Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem Plot. Alle originalen Charaktere und Schauplätze die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.
Kapitel 8 – Grimmauldplatz Nummer zwölf
Nach einer erneut sonderbaren Reise landete Harry in der Küche am Grimmauldplatz, wo er und die anderen bereits von Molly erwartet wurden.
»Da seid ihr ja. Ich wußte, es wird spät, aber daß es so spät wird …«, begrüßte Molly sie und umarmte Ron, der ihr als erstes in die Finger kam.
»Schon gut, Mum«, quetschte Ron raus, scheinbar mit der letzten Luft, die Molly ihm zum Sprechen ließ. Ginny war als nächstes an der Reihe, und kurz darauf fand sich Harry in einer Molly-Umarmung wieder.
Da fiel ihr Blick auf Hermines Koffer, und sie sah Harry erschrocken an.
»Frag bitte nicht«, flüsterte Harry beinahe und levitierte ihren Koffer aus der Küche.
»Kommst du dann noch mal her, ich mache euch noch einen Kakao«, rief Molly ihm hinterher. Als Harry sich umdrehte, um ihr zuzunicken, lächelte sie.
Harry ließ Hermines Koffer nur bis in den Flur schweben. Irgendwie hatte er jetzt keine Lust, allein zu sein; und den Koffer nach oben zu bringen, war eigentlich auch sinnlos, weshalb er gleich in die Küche zurückging, wo die drei anderen bereits am Tisch saßen und jeweils eine Tasse dampfenden Kakaos vor ihren Nasen hatten.
»Das ging schnell«, bemerkte Ginny.
»Hab' ihn im Flur abgestellt. Warum soll ich ihn überhaupt hochbringen? Sobald die Schlacht vorbei ist, werde ich ihn an ihre Eltern schicken«, sagte Harry und setzte sich.
»Warum hast du ihn nicht im Schloß gelassen?« fragte Molly.
»Wer weiß, ob das Schloß dann noch steht«, erwiderte Harry und sah sie ernst an.
»Da hast du vielleicht nicht so unrecht. Wir wissen nicht, was passieren wird, doch Albus ist voller Zuversicht.« Ihre Stimme zitterte leicht. Währenddessen ließ Harry einen Schluck des herrlich schmeckenden Kakaos seine Kehle hinunterlaufen.
»Eurem Dad und auch Percy geht es ziemlich gut. Vielleicht kommen die beiden morgen schon her. Ich befürchte, sie wollen kämpfen«, fuhr Molly fort und sah ihre Kinder überaus besorgt an.
»Das wirst du ihm nicht ausreden können. Entweder verhext du Dad, oder er wird auf dem Schlachtfeld stehen«, sagte Ginny und lächelte ihre Mutter liebevoll an, doch auch sie sah sehr besorgt aus.
Harry war unwohl bei dem Gedanken, zwei weitere Weasleys in die Schlacht zu führen, und er mied deshalb Mollys Blick, die wahrscheinlich ausrasten würde, wenn sie davon erfahren sollte. »Werden Fred und George kämpfen?«, fragte er mit Blick auf seine Tasse.
»Ja, ebenso wie Bill und Charlie. Bis auf meine zwei Jüngsten hier«, sie sah beide lächelnd an, »wird wohl jeder Weasley daran teilnehmen.« Ein Bedauern war in ihrer Stimme zu hören.
»Bist du nicht stolz auf deine Kinder?« fragte Harry, der zu gern wissen wollte, ob Molly ihn töten würde, sollte Ron oder Ginny etwas passieren. Nur zu gut erinnerte er sich noch an die Sommerferien vor dem fünften Schuljahr, als Molly einen Irrwicht hatte vertreiben wollen und daran gescheitert war, weil sie jedes ihrer Familienmitglieder tot gesehen hatte, was ihre größte Angst war.
»Bei Merlin, ich bin so stolz, wie eine Mutter nur sein kann, doch …« Sie sprach nicht weiter, und es war auch nicht nötig. Wie sehr sie litt, konnte er sehen, auch wenn Molly überaus angestrengt versuchte, möglichst ihre Fassung zu wahren.
Kurze Zeit darauf betraten Harry und Ron ihr Schlafzimmer, während Ginny in dem anderen verschwand. Harry begann sich auszuziehen, und einige Gedanken begannen durch seinen Schädel zu spuken. Er hatte sie schon ein paarmal gehabt, doch bisher konnte er sie immer wieder zurückdrängen. Diesmal nicht.
»Ich würde gerne was sagen, Ron«, sprach Harry, während er jetzt seinen Pyjama anzog.
»Was ist es?«
»Ich denke nicht, daß sie zurückkommt. – So, jetzt ist es raus. Ich mußte es wenigstens einmal sagen.« Er verstummte und setzte sich traurig auf sein Bett. Hermines Sachen mitzunehmen, kam ihm so endgültig und gleichzeitig so notwendig vor.
»Ich auch nicht«, flüsterte Ron beinahe und setzte sich auf sein eigenes Bett. Leise klopfte es an der Tür.
»Kann ich reinkommen?« hörten sie noch leiser von draußen. Ron stand auf und öffnete Ginny die Tür.
»Was ist denn?« fragte er leise.
»Kann ich bei euch schlafen, ich möchte nicht allein sein«, sagte sie und blickte erst Ron und dann Harry an. Ron wandte sich zu Harry. Als dieser nickte, betrat Ginny den Raum, während Ron die Tür schloß.
»Wo willst du schlafen? Ich meine, wir könnten dir noch ein Bett zaubern, aber ich weiß nicht, ob wir zaubern dürfen«, fragte Ron und sah sich im Zimmer um, abschätzend, wo dafür der beste Platz wäre.
»Ich kann schlecht bei Harry im Bett schlafen, eins zu zaubern kannst du dir auch sparen, also bleibt nur deines, Bruderherz«, sagte Ginny lächelnd und saß schon auf seinem Bett.
»Wegen Neville, oder wie?« fragte Ron und setzte sich neben seine Schwester, während er zu Harry sah.
»Auch deswegen«, sagte sie und blickte Harry an.
Wenn Harry ehrlich war, hätte er es sehr schön gefunden, mit ihr in einem Bett zu schlafen, doch objektiv betrachtet wäre es auch ihm seltsam vorgekommen.
»Will hoffen, du machst dich nicht so breit«, meinte Ron grinsend. Sich einmal mit der Hand durch das Haar streichend, stieg er ins Bett und Ginny hinterher. Auch Harry stieg unter die Bettdecke und löschte das Licht.
»Schlaft gut«, wünschte Harry den beiden.
»Du auch«, kam es von beiden gleichzeitig.
Freitagmorgen um neun klingelte der Wecker. Zwar hätte Harry gern länger geschlafen, doch schon um zehn Uhr stand die Kontaktaufnahme mit den DA-Mitgliedern an. Als sie hinunter zum Frühstück gingen, waren zu aller Überraschung Percy und Arthur tatsächlich schon angekommen. Heiter begrüßte man sich, und wieder einmal mußte Harry es über sich ergehen lassen, daß die beiden sich bei ihm bedankten, wie sie es inzwischen schon viel zu häufig gemacht hatten.
»Das war jetzt aber endgültig das letzte Mal«, sagte Harry, den deswegen schon sein Gewissen plagte.
»Versprochen«, meinte Arthur mit einem Augenzwinkern, und Harry konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er das gemeint hatte.
»Snape kommt heute nachmittag kurz vorbei. Es findet deshalb ein kleines Treffen des Ordens statt«, merkte Percy an und biß kräftig in ein Brötchen. Zwar fand Harry, daß er noch immer nicht ganz der alte war, doch dieser neue Percy schien sich nicht zum Schlechteren verändert zu haben.
»Ihr habt euch endlich richtig versöhnt?« fragte Ginny und blickte ihren Vater und ihren Bruder an.
»So gut man sich nur versöhnen kann«, erwiderte Arthur und warf einen glücklichen Blick auf seinen Sohn. Auch Percy begann zu lächeln, und nur einen Moment später lächelte auch Molly zufrieden.
Nach dem Frühstück setzten sich die drei von den anderen ab und gingen ins Zimmer der Jungen hoch.
»Meinst du, die Besen sind schon da?« fragte Ron, kaum daß die Tür geschlossen war.
»Fragen wir sie doch einfach«, entgegnete Harry und holte das magische Pergament aus seiner Tasche. Er nahm eine Feder und schrieb die Frage auf. Augenblicke später kamen schon die ersten Antworten.
»Neville hat seinen, Seamus auch. Roberta hat ihren noch nicht«, las Harry laut und dann still weiter. »Vier Besen fehlen bis jetzt noch. Ich schreibe ihnen dann, daß wir um achtzehn Uhr zum nächsten Mal Kontakt aufnehmen und ich dann wahrscheinlich neue Informationen habe. Übrigens: Dennis Creevey freut sich wie ein kleines Kind über seinen Nimbus 2001.« Harry lächelte breit und begann zu schreiben. »So, das wäre es für jetzt. Ich hoffe, der Rest kriegt seinen Besen noch.« Schnell löschte er das Pergament.
»Was ist mit William und den anderen, sind sie schon hier?« fragte Ginny.
»Weiß ich nicht, kann ich aber schnell erfragen.« Er schrieb etwas auf das Pergament. Es dauerte einen Moment, bis eine Antwort kam. »Er schreibt, sie sind im St. Mungo. Die Heiler haben keine Ahnung, aber William und die anderen nehmen gleich das Gegenmittel und melden sich dann um achtzehn Uhr wieder«, las Harry, und Ginny fing an zu kichern. Erstaunt, aber lächelnd blickte er sie an. »Was hast du ihnen genau geschickt?«
»Frag nicht, du willst es nicht wissen!« erwiderte Ginny und fing laut an zu lachen.
»Ich werde doch nicht etwa erst Fred und George fragen müssen, oder?«
»Sie würden es dir nicht sagen. Aber ich will mal nicht so sein: mit den Dingern bekommt man den übelsten Ausschlag, den man sich nur vorstellen kann, so richtig dicke Eiterpusteln«, erwiderte sie und lachte sich dabei halb tot, so daß Harry sie nur undeutlich verstehen konnte.
»Wo?« fragte Ron, dem die Sache verdächtig vorkam.
»Auf dem Hinterteil und auf dem besten Stück eines jeden Mannes«, prustete sie, daß sie kaum noch Luft bekam. Das wirkte ansteckend, und bald lachten alle drei, und es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder beruhigen konnten.
Während des restlichen Vormittages erholten sie sich und lasen ein wenig nur so zum Vergnügen, was vor allem Ron schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht hatte. Zwar hätte Harry gern einige Zauber geübt, doch Molly erinnerte sie an gewisse Gesetze, die auch jetzt eingehalten werden mußten, was beinhaltete, daß keine Magie angewandt werden durfte. Kurz bevor es Zeit zum Essen wurde, kamen Hedwig und Pig im Grimmauldplatz an und wurden sogleich von den beiden Jungen mit ein paar Eulenkeksen und ausgiebigem Kraulen bedacht, ehe sie hinunter in die Küche mußten. Zum Mittagessen gab es Hühnchen mit Klößen, Rotkohl und einer wunderbar duftenden Soße.
»Das schmeckt so köstlich, mein Schatz«, schwärmte Arthur ständig, dem das Krankenhausessen wohl gehörig auf dem Magen geschlagen war, und auch Percy nickte jedesmal zustimmend, während er Bissen um Bissen hinunterwürgte und dies zum Erstaunen aller sogar schneller als Ron tat.
Der Nachmittag begann, wie der Vormittag geendet hatte, bis ab halb vier nach und nach die Ordensmitglieder eintrafen, die an dem heutigen Treffen teilnehmen wollten. Harry saß ab Viertel vor vier mit in der Gruppe, die sich schon jetzt über alle möglichen Details, die die Schlacht betreffen konnten, hitzig austauschte. Ron und Ginny hatten einen riesigen Aufstand gemacht, weil sie nicht dabeisein durften, während Harry eine offizielle Einladung erhalten hatte, doch hatten sie das nur zum Schein getan. Sie wußten genau, daß Harry ihnen alles sagen würde, selbst wenn er schwören mußte, es nicht zu tun.
Zu Harrys Enttäuschung war Remus nicht dabei. Snape kam fünf Minuten vor vier, und Dumbledore traf einen Augenblick später und als letzter ein.
»Schön, daß ihr alle gekommen seid. Professor Snape hat nicht viel Zeit, darum machen wir es kurz und lassen ihn sogleich beginnen«, begann Dumbledore und übergab das Wort an Snape, der einen erstaunlich professionellen Eindruck hinterließ.
»Der Angriff wird kurz vor sechs Uhr noch im Morgengrauen und bei Dunkelheit beginnen. Der Dunkle Lord wird sich mit seiner Armee sehr wahrscheinlich von der Seite des Friedhofs her auf die Mauern von Hogwarts zu bewegen. Die Truppenstärke ist im Moment noch nicht genau bekannt, doch es wird sich um etwa zweihundert von ihnen handeln. Dazu kommen bekanntermaßen etwa fünfzig Riesen, während die Zahl der Dementoren unbekannt, aber sicher nicht unerheblich sein wird. Kobolde werden sich nur vereinzelt an dem Kampf beteiligen. Die große Mehrheit von ihnen hegt einen stärkeren Groll auf den Dunklen Lord als auf den Rest der Zauberergemeinschaft. Die Werwölfe haben sich nicht angeschlossen, wie er uns deutlich spüren ließ« – Harry wußte, was das bedeutet hatte – »und auch die Vampire halten sich vorerst noch bedeckt, da sie erst den Erfolg dieses Angriffs abwarten wollen. Die Riesen werden das größte Problem, doch vielleicht finden wir dafür in letzter Minute noch eine Lösung. Ich selbst werde mich unter den Todessern befinden. Natürlich werde ich entsprechend agieren müssen, doch wird alles, was ich tue, allein dem Zwecke dienen, meine Tarnung aufrechtzuerhalten, bis der Dunkle Lord besiegt ist. Es werden auch einige wenige Hogwartsschüler unter den Kämpfern für den Dunklen Lord sein. Zu ihnen gehört der Sohn von Lucius Malfoy, ebenso wie die Söhne der Todesser Crabbe, Goyle und Nott. Ich soll mit diesen aus Durmstrang per Portschlüssel nach England zurückkehren; und nach der Schlacht, sofern sie diese überleben sollten, werden sie als Todesser initiiert und erhalten anschließend das Dunkle Mal. Der Angriff selbst soll schnell und überraschend durchgeführt werden und baut darauf, daß keine Gegenwehr geleistet wird. Unsere Falle wird allem Anschein nach zuschnappen, und wenn wir keine Fehler zulassen, werden wir ihn endgültig besiegen können. Es gibt allerdings einige Todesser, die sich diesem Angriff aus verschiedenen Gründen nicht anschließen. Dazu gehört Peter Pettigrew, der wie einige andere für andere Aufgabengebiete vorgesehen ist, die ich allerdings nicht kenne.«
»Sir! Gibt es vielleicht Neuigkeiten über den Verbleib von Hermine Granger?« fragte Harry und mußte dafür seinen ganzen Mut aufbringen. Nicht nur, weil er damit gegen Dumbledores Angebot verstieß, hier als stiller Zuhörer teilnehmen zu dürfen, sondern auch, weil ihn diese Frage allgemein schmerzte, besonders jetzt, wo er sich eingestanden hatte, nicht mehr wirklich an ihre Rückkehr zu glauben. Snape blickte Harry einen Moment verwundert an, und auch einige vom Orden sahen skeptisch in seine Richtung. Snape tauschte einen Blick mit Dumbledore, der für Harry nicht zu deuten war, und sah Harry danach direkt in die Augen. Ein fürchterliches Gefühl verursachte dieser Blick in seinem Magen, das sich ganz schleichend in seinem ganzen Körper ausbreitete.
»In der Tat, es gibt neue Entwicklungen«, sagte Snape ganz langsam. Die Anspannung brachte Harry fast um. Der Druck in seinem Magen wurde größer und würde gleich aus ihm heraus müssen, Harry fühlte es genau.
»Die drei Schüler, die für ihre Entführung verantwortlich zeichnen, sind ohne Zweifel tot.« Snape sprach mit einer Ruhe, die für Harry unerträglich war, und er glaubte, sich gleich übergeben zu müssen. Warum waren sie tot? Haben sie Hermine getötet, und Voldemort wollte das nicht? Gedanken kreisten durch Harrys Schädel, und immer schneller drehte sich alles.
»Kommen Sie bitte schnell auf den Punkt«, preßte Harry heraus, und es kostete ihn alle Mühe, es halbwegs höflich zu sagen.
Snape sah ihn zwei Sekunden lang ein wenig mißbilligend an, doch dann öffnete er den Mund. »Ich weiß nichts über Miß Grangers Verbleib, aber ich kann mitteilen, daß die drei sich nicht ganz so unterwürfig gezeigt haben, wie sie es hätten sollen. Ich weiß es nicht aus erster Hand, doch waren sie dem Dunklen Lord ein wenig zu … eigenmächtig vorgegangen und wollten, nun ja, ein wenig zu schnell in der Hierarchie aufsteigen.«
Der Druck in Harrys Innerem baute sich mit jedem dieser Worte langsam ab. Er nickte Snape kurz zu, der keine Miene verzog.
»Ich nehme an, das war alles, Severus?« fragte Dumbledore ihn.
Dieser nickte einmal kurz und erhob sich schon. »Wir sehen uns auf dem Schlachtfeld«, sagte er und verschwand mit einem Plopp. Harry wußte, daß er nach Durmstrang zurückgekehrt war.
Dumbledore erhob sich. »Ich denke, damit ist für den Moment alles Wichtige gesagt. Der Orden versammelt sich erneut hier, genau um Mitternacht von Samstag auf Sonntag. Es findet dann die Abschlußbesprechung statt und anschließend der Transfer nach Hogwarts. Da wir nicht dorthin apparieren können, werde ich dafür eine ausreichend große Anzahl an Portschlüsseln zur Verfügung stellen. Damit ist die Versammlung beendet, ich wünsche allen einen angenehmen Tag.« Nur einen Moment später war er verschwunden.
Sofort begannen die ersten damit, über Snapes Bericht zu sprechen, und Harry konnte den Respekt vor den Riesen und Dementoren heraushören, den die überwiegende Mehrzahl von ihnen hatte. Beim Gespräch über die Dementoren wurden immer wieder Seitenblicke auf Harry geworfen, und er selbst fragte sich, wie viele der anderen wohl einen gestaltlichen Patronus zustande bringen konnten. In der DA gab es inzwischen schon etwa fünfzehn, die es schafften, und es gab einige weitere, die es vielleicht auch während der Schlacht schaffen könnten. Zu gern würde er offiziell die Hilfe der DA anbieten, doch er wußte, daß sie abgelehnt werden würde.
Nach ungefähr zehn Minuten begann sich die Versammlung schnell aufzulösen. Man verabschiedete sich voneinander und disapparierte. Übrig blieben nur Molly, Arthur und Percy, die nun die Stühle verschwinden ließen und die Küche wieder so herrichteten, wie sie vor dem Treffen ausgesehen hatte.
Harry wollte schon aufstehen und gehen, doch Molly hielt ihn plötzlich am Arm. »Bitte erzähle Ron und Ginny von alldem nichts. Wir haben nicht umsonst darauf bestanden, daß sie in ihrem Zimmer bleiben, obwohl sie uns jetzt dafür hassen.«
»Sie hassen euch nicht. Sie sind nur enttäuscht. Sie machen sich die gleichen Sorgen um euch, wie ihr euch um sie«, entgegnete Harry und verließ die Küche. Er hetzte nach oben, wo er die beiden in seinem Zimmer Schach spielend vorfand, und warf sich auf sein Bett.
»Wie sieht's aus?« fragte Ron lächelnd, während er Ginny gerade schachmatt setzte.
»Es gibt einige interessante Informationen. Hermines drei Entführer sind tot. Ich hätte es zwar zu gerne selbst gemacht, doch …«, begann er, wurde aber von Ginnys entsetztem Blick unterbrochen.
»Sag so was nicht«, bat sie ihn und klang angeschlagen.
»Er hat doch recht«, warf Ron ein und klang leicht erbost.
»Nein. Töten ist falsch. Wenn Voldemort sterben muß, okay. Er ist schon fast kein Mensch mehr, aber die drei sind Kinder, kaum älter als wir. Wer weiß, warum sie es taten. Vielleicht haben sie es nur gemacht, um ihr eigenes Leben zu retten. Ich will ihre Handlung nicht rechtfertigen, doch niemand von ihnen verdient es, kaltblütig umgebracht zu werden«, erwiderte sie mit zittriger Stimme.
Die beiden Jungen sahen sie skeptisch an. »Sie haben es verdient«, sagte Harry nach einigen Augenblicken ganz leise, doch beim Klang seiner eigenen Stimme wurde ihm schlecht. Hatten sie es wirklich verdient? Er wußte es nicht, wollte aber auch nicht weiter darüber nachdenken. Er wollte nicht darüber nachdenken, daß er sie vielleicht mit dem Leben hätte davonkommen lassen, obwohl sie ihm das genommen hatten, was er am meisten von allem begehrte. »Laßt uns aufhören, darüber zu reden. Sie sind tot, und Voldemort hat es angeordnet oder sogar selbst getan, und eigentlich bin ich ein wenig froh, daß ich ihnen nun nicht mehr begegnen kann. Kommen wir zu den anderen besprochenen Dingen.« Sofort begann Harry damit, in hohem Tempo die Ansprachen von Dumbledore und Snape herunterzurattern. Beide bekamen große Augen, als er von der unbekannten Menge an Dementoren sprach, doch gleich darauf machte Harry ihnen Mut, indem er sie daran erinnerte, daß sie beide einen Patronus zaubern konnten und deshalb keine Angst haben müßten.
»Nun ja. Das heißt dann also, daß wir bis morgen um Mitternacht hier warten müssen, weil wir erst dann noch genauere Informationen bekommen«, faßte Ron zusammen.
»Sieht so aus.«
»Was machen wir in der Zeit?« fragte Ginny.
»Ich habe keine Ahnung. Zaubern sollten wir lieber nicht. Zwar glaube ich nicht, daß sich im Moment jemand um die Verbote gegen Zauberei kümmert, doch genau weiß ich es nicht und deshalb werden wir auch erst im letzten Moment unsere Besen vergrößern. Wollt ihr nicht Luna und Neville einladen? Ich meine, ich weiß nicht, ob sie es euch erlauben, doch so hättet ihr noch ein wenig Zeit mit ihnen zusammen. Wer weiß, wie die Welt schon am Sonntagmittag aussieht«, schlug Harry vor und lächelte verlegen. Er wußte, daß sie die beiden nur zu gerne hier haben wollten, wo er sich doch Hermine genauso sehr herbeisehnte. Wieder mußte er an Hermine denken und legte sich auf sein Bett. Still starrte er die Decke an, während sie verschwamm. Am liebsten hätte er laut losgeheult, aber er riß sich zusammen.
»Das ist eine schöne Idee. Ich hätte Luna wirklich gern hier. Aber ich weiß nicht, was ich Mum sagen soll, wenn sie fragt, warum ich sie herholen möchte«, meinte Ron.
»Sie ist deine feste Freundin. Mum wird das verstehen«, erwiderte Ginny.
»Laß uns fragen gehen«, sagte Ron plötzlich überzeugt, und Harry hörte, wie beide vom Boden aufstanden. Schnell wischte er sich einmal mit dem Ärmel über die feuchten Augen, doch Ginny hatte es schon bemerkt.
»Was ist los, Harry«, fragte sie, und nun blickte auch Ron in seine Richtung.
»Es geht schon«, beruhigte sie Harry, richtete sich schnell wieder auf und stieg aus dem Bett. »Laßt uns runtergehen und Molly fragen.« So schnell er konnte, hetzte Harry aus dem Zimmer. Er wollte jetzt einfach nicht darüber sprechen, sondern lieber versuchen, Molly und Arthur zu überreden.
Sie erzählten ihnen, daß sie diese Möglichkeit schon in Hogwarts besprochen hatten und die beiden gern kommen würden, wenn sie denn dürften. Das war zwar eine Lüge, doch noch gab es die Möglichkeit, sich mit den beiden über die Pergamente abzustimmen. Eine halbe Stunde später hatten sie die beiden schließlich weichgekocht. Harry hätte nicht gedacht, daß es so schwer werden würde, doch Molly und Arthur hatten gute Argumente dagegen vorgebracht. Am Ende hatte nur die Trumpfkarte geholfen: Ginny und Ron hatten angeboten, nicht mehr sauer zu sein, daß sie den Versammlungen nicht beiwohnen durften, sofern Neville und Luna kommen dürften. Arthur wollte zwar noch immer nicht wirklich zustimmen, doch Molly hatten sie damit in der Tasche, die einfach zu harmoniesüchtig war, auch wenn sie selbst manchmal die schlimmsten Streite vom Zaun brechen konnte. Sie überredete ihren Mann, der erst eine Flohnetzwerkverbindung einrichten lassen mußte und deshalb ins Ministerium disapparierte. Tatsächlich wollte Molly nur Augenblicke, nachdem ihr Mann verschwunden war, von ihren Kindern wissen, was die beiden ihnen bedeuten würden, und mit rotem Kopf gestand Ron seiner Mutter schließlich, daß Luna seine Freundin wäre, während Ginny fast ein wenig zu selbstbewußt davon redete, daß Neville ihr Freund wäre.
»Nun, Ronald«, begann sie leicht gequält lächelnd, »ich dachte zwar, es würde bei dir noch eine Weile dauern, doch … nun, wir sollten mal ein Gespräch führen.«
»Mum, wieso nur ich, was ist mit Ginny und Harry?« jammerte Ron flehend und wurde noch roter, da er wie die anderen wußte, worum sich dieses Gespräch drehen sollte.
»Nun, mit Ginny brauche ich nicht sprechen, sie weiß bereits alles, da wir schon in den Sommerferien darüber geredet haben. Und Harry, nun ja, ich würde ja … doch Hermine. Na ja, vielleicht ist da bald ein anderes Mädchen.« Harry schüttelte entschlossen den Kopf, während ihn Ron, dessen Röte im Gesicht sich tatsächlich noch weiter gesteigert hatte, verzweifelt ansah und Ginny sich ein Grinsen verkneifen mußte. »Ginny würdest du uns bitte allein lassen«, sagte Molly zu ihrer Tochter.
»Ach komm schon, Mum, das wird lustig.«
»Raus, Ginny. Wenn ich das schon ertragen muß, dann nur ohne dich«, sagte Ron leicht aggressiv klingend. Leise und unauffällig versuchte sich Harry davonzustehlen, doch Molly hielt ihn am Arm.
»Hier geblieben. Ginny, du gehst«, ordnete sie an, und nach einigem Zögern verließ Ginny die Küche. Molly zog ihren Zauberstab, verschloß damit die Tür und dichtete sie schalldicht ab.
Sogleich fühlte sich Harry wie in einem Käfig und würde wohl gleich das peinlichste Gespräch seines ganzen verdammten Lebens führen. Schon mit seiner eigenen Mutter mußte es für Ron eine Qual sein, dachte Harry, aber mit der Mutter seines besten Freundes über dieses Thema reden zu müssen, das war echt das letzte.
»Setzt euch. Es wird nicht so schlimm, wie ihr denkt. Ich hatte ja schon einige Übung, vergeßt das nicht. Für Bill und Charlie war es viel schlimmer. Die beiden haben einen ganzen Monat nicht mit mir gesprochen, weil ich sie dazu gezwungen hatte«, erzählte Molly mit einem beinahe traurigem Lächeln und setzte sich an den Küchentisch. »Bei Percy war es nur noch eine Woche, und mit den Zwillingen … mit denen habe ich dann ein paar Tage nicht mehr reden wollen, als sie das ganze Gespräch ein wenig umgedreht haben.« Bedeutend fröhlicher lächelte sie und zwinkerte ihnen zu.
Unbewußt mußte Harry lächeln. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, daß Fred und George so etwas nicht so leicht über sich ergehen ließen. Leicht zögerlich setzte sich Harry an den Tisch, und auch Ron kam dazu. Harry starrte auf eine Blume hinter Molly und beschloß, niemandem während des ganzen Gespräches in die Augen zu sehen. Ron schien es ähnlich machen zu wollen, nahm Harry doch aus den Augenwinkeln wahr, daß er leicht verzweifelt seine Hände anstarrte.
»Nun, ihr beiden. Ihr seid fast erwachsen, und Mädchen spielen in eurem Leben eine immer größer werdende Rolle. Ihr seid zwar schon lange mit Hermine befreundet gewesen, doch weiß ich, daß dieses Thema nie zwischen euch besprochen wurde, weshalb ich das nun tue.« Harry fragte sich, woher sie das so genau wußte. »Daß ihr euch für das andere Geschlecht interessiert, ist nur natürlich, und niemand hat etwas dagegen. Ihr seid dafür auch schon alt genug, um nicht zu sagen, schon fast spät dran, doch eigentlich auch wieder genau richtig. Es gibt nur ein paar Dinge zu sagen, und ich mache es euch und mir so einfach wie möglich; trotzdem ist es auch mir ein wenig unangenehm, müßt ihr wissen, da es doch sehr persönlich ist. Sagen wir, wie es ist, es wird wohl nicht mehr lange dauern und der eine oder der andere von euch beiden wird … nun ja … Ihr-wißt-schon haben … also Geschlechtsverkehr.«
Harry wurde knallrot, versuchte aber weiter die Blume anzustarren, und prägte sie sich dabei überaus genau ein.
»Seid euch zuerst sicher, daß es das richtige Mädchen ist. Ihr solltet, wenn möglich, in sie verliebt sein, wobei es beim ersten Mal nicht immer das Wichtigste ist, denn tiefes Vertrauen kann noch wertvoller als Verliebtheit sein, die einem manchmal nur vorgegaukelt wird, während Vertrauen meist auf etwas weniger Flüchtigem beruht. Ideal ist es natürlich, wenn beides zusammenkommt; doch reden wir nicht weiter davon, ihr versteht sicher leicht was ich meine. Wichtig ist vor allem auch, daß ihr das Mädchen nicht dazu drängt und euch auch von ihr nicht drängen laßt, wobei das seltener vorkommt, aber nicht ausgeschlossen ist. Für sie ist der Schritt zu der Entscheidung im allgemeinen schwieriger als für euch beide, und oft wollen es Mädchen später, als es Jungs tun wollen.«
Nun wollte Harry schon wegrennen. Das konnte und wollte er sich nicht anhören, auch wenn es eigentlich nicht uninteressant war. Vielleicht sollte ich mir das von Arthur erzählen lassen, dachte er, hörte aber wie unter Zwang weiter zu, was Molly zu sagen hatte.
»Wenn ihr dann beide dafür bereit seid, tut es nicht einfach so und irgendwo. Sucht euch dafür einen Ort, an dem ihr absolut ungestört seid und wenigstens ein bißchen eine romantische Stimmung herrschen kann, und vor allem vergeßt nicht das wichtige Thema der Verhütung, denn für Kinder seid ihr wahrlich noch zu jung.«
Jetzt wollte Harry wirklich wegrennen. Er zuckte mehrmals, als ob er versuchte aufzustehen, doch irgend etwas hielt ihn in seinem Stuhl, und er schaffte es auch nicht, ihre Stimme auszublenden.
»Du kannst nicht weglaufen, ehe ich fertig bin. Also … sprecht darüber mit dem Mädchen; am besten schon lange, bevor ihr es tun wollt, denn es gibt dafür so viele Möglichkeiten, daß die Auswahl nicht immer leicht fällt, und ihr könnt es dann auch nicht im Eifer des Gefechts vergessen. Normalerweise kennen sich die Mädchen bereits gut aus, und sie können euch dann informieren, doch wenn nicht, dann redet einfach mit Madam Pomfrey. Sie ist immer hilfreich gewesen, auch schon zu meiner Zeit, obwohl das Ganze in der Schule eigentlich verboten ist.«
Verstohlen warf Harry einen Blick zu Ron hinüber, der offenbar mit einem Würgereiz kämpfte.
»Ich werde euch nicht sagen, was ihr zu tun habt, das findet ihr alleine heraus, und das ist es auch, was den Reiz des Ganzen ausmacht.«
Nun kämpfte auch Ron verzweifelt gegen den Stuhl, der ihn scheinbar ebenfalls fixierte. »Mum, es reicht«, platzte es schließlich aus ihm heraus, und er sah aus, als würde sein Kopf gleich explodieren.
»Wir sind gleich fertig«, erwiderte Molly, und Harry fing nun beinahe an zu glauben, daß eine Konfrontation mit Voldemort angenehmer verlaufen könnte als diese mit der Mutter seines besten Freundes. »Seid euch einfach nur sicher, daß ihr es wollt … daß sie es möchte, und beherzigt meine Tips, dann wird es ein schönes Erlebnis werden können. Sollte es aber auch ihr erstes Mal sein, dann wird es vielleicht besonders anfangs nicht ganz so schön für sie sein. Sprecht auch darüber mit dem Mädchen eurer Wahl, sie weiß im Normalfall, wovon ich rede. Habt davor keine Angst. Es braucht euch nicht peinlich zu sein. Kommunikation ist überaus wichtig. Auch und besonders im Sexualleben. Jeder hat andere Ängste, und über die gilt es zu sprechen. Scheut euch nicht davor, auch die Mädchen wollen darüber reden. Ich hoffe, ihr versteht das alles. So … wir sind dann fertig, und so schlimm war es doch wirklich nicht, oder?«
Nach nur einem Schwenk ihres Zauberstabes standen Harry und Ron, während ihre Stühle nach hinten wegflogen. Sie hat uns wirklich an den Stuhl gefesselt, dachte Harry, der nicht bemerkt hatte, wann sie es getan hatte.
»Es war das Schlimmste, was du mir je angetan hast«, ereiferte sich Ron mit feuerrotem Gesicht.
»Soll ich dir das gleiche erzählen wie Bill und Charlie? Bei denen war das Ganze noch eine blutige Angelegenheit«, fragte Molly und lächelte ein wenig spöttisch.
So hatte Harry sie noch nie gesehen. »Bitte nicht«, flüsterte er und bekam starke Kopfschmerzen ob des angestauten Blutes in seinem Kopf. Beinahe fühlte er sich wie nach einer Stunde Okklumentik mit Snape.
»Glaubt mir, es war wirklich nicht so schlimm. Ich wäre froh gewesen, wenn meine Mutter es mir so leicht gemacht hätte.«
Harry blickte Ron an, dessen rotes Gesicht ganz langsam wieder eine etwas normalere Farbe annahm. »Mum, laß uns einfach nie wieder dieses Thema erwähnen. Ich werde so tun, als ob dieses Gespräch nie stattgefunden hätte, mich aber an die Ratschläge halten. Ich wünsche, nie mehr damit belästigt zu werden«, stellte dieser klar und ging hinaus.
»Nun Harry, wie siehst du das Ganze?«
Was sollte er darauf antworten? Das meiste hatte er sich ohnehin denken können, und im Moment gab es auch kein Mädchen in seinem Leben, mit der er überhaupt in Betracht ziehen konnte, die Dinge zu tun, über die Molly hier geredet hatte. Er würde lügen, wenn er sagen würde, daß er nicht davon geträumt hatte, es mit Hermine zu tun, doch nun war sie weg, und es gab niemanden sonst.
»Ich danke dir, daß du mich wie deinen Sohn behandelst, doch war es mir mehr als nur unangenehm. Ich werde versuchen, an alles zu denken, und möchte es ansonsten wie Ron handhaben. Ich werde also abstreiten, je ein solches Gespräch geführt zu haben«, sagte Harry schließlich langsam, sah in Mollys nun milde lächelndes Gesicht und verschwand aus der Küche. Zu seiner Überraschung stand Ron vor der Tür und wartete auf ihn.
»Kein Wort, niemals nicht!« warnte Ron ihn und ging die Treppe nach oben.
»Okay«, war Harrys Antwort, und er folgte ihm.
»Na, ihr beiden. Ginny sagt, ihr hattet mit Mum das bewußte Gespräch«, grinste Percy sie an, der soeben die Treppe nach unten kam.
»Ich weiß von nichts«, wehrte Ron ihn barsch ab und drückte sich an seinem Bruder vorbei. Percy sah zu Harry und zwinkerte ihm vergnügt zu, ehe er auch an ihm vorbeiging und in Richtung Küche verschwand. Percys Verhalten war ein wenig … seltsam, schien er doch meistens einen Stock im Arsch zu haben, der ihn eigentlich daran hinderte, solch lockere Bemerkungen von sich zu geben. Ein wenig erstaunt folgte Harry seinem besten Freund in ihr Zimmer, wo Ginny schon auf sie wartete. Sie lag auf Rons Bett und hatte ein verschmitztes Grinsen im Gesicht.
»Na, war's schlimm?« fragte sie und richtete sich auf.
»Ich will niemals darüber reden!« rief Ron und setzte sich auf Harrys Bett.
»Stell dich nicht so an. Mir hat sie das gleiche und noch viel mehr erzählt. Hat sie euch gesagt, daß sich normalerweise das Mädchen mit Verhütung auskennt? Dann könnt ihr euch vorstellen, was sie mir da alles erzählt hat. Mein Gespräch hat nicht nur zehn Minuten gedauert. Eine Stunde lang hat sie mir alles erzählt, mir Bilder gezeigt. Ich wette, bei euch kam nicht mal der blutige Teil vor. Glaubt mir, ihr seid wirklich noch gut weggekommen.«
»Wahrscheinlich hast du recht, aber über so ein Thema einen Vortrag von eurer Mutter zu erhalten, ist peinlich. Ich meine, ich bin ja nicht mal ihr Kind. Stellt euch vor, meine Mutter hätte euch das Ganze erzählt«, meinte Harry und setzte sich neben Ginny.
»Hab' ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Ich möchte niemals … niemals im Leben darüber sprechen«, sagte Ron langsam, leise und bedrohlich.
»Schon gut, vergessen wir das, du Memme!« erwiderte Ginny und sah Harry lächelnd an. »Wollen wir eine Runde Schach spielen, während Ron schmollt?«
»Warum nicht«, entgegnete dieser und setzte sich auf den Boden vor das Schachbrett.
»Ich schmolle nicht«, war Rons einziger Kommentar während der nächsten halben Stunde, in der Harry und Ginny sich einen harten Kampf auf dem Schachfeld lieferten. Ab und zu hatte Ron bei nicht so guten Zügen leise aufgestöhnt, ehe er sich zum Ende dazu setzte und alles vergessen schien.
»Es ist gleich sechs«, bemerkte Harry und holte das Pergament aus seiner Tasche und griff zur Feder. »Ich schreibe erst mal Neville und Luna.«
Nach kurzer Zeit erschienen zwei Antworten. »Sie sind einverstanden und freuen sich sehr. Nun … Ich schreib' den anderen die neuesten Informationen auf.« Harry begann alles Wichtige, was Snape dem Orden mitgeteilt hatte, zu berichten. »So, die vier letzten haben auch ihren Besen bekommen, damit hat jeder seinen. Dann ist soweit alles klar. Nächste Kontaktaufnahme morgen früh um zehn«, sprach Harry, löschte alles Geschriebene und begann das Pergament wieder in seiner Tasche zu verstauen.
Danach spielten Harry und Ron noch eine Partie Schach, die Ron klar für sich entschied, und dann spielten die drei Snape explodiert, während es dann schnell Zeit für das Abendessen war. Als sie damit fertig waren, kehrte Arthur zurück und brachte gute Neuigkeiten mit. Luna und Neville durften kommen, und gegen einundzwanzig Uhr wollte Arthur sich mit Molly auf den Weg machen, um die beiden zu holen. Bis kurz vor neun blieben die drei oben im Zimmer der Jungen und lasen oder spielten noch eine Partie Schach. Sie redeten nur wenig, und es lag eine gewisse Anspannung im Raum, die Harry sich nur durch die nun immer näher kommende Schlacht erklären konnte.
»Es wird Zeit«, stellte Ginny nach einem Blick auf die Uhr fest und erhob sich vom Fußboden.
Ron legte sein Lieblingsbuch über die Chudley Cannons beiseite, und auch Harry erhob sich vom Boden und ließ das Schachspiel, welches er gerade gegen Ginny zu verlieren drohte, am Boden zurück. Gemeinsam gingen sie hinunter in die Küche, wo Arthur und Molly am Tisch saßen.
»Wo ist Percy?« erkundigte sich Ron.
»Im Ministerium. Dort findet eine Besprechung statt. Er ist zwar noch nicht wieder offiziell im Dienst, doch du weißt ja, wie pflichtbewußt er ist«, sagte Molly lächelnd.
»So, wir holen dann mal Luna und Neville. Denkt daran, daß ihr ihnen nicht sagt, wo wir hier sind. Wir haben die Verbindung so eingerichtet, daß man nicht Grimmauldplatz Nummer zwölf sagen muß, sondern Desmond Street Nummer neun. Natürlich gibt es diese Adresse nicht im Netzwerk, dient alles nur zu unserer Tarnung. Nicht daß wir ihnen nicht vertrauen würden, aber man kann niemals vorsichtig genug sein«, sagte Arthur und erhob sich. Innerlich konnte Harry darüber nur lachen. Wenn er jemandem vertraute, dann waren es Neville und Luna. Natürlich würde er ihnen sagen, wo sie hier waren. Augenblicke später war Arthur schon im Kamin in Richtung Neville verschwunden. Molly folgte ihm und nannte Lunas Zuhause als Ziel. Es dauerte geraume Zeit, doch dann kam Molly mit Luna zurück, die einen Besen dabei hatte.
»Kann mir einer von euch erklären, warum Luna einen Besen mitbringt?« fragte Molly als erstes, kaum daß sie und Luna aus dem Kamin waren.
»Hat sie es dir nicht gesagt?« Ginny sah Luna mit einem fragenden Blick an, ehe sie wie Harry begriff, daß Luna sich wohl nicht sicher war, welche Geschichte Molly am ehesten glauben würde. »Ron hat ihr versprochen, ihr das Fliegen beizubringen. Weißt du, Luna hatte vor einer Woche Geburtstag und hat von ihrem Dad einen Besen bekommen.«
»Ja, weil … ich meine, Luna ist noch nie wirklich geflogen. Und jetzt, wo sie meine Freundin ist, da hab' ich ihr das versprochen«, erklärte Ron, und Luna nickte ein wenig abwesend wirkend.
»Nun ja, solange ihr nicht rausfliegt und nur das Schweben übt, habe ich nichts dagegen, aber das hätte mir Luna ja nun wirklich selbst sagen können«, sagte Molly und warf einen Blick auf Luna. Diese zuckte nur lächelnd mit den Achseln.
»Neville wird seinen Besen auch mitbringen. Er hatte gehört, wie Ron es Luna versprach, und hat mich dann gefragt, ob ich es ihm beibringe. Es sollte für Ginny zwar eine Überraschung sein, aber das hat sich ja erledigt«, sagte Harry schnell, um Molly abzulenken und lächelte. Ginny tat ein wenig überrascht und schlug Harry scheinbar verärgert leicht auf die Schulter.
In diesem Moment traf auch Neville ein. Kaum war er aus dem Kamin herausgetreten, schwenkte Molly einmal ihren Zauberstab, und der Ruß, der ihn bedeckte, war verschwunden.
»Hallo und danke«, sagte Neville laut hustend und machte Arthur Platz, der hinter ihm auftauchte.
Molly reinigte nun Luna, ihren Mann und sich selbst, ehe sich alle an den Tisch setzten und Molly begann, für sie Tee zu machen. Sie unterhielten sich noch bis um zehn, ehe Molly mit den fünfen nach oben ging, um für Neville noch ein Bett zu zaubern.
»Wo soll es stehen?« fragte sie und sah sich im Jungenschlafraum um.
»Dort stört es nicht«, meinte Ron, indem er neben die Tür zeigte.
»Auch wenn ich es eigentlich nicht sagen muß, doch möchte ich euch bitten, daß wirklich jeder in seinem eigenen Bett schläft. Haben wir uns verstanden?« Die drei Jungen nickten, wobei sich Harry dabei ein wenig blöd vorkam, wußte er doch nicht einmal, welches andere Bett sie meinte, in dem er hätte schlafen können.
»Schade«, war Rons Kommentar, kaum daß Molly den Raum verlassen hatte, doch dann sah er Neville an. »Obwohl, eigentlich ist es gut so, nicht wahr, Neville?«
Rons Ton war ernst, und Neville verstand sofort, was er meinte. »Natürlich«, war seine Antwort, und nun konnte sich Harry ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Augenblicke danach waren schon die beiden Mädchen bei ihnen, und bis auf Harry bekam jeder einen Kuß. Leicht genervt ließ er sich auf das Bett fallen und dachte wirklich, daß es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war.
Ron und Ginny erzählten ihnen noch ein paar Details über den Verbleib von Hermines Entführer, ehe die Zeit gekommen war, schlafen zu gehen. Harry hatte eine überaus schwierige Nacht, träumte er doch pausenlos von Hermine und ihrem Ende. Häufig wachte er völlig fertig und schweißgebadet auf, bis er gegen drei Uhr morgens wieder ihr Buch an sich drückte. Dieses Mal half es ihm leider nicht. Die Alpträume wurden anstrengender und schlimmer, und mehrmals wachte er schreiend auf und mußte einmal sogar von Ron geweckt werden, der völlig fertig neben Harrys Bett kniete und sich angestrengt bemühte, ihn aus diesen Träumen zu erlösen. Was für Harry das Schlimmste daran war, das war die Tatsache, daß er sich nicht an die kleinste Kleinigkeit erinnern konnte. Bisher war er meist aufgewacht und wußte viele Details seiner Träume, doch diese Nacht war irgendwie anders.
»Was ist los, Kumpel? Was beschäftigt dich so sehr? Ist es das, was ich denke?« fragte Ron leise, damit Neville nicht wach wurde, und blickte ihm in die Augen, die er in der Dunkelheit wohl kaum sehen konnte.
»Ich kann sie nicht vergessen, niemals«, flüsterte Harry, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
»Möchtest du reden?«
Harry nickte. Um Neville nicht zu stören, hatten die beiden das Zimmer schnell verlassen und waren auf dem Weg nach unten in der Küche. Ron ging vor und sah fertig aus, doch Harry hatte noch weit dunklere Ringe unter den Augen. Als Ron die Küchentür öffnete, zuckte er zusammen und erschrak. Harry blickte über Rons Schulter und mußte feststellen, daß Luna bereits dort saß.
»Könnt ihr auch nicht schlafen?« fragte sie sie mit ihren großen Augen, die im Augenblick sehr müde aussahen.
»Ich schon, aber Harry nicht«, entgegnete Ron und setzte sich zu ihr.
»Was ist denn los?« fragte Luna und blickte Harry mitfühlend an.
»Es begann, als ihr vier euch da oben geküßt habt, während ich allein auf meinem Bett lag«, begann Harry und fühlte sich ziemlich blöd dabei, so etwas wie Neid zu empfinden.
»Wenn du möchtest, kriegst du von mir auch einen Kuß«, sagte sie und lächelte warm, während Ron einen leicht entsetzten Gesichtsausdruck machte.
Harry setzte sich auch an den Tisch und blickte noch einmal zu seinem Kumpel. »Das kann ich Ron nicht antun.« Lächelnd ging der Blick zurück zu Luna.
»Quatsch, der weiß doch, daß ich ihn liebe.«
»Ähhm, also – ich«, stammelte Ron, der neben ihr saß und schlagartig rot wurde.
»Du wärst wirklich eifersüchtig? Das ist irgendwie süß, Ronald.« Sie griff nach einigen Sekunden seine Hand.
Sie sprachen noch einige Zeit über Belangloses, ehe es erneut aus Harry herausplatzte und er zu weinen begann.
»Schreib ihr doch einen Brief«, schlug Luna überraschend vor und griff Harrys Hand.
»Und wie soll er das machen?« fragte Ron und sah seine Freundin ratlos an, während Harry hellhörig wurde.
»Er braucht ihn nicht abschicken, aber vielleicht hilft es ihm. Er könnte ihn zu Hermines Sachen legen. Er könnte ihr auf diese Art einmal alles sagen, was er ihr noch immer hätte sagen wollen. Und falls er, also, na ja, und falls sie – also falls er auf dem Schlachtfeld stirbt, während sie vielleicht doch noch zurückkommt, dann kann sie es noch lesen.« Dabei streichelte sie die ganze Zeit beruhigend mit ihrem Daumen über Harrys Handrücken.
»Die Idee ist nicht dumm.«
»Danke, Ronald«, erwiderte Luna, und das meinte sie ernst, wo bei jedem anderen ob dieser nicht ganz taktvollen Aussage ihres Freundes purer Sarkasmus in der Stimme mitgeschwungen hätte.
Harry empfand es genauso. »Ich sollte das vielleicht wirklich machen, aber nicht mehr heute. Wir brauchen noch Schlaf, und morgen abend werden wir auch noch ein Nickerchen machen müssen, da wir praktisch die ganze Nacht nicht mehr werden schlafen können.«
Harry erhob sich von seinem Stuhl. Gemeinsam liefen sie leise wieder nach oben und verschwanden in ihren Betten. Ihm gefiel diese Idee wirklich gut. Selbst wenn Hermine den Brief niemals würde lesen können, wäre es einfach nur schön, sich einmal alles von der Seele zu schreiben. Er rutschte unter seine Bettdecke und mußte sich an die Kälte erst wieder gewöhnen, ehe er das Bett mit seiner Körperwärme wieder auf Temperatur gebracht hatte. Endlich schlief er richtig ein und wurde erst von Ginny um kurz vor zehn geweckt, die ihn daran erinnerte, daß die Zeit der Kontaktaufnahme gekommen sei.
Dabei wurde schnell geklärt, daß es noch nichts Neues gab und die nächste Kontaktaufnahme gegen achtzehn Uhr stattfinden würde. Viel mehr schrieb Harry ihnen ansonsten nicht, nur daß alle versuchen sollten, ruhig zu bleiben und sich nicht zu auffällig zu benehmen. Auch sollte sich jeder eine Ausrede überlegen, damit ihre spätere Abwesenheit nicht bemerkt werden würde. Schließlich mußten sich manche schon ein wenig früher auf den Weg machen, da sie nach London einige Zeit brauchen würden, trotz des Fahrenden Ritters, den schließlich nicht jeder von ihnen nehmen konnte.
»Jetzt geh erst mal was essen, wir haben alle schon«, meinte Ginny zu ihm, als er die Korrespondenz beendet hatte
»Wo sind die anderen?«
»Die üben im Wohnzimmer das Fliegen«, erwiderte Ginny jetzt grinsend und verließ das Zimmer, damit sich Harry umziehen konnte.
Nach seinem kurzen Frühstück stieß er zu den anderen und sah dabei zu, wie sie für Molly ein Schauspiel erster Güte durchzogen. Luna und Neville taten so, als ob sie vom Fliegen nichts verstünden, damit Molly nicht auf die Idee kommen konnte, daß sie wegen der Besen gelogen hatten. Besonders Neville gelang es, glaubhaft zu machen, daß der Besen nicht sein Zuhause war, und ließ sich doch des öfteren theatralisch von ihm abwerfen. Beinahe hätte Harry ihm die Bemerkung zugeworfen, er würde etwas übertreiben, doch nach Mollys Gesichtsausdruck zu urteilen, machte er es genau richtig. Währenddessen mußten sich sowohl Ron als auch Harry sehr zusammenreißen, um nicht laut loszulachen. Eine Stunde mußten sie das Schauspiel durchhalten, ehe Molly von Arthur gerufen wurde, da er etwas mit ihr besprechen wollte.
»Mensch, lange halte ich das nicht mehr durch, trotz der Kissen hab' ich schon überall blaue Flecken«, jammerte Neville und bekam zur Aufheiterung einen schnellen Kuß von seiner Freundin, was bestens funktionierte und sogleich ein Lächeln auf sein Gesicht zauberte.
»Ihr beide macht das gut. Sie kauft es euch wirklich ab«, lobte Harry zufrieden und ging zu Neville hinüber, um ihm auf die Schulter zu klopfen.
»Wenigstens lenkt es ab«, meinte Luna und lächelte unsicher.
»Ich weiß, was du meinst. Diese Anspannung ist unerträglich«, sagte Ron und nahm Lunas Hand.
»Wir schaffen das schon. Es gibt fast nichts, was wir nicht schaffen können, wenn wir es wirklich wollen. Wir werden in der Überzahl sein, selbst ohne die DA. Wenn die DA dann auch nur halb so effektiv ist, wie ich hoffe, dann wird es klappen«, versicherte Harry, war sich aber nicht so sicher, ob er an das, was er da sagte, auch selbst glaubte.
Bis zum Mittagessen sprachen sie nicht mehr viel über das Thema, doch beim Essen hatten dann Molly und Arthur mit ihnen darüber zu sprechen.
»Ihr wißt, daß die Schlacht nicht mehr fern ist, und ihr wißt auch, daß es eine sehr gefährliche Angelegenheit wird«, begann Arthur ruhig und versuchte halbwegs sachlich zu klingen, während Molly, die immer sehr emotional war, mit den Tränen kämpfte. »Jeder Weasley außer euch beiden wird an ihr teilnehmen, und wenn sie schlechter verläuft, als wir uns das erhoffen, dann könnte es passieren, daß im allerschlimmsten Fall – und Gott behüte, daß er eintrifft – nur noch … nun … ihr beide übrig seid. In diesem Fall übernimmt jemand aus dem Orden die Vormundschaft für euch. Falls jemand aus der Familie überlebt, wir beide aber, na ja … ihr wißt schon … dann übernimmt einer eurer Brüder die Vormundschaft. Ihr beide sollt wissen, daß wir euch sehr lieben, so wie wir auch eure Brüder lieben, und sollte uns etwas passieren, dann vergeßt bitte nie, daß wir auch für eure Zukunft gekämpft haben. Kümmert euch umeinander und helft euch; vergeßt nicht, es gibt nichts Wichtigeres als Familie.«
»Schon gut, Mum, Dad. Wir wissen, daß ihr uns liebt. Wir lieben euch auch«, sagte Ginny, die ebenfalls mit den Tränen kämpfte.
»Und Harry, mein Lieber. Auch dich haben wir lieb. Wir sehen uns hoffentlich morgen, und dann ist vielleicht schon endlich Schluß«, sagte Molly, der hemmungslos die Tränen die Wangen hinabliefen. Nun war auch Harry den Tränen nah, und auch Luna hatte schon feuchte Augen. Irgendwie brachten sie das Essen noch zu Ende, auch wenn für Harry die letzten Bissen ein wenig zu salzig schmeckten.
Den Nachmittag verbrachten sie oben im Schlafraum der Jungen und versuchten gemeinsam, die immer größer werdende Anspannung zu lindern, was ihnen nur bedingt gelang. Sie redeten über die Briefe, die Neville seiner Großmutter und die Luna ihrem Vater hinterlassen hatte, für den Fall, daß sie nicht zurückkämen, und auch Ginny und Ron wollten einen solchen Brief schreiben und bei ihren Sachen plazieren. Als sie gegen vier Uhr damit begannen, wurde sich Harry bewußt, daß er auch einen Brief zu schreiben hatte, doch wußte er nicht so recht, wie er das Ganze angehen sollte. In Gedanken spielte er mögliche Formulierungen durch, doch so richtig zufrieden war er damit nie. Gegen fünf schließlich setzte er sich von den anderen ab und ging hoch in das Zimmer, in dem Seidenschnabel gelebt hatte. Er setzte sich auf den Boden und begann, seinen Brief zu schreiben. Es war vielleicht das Schwerste, was Harry in seinem noch jungen Leben zu tun hatte, doch war es ihm vielleicht auch das Wichtigste. Zwar glaubte er nicht mehr daran, daß Hermine noch lebte, aber er hatte sich schließlich schon zu oft in seinem Leben geirrt, und auch wenn sie ihn niemals lesen sollte, war es vielleicht die richtige Therapie für ihn. Zudem, falls sie es doch schaffen sollte und gesund zurückkehren könnte, er selbst aber unglücklicherweise im Kampf fallen würde, sollte sie etwas vorfinden, das ihr einfach alles erklären würde. Er gestand ihr, wie sehr er sie liebte und wie sehr sie ihm fehlte. Mit ihr wäre es alles so viel leichter gewesen. Er gestand auch, daß er nicht wüßte, ob er wirklich ohne sie weitermachen könnte und wollte, auch wenn es einfach alle von ihm erwarten würden. Während er den Brief schrieb, weinte er heftig, und einige Tropfen fielen dabei auch auf das Papier und hinterließen auf ihm ihre Spuren. Normalerweise schämte er sich immer ein wenig seiner Tränen, doch diesmal war es ihm egal. Vor ihr schämte er sich seiner Gefühle nicht, las schweren Herzens erneut den fertigen Brief und wurde dabei von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Er erholte sich noch ein paar Minuten, ehe er den Raum verließ und den Brief schließlich behutsam zu Hermines Sachen legte. Langsam schloß er den Koffer und hoffte so sehr, sie würde ihn lesen können, daß es ihm heftige Magenschmerzen verursachte.
In einem gewissen Maße erleichtert, ging er wieder hoch zu den anderen, denn es stand die nächste Kontaktaufnahme auf dem Programm. Luna, Ginny und Neville schliefen in ihren Betten, während Ron auf ihn wartete.
»Geht's?« fragte er als erstes, und Harry nickte, »Die ersten haben sich gemeldet. Ich hab' ihnen gesagt, daß es noch nichts Neues gibt.«
»Schreib ihnen: Jeder, der kann, soll bis zehn schlafen gehen, und ab dann findet jede volle Stunde eine kurze Absprache statt. Nur die, die länger für den Weg nach London brauchen, sollen sich entsprechend pünktlich auf den Weg machen, damit jeder spätestens um zwei Uhr fünfundvierzig am vereinbarten Treffpunkt ist«, erwiderte Harry, während er sich auf sein Bett legte. Auch er wollte noch ein Nickerchen machen, und zu seinem Erstaunen schlief er überaus schnell ein. Dieses Mal wurde Harry von Ron geweckt.
»Gleich zehn«, informierte dieser ihn kurz und gab Harry das Pergament.
»Hast du auch geschlafen?«
Ron nickte. »Die anderen schlafen noch. Kein Grund, sie jetzt zu wecken.« Er zog Harry aus dem Bett.
»Ich frage mal, wie viele unterwegs sind«, meinte Harry und begann zu schreiben. Leise zählte er jeden Namen, der auf dem Pergament erschien, ehe er schließlich bei einunddreißig ankam. Fünf weitere wollten gerade los, und zehn waren bereits auf dem Sprung und würden innerhalb der nächsten zwanzig Minuten von zu Hause aufbrechen. »Sieht gut aus. Keine zwanzig sind noch zu Hause.« Er löschte das Pergament, nachdem er ihnen noch geschrieben hatte, daß er sich um elf wieder melden würde. Harry überlegte kurz, ob er sich wieder hinlegen sollte, doch schließlich entschied er, daß er nicht mehr müde war. Ron dagegen legte sich wieder hin und schlief schnell ein.
Die nächsten zwei Stunden wollten für Harry kaum vergehen. Er hatte sich Hermines Lieblingsbuch genommen und begonnen, es erneut zu lesen. Um elf bekam er einen kurzen Statusbericht von den DA-Mitgliedern und erfuhr, daß mit dem Fahrenden Ritter wohl alles klargehen würde. Im Moment war er im Norden Englands nahe der schottischen Grenze unterwegs, und Dean und Seamus holten mit einer Gruppe von zwanzig weiteren die letzten zehn DA-Mitglieder ab, die noch zu Hause waren; alle würden es pünktlich bis zwei Uhr fünfundvierzig schaffen, am vereinbarten Treffpunkt in London aufzutauchen. Harry schrieb ihnen, daß sie sich unauffällig verhalten und aufpassen sollten, daß sie so wenig wie möglich gesehen würden.
Kurz vor zwölf weckte Harry dann Ron und ging hinunter in die Küche. Das letzte Treffen des Ordens würde gleich beginnen, und Harry wollte und durfte es auf keinen Fall verpassen. Er öffnete die Küchentür und betrat einen riesigen Raum, der nicht mehr wie die Küche aussah. Es stand ein gewaltiger Tisch in der Mitte, und etwa fünfzehn Ordenmitglieder waren bereits anwesend. Remus gehörte dazu, und er hatte Krummbein in einer Transportbox dabei. Harry freute sich, ihn zu sehen, und ging sogleich auf ihn zu.
»Hallo, Remus, schön, dich zu sehen«, begrüßte Harry ihn und auch einige andere im Raum, die er mittlerweile gut kannte. Harry hatte Remus lange nicht gesehen und erst ein einziges Mal, seit Tonks tot war. Er sah nicht wirklich gut aus, aber auch nicht schlechter, als er es aufgrund der Mondphasen häufiger tat.
»Hallo, Harry, ich freue mich, dich zu sehen«, grüßte Remus zurück und lächelte etwas gequält.
»Wie ich sehe, hast du Krummbein dabei«, bemerkte Harry und hielt seinen Finger an das Gitter, damit er an ihm schnuppern konnte.
»Natürlich. Ich konnte ihn nicht dort lassen. Wer weiß, was heute noch alles passiert.«
Harry verstand, was er meinte. »Wo warst du so lange, wie geht es dir?«
»Wo ich war? Das sollte ich dir lieber nicht sagen. Du wirst es später wahrscheinlich mal erfahren, aber im Moment ist es besser, du weißt es nicht. Vertraue mir.«
Harry beschloß, nicht nachzuhaken, sondern fragte mit möglichst sanft klingender Stimme: »Dann sag mir wenigstens, wie es dir geht, ich meine, nachdem Tonks … du weißt schon.«
»Nun, ich weiß nicht, woher du das schon wieder weißt, aber es ist nicht leicht. Sirius' Tod war, wie du weißt, auch für mich sehr schlimm, und auch Tonks hat mir … ich meine … bedeutet mir noch immer viel, aber ich kann es nicht ungeschehen machen. Es ist nicht einfach für mich, doch Krummbein war mir eine große Hilfe. Sag, kannst du ihn nicht nach oben bringen, ich würde ihn nur ungern länger im Käfig lassen?«
Harry nickte. Zwar verstand er nicht, warum er ihn nicht einfach hier herausließ, aber eigentlich war das egal.
»Beeil dich aber, es geht gleich los.«
Harry schnappte sich den Käfig und bemerkte beim Hinausgehen, daß es inzwischen deutlich voller geworden war, während er die wenigen Worte mit Remus gewechselt hatte. Er brachte Krummbein nach oben und ließ ihn in Ginnys und Lunas Zimmer verschwinden, da er dort sicher am besten aufgehoben war. Harry sah noch kurz bei Ron hinein, der gerade wieder mit Hilfe des Pergaments Kontakt aufgenommen hatte und Harry sofort wieder hinunterschickte, damit er ja nichts verpassen würde. Harry flog die Treppen förmlich nach unten und traf im Flur auf Mundungus, der gerade ins Haus appariert war. Gemeinsam betraten sie die Küche, die inzwischen wirklich voll war. Dumbledore war schon anwesend und wartete anscheinend nur noch auf zwei oder drei andere, die allerdings nur kurz nach Harry die Küche betraten. Harry sah auch Fred und George und grüßte sie kurz. Sie lächelten beide breit, und Harry bewunderte sie dafür, daß sie selbst jetzt nicht ihre gute Laune verloren hatten. Harry nahm neben Remus Platz, der ihm einen Stuhl freigehalten hatte, und wartete gespannt, bis Dumbledore anfing. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis er sich erhob, und sofort verstummten alle.
»Zuerst möchte ich euch danken, daß ihr alle hier seid. Es steht uns eine schwierige Aufgabe bevor, und mit einem jeden einzelnen von euch wird sie uns allen leichter fallen. Ich danke euch, daß ihr bereit seid, große Opfer zu tragen, denn so wie ich weiß auch ein jeder von euch, daß niemals alle von uns überleben können.« Er unterbrach, da in diesem Augenblick die Küchentür aufschwang, die Molly magisch verschlossen hatte. Niemand anderes als Mad-Eye Moody stand im Türrahmen und starrte sie grimmig an.
»Hätte niemals von euch gedacht, daß ihr einfach so ohne mich anfangen würdet«, brummte er grimmig und trat ein. Molly war schon vom Stuhl aufgesprungen und verschloß die Tür erneut, während alle Mad-Eye anstarrten, den Dumbledore freundlich lächelte.
»Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst, ich hatte dich eher erwartet«, bemerkte dieser und zeichnete mit seinem Zauberstab einen Stuhl in die Luft, der gerade noch neben den seinen paßte. Um sich herum hörte Harry Gemurmel, von dem er aber nicht viel verstand. Er bekam aber mit, daß die Leute große Achtung vor dem alten Ex-Auror empfanden, der, obwohl nicht völlig genesen, hier erschienen war, um mit ihnen Seite an Seite in die Schlacht zu ziehen.
»Setz dich endlich, alter Mann«, forderte ihn Remus mit einem Lächeln im Gesicht auf. Mad-Eye würdigte den Kommentar mit einem grummelnden Kopfnicken und nahm kurz danach neben Dumbledore Platz. Obwohl er ein alter Mann war, zudem nicht völlig fit war, spürte Harry, wie allein seine Anwesenheit einigen im Raum zusätzlich Mut machte. Er schrieb es Mad-Eyes unbändigem Kampfwillen und seiner reichhaltigen Erfahrung zu, und tatsächlich fühlte sich auch Harry ein wenig besser, jetzt da er wußte, daß auch er sich, mit allem, was er besaß, in die Schlacht werfen wollte.
Dumbledore fuhr mit seiner Rede fort. Er erklärte ihnen nur einige Details des Planes, den Rest wollte er ihnen erst auf dem Schlachtfeld erzählen. Er nannte die endgültigen Truppenstärken, und nicht nur Harry war davon tief beeindruckt. »Fünfundvierzig Mann vom Orden stehen, na ja, eigentlich sitzen sie gerade bereit, wie man sehen kann.«
Harry war erstaunt, daß er dabei leicht lachte und offenbar auch in einer solch ernsten Situation einen Witz machte. Vielleicht war er aber auch nicht wirklich erstaunt. Dumbledore war schon immer ein Mann mit einem merkwürdigen Sinn für Humor gewesen, und wenn er ehrlich war, gefiel Harry dies überaus. Es war seine Art, die Situation aufzulockern, und genau das brauchten alle Anwesenden. Auch Harry konnte das gut gebrauchen, und innerlich mußte er über diesen Witz kurz schmunzeln.
»Die Riesen werden, von Hagrid geführt, ebenfalls mitkämpfen, und sie werden von Sicherheitstrollen begleitet werden. Hundertfünfzig Mann werden vom Ministerium gestellt, Cornelius Fudge persönlich wird dabeisein, und sie werden mit den Auroren die vorderste Linie bilden. Dazu kommen etwa einhundertzwanzig Eltern von Hogwarts-Schülern und einhundert weitere vertrauenswürdige Freiwillige. Sie alle werden gegen ein Uhr dreißig in Hogwarts mit Portschlüsseln erscheinen, was wir so von langer Hand vorbereitet haben. Dazu gibt es noch ein paar kleinere Überraschungen für Voldemort und seine Streitkräfte, denn auch einige weitere Geschöpfe werden unsere Truppe unterstützen.« Dabei zwinkerte er Charlie zu. »Vor Ort erwarten uns ferner weitreichende Vorbereitungen, die einige Zeit erfordern werden, doch wird uns das einen erheblichen Vorteil bringen und ist deshalb unbedingt erforderlich. Dies betrifft auch die Situation mit Voldemorts Riesen. Aber auch darüber werde ich euch nachher detailliert in Kenntnis setzen.«
Harry hörte aufmerksam zu und prägte sich alles ein, als jetzt weitere Fragen gestellt wurden. Sie besprachen einige taktische Maßnahmen, und auch einige Verhaltensweisen wurden besprochen. Dazu gehörte der Umgang mit Verletzten und Toten. Problematisch an der Sache war, daß selbst Dumbledore niemals an einer solch gewaltigen Konfrontation teilgenommen hatte, wenn er von seinen Erfahrungen in der Schlacht mit Grindelwald absah, die aber nicht einmal halb so groß gewesen war. Auch er war deshalb nicht in der Lage, jede erfragte Eventualität mit einer allumfassenden Antwort abzudecken, was nicht nur ihn selbst ein wenig zu frustrieren schien. Auf die Frage aber, was den Dunklen Lord davon abhalten sollte, mit seiner ganzen Truppe zu fliehen, sobald der Kampf begonnen hatte und diesem damit klar sein mußte, daß sein Plan nicht mehr zu halten war, wußte Dumbledore eine gute Antwort:
»Er wird sich nicht zurückziehen, da bin ich mir ziemlich sicher. Selbst wenn wir uns schon vor den Mauern Hogwarts zur Wehr setzen und selbst dann, wenn er erkennen muß, daß wir nicht nur in der Überzahl sind, sondern daß wir die Schlacht gewinnen werden. Sein Stolz wird ihn daran hindern. Tom wird niemals zulassen können, daß er erneut geschlagen vor seine Todesser treten muß, auch wenn er sie und sich selbst dafür opfern muß. Ich könnte mich zwar irren … doch glaube ich fest daran.«
Erst um Viertel nach eins kamen sie dann zum Ende. Dumbledore begann, Portschlüssel zu zaubern, und verteilte sie. Der Tisch verschwand, und kleine Gruppen bildeten sich.
Harry ging zu Fred und George. Er wollte zumindest sie einweihen, damit es jemanden gab, der Dumbledore sagen konnte, daß die DA kommen würde. Er forderte sie deshalb flüsternd auf, ihm in eine Ecke zu folgen, und begann damit, ihnen schnell den Plan zu erläutern. Mit jedem seiner Worte erhellte sich die Miene der beiden, und Harry konnte ihnen ihre Begeisterung förmlich ansehen.
»Vierundsechzig seid ihr? Wahnsinn. Das ist die Verstärkung, mit der wir Voldemort den Arsch aufreißen«, jubelte Fred leise.
George nickte grinsend und fügte hinzu: »Paßt aber auf. Das Ganze ist kein Spiel. Du bist für ihre Leben mitverantwortlich. Sie vertrauen dir, auch wenn du es vielleicht nicht wahrhaben willst. Aber sieh dir nur Ron an. Ohne dich wäre er nie bereit und fähig zu kämpfen.«
»Paß auf die beiden und auch auf die anderen auf. Überlege dir genau, was du tust. Warte hier, vielleicht können wir dir ein paar Portschlüssel beschaffen, damit hast du es leichter«, flüsterte Fred und verschwand mit seinem Bruder in dem Augenblick, als Dumbledore nach Harry rief.
»Ich wollte dich nur noch einmal bitten, daß du nichts Unüberlegtes tust. Es gibt genug Dinge, um die ich mir bereits Sorgen machen muß, und ich möchte keine weitere hinzufügen müssen«, sagte Dumbledore mit einem Lächeln, als Harry zu ihm gegangen war. Dieser nickte. Die Formulierung kam ihm komisch vor, doch hatte er keine Zeit mehr, sich darum zu kümmern, da Dumbledore gleich aufbrechen wollte. Da waren auch Fred und George wieder zurück und reichten Harry zwei längere Seile, ohne daß jemand das bemerkte.
»Ich weiß nicht, wie ich sie aktivieren soll«, flüsterte Harry.
»Kein Problem«, sagte Fred und zog seinen Zauberstab und fing an, etwas zu murmeln, was Harry nicht verstehen konnte. »Das ist so illegal, illegaler geht es nicht mehr«, flüsterte George grinsend.
»So was hat euch ja noch nie gestört.«
»Kannst sie wegstecken«, meinte Fred, und Harry versteckte sie schnell unter seinem Umhang, was sich als nicht so einfach erwies.
»Wie aktiviere ich sie jetzt?«
»Tippe sie mit deinem Stab an, das reicht«, raunte George ihm kaum hörbar zu und grinste breit.
Harry dankte ihnen und wünschte ihnen viel Glück. Die beiden nickten gleichzeitig und lachten kurz.
»Voldemort wird das Glück brauchen«, sagten sie plötzlich synchron und lachten lauter.
Dumbledore rief etwas, alle Gespräche verstummten, und es bildeten sich schnell Gruppen um die verbliebenen Portschlüssel. Harry verabschiedete sich schnell noch von Remus, Familie Weasley – sie baten darum, daß er sie doch bei Ron und Ginny verabschiedete – Mad-Eye, Dumbledore und einigen anderen, immer darauf bedacht, die beiden Seile versteckt zu halten. Die Zeit war gekommen. Es war halb zwei, und die Portschlüssel aktivierten sich mit Ausnahme der beiden, die Harry unter seinem Umhang versteckt hielt. In Sekundenbruchteilen war der Raum leer, und über vierzig Mitglieder des Phönix-Ordens kamen Hunderte Kilometer entfernt in Hogwarts an. Durch die plötzliche Stille im Raum fühlte sich Harry beinahe erdrückt, und er verließ sofort die Küche, um sich nach oben zu begeben. Ron war schon wieder eingeschlafen, und Neville schlief noch immer. Er weckte die beiden sofort und holte dann auch die Mädchen aus ihrem Zimmer. Sofort erzählte er alles, was passiert war, und auch, daß er nun zwei Portschlüssel besaß, mit denen sie problemlos nach Hogwarts kommen könnten. Alles zu erzählen, hatte fast eine halbe Stunde gedauert, und so war es inzwischen fast zwei Uhr. Die letzte Kontaktaufnahme vor dem Treffen stand an und lief reibungslos ab. Der Fahrende Ritter mußte nur noch Zacharias von zu Hause abholen und würde sich dann auf nach London machen, um pünktlich dort anzukommen. Die anderen waren bereits in Londons Nähe und hatten keinen weiten Weg mehr vor sich. Zu Harrys Überraschung schien sich niemand zu verspäten, und das machte ihn stolz. Alle nahmen das vor ihnen Liegende mehr als nur ernst und taten alles, was notwendig war. Schnell löschte er das Pergament und verstaute es wieder in seiner Tasche.
Er begann damit, sich selbst auf die Schlacht vorzubereiten, und das hieß für ihn zuallererst Besenpflege. Ein paar Minuten später verschwand Ron aus dem Zimmer, weil er unbedingt noch schnell etwas essen wollte. Harry selbst war nicht hungrig, und offenbar auch niemand der anderen. Zwar wunderte er sich kurz, warum Ron Pig mitnahm, doch dieser schien sich sehr zu freuen, was er überaus lautstark kundtat. Harry hatte seinen Besen schließlich ausreichend gepflegt, und dieser sah wieder so gut aus wie am ersten Tage. Er blickte auf seine Uhr, die zwanzig nach zwei anzeigte, was hieß, daß sie in zehn Minuten aufbrechen müßten, da sie gut eine Viertelstunde zu Fuß bis zum Treffpunkt brauchen würden, der etwas abseits lag, um den Grimmauldplatz nicht in Gefahr zu bringen. Harry sagte den anderen, daß er kurz hinuntergehen würde und sie sich beeilen sollten. Kaum war er unten, sah er, wie Ron Pig aus der Eingangstür ins Freie ließ. Eindeutig war ein winziger Brief an seinem noch kleineren Bein befestigt. Harry blieb ratlos stehen: Wem schrieb Ron um diese Uhrzeit einen Brief?
»Was tust du da?« fragte Harry verwundert, während Ron gerade die Tür schloß. Dieser drehte sich erschrocken um.
»Ähhm – nichts«, stammelte er, doch Harry wußte es besser. Ron wurde rot und fühlte sich sichtlich ertappt.
»Ich frage nur noch einmal. Vergiß nicht, ich bin dein Freund, und du solltest mir vertrauen können.«
»Ich … du mußt … versprich mir, daß du nicht sauer wirst«, bat ihn Ron und hatte einen überaus gequälten Gesichtsausdruck aufgesetzt.
Harry versprach es, obwohl ihm dabei überaus unwohl war. Das kann nichts Gutes sein, dachte er und blickte seinen besten Kumpel erwartungsvoll an.
»Pig trägt einen Brief aus«, sagte Ron kleinlaut, doch Harry verstand noch nicht, wo das Problem war. »Es ist nicht irgendeiner«, fuhr Ron fort und schien jetzt wirklich zu leiden.
»Was?« fragte Harry, der es nicht begriff.
»Es ist deiner an Hermine«, gestand Ron und hielt die Hände schützend über sich, wohl einen Ausbruch von Harry erwartend. Es dauerte einige Augenblicke, ehe Harry sich dieser Worte bewußt wurde, doch dann klappte ihm der Mund auf.
»Das hast du nicht getan, nicht ohne mich zu fragen«, sagte er leise, und die ruhige Art, wie er es sagte, ängstigte Ron wohl ein wenig, begann er doch ein paar mehr Zentimeter zwischen sich und Harry zu bringen.
»Ich mußte. Wenn sie noch lebt, schafft Pig es vielleicht. Sieh mal, wir haben nie darüber nachgedacht, doch warum nicht? Er ist zielstrebig weggeflogen, ich weiß nicht, was das heißt, doch …«, sagte Ron, während Harry ihm ein wenig näher kam. Innerlich kochte Harry, doch er verstand die gute Absicht seines Freundes. Zwar hielt er es für blödsinnig, daß gerade der mickrige Pigwidgeon es schaffen sollte, Hermine – wer weiß wo - ausfindig zu machen, doch war auch eine gewisse Logik in dieser Aktion.
»Was, wenn Voldemort ihn in die Finger bekommt? Da steht nicht nur drin, wie sehr ich sie liebe, da steht auch vieles über den Angriff drin«, erregte sich Harry und klang eine Spur aggressiver, als er wollte.
»Das hab' ich alles getilgt. Steht nichts mehr drin, was für uns oder den Angriff gefährlich wäre. Ich hab' aber Tag und Uhrzeit geschrieben, wann ich es abgeschickte habe, und verschlüsselt auch von wo. Wenn sie lebt, hilft ihr das vielleicht, auch wenn ich nicht so recht dran glaube«, erklärte Ron schnell und entspannte sich sichtlich, als Harry sich ebenfalls entspannte. Ron hatte ihn also gelesen, doch eigentlich hatte er nichts geschrieben, was Ron nicht sowieso schon wußte, und zudem mußte er ihn lesen, wenn er ihn abschicken wollte, dachte Harry bei sich und spürte merkwürdigerweise den Drang zu lächeln, was Ron ihm sogleich nachtat. »Ich dachte schon, du bringst mich um.«
»Frühestens nach der Schlacht, jetzt brauch' ich dich noch lebend«, meinte Harry scherzend. »Dabei fällt mir ein, falls sie den Brief nicht kriegt, brauche ich einen neuen für ihren Koffer.«
Bei diesem Gedanken wollte er schon nach oben eilen, als Ron ihn am Arm packte: »Nicht nötig, ich hab' ihn natürlich vorher kopiert.«
Nun mußte Harry noch breiter grinsen. Tatsächlich hatte Ron an eigentlich alles gedacht. Eine Sache, die für ihn nicht gerade typisch war, schludrig, wie er bis zu den Sommerferien gewesen war.
»Was macht ihr hier, ich dachte, wir wollten los«, ertönte die Stimme von Ginny, die gerade die Treppe herunterkam.
»Wollen wir auch. Laßt uns gehen, Voldemort wartet auf uns«, sagte Harry und fühlte sich jetzt, da es endlich losging, merkwürdig befreit.
»Wir können noch nicht, ich muß erst noch mal dringend auf Klo«, rief Neville plötzlich, stellte seinen Besen ab und hetzte an den anderen vorbei in Richtung Toilette.
»Nervöser Magen«, sagte Ginny sanft und sah ihrem Freund hinterher, der hinter einer Tür verschwand.
»Muß er sich übergeben, oder hat er Durchfall?« fragte Ron.
»Keine Ahnung.«
»Ich glaub', ich muß auch noch mal. Vielleicht sollten wir alle noch mal schnell gehen«, meinte Luna, und Harry nickte. Auch ihn plagte ein gewisser Druck auf der Blase, der später unangenehm werden konnte.
Neville kam kurz darauf zurück und sah besser aus. Niemand fragte ihn, was er hatte, und er sah darüber dankbar aus. Nach und nach huschten alle kurz auf die Toilette und erleichterten sich, ehe sie, mit ihren Besen bewaffnet, das Haus verließen.
