Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem Plot. Alle originalen Charaktere und Schauplätze die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.
Kapitel 10 – Schlacht um Hogwarts TEIL 1
Harry sah, daß sich Voldemorts Armee nun schnell verteilte. Die Feinde waren nur noch hundert Meter vom Rand des annähernd quadratischen Friedhofs entfernt und würden nun gleich beginnen, vorwärts zu marschieren. Er wartete jetzt eigentlich nur noch darauf, daß endlich etwas passierte. Er merkte, wie er erneut von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde, und hatte inzwischen feuchte Hände. Sein Feuerblitz lag neben ihm auf dem Boden. Seinen Zauberstab hielt er, sofort bereit, damit zuzuschlagen, in seiner rechten Hand. Ron berührte ihn am Arm.
»Da!« raunte er ihm leise zu und wies zur Seite. Harry drehte den Kopf nach links. Er sah, wie ein grüner Blitz neben einem riesigen Grabdenkmal auftauchte.
Sofort zuckten weitere Blitze auf der linken Seite auf. Harry sah, wie sie in allen Regenbogenfarben über den Friedhof jagten, direkt auf Voldemorts Armee zu. Doch woher waren sie gekommen? Noch immer konnte er Dumbledores Streitkräfte nicht sehen. Harry blickte wieder nach rechts und sah inmitten von Voldemorts Armee einen Tumult ausbrechen. Er konnte Schreie aus der Menge hören.
»Verrat!«
»Das ist eine Falle!«
Er hörte sie nur leise, aufgrund der großen Entfernung, doch er konnte sie deutlich verstehen. Schnell wußte er nicht mehr, wo er zuerst hinsehen sollte. Weitere Flüche flogen über den Friedhof und tauchten ihn in ein schauriges Licht. Einige von ihnen prallten gegen Grabsteine oder trafen auf Büsche und Sträucher, die vereinzelt auf den Gräbern standen. Die meisten aber flogen zielstrebig ihrem eigentlichen Ziel zu: Voldemorts Todessern!
Diese begannen inzwischen damit, ihrerseits Flüche abzufeuern und ihr Lauftempo zu erhöhen. Sie würden nun schnell am Friedhof sein und die Grabsteine als Deckung nutzen können, dachte Harry, wußte aber, daß es allein bis dahin schon Opfer unter ihnen geben würde. Vor allem aber hatten die Todesser noch immer das große Problem, daß sie ihre Feinde nicht klar ausmachen konnten.
Viele verschiedene Beschwörungsformeln wurden gesprochen, ohne daß er sie klar hätte heraushören können, so daß die Luft förmlich von menschlichen Stimmen überschwemmt wurde. Obwohl er noch einen gewaltigen Abstand zu Voldemorts Kämpfern hatte, wünschte Harry sich doch nichts sehnlicher, als zu Hause, in Frieden, in seinem Bett zu liegen. Er war überaus nervös, und leichte Angst machte sich in ihm breit, während von beiden Seiten ununterbrochen weitere Flüche über den Friedhof jagten. Schon jetzt konnte er die ersten gefallenen Todesser ausmachen. Einige waren zwar wahrscheinlich nur geschockt, andere aber hoffentlich ernsthaft verletzt. Harry mußte grinsen, sah es bis jetzt doch sehr schlecht für Voldemorts Armee aus.
»Bleibt alle ruhig. Noch braucht man uns nicht«, flüsterte er in die Menge seiner Mitstreiter und merkte, wie hinter und neben ihm ebenfalls geflüstert wurde.
Alle schienen von Dumbledores Taktik und ihrem bisherigen Erfolg überrascht. Die Todesser hatten sich inzwischen besser verteilt. Er konnte fünf einzelne Gruppen und ihre vermeintlichen Anführer ausmachen. Diese schienen sehr aufgeregt und brüllten Kommandos.
»Auseinander! Verteilt euch endlich!« – »Die Dementoren nach vorne!« – »Die Riesen zur Seite!«
Von Seiten der Verteidiger konnte er nichts dergleichen hören. Sie schienen genau zu wissen, was sie taten, ohne neue Anweisungen zu benötigen. Noch immer konnte er niemanden von ihnen sehen, und Harry fand Dumbledores Taktik faszinierend.
Wieder blickte er zu den Angreifern. Er erkannte, daß sie die Anweisungen nun offenbar schnell umsetzten. Viele der Dementoren waren nun in die Offensive gegangen und glitten über den Friedhof und kamen deutlich schneller voran als der Rest der Armee. Der Friedhof maß, in ganzer Breite und Länge, sicher deutlich über vierhundert Meter und sah beinahe quadratisch aus. Er war viel größer, als Harry je erwartet hätte, und er fragte sich noch immer, wieso er ihn nie vorher bemerkt hatte.
Auch die Riesen waren den Anweisungen gefolgt und bewegten sich auf beide Flügel zu. Sofort konnte Harry sich vorstellen, was Voldemort vorhatte. Er ließ die Riesen höchstwahrscheinlich an der Seite angreifen, um Dumbledore durch sie in die Zange nehmen zu lassen. Die Dementoren sollten wohl Verwirrung stiften und schon einmal für die ersten Opfer sorgen. Durch ihren Vorstoß konnte er auch mit seinen Todessern schneller vorankommen, dachte Harry, da er einfach nur ihrem Weg folgen mußte. Noch machte Harry sich aber um die Verteidiger keine allzu großen Sorgen. Er beobachtete mit seinen Leuten weiter das Geschehen.
Die Dementoren waren schon vierzig Meter vor Voldemorts Truppen. Harry hatte sie noch nie so gesehen. Sie schienen nicht einfach blind vorzustürmen, sondern versuchten jede Deckung zu nutzen. Harry wußte nicht, wovor sie Angst hatten, denn vom Patronus-Zauber war noch nichts zu sehen. Was konnte Dumbledore sonst noch gegen sie ausrichten? Meter um Meter sah er Voldemorts Truppen weiter vorrücken. Er sah wie die ersten Todesser den eigentlichen Friedhof erreichten. Die Riesen waren jetzt auf den Flanken angekommen, ihre Erscheinung war atemberaubend. Nie zuvor hatte Harry so viele von ihnen gesehen. Sicher, er kannte die zehn, die vor kurzer Zeit zu Hagrid gekommen waren und sich im Wald versteckt gehalten hatten, aber jede der beiden Gruppen von Voldemorts Riesen war mehr doppelt so stark. Harry versuchte sie zu zählen und kam auf weit über dreißig. Mehr als alles hoffte er, daß Dumbledore und die anderen sie aufhalten könnten. Er wußte, wie schwer es war, ihnen mit Flüchen beizukommen, und erinnerte sich noch gut daran, wie Umbridge mit ihren Häschern bei Hagrid eingefallen war. Dieser hatte sich gut gegen die Kröte und ihre Zauber behaupten können, und dabei war Hagrid noch ein Zwerg, verglichen mit diesen Kolossen.
Er konnte nun ihr Stampfen hören. Sie liefen sehr langsam und schienen es nicht besonders eilig zu haben, waren aber trotzdem schon vor den Todessern. Fünfzehn Meter waren sie sicher schon voraus, dachte er, während er unablässig weitere Lichtblitze in den verschiedensten Farben über den Friedhof schießen sah. Allerdings schienen nun nicht mehr sehr viele von ihnen zu treffen, denn eine Menge von ihnen sah er einfach ins Leere fliegen. Harry blickte zu Ron. Auch er wirkte angespannt.
»Sieht bis jetzt sehr gut aus!« meinte Harry zu ihm.
Ron hatte erst jetzt bemerkt, daß Harry ihn angesehen hatte. »Ja, bis jetzt schon. Ich bin echt gespannt, was als nächstes passiert. So hatte ich mir das alles nicht vorgestellt, um ehrlich zu sein«, antwortete dieser.
Harry blickte wieder auf das Schlachtfeld. Er versuchte Voldemort in der Menge auszumachen. Es gelang ihm nicht.
Die Sonne würde noch nicht so bald aufgehen, war sich Hermine sicher und lief die Straße entlang. Vereinzelt sah sie ein paar Bewohner, die bereits unterwegs waren, doch niemand schien sie zu beachten. Sie kam am Eberkopf vorbei und sah schon den Honigtopf. Sie wußte genau, wo sie lang mußte, und ging direkt auf die Tür des Honigtopfes zu. Sie fragte sich, wie sie dort hineinkommen solle. Würde der Eingang magisch gesichert sein, oder könnte sie ihn ohne Probleme öffnen? Sie blieb direkt vor der Tür stehen. Mit der Rechten zückte sie den Zauberstab, sah sich noch einmal kurz um.
»Alohomora!« Die Tür öffnete sich nicht. »Bitteee … komm schon … Alohomora!« Diesmal schwang sie auf.
Erleichtert atmete sie tief und ruhig aus. Wieder sah sie sich um und betrat hastig den Laden. Sie schloß sofort die Tür, streckte den Zauberstab in die Höhe.
»Lumos!« murmelte sie, und sofort erschien an der Spitze des gestohlenen Zauberstabes ein Licht, welches sie fast blendete.
Langsam und vorsichtig ging sie hinter die Ladentheke, sah die Falltür und öffnete sie. Zögernd schob sie den Zauberstab vor, bis er die Holztreppe, die in den Keller führte, ausreichend beleuchtete. Leise glitt sie hinunter. Sie schloß die Falltür und setzte den Weg nach unten fort. Was sie nicht bemerkte, war, daß sich ihre Hände nach und nach vergrößerten. Das geschah so langsam, daß sie es wohl auch bei Tageslicht noch nicht bemerkt hätte.
Als sie am Fuße der Treppe angekommen war, sah sie sich gründlich um. Viele Holzkisten und Weidenkörbe konnte sie erkennen; sie waren mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt, für die sie jetzt allerdings kein Auge hatte. Vielmehr suchte sie den verborgenen Tunnel. Gleich hier links, dachte sie, mußte der geheime Eingang sein. Sie ging in die Knie und legte den noch immer leuchtenden Zauberstab auf den Boden. Auch ihren Besen legte sie ab. Schließlich begann sie damit, den Staub auf den Steinplatten wegzuwischen und die verborgene Falltür zu suchen. Dabei bemerkte sie, daß etwas mit ihren Händen nicht stimmte. Sie waren nun schon deutlich angeschwollen, und sie hatte große Mühe, die Ritzen im Boden zu ertasten und vom Dreck zu befreien.
Sie erkannte, daß irgend etwas Geheimnisvolles vor sich ging, und ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Sie ergriff mit ihrer Rechten den noch immer am Boden liegenden Zauberstab und sah sich ihre linke Hand genauer an. Sie war nicht nur deutlich angeschwollen, sie wurde langsam aber sicher auch immer haariger. Hermine war schnell klar, daß sie es mit einem Fluch zu tun hatte, der ihren Einbruch bestrafen sollte. Sofort versuchte sie es mit einigen Gegenflüchen.
»Reducio!« sagte sie als letztes, doch schien keiner davon eine Wirkung zu haben. »Das kann nicht sein … warum ausgerechnet jetzt?«
Sie dachte angestrengt und überaus nervös nach. Hatte sie darüber nicht schon einmal etwas gelesen? Aber ja, kam es ihr in den Sinn. Aber was, was hatte sie gelesen? Sie dachte angestrengt nach, doch sie wußte es einfach nicht mehr. Sie zermarterte sich umsonst ihr Hirn, welches nach der langen Gefangenschaft nicht mehr ganz so gut wie gewohnt reagieren wollte, obwohl sie zwischendurch versucht hatte, sich geistig und körperlich fit zu halten. Sie fühlte sich im Moment so leer; und langsam, aber sicher erreichten ihre Hände eine Größe und Behaarung, die eine echte Panik auslösten. Was nur sollte sie tun?
»Ich muß hier weg!« Das stand auf jeden Fall fest. Sie schwang den Zauberstab und sprach: »Wingardium Leviosa!«
Sofort erhob sich die Falltür wenige Zentimeter, und Hermine konnte ihre dicke, haarige Hand in den Spalt schieben. Sie öffnete die Falltür komplett, stieg die ersten steinernen Stufen hinunter, griff unter größter Anstrengung ihren Besen und schloß die Falltür. Sie drehte sich um und versuchte, mit dem noch immer leuchtenden Zauberstab den Tunnel auszuleuchten. Zu ihrer Überraschung bemerkte sie sofort, daß ihre Hände nicht weiter wuchsen. Sie wartete einen Moment und sah, daß plötzlich das Gegenteil der Fall war. Es schien, als ob sie sich langsam wieder auf ihre ursprüngliche Größe verkleinerten und der Bewuchs schnell nachließ.
»Puh… noch mal Glück gehabt«, seufzte sie erleichtert und dachte nach. Offenbar wirkte der Fluch nur im Honigtopf; vielleicht auch nur dann dauerhaft, wenn man etwas gestohlen hatte. Falls sie mit dem Leben davonkommen sollte, würde sie sich dieser Frage noch einmal annehmen, beschloß sie, ehe sie diesen Gedanken wieder verwarf. Es gab Wichtigeres zu tun. Sie stieg die Stufen hinab und zählte jede einzelne davon. Als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, war sie bei dreihundertsiebenundsechzig. Sie mußte sich beeilen. Langsam steigerte sie ihr Lauftempo. So schnell sie konnte, lief sie den dunklen, nur durch den Zauberstab erleuchteten Tunnel entlang. Zwanzig Minuten würde sie wohl mindestens noch brauchen, und sie hoffte inständig, nicht zu spät zu kommen. Was, wenn ich zu spät komme? Das könnte ich mir niemals verzeihen, sagte sie sich zögernd in Gedanken.
Vincent und Gregory waren beide nervös. Sie folgten Draco Malfoy und dessen Vater. Plötzlich hörten sie die Stimme von Lucius Malfoy laut schreien:
»Verrat!«
»Das ist eine Falle!« schrie Antonin Dolohow von weiter links.
Sie sahen Blitze frontal auf sich zukommen und machten sich vor Angst fast in die Hose. Auch Draco Malfoy lächelte nun nicht mehr. Er blickte sich statt dessen ängstlich nach seinen beiden Handlangern um. Diese erwiderten seinen Blick ebenso verzweifelt und liefen nach links, so, wie es ihnen befohlen worden war. Doch anstatt sich zu wehren und Flüche in die Reihen der Gegner zu schicken, versteckten sie sich hinter einem der Riesen, der in ihrer Truppe mitlief. Dieser grunzte zweimal laut, und sie konnten seine wachsende Wut förmlich spüren. Mehrere Lichtblitze tauchten vor ihnen auf, und durch die Beine des Riesen hindurch konnten sie sie auf sich zukommen sehen. Die Flüche schlugen in den Riesen ein, doch dieser zeigte sich zu ihrem Erstaunen davon völlig unbeeindruckt. Sie faßten wieder ein wenig Mut. Wenn sie hinter dem Riesen in Deckung blieben, würde ihnen so leicht nichts passieren können, dachte Vincent ein wenig erleichtert. Mit jedem Schritt sahen sie den Friedhof näher kommen, den sie schon bald erreichen würden. Sie hörten, wie viele von den Todessern ihre Flüche in Richtung des Friedhofes schleuderten und einige andere sich auch mit verschiedenen Zaubern schützten. Inzwischen hatte Vincent seine Fassung wiedergewonnen, und in Gregorys Gesicht konnte er das gleiche sehen. Auch Draco Malfoy, der sich mehrmals zu ihnen umdrehte, schien sich etwas erholt zu haben, jagte doch auch er fleißig Flüche über den Friedhof. Aber so sehr sich Vincent und Gregory auch anstrengten, sie konnten die Angreifer in der nur langsam schwindenden Dunkelheit noch immer nicht ausmachen. Zwar schien der Mond eigentlich hell genug, doch gab es überall viel Schatten, und dieser war fast rabenschwarz, so daß sich in ihm die Gegner gut verbergen konnten.
Die Truppenführer schrien nun: »Die Dementoren nach vorne!« – »Die Riesen zur Seite!«
Sofort bemerkten Vincent und Gregory, daß sie ein größeres Problem bekommen würden. Ihr Riese, dessen Weg sie bis eben gefolgt waren, bog direkt nach links, und so verloren sie ihn als ihre sicher geglaubte Deckung. Kaum war er nicht mehr vor ihnen, schossen ihnen schon verschiedenfarbige Flüche direkt um die Ohren. Sie liefen jetzt schneller. Immer versuchten sie direkt hinter einem anderen zu bleiben, da sie hofften, so nicht so leicht erwischt werden zu können. Gregory bereute es jetzt sehr, nicht in Durmstrang geblieben zu sein. Noch nie hatte er sich hilfloser und verwundbarer gefühlt als jetzt. Selbst als sein Vater gestorben war, hatte er sich nicht so schwach gefühlt. Inzwischen erreichten sie den äußersten Rand des Friedhofs und warfen sich sofort hinter einem großen Grabstein in Dreckung. Vincent spuckte Dreck, welchen er bei der Landung in den Mund bekommen hatte. Mit einem widerlichen Geschmack auf der Zunge kämpfend, merkte er nicht, wie sich Gregory am Grabstein den Kopf angeschlagen hatte und sich nun mit der freien linken Hand über die Stelle rubbelte. Draco Malfoy kam zu ihnen und grinste wie ein Wahnsinniger. Flüche schlugen in den Grabstein ein und brachen kleine Brocken aus ihm heraus. Mehrmals erhob sich Draco und feuerte seinerseits Flüche gegen die noch immer nicht sichtbaren Angreifer.
»Was ist los, habt ihr Schiß?« schrie er ihnen zu. Beide konnten nicht antworten. Vincent war noch damit beschäftigt, den Dreck aus seinem Mund zu bekommen, und Gregory sah Malfoy nur ängstlich an. Der lachte dreckig. »Jetzt macht's doch erst richtig Spaß!« schrie er ihnen zu und drehte den Kopf langsam nach rechts. Mit jedem Millimeter wich sein Lachen einer von Angst entstellten Visage.
Gregory hatte es genau erkennen können. Dieser verdammte Angeber, er ist an allem schuld, dachte er. Gregory sah zu Vincent; dieser hatte seinen Mund wohl wieder einigermaßen sauber bekommen und sah sich sehr nervös um. Gregory blickte an ihm vorbei und sah, wie ein Todesser – ohne jegliche Vorwarnung – von einem grünen Blitz voll am Kopf getroffen wurde. Er hatte nur kurz über den ihm Deckung gebenden Grabstein hinweg gespäht und hatte keine Chance auszuweichen. Der ihnen unbekannte Todesser wurde in die Knie gezwungen, fiel links neben den Grabstein und blieb dort tot liegen. Tot. Erst jetzt wurde beiden bewußt, daß nicht nur die Armee, in der sie kämpften, bis zum Äußersten ging, sondern auch ihre Gegner keine Gnade zeigten. Die Unverzeihlichen Flüche wurden von beiden Seiten ausgesprochen, und beide Seiten würden Tote zu beklagen haben, egal, wer letztendlich gewinnen würde.
Natürlich wollte Vincent nicht sterben, genausowenig wie Gregory sterben wollte. Wir müssen hier weg, dachten beide. Wieder blickte Gregory in Vincents von Angst erfülltes Gesicht. Immer wieder krachten Flüche in den Grabstein und hatten diesen inzwischen deutlich verkleinert. Er war nur noch etwa halb so groß wie noch am Anfang und gab keine gute Deckung mehr ab. Malfoy bemerkte dies wohl ebenso wie Gregory.
Malfoy schrie Vincent zu: »Wir müssen da rüber!« Er zeigte nach rechts zu einem noch gut erhaltenen Grabstein, der nur fünf Meter entfernt war. Die drei gingen in die Hocke, und Malfoy schickte einen Fluch auf die Reise über den Friedhof. Mit einem merkwürdigem Gesichtsausdruck blickte er sich zu Gregory um und schrie: »Jetzt!«
Sie liefen los. Kaum waren sie angekommen, blickte Vincent am Grabstein vorbei. Nicht weit vor seiner Position stand der Dunkle Lord und besprach sich mit Lucius Malfoy. Gregory konnte nicht hören, worüber sie redeten. Was er aber mitbekam, war, wie der Dunkle Lord seinen Zauberstab erst an seinen Hals hob und dann über seinen Kopf hinaus reckte.
Harry hörte, wie eine ihm unbekannte Beschwörungsformel gesprochen wurde. Die Stimme desjenigen war ausgesprochen laut und kam ihm sehr bekannt vor, trotzdem konnte er sie aber nicht identifizieren, da sie merkwürdig verfremdet war.
»Sieh nur!« stieß Neville plötzlich Harry an und wies auf die linke Flanke des Schlachtfeldes.
Langsam drehte Harry seinen Kopf, blickte an Nevilles Finger entlang und sah endlich Dumbledores Armee. Ein seltsames Gefühl ergriff Besitz von ihm. Einerseits war er erfreut, die Verteidiger sehen zu können, doch andererseits war damit ein großer Vorteil verspielt. Hogwarts Verteidiger hatten sich weit verteilt, und ein jeder nutzte Grabsteine oder was auch immer er zur Verfügung hatte als Deckung. Harry sah Dumbledore; jedenfalls glaubte er fest daran, daß er es war. Er hielt sich ziemlich in der Mitte direkt an einem großen Grabdenkmal auf. Erneut sah Harry eine Vielzahl von Flüchen über den Friedhof jagen, da beide Seiten ihren Angriff unerbittlich fortführten. Harry erschrak. Auch auf seiten der Guten konnte er schon einige Verletzte und vielleicht sogar Tote erkennen.
»Da ist Hagrid!« Ron zeigte auf den Friedhof und lenkte Harrys Aufmerksamkeit auf die bezeichnete Stelle. Harry war sich sicher, daß Ron recht hatte, denn Hagrid war mit Abstand der kleinste der dort versammelten Riesen. Dieser war aber so weit von ihnen entfernt, daß Harry es nicht beschwören konnte, lagen doch ungefähr fünfhundert Meter zwischen ihnen. Hagrid führte seinen Verband auf der linken Flanke am Friedhof vorbei und wollte wohl in die ungeschützte rechte Seite von Voldemorts Armee schlagen. Ohne Lunas Vergrößerungszauber hätten sie ihn wohl gar nicht sehen können, doch so konnten sie ihn zumindest erahnen. Die Dementoren befanden sich ziemlich genau zwischen der DA und Hagrid. Sie hatten ihren zögerlichen Vorstoß aufgegeben und stürmten mit erhöhtem Tempo nach vorn. Harry sah wieder zu Hagrid. Die Dementoren hatten inzwischen genau wie der Halbriese fast die Hälfte des Friedhofs überquert. Die Taktik, die Hagrid verfolgte, war nun beinahe unmöglich geworden, da sie sicher zu einem Großteil auf den Überraschungseffekt setzte. Hagrid bemerkte offenbar, daß er nicht mehr durch den Zauber geschützt war, zögerte er doch einen kurzen Moment, marschierte dann aber mit unvermindertem Tempo weiter. Etwa zehn der Dementoren bemerkten Hagrid und seine Truppe und setzten sich von den anderen ab, um direkt auf die Riesen zuzuhalten. Die Dementoren waren sehr schnell nur noch etwa hundertfünfzig Meter von den zehn Riesen entfernt und würden sie kalt erwischen.
Harry war unsicher. War nun der Zeitpunkt gekommen, um einzugreifen? »Luna, du mußt den Zauber aufheben. Ich glaube, es geht gleich los.«
Luna tat, worum er sie gebeten hatte, und Harrys Sicht wurde wieder normal. Er sah Ron an. Er hoffte, in seinem Gesicht etwas zu finden, was ihm helfen konnte, diese schwere Entscheidung zu treffen. Angreifen oder abwarten? Wenn wir angreifen, wie sollen wir vorgehen? Direkt frontal über den Friedhof fliegen, geradewegs auf die Dementoren zu, und versuchen, den Patronus-Zauber einzusetzen? Dies klang nicht gut genug. Wenn sie zu tief flögen, kämen sie genau zwischen die Fronten und würden möglicherweise von beiden Seiten mit Flüchen beschossen. Wenn sie aber zu hoch flögen, wären sie nicht nur für die Todesser in vorderster Front ein gutes Ziel – denn dann konnten sie von jedem aus Voldemorts Armee angepeilt werden, auch von den weiter hinten Kämpfenden. Tarnen konnten sie sich ebenfalls nicht, diese Taktik hatten sie schon vorhin aufgegeben. Harry ging die Möglichkeiten im Geiste schnell noch einmal durch, wollte er sich doch seiner Entscheidung absolut sicher sein. Er wollte es Hagrid am liebsten gleichtun. Er wollte seinerseits den Friedhof umgehen und den Todessern in den Rücken fallen. Das könnte aber vielleicht zu lange dauern, und dann hatten die Dementoren bereits Hagrid erreicht. Er mußte nun eine Entscheidung treffen – und das tat er. Es fiel ihm plötzlich viel leichter, als er es eben noch empfunden hatte. Er dachte an Hermine, und das gab ihm Kraft. Er entschied sich, beide Pläne kombinieren.
Harry sah Ron an. »Ihr müßt da rüber!« Er zeigte mit dem Finger den Waldrand entlang. »Ihr müßt an Voldemorts Truppen vorbei und euch von hinten auf sie stürzen! Benutzt Lähmzauber, Zauber, die schnell und einfach sind. Schockt, so viele ihr könnt!«
Ron schien einen Moment darüber nachzudenken. »Und was ist mit dir?« fragte er dann ernst.
»Ich nehme ein paar Leute, jage im Höchsttempo über den Friedhof und greife die Dementoren an.«
Ron begann zu schmunzeln. »Klingt ganz nach Harry!« Er zwinkerte ihm zu.
Harry drehte sich zur DA um und sprach gehetzt und etwas lauter: »Neville, Dean, Seamus, Luna, Ginny, Zacharias, Cho: Schnappt eure Besen! Wir greifen die Dementoren mit dem Patronus an! – Der Rest geht mit Ron. Los geht's!«
Harry bemerkte noch, wie sich Ron zur DA umdrehte und Handzeichen gab. Er selbst steckte seinen Zauberstab ein, lief die zwei Meter bis zum Ende des Waldes und bestieg im Laufen schwungvoll seinen Besen. Er wußte, daß die von ihm Auserwählten nicht unbedingt die besten Flieger waren – vor allem Luna, Neville und Seamus waren fast noch Anfänger –, doch jeder von ihnen konnte mit Sicherheit den Patronus beschwören, was Harry in diesem Augenblick wichtiger erschien. Ohne es sehen zu können, wußte er genau, daß seine kleine Staffel nun ebenfalls starten würde, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Er stieß sich kräftig vom Boden ab, und sofort rauschte ihm die kühle Luft ins Gesicht. Er raste auf das Schlachtfeld und blickte kurz nach links und rechts. Die Dementoren zu seiner Linken waren höchstens noch siebzig Meter von Dumbledore entfernt; die Dementoren rechts vor ihm waren nur noch vierzig Meter von Hagrid entfernt, und das ließ ihn das Tempo erhöhen. Seine Mitstreiter wußte er nur wenige Meter hinter sich und drehte sich zu ihnen um.
»Ginny mit mir zu Hagrid, der Rest folgt Neville zu Dumbledore!« brüllte er ihren zu. Die Gruppe teilte sich wie befohlen ein zweites Mal. Harry hatte nun die Richtung nach rechts eingeschlagen und flog schräg auf Hagrid zu. Dieser, so konnte er erkennen, blickte immer wieder sorgenvoll zu den Dementoren, marschierte aber tapfer weiter an der linken Flanke entlang auf Voldemorts Todesser zu. Diese waren jetzt noch gut dreihundert Meter von Dumbledore entfernt, und Hagrid war noch fünfzig Meter vor ihnen und damit fünfundzwanzig vor den feindlichen Riesen.
Wieder konnte Harry Befehle aus den Reihen der Todesser hören, sie aber nicht richtig verstehen. Er zog den Zauberstab und hielt ihn in Bereitschaft. Er hielt ihn so fest, daß ein Schmerz seine rechte Hand durchzuckte. Er war nun genau über dem Schlachtfeld. Flüche schossen von beiden Seiten an seinem Körper vorbei. Er sah sich wieder um und erblickte Ginny; diese war noch immer hinter ihm und ließ sich nicht abschütteln. Er beschleunigte etwas. Er wußte, daß Ginny einen guten Besen hatte, er es aber auf keinen Fall mit der Geschwindigkeit übertreiben durfte, um sie nicht abzuhängen. Als er nur noch vierzig Meter hinter den Dementoren war, verlangsamte er das Tempo, ging in einen leichten Sinkflug, dachte so stark, er nur konnte, daran, wie sie den Sieg über Voldemort feiern würden, und sprach laut und deutlich seine Worte:
»EXPECTO PATRONUM!«
Er hörte leise, wie Ginny hinter ihm die gleichen Worte rief, während ein strahlend schöner silberner Hirsch der Spitze seines Zauberstabes entströmte und begann, den Dementoren hinterherzujagen. Kaum hatte der Hirsch den Stab verlassen, wurde Harry auch schon von einem silbernen Raubvogel überholt. Dieser schnellte unter ihm hindurch und war schon fast gleichauf mit dem Hirsch. Harry beschleunigte wieder, beendete den Sinkflug und schoß über die Köpfe der Dementoren hinweg, welche von dem Hirsch und dem Raubvogel auseinandergetrieben wurden. Er überflog Hagrid in geringer Höhe und sah ihm dabei ins Gesicht; dort spiegelte sich Freude über Harrys Auftauchen wider, doch in seinen Augen konnte er auch die Sorge darüber erkennen.
Harry zog nun nach links und entblößte damit seinen Rücken. Er wußte, daß die Todesser das ausnutzen würden, und flog zur Sicherheit zwei Spiralen. Dabei schossen drei Blitze an ihm vorbei, und er dankte sich selbst für seine Vorsicht. Der erste von ihnen war blau gewesen, dann waren es ein roter und als letztes ein grüner gewesen, doch alle hatten ihn weit verfehlt und verschwanden im Himmel. Harry blickte kurz zur anderen Gruppe der Dementoren, die soeben von diversen silbernen Wesen angegriffen wurde, und glaubte dabei Chos Schwan zu erkennen, der sie von hinten angriff. Frontal wurden die Dementoren ebenfalls von mehreren Patroni angegriffen, Details konnte Harry aber leider keine erkennen. Er sah etliche Streiter Dumbledores, die bereits durch die Nähe zu den Dementoren zusammengebrochen waren oder gerade von ihnen angegriffen wurden. Er glaubte plötzlich, einen Phönix zu erkennen, bei dem es sich nur um Dumbledores Patronus handeln konnte, und er sah auch noch zwei andere Wesen, die er nicht identifizieren konnte.
Schnell zog Harry nun seinen Besen wieder nach rechts und begann die Kurve, die ihn wieder zu Hagrid zurückführen sollte. Sein primäres Ziel war im Augenblick die Unterstützung seines Freundes, weshalb er sich nun voll auf ihn konzentrierte. Nur kurz blickte er zurück und sah noch immer Ginny, die ihm entschlossen folgte. Harry ging wieder tiefer und sah, daß Hagrid und seine Riesen nun gleich Feindkontakt haben würden. Unter Harry hindurch flohen die Dementoren in den angrenzenden Wald und verschwanden in diesem. Harry sah erneut zu Hagrid. Er sah Golgomath und zwanzig andere Riesen, und sie standen Hagrid und dessen Riesen im Weg. Harry sah, wie Hagrid seinen Zauberstab hob.
Hermine blickte auf ihre Uhr. Über zehn Minuten war sie nun sicher schon im Tunnel unterwegs und glaubte ihrem Ziel keinen Schritt näher gekommen zu sein. Sie wünschte verzweifelt, sie könnte mit dem Besen fliegen, wußte aber, daß der Tunnel dafür einfach zu eng war. Zweimal hatte sie es trotzdem kurz probiert, nur um wenige Meter später wieder absteigen zu müssen, weil sie an den Wänden angeschlagen war. Sie stolperte inzwischen schon fast mehr, als daß sie lief, und spürte, wie langsam ihre Kräfte nachließen. »Ich bin es zu schnell angegangen, wann kommt nur endlich dieser Ausgang?« japste sie, lief jedoch tapfer weiter.
Sie spürte einen unangenehm kalten Luftzug auf ihrer Haut. Sie schwitzte. Obwohl sie schon Sport in der Muggelschule gehabt hatte und sich auch aktiver als ihre Klassenkameradinnen daran beteiligt hatte, konnte sie sich nicht erinnern, je so geschwitzt zu haben. Eine Minute später mußte sie anhalten und sich einen Moment verschnaufen. Kraftlos stemmte sie ihre Hände auf die Knie, hielt in ihrer linken Hand den Besen und in ihrer rechten den leuchtenden Zauberstab. Sie versuchte sich ein wenig zu erholen, um mit neuer Kraft ihren Weg fortzusetzen. Ihr linkes Knie zitterte vor Anstrengung, und ihr Atem ging stoßförmig. Sie drückte sich wieder in eine aufrechte Position und lief erst einmal relativ langsam weiter. Sie hatte starkes Seitenstechen, was sie beim Atmen behinderte. Je mehr sie versuchte, nicht daran zu denken, desto schlimmer wurde es. Sie überlegte, ob ihr wohl irgendein Zauber helfen könnte, doch leider fiel ihr keiner ein.
»Was ist nur los mit mir? Komm schon, konzentrier dich!« sagte sie leise, beschleunigte wieder und fand ein Tempo, welches sie den Rest des Weges halten wollte, egal was es sie kosten würde. »Ich hasse Seitenstechen!« stöhnte sie leise, ohne langsamer zu werden.
Noch immer überlegte sie, welcher Zauber ihr den Lauf durch den Tunnel erleichtern könnte, doch noch immer hatte sie so etwas wie einen geistigen Blackout. So lief sie einfach immer weiter und weiter. Ihre Beine fühlten sich langsam bleiern an, doch sie ignorierte die Warnsignale ihres Körpers. Sie hatte sich vorgenommen, dieses Tempo zu halten, und was sie sich vornahm, das schaffte sie auch fast immer. Immer stärker wurden die Signale, die ihr Körper aussandte, und so hatte sie bald das sichere Gefühl, daß ihre Lunge zerreißen würde. Die Schmerzen lenkten sie ein wenig ab, und sie verlor ihre Konzentration. Im gleichen Augenblick übersah sie einen etwas größeren Stein, der auf dem lehmigen Boden direkt auf ihrem Wege lag. Sie blieb mit dem linken Fuß an ihm hängen, wurde aus dem Tritt gebracht und stürzte mit beiden Händen voraus in den Dreck.
Den Zauberstab hielt sie dabei fest in ihrer rechten Hand, den Besen aber ließ sie vor Schreck los und stöhnte beim Bodenkontakt laut auf. Ihre Handinnenfläche und die Außenseite der Finger ihrer rechten Hand brannten sofort. Sie ließ ihren Zauberstab los, rappelte sich auf ihre Knie hoch und besah im schwachen Lichtschein wimmernd ihre Hände, die völlig mit Blut, Lehm und Dreck beschmiert waren. Sie versuchte unter leichtem Stöhnen, einige kleine Steinchen zu entfernen, doch es fiel ihr schwer. Sie mußte die Wunden zumindest ein wenig säubern, bevor sie damit beginnen konnte, sie zu heilen. So schnell sie konnte und unter großer Überwindung löste sie den gröbsten Dreck heraus. Sie spuckte auf ihre Hände, die brannten wie Feuer. Der Schmerz war bei weitem intensiver, als sie es erwartet hatte, und sofort liefen ihr Tränen die Wangen hinab. Unter größter Anstrengung wischte sie ihre Hände an ihrem Pullover ab und schüttelte sie vor sich, so, als ob sie damit auch die Schmerzen abschütteln könnte. Sie rutschte auf den Knien einen halben Meter vor und ergriff ihren noch immer leuchtenden Zauberstab. Sie vollzog eine geschwungene Bewegung, murmelte die Formel und stupste ihre linke Hand an.
Augenblicke später schien sie langsam zu heilen; die Schmerzen aber blieben. Das gleiche wiederholte sie nun mit ihrer rechten Hand. Mit links sah die Bewegung nun nicht mehr so flüssig, sondern eher etwas unbeholfen aus, dennoch schien es die Wirkung nicht allzu negativ zu beeinflussen. »Verdammt«, fluchte sie leise. Sicher hatte sie eine Minute mit diesem Mist verloren, und sie rappelte sich wieder auf die Füße. Hermine hatten selten in ihrem Leben geflucht; nicht so wie Harry oder Ron, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit meckerten, was das Zeug hielt, doch jetzt war ein angemessener Grund dafür vorhanden, wie sie dachte. Bei der Vorstellung, wie die beiden wie schimpfende Rohrspatzen vor ihr standen, mußte sie kurz verschmitzt lächeln, ehe sie sich wieder der Gegenwart bewußt wurde. Der frohe Gedanke minderte ihre Schmerzen etwas, doch noch immer waren sie da. Mit ihrem Ärmel wischte sie die Tränen aus dem Gesicht und ging die fünf Meter bis zu ihrem Besen. Erschöpft hob sie ihn auf und begann damit, Tempo aufzunehmen. Sie lief weiter, und die Zeit kam ihr endlos vor.
Schließlich erreichte sie ihr Ziel, als sie die steinerne Rutschbahn erkannte, die vor ihr im Schein des leuchtenden Zauberstabes zum Vorschein kam. Sie nahm den Zauberstab zwischen ihre Zähne und begann, so schnell sie konnte, die Rutschbahn hinaufzuklettern.
Der Dunkle Lord streckte seinen Zauberstab in die Höhe, und Gregory bekam Angst. Solch eine Angst hatte er nie im Leben gespürt. Er konnte den Dunklen Lord hören. Auch Vincent schien von der Stimme wie elektrisiert zu sein. Sie konnten ihn laut eine Beschwörungsformel sprechen hören, und seine Stimme dröhnte ihnen im Schädel. Diese Formel hatten sie nie zuvor gehört, doch schien sie sehr mächtig und alt zu sein. Vorsichtshalber ging Vincent in Deckung. Gregory sah am Dunklen Lord vorbei, und plötzlich erschienen ihre Gegner wie aus dem nichts. Sie waren noch ungefähr dreihundert Meter entfernt, aber wie viele es waren, konnte er nicht erkennen. Sie waren dafür zu weit weg, und es waren auch bei weitem zu viele Grabsteine, Sträucher und Büsche im Weg, um ihre Anzahl auch nur annähernd richtig abschätzen zu können.
Gregory blickte ein Stück weiter nach rechts. Er sah die Riesen, die Voldemorts Befehlen gefolgt waren. Sie liefen nun auf der äußersten rechten Seite, ein kleines Stück vor dem Rest der Truppe. Gregory erhob sich noch etwas, warf einen flüchtigen Blick zu Dumbledores Armee und erkannte schließlich ganz rechts Hagrid. Dieser wurde von anderen Riesen begleitet und stampfte unglaublich schnell vorwärts. Gregory sah kurz zu Vincent. Dieser keuchte inzwischen schwer, fast so, als ob er einen Asthmaanfall hätte. Es war einfach zuviel für ihn, dachte er und blickte zu Draco Malfoy. Dieser sah wieder etwas selbstsicherer aus, konnten sie nun immerhin den Feind sehen, nachdem der Lord irgendwie Dumbledores Zauber gebrochen hatte.
»Im Morgengrauen überfallen wir die Schule und töten alle Schlammblüter«, hatte ihnen Draco in Durmstrang erzählt und dabei laut gelacht. Bis jetzt lief das ja ganz anders als geplant, dachte Gregory seltsam schadenfroh und beobachte Draco dabei, wie er Fluch um Fluch zu seinen Gegner schickte. Es sollte doch so einfach sein. Die sollten keine Zeit haben, Gegenwehr zu leisten. Was war nur passiert? Vincent war total verwirrt. Wäre er bloß in Durmstrang geblieben! Hätte er nur nicht auf seinen Vater und Draco gehört! Warum nur war er hier? Dumbledore und die anderen Schüler hatten ihm doch nie etwas getan. Was machte er hier? Langsam schob Vincent sich am Grabstein hoch. Er konnte die riesige Gruppe von Dementoren erkennen, die weiter auf Hogwarts zuhielt, und sofort fühlte er sich innerlich noch kälter und leerer als ohnehin schon. Es mußte eine psychologische Reaktion sein, waren sie doch viel zu weit weg, um diesen Effekt tatsächlich auf ihn zu haben, doch das spielte keine Rolle. Plötzlich bemerkte er, daß sich eine kleinere Gruppe Dementoren abspaltete und scharf nach rechts bog. Er folgte mit seinem Blick dem Weg der schwebenden, schwarzen Ungeheuer und erkannte auf der rechten Seite des Friedhofs niemand Geringeren als Hagrid. Dieser wurde von einigen Riesen begleitet und würde sicher gleich von den Dementoren angegriffen. Er hatte doch keine Chance, dachte Vincent erschrocken. Plötzlich sah er im äußerten Blickwinkel einen roten Blitz auf sich zukommen. Überrascht blickte er in die Richtung, aus der er kam. Zu spät! Gerade als er reagieren und in die Hocke gehen wollte, traf ihn der Schockzauber so hart im Gesicht, daß er zwei Meter nach hinten flog und in einem Strauch liegenblieb.
Gregory wurde davon völlig überrascht. Sein bester Freund lag regungslos da, und er wußte nicht, was er tun sollte. Er wollte zu ihm hinüberkriechen, als er Draco Malfoys Hand auf seiner Schulter spürte. Er hielt ihn zurück. Gregory blickte nach links, genau in Malfoys Visage. Sie war vom Haß entstellt, und in seinen Augen brannte unbändige Wut.
»Laß ihn liegen, er ist zu schwach!« zischte Malfoy verächtlich und zwang sich ein fieses Grinsen ins Gesicht.
»Ihn liegen lassen? Er ist mein bester Freund!« erwiderte Gregory nun zornig und versuchte sich loszureißen. Malfoy ließ ihn los und drehte sich wieder zum Schlachtfeld. Gerade als Gregory zu Vincent stürzen wollte, konnte er Malfoys sich überschlagende Stimme hören.
»POTTER! Wo kommt der denn her?«
Gregory erfror in seiner Bewegung und drehte sich auf der Stelle um. Er sah, wie Malfoy in Richtung zweier Menschen blickte, die noch relativ weit entfernt auf Besen über den Friedhof flogen. Er selbst konnte niemanden identifizieren, und er wußte auch nicht, warum Malfoy glaubte, daß es Potter sein müsse. Vielleicht erkannte er ihn ja am Flugstil.
Ein großer silberner Hirsch entsprang der vorgehaltenen Spitze eines Zauberstabes. Es war der Stab, der von dem Anführer der beiden Piloten gehalten wurde, und sie waren nur noch wenige Meter hinter den Dementoren. In diesem Augenblick wußte Gregory, daß es tatsächlich Potter war. Mit Schrecken erinnerte er sich wieder daran, wie sie vor drei Jahren von seinem damals noch nicht gestaltlichen Patronus gedemütigt worden waren, als sie ihm als Dementoren verkleidet einen Schreck einjagen wollten. Am Ende des Schuljahres hatten sie dann erfahren, daß dieser Patronus nur sehr schwach gewesen war und sein richtiger die Form eines Hirsches annahm, weshalb er sich nun so sicher war, daß es wirklich Harry Potter sein mußte. Ein weiterer Patronus erschien hinter den Dementoren; er hatte die Form eines großen Raubvogels und schien mitten in die Dementoren einzuschlagen. Potter und sein Begleiter flogen direkt nach ihrem Angriff eine Kurve nach links; Draco Malfoy richtete seinen Zauberstab auf die beiden.
»AVADA KEDAVRA!« schrie er, und seine Stimme erbebte vor Zorn.
Ein grüner Lichtblitz schoß in Potters Richtung davon. In der gleichen Sekunde sah Gregory, wie der Dunkle Lord höchstpersönlich einen roten Fluch in Richtung Potter jagte, und noch ein weiterer flog aus der Menge der Todesser hinterher. Gregory war es plötzlich völlig egal, ob sie Potter treffen oder ob ihre Flüche an ihm vorbeifliegen würden. Dies war ein merkwürdiges und ungewohntes Gefühl für ihn, war er doch noch nie im Leben allem gegenüber so gleichgültig gewesen. Seine Kindheit war endgültig und jäh beendet worden, als sein Vater gestorben war und er mit den anderen in den Krieg ziehen mußte, und sicher würde auch sein Leben bald vorbei sein. Aus welchem Grund sollte er hier überleben? Schon viel fähigere Magier waren gefallen, und er verlor mit einemmal jeglichen Lebensmut. Bisher war sein Leben doch noch leicht gewesen, dachte er verwirrt und strich sich mit der Hand durch sein staubiges Haar. Zwar hatte ihn sein Vater oft geschlagen, und auch Malfoy war jemand, der ihn ständig demütigte, doch mit Vincent besaß er einen echten Freund, der all das erträglich machte.
Er blickte zu Malfoy, der sich sichtlich ärgerte, daß Potter dem Todesfluch ausgewichen war. Gregory folgte mit seinem Blick erneut Harry Potter. Dieser kam jetzt wieder zurück und flog zum zweiten Mal auf die Riesen zu. Gregory konnte Hagrid sehen, und er sah auch, daß dieser einen Zauberstab hob. Seit wann durfte der zaubern, fragte er sich und sah im gleichen Augenblick eine Menge Trolle um Hagrid herum erscheinen. Dieser Anblick machte Gregory nervös. Er wollte gar nicht wissen, welche Überraschungen ihm heute noch bevorstanden. Kaum sah er die Trolle, versperrten ihm plötzlich die Riesen des Dunklen Lords das Sichtfeld, und so konnte er auch Hagrid nicht mehr erblicken. Alles, was er noch sehen konnte, waren viele gigantische und behaarte Rücken.
Harry verlangsamte ein wenig das Tempo. Im gleichen Augenblick sah er, wie Hagrid seinen Zauberstab benutzte. Aus dem nichts tauchten jede Menge Trolle auf, und im selben Moment sah Harry in das grimmige Gesicht des Gurg der Riesen. Er war ein gutes Stück entfernt und wirkte trotzdem gigantisch. Golgomath war um die sieben Meter groß und einfach nur eine unglaubliche Erscheinung, die einen erzittern lassen konnte.
Inzwischen stand Golgomath fast vor Hagrid. Nur noch einen Schritt mußte er machen, dann war er in Reichweite. Seine riesige Pranke setzte zu einem Schwinger an, der, wie Harry wußte, tödlich sein könnte und Hagrid zumindest brutal niederstrecken würde. Er sorgte sich um seinen Freund, wußte er doch noch genau, wie Grawp ihn schon zugerichtet hatte, und der hatte es noch nicht einmal ernst gemeint.
Harry würde sogleich über sie hinwegfliegen und wußte, daß er irgendwie eingreifen mußte, um Hagrids Leben zu retten. Was sollte er tun? Welcher Zauber würde überhaupt auf die Riesen wirken? Krampfhaft dachte er nach. Hatte Dumbledore in der Hinsicht noch etwas unternehmen können, oder waren sie noch immer fast immun gegen Zauber? Vielleicht half ja ein ganz einfacher Spruch, dachte Harry, und ihm kam da eine simple Idee, die, wenn sie funktionieren sollte, einfach nur genial wäre.
Er zeigte mit dem Zauberstab auf Golgomath. »Reducio!« schrie er in den dunklen Morgen.
So unsicher, wie Harry war, so überraschend gut wirkte der Zauber. Im gleichen Moment, in dem er Hagrid überflog, sah er Golgomath bereits schrumpfen und versuchte sie angestrengt im Blickfeld zu halten. Als Golgomath mit seiner Faust das Gesicht von Hagrid traf, waren beide schon etwa gleich groß, und Harry glaubte nicht, daß Golgomath noch eine wirkliche Bedrohung war.
Als Harry wieder nach vorn sah, bemerkte er, daß er wieder gefährlich nah an die Todesser heranflog. Er legte sich in die Kurve, um erneut eine Schleife zu fliegen, und machte dabei instinktiv wieder kleinere Ausweichmanöver. Mehrere Flüche schossen an ihm vorbei und flogen in den Himmel, wovon er sich aber nicht beeindrucken ließ. Immer enger zog er die Kurve, ehe er Hagrid wieder im äußersten Blickwinkel sah. Dieser hatte Golgomaths Faustschlag einstecken müssen und lag zumindest auf dem Boden. Grawp seinerseits holte gerade aus und wollte den deutlich geschrumpften und völlig verdutzten Golgomath mit der Faust ins behaarte Gesicht schlagen. Zum gleichen Zeitpunkt hatten auch die anderen Riesen Feindkontakt, und es schien eine wilde Schlägerei auszubrechen.
Harry flog weiter seine Schleife. Hagrid zog sich offenbar langsam zurück und kroch dazu durch diverse Beine verbündeter Riesen. In der Welt der Menschen mochte Hagrid ja ein unbezwingbarer Koloß sein, wie es der Kampf mit Umbridge und ihren Handlangern gezeigt hatte, in der Welt der Giganten allerdings war er leider einfach nur klein. Harry drehte sich kurz um. Noch immer flog Ginny hinter ihm und nickte ihm entschlossen zu.
Sofort zog er den Kreis für einen erneuten Anflug noch enger. Grawp hatte soeben Golgomath niedergestreckt, doch würde er gleich von einem anderen angegriffen werden. Zwei weitere Riesen auf Hagrids Seite lagen ebenfalls darnieder, waren aber schon wieder dabei, sich aufzurappeln. Blitze zuckten von beiden Seiten auf die Riesen zu. Die Todesser zielten auf Hagrid und seine Leute, während Dumbledores Verbündete natürlich auf Golgomaths Gruppe zielten.
Nachdem Harry die Schleife beendet hatte, jagte er mit hohem Tempo erneut auf die Riesen zu. Er wollte wieder den Reducio-Fluch benutzen, schien dieser doch gut gewirkt zu haben. Immer mehr Blitze flogen ihnen aus der Menge der Todesser entgegen, und Harry mußte kurze Ausweichbewegungen vollführen, um ihnen zu entgehen. Für einen kurzen Moment glaubte er Draco Malfoy und Snape zu erkennen, doch war er sich dessen nicht sicher. Rasend schnell schoß Harry auf die Kolosse zu, und erneut sprach er den Reducio-Fluch.
Er traf einen Riesen in Golgomaths Nähe. Dieser stand direkt hinter dem am Boden liegenden Gurg und wollte Grawp angreifen. Während er die Riesen erneut überflog, hörte er auch Ginny ihren Fluch in die Menge schicken. Sie benutzte den gleichen Fluch wie er und hatte ebenfalls Erfolg damit. Wieder mußte Harry mehreren Flüchen ausweichen, ehe er sich entschloß, eine weitere Schleife zu fliegen. Er wußte, daß Ginny ihm folgen würde. Wieder und wieder zuckten Blitze an ihm vorbei, und einige kamen ihm schon verdammt nah. Ewig würde er das nicht machen können, dachte Harry, irgendwann würden sie ihn sicher treffen. Er flog einen etwas weiteren Bogen und konnte unter sich im Wald einige der Dementoren erkennen, die sich dort offenbar sammelten und neu formierten.
Harry zeigte für Ginny mit der Hand nach unten, erkannte im gleichen Moment aber schon, daß es für den Patronus bereits zu spät war. Vielleicht auf der nächsten Runde, dachte er und machte immer wieder leichtere Richtungsänderungen, um kein zu einfaches Ziel zu bieten. Danach blickte er in Dumbledores Richtung und erkannte, daß Neville und die anderen noch immer mit einigen der Dementoren zu tun hatten, die sich wohl nicht so einfach geschlagen geben wollten. Er konnte Nevilles großen silbernen Eber erkennen, der in die Mitte der Dementoren vorstieß. Immer mehr Dementoren setzen sich nach links und rechts in den Wald ab, doch eine kleine Menge leistete erbitterten Widerstand. Erneut sah er Dumbledores Phönix in deren Mitte schnellen. Währenddessen zog Harry den Bogen enger, legte eine Drehung um die Längsachse ein und erkannte, daß die Dementoren von Dumbledores Phönix endgültig geschlagen waren.
Ein weiterer Blick verriet ihm, daß in der ganzen Zeit die Todesser unheimlich schnell weiter vorgerückt waren. Sie waren höchstens noch zweihundert Meter von Dumbledore und seinen Truppen entfernt, und damit spielte sich die wilde und brutale Schlägerei der Riesen bereits in ihrem Rücken ab. Diese fand damit kaum noch ihre Beachtung, doch Harry konzentrierte sich wieder auf sie, wollte er doch Hagrid weiter unterstützen. Beinahe ununterbrochen schossen die Todesser ihre Flüche auf Dumbledore und die anderen, während diese sich noch immer erbittert zur Wehr setzten. Wo blieb nur Ron, fragte sich Harry und flog von neuem eine Kurve. Erneut schoß er auf die Riesen zu und war schon bereit den Reducio-Fluch einzusetzen, als er Ron endlich erblicken konnte.
Die DA war noch hinter dem Friedhof, am verwüsteten Waldrand, und stieg plötzlich in kleineren Gruppen aus dem fehlenden Unterholz auf. Er wußte genau, daß Ron sie führte, und sie nutzten fast die gesamte Breite des Schlachtfeldes, so, wie auch Harry es tun würde. Noch hatten die Todesser von alldem nichts bemerkt, was sicher auch daran lag, daß Ron und die anderen sich sehr langsam und sehr tief näherten, was Harry hoffen ließ, daß der Angriff seine Wirkung nicht verfehlen würde. Er selbst kam nun schnell näher an die feindlichen Riesen heran, hielt seinen Zauberstab in Position und wollte gerade die Formel sprechen, als wieder Lichtblitze an ihm vorbeizuckten. Überrascht zögerte er kurz und hatte den idealen Zeitpunkt für seinen Angriff schon verpaßt. Immerhin aber konnte er Ginnys Blitz in einen Riesen einschlagen sehen, was ihn zumindest ein wenig beruhigte. Dieser Riese würde sich nun ebenfalls verkleinern, und damit hatten sie inzwischen vier ihrer gewaltigen Feinde in ihrer Kampfkraft eingeschränkt.
Harry beschloß, keinen weiteren Anflug auf diese Riesen zu machen, wollte er doch lieber die auf der anderen Seite angreifen, da diese ohne Gegenwehr immer weiter vorgerückt waren. Sie würden gleich Kontakt mit den äußeren Kämpfern Dumbledores haben, und Harry wollte sie gegen die Riesen unterstützen.
Harry flog eine weite Kurve, und das Ende des Friedhofs sollte ihren Scheitelpunkt bilden. Die Todesser kümmerten sich zum Glück nicht weiter um die Riesen, obwohl der Reducio-Fluch nur zu leicht aufzuheben war. Wahrscheinlich überschätzten sie sich noch immer und glaubten unvermindert an einen leichten Sieg, oder sie waren einfach nur zu dumm.
Auch Harry glaubte fest an den Sieg – aber an den der guten Seite. In dem Glauben wurden sie dadurch bestärkt, daß es auch ohne seine und Ginnys Hilfe schon viele Opfer unter Golgomaths Riesen gegeben hatte. Leider hatte aber auch Hagrid schon Verluste hinzunehmen, vor allem waren einige der Trolle bereits geschlagen. Immer wieder konnte Harry in seinem Rücken weitere gewaltig krachende Faustschläge hören, die den sonstigen Kriegslärm spielend übertönten.
Harry drehte sich um. Ginny hielt noch immer tapfer hinter ihm und sah weiterhin entschlossen drein. Ron und etwa die Hälfte der DA flogen weiter auf die Todesser zu und hatten nun die hundert Meter vom Waldrand bis zum Friedhof zurückgelegt. Er sah, daß sie stark beschleunigten, und flog nur Augenblicke später direkt über die Köpfe von William Mcnamara und Susan Bones hinweg. Während der kurzen Begegnung mit den beiden hatte er ihnen in ihre Gesichter gesehen; beide wirkten ängstlich, aber bereit, alles zu riskieren. Harry war so stolz auf sie, daß er es gar nicht in Worte fassen konnte. Ginny und er flogen nun fast in die gleiche Richtung wie Ron und die anderen, wobei der einzige Unterschied darin bestand, daß sie sich zusätzlich nach außen auf den Flügel treiben ließen und vierzig oder fünfzig Meter hinter der DA waren. Die DA vor ihnen flog mit einem enormen Tempo, sie mußten nahezu mit der Höchstgeschwindigkeit ihrer Besen fliegen. Harry wußte sofort, daß die Besen eine gute Investition gewesen waren, und hielt mit Ginny weiter auf die zweite Einheit der Riesen zu. Auch Harry beschleunigte das Tempo noch etwas und flog nun schon derart schnell, daß Ginny ihm gerade noch würde folgen können. Sein Feuerblitz hatte weitere Reserven, doch mußte er auf ihren Besen Rücksicht nehmen, der dem seinen unterlegen war. Sie kamen der DA vor ihnen wieder ein wenig näher, obwohl sie dabei eine größere Wegstrecke als die anderen zurückgelegt hatten.
Die DA schoß ihre Flüche ab. Es waren vor allem rote Blitze, die ihren Zauberstäben entsprangen, und sie schlugen in den ungeschützten und völlig unvorbereiteten Rücken der Todesser ein. Sofort konnte Harry Schreie hören und beobachtete, wie einige der Getroffenen zu Boden gingen. Ohne Verzögerung wurde eine zweite Salve hinterhergejagt, ehe sich die DA-Staffeln wieder absetzten. Sie flogen in zwei sehr engen Formationen, die aus je vierzehn Mann bestanden, wie Harry schätzte. Beide Gruppen schwenkten in einen sehr scharfen und engen Radius ein, wobei die eine von ihnen nach links, die andere nach rechts wegbrach, um entlang der beiden Seiten des Friedhofs wieder nach hinten zu fliegen.
Harry flog, mit Ginny im Schlepptau, weiter am linken Rand des Friedhofs entlang, ehe eine der DA-Staffeln in geringem Abstand an ihm vorbeischoß, wobei er nur Hannah Abbott an ihrem blonden Haarschopf erkennen konnte. Dreißig Meter vor ihm war ein Todesser zwischen zwei Grabsteinen in Deckung gegangen, und Harry reagierte reflexartig.
»Stupor!«
Fast zur gleichen Zeit, wie er seinen Fluch auf die Reise schickte, kam ihm auch schon die Antwort entgegen. Harry drehte sich in einer Rolle scharf nach links ein und konnte im letzten Moment ausweichen; er hörte den grünen Fluch tief brummend an sich vorbeischießen. Er hoffte, daß auch Ginny noch ausweichen konnte, war sich dessen aber nicht sicher.
Harrys Fluch traf den Todesser hart. Er knallte gegen einen Grabstein und blieb bewußtlos liegen, ehe Harry ihn aus den Augen verlor und weiter auf die nur noch siebzig Meter entfernten Riesen zujagte. Er steigerte abermals sein Tempo und sah, wie die kleine DA-Gruppe – von Neville angeführt – ebenfalls eine Angriffswelle auf die Riesen flog. Viele Lichtblitze wurden nun auf die Kolosse abgeschossen, die auch sein nächstes Ziel sein sollten. Beinahe mühelos setzten sich die feindlichen Giganten im Faustkampf gegen Dumbledores Streiter durch, doch hatten erstaunlich viele Flüche einen Effekt auf die Riesen. Nun war sich Harry auch sicher, daß sich Dumbledore dafür noch etwas hatte einfallen lassen, genau so, wie er es angekündigt hatte. Auch Harry wollte die Riesen unbedingt aufhalten und schoß nun seinerseits einen weiteren Fluch auf sie ab.
»Reducio!« schrie er wieder und traf genau den Anführer.
Als Harry zu Neville sah, hatte dessen Gruppe die Riesen soeben überflogen. Neville sah entschlossen aus und gab Harry ein Handzeichen, ihm zu folgen, was Harry sofort verstand. Noch einmal sah Harry einen Moment lang nach unten. Die Riesen waren hart getroffen worden, und im gleichen Moment mußte auch Ginnys Reducio-Fluch eingeschlagen sein, da ein weiterer Riese schrumpfte. Viele von ihnen waren bereits deutlich angeschlagen und sahen nicht mehr besonders angriffslustig aus. Trotzdem sah Harry am Boden auch ein paar Zauberer, die den gegnerischen Hünen bereits zum Opfer gefallen waren, was ihn leicht entmutigte. Was ihn dagegen sogleich wieder aufbaute, waren die vielen Verbündeten, die sich noch immer zur Wehr setzten und weitere Blitze auf ihre Gegner schossen.
Auch in Richtung der immer noch vorrückenden Todesser und deren Verbündeter konnte er Flüche fliegen sehen. Harry bog nach links und folgte Neville und den anderen. Dieser flog mit seiner Gruppe fünfzig Meter vor ihm und verlangsamte das Tempo. Er ging in einen Sinkflug und wollte wohl ein gutes Stück hinter der Waldgrenze direkt zwischen den Bäumen landen. Harry folgte Neville zum vermeintlichen Treffpunkt. Es war eine kleine Lichtung, wie er erst jetzt erkannte, doch bot sie ausreichend Platz. Auch er verzögerte seinen Besen stark und sah Neville und seine Gruppe zur Landung ansetzen, während er ihrer Flugbahn folgte. Immer tiefer ging er, zog den Besenstiel im letzten Moment hoch und setzte sanft auf. Neville schien nur noch auf ihn zu warten und lief sofort auf ihn zu, um mit ihm zu sprechen.
Hermine kletterte die Rutschbahn hinauf. Zweimal drohte sie zu stürzen und konnte sich erst im letzten Moment halten. Ihr Besen machte es ihr sehr schwer, weiter emporzusteigen, doch ließ sie in ihren Bemühungen nicht eine Sekunde lang nach. Eine ihr endlos vorkommende Zeit später hatte sie es aber endlich geschafft. Nur kurz mußte sie nachdenken, wie man den Hexenbuckel öffnen konnte, ehe ihr die Worte wieder einfielen. Leise sprach sie:
»Dissendium!«.
Der Buckel glitt auf und sie hinaus. Sie stand etwa in der Mitte des Korridors im dritten Stock, als sich der Buckel der Hexe langsam wieder schloß. Sofort löschte sie das Licht an ihrem gestohlenen Zauberstab und orientierte sich zuerst einmal nach rechts. Leise lief sie den Gang entlang. Leicht verzweifelt überlegte sie, wo der Kampf wohl stattfinden könnte, wollte sie doch unbedingt so schnell wie möglich bei Harry sein. Sie wollte ihn unterstützen, ihn aufbauen und, falls er es nötig haben sollte, mit neuem Mut versorgen. Mitten im Schloß oder doch eher außerhalb? Sie lief in das große Treppenhaus, blieb stehen und lauschte angestrengt, aber nichts rührte sich.
»Wo sind sie nur?«
Da sie auf diese Frage keine Antwort hatte, beschloß sie, in die Große Halle zu gehen. Vielleicht war dort jemand, der ihr helfen konnte, dachte sie und nahm die Treppe nach unten, deren Stufen sie hinunterrannte. Sie nahm immer zwei auf einmal und wäre fast in eine der vielen Trickstufen hineingetreten; nur im letzten Augenblick konnte sie ihren Fuß noch eine weitere Stufe tiefer plazieren und kam dabei fast ins Stolpern. Sie verringerte ihr Tempo ein wenig. Die Treppen hinabzustürzen, wäre das letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte.
Sie flog an vielen von Hogwarts Wandgemälden vorbei, bemerkte aber nicht, daß sie einige der Bewohner mit ihren Blicken verfolgten. Ihr Spurt nach unten hatte wohl ihr Interesse ausreichend geweckt, während sich andere von ihnen wohl versteckt hatten. Einen Augenblick lang überlegte sie, die Bewohner der Gemälde zu befragen, doch war sie sich schnell sicher, daß diese sowieso nicht wissen konnten, wie der genaue Verlauf der Ereignisse war – und nichts brauchte sie jetzt mehr als korrekte und zuverlässige Informationen. Wer konnte ihr diese geben?
Inzwischen war sie fast unten angekommen. Noch immer flog sie förmlich über die Stufen und machte dabei einen Heidenlärm, was ihr aber nicht auffiel. In diesem Moment dachte sie nicht dran, was passieren könnte, sollte sie von den feindlichen Kräften gehört werden, sondern hatte jede Menge andere Dinge in ihrem Kopf. In vollem Tempo bog sie um das letzte Treppengeländer, lief die letzten Stufen der marmornen Treppe hinab und kam in der geräumigen, von Fackeln erleuchteten Eingangshalle zum Stehen. Sie sah, daß das große eichene Schloßportal geschlossen war und sich zu ihrer Linken die Tür zur Großen Halle befand. Sie realisierte endlich, daß es sehr gefährlich war, hier so viel Krach gemacht zu haben, und allein dieses Wissen ließ ihr Herz wie wild schlagen. Sie konnte es deutlich in ihrer Brust fühlen, und es drohte beinahe herauszuspringen. Noch nie hatte sie eine solche Angst gehabt, und die Adrenalinmenge in ihrem Körper erreichte eine nie gekannte Höhe. Selbst während ihrer Entführung war dieses Gefühl der Beklommenheit nicht so intensiv gewesen, den Grund dafür konnte sie allerdings nicht verstehen.
Sie blieb stehen und hörte sich genau um. Sie achtete auf jedes noch so kleine Geräusch, aber alles, was sie hören konnte, waren die leise vor sich hin brennenden Fackeln. Über eine Minute stand sie wohl einfach nur still in der Halle und wagte nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Langsam wich ihre Angst wieder ihrer Neugier, sie faßte sich ein Herz und ging leise zur Tür, um an ihr zu lauschen. Sie konnte ein kaum wahrnehmbares Stimmenwirrwarr hören.
»Mist!« fluchte sie so leise, daß nur sie selbst es hören konnte.
Wie sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte einfach keine zusammenhängenden Wörter verstehen. Sie fragte sich, ob in der Halle ihre Feinde lauerten, oder ob sie vielleicht endlich zu ihren Freuden und vor allem zu Harry vorstoßen würde können. Sie fühlte beinahe so etwas wie Panik in sich aufsteigen. Wieder konnte sie deutlich ihren schnellen Herzschlag spüren, und ihre Atmung wurde deutlich stoßförmiger.
Wurden hinter der Tür vielleicht schon die Verletzten behandelt, weil der Kampf längst vorbei war? Waren ihre Freunde im Kampf gefallen? War Harry gefallen? Hatte er Voldemort schon getötet? Hermines Hand zitterte. Sie zog ihren Zauberstab mit der rechten Hand aus ihrem Umhang und hielt ihn mit einem festen Griff. Doch je fester sie ihn zu halten versuchte, desto mehr zitterte sie. Langsam löste sie ihren Griff wieder etwas. Unruhig blickte sie auf ihre Hand und hatte die Hoffnung, diese damit zu beruhigen, doch noch immer wollte das Zittern nicht nachlassen. Sie senkte den Zauberstab wieder, schloß langsam die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Sie begann immer langsamer, aber dafür auch immer tiefer zu atmen. Eine Ewigkeit später öffnete sie ihre Augen und starrte hoch zur Decke. Sie war so hoch, daß Hermine ihre Maserung nicht mehr scharf erkennen konnte. Hermine senkte wieder ihren Blick und verharrte in dieser Position. Sie blickte auf den großen Golden Ring der riesigen Tür. Sie wußte, daß sie trotz ihrer gewaltigen Ausmaße erstaunlich leicht zu öffnen war, und öffnen mußte sie die Tür, wollte sie doch in die Halle gelangen.
Zuerst allerdings wollte sie sich einen Plan machen. Sie könnte langsam und vorsichtig die Tür öffnen und erst einmal versuchen zu lauschen, um in Erfahrung zu bringen, was darinnen vor sich ging. Leider würde sie dabei aber riskieren, vorzeitig entdeckt zu werden, was sie unbedingt vermeiden wollte. Sie könnte aber auch das Überraschungsmoment nutzen und mit gezücktem Zauberstab in die Halle stürmen. Beide Pläne hatten ihre Vor- und ihre Nachteile, wie sie fand, und so konnte sie sich nicht so recht entscheiden. Harry, so dachte sie, würde sicher den zweiten Plan bevorzugen, und intuitiv entschied sie sich ebenfalls für diesen. Einfach reinstürmen und das Überraschungsmoment nutzen, dachte sie und bereitete sich mental auf diese Aufgabe vor. Falls die Halle voll mit Todessern war, konnte sie noch immer auf der Stelle kehrtmachen und versuchen, aus dem Schloß zu fliehen. Sie hatte ja noch ihren Besen, mit dem sie wahrscheinlich noch schnell genug das Weite suchen konnte.
Wieder hob sie ihre Hand. Dieses Mal schaffte sie es, ihre Hand fast ruhig zu halten, und von einem regelrechten Zittern war weit und breit keine Spur mehr zu sehen. Erleichtert merkte sie, daß ihr Herzschlag sich verlangsamte und sie nun bereit war, die Tür zu öffnen. Langsam und vorsichtig griff sie nach dem goldenen Ring, mit dem man die Tür aufziehen konnte. Dann ging alles ganz schnell. Sie riß die Tür mit einer Wucht auf, von der sie selbst überrascht wurde, und sprang mit nur einem einzigen Satz in die Große Halle. Ihr Zauberstab war im Anschlag und sie bereit, jeden zu verhexen, der sich ihr in den Weg stellen würde.
Gregory sah Harry Potter einen Fluch in die Menge der Riesen jagen, während sich gleichzeitig ein Knäuel aus kämpfenden Riesen und Trollen bildete. Er konnte ihre Schläge krachen hören und bemerkte, daß Potter eine Kurve flog und noch immer von einer anderen Person begleitet wurde. Harry machte einige Ausweichbewegungen, und Lichtblitze flogen in seine Richtung, doch nicht ein einziger davon traf ihn. Nicht nur Malfoy hatte es noch einmal mit einem Schockzauber versucht, sondern auch einige andere.
»Weiter vorrücken! Du auch, Draco!« hörte er aus dem Munde von Lucius Malfoy, dessen Stimme angewidert klang. »Jagt ihnen alles auf den Hals!«
Gregory blickte Draco Malfoy an, und der erwiderte den Blick. Draco Malfoy schien beleidigt zu sein, was bestimmt daran lag, daß sein eigener Vater ihn soeben heruntergeputzt hatte, doch würde das nur jemand merken, der ihn so gut kannte wie er. Gregory drehte sich wieder zu Vincent und richtete seinen Zauberstab auf ihn.
»Enervate«, sagte er und blickte ihm genau ins Gesicht, da dieser wieder zu erwachen schien und ein Stöhnen von sich gab. Er kroch zu ihm und drehte damit Dumbledores Armee den Rücken zu. Mehrere Flüche schossen über seinen Kopf hinweg und schlugen in den Grabstein, der vor ihm stand, ein. Sofort zog er Vincent aus dem Strauch und zu sich heran.
Mit Vincent im Arm saß Gregory auf dem Boden und blickte sich um. Vincent war noch immer nicht hellwach, sondern schien angeschlagen zu sein. Gregory bemerkte, wie Draco Malfoy ihn verächtlich ansah, und wandte ihm den Kopf zu. Er hält mich für schwach, dachte Gregory bei sich, aber ihm war es egal. Es war ihm egal, was Malfoy von ihm dachte; nie wieder würde er sich darum scheren, was überhaupt irgendein Malfoy von ihm denken würde. Seine Augen suchten den Himmel ab, und er konnte Potter erkennen, der soeben einen weiteren Fluch, in die inzwischen schon etwas unübersichtliche Menge der Riesen schoß. Die Person, die ihm folgte, tat es ihm gleich und folgte auch, als Potter erneut abdrehte. Malfoy schickte ihm erneut den Todesfluch hinterher, doch abermals konnte Harry ihm ausweichen.
»Der hat doch Augen im Hinterkopf!« schrie Malfoy fassungslos, und der Zorn war deutlich in seiner Stimme zu hören. Enttäuscht schoß Malfoy einen Fluch in die Richtung der Riesen um Hagrid, dieser prallte aber von einem der vielen dicken Beine ab. Gregory sah sich um und erkannte gut vierzig Meter vor sich Professor Snape; auch dieser schien nicht sonderlich motiviert zu sein, denn Gregory sah, wie dieser sich hinter einen Grabstein setzte und das weitere Geschehen abzuwarten schien. Überrascht bemerkte Gregory dabei, daß sie selbst schon weit hinter die anderen Todesser zurückgefallen waren, und das brachte einen Gedanken in sein Hirn zurück, den er in der letzten Stunde des öfteren gehegt hatte.
Er wollte jetzt so gerne zu Hause sein; er wollte nicht länger hier sein; er wollte nicht gezwungen sein, vielleicht töten zu müssen; er wollte sich einfach nur verkriechen. Er schnappte sich Vincent und zog ihn hinter sich her. Dieser kam nun immer mehr zu Bewußtsein; er war zwar leicht perplex, doch er ließ sich von Gregory hinter ihm herschleifen. Beide krochen nach links über den Friedhof und ließen Malfoy zurück. Er würde sie sowieso nicht vermissen. Gregory blickte sich noch einmal kurz um. Er sah einen weiteren Angriff von Potter auf die Riesen, doch diesmal schoß er nicht, schienen ihn doch einige Lichtblitze abgelenkt zu haben. Die Person hinter Potter allerdings war erneut erfolgreich. Gregory drehte sich zu Vincent, und beide krochen nebeneinander weiter. Er sah, wie Potter links in größerer Entfernung an ihnen vorbeischoß, nun leicht nach rechts bog und ziemlich hoch quer über den Friedhof jagte. Er folgte ihm dabei mit den Augen, als er plötzlich viele andere auf fliegenden Besen erblickte.
Zwei Sekunden danach sah er, wie Dutzende Lichtblitze vor ihm aufzuckten, und nur einen Moment später schossen über zwanzig Leute donnernd über seinen Kopf hinweg. Er drehte sich im gleichen Augenblick zu ihnen um und folgte ihrem eingeschlagenen Weg mit seinen Augen. Er konnte die Todesser und einige Kobolde laut schreien hören und spürte eine seltsame Art von Genugtuung in sich. Die Angriffswelle hatte sie überraschend und hart getroffen, ging es ihm durch den Kopf, und ein seltsames Lächeln umspielte seine Lippen. Eine zweite Welle von Lichtblitzen entsprang den Zauberstäben der fliegenden Truppe und schlug in weitere unvorbereitete Todesser ein. Wieder konnte Gregory viele von ihnen jämmerlich schreien hören, und sein Lächeln wurde zu einem leichten Grinsen. Die fliegenden Angreifer teilten sich sofort nach dem Überflug in zwei gleich große Hälften, und ihr Weg trennte sich. Gregory folgte mit seinen Augen der linken Gruppe und war erstaunt, welch engen Radius sie flogen, um am Rande des Friedhofs wieder in seinen Rücken zu kommen komm.
»Verdammt!« entfuhr es Gregorys Mund, als er sah, wie sie ihm dadurch den Fluchtweg versperrten.
Weiter links gewahrte er erneut Harry Potter. Er sah, wie Potter einen roten Lichtblitz abschoß und im fast selben Moment einem anderen Fluch geschickt auswich, nur um gleichzeitig wie eine Kanonenkugel durch die fliegende Gruppe hindurchzuschießen. Gregory sah auch, daß er noch immer begleitet wurde. Er folgte mit seinem Blick Potter und sah, daß dieser weiter am Rande des Friedhofs entlangflog. Gregory blickte sich nach den anderen fliegenden Kämpfern um. Er bemerkte, daß sie tiefer gingen, und verlor sie aus den Augen. Er dachte, daß sie sich hinten wieder mit den anderen vereinen und dann von neuem angreifen würden, ehe er im gleichen Augenblick realisierte, daß eine neue ebenso große Welle ihn gleich im vollen Tempo überrollen würde. Auch diese war in vier oder fünf kleinere Gruppen eingeteilt und nutzte fast die ganze Breite des Friedhofs. Erschrocken duckte sich Gregory hinter einen Grabstein. Er zog Vincent zu sich und hörte schon die tief grummelnden Flüche über seinen Kopf hinwegschießen. Nur einen Augenblick später hörte er erneut Schreie von getroffenen Todessern und einigen anderen dunklen Geschöpfen auf seiten des Dunklen Lords.
»Die fliegen ja in Wellen«, sagte er leise und nickte anerkennend. So etwas hatte er nie im Leben erwartet. Donnernd flogen sie über seinen Kopf hinweg und schossen dabei neue Flüche ab. Vierzig Meter vor sich sah er einen Todesser. Er zielte mit dem Zauberstab in den Himmel und traf mit einem roten Fluch einen der fliegenden Kämpfer völlig unvorbereitet. Gregory sah, wie dieser hart getroffen vom Besen fiel und aus seinem Sichtfeld verschwand, wußte aber, daß er gleich hart auf dem Boden aufschlagen mußte. Seine fliegenden Begleiter schienen es entweder nicht bemerkt zu haben, oder sie ignorierten es absichtlich. Da flog auch schon die neue Gruppe heran, und er war sich sicher, daß diese jetzt auch Verluste haben würde. Er drehte sich um und sah schon, wie sich einige der Todesser unter der Führung ihrer Befehlshaber auf die nächste Angriffswelle vorbereiteten.
»Harry, du mußt sofort zu Dumbledore! Er hat nach dir gefragt«, sprach Neville sichtlich aufgeregt.
»Du hast mit ihm gesprochen?« fragte Harry gespannt.
»Ja! Nach dem ersten Angriff auf die Dementoren bin ich kurz gelandet. Ich dachte, es kann nicht schaden, sich mit ihm abzustimmen. Er findet deinen Plan zwar gut, möchte dir aber persönlich genauere Anweisungen geben. Ich sollte gleich wieder aufsteigen … weiter die Dementoren angreifen, bis sie fliehen würden und dich dann zu ihm bitten!«
»Nun gut«, Harry dachte kurz nach, »ich werde zu Dumbledore fliegen. Ihr versucht euch Ron anzuschließen.« Er blickte stolz in die umstehenden Gesichter von DA. »Sagt ihm, seine Taktik sei klasse. Er muß sie aber ständig ändern, sonst werden zu viele von uns abgeschossen. Er soll sich auch mal ein paar Minuten gänzlich raushalten, seine Position ändern und von neuem überraschend angreifen. Vielleicht können wir Voldemort so am besten verwirren. Sagt ihm auch, er solle ein Auge auf die Dementoren im Wald werfen. Nachdem Ginny und ich sie vertreiben konnten, haben sie sich dort neu formiert. Wir dürfen uns von ihnen nicht überraschen lassen!« Ernst blickte er Neville bei diesen Worten in die Augen. »Fliegt über Hagrids Seite. Jagt den Riesen noch ein paar Flüche rein, bevor ihr dann zu Ron stoßt.« Die Augen aller lagen auf Harry. Jedes seiner Worte hatten sie förmlich aufgesogen. Er blickte sich zu Ginny um, sah ihr in die Augen. »Du gehst mit Neville. Ich komme so bald wie möglich nach. Ich folge euch dann über Hagrids Seite, vielleicht kann ich ihm noch ein wenig helfen.« Harry blickte noch einmal in ein jedes ihrer Gesichter. Allen war die enorme Anspannung anzusehen, und er war stolz auf jeden einzelnen von ihnen.
Ein jeder von ihnen hatte sich bewährt und alle Erwartungen übertroffen. Sie waren hier und kämpften tapfer mit ihren Freunden um die Freiheit der Zaubererwelt. Die meisten von ihnen waren noch nicht einmal volljährig, doch hatten sie bereits Fähigkeiten, die weit über dem Durchschnitt lagen. Das ist alles Hermines Verdienst, dachte er traurig. Wäre sie nicht gewesen, hätten sie nie mit dem Training begonnen. Harrys Stimmung verschlechterte sich schlagartig. Sie fehlte ihm so sehr. Sie konnte noch nicht einmal miterleben, wie gut sich alle schlugen. Ich liebe sie so sehr, dachte er, und sofort hatte er Tränen in den Augen. Er schloß sie, und eine einzelne Träne lief vor den Augen seiner Mitstreiter seine Wange hinunter. Harrys Knie wurden weich; er schämte sich ein wenig. Gerade als er zusammenzusacken drohte, konnte er die stützenden Arme von Ginny spüren, die noch immer hinter ihm stand. Auch Neville griff beherzt zu und fing ihn auf.
»Sie fehlt mir so sehr!« sagte Harry mit einem Zittern in der Stimme. Ihm war so schlecht, und er konnte sehen, daß allen ein Kloß im Hals saß. Jeder wußte, wen Harry meinte, er konnte es in ihren Augen sehen.
»Schon gut!« sagte Neville behutsam und blickte jeden der Umstehenden an. »Wir kämpfen hier auch für Hermine, selbst wenn sie es nicht mehr miterleben kann.«
Harry ging es nach diesen aufmunternden Worten nur ein wenig besser. Dabei war es so wichtig, daß er jetzt stark war. Er mußte sich zusammenreißen. Er konnte doch hier nicht anfangen zu heulen, schoß es ihm durch den Kopf. Er mußte ebenso tapfer sein wie seine Mitstreiter. Er öffnete wieder seine Augen, und in den Augen seiner Mitschüler sah er ihr Mitgefühl. Harry sagte nur: »Los jetzt, helft Ron!« und drehte sich um.
Die Schüler gingen kommentarlos an ihm vorbei und bestiegen ihre Besen. Er war ihnen auch dafür dankbar. Er hörte, wie sie sich vom Boden abstießen und an ihm vorbeiflogen. Sie begannen steil nach oben zu steigen, und Harry konnte sehen, wie Ginny sich noch einmal zu ihm umdrehte. Dann beschleunigte sie und verschwand über den Baumwipfeln.
Harry ging ebenfalls zwei Schritte vor und bestieg seinen Besen, doch wollte er noch einen Moment warten und sich wieder vollauf beruhigen, auch um noch ein wenig neue Kraft zu tanken.
Plötzlich wurde der eigentlich sowieso schon kühle Morgen unerträglich stechend und beißend kalt. Es wurde noch dunkler. Alle Geräusche des Waldes und auch der Lärm der Kampfhandlungen – die er soeben noch hundertfünfzig Meter vor sich wahrgenommen hatte – erstarben. Harrys Sicht erging es nicht anders. Er hatte das Gefühl, eine Blase würde sich um ihn herum schließen und seine Sinne blockieren. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Harry, daß hier etwas nicht stimmte, bis er es auch schon begriff. All dies hatte er nun schon zu oft erlebt, um noch wirklich davon überrascht zu werden, so dachte er zumindest. Harry stand stocksteif da und wandte seine blinden Augen von links nach rechts. Ein Schauer, von der enormen Kälte verursacht, jagte über ihn hinweg. Er zitterte heftig und riß die Augen so weit auf, wie er nur konnte. Von wo würden sie kommen, fragte er sich. Er lauschte angestrengt: er würde sie immer zuerst hören können, bevor er ihnen in ihr schauriges Antlitz sehen konnte.
Da … da war es. Das lange, heisere, rasselnde Atemgeräusch, welches ihr Kommen ankündigte. Es kam von links. Noch eben hatte er Neville gewarnt, sich nicht von ihnen überraschen zu lassen, als er begriff, daß es nun ihm passiert war. Harry hielt seinen Zauberstab. Er wußte genau, was er zu tun hatte. Viele mächtige Gestalten, in schwarze Kapuzenumhänge gehüllt, unter denen weder ihre Füße noch ein Gesicht zu erkennen waren, glitten über den Waldboden schwebend auf ihn zu. Er konnte sehen, wie sie alles um ihn herum einsogen. Harry wich zwei Schritte zurück und ließ den Besen fallen. Er hob seinen Zauberstab.
»Expecto patronum!«
Ein silbriger Klumpen entwich der Spitze seines Zauberstabs, und zwei der Dementoren wurden langsamer. Harry erschrak, der Zauber hatte nicht wie erhofft gewirkt. Panik stieg in ihm hoch. Er hatte versagt, er hatte nicht an einen glücklichen Moment gedacht. Die Dementoren kamen ihm noch näher. Einige neigten sich ihm leicht entgegen. Harry wich stolpernd weiter zurück. Er wollte sich neu konzentrieren. Viele graue, schleimige, schorfige Hände glitten aus den Umhängen der Dementoren. Sie wollten ihn ergreifen. Harry hörte ein langsam anschwellendes Rauschen. Er mußte an etwas Glückliches denken.
»Expecto patronum!«
Er konnte seine eigene Stimme kaum noch hören. Das Rauschen steigerte sich. Ein silbernes Etwas schwebte aus seinem Zauberstab. Harry nahm es nur noch verschwommen war, in seinem Kopfe hörte er die traurig klingende Stimme von Albus Dumbledore:
»Hermine wird höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben sein … Professor Snape hat nichts herausfinden können.«
Harry spürte die Dementoren näher kommen, er konnte ihren widerlichen, todeskalten Atem riechen. Seine Lungen wurden einmal mehr von diesem Gestank überflutet. Das Gefühl, zu ertrinken, ergriff Besitz von ihm, aber noch keimte leichte Hoffnung in seinem Innersten. Schon mehrere Male hatte er Probleme gehabt, seinen Patronus zu erzeugen, aber noch ein jedes Mal hatte er es geschafft. Aber da war Hermine noch nicht tot, dachte er plötzlich und hörte Ron, der zu ihm sprach:
»Ich glaube, Hermine schafft es nicht. Selbst Dumbledore glaubt nicht mehr an ihre Rückkehr!«
Harry wollte an etwas Glückliches denken, er wollte sich dazu zwingen. Er wollte die vielleicht letzte Chance nutzen, so, wie er es schon in Little Whinging getan hatte, um sich selbst und Dudley zu retten. Doch kein Glück war in ihm. Er würde jetzt den Kuß erhalten, dessen war Harry sich sicher. Er brach zusammen und fiel auf den Rücken. Er zog noch einmal die kalte Luft in seine Lungen. Der Kopf eines der Dementoren kam dem seinen ganz nah. Er hob die verrotteten Hände und zog sich die Kapuze vom Gesicht. Harry sah keine Augen. Er sah die leeren Höhlen, über denen sich widerlich schorfige Haut spannte. Ein eigenartig vertrautes Antlitz. An der Stelle eines Mundes konnte Harry verschwommen den tiefen, unförmigen Schlund erkennen, den er nun schon einige Male gesehen hatte und der ihm kaum noch Angst machen konnte. Harry nahm noch einmal ein lautes Röcheln wahr, zu welchem nur ein Dementor imstande war. Er war wie gelähmt. Jeder Versuch einer Bewegung erstarb noch mit dem Gedanken. Er war nicht mehr in der Lage, einen weiteren Patronus zu sprechen. Zwar wollte er noch immer kämpfen, aber eigentlich konnte er sich auch einfach ergeben.
Er sah vor seinem geistigen Auge noch einmal, wie Sirius durch den Bogen fiel; er hörte, wie seine Mutter für ihn starb; er sah wie Hermine nach seinem Kuß hektisch vor ihm floh; er sah Dumbledores Gesicht, als er ihm gerade verkündete, daß es für Hermine keine Hoffnung mehr gab.
Harry ließ es einfach geschehen. Er konnte und wollte sich nicht mehr widersetzen. Ein paar kräftige, naßkalte Hände packten seinen Kopf. Der Dementor drückte ihm das Kinn nach oben. Harry spürte den Atem – sie würden ihn jetzt erledigen. Alles um ihn herum wurde schwarz …
Hermine stand in der Großen Halle. Ihr Zauberstab war gehoben, und sie war bereit zum Angriff. Was sie sah, konnte sie fast nicht glauben. In der Halle standen keine Tische, und ein merkwürdiger Anblick bot sich ihr. Die Große Halle war voll mit Hunderten perlweißer, durchscheinender Gestalten. Die meisten schwebten dicht gedrängt über dem Boden und lauschten offenbar einer Rede des blutigen Barons. Er schwebte an der Stelle, wo normalerweise Dumbledore zu speisen pflegte, und stockte in seiner Rede.
Hermine hatte eine solch gewaltige Geisterversammlung nur einmal gesehen; damals war es ein freudiges Ereignis gewesen, die Todestagsfeier des Fast Kopflosen Nick, die es zu feiern galt. Dieses Mal würde es sicher todernst sein.
Die Geister drehten sich fast geschlossen zu ihr um und starrten sie grimmig an. Hermine lief ein Schauer über den Rücken. Hatten sie etwa die Seite gewechselt? Paktierten sie mit Voldemort? Dieser Gedanke verflog so schnell, wie er ihr gekommen war. Das kann nicht sein, dachte sie, die Geister würden immer zu Dumbledore halten. Die Miene einiger von ihnen erhellte sich. Hermine sah nach rechts und erkannte einen Geist der auf sie zuschwebte, es war Sir Nicholas de Mimsy-Porpington.
Der Fast Kopflose Nick, wie ihn alle nannten, blickte ihr sehr verdutzt ins Gesicht. »Miß Granger, wo kommen Sie denn plötzlich her? Sie galten als tot oder zumindest vermißt!«
»War ich auch. Also entführt, NICHT tot!« antwortete Hermine knapp. Ihr flogen die Fragen, die sie dem Fast Kopflosen Nick stellen wollte, wild durch den Kopf. Da prasselten sie auch schon in einem wahren Wortschwall aus ihr heraus: »Wo sind Harry und Ron? Was ist passiert? Was macht ihr hier? Wo ist Dumbledore? Wo ist Voldemort? Ist der Kampf schon vorbei? Bin ich zu spät?«
Der Fast Kopflose Nick wollte etliche Male ansetzen, um ihre Fragen zu beantworten, ehe er sein Vorhaben abbrach und Hermine zuerst völlig ausreden ließ.
Als Hermine fertig war, sagte er in ruhigem Ton: »Mr. Potter und Mr. Weasley sollten eigentlich zu Hause sein, sie sind statt dessen aber irgendwo da draußen. Professor Dumbledore weiß es sicher genauer. Dort draußen auf dem Friedhof findet auch die Schlacht statt. Wir halten hier eine Kriegsversammlung ab und besprechen unsere Strategie. Professor Dumbledore hat uns gebeten, ihn zu unterstützen, wenn er uns rufen sollte. Er will als Zeichen goldene Funken in den Himmel schicken, und dann werden wir in den Kampf eingreifen. Professor Dumbledore ist auch nicht weit von hier, genauer gesagt: nur dahinten durch den kleinen Raum und noch zwei Räume weiter. Von dort sind es fünfzig Meter zum Friedhof, und er wird nicht weit von dort entfernt sein. Du-weißt-schon-wer und seine Todesser sind natürlich auch auf dem Schlachtfeld. Sie halten etwa hundertfünfzig Meter vor Professor Dumbledore. Und wie Sie meinen bisherigen Antworten entnehmen kannst, ist die Schlacht noch nicht vorbei. Bleibt nur noch die Frage, wofür Sie zu spät sein könnten, meine Liebe?«
Gebannt hatte Hermine jedem Wort gelauscht. Vor allem die Passage über Harry hatte ihr Interesse erregt. Sie packte ihren Besen fester, ließ den Fast Kopflosen Nick ohne ein weiteres Wort zurück und rannte in Richtung der Tür, auf die Nick gedeutet hatte. Sie stürmte förmlich durch diese erste Tür und prellte sich dabei noch leicht ihre Schulter, ehe sie sich in dem kleinen Raum befand, in den Harry und die anderen Champions kurz nach der Ziehung ihrer Namen gerufen worden waren. Sie sah auf der rechten Seite eine kleine Tür. Sie stieß auch diese auf und kam in einen Raum voller Gartengeräte. Das konnten nur Filchs sein, dachte sie und sah sich einen Moment um.
Mit dem Blick einer Muggelgeborenen erkannte sie sofort verschiedene Gartengeräte, Spaten, einige Laubharken, zwei Schubkarren, ein paar Schaufeln und allerlei anderen Kram. Auch in diesem Raum waren insgesamt zwei Türen. Die eine, durch die sie eben gekommen war, und noch eine andere. Diese mußte hinaus auf den Friedhof von Hogwarts führen, den sie noch nie besucht, über den sie aber gelesen hatte. Die Tür bestand zu einem großen Teil aus farbigem Glas, durch die sie hindurchzusehen versuchte, durch die sie aber nur ein gelegentliches Aufblitzen erkennen konnte. Langsam ging sie zur Tür, öffnete sie und ging vorsichtig hinaus. Ihr Blick schweifte umher, und sofort überblickte sie das ganze Chaos.
Fünfzig Meter vor ihr war die Friedhofsgrenze, und an ihr schien sich ein großer Teil von Dumbledores Verbündeten aufzuhalten. Ziemlich in der Mitte des Friedhofsrandes sah sie Professor Dumbledore, den sie an seinem langen weißen Haaren und seinem langen weißen Umhang zu erkennen glaubte. Nicht weit von ihm entfernt glaubte sie ebenfalls die roten Harre von Molly und Arthur Weasley zu erblicken. Knapp daneben schienen auch Fred und George zu stehen, deren Haare ebenfalls aus der Menge herausstachen.
Weiter auf der linken Seite konnte sie Professor McGonagall erkennen, die gerade einen Fluch losschickte. Hektisch überblickte Hermine das ganze Schlachtfeld. Weit hinten auf der linken Seite sah sie Riesen miteinander kämpfen. Sie dachte dabei unwillkürlich an Hagrid, und ihr Blick wandte sich weiter nach rechts, wo sich viele Todesser nur zweihundert Meter von ihr entfernt befanden und die Grabsteine als Deckung nutzten. Jede Sekunde schlichen sie sich ein wenig näher an Dumbledores Stellung heran und schickten ununterbrochen Flüche über den Friedhof. Weiter rechts und direkt neben den Kämpfern von Professor Dumbledore sah sie weitere feindliche Riesen, die erbarmungslos kämpften.
Hermine war erschrocken über die vielen Verwundeten auf ihrer Seite und beschloß, so schnell sie konnte Professor Dumbledore aufzusuchen. Dieser befand sich nur knapp fünfzig Meter entfernt, mit dem Rücken zu ihr, weshalb er sie noch nicht bemerkt hatte. Der alte Mann stand im Schutz eines großen Grabdenkmales und unterhielt sich mit jemandem, der daraufhin in Richtung rechter Flanke davonlief. Hermine lief, so rasch sie ihre Beine trugen, zu ihrem Schulleiter.
»Professor!« schrie sie ihm bereits entgegen, als dieser sich zu ihr umdrehte. Als er sie erkannte, begannen seine Augen zu strahlen, und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
»Miß Granger, was für eine angenehme Überraschung! Wie herrlich, Sie zu sehen! Wir waren alle höchst besorgt, da wir nur ihren Zauberstab gefunden hatten und sonst keine Spur von ihnen zu entdecken war.«
Hermine kam keuchend vor ihm zum Stehen. »Professor, wo sind Harry und Ron?« Ihre Augen brannten vor Neugier.
»Harry ist mit Mr. Longbottom und einigen weiteren Mitgliedern der DA … «, er zeigte nach rechts in den Wald, aus dem Hermine soeben einigen Flieger aufsteigen sehen konnte, » … dort im Wald. Mr. Longbottom teilt ihm offenbar soeben meine Bitte mit, sich schnellstmöglich hier mit mir zu treffen.«
Unruhig blickte sie an Professor Dumbledore vorbei auf die jetzt schnell näher kommenden Flieger. Sie hoffte, Harry unter ihnen zu erkennen. Die Flieger gingen diesseits des Waldrandes ein ganzes Stück tiefer, und Hermine konnte sehen, wie sie einige Flüche in die Menge der Riesen schossen, die auf der rechten Seite mit Dumbledores Verbündeten kämpften.
Gerade als Hermine sprach: »Wo ist Ron?« und Dumbledore dabei war, seine Rede fortzusetzen, schoß die kleine DA-Gruppe über ihre Köpfe hinweg. Hermine konnte nur Neville und Ginny erkennen. Sie sah ihnen noch hinterher, als Dumbledore fortfuhr:
»Ronald Weasley ist mit vielen weiteren Mitgliedern meiner Armee vermutlich irgendwo dahinten!« Dumbledore zeigte mit dem Finger auf die rechte Seite, weiter nach hinten an den Waldrand, was Hermine aber nicht wirklich mitbekam. Sie drehte sich wieder von den fliegenden DA-Mitgliedern weg, als diese gerade in eine scharfe Rechtskurve ansetzten, um am Friedhofsrand entlangzufliegen.
Als Hermine ihren Blick wieder auf das Stück Wald richtete, aus dem sie aufgestiegen waren, realisierte sie, daß Harry noch immer dort sein mußte, und sie fragte sich, wo er bliebe.
»Haben Sie meinen Zauberstab? Ich brauche ihn!« sagte Hermine plötzlich und blickte Dumbledore an. Sie hatte das Gefühl, daß sie ihn gleich ganz dringend benötigen würde.
»Er ist im Schloß. Ich hole ihn«, erwiderte der Schulleiter und schien sich eine Sekunde lang zu konzentrieren, bis Fawkes plötzlich auf seiner Schulter auftauchte.
Durch das unvermittelte Auftauchen überrascht, zuckte Hermine zusammen, gewann aber schnell ihre Fassung wieder und nahm Fawkes ihren Zauberstab ab. Ein merkwürdiges Gefühl durchströmte sie, als sie ihren Stab einsteckte und Dumbledore den gestohlenen gab. Fawkes war gerade verschwunden, als ihr plötzlich Molly Weasley den Blick versperrte und sie aufs herzlichste umarmte.
»Bei Merlin, wo bist du nur gewesen?« Rons Mutter begann laut zu schluchzen.
Hermine sah über die Schulter von Molly hinweg und wieder Richtung Wald. Sie hatte nun nicht mehr nur ein ungutes Gefühl, sie bekam Angst. Panische Angst. Warum tauchte Harry nicht endlich auf? Irgend etwas stimmte nicht! Gerade als sie versuchte, sich aus der Umklammerung von Molly zu befreien, fiel auch Arthur Weasley in die Umarmung mit ein.
Molly küßte sie mehrmals und konnte nicht aufhören zu weinen. Es waren Tränen tiefster Freude. »Alle glaubten, du wärst tot … sogar Harry hat es geglaubt.«
»Ich weiß«, antwortete Hermine nur knapp, schob aber noch ein beinahe atemloses »Hab' heute – noch in Gefangenschaft – einen Brief von Harry bekommen« als Erklärung hinterher.
Hermine versuchte sich weiter aus der Umklammerung zu befreien, doch je mehr sie sich dagegen sträubte, desto fester hielten sie die Weasleys. Ihr wurde plötzlich speiübel. Sie hatte ein furchtbares Gefühl und spürte eine seltsame Bedrohung.
»LOSLASSEN!« schrie Hermine plötzlich. Irgend etwas läuft hier falsch, dachte sie. Erschrocken wichen Rons Eltern zurück. »MUSS ZU HARRY!«
Ohne zu zögern, lief sie an den dreien vorbei, bestieg im Laufen ihren Besen, den sie noch immer in der linken Hand gehalten hatte, und stieß sich kraftvoll von Boden ab. Sie gewann so schnell an Höhe, daß sie davon total überrascht wurde. Sie beschleunigte das Tempo, hielt den Besen gerade, flog ein wenig tiefer, schoß auf den Wald zu und peilte die Stelle an, an der sie Neville und die anderen hatte aufsteigen sehen.
Ihr Haar und ihr Umhang wehten heftig im Wind, und da sie noch immer leicht verschwitzt war, fror sie erbärmlich. Sie überflog die Riesen und schoß weiter in die Höhe, um den näher kommenden Bäumen auszuweichen. Sie sah sich verzweifelt nach Harry um. Eine winzige Lichtung wurde von ihr überflogen, und sie konnte nur eine unnatürliche Schwärze in ihr erkennen. Intuitiv bremste sie hart, flog eine enge Wende und fiel dabei fast vom Besen. Langsamer kehrte sie an die schwarze Stelle des Waldes zurück. Sie ging tiefer und streifte ein paar Baumspitzen. Nur zehn Meter von der kleinen Lichtung entfernt setzte sie zur Landung an. Da sie zu schnell war, schlug sie hart auf dem Waldboden auf. Schnell schüttelte sie sich und versuchte sich zu konzentrieren, als ihr unvermittelt noch viel kälter wurde. Sie lief ein paar Meter vor, und während sie das Gefühl hatte, hier auf der Stelle zu erfrieren, ließ sie ihren Besen fallen. Sie konnte fast nichts erkennen, nur eine helle Stelle in der Dunkelheit. Eine winzige silberne Wolke.
Hermine schaltete sofort, auf einmal wurde ihr alles klar: Harry mußte von Dementoren umzingelt sein. Sie ging noch einen Schritt vor und erkannte einen von ihnen schemenhaft vor sich. Sie war sicher: Harry kämpfte um sein Leben. Hermine hatte fürchterliche Angst, sie würde zu spät kommen. Sie ging noch ein paar Schritte näher heran, und die Schwärze löste sich weiter auf. Sie wurde nicht beachtet. Da lag Harry. Hermine erschrak.
Er war nur fünfundzwanzig Meter von ihr entfernt. Ein Dementor hatte gerade seine Kapuze heruntergezogen und griff nach Harrys Gesicht. Einige andere schwebten um die beiden herum. Der Dementor über Harry setzte zum alles beendenden Kuß an. Ein Kuß, den Hermine verhindern mußte. Ein Kuß, den sie auf keinen Fall geschehen lassen konnte. Ein Kuß. Nur ein Kuß. Ein schöner Kuß, dachte Hermine plötzlich. Ein Kuß … wie sie ihn von Harry bekommen hatte. Sie dachte an diesen Kuß zurück.
Sie waren beide in Hogsmeade gewesen, und Ron hatte sich gerade mit Luna zurückgezogen und sie allein gelassen. Harry und sie waren zur Heulenden Hütte spaziert und hatten es sich auf einem Fels gemütlich gemacht. Harry saß nur dreißig Zentimeter von ihr entfernt und drehte sich zu ihr. Er sah ihr intensiv in die Augen … sie leuchteten, diese wunderschönen grünen Augen.
Hermine hob ihren Zauberstab und war so unendlich froh, daß es ihr eigener war.
Harry schürzte seine Lippen ein wenig … nur ein wenig … schloß langsam die Augen … kam ihr mit seinem Mund näher und näher … Hermine wich ein winziges Stück zurück, nicht weit genug, um den Kuß noch zu verhindern. Sie schloß die Augen … ihre Lippen berührten sich … sie waren so weich … sie fühlte ein unglaublich warmes Gefühl in der Magengegend … sie spürte, wie er die Lippen ein wenig öffnete … ihr wurde ganz anders … sie fühlte etwas, was sie noch nie gefühlt hatte … es machte ihr Angst, dabei war es so wunderschön … sie spürte seine Zunge an ihren Lippen … sie gab ihm nach und öffnete sie … seine Zunge traf ihre Zunge … ein Blitz schlug in sie ein.
»EXPECTO PATRONUM!« schrie sie mit einer Kraft in den Wald, die wahrscheinlich allein schon ausgereicht hätte, die Dementoren in die Flucht zu schlagen.
Hermines Patronus, ein glänzender silberner Otter, schlug wie ein Blitz in die Dementoren ein. Sie wurden förmlich auseinandergesprengt und flohen vor dem silbernen Wesen sofort tiefer in den Wald. Hermine senkte ihren Zauberstab und öffnete langsam die Augen. Harry lag leblos auf der Lichtung. Die Schwärze und die grausame Kälte hatten sich so schnell verzogen wie die Dementoren. Ich bin zu spät, dachte sie. O Gott … o Gott. Warum? Harry wollte sich nicht rühren.
Hermine stiegen die Tränen in die Augen. Reflexartig steckte sie ihren Zauberstab in den Umhang und lief wie von Sinnen zu ihm. Sie erreichte ihn so schnell, daß sie es kaum noch schaffte, vor ihm abzubremsen und schmiß sich einfach auf ihn. Mit ihrem ganzen Gewicht lag sie auf ihm, umarmte ihn dabei so fest wie niemals zuvor und begann nun hemmungslos zu weinen. Verzweifelt wollte sie zu ihm sprechen, doch sie bekam keinen vernünftigen Ton heraus. Immer wieder schüttelte sie ihn leicht, doch Harry rührte sich nicht, und Hermine weinte immer heftiger. Mehrmals küßte sie ihn auf die Lippen. Wach doch bitte auf, dachte sie und weinte ununterbrochen. Sie zitterte und schluchzte fürchterlich. Ihre Tränen liefen in Sturzbächen ihre knallroten Wangen hinab und tropfen von ihrem Kinn auf seinen Umhang.
Er zuckte. Hermine schreckte zurück. Wieder küßte sie ihn. Er lebt noch, dachte sie und rüttelte weiter an ihm, während sie von einem unglaublich warmen Gefühl ergriffen wurde. Ihre Tränen versiegten ein wenig, doch hatte sie noch immer knallrote Augen. Eine schallende Ohrfeige traf seine rechte Wange, die seinen Kopf nach links fliegen ließ, und gleichzeitig schrie sie hilflos: »Wach doch endlich auf!«
Sie spürte, wie sich sein linkes Knie hinter ihr erhob. Er winkelte das Bein an und berührte damit ihren Po. Hermine sah seine linke Hand zum Kopf wandern. Auf seiner Backe bildete sich schon der rote Abdruck ihrer flachen Hand. Harry kniff die Augen zusammen und rieb sich mit der Hand sein Gesicht. Leise stöhnte er vor Schmerzen. Wieder küßte sie ihn voller Leidenschaft für einige Sekunden. Hermine war so froh. Sie war so froh wie noch niemals im Leben zuvor.
Vincent und Gregory sahen Lucius Malfoy an. Er stand rund vierzig Meter vor ihnen, und sie konnten ihn einige Anweisungen in die Menge der Todesser schreien hören: »Holt sie von ihren Besen … das sind doch nur verdammte Gören … Draco, schnapp sie dir endlich!«
Leicht verwirrt blickte Vincent zu Gregory, und dann sahen sie gemeinsam zu Draco Malfoy. Er war ein gutes Stück rechts vor ihnen, und sie konnten ihn gerade noch zwischen einigen Grabsteinen hindurch erspähen.
Malfoy kam nun wieder auf sie zu. Ihm folgten ein paar der älteren Slytherins, die ebenfalls am Kampf teilnahmen. Sie bezogen vor einigen Grabsteinen in einer Reihe Stellung und schienen auf die fliegenden Angreifer zu warten.
Gregory war sich nicht sicher, was er tun sollte, konnte er das Schlachtfeld doch nicht verlassen. Entweder wurde er dabei von den Todessern beobachtet – und über die Strafe dafür wollte er lieber nicht nachdenken –, oder aber Dumbledores Kämpfer würden ihn daran hindern, wobei das schon erheblich besser klang.
Angestrengt dachte er nach. Da vorne links mußte doch ein Besen von dem zuvor abgeschossenen Gegner liegen, vielleicht könnten sie ihn erreichen, ohne großartig aufzufallen. Zu zweit wären sie zwar sicher nicht so schnell wie die fliegenden Kämpfer Dumbledores, aber es würde schon reichen, um von diesem Friedhof herunterzukommen. Waren sie erst einmal von den Todessern weg, so könnten sie sich immer noch stellen und sich ergeben, was ihnen viel lieber war, als für die Todesser zu sterben – oder noch schlimmer: durch die Todesser.
Gregory war sich jetzt absolut sicher. Er würde die Todesser verraten und versuchen, sein Leben zu retten. Er sah Vincent an. Dieser blickte noch immer etwas benommen drein, schien sich aber mit jeder Sekunde mehr zu erholen. Gregory flüsterte Vincent zu: »Wir müssen hier weg. Da vorne links muß irgendwo ein Besen sein. Damit verschwinden wir von hier. Bist du dabei?«
Vincent blickte ihm in die Augen und sah auf einmal wieder hellwach aus. »Na klar! Nichts wie weg hier, die können mich doch alle mal! Bringen meinen Vater um und erwarten, daß ich für sie sterbe. Die haben sie doch nicht alle. Eher sterbe ich bei dem Versuch, sie selber kaltzumachen!«
Sofort ging Vincent in die Knie und signalisierte damit seine Bereitschaft. Auch Gregory erhob sich, sah noch einmal in Malfoys Richtung und bemerkte, daß dieser noch immer den Himmel absuchte und auf den kommenden Angriff wartete. Die beiden Freunde machten sich auf den Weg nach links und wollten zuerst ein paar Meter über den Friedhof kreuzen, ehe sie sich weiter nach vorn durchschlugen. Zielsicher wies Gregory mit dem Finger nach vorn und gab den beiden die Richtung vor. Sie machten sich heimlich davon und schlichen so schnell und so unauffällig, wie sie nur konnten, los.
Nachdem sie knapp dreißig Meter quer über den Friedhof zurückgelegt hatten, hielten sie kurz inne, um sich neu zu orientieren. Vincent sah sich zu Malfoy um, sollte dieser sie doch auf keinen Fall dabei erwischen, wie sie versuchten zu fliehen. Derweil versuchte Gregory die fliegenden Angreifer im Auge zu behalten, damit sie nicht von ihnen überrascht werden konnten. Zu seinem Erstaunen konnte er keinen einzigen von ihnen entdecken. Angestrengt blickte er auf den sich hundert Meter hinter dem Friedhof befindenden Waldrand, der sicher dreihundert Meter von seiner Position entfernt war. Er versuchte, ihre Bewegungen auszumachen; doch sosehr er sich auch bemühte, er konnte nicht einen von ihnen sehen.
Er vermutete, daß sie sich jetzt irgendwo versteckten, um dann überraschend von neuem anzugreifen. Mit einem Blick signalisierte er Vincent, daß sie jetzt weiter mußten. Sie gingen noch weitere zwanzig Meter quer zur Frontlinie und damit näher an den Friedhofsrand heran. Sie sahen sich noch einmal um und liefen dann wieder nach vorne in Richtung Dumbledores Armee. Nur wenige Meter vor ihnen mußte sich irgendwo der abgeschossene Flieger befinden und nicht weit von ihm auch der rettende Besen.
Meter um Meter setzen sie ihren Weg nach vorn fort und waren jetzt fast auf gleicher Höhe wie Draco Malfoy, befanden sich allerdings etwa achtzig Meter links von ihm, und zu ihrer Linken waren es jetzt noch sechzig Meter bis zum Rand des Friedhofs. Langsam schlichen sie weiter vor, während noch immer Lichtblitze den nun immer heller werdenden Morgen durchzuckten. Überall um Vincent und Gregory lagen einzelne geschockte oder anderweitig außer Gefecht gesetzte Todesser, und beide mußten ihren Mut zusammennehmen, um ihren Weg unbeirrt fortzusetzen.
Endlich erreichten sie die Stelle, und Vincent konnte den Besen sehen, zehn Meter links von ihm. Rechts von ihm lag der Pilot, ohne Bewußtsein und in unnatürlicher Haltung. Vincent hoffte, daß er nicht tot war, sondern nur in eine Art Starre gezaubert worden war.
Gregory erkannte ihn sofort. Es war Ernie Macmillan, Vertrauensschüler der Hufflepuffs.
Gregory blickte zu Vincent. »Hol den Besen! Ich hole Macmillan.«
Vincent starrte ihn erstaunt an. »Warum willst du ihn holen, ich dachte wie hauen nur von hier ab?«
»Wenn wir ihn zurücklassen, dann sind wir nicht besser als sie!« erwiderte Gregory und zeigt mit dem Finger auf die Todesser, die weiter hinten hinter Grabsteinen kauerten.
Vincent schien kurz zu überlegen. Wenige Sekunden später antwortete er: »Okay, okay! Ich hoff' nur, der Besen trägt uns alle.«
»Das klappt schon«, versicherte ihm Gregory und schickte sich an, zu Ernie hinüberzugehen.
Vorher sah sich noch einmal hektisch um. Ganz weit vorne links konnte er einige der fliegenden Kämpfer Dumbledores sehen. Sie erschienen direkt über dem Wald und flogen soeben wieder auf das Schlachtfeld zurück. Unschlüssig sah er zu Vincent; dieser kroch schon zum Besen, den er fast erreicht hatte. Hektisch sah Gregory zurück zu Ernie Macmillan. Der Hufflepuff hatte viel Blut im Gesicht und war anscheinend irgendwo mit dem Kopf angeschlagen. Geduckt machte sich Gregory auf den Weg, erreichte ihn nur Sekunden später, packte ihn an der Schulter und zog ihn auf seinen Rücken. Die zusätzliche Last bereitete ihm keine Probleme, als er im Gänsemarsch den Weg zu Vincent antrat.
Nur noch fünf Meter war er von ihm entfernt, als wieder ein Lichtblitz neben ihm einschlug. Fast hätte er Macmillan fallen lassen, so sehr hatte er sich erschrocken. Er traf mit Vincent zusammen, und sie bestiegen beide den Besen. Sie blickten beide in Richtung des rettenden Waldrandes und bereiteten sich auf den komplizierten Start vor. Vincent war vorn, und Gregory hielt noch immer Ernie Macmillan auf seinem Rücken.
»Leg ihn vorsichtig hin!« hörten sie plötzlich. Die Stimme kam von hinter dem vor ihnen befindlichen Grabstein. Sie waren entdeckt worden. Gleich würde sich ein Todesser erheben und sie beide zu ihren Vätern schicken.
Ohne zu zögern, legte Vincent den Besen und Gregory Ernie Macmillan vorsichtig auf den Boden. Rote Haare erschienen hinter dem Grabstein. Ängstlich blickte sich Gregory um. Gab es noch eine Möglichkeit zur Rettung? Gab es noch jemanden, der ihnen helfen konnte? Er sah nach rechts, sehnsüchtig über die Todesser hinweg, herüber zu Dumbledores Armee und bedauerte es sehr, nicht lieber auf ihrer Seite gekämpft zu haben. Nun war sein Tod einfach nur nutzlos. Wer auch immer der Todesser war, der nun hinter dem Grabstein auftauchen würde, sicher würde dieser sie ohne zu zögern töten. Es war aussichtslos. Gregory sah noch, wie eine einzelne Person auf einem Besen relativ hoch und unglaublich schnell auf den Waldrand zuflog, ehe er den Kopf wieder in Richtung Grabstein drehte, wo er nun einen Kopf erkennen konnte.
»Ron Weasley!« keuchte er völlig erstaunt.
Wo kommt der denn jetzt her, fragte er sich, als zwei weitere Schüler, die er ebenfalls kannte, hinter dem Grabstein auftauchten. Er sah Justin Finch-Fletchley und einen anderen, den er mehr als nur gut kannte: William Mcnamara.
Ein Schüler aus Slytherin, und nur ein Jahr unter ihm. Ein Slytherin kämpfte zusammen mit Weasley? Das konnte doch nicht sein. Nur Vincent, Draco Malfoy, Marcus Flint, Theodor Nott und er selbst waren zusammen mit Professor Snape nach England zurückgekehrt, weshalb er nicht glauben wollte, was er hier sah. Aber natürlich, er war doch einer von denen, die krank aus Durmstrang abgereist waren. Gregory faßte sich ein Herz und sprach gedämpft:
»Wenn wir das hier überleben wollen, müssen wir sofort hier weg!«
»Du gehst ganz gewiß nirgendwo hin. Wir nehmen jetzt Ernie und ziehen uns zurück. Euch beiden verpassen wir einen kleinen Schocker – und wenn wir gesiegt haben, werdet ihr in Askaban landen«, entgegnete Ron Weasley und lächelte kalt.
Der Rotschopf zielte mit seinem Zauberstab auf Vincent; die beiden Zauberstäbe von Justin und William zielten auf Gregory.
»Ron, warte … wir sind auf eurer Seite!« flehte Vincent.
Ron zögerte, ehe Gregory sofort weitersprach: »Wir wollten soeben von hier abhauen. Wir wollten auch Ernie retten, wirklich!«
Ron zögerte auch weiterhin und schien sich die Worte der beiden noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Nach einer längeren Pause begann er zu sprechen: »Wir können euch nicht trauen!«
Vincent setzte sofort nach, Zorn schwang in seiner Stimme: »Du-weißt-schon-wer hat unsere Väter getötet! Sie haben Hermine Granger bewacht, aber weil sie heute nacht fliehen konn…«
»Wie bitte?« kam es erstaunt aus Rons Mund, und es dauerte einen Moment, ehe er sich wieder gefaßt hatte. »Hermine lebt? Das ist doch nicht möglich … ihr seid dreckige Lügner!«
Gregory wurde nervös, nahm aber allen Mut zusammen. »Ich schwöre, es ist die Wahrheit. Hermine Granger le…«
»Okay, ihr kommt mit. Harry muß das hören. Er soll selbst entscheiden, was wir mit euch machen. Aber wehe euch beiden, ihr versucht einen Trick – das würdet ihr bitter bereuen! Und jetzt Zauberstäbe her – sofort!« Ron sah sehr ungeduldig aus.
Beide zogen sie ihre Zauberstäbe vorsichtig aus ihren Umhängen und gaben sie ihm. Der Gryffindor steckte sie ein und wies ihnen mit seinem Zauberstab den Weg, während Ron gedämpft zu seinen Kumpanen sprach: »Ihr nehmt Ernie, ich den Besen.«
Vincent und Gregory sollten vorausgehen. Eine geflüsterte Beschwörung drang an Gregorys Ohren, und sie kam eindeutig von William. Als er sich dann noch einmal kurz umsah, konnte er William in gebückter Haltung sehen, der einen schwebenden Ernie Macmillan hinter sich herzog.
Die Sechsergruppe machte sich nun auf den Weg zum Waldrand, der noch weit über hundert Meter von ihnen entfernt war. Ab und zu zuckten gelbe, rote und weiße Blitze an ihnen vorbei, doch kein einziger von ihnen traf sie. Schnell erreichten sie den Rand des Friedhofs, und Vincent und Gregory erhöhten noch einmal das Tempo, wollten sie doch so schnell wie möglich fort von diesem Ort. Noch immer klebte ihnen Ron an den Fersen und zielte mit dem Zauberstab auf ihren Rücken. Dieses Gefühl mochte Vincent nicht, konnte aber absolut nichts dagegen tun. Nur noch wenige Meter, dann blieben ihnen noch die etwa hundert Meter bis zum Waldrand, die sie völlig schutzlos zurücklegen mußten. Ein leises Seufzen entfloh seinem Munde, und er fragte sich, was wohl heute noch alles passieren würde.
