üblichen Plätze sicherten.

»Was wollte sie?« erkundigte sich Harry ein paar Augenblicke später bei Hermine, während er seine Unterlagen aus seiner Tasche holte und sie sich neben ihn setzte.

»Oh, sie hat nur gefragt, ob das mit Remus und Krummbein in Ordnung wäre. Er hat Krummbein wohl gestern abend bei ihr abgeholt«, antwortete Hermine und holte ebenfalls ihre Unterlagen aus der Tasche.

Die Doppelstunde war schnell vorbei und Professor McGonagall nutzte sie hauptsächlich für einfachere Wiederholungen und dem Einsammeln der Hausaufgaben, die sie vor den Ferien aufgegeben hatte. Harry hatte keinerlei Schwierigkeiten und war beinahe selbst ein wenig überrascht, als er ein Brotmesser ohne Probleme in einen Spatz und weiter in eine Tischlampe verwandelt hatte.

»Sehr gut, Mr. Potter«, hatte Professor McGonagall ihn gelobt, und auch Hermine sah ihn mit Stolz an.

Der Unterrichtstag ging gut zu Ende. Hagrid holte sie nach der Schule am Tor ab, und zusammen gingen sie hinunter zu seiner Hütte. Auch Neville und Luna waren dabei, und dort sprachen sie auch über Grawp.

»Kann viel besser Englisch jetzt«, erzählte Hagrid begeistert.

»Das ist wirklich gut. Dann hast du es jetzt sicher leichter mit ihm«, sagte Hermine, und Hagrid nickte mit seinem riesigen Kopf.

»Jo, stimmt schon. Aber einsam isser trotzdem. Bin im Moment nich' immer da, wenn er mich brauchen täte. Muß öfters weg, und dann für'n Orden … na ja … ihr wißt schon«, erwiderte er und klang ein wenig unsicher, wieviel er wohl erzählen könnte. Die Zeit verstrich, Hagrid drängte darauf, daß sie jetzt Grawp einen Besuch abstatten müßten, aber für Harry war es jetzt Zeit zu gehen.

»Geht heute leider wirklich nicht. Ich muß jetzt zu Snape. Okklumentik, verstehst du?« entschuldigte er sich. Auch die anderen hatten viele Hausaufgaben zu erledigen, und so verabschiedeten sie sich von Hagrid und begleiteten Harry bis zum Schloß zurück, wo sich ihre Wege trennten. Harry schlug den Weg nach unten ein. Fünf vor sechs stand er vor dem Kerker und klopfte zweimal etwas lauter an.

»Herein«, kam es von drinnen gedämpft, und Harry betrat das Klassenzimmer. Snape saß an seinem Schreibtisch und arbeite offenbar an der Korrektur verschiedener Hausaufgaben, die er über die Ferien aufgegeben hatte und am Morgen abgegeben worden waren.

Auf dem großen Lehrertisch stand das Denkarium, das Snape wohl noch nicht mit seinen Gedanken gefüllt hatte. Sein Lehrer erhob sich vom Stuhl und verriegelte mit einem Schwenk seines Zauberstabes die Kerkertür, damit sie nicht gestört werden konnten. Harry setzte sich auf den Stuhl, den Snape wohl für ihn vorgesehen hatte. Dieser setzte den Zauberstab an seine Schläfe und steckte die Spitze in die fettigen Haare. Als er ihn wieder entfernte, löste sich die silbrige Substanz, die ein Teil seiner Erinnerungen und Gefühle war, die Harry keinesfalls sehen sollte. Er ließ die Substanz in das Denkarium schweben und führte immer und immer wieder diese Bewegung aus, die Harry schon so oft gesehen hatte, bis sich das Denkarium mit Snapes Gedanken und Erinnerungen gefüllt hatte und sie silbrigweiß darin umherwirbelten. Snape stellte das schwere Gefäß in das Regal und kam zu ihm zurück.

»Wer sagte was von setzen?« fuhr Snape ihn scharf an. Sofort sprang Harry auf. »Holen Sie Ihren Zauberstab heraus, Potter. Ich werde versuchen, in Ihre Gedanken einzudringen, und wir werden sehen, wie gut Sie geübt haben. Legilimens

Snape hatte zugeschlagen, doch obwohl Harry darauf gefaßt gewesen war, verschwamm der Kerker vor seinen Augen und löste sich auf; Bild um Bild raste ihm durch den Kopf wie ein flackernder Film seiner Erinnerungen. Er sah Sirius. Ein Blitz traf ihn, und er fiel. Harry versuchte sich zu wehren, seinen Geist zu leeren, doch es gelang nicht richtig. Cedric Diggory lag auf dem Boden, und seine leeren Augen starrten ihn an ... Er hörte, wie Hermine zum Frühstück gerufen wurde und sich langsam seine Augen öffneten. Das siehst du nicht! Nicht Hermine!

»Nein! Stopp!« rief er, riß die Augen auf und sah gerade noch Snape quer durch die Luft fliegen und dann gegen die Kerkerwand schmettern. Erschrocken ließ Harry seinen Stab fallen und eilte zu seinem Lehrer.

»Sir, sind Sie in Ordnung?« fragte er seinen überraschten und hart angeschlagenen Professor, der anscheinend schwer gegen die Bewußtlosigkeit ankämpfen mußte.

»Potter - was - war - das?« stotterte Snape benommen.

»Weiß nicht, Sir.« Harry half ihm aufzustehen und sich auf einen Stuhl zu setzen.

»Das ist unglaublich. Sie haben mich nur mit der Kraft Ihrer Gedanken abgewehrt. Körperlich abgewehrt«, sagte Snape nach Luft schnappend. Langsam schien er sich wieder zu erholen.

»Geht es wieder, oder soll ich Madam Pomfrey holen?«

»Nichts dergleichen werden Sie tun. Wir setzten die Sitzung fort, doch ich denke, ich sollte mich lieber mit dem Rücken an der Wand positionieren«, erwiderte Snape mürrisch, erhob sich wacklig vom Stuhl und wurde von Harry zur Wand geführt. »Machen Sie das gleich noch einmal, aber bitte bevor ich sehen kann, wie Black stirbt«, sagte Snape leicht zornig und zog seinen Zauberstab. Harry ging zurück zu der Stelle, wo der seine lag und hob ihn auf. Er stellte sich vor Snape in Positur und wartete. »Noch einmal ... ich zähle bis drei ... eins - zwei - drei - Legilimens

Harry schloß die Augen und spürte etwas in seinen Geist eindringen. Er spürte Snape, und er fühlte, daß er seine Erinnerungen suchte, doch jede, die er greifen wollte, zog Harry vor ihm zurück und verbarg sie in seinem Hirn. Eine Zeitlang ging das so weiter, bis Snape plötzlich abbrach.

»Was ist, Potter? Warum haben Sie mich nicht bekämpft?«

»Hab' ich das nicht? Haben Sie etwas gesehen, Sir?«

»Nein, aber ich wartete auch die ganze Zeit nur darauf, daß Sie endlich zurückschlagen«, erwiderte Snape und ging wieder in seine Angriffshaltung. »Diesmal richtig, Potter! Eins - zwei - drei - Legilimens

Wieder fühlte er Snape in seinen Gedanken, doch diesmal war es anders. Er fühlte seine Aggressivität und wie er viel entschlossener nach seinen Erinnerungen greifen wollte.

»Stopp«, rief Harry und öffnete die Augen. Langsam sah er Snape die Wand herunterrutschen, vor der er gestanden hatte. »Sir?« rief Harry panisch und versuchte ihm zu helfen.

»Pomfrey, schnell«, preßte Snape hervor und verlor das Bewußtsein. Harry verlor beinahe die Nerven. Wenn ich renne, dauert es zu lange, dachte er. Er sah sich hilflos um, bis er den dunklen und leeren Kamin in Snapes Büro sah. Hektisch lief er hin.

»Incendio!« sagte Harry und richtete den Zauberstab auf den Kamin. Sofort schossen Flammen aus der Feuerstelle und begannen so munter zu knistern, als ob sie dort schon seit Stunden geflackert hätten. Harry griff in den kleinen Behälter auf den Sims, nahm eine kleine Prise Pulver heraus und warf es in die Flammen, die sich sofort smaragdgrün färbten und prasselnd in die Höhe schossen. Er kniete sich hastig nieder, steckte den Kopf ins tänzelnde Feuer und rief: »Hogwarts, Büro Albus Dumbledore!«

Sein Kopf begann sich zu drehen, als wäre er gerade aus einem Kirmeskarussell gestiegen, doch seine Knie verharrten fest auf dem kalten Boden vor Snapes Kamin. Er hielt die Augen zugekniffen wegen der Aschenwirbel, und erst als das Kreiseln aufhörte, schlug er die Augen auf und blickte in das Büro von Professor Dumbledore. Dieser saß hinter seinem Schreibtisch und schien von Harrys plötzlichem Auftauchen etwas überrascht.

»Harry …«, begann er, doch Harry unterbrach ihn:

»Sir – Kerker - schnell. Snape braucht medizinische Hilfe.« Kaum hatte er die Worte gesagt, zog er seinen Kopf zurück und stand auf. Er lief zu Snapes reglosem Körper und schüttelte ihn: »Sir! Wachen Sie auf!« Doch er rührte sich nicht.

Eine schier endlos lange Zeitspanne verging, ehe Dumbledore mit Madam Pomfrey auftauchte.

»Wo bleiben Sie denn, es geht ihm schlecht«, sagte Harry, und Zorn schwang in seiner Stimme. Madam Pomfrey begann sofort damit, Snape zu untersuchen.

»Beruhige dich, Harry. Es ist keine zwei Minuten her, daß du mich gerufen hast«, beschwichtigte ihn Dumbledore und legte seine große Hand auf Harrys Schulter. »Erzähle mir, was geschehen ist«, fuhr er fort, und Harry erzählte es so schnell und genau, wie es in seiner Aufregung möglich war.

»Innere Blutungen, muß sofort auf den Krankenflügel«, unterbrach ihn Madam Pomfrey und hatte Snape schon auf eine Trage gebettet. Still folgte Harry den dreien durch das Schloß, bis sie eine Ewigkeit später endlich auf dem Krankenflügel ankamen. Sofort kümmerte sich Madam Pomfrey intensiv um ihren Patienten, während Dumbledore sich an Harry wandte.

»Du hast nichts falsch gemacht. Es ist nicht deine Schuld. Niemand konnte ahnen, daß solche Kräfte in dir stecken«, sprach der weise, alte Mann, doch Harry wollte ihm nicht glauben.

»Sir, natürlich ist das meine Schuld. Wenn er stirbt, werde ich mir das nie verzeihen können«, flüsterte Harry und beobachtete Madam Pomfreys Bemühungen.

»Sieh mich an«, sagte Dumbledore und legte erneut seine Hand auf Harrys Schulter, während er leise weitersprach, »er wird schon nicht sterben. Er wußte, was er tat. Dich trifft keine Schuld.«

»Sir, wenn nicht ich schuld bin, wer dann?« fragte Harry und sah ihn wütend an.

»Ich bin schuld!« flüsterte Snape kraftlos. Harry drehte sich überrascht zu ihm. »Nur meine Schuld. Hätten aufhören müssen, Vorkehrungen treffen.«

»Trinken Sie das«, sagte Madam Pomfrey und flößte Snape einen Trank ein. Einige Minuten später ging es ihm wieder sichtlich besser.

»Was ist geschehen, Severus«, fragte Dumbledore ernst, als Madam Pomfrey kurz in ihrem Büro verschwunden war.

»Ich drang in Potters Gedanken ein, doch alles, was ich greifen wollte, jede Erinnerung, verschwand, bevor ich sie zu fassen bekam, und dann sah ich schon etwas auf mich zukommen. Ich wollte mich noch zurückziehen, doch war es nicht mehr möglich. Es traf mich völlig unvorbereitet.«

»Wie hast du das gemacht?« fragte Dumbledore und blickte Harry sanft an.

»Sir, ich weiß es nicht.«

»Zeig es mir«, sagte Dumbledore und hielt seinen Zauberstab schon in der Hand.

»Nein! Ich werde nicht auch noch Sie verletzten«, antwortete Harry ein wenig zornig.

»Dann wehre mich auf eine andere Weise ab. 3 - 2 - 1 - Legilimens

Harry war noch nicht richtig bereit gewesen und spürte, wie Dumbledore in seine Gedanken eindrang; er sah hilflos mit an, wie er sich eine Erinnerung nach der anderen ansah. Er sah Cedric. Tod. Sirius. Tod. Er hörte seine Mutter. Tod. Szenenwechsel. Er sah Hermine in der Mysteriumsabteilung. Bitte sei nicht tot, dachte er. Szenenwechsel. Er öffnete ganz langsam die Augen und wußte, daß Hermine vor ihm stand, als er sie noch gar nicht erkennen konnte. Er wußte, welche Situation es war, und Dumbledore würde er sie genausowenig zeigen, wie er bereit war, sie Snape zu zeigen. Auf keinen Fall! Wehr dich, dachte Harry, und begann die Erinnerung zurückzuziehen; es war, als würde die Zeit rückwärts laufen und als würde er die Augen ganz langsam wieder schließen, ohne daß Dumbledore je hätte erahnen können, was es für eine Erinnerung war, die er vor ihm verbarg. Dumbledore wollte gerade eine andere greifen, doch auch die verbarg er weiter hinten, bis es mit einemmal vorbei war.

»Warum hast du es nicht getan?«

Harry öffnete die Augen und erblickte Dumbledore, der ihn enttäuscht ansah. »Was getan? Sie verletzen?« fragte Harry entrüstet.

»Du hast deine Erinnerungen nur versteckt. Wenn ich es wirklich gewollt hätte, dann wäre es mir gelungen, ihn sie einzudringen. Entweder mußt du mir falsche Erinnerungen zeigen, oder du mußt mich so abwehren wie Professor Snape. Was du eben versucht hast, wird Voldemort mit Leichtigkeit überwinden.« Er sah Harry streng an.

»Sie meinen, ich kann falsche Erinnerungen zeigen?« Warum hat Snape mir das nie gesagt, dachte er.

»In der Tat würde man das normalerweise tun, so wie auch ich es tun würde; doch wenn du dich körperlich zur Wehr setzen kannst, könnte sich das einmal als unschätzbarer Vorteil für dich erweisen«, erwiderte Dumbledore und sah zu Snape, der nur nickte.

»Wie kann ich falsche Erinnerungen erschaffen?« fragte Harry neugierig.

»Dies wird dir Professor Snape später zeigen. Doch nun wehre meinen Angriff ab. 3 - 2 - 1 - Legilimens

Diesmal hatte Harry sich vorbereitet. Dumbledore suchte gezielt die Erinnerung, die er ihm eben verweigert hatte. Nein, die kriegst du nicht, dachte Harry und spürte etwas in sich wachsen. Etwas Gewaltiges. Es zog sich tief in seinen Geist zurück. Er wollte es eigentlich nicht, doch Dumbledore näherte sich seiner Erinnerung an Hermine. Geh weg von ihr, dachte Harry und versuchte sie zu verbergen, doch er konnte nicht. Er hatte keine Wahl mehr. Etwas Gewaltiges zog sich immer weiter in ihn zurück, beinahe so, als würde eine Feder gespannt werden, und nur einen Moment später, noch bevor Dumbledore überhaupt etwas sehen konnte, kam es aus seinem tiefsten Inneren mit unglaublicher Geschwindigkeit hervorgeschnellt und verließ Harry über die Verbindung zu Dumbledore. Entsetzt riß Harry seine Augen auf und sah Dumbledore durch die Luft fliegen, und erst kurz vor dem Aufprall an der Wand stoppte sein Flug. Sein Schulleiter schwebte ziemlich schief, aber zufrieden lächelnd in der Luft und blickte Harry glücklich an. Snape, fuhr es Harry durch den Kopf und blickte zu ihm. Dieser hatte seinen Zauberstab in der Hand und Dumbledore vor dem Aufprall bewahrt.

»Was ist hier los?« jammerte eine entsetzte Madam Pomfrey, die gerade aus ihrem Büro zurückkam und zu Dumbledore eilte, der nun langsam auf dem Boden abgesetzt wurde.

»Eine phantastische Leistung, Harry«, meinte der alte Mann und kam wieder zurück zu Snapes Bett.

»Sie hätten sterben können«, erwiderte Harry kochend.

»Reden Sie keinen Unsinn, Potter. Es bestand zu keiner Zeit eine wirkliche Gefahr«, fuhr Snape ihn an, doch Harry hörte es aus seiner Stimme heraus, daß er innerlich viel erregter war, als er sich nach außen den Anschein gab.

»Du wirst deine Stunden bei Professor Snape fortsetzen. Trefft Vorkehrungen, damit kein Unfall geschieht, und übt auch die normale Gegenwehr«, sagte Dumbledore und war schon einen Moment später verschwunden.

»Wann kann ich gehen?« fragte Snape Madam Pomfrey, sah dabei aber Harry an. Dieser deutete das als Aufforderung, sich zurückzuziehen.

»Ich gehe dann, Sir!« sagte er und machte sich auf den Weg zurück in seinen Gemeinschaftsraum.

Er beschloß, vorerst niemandem davon zu erzählen und sich auch nicht die Schuld daran zu geben. Beide, Dumbledore und Snape, schienen überzeugt zu sein, daß ihn keine Schuld traf, warum sollte er sich also unnötig damit belasten? Mit leichten Kopfschmerzen nannte er der fetten Dame das Paßwort und platzte im Gemeinschaftsraum direkt in eine angeregte Diskussion des Quidditch-Teams, zumindest des Teils davon, der nun noch übrig war, nachdem wieder einmal einige Spieler von der Schule abgegangen waren. Als ihn Katie Bell bemerkte, verstummten die Stimmen sofort.

»Hallo, Harry, du kommst gerade richtig«, begrüßte ihn Ron, kam einen Schritt auf ihn zu und zog ihn in einen Sessel.

»Worüber redet ihr?« fragte Harry, obwohl er es nur zu gut wußte.

»Wer sprechen darüber, wer Kapitän wird«, sagte Katie lächelnd.

»Na du!« gab Harry prompt zurück.

Sie wich erschrocken zurück. »Nein. Das geht wirklich nicht. Habe mit den UTZ-Vorbereitungen einfach viel zuviel zu tun. Das tue ich mir wirklich nicht an. Tut mir leid. Ehrlich gesagt ... dachten wir an dich.« Die Umstehenden nickten.

»Das werdet ihr nicht erleben.«

»Warum? Du bist prädestiniert, uns anzuführen«, sagte Katie und sah enttäuscht aus.

»Zum einen leite ich bereits eine andere Gruppe, und das kostet mich viel Zeit. Außerdem, was noch viel wichtiger ist, bin ich nur ein ganz kleiner Bestandteil des Teams. Ich bin doch die meiste Zeit Einzelkämpfer und habe kaum Zeit, mich dem eigentlichen Spielgeschehen zu widmen. Wenn ich ehrlich bin, dann ist Ron als Hüter am ehesten für die Position des Kapitäns prädestiniert. Er ist stets hinten und hat das ganze Feld vor sich. Er kann alle bei ihren Spielzügen beobachten und kann dadurch das Spiel unserer Mannschaft auch viel leichter beurteilen und verbessern, als ich es jemals könnte. Außerdem versteht er viel mehr von Taktik als ich. Ich weiß doch im Prinzip gerade mal, daß ich 'n kleines goldenes Ding fangen soll.«

Alle sahen sich betreten an, nur Ron lief dunkelrot an. »Das geht nicht«, brachte er schließlich heraus. Natürlich wußte Harry, daß es ein Traum von Ron war, Kapitän zu werden, doch kannte er ihn mittlerweile auch so gut, um zu wissen, daß er ein kleines bißchen gebeten werden wollte.

Alle sahen Ron skeptisch an, doch langsam verstanden sie die Gründe, die Harry vorgebracht hatte, und sahen ein, daß Ron ihr Mann war.

»Komm schon, Ron!« drängelte Katie und wirkte entschlossen, Ron nicht so leicht vom Haken zu lassen wie Harry. Ein Grinsen schlich sich in Harrys Gesicht, als nun alle Ron bestürmten, der sich vergeblich zu sträuben versuchte.

»Na ja, okay«, gab er sich schließlich geschlagen, »was hab ich schon zu verlieren – außer meinem Ansehen und meiner Ehre.«

»Welches Ansehen? Welche Ehre«, fragte Harry scherzend und fing sich einen Boxhieb auf die Schulter ein.

Ganz seiner neuen Funktion gemäß, verkündete Ron: »Dann müssen wir eigentlich nur noch klären, wer dieses Jahr neu in die Mannschaft kommt. Aber ich hab' da schon eine gute Idee. Ich werde mich darum kümmern. Schon beim nächsten Training haben wir ein paar Neue.«

Nachdem auch diese Frage nun geklärt war, zerstreuten sie sich. Harry und Ron gingen ans Lernen, so wie sie es nun fast jeden Abend tun würden. Hermine hatte einen Plan für sie aufgestellt, der zwar nur wenig Freizeit vorsah, der aber zumindest einige Zeitfenster für spontane Aktionen freiließ. Wenn sie es schaffen sollten, sich an den Plan zu halten, so hatte Hermine ihnen versprochen, würden die Prüfungen am Schuljahresende ein Klacks werden. Somit war auch Ron mit Eifer bei der Sache.

Gegen elf war Harry so müde, daß er nur noch ins Bett wollte, während zu seiner eigenen Überraschung Ron und Luna noch zurückblieben und Ginny einen langen Gutenachtkuß auf Nevilles Wange drückte, dessen Gesicht daraufhin zu glühen begann und der wie auf Wolken die Treppe zum Schlafsaal hinaufschwebte. Lunas Anwesenheit fiel Harry erst jetzt auf und er fragte sich sofort, weshalb Luna noch so spät in einem fremden Gemeinschaftsraum war, wo doch längst Ausgangssperre bestand. Kurz überlegte er, ihr seinen Tarnumhang zu leihen, fand es aber dann doch unnötig, da Luna sicher genau wußte, was sie tat.

»Nacht, Hermine«, sagte Harry noch, als sich ihre Wege vor der Treppe trennten und sah für einen Moment in ihr zufrieden dreinblickendes Gesicht. Im Augenblick schien sie sich um Viktor Krum keine Sorgen zu machen und blickte ihn kurz an.

»Nacht, Harry«, erwiderte sie leicht betreten und blickte dabei ziemlich interessiert auf ihre Schuhe. Er war zu müde, um sich darüber zu wundern, und folgte Neville nach oben.

Als er den Schlafsaal betrat, sah er ihn mit offenem Mund auf seinem Bett sitzen und scheinbar krampfhaft über etwas nachdenken.

»Neville, mach den Mund zu, du sabberst gleich«, witzelte Harry und begann sich umzuziehen.

»Du hattest so recht«, erwiderte Neville, der offenbar gerade aus seinen Träumen gerissen worden war.

»Womit hatte ich recht?«

»Ginny.«

»Verstehe«, sagte Harry und grinste seinen Freund an. Dann wurde er ein wenig nachdenklicher. »Sag mal, Neville ...«

Eine kurze Pause entstand, in der sich Harry seine Worte zurechtlegte, während sein Freund ihn offen anblickte.

»Ich möchte dir danken, daß du mit ins Ministerium gekommen bist. Du warst sehr mutig, und ich bin froh, daß du dabei warst. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft«, sagte Harry leise und bedeutungsvoll.

»Und ich danke dir, Harry!« sagte Neville nur, lächelte ihn einen Moment an und legte sich in sein Bett.

»Wofür dankst du mir?«

»Für dein Vertrauen. Für deine Freundschaft. Du kannst immer auf mich zählen. Jetzt noch mehr als früher!« erwiderte Neville und schloß dann seinen Vorhang.

Anscheinend wollte er nicht mehr sagen, aber Harry hatte ihn auch so verstanden. Er schloß seinen eigenen Vorhang und kuschelte sich in sein Bett. Kurz dachte er darüber nach, wie er Hermine diese Spezialunterwäsche besorgen sollte, ohne daß er nach Hogsmeade konnte und ohne daß jemand, den er kannte, davon erfuhr. Er entschloß sich schließlich, Madam Malkins eine Eule zu schicken und um eine Auswahl an Bildern zu bitten, damit er ein schönes Modell aussuchen konnte. Dann fiel er schon ins Reich der Träume. Es waren schöne Träume, und Hermine spielte eine große Rolle dabei.