Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem Plot. Alle originalen Charaktere und Schauplätze die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.

Kapitel 12 – Nachwirkungen

Harry öffnete die Augen.

Ron stand vor ihm. »Komm schon, Harry, es ist schon zehn Uhr.«

Müde blickte Harry ihm ins Gesicht. »Mann, laß mich doch schlafen. Wenn's erst zehn Uhr ist, waren es doch höchstens zwei Stunden.«

»Nee, fast fünfzig! Du hast echt lange geschlafen. Wir haben uns schon Sorgen gemacht, Kumpel. Aber Professor McGonagall hat gesagt, wir sollen dich einfach in Ruhe lassen, da Madam Pomfrey einen Schlafzauber über dich gesprochen hatte. Aber jetzt ist Dumbledore wieder hier, und er möchte mit dir sprechen.«

Harry wollte seinen Ohren nicht trauen. Er sollte so lange geschlafen haben? Das konnte doch nicht sein, oder doch? Selbst mit einem Schlafzauber waren fünfzig Stunden weit mehr, als er je zuvor am Stück geschlafen hatte – aber warum nur fühlte er sich dann noch immer so müde?

Plötzlich schmerzte seine Narbe wieder heftig. Tief in seinem Innern fühlte Harry, daß Voldemort mit seiner gelungenen Flucht höchst zufrieden war, gleichzeitig aber unglaublich verärgert über den mißlungenen Angriff auf Hogwarts. Wieder zuckte ein Schmerz durch Harrys Narbe, und nun war er sicher, daß Voldemort gerade eben einen seiner eigenen Leute folterte. Mehrmals tief ein- und ausatmend, versuchte Harry, seinen Geist zu leeren, und nahm sich fest vor, seine Okklumentikübungen wieder mit mehr Engagement durchzuführen.

Mühsam richtete er seinen Oberkörper auf. In der Großen Halle standen wieder zwei Tische, und nur noch sein Schlafsack lag hier. Offenbar schliefen die anderen schon wieder in den Schlafsälen und hatten ihn einfach allein hier zurückgelassen. Ein wenig verärgerte ihn die Idee, daß sie wohl auch in diesem Raum gespeist hatten, während er in der Ecke gelegen hatte. Mit leicht wackligen Beinen stand er auf.

»Wo ist Dumbledore?« fragte er.

»Er ist in seinem Büro. Das Paßwort lautet Jingles Megablasen-Kaugummi. Ich geh' Hermine holen und komme gleich nach.«

»Wo ist sie?« Harrys Stimmung verbesserte sich beim Klang ihres Namens sofort merklich.

»Sie ist bei Hagrid. Er flickt mit Madam Pomfrey die Riesen zusammen, und Hermine geht ihnen ein wenig zur Hand. Die anderen der DA sind draußen auf dem Friedhof. Sie verarbeiten die Ereignisse, denk' ich.«

Ron hörte sich die ganze Zeit traurig an, aber Harry wollte ihn dazu nicht befragen, denn Ron hatte sich ihm gegenüber auch mit Fragen zurückgehalten. Vielmehr wollte er ihn selbst den Grund ansprechen lassen, wußte er doch, daß es wahrscheinlich nicht lange dauern wurde und es eigentlich auch fast nur mit Charlie und Percy zu tun haben konnte.

»Ron?« Für einen Moment sah Ron ihn unsicher an, ehe sein Blick fester und klarer wurde. »Ich möchte dir danken! Ohne Pig … Hermine … ich …«

»Schon gut, Kumpel. Ich freu' mich, daß es so gut geklappt hat. Hatte ich selbst nicht erwartet.« Beide lächelten sich an.

»Dann sehen wir uns gleich bei Dumbledore«, meinte Harry, ging langsam aus der Halle und nahm noch langsamer die Treppe nach oben. Zum einen hatte er es nicht wirklich eilig, zum anderen mußte er sowieso auf Hermine und Ron warten.

Minuten später kam er bei Dumbledores steinernem Wasserspeier an. Er nannte das Paßwort, der Wasserspeier erwachte zum Leben und sprang zur Seite. Er ging durch den Spalt in der Wand, der sich lautlos hinter ihm schloß, betrat wie schon einige Male zuvor die steinerne Wendeltreppe, die sich langsam nach oben drehte und ihn vor eine polierte Eichentür mit einem bronzenen Türklopfer brachte. Diesen benutzte er und wartete gespannt darauf, daß Dumbledore ihn hereinbat.

»Komm herein, Harry!« hörte er einen Augenblick später eine Stimme aus dem Inneren kommen. Zögernd betrat er Dumbledores Büro.

Es war ein schönes, kreisrundes Zimmer, ringsum behangen mit Bildern ehemaliger Schulleiter, Hexen und Zauberer, die dem amtierenden Schulleiter mit Rat und Tat zu Seite standen. Die Vorhänge waren zugezogen, und eine einzelne Deckenlampe beleuchtete den Raum nur mäßig. Harry ging zu Professor Dumbledore, und dieser sah erschreckend alt und müde aus. So müde hatte ihn Harry selten gesehen. Er saß in einem hohen Lehnstuhl und sagte kein Wort, bis Harry sich langsam gesetzt hatte.

»Geht es dir besser?« fragte er, und Sorgen schwangen in seiner Stimme mit.

»Es geht mir schlechter als sonst … aber besser, als ich gedacht hätte«, antwortete Harry unsicher. »Sir, haben Sie mit Hermine oder Ron gesprochen? Was die Eulenpost betrifft, mit der Ron Hermine erreichen konnte, meine ich. Wieso haben Sie nicht daran gedacht?«

»Nun, Harry, das ist nicht leicht zu erklären. Zuerst muß ich sagen, daß selbst ich es nicht erwartet hätte, daß Hermines Entführer und Bewacher eine solche Sorglosigkeit an den Tag legen würden. Normalerweise kann man mit einem relativ einfachen Zauber verhindern, daß jemand von Eulen gefunden werden kann, doch offenbar hat daran niemand gedacht. Sirius zum Beispiel war auf diese Art geschützt, so daß nur die von dir abgeschickten Eulen ihn finden konnten. Wir können in diesem Fall also von Glück sprechen, daß unser Gegner derart inkompetent gehandelt hat.«

»Verstehe, Sir. Dann war es also pures Glück. Pig kriegt von mir dafür auf jeden Fall eine Belohnung; ohne ihn wäre Hermine vielleicht tot.« Als er Dumbledores fragenden Blick bemerkte, setzte er hinzu: »Oh, Pig ist Rons Eule. Er ist kaum so groß wie meine Faust, aber er ist ein Held.« Beide lächelten.

»Du möchtest doch sicher wissen, was du in den letzten zwei Tagen verschlafen hast, oder? Und vor allem möchtest du sicher wissen, wie Voldemort es geschafft hat, von Draco Malfoys Körper Besitz zu ergreifen?«

Harry nickte vehement. Dumbledore setzte sich ein wenig aufrechter.

»Fangen wir mit der letzten Frage an.« Er machte eine längere Pause. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie er das gemacht hat. Es muß sich auf jeden Fall um dunkle Magie handeln und zweifelsfrei um sehr mächtige. Ein Team arbeitet bereits an dieser Frage, doch ich glaube nicht, daß wir eine schnelle Antwort erwarten können. Das Ganze ist wahrhaftig beängstigend für uns alle. Ich sehe dir an, daß du enttäuscht bist, doch kann ich leider nichts dagegen tun. Es tut mir leid. Draco Malfoys Geist scheint allerdings noch zu existieren. Wie lange? Niemand weiß es.

Was die andere Sache betrifft, wir haben siebenundneunzig Todesser nach Askaban gebracht. Siebenundzwanzig von ihnen sind noch immer auf der Flucht, unter ihnen ist auch Draco Malfoy oder Voldemort, je nachdem, wie man ihn jetzt bezeichnen mag. Getötet wurden einhundertacht Todesser. Auf unserer Seite sieht es ein wenig besser aus. Wir haben fünfundneunzig Verletzte, darunter die sieben der DA, und leider haben wir auch einundfünfzig Tote zu beklagen. Darunter sind auch Percy und Charlie Weasley und die elf Schüler aus der DA, wie du ja schon von Ron erfahren hast. Wir haben zwar gesiegt – wir haben diesen Sieg aber teuer erkauft.« Dumbledore machte eine kurze Pause, was Harry Gelegenheit gab, die Neuigkeiten zu verarbeiten. »Im Moment läuft die größte Suchaktion aller Zeiten. Sie konzentriert sich natürlich auf Voldemort und die wichtigsten seiner entkommenen Todesser. Unter ihnen befinden sich auch Peter Pettigrew und Bellatrix Lestranges, die …«

»Wie konnte sie entkommen?« unterbrach Harry ihn, und Entsetzen war in seinem Gesicht zu sehen.

»Das wissen wir nicht genau. Es geschah während der Überführung. Sie hatte plötzlich einen Zauberstab in der Hand, tötete zwei Wächter und verschwand. Der Premierminister der Muggel wurde ebenfalls informiert; auch die Muggel suchen jetzt nach ihnen und besonders auch nach ihr. Wir hoffen, sie bald zu finden, gibt es doch einige interessante Spuren, von denen auch ein paar ins Ausland führen. Ich selbst werde die Suche erst am morgigen Tag fortsetzen, denn auch ich brauche langsam mal wieder ein wenig erholsamen Schlaf. Die Schule ist nun wieder sicher. Wir haben den bestehenden Schutz erweitert, wobei auch Miß Granger mit dazu beigetragen hat. Sie ist wirklich außergewöhnlich.«

»Das ist sie wirklich«, bestätigte Harry lächelnd.

»Inzwischen wissen wir auch, wie Voldemort entkommen konnte. Nachdem du seinen Körper hingerichtet hattest, gab niemand mehr Obacht auf Draco Malfoy. Er konnte deshalb in den Besitz eines Zauberstabes gelangen, mit dem er dann aber nicht disappariert ist, wie wir zuerst gedacht hatten – er hat statt dessen eine sehr frühe Variante dieses Zaubers benutzt, bei dem man allerdings keinerlei wirkliche Kontrolle darüber hat, wo man wieder erscheint. Man könnte sogar inmitten einer Mauer, im Meer oder auf einem Baum wieder auftauchen; und auch die zurückgelegte Entfernung ist nicht kontrollierbar, allerdings ist sie beschränkt. Auf Grund vieler Unfälle ist dieser Zauber schon vor langer Zeit verboten worden, und weil man damit nicht geplant nach Hogwarts gelangen kann, lag auch kein Schutzbann dagegen auf der Schule. Dies haben wir inzwischen natürlich nachgeholt. Obwohl wir allein damit schon eine deutliche Verbesserung der Sicherheit erreicht haben, fand ich es angebracht, auch das Hauptquartier des Ordens vorübergehend in die Schule zu verlegen. Das soll die Sicherheit weiter erhöhen, und zudem ist es für alle eine schöne und vielleicht auch wichtige Sache, gemeinsam Weihnachten zu verbringen.«

»Professor, ich habe noch eine Frage wegen der Riesen. Während der Schlacht konnten wir sie problemlos schrumpfen. Eigentlich ist es ja ein sehr schwacher Zauber, und normalerweise sind Riesen wohl dagegen immun, doch hatten wir damit großen Erfolg. Wie haben Sie das gemacht?«

»Das ist eine gute Frage. Wie du weißt, wurden die Riesen in Europa fast vollständig ausgerottet. Dies geschah innerhalb kürzester Zeit und unter geringsten Verlusten, weil ein gewisser Albert Yellwick dafür ein Gerät zur Verfügung stellte, welches er einige Jahre zuvor entwickelt hatte. Dieses Gerät neutralisiert den Immunschutz der Riesen gegen Flüche und Zauber fast vollständig. Glücklicherweise befand sich dieses Gerät noch immer im Besitz des Ministeriums, von wo wir es in letzter Sekunde bekommen konnten.«

»Warum hat Yellwick ein solches Gerät erfunden? Ich verstehe das nicht.«

»Yellwick hat seine Frau durch einen Riesen verloren und wollte sich schlichtweg rächen. Er baute dieses Gerät und tötete mit dessen Hilfe über sechzig Riesen. Dies wurde schnell bekannt, und als man begann, die Riesen im großen Stil zu bekämpfen, bat man um seine Mithilfe.«

Es entstand eine lange Pause. Harry wußte nicht, was er sagen sollte, und Dumbledore wollte wohl im Moment nichts weiter sagen. Als er ein Geräusch auf der Treppe hörte, drehte er sich um. Die Tür ging auf, und Hermine kam zusammen mit Ron zu ihnen herüber. Mit nur zwei Metern Abstand folgte Professor Snape.

Sofort stand Harry von seinem Stuhl auf und lief zu seiner Freundin. Sie umarmten und küßten sich lange, fast so, als wären die anderen überhaupt nicht im Raum. Eigentlich waren sie das für Harry auch nicht, hielt er doch alles Wichtige in seinen Armen, und alles andere war mit einemmal uninteressant geworden. Mit seinen Fingerspitzen ertastete er jeden freien Zentimeter ihrer Haut und erkundete mit seiner Zunge die ihrige. Ein wunderschönes Gefühl ergriff Besitz von ihm, und nichts auf der Welt konnte diesen Moment zerstören. Diesen Moment, in dem er sich so komplett fühlte, so zufrieden … verstanden … geliebt.

Erst nach einer scheinbar endlosen Zeit vernahm er ein leises Räuspern und trennte sich leicht erschrocken von seiner Liebsten. Unsicher drehte er sich um und sah, daß Dumbledore drei weitere Stühle hatte erscheinen lassen, auf denen die anderen bereits Platz genommen hatten. Dagegen stand er mit Hermine im Arm ein wenig abseits, und aller Augen waren auf sie gerichtet.

Mit großer Mühe versuchte sich Harry von ihr trennen. Obwohl es ihm irrational erschien, spürte er tatsächlich einen körperlichen Schmerz, kaum daß er sich vollständig von ihr gelöst hatte. Ein wichtiger Teil schien ihm plötzlich zu fehlen, und er fühlte sich seltsam einsam. Zögerlich ging er zu einem der Stühle und setzte sich. Hermine nahm direkt neben ihm Platz und griff seine Hand. Dumbledore lächelte.

»Schön, daß ihr alle gekommen seid, dann kann ich nun fortfahren. Ich möchte mich wirklich bei euch bedanken. Ihr habt großen Mut bewiesen, und ich hätte nie zu träumen gewagt, welch große Unterstützung ihr für uns gewesen seid. Ich danke euch auch für die Opfer, die zu tragen ihr bereit wart, und ich hoffe inständig, daß sie es wert waren.« Er warf einen Blick zu Ron, der traurig ins Leere starrte. »Wir werden alle unser Möglichstes tun, um Voldemort zu finden, und ich möchte euch bitten, in meinem Namen auch der DA zu danken. Ich werde es zu einem späteren Zeitpunkt bei jedem einzelnen noch persönlich tun, im Augenblick fehlt mir dafür aber leider doch die Zeit.

Der Unterricht beginnt am Montag, den sechsten Januar. Alle Schüler außerhalb Hogwarts wurden von mir schriftlich darüber informiert. Auch die Slytherins kehren dann wieder hierher zurück. Professor Snape wird sie aus Durmstrang heimholen, damit sie Weihnachten bei ihren Familien verbringen können. Über Professor Snapes Rolle in dieser ganzen Angelegenheit solltet ihr ihnen gegenüber strengstes Stillschweigen bewahren, weiß doch keiner von ihnen, was wirklich passiert ist. Ihr drei solltet über Weihnachten hier im Schloß blieben – auch du, Hermine. Die Weasleys wohnen im Augenblick sowieso hier im Schloß, also könnt Ihr zusammen Weihnachten verbringen. Hermine und Ron haben inzwischen auch deine Sachen geholt, Harry, ihr müßt also nicht noch einmal in den Grimmauldplatz.

Die anderen Schüler reisen am vierten Januar an. Es sollte dann noch genügend Zeit sein, um ihnen alles, was sie unbedingt wissen müssen, zu erzählen. Auch wenn es euch schwerfallen sollte, bitte ich doch darum, den Schulunterricht mit aller Ernsthaftigkeit wieder aufzunehmen, nichts ist im Augenblick wichtiger für euch. Ihr könnt dann jetzt gehen.«

Die drei standen zögernd auf. Harry spürte, daß auch die beiden anderen mehr erwartet hatten, doch niemand sagte etwas. Professor Snape dagegen rührte sich nicht; er schien darauf zu warten, daß die drei das Büro verlassen würden. Langsam ging das Trio hinaus. Als sie vor den Wasserspeiern angekommen waren und sie die Treppe wieder verschlossen hatten, machte sich Ron als erster Luft:

»Ich verstehe nicht, daß er uns nicht mehr gesagt hat! Ich meine, wir haben schließlich unser Leben riskiert. Er hat selbst gesagt, wie hilfreich wir waren.«

Hermine sah ihn ernst an. »Es wird schon einen triftigen Grund geben. Bisher hatte er noch für alles seine Gründe, auch wenn wir sie oft nicht verstanden haben. Wenn er glaubt, wir wären soweit, wird er schon von sich aus anfangen.«

Harry sah beide an. »Für mich ist im Moment die wichtigste Frage, warum er jetzt so dringend Snape sehen will. Der kann ihm ja doch nicht mehr wie gewohnt helfen. Schließlich muß Voldemort spätestens jetzt wissen, daß Snape es war, der ihn verraten hat.«

»Von ›dringend‹ kann man aber nicht reden. Denk dran, der Kampf war vor zwei Tagen«, erwiderte Hermine mit gehobener Augenbraue.

Dagegen hatte Harry natürlich kein Argument mehr; daß er fünfzig Stunden geschlafen haben sollte, kam ihm noch immer seltsam vor, doch mußte er es akzeptieren. Anschließend schlug Hermine vor, zu Hagrid und den Riesen zu gehen, doch Ron wollte lieber zu Luna, weshalb sie sich am Fuße der Treppe trennten und er in der Großen Halle verschwand. Hermine und Harry wollten eigentlich wirklich zu Hagrid, machten aber einen Umweg über den Gryffindor-Turm.

Dort zeigte Hermine ihm die Artikel des Tagespropheten. Dieser hatte über den Kampf eine komplette Sonderausgabe veröffentlicht, und fast jede Einzelheit war darin enthalten. Harry war überrascht darüber, so viele spezielle Details zu finden, obwohl zum Beispiel über Snape nichts in all den Artikeln stand. Laut Hermine hatte Dumbledore höchstpersönlich alle wesentlichen Informationen an den Tagespropheten weitergeleitet, Problematisches aber weggelassen, auch um das Interesse der Öffentlichkeit zu befriedigen. In der Sonderausgabe stand auch, wie Harry und die DA eingegriffen hatten, was ihn ein wenig beschämte, doch Hermine erzählte ihm, daß Dumbledore es so gewollt hatte. Jeder sollte erfahren, daß die DA-Mitglieder als Helden gekämpft und als solche gestorben waren. Dies sollte ein Trost für die Eltern sein, deren Kinder im Kampf gefallen waren. Doch dieser Trost erschien ihm unbedeutend; er schämte sich, soviel Leid mitverschuldet zu haben, doch Hermine versuchte ihm klarzumachen, daß er niemanden gezwungen hatte:

»Jeder von ihnen war freiwillig dabei. Keiner macht dir einen Vorwurf, auch ihre Eltern nicht. Wenn, dann geben sie Voldemort die Schuld für alles – und er ist es auch, der die Schuld an allem trägt!«

»Du hast ja recht. Aber vielleicht hätte ich sie gar nicht erst in den Kampf führen dürfen. Ich bin mir nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung war.«

»Es war die einzig richtige Entscheidung! Auch Dumbledore ist absolut davon überzeugt, sonst hätte er es euch nicht so leicht gemacht, nach Hogwarts zu kommen. Opfer waren abzusehen, und ein jeder von uns war bereit, sie zu tragen. Warum akzeptierst du das nicht einfach?«

»Was meinst du damit, er hat es uns leicht gemacht?« fragte Harry verwirrt.

»Die Portschlüssel waren nicht zufällig Seile«, entgegnete Hermine mit einem Augenzwinkern, und Harry begriff. Natürlich hatte Dumbledore über den ganzen Plan Bescheid gewußt, wußte er doch fast immer alles, was irgendwo vor sich ging. Irgendwie fühlte sich Harry dumm, es nicht vorher begriffen zu haben.

»Ich weiß doch auch nicht, was mein Problem mit allem ist. Ich hatte zwar auch mit Toten gerechnet, aber … insgeheim hatte ich gehofft, daß wir es ohne schaffen würden«, sagte Harry und seufzte.

»Gehofft hat es jeder, daran geglaubt hat keiner, denke ich. Es ist insgesamt schon sehr gut gelaufen. Ich denke, daß es viel schlimmer hätte kommen können.«

»Was ist denn sonst noch passiert? Wissen deine Eltern schon, daß es dir gutgeht?« fragte Harry leicht besorgt.

»Ja, sie wissen Bescheid. Sie waren extrem erleichtert. Ich bin gestern kurz zwei Stunden bei ihnen gewesen und habe ihnen fast alles erzählt, was vorgefallen ist. Ein paar gefährliche Details hab' ich zwar weggelassen, aber im großen und ganzen wissen sie Bescheid. Ich möchte einfach nicht, daß sie sich übermäßige Sorgen machen, auch weil sie schon geglaubt hatten, daß ich tot wäre. Zuerst wollten sie mich gar nicht wieder zurücklassen. Zwei Monate sind ja auch eine lange Zeit, und auch wenn es mir in der Zeit gutging, muß es für euch doch schrecklich gewesen sein.«

»Kann ich gut verstehen, daß dich deine Eltern nicht gehen lassen wollten! Wir haben alle geglaubt, du wärst tot. Tief in mir hatte ich vielleicht noch Hoffnung, doch … ich weiß nicht … vielleicht auch nicht. Jedenfalls hab' ich dich wieder, und das ist für mich das wichtigste. Ich hoffe nur, daß sie dir wirklich nichts getan haben und du dich nur deshalb nicht erinnerst, weil sie deine Erinnerung manipuliert haben.« Die letzten Worte flüsterte Harry beinahe und sah besorgt aus.

»Mach dir deswegen keine Sorgen. Diese Möglichkeit hat Dumbledore auch in Betracht gezogen, und er persönlich hat sich davon überzeugt, daß nichts dergleichen passiert ist. Meine Gefangenschaft war tatsächlich ohne große Folgen für mich. Ich möchte nicht sagen, daß ich nicht schreckliche Angst hatte und vielleicht auch immer noch Angst habe, doch denke ich, daß ich damit klarkommen werde – und ich hab' ja auch immer noch dich.« Dabei küßte sie ihn zärtlich.

»Ja, du hast mich. Und ich hab' dich, wie ich sehe; und damit mußt du deine Eltern ja überredet haben, dich doch wieder gehen zu lassen«, sagte Harry nach dem Kuß und begann zu grinsen.

»Na ja. Ich habe meiner Mum von uns erzählt. Ich hab' ihr gesagt, daß ich dich liebe.« Bei diesen Worten wurde sie leicht rot. Harry gefiel das sehr, sie sah unglaublich niedlich so aus. »Ich habe ihr auch erzählt, daß es sehr gefährlich sein kann, dich zu lieben, und noch gefährlicher, wenn du einen liebst. Sie hat es aber verstanden und akzeptiert, denke ich, und das war mir sehr wichtig. Ich habe ihr aber nicht gesagt, was die Todesser und Voldemort mit mir vorhatten, das hätte vielleicht alles wieder verdorben. Trotzdem wollten sie mich erst gehen lassen, als ich ihr gesagt habe, wie sehr ich dich brauche und wie sehr du mich brauchst, um überhaupt leben zu können, und ich mußte ihr auch versprechen, noch viel vorsichtiger zu sein. Sie liebt meinen Vater nach all den Jahren noch immer mit ganzem Herzen und würde ihn auch niemals verlassen, was ihr die Entscheidung am Ende fast abnahm. Sie hätte nichts von mir verlangen können, wozu sie nicht selbst auch bereit gewesen wäre – und dazu wäre sie nicht bereit gewesen. Und Gott sei Dank hat sie dann mit meinem Dad geredet, bei ihm hätte ich es wohl schwerer gehabt.« Hermine lächelte jetzt ein wenig verlegen. Sie hatte die Wahrheit gesagt, dachte Harry. Er brauchte sie tatsächlich. Jetzt vielleicht noch mehr als jemals zuvor.

»Du hast recht! Ich brauche dich – ich brauche dich so sehr, und ich liebe dich!« antwortete er mit einem Lächeln und erkannte in ihren Augen, wie sehr sie sich darüber freute, daß er so offen mit seinen Gefühlen war. »Komm, laß uns zu Hagrid gehen. Ich will alles, was passiert ist, auch aus seiner Perspektive erfahren.«

Gemeinsam machten sie sich schließlich auf den Weg zu Hagrid. Sie verließen den Turm, gingen die Treppen hinunter, und sie erzählte ihm dabei, daß Remus Krummbein wieder mitgenommen hatte. Sie gingen durch das Tor, liefen langsam zu seiner Hütte und hielten sich den ganzen Weg über an den Händen. Dabei fragte er sie, was mit Ron los sei und warum er so traurig erscheine.

»Seit Charlie und Percy tot sind, geht's ihm nicht mehr so gut. Er selbst hatte, wie du weißt, als einziger keinen wirklichen Frieden mit Percy geschlossen; er wollte ihm damals nicht so leicht vergeben. Ich glaube, das macht ihm jetzt wirklich schwer zu schaffen. Seine Mum und Ginny haben schon beide länger mit ihm gesprochen, aber ich glaube nicht, daß es ihm geholfen hat.«

»Verstehe. Was ist mit Hagrid? Geht's ihm gut?«

Hermine fing an zu lächeln und zeigte in Richtung Hütte. Dort bog Hagrid gerade um die Ecke, und Fang war bei ihm. Harry lief sofort schneller, wollte er doch unbedingt von Hagrid hören, wie es ihm während der Schlacht ergangen war. Hermine hatte seine Hand losgelassen und kam ihm langsam hinterher. Schnell hatte er Hagrid erreicht, und er fand, daß dieser soweit ganz okay aussah. Zumindest sah er nicht schlechter aus als im letzten Winter, als er ständig von Grawp verprügelt worden war. Harry war wirklich erleichtert und fiel ihm um den Bauch; das hatte er vorher noch nie gemacht, doch er fühlte sich in dem Moment einfach danach.

Mit seiner riesigen Hand streichelte Hagrid ihm über den Rücken und erwiderte die Umarmung nicht so kräftig, wie Harry es gewohnt war. Sein Saurüde Fang bellte und sprang aufgeregt umher. Harry war so froh, daß Hagrid wirklich okay zu sein schien. Er blickte hoch in sein Gesicht, beide Augen waren feucht; sein Gesicht sah noch ein wenig angeschlagen aus. Der Riese sprach kein Wort. Statt dessen packte er Harry an der Schulter, zog ihn in seine Hütte und ließ die Tür für Hermine offen. Während Hagrid Tee zuzubereiten begann, setzte sich Harry an den Tisch.

»Ich muß mich bei dir bedanken, Harry«, sagte er von ihm abgewandt. Harry sagte nichts, wußte er doch, daß er es Hagrid damit viel leichter machte. »Wenn du nicht gekommen wärst, um die Dementoren zu vertreiben, ich weiß nicht, wie das ausgegangen wär'. Und dann haste auch noch Golgomath verkleinert. Guck dir mein Gesicht an. Möcht' nicht wissen, was passiert wär', wenn er mich mit seiner voll'n Größe erwischt hätt'. Wahrscheinlich wär' mein Gesicht zu Klump geschlagen, oder ich wär' sogar wie Gutamog gestorben.« Seine letzten Worte klangen elendig traurig.

Auch Hermine betrat die Hütte und setzte sich still an den Tisch. Ein wenig zögerlich stellte der Riese Tassen hin und gab jedem einen Löffel. Noch immer wollte Harry nichts sagen, wollte aber schon wissen, was mit den anderen Riesen passiert war. Immerhin wußte er bereits, daß Gutamog gestorben war, was für Hagrid schrecklich sein mußte. Harry wußte, daß Hagrid sehr an ihm gehangen hatte, und er rang mit sich, ob er weiterfragen sollte. Seine Neugier aber siegte.

»Wo sind die anderen? Wo ist Grawp?«

Hagrid sagte zuerst nichts. Als die Pause zu groß wurde und Hagrid noch immer mit dem Tee hantierte, durchbrach Hermines Stimme die Stille: »Grawp und vielen der anderen geht es ganz gut. Sie sind im Wald und ruhen sich aus. Allerdings gab es vier Tote. Bei den Sicherheitstrollen hat es leider noch mehr getroffen. Wie du weißt, hatten wir fünfundzwanzig von ihnen auf unserer Seite, davon sind neunzehn gestorben. Die, die übrig sind, werden im Moment von den Hauselfen gepflegt.«

»Tut mir wirklich leid um deine Freunde, Hagrid.«

»Is' ja nicht deine Schuld. Du hast dein Bestes gegeben. Wärst du nich' gewesen, wär'n wir sicher alle tot!« entgegnete Hagrid mit Nachdruck und lächelte. Es wirkte ein wenig gezwungen, doch Harry wußte, daß er es ehrlich meinte.

Sie unterhielten sich noch lange über den Kampf, und Harry ließ sich alles erzählen, was auf dem Schlachtfeld geschehen war. Mehrmals hatte Hagrid Tränen in den Augen, erzählte aber tapfer weiter, während auch Harry mehrmals den Tränen nahe war. Hagrid fand wohl, daß er es ihm schuldig war, ihm absolut alles zu erzählen, auch wenn es für ihn sehr schwer war. Harry unterbrach ihn nicht ein einziges Mal. Auch Hermine lauschte interessiert den Erzählungen, obwohl Harry sicher war, daß sie fast alles davon schon wußte.

Anschließend war Harry an der Reihe. Auch er ließ kein Detail aus, egal wie schmerzhaft es war. Er erzählte sogar davon, wie Hermine ihn vor den Dementoren gerettet hatte. Dies war ihm noch immer irgendwie peinlich, allerdings dachte sich Harry, wem sonst sollte er es erzählen, wenn nicht seinen besten Freunden.

Viele Stunden saßen sie nun schon zusammen am Tisch und hatten einen Tee nach dem anderen getrunken. Fang schlief inzwischen in seinem Korb, als Hagrid ihnen von den Gespenstern erzählte und daß sie soweit alle in Ordnung wären, was Harry erleichterte. Fudge hatte sie einzeln einfangen lassen und man hatte viele Stunden gebraucht, um alle wieder aufzutauen.

Schließlich verabschiedeten sie sich voneinander, und Harry und Hermine gingen wieder zurück ins Schloß. Es war schon nach halb fünf, und Hagrid wollte unbedingt noch einmal in den Wald, um nach den Riesen sehen, wozu Harry aber keine Lust mehr hatte. Die beiden gingen hoch in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, wo sie sie auf viele der DA Mitglieder trafen; auch einige aus den anderen Häusern waren anwesend.

In trauter Zweisamkeit fand er Ron und Luna vor, die zusammen auf einer abgelegenen Couch saßen. Sie schien Ron aufheitern zu wollen, glaubte Harry doch nicht, daß sie ihr komisches Paar orangefarbener Radieschenohrringe aus einem anderen Grunde tragen würde. Sie paßten überhaupt nicht mehr zu ihrem neuen Outfit, und Ron schien auch schon nicht mehr ganz so niedergeschlagen wie noch vorhin.

Auch William, Dean, Neville und Ginny hockten in der Ecke am Kamin und unterhielten sich leise. Nach und nach bemerkten ihn alle und wandten ihm ihre Aufmerksamkeit zu. Da Harry ihnen sowieso einiges sagen wollte, schickte er ein paar von ihnen los, die noch fehlenden Mitglieder zum DA-Raum zu bringen, da dort für alle mehr Platz war. Zusammen mit den anderen machte er sich dann auf den Weg zum Treffpunkt.

Als erster betrat Harry den Raum. Ihm folgten alle, die mit ihm aus dem Gemeinschaftsraum der Gryffindors gekommen waren, und nach und nach trafen dann auch die Mitglieder der anderen Häuser ein. Alle setzten sich auf die Kissen am Boden, während sich Harry vor sie stellte und jeden von ihnen kurz ansah. Er berichtete ihnen alles, was Dumbledore ihnen erzählte hatte, vor allem, wie dankbar er ihnen war.

Anschließend sagte er ihnen noch, wie unglaublich stolz er selbst auf einen jeden einzelnen von ihnen war, und dankte ihnen für ihr Vertrauen. Gemeinsam gedachten sie der vielen Toten mit einer kurzen Schweigeminute, was eine wunderbare Idee von Ginny gewesen war. Sie bekräftigten, die Toten niemals zu vergessen und ihr Andenken in Ehren zu halten, ehe Harry auf Gregory zu sprechen kam. Dieser saß bisher ein wenig abseits und war nicht nur sehr still, er mied auch die Blicke aller anderen. Alle lauschten nun aufmerksam Harrys Worten:

»Ich denke, wir sollten Gregory Goyle heute bitten, der DA beizutreten. Er hat sich eindeutig von den Todessern und ihren Zielen losgesagt und sein Leben im Kampf gegen Voldemort riskiert. Er verlor seinen Vater und seinen besten Freund durch die Hand der Feinde, und ich hoffe, wir können ihm gemeinsam das nötige Vertrauen schenken, welches wir für eine Aufnahme benötigen. Wir würden uns glücklich schätzen, wenn du uns von nun an offiziell unterstützen würdest, wobei auch du dich noch einer Prüfung mit einem Wahrheitsserum zu unterziehen hast, welche allerdings nicht mehr heute stattfinden wird.«

Einige wenige begannen nun zu klatschen, bis es schnell ein paar mehr waren. Gregory schien überrascht und stimmte gerührt zu. Danach kamen sie auf die bevorstehenden Feiertage zu sprechen, und die meisten berichteten davon, über Weihnachten in Hogwarts bleiben zu wollen. Nur die wenigsten wollten nach Hause, denn es war zu erwarten, daß ihre Eltern sie mit Vorwürfen überhäufen würden; vor allem Parvati wollte und konnte sich noch nicht wieder vor ihren Eltern blicken lassen, was Harry nur zu gut verstehen konnte. Hinterher erfuhr er von Hermine, daß etliche Eltern Heuler geschickt hatten, und unter ihnen war auch Parvatis Mutter gewesen. Sie gab ihrer Tochter die Schuld am Tod von Padma, auch wenn es bei näherem Hinsehen keineswegs so war. Parvati selbst schien den Tod ihrer Schwester gut wegzustecken, und Harry hoffte inständig, daß sie es nicht nur vortäuschen würde. Er bat Ginny, doch einmal allein mit ihr zu sprechen, da sie vielleicht eine Schulter zum Ausweinen brauchen könnte. Sollte sie Hilfe benötigen, sollte Ginny ihm sofort Bescheid geben, er würde sich dann persönlich der Sache annehmen, das war er ihr schuldig.

Im Anschluß ging Harry mit Hermine und einigen anderen noch auf den Krankenflügel. Auf diesem lagen vier weitere verletzte DA-Mitglieder, und auch ihnen wollte er einiges mitteilen. Eine halbe Stunde sprach er mit den vieren, die inzwischen schon fast wieder hergerichtet waren. Nicht mehr lange, und sie könnten den Krankenflügel verlassen, wie sie ihm begeistert erzählten. Am liebsten wäre Harry direkt danach zum St.-Mungo-Hospital aufgebrochen, denn dort gab es noch drei weitere Mitstreiter, deren Zustand zwar relativ kritisch, aber glücklicherweise nicht mehr lebensbedrohlich war. Auch mit ihnen wollte er gern sprechen, doch Professor McGonagall bestand darauf, daß kein Schüler Hogwarts verließ, egal aus welchem Grunde auch immer. Gerade die Schwerverletzten hätten seiner Meinung nach seine Aufmerksamkeit am allermeisten verdient, doch beugte er sich den Anweisungen seiner Hauslehrerin. Einige der Ordensmitglieder würden regelmäßig im Krankenhaus vorbeischauen und auch Genesungswünsche überbringen, weshalb sich Harry dann schweren Herzens damit zufriedengab.

Die folgenden zwei Tage verliefen ziemlich ereignislos. Für Harry blieb nicht viel zu tun, und so verbrachte er viel Zeit mit Hermine und seinen Freunden. Auch Fred und George schauten kurz vorbei, blieben aber nicht lange. Seit ihre Mutter praktisch im Schloß wohnte und ihr Vater nach der Arbeit im Ministerium seine Zeit ebenfalls für gewöhnlich im Schloß verbrachte, ließen sich die beiden wieder häufiger blicken. Allerdings waren sie nicht besonders gut gelaunt, war doch auch ihnen der Verlust zweier Brüder deutlich anzumerken, vielleicht sogar noch mehr als Ron. Fred und George waren im Moment jedenfalls nicht zu Scherzen aufgelegt, obwohl sie im Vergleich zu vielen anderen noch wie wahre Stimmungskanonen durch die Gegend liefen. Ihr Laden, so hatten sie Hermine erzählt, lief im Augenblick trotz des Weihnachtsgeschäftes nicht sonderlich gut. Den Leuten wäre momentan halt nicht nach Scherzen zumute, hatte ihnen Hermine gesagt, und wahrscheinlich hatte sie damit recht.

Harry war die ganze Zeit über ungewöhnlich still. Er sprach nur das Nötigste, und auch fast nur dann, wenn er direkt angesprochen wurde. Er war rast- und ruhelos und brauchte Ewigkeiten, um einzuschlafen, und auch dann war die Nacht nie besonders erholsam. Er träumte immer wieder von Voldemort, Malfoy und Hermine, und einzig einige der Träume mit Hermine in der Hauptrolle waren angenehm; die meisten aber waren echte Alpträume. Obwohl Harry die Intensität seiner Okklumentikübungen wieder deutlich verstärkt hatte, konnte er die Träume nicht fernhalten. Auch seine Narbe tat praktisch ununterbrochen weh. Mal war es leicht zu ertragen, ab und zu aber war es praktisch nicht auszuhalten.

Trotz allem verflog die Zeit bis Weihnachten förmlich. Er hatte Hedwig nun schon zwei Wochen lang nicht besucht und fühlte sich deswegen etwas schuldig, mußte aber noch etwas Wichtiges vorbereiten. Obwohl er fast ständig müde war, verbrachte er einen ganzen Nachmittag mit Recherchearbeiten allein in der Bibliothek und suchte nach einem Zauber für Hermines Weihnachtsgeschenk. Auch mit Remus verbrachte er kurz vor Weihnachten einige Stunden allein, wobei er ihm genau beschrieb, was er Hermine schenken wollte. Er selbst durfte Hogwarts nicht verlassen, weshalb er Remus bat, für ihn in Hogsmeade einkaufen zu gehen, was dieser überaus gern übernahm. Einen anderen Nachmittag verbrachte Harry zusammen mit Moody. In Sachen Weihnachtsgeschenk hatte Harry den alten Haudegen um einen wichtigen Rat gebeten, und auch er hatte seine Hilfe angeboten.

Die Zeit bis Weihnachten verging trotzdem einfach zu schnell. Harry hatte Hermines Geschenk zwar gerade noch fertigbekommen, doch insgesamt kam es ihm so vor, als ob er einfach nicht genug Zeit für alles andere hatte, woran er teilweise aber auch selbst schuld gewesen war. Er verschlief die meisten Vormittage, weil er wirklich erholsamen Schlaf nur in Hermines Armen fand. Als Weihnachten schließlich gekommen war, war Dumbledore schon wieder fünf Tage am Stück fort gewesen, weshalb sich Harry schon leichte Sorgen um ihn gemacht hatte.

Als er schließlich noch vor Ron am Weihnachtsmorgen aufwachte, fand er am Fußende seines Bettes viele schön verpackte Geschenke vor, war aber trotzdem nicht so recht in Weihnachtsstimmung. Auch diese Nacht hatte er wieder schreckliche Alpträume gehabt, und er fühlte sich absolut mies. Diesmal hatte er aber nicht von Voldemort oder Draco geträumt, sondern einen Traum über die Kammer des Schreckens gehabt. Er war allein in ihr gefangen und konnte nicht aus ihr entkommen; er mußte sich von Ratten ernähren und wurde mit den Jahren alt und grau und starb irgendwann einsam und dem Wahnsinn verfallen. Obwohl der Traum schrecklich war, konnte er ihm immer noch mehr abgewinnen als dem Traum über Hermine, in dem sie sich in Voldemort verwandelt hatte.

Müde kroch er aus dem Bett und packte als erstes Hagrids Geschenk aus. Es waren alle nur erdenklichen Süßigkeiten aus Fred und Georges Laden, selbstgebackene, steinharte Plätzchen und auch ein Kuchen. Als nächstes war Rons Geschenk an der Reihe. Es war ein neues Kartenspiel, ebenfalls aus dem Sortiment von Fred und George. Wenn man bei diesem Spiel verlor, verwandelte man sich in die Tiere oder Gegenstände auf seinen Karten, die man zum Zeitpunkt der Niederlage noch auf der Hand hatte, wie Harry der Anleitung entnehmen konnte. Ebenfalls bekam er von Ron eine besondere Auswahl an Süßigkeiten, die er aber lieber nicht probieren wollte. Als nächstes packte er den obligatorischen Pullover von Molly aus. Er war diesmal vierfarbig und hatte als Symbol einen großen Kreis auf der Brust, in dem alle vier Hauswappen eingestickt waren. Natürlich bekam er auch wieder einige Kuchen und Pasteten, die wirklich lecker aussahen.

Von Arthur Weasley bekam Harry eine Taschenuhr und wunderte sich darüber, daß er zum ersten Mal ein besonderes Geschenk von ihm bekommen hatte. Sie schien schon sehr alt zu sein, und als er sie öffnete, sah er unmittelbar eine Widmung. Sie galt einem gewissen Ignatius Percy Weasley, von dem Harry niemals zuvor gehört hatte. Er würde Arthur bei Gelegenheit nach der Herkunft der Uhr fragen müssen und blickte sich um. Er erspähte ein weiteres Geschenk, und es war von Dobby. Er hatte Dobby jetzt schon fast drei Monate lang nicht gesehen und beschloß augenblicklich, ihn noch vor Neujahr besuchen zu gehen. Neville erwachte.

»Morgen, Harry! Frohe Weihnachten!« wünschte ihm dieser noch relativ verschlafen, bevor er aufsprang und sich sofort an seinen Geschenken zu schaffen machte. Harry sah, wie Neville als erstes einen neuen Schlafanzug auspackte, den er seinen Kommentaren nach von seiner Oma bekommen hatte.

Gut gelaunt packte Harry nun Dobbys Geschenk aus. Es war eine wirklich schöne Wintermütze, und er setzte sie sogleich auf, was ihn dazu veranlaßte zu schmunzeln. Bisher waren Dobbys Geschenke nicht besonders nützlich gewesen, dieses aber war echt klasse, und er freute sich wirklich darüber.

Überrascht vermißte er ein Geschenk von Hermine, war sich aber schnell sicher, daß sie es ihm wohl persönlich übergeben würde, so wie er es auch mit ihrem Geschenk vorhatte. Erst jetzt sah er, daß Ron wach war und ihn anlächelte.

»Frohe Weihnachten, Harry!« wünschte Ron, der nun mit Eifer seine Geschenke auspackte und mit dem von Harry begann.

»Danke, wünsch' ich dir auch. Und ich danke dir auch für das Spiel, wird sicher noch für einige Lacher sorgen!« erwiderte Harry noch fröhlicher und räumte das Papier in den Mülleimer.

»Da kannste einen drauf lassen. Fred hat gesagt, das wäre momentan ihr absoluter Renner!« Ron sah sich sein Geschenk an. »Boah! Und danke für dein Geschenk. Echt klasse! Zwei Karten für ein Ligaspiel der Chudley Cannons, die hab' ich noch nie live gesehen. Genial! Schade, daß es erst in der zweiten Woche im August ist. Aber vielleicht können wir ja zusammen gehen.«

»Klar. Wir gehen zusammen mit Luna und Hermine. Ich habe für uns auch zwei Karten besorgt, und Dumbledore hat mir versprochen, daß wir hingehen können. Ich hätte auch ein früheres Spiel genommen, aber wir können ja nur in den Ferien hin, und während der Osterferien haben sie leider spielfrei.«

Harry ging zu seiner Kiste und holte ein kleines, hübsch verpacktes Geschenk heraus; es war für Hermine. Vor ihrer Rückkehr hatte er noch kein Geschenk für sie besorgt, da er nur wenig Hoffnung gehabt hatte, Weihnachten mit ihr zusammen feiern zu können; doch kaum war sie wieder dagewesen, hatte er viel Zeit darauf verwandt, nach einem passenden Geschenk zu forschen. Immerhin war es das erste Geschenk, das er ihr als seiner Freundin machte, und es war das bisher wichtigste Geschenk, das er überhaupt jemandem machen wollte.

Ohne weitere Zeit zu verschwenden, wollte er nun hinunter in den Gemeinschaftsraum, um dort auf Hermine zu warten, ehe sie dann gemeinsam zum Frühstück gehen würden. Schnell zog er sich an und wünschte Seamus und Dean, die gerade erwachten, frohe Weihnachten, bevor er aus der Tür eilte.

Nervös ging er in den noch leeren Gemeinschaftsraum und setzte sich an den herrlich warmen Kamin. Es dauerte nur einige Minuten, bis Ginny und Luna herunterkamen und sich beide zu ihm setzten. Sein Blick fiel auf die Geschenke in ihren Händen: Ginnys Geschenk war eher klein, während Lunas ziemlich groß und flach war. Beide machten auf Harry einen ausgesprochen nervösen Eindruck, und beide hatten sich offenbar auch – ein wenig mehr als sonst – herausgeputzt. Ginny war wirklich schön geworden, Neville hatte echt Glück mit ihr, dachte er bei sich und betrachtete dann Luna genauer. Auch sie wirkte viel hübscher, als Harry sie je gesehen hatte. Sie hatte seidig blonde Haare, die sie in einem geflochtenen Zopf trug, der aber einige Strähnen in ihr Gesicht fallen ließ, wovon sie ein paar hinter ihr Ohr strich. Sie lächelte verträumt, und ihre großen Augen blickten in das Kaminfeuer.

Alle drei hatten sich zwar frohe Weihnachten gewünscht, waren ansonsten aber still und saßen nervös da. Endlich kam Neville herunter. Er hatte ein kleines Kästchen in der Hand und ging damit direkt zu Ginny; diese war bei seinem Anblick sofort aus dem Sessel aufgesprungen und ging steif auf ihn zu. Beide umarmten sich etwas zu förmlich, und Ginny gab Neville einen Kuß auf den Mund, was diesen sofort rot werden ließ. Sie tauschten mit zitternden Händen ihre Geschenke und gingen, ohne ein einziges Wort zu verlieren, in eine weiter entfernte Ecke.

Obwohl er es versuchte, konnte Harry nicht erspähen, was sie sich geschenkt hatten, und mußte somit hoffen, es später aus Neville herauskitzeln zu können. Als nächstes tauchten Dean und Seamus einige Minuten später auf. Die beiden verließen allerdings gleich den Gemeinschaftsraum und verabschiedeten sich schon einmal in Richtung Frühstück. Ron kam kurz danach herunter, nur zwei Minuten nach Dean und Seamus. Er hielt ein größeres Geschenk in den Händen, welches nur für Luna sein konnte; es handelte sich um ein Buch, wie Ron ihm schon vor zwei Tagen verraten hatte.

Luna zerfetzte begeistert das Geschenkpapier, und zum Vorschein kam ein dicker Wälzer, dessen Titel sie laut vorlas: »Mysteriöse und gefährliche Kreaturen unserer Zeit, von George F. Hincapie. Ich danke dir, Ronald. Mach jetzt dein Geschenk auf.«

Die kleine Ravenclaw strahlte vor Freude über ihr ganzes Gesicht, als sich Ron über sein Geschenk hermachte. Zum Vorschein kam ein großer Rahmen, und auf den ersten Blick sah es für Harry wie ein großes Bild aus; dafür schien Ron allerdings ein wenig zu konzentriert und zu lange darauf zu schauen, und so kam Harry schnell zum Schluß, daß es wohl doch etwas mehr sein mußte. Interessanterweise lief Ron leicht rot an und begann verschämt zu grinsen. Die Neugier packte Harry jetzt, und er fragte sich wirklich, was es für ein Geschenk war – er mußte es später unbedingt aus Ron herausquetschen.

Auch einige andere Gryffindors verließen den Gemeinschaftsraum, jedoch nicht, ohne ihn kurz zu grüßen und ihm frohe Weihnachten zu wünschen. Kaum blickte Harry wieder zu Ron, konnte er mit ansehen, wie er und Luna sich lange und erstaunlich zärtlich küßten, was Harry seinem Freund kaum zugetraut hätte; schien dieser doch immer ein wenig grobmotorisch veranlagt zu sein. Zudem hielt er sich gewöhnlich zurück, was Zuneigungsbekundungen in der Öffentlichkeit anging, doch schien er sich unter seinen Freunden sicher genug zu fühlen. Ron verschwand kurz in seinen Schlafsaal – vermutlich, um sein Geschenk wegzulegen –, während Luna zu Hermine hochzugehen schien. Augenblicke später kamen sie schon zurück, und Luna blickte Harry genau in die Augen. Sie hatte ein verträumtes Lächeln im Gesicht und flüsterte Ron etwas ins Ohr.

»Hermine kommt gleich. Sie versucht sich zu beeilen. Geh auf keinen Fall weg. Ron und ich gehen dann schon mal vor, wir sehen uns beim Frühstück.«

»Jo, bis gleich, Kumpel!« sagte Ron noch schnell und fing wieder an zu grinsen. Harry wußte nicht genau, wie er es deuten sollte, aber seine Vorfreude wuchs. Hand in Hand verließen seine beiden Freunde den Gemeinschaftsraum und gingen hinunter zum Frühstück, wobei Ron nun Lunas Buch trug.

Auch Ginny und Neville kamen wieder aus der Ecke heraus, verabschiedeten sich von Harry. Auch sie gingen zum Essen, sahen dabei überaus glücklich und auch wieder etwas entspannter aus. Kurz danach verließen auch die letzten die Gryffindor-Räume: Parvati, die ein wenig niedergeschlagen aussah, und Lavender, die versuchte, sie aufzumuntern.

»Du sollst auf jeden Fall hier warten, Harry! Hermine beeilt sich«, sagte Lavender kurz angebunden und verschwand mit ihrer besten Freundin.

Jetzt waren nur noch Harry im Gemeinschaftsraum und Hermine in ihrem Schlafsaal, alle anderen waren schon beim Essen. Langsam wurde er richtig nervös. »Warum braucht sie nur so lange?« fragte er sich leise.

Überlegte sie, was sie ihm sagen sollte? Harry wußte es nicht, und das Spekulieren machte das Warten nicht leichter. Er starrte noch einige Minuten die Stufen zu den Mädchenschlafsälen hinauf, bis er plötzlich etwas hörte. Das mußte Hermine sein, dachte er und blickte gebannt nach oben. Langsam kam sie die Stufen herunter. Harrys Mund klappte auf. Noch nie hatte seine Freundin so atemberaubend schön ausgesehen. Sofort bemerkte er, daß sie ihr Haar mit Seidenglatts Haargel behandelt haben mußte, da es nun nicht mehr buschig wie gewöhnlich, sondern genauso geschmeidig und glänzend war, wie sie es am Abend des Weihnachtsballes getragen hatte. Ihr Haar war in einem niedlichen Pferdeschwanz gebunden, der von einer kleinen Haarspange in Engelsgestalt gehalten wurde, die Harry aber erst etwas später sehen konnte. Einige Strähnen umrahmten ihr wunderschönes Gesicht, wovon sie ein paar mit der linken Hand hinter ihr Ohr strich und damit Lunas Geste kopierte. Machen Frauen das mit Absicht? Wollen sie die Männer damit verrückt machen, fragte er sich, als ihm bewußt wurde, wie stark diese Geste wirkte.

Sie trug einen sehr schönen Umhang, dessen Stoff aus nadeltannen-grüner Seide zu bestehen schien. Darunter trug sie ein tief ausgeschnittenes Kleid, welches ebenfalls grün, aber ein wenig heller war. Es betonte ihr Dekolleté wunderbar und ging ihr nur bis knapp über ihre Knie. Ihre Schuhe waren halbhoch und ebenfalls grünlich, konnten seinen Blick aber nur mühsam von ihrer Brust ablenken. Sie bewegte sich in ihnen unglaublich anmutig, während sie sich wie eine Raubkatze an ihn anschlich. Sie trug ein nur hauchzartes Make-up, welches man nur bemerkte, wenn man genau wußte, wie sie ohne aussah, und lächelte ihn nervös an. An ihren Ohrläppchen baumelten kleine Ohrringe, die Harry noch nie an ihr gesehen hatte, und an ihren Enden befanden sich wohl kleine Diamanten; diese waren sehr klein, schimmerten und glänzten gleichwohl hell und schienen absolut makellos zu sein.

Harry konnte nicht sprechen, während ihm langsam immer wärmer wurde, was mit Sicherheit nicht am Kaminfeuer lag. Ihre Erscheinung war einfach nur perfekt. Er hielt sein Geschenk in seinen leicht zitternden Händen und wartete einfach, da er zu mehr auch gar nicht imstande war. Bei ihrem atemberaubenden Anblick war es ihm ein wenig peinlich, sich selbst nicht besonders herausgeputzt zu haben, doch konnte er das jetzt nicht mehr ändern.

Hermine hielt ihren rechten Arm hinter ihrem Rücken versteckt, während Harry endlich die Kraft fand aufzustehen. Schnell stand sie nur noch wenige Zentimeter vor ihm und tauschte die Hände hinter ihrem Rücken. Sie griff mit ihrer rechten Hand seinen linken Arm und holte einen kleinen Mistelzweig mit einer winzigen roten Schlaufe und einer kleinen Glocke hinter ihrem Rücken hervor. Langsam hob sie ihn über ihre Köpfe und lächelte dabei verliebt. Immer näher kam sie ihm mit ihrem wunderschönen Gesicht, bis Harry endlich wieder in die Wirklichkeit zurückfand und seinen weit geöffneten Mund ein wenig schließen konnte.

Zögernd, mehr als zärtlich, begann die Berührung ihrer Lippen, ehe sie miteinander verschmolzen und er den schönsten Kuß seines Lebens erhielt. Liebevoll steigerten beide die Intensität des Kusses, der ewig zu dauern schien, was trotzdem noch immer nicht lang genug war. Harry schien zu schweben, als er Hermine näher an sich heranzog und mit seiner Zunge über ihre Lippen strich. Sein Herzschlag verdoppelte sich. Nur einen Augenblick später hatte sie ihre Lippen weit genug geöffnet und erlaubte ihm den Einlaß in ihren Mund. Ihre Körper waren ineinander verschlungen, und Harry streichelte mit der linken Hand sanft über ihren Rücken. Ihre Zungen berührten sich und begannen einen Tanz, der Stromstöße durch Harrys ganzen Körper jagte, während eine Million Schmetterlinge aufgeregt in seinem Bauch umherflogen. Sie schmeckte nach Minze und nach etwas, was er nur als Hermine bezeichnen konnte; niemals zuvor hatte er etwas Besseres gekostet. Immer intensiver und leidenschaftlicher wurde der Kuß, ehe sie nach beinahe zwei Minuten atemlos voneinander ablassen mußten, da beide das Luftholen vergessen hatten. Obwohl er sich nichts sehnlicher wünschte, als den Kuß sofort fortzusetzen, zwang sich Harry ihr erst einmal sein Geschenk zu überreichen.

»Ich wünsche dir fröhliche Weihnachten«, hauchte er ihr zu, während sich seine Atmung langsam wieder normalisierte und sein Herzschlag noch schneller wurde.

Sie nahm sein kleines Geschenk mit leuchtenden Augen entgegen und entfernte vorsichtig das Papier. Aufgeregt öffnete sie die kleine schwarze Box, die zum Vorschein kam. Eine Kette, mit einem kleinen, goldenen, herzförmigen Anhänger, der wunderschön glitzerte, sprang ihr förmlich ins Auge. In das Herz war ein winziger grüner Smaragd eingearbeitet, der für seine Augen stehen sollte. Die Kette war sehr fein gearbeitet und mit einem extravaganten Verschluß ausgestattet. Harry war Remus für dieses Geschenk unglaublich dankbar. Zwar hatte er ihm seine Vorstellungen, so gut es ging, beschrieben, doch hätte er nie erwartet, daß Remus seinen Geschmack so unglaublich gut treffen könnte. Zitternd reichte sie ihm die die Kette zurück und hob ihren Pferdeschwanz zur Seite. Sie erwartete offensichtlich, daß er ihr die Kette anlegte, worauf sich Harry schon sehr gefreut hatte. Langsam ging er um sie herum, legte ihr von hinten sein Geschenk an und streichelte dabei mit seinen Fingern ihren Nacken. Die Kette schmeichelte ihrem herrlichen Hals, und er küßte sie liebevoll einige Male. Er spürte einen wohligen Schauer bei ihr, ehe sie sich umdrehte.

Wieder küßten sie sich. Erneut stieg eine angenehme Wärme in ihm auf, und mit einem Schlag waren all seine Sorgen verschwunden. Seitdem sie wieder in sein Leben zurückgekehrt war, fühlte er sich fast wie neugeboren, und die Zeit ihrer Entführung hatte er schon fast wieder vergessen. Viele Gespräche zwischen den beiden hatten zusätzlich dazu beigetragen, daß sie diese schlimme Periode ihres Lebens hinter sich lassen konnten. Hermine ging es so gut wie selten zuvor im Leben, und auch Harry konnte seine nächtlichen Alpträume durch ihre Liebe viel leichter ertragen. Immerhin fand er doch tagsüber in ihren Armen den Schlaf, der ihm nachts verwehrt blieb. Harry war in diesem Moment wirklich glücklich.

»Die Kette und der Verschluß sind ohne einen ganz speziellen Zauber nicht zu zerstören, du kannst sie also niemals verlieren. Die Kette allein ist aber noch nicht das ganze Geschenk«, sagte Harry schmunzelnd. Er griff den herzförmigen Anhänger. Zart hob er ihn von ihrer weichen Haut und öffnete ihn, so daß Hermine die Inschrift auf der linken Seite lesen konnte. »Mein Herz gehört auf immer Dir«, stand darauf. Sie lächelte verliebt. »Es gibt da noch etwas mehr.« Die Vorfreude war überwältigend. Zärtlich nahm er ihre rechte Hand von seiner Hüfte und hob sie nach oben. Er griff die Spitze ihres Zeigefingers und legte sie sanft, nur für einen kurzen Augenblick, auf die rechte Innenseite des Herzens. Anschließend ließ er ihre Hand wieder los und schloß den Anhänger, den er sogleich zurück auf ihr Dekolleté gleiten ließ. Dabei riskierte er einen kleinen Blick hinein und verriet sich ungeschickterweise sofort mit einem dummen Grinsen. Kaum blickte er ihr wieder ins Gesicht, verschwand das Grinsen sofort und wurde von einem schlechten Gewissen ersetzt.

»Gefällt dir, was du siehst?« fragte sie, begann kokett zu lächeln und schien ihm den Ausrutscher Gott sei Dank nicht übelzunehmen.

»Ich habe selten etwas Schöneres gesehen«, antwortete er beinahe flüsternd, während er in seinen Umhang griff und seinen Zauberstab hervorholte. Er vibrierte stark. Harry küßte sie kurz, während sie ihn mit erstauntem Gesicht anblickte. »Finite Vibrate!« Das Vibrieren endete sofort. »Dafür hab' ich einen halben Tag in der Bibliothek zugebracht, aber es hat sich gelohnt, oder?« Wieder grinste er, diesmal aber nicht dümmlich. »Aber auch das ist noch nicht alles! Du erinnerst dich an den Vier-Punkte-Zauber, den du mir gezeigt hattest? Natürlich tust du das!« Er mußte noch mehr grinsen. »Bei dieser Sache hatte ich Hilfe von Mad-Eye. Ohne ihn wäre es mir wahrscheinlich nicht gelungen. Indicate Hermine!« Fast gleichzeitig mit seinen Worten warf er seinen Zauberstab in die Luft.

Der Stab stoppte seinen Fall plötzlich in Hüfthöhe und schwebte einfach im Raum. Langsam richtete sich seine Spitze in Richtung Hermine aus. Ihr Mund klappte auf. Erleichtert freute er sich, daß er sie so erfolgreich verblüfft hatte, was nun wirklich nicht leicht war. Harry hatte seinen Zauberstab dazu gebracht, ihm anzuzeigen, in welcher Richtung sich Hermine befand. Der Stab hob nun einmal kurz die Spitze und senkte sie ganz langsam wieder.

»Wahnsinn«, flüsterte sie.

»Er kann mir sogar anzeigen, wie weit du weg bist. Bist du so nahe wie jetzt, hebt er die Spitze nur kurz. Um so weiter du weg sein solltest, um so öfter und schneller hebt und senkt er sich.« Harry griff seinen Zauberstab aus der Luft und steckte ihn wieder in seinen Umhang. Er war glücklich, und sie schien absolut perplex über sein Geschenk zu sein. »Solange du diesen Anhänger trägst, werde ich dich immer finden. Der Zauber ist so speziell auf dich abgestimmt, daß selbst Voldemort ihn nicht blocken kann, solange er nichts davon weiß. Man kann dir die Kette auch nicht einfach abnehmen. Es liegt ein komplizierter Zauber darauf, der es keinem Todesser ermöglicht, sie überhaupt zu sehen. Fast so was wie der Fidelius-Zauber. Ohne Mad-Eye wär mir auch das niemals gelungen.« Sie umarmten sich, und Harry wollte sie nicht mehr loslassen.

»Ich danke dir für dein wunderschönes Geschenk. Ich werde es immer tragen!« Noch einmal küßten sie sich lange und zärtlich, während Harrys Herz aus seinem Brustkorb zu springen drohte. »Ich danke dir sehr, Harry. Ich hoffe, daß dir mein Geschenk auch gefällt, auch wenn es mit deinem nicht mithalten kann.« Sie flüsterte diese Worte nur. Wieder küßte er sie.

»Und wie es mir gefällt! Du hättest mir nichts Schöneres schenken können. Ich wäre fast erblindet, so sehr hat mich deine Schönheit geblendet!« Er gab ihr einen weiteren Kuß. »Nichts und niemand auf der Welt könnte je gegen dich bestehen, denn deine Schönheit setzt deinem unglaublichen Verstand die Krone auf. Ich liebe dich so sehr.« Harry hatte feuchte Augen, während er diese Worte sprach. Er spürte, daß sein Kompliment sie tief im Herzen getroffen hatte, denn sie wirkte auf ihn so glücklich wie noch nie zuvor.

»Ich liebe dich auch«, sagte sie ebenfalls mit feuchten Augen und küßte ihn erneut, während sie ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihn so nah und fest an sich drückte, daß er ihre weichen Brüste deutlich auf seiner Brust spüren konnte. Harry hatte leichte Schwierigkeiten, seine Hände nicht an Stellen wandern zu lassen, die ihr vielleicht unangenehm sein könnten, ehe sie sich widerwillig voneinander trennten.

Gemeinsam verließen sie Hand in Hand den Gemeinschaftsraum durch das Porträtloch und gesellten sich zu den anderen zum Frühstück. Die ganze Zeit über hatte Harry nur Augen für Hermine, und es fielen ihm keine Worte ein, die er ihr noch hätte sagen können, so sprachlos war er. Den Aufwand, den sie betrieben hatte, um sich zu verschönern, hatte sich wahrlich gelohnt, dachte er, während er sie verliebt anlächelte. Natürlich liebte er sie und ihre Schönheit auch dann, wenn sie ganz normal aussah, aber heute war es einfach noch einmal etwas Besonderes.

Als sie unten ankamen, konnten sich ihre Augen an der dezent weihnachtlich geschmückten, aber doch großartig aussehenden Halle erfreuen. Kaum waren sie eingetreten, sah er, wie sich viele Augenpaare nach ihnen umblickten und er viele lächelnde und auch ein paar ungläubig staunende Gesichter erblicken konnte.

Von den Schülern waren nur DA-Mitglieder anwesend, und einige von ihnen begannen leise zu tuscheln. Es waren nicht mehr als dreißig, da eine größere Anzahl dann doch lieber mit ihren Familien feiern wollte und ein paar andere auch immer noch im St.-Mungo-Hospital waren. Sie saßen an nur einem einzigen Tisch, und an diesem saßen ebenfalls die Lehrer und auch Hagrid. Zusätzlich waren noch rund zwanzig Leute vom Orden anwesend, genau wie Rons Eltern. Fred, George und auch Professor Dumbledore fehlten. Harry hatte ihn erwartet, da er so sehr hoffte, von ihm Neuigkeiten zu erfahren, doch schien er noch immer Wichtigeres zu tun zu haben. Harry und Hermine setzten sich zu den anderen.

Man wünschte sich frohe Weihnachten, ehe alle mit Eifer über die ganzen Köstlichkeiten herfielen, die ihnen das Frühstück zu bieten hatte. Harry verputzte Rührei mit Schinken und kleinen Würstchen, während Hermine von seinem Teller mitaß und sich mehr als nur einmal von ihm füttern ließ, was er nur zu gern tat. Während des Essens redete er nur wenig, denn viel lieber sah er den anderen und vor allem Hermine einfach nur dabei zu. Mehr als die Hälfte der Zeit verbrachte er nur damit, sie offen anzustarren und ihre Schönheit zu bewundern. Immer wenn Hermine es bemerkte, lief sie rot an, begann breit zu lächeln und verwickelte sofort Ginny in ein Gespräch. Harry liebte es, wenn sie so verlegen wurde, weshalb er so oft wie möglich und sehr offensichtlich anstarrte. Auch die sieben anderen Paare am Tisch schienen sich häufig verliebte Blicke zuzuwerfen, und es freute ihn ungemein, alle so glücklich zu sehen. Viele andere finden die Liebe ein Leben lang nicht, dachte er und streichelte gedankenverloren Hermines Hand, während er sein Glück nicht fassen konnte, sie schon so früh im Leben gefunden zu haben.

Nach dem Essen gingen die meisten in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors, und der weitere Vormittag flog nur so dahin. Mit Dean, Ron und Neville probierte Harry sein neues Kartenspiel aus, während Hermine, Ginny, Luna und Parvati ganz in ihrer Nähe saßen und sich leise unterhielten. Da Harry ständig zu seiner wunderschönen Freundin herüberschauen mußte und deshalb einfach zu abgelenkt war, konnte er bei diesem Spiel keinen Blumentopf gewinnen. Trotzdem war es für alle ein vergnügliches Spiel, bei dem er sich zuerst in eine Klobrille und in einen Staubsauger verwandelte, ehe es eine fette Fliege und ein Frosch waren. Dagegen verwandelte sich Neville in einen Schmetterling und ein Telefon, während Ron ein riesiger Rührbesen und ein Ventilator wurde. Dean dagegen hatte noch keine einzige Partie verloren, was er allen anderen ständig unter die Nase rieb.

Als es Zeit für das Mittagessen wurde, gingen alle gemeinsam erneut in die Große Halle. Zu Harrys Freude und auch der vieler anderer war Dumbledore endlich wieder zurückgekehrt.

Auch das Mittagessen war ein absoluter Festschmaus, wobei sich Harry diesmal von Hermine füttern ließ und es beide sichtlich genossen. Dumbledore hatte nicht viel gesagt, tuschelte aber ein ums andere Mal mit Professor McGonagall, Professor Snape und einigen anderen vom Orden. Mit Harry sprach er kein Wort. Trotzdem beschloß dieser, nicht selbst die Initiative zu ergreifen. Er wollte nicht betteln, um irgend etwas zu erfahren; wenn Dumbledore es für den richtigen Moment halten würde, dann würde er ihn schon informieren, dachte er, während er Hermines Oberschenkel streichelte. Bisher war Harry nicht unbedingt ein Freund ständiger Berührungen und übermäßigen Körperkontaktes gewesen, doch mit Hermine war es anders. Er konnte gar nicht genug davon bekommen und liebte es, ihre warme Haut auf der seinen zu spüren. Er liebte es, sie anfassen zu können, ohne darüber nachdenken zu müssen, und er liebte es noch mehr, von ihr berührt zu werden, ohne daß sie zögerte oder ihn erst um Erlaubnis bat. Trotzdem war er nervös, was den weiteren Weg mit ihr anging. Er wußte, daß es schon bald intimer werden würde, und er war überaus neugierig darauf, fürchtete sich aber auch gleichzeitig davor. Mühsam löste er sich von diesen ganzen Gedanken und wandte sich seinem anderen Sitznachbarn zu.

Er saß diesmal nämlich neben Hagrid und begann schnell ein überaus unterhaltsames Gespräch mit ihm. Hagrid aß zwei Truthähne ganz allein und erzählte davon, daß die Riesen sich wieder ein wenig erholt hatten. Sein eigenes Gesicht sah auch schon wieder besser aus, und die Schwellungen und Blutergüsse waren fast verschwunden. Zufälligerweise erwähnte Hagrid auch die Hauselfen, welche noch immer bei der Versorgung der verletzten Riesen halfen, und das erinnerte Harry daran, nach dem Mittagessen endlich einmal wieder Dobby besuchen zu gehen.

Zuerst wollte Hermine nicht mitkommen, da sie sich schuldig fühlte, B.ELFE.R. so vernachlässigt zu haben. Auch ihre Entführung wollte sie dabei nicht ganz als Ausrede akzeptieren, denn immerhin war sie nun schon wieder seit einer Woche zurück und hatte noch nicht ein einziges Mal wieder an B.ELFE.R gedacht. Nach Neujahr, so nahm sie sich fest vor, wollte sie auf jeden Fall mit ihren Bemühungen fortfahren. Nur mühsam konnte er sie überreden mitzukommen, war es doch an der Zeit, daß sie erfuhr, daß Dobby ein jedes einzelnes von ihr gestricktes Kleidungsstück eingesammelt und selbst behalten hatte. Ihre ganze Arbeit war damit umsonst gewesen, und Harry wollte, daß sie keine weitere Zeit damit verschwendete, sondern sich eine andere Strategie überlegte, wie sie zur Befreiung der Hauselfen beitragen könnte.

Nachdem Harry und Hermine satt waren, gingen sie zuerst noch kurz in Harrys Schlafsaal und holten von dort eine herrliche Decke mit dem Gryffindor-Wappen; diese wickelte Hermine schnell in Geschenkpapier ein, sollte es doch Dobbys Geschenk werden. Sie gingen hinunter zur Küche und standen vor dem Bild mit der riesigen Obstschale. Hermine streckte ihren Zeigefinger aus und kitzelte die grüne Birne. Sie begann sich zu winden, fing an zu kichern und verwandelte sich in einen Türgriff. Sie öffnete die Tür, beide betraten die Küche, und sofort wieselten ein paar Hauselfen um ihre Füße. Harry begrüßte sie, als Dobby auch schon erschien.

»Willkommen, Sir! Dobby freut sich sehr, Sie zu sehen. Sie waren lange nicht hier gewesen, Sir. Dobby versteht aber den Grund. Er hofft, sein Geschenk wußte zu gefallen, Sir.«

»Die Mütze ist echt klasse. Ich hoffe, mein Geschenk gefällt dir auch«, antwortete Harry und gab Dobby die eingewickelte Decke. Dieser zerfetzte das Geschenkpapier und freute sich sichtlich. »Die ist für dein Bett, damit bist du jetzt ein echter Gryffindor!«

»Danke, Sir! Dobby weiß Großzügigkeit zu schätzen. Dobby wird sie gleich heute ausprobieren, Sir.«

»Sag mal Dobby, wo ist Winky?« erkundigte sich Hermine.

»Winky hat einen neuen Herrn gefunden. Sie konnte die Freiheit nicht länger ertragen. Sie dient im Hause Diggory. Dort ist sie glücklich.«

»Dobby, was hast du eigentlich mit Hermines Hüten und Schals gemacht?« fragte Harry und konnte sich ein Grinsen nur schwer verkneifen.

»Dobby hat mit ihnen seine Kammer tapeziert, Sir. Es waren zu viele geworden, um sie alle zu tragen. Dobby konnte einfach nicht mehr laufen und seiner Arbeit nachkommen. Ständig ist er die Treppe heruntergefallen, Sir.« Während Dobby sprach, konnte Harry in seinem Augenwinkel eine deutliche Veränderung in Hermines Gesicht sehen.

»Du hast alles eingesammelt? Die anderen Elfen haben nicht ein Stück genommen? Aber …« Hermine stieß ein leises Wutschnauben aus.

»Die anderen weigerten sich sauberzumachen. Dobby mußte sie alle nehmen. Wenn Dobby nur geahnt hätte, daß es Missy nicht recht war, dann hätte er nie alle für sich behalten. Dobby hätte sie ordentlich in eine Ecke gelegt. Dobby bitten um Verzeihung, Missy«, erwiderte er schuldbewußt und duckte sich leicht. Harry mußte lächeln, da Hermine endlich erfahren hatte, was passiert war.

»Sag mal, Harry, wußtest du von der Sache?« fragte sie und sah ihn dabei neckisch, aber anscheinend auch ein wenig angesäuert an.

»Ähhm, ich geb's zu«, antwortete er und lächelte sie verlegen an. »Ich habe mich aber bisher nicht getraut, dir davon zu erzählen. Bitte sei mir nicht böse. Vielleicht kannst du ja eine andere Möglichkeit finden, den Elfen zu helfen. Vielleicht könntest du nach Hogwarts eine Stiftung eröffnen. Wenn du möchtest, dann unterstütze ich dich auch dabei.«

Sie schlug ihn einmal liebevoll auf den Arm, und damit schien sich das Stricken für B.ELFE.R. erledigt zu haben, wie Harry erleichtert zur Kenntnis nahm. Natürlich wußte er aber, daß sie den Kampf für die Elfenrechte niemals ganz aufgeben würde, weshalb er auch den Vorschlag mit der Stiftung gemacht hatte, der ihr wohl nicht unrecht zu sein schien.

Nun mußten sie von der Schlacht erzählen, und auch viele der anderen Elfen vergaßen über der Aufregung ein wenig ihre Arbeit. Als Harry ihnen erzählte, wie sich Voldemort doch noch retten konnte, zuckten sie vor Schreck zusammen, und diverse Teller und Töpfe fielen scheppernd zu Boden; aber nur Augenblicke danach waren die Spuren auch schon wieder beseitigt. Harry erzählte von den vielen Toten, die es gegeben hatte, davon, wie sie gestorben waren, und nicht nur ihm standen dabei die Tränen in den Augen. Einmal bekam er große Schwierigkeiten und mußte eine kurze Pause einlegen, weil der Kloß in seinem Hals zu groß wurde. Dabei umklammerte Hermine ihn liebevoll, streichelte über seinen Rücken, und er konnte schließlich mit der Erzählung fortfahren. Dobby und die anderen Hauselfen kannten zwar grob die Geschehnisse, doch niemand hatte ihnen solche Details erzählt. Wenn sie vorher geahnt hätten, wie schlimm es werden würde, dann hätten sie sich nicht von Dumbledore aufhalten lassen, dann hätten auch sie am Kampf teilgenommen. Vor allem Dobby war in diesem Punkt rigoros.

»Sir! Dobby hätte Ihnen beigestanden … mit seinem Leben!« beschwor er aufgeregt und schlug mit seinem Kopf an einen Tisch. Harry mußte ihn beruhigen und davon abhalten, sich weiteren Schaden zuzufügen. Der kleine Elf, so wußte Harry, würde sofort für ihn sterben. Er war ein wahrer Freund.

Als ihm das bewußt wurde, lächelte Harry. Noch nie hatte er es so gesehen. Eigentlich hatte Dobby zwar immer schon nur die besten Absichten gehabt, doch meist war er ihm mit seinen zweifelhaften Methoden ein wenig lästig gewesen. Von dieser Stunde an sah Harry ihn mit anderen Augen.

Kurz danach verabschiedeten sie sich von ihrem kleinen Freund und den anderen Elfen und verließen die Küche. Sie wollten einen Abstecher zur Eulerei machen, um endlich wieder Hedwig zu besuchen. Sie war überglücklich über ihre Ankunft, zeigte Harry aber auch deutlich ihren Ärger über die lange Vernachlässigung. Auch bei Hedwig verbrachten die beiden fast eine halbe Stunde. Sie unterhielten sich über dieses und jenes, während sie seine Eule streichelten und sie mit allerlei Köstlichkeiten verwöhnten. Auch Pig wurde ausgiebig verwöhnt, hatte dieser doch Hermine gerettet. Plötzlich zog Hermine einen Brief aus ihrem Umhang und suchte sich eine große Schuleule.

»Wem schreibst du?« fragte er neugierig, blickte auf seine neue Uhr und sah, daß es schon nach halb drei war.

»Ich schreibe meiner Mutter, Sie soll mir was schicken«, erwiderte sie leicht zögerlich und sah Harry unsicher an.

»Ist es unhöflich, wenn ich frage, was?«

»Eigentlich nicht … aber ist nur Mädchenkram«, antwortete sie, und Harry gab sich damit schließlich zufrieden. Die beiden gingen aus der Eulerei wieder nach unten.

»Laß uns bei Firenze vorbeischauen. Ich glaub', er hatte lange keinen Besuch«, schlug Harry lächelnd vor.

»Das ist eine gute Idee. Vielleicht ist er einsam und freut sich über unsere Gesellschaft.«

Hand in Hand schlenderten sie durch die Gänge von Hogwarts und begegneten dabei keiner Menschseele, was durchaus ungewöhnlich war. Sie kamen zur Tür des Klassenzimmers elf, und Hermine öffnete sie. Sie betraten den Wald und genossen den herrlichen Anblick. In ihm schien es noch immer früher Herbst zu sein, und die Temperatur dieser Nacht war sehr angenehm. Harry rief nach Firenze, aber es rührte sich nichts, was ihn wunderte. War er etwa wieder in den Wald zurückgekehrt? Hatten ihn die anderen wieder aufgenommen? So richtig konnte Harry sich das nicht vorstellen. Bane war so unglaublich zornig gewesen, und Harry zweifelte daran, daß er Firenze jemals würde verzeihen können. Sie liefen auf die Lichtung und riefen mehrmals seinen Namen.

»Firenze, bist du da?«

Es rührte sich noch immer nichts, und Hermine griff plötzlich Harrys Hand. Unsicher sah er sich zu ihr um. Mit der anderen Hand zog sie ihren Umhang aus und breitete ihn mit einem geschickten Schlag auf dem mit Moos bewachsenen Waldboden aus. Sie bedeutete Harry, sich doch auf ihrem Umhang niederzulassen, und ehe er sich versah, lagen sie schon engumschlungen auf dem Stück Stoff und küßten sich.

Er war glücklich, und Voldemort war ihm in diesem Augenblick total egal. Hermine gestand ihm, die halbe Nacht für ihre Verschönerung benötigt zu haben, und Harry gestand ihr, daß es ihm ein bißchen peinlich war, neben ihrer strahlenden Schönheit selbst nur so gewöhnlich ausgesehen zu haben. Die beiden verbrachten noch Stunden zusammen und starrten dabei einfach nur in den Sternenhimmel. Sie unterhielten sich, küßten sich, streichelten sich ein wenig, bis sie um halb sechs wieder im Gemeinschaftsraum eintrafen, wo Ron sie sofort ansprach:

»Wo wart ihr denn? Solange kann man es doch mit Dobby kaum aushalten, oder? Ach, und Dumbledore möchte dich unbedingt sprechen. Du sollst so bald wie möglich bei ihm im Büro vorbeischauen. Das Paßwort ist noch das gleiche, hat er gesagt.«

Bei der Frage nach ihrem Aufenthaltsort wurden beide leicht rot im Gesicht, ehe Hermine versuchte, die Situation geschickt in den Griff zu bekommen.

»Wir waren zuerst bei Dobby, und zwar sicher fast zwei Stunden. Harry mußte den Hauselfen alles von der Schlacht erzählen, sie kamen gar nicht mehr dazu ihre Arbeit zu erledigen. Dann waren wir natürlich bei Hedwig und Pig, denn Harry war ja zwei Wochen nicht bei ihr gewesen, und bei ihr waren wir bestimmt auch mehr als eine Stunde. Anschließend sind wir dann noch ein bißchen draußen gewesen. Wir sind über die Wiese geschlendert und haben uns unterhalten.«

Mit jedem Wort nahm Hermines Gesichtsröte zu. Harry merkte, wie unangenehm es ihr war, ihre besten Freunde anzulügen, doch offensichtlich war sie auch noch nicht bereit, ihnen die ganze Wahrheit zu sagen. Glücklicherweise glaubte ihr Ron aber offenbar sofort und widmete sich wieder seiner Schachpartie mit Luna. Diese allerdings starrte noch immer zu Harry und Hermine herüber und ließ sich offenbar nicht so leicht abspeisen. Sie blickte Hermine wissend in die Augen, bis diese schließlich peinlich berührt den Blick zum Boden wandte.

»Laß uns zu Professor Dumbledore gehen, Harry. Ich komme mit«, sagte Hermine schnell und begann ihn schon wieder in Richtung Ausgang zu schieben.

Die überstürzte Flucht kam Harry nur recht. Die beiden verschwanden sofort wieder und machten sich auf zu Dumbledores Büro. Dumbledore sah angeschlagen aus, als sie bei ihm eintraten, bot ihnen aber sofort einen Stuhl an.

»Da seid ihr ja. Ich hatte schon geglaubt, Mr. Weasley hätte vergessen, meine Bitte weiterzuleiten.«

»Nein, nein, wir haben Ron gerade erstmals seit dem Essen getroffen. Wir … waren beschäftigt«, erwiderte Harry sofort und errötete dabei. Er wußte nicht, warum es ihm unangenehm war, hatten sie doch nichts gemacht, dessen sie sich hätten schämen müssen, schließlich hatten sie die ganze Zeit über alle ihre Kleidungsstücke anbehalten.

»Also schön, dann will ich gleich beginnen. Alles, was hier unter uns besprochen wird, sollte an so wenige Personen wie möglich weitergegeben werden. Es sind leider viele Vermutungen und Theorien darunter, und ich möchte mit ihnen niemandem unnötige Angst machen«, begann er und blickte die beiden einen Moment lang an ernst an. Als sie nickten, fuhr er fort: »Zuerst die Fakten: Voldemort hat das Land verlassen und ist im Augenblick in ganz Europa unterwegs. Er hat erneut eine kleine Gruppe von Todessern um sich gescharrt und ist nun dabei, Zauberer und Hexen zu entführen. Es gibt handfeste Beweise für seine Verstrickung in diese Vorkommnisse; es sind schon mehr als zwanzig von ihnen verschwunden. Leider kennen wir noch nicht die Hintergründe. Im Augenblick gehen wir aber auf Grund einiger kleinerer Hinweise davon aus, daß er einen Nachfahren einer bestimmten Blutslinie sucht – wahrscheinlich deiner Blutslinie, Harry, und zwar väterlicherseits!«

Harry wurde bleich, und Hermine blickte ihn besorgt an.

»Das kann doch nicht sein. Ich dachte, ich habe keine Verwandten mehr, wenn man von Tante Petunia einmal absieht. Ich dachte, alle Verwandten meines Vaters wären tot«, antwortete Harry verwirrt. Hermine nickte eifrig bei seinen Worten.

»Das dachte ich bisher auch. Allerdings habe ich, nachdem ich von diesen Gerüchten gehört hatte, einmal genauer nachgeforscht. Offenbar hatte der Urgroßvater deines Vaters, sein Name war Robert Potter, noch zwei Brüder und eine Schwester. Zwei von ihnen, Ben und Kevin, starben, ohne eine Familie gegründet zu haben, schon lange vor der Geburt deines Vaters. Seine Schwester aber, sie hieß Elisabeth, hatte einen großen Streit mit deinem Ururgroßvater und ihren anderen Brüdern. Worum es dabei ging, ist uns unbekannt, allerdings muß es sich um etwas sehr Ernstes gehandelt haben, da sie nie wieder Kontakt zu ihrer Familie aufnahm. Sie verließ daraufhin das Land und wollte wohl anderswo ein neues Leben beginnen. Sollte sie dort eine Familie gegründet haben, stehen die Chancen gut, daß noch heute Nachfahren existieren. Leider haben wir keine Ahnung, in welches Land sie gegangen sein könnte, auch wissen wir absolut nichts über ihr weiteres Leben. Offiziell wurde sie nicht mehr als Familienmitglied geführt, und aus diesem Grunde habe ich auch nicht die geringste Ahnung von der Sache gehabt. Wie Voldemort auf ihre Spur kam, ist auch noch immer nicht völlig sicher. Höchstwahrscheinlich hat er durch eine weitere Prophezeiung davon erfahren, aber auch den Inhalt dieser Prophezeiung kennen wir nicht. Was er mit deinen Verwandten vorhat, sofern er sie findet, können wir ebenfalls nur vermuten.

Wie ihr seht, gibt es nicht viele Fakten. Wir haben da aber noch einen interessanten Hinweis auf Elisabeths Verbleib gefunden. Sehr wahrscheinlich ging sie nach Osteuropa, da sie sich sehr für verschiedene Sprachen dieser Region interessierte. Auch durch Voldemort haben wir dazu einen Hinweis bekommen. Er konzentriert seine Bemühungen bisher ebenfalls in Osteuropa und hat bereits vier Ungarn, sieben Polen, drei Bulgaren und vier Rumänen entführt. Alles, was zum jetzigen Zeitpunkt feststeht, ist also, daß Voldemort schon wieder etwas Neues plant, und es heißt, Augen und Ohren weiter offenzuhalten. Er gönnt uns keinen Moment der Rast.«

Eine lange Pause entstand. Harry mußte das erst einmal verarbeiten. Er hatte vielleicht doch noch andere Verwandte, und die waren in Gefahr. Sofort wurde er zornig. Konnte Voldemort ihn und seine Familie nicht einmal an Weihnachten in Ruhe lassen? Mußte er sie ganz und gar ausrotten, ehe er zufrieden war? Er blickte in Hermines Gesicht. Sie sah ihn sehr besorgt an und streichelte zärtlich über seinen Arm. Harry wußte nicht, was er sagen sollte.

»Was machen wir denn jetzt?« fragte er schließlich Dumbledore, der ihn lange anblickte.

»Wir versuchen, deine Verwandten vor ihm zu finden, und bringen sie nach Möglichkeit in Sicherheit. Im Augenblick sind zweiundzwanzig Hexen und Zauberer des Ministeriums nur damit beschäftigt, sie zu finden. Nach Neujahr, sobald der Schulunterricht wieder aufgenommen wurde, werde auch ich mich persönlich wieder an der Suche beteiligen. Leider zwingen mich momentan einige andere drängende Probleme, hier in England zu bleiben. Sobald wir etwas Neues erfahren, werde ich dich natürlich informieren lassen.«

Wieder machte er eine kurze Pause, und Harry sah, wie er einen Schluck aus einem kleinen Becher nehmen wollte, den er aus einer Schublade seines Schreibtisches hervorholte. Als Dumbledore bemerkte, daß der Becher leer war, stellte er ihn kopfschüttelnd zurück.

»Es gibt aber noch ein anderes Thema, worüber ich mit euch sprechen muß. Es geht dabei um die verstorbenen DA-Mitglieder. Die sterblichen Überreste wurden gestern zu ihren Eltern übergeführt, und die Beerdigungen werden morgen im ganzen Land stattfinden. Ich hatte allen Eltern angeboten, ihre Kinder hier in Hogwarts zu bestatten, dort, wo sie gekämpft hatten und wo sie gefallen waren, doch wurde das Angebot zu meinem Bedauern von allen abgelehnt. Ich verstehe diese Entscheidung nicht ganz, respektiere sie natürlich aber. Aus diesem Grunde gibt es für euch aber leider keine Möglichkeit, an den Trauerfeiern und den Beerdigungen teilzunehmen, da ich im Moment darauf bestehen muß, daß ihr im Schloß verbleibt. Bitte teilt dies auch allen anderen mit.« Dumbledore erhob sich. »Nun entschuldigt mich bitte. Ich muß noch mit dem Orden über das Thema sprechen. Wir sehen uns beim Essen.«

Auch Harry und Hermine erhoben sich. Gemeinsam mit Dumbledore verließen sie sein Büro. Er verabschiedete sich noch von ihnen und ging dann langsam hinunter in die Kerker. Harry wußte, daß irgendwo da unten das neue Hauptquartier des Ordens war, weil Remus es ihm verraten hatte.

Sofort liefen die beiden zurück in den Gemeinschaftsraum, wo sie von den anderen DA-Mitgliedern schon sehnsüchtig erwartet worden waren. Alle waren schon vollzählig versammelt, als hätte Ron bereits vorausgesehen, daß Harry ihnen etwas zu sagen hatte. Dieser hatte noch nie so viele Schüler aus anderen Häusern im Gemeinschaftsraum der Gryffindors gesehen, machte sich darüber aber keine Sorgen, schließlich hatte sich ein jeder von ihnen seine Loyalität und sein Vertrauen verdient. Harry blickte jedem von ihnen kurz in die Augen, während er begann:

»Die toten DA Mitglieder werden demnächst bestattet. Leider findet keine der Beerdigungen in Hogwarts statt. Ihre Eltern haben Dumbledores Angebot abgelehnt, Hogwarts als ihre letzte Ruhestätte zu wählen. Aus diesem Grund werden wir leider nicht daran teilnehmen können, da es Professor Dumbledore für zu gefährlich hält, das Schloß zu verlassen.«

Harry machte eine kurze Pause, und sofort taten einige ihren Unmut über diese Entscheidung kund. Offenbar hatten viele von ihnen gehofft, sich noch richtig von ihren toten Kameraden verabschieden zu können. Die Stimmung hatte sich dadurch deutlich verschlechtert, und viele waren sehr enttäuscht, als Harry sie dann noch über die neuesten Fakten im Fall Voldemort informierte:

»Voldemort läßt aus verschiedenen Ländern, Hexen und Zauberer entführen. Er sucht vielleicht mögliche Verwandte von mir, und sie sollen irgendwo in Osteuropa sein. Leider hat Dumbledore keine Ahnung, weshalb.« Harry bemerkte, daß einige noch leicht abwesend zu sein schienen. Die Enttäuschung darüber, daß sie nicht an den Bestattungen teilnehmen konnten, wollte sie offenbar nicht loslassen. Harry räusperte sich und fuhr fort, als er wieder ihre Aufmerksamkeit hatte. Dabei ließ er etliche von Dumbledores Vermutungen und Ahnungen aus, da er keine wilden Spekulationen lostreten wollte. Leider klappte es nicht so, wie Harry es sich vorgestellt hatte. Kaum war er fertig, bildeten sich kleinere Grüppchen, und Harry hörte einige der wildesten Vermutungen, die er je gehört hatte. Den Vogel schoß dabei Colin ab, während sich die Gedanken von Gregory noch am sinnvollsten anhörten:

»Mein Vater hat mir da mal was erzählt. Das könnte vielleicht zu den Vorkommnissen passen. Ist allerdings schon eine Weile her, bestimmt über zwei Jahre. Er meinte wortwörtlich, daß Voldemort, wenn er Harry nicht selbst erwischen könnte, er jemand anderen dazu zwingen müßte, jemanden, dem Harry problemlos vertrauen würde.«

Ron hob eine Augenbraue. »Das könnte wirklich möglich sein. Wem würde Harry noch vertrauen außer seinen Freunden? Seinen Verwandten natürlich. Voldemort könnte glauben, Harry würde im Umgang mit ihnen unvorsichtig werden.«

Ginny schaltete sich ein: »Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so gemeint war. Ich meine, es könnte schon sein, aber denkt doch an Crouch Jr. beim Trimagischen Turnier, das würde auch dazu passen. Auch er könnte gemeint gewesen sein.«

Harry blickte Hermine ins Gesicht. Sie schien über die Sache nachzugrübeln. Es dauerte noch einen Moment, aber dann schien sie zu einem Ergebnis gekommen zu sein. »Eigentlich kann es sich nicht um Crouch Jr. handeln. Laut Gregorys Vater wollte Voldemort jemandem dazu bringen, vielleicht gewaltsam, Harry zu töten. Aber Crouch Jr. mußte er nicht erst dazu zwingen. Es muß sich in dieser Aussage um jemand anderen handeln, jemanden, der es nicht freiwillig machen würde. Ich denke, Gregory könnte wirklich recht haben.«

Sie diskutierten noch einige Zeit weiter und hatten sich so in ihre Vermutungen vertieft, daß sie gar nicht merkten, wie schnell die Zeit vergangen war. Professor McGonagall stand plötzlich im Raum und rief sie zu Tisch. Als Harry auf seine Uhr sah, die er von Arthur erhalten hatte, blickte ihn Ron neidisch an.

Die DA-Mitglieder betraten kurze Zeit danach die noch festlicher geschmückte Große Halle und setzten sich an den riesigen Tisch. Die ganze Zeit über behielt ihn Ron dabei mißtrauisch im Auge, und so setzte Harry dieses Thema mit auf die Liste der Dinge, über die er mit ihm reden wollte.

Wieder gab es ein wunderbares Mahl, und jeder von ihnen aß mehr, als sie es für gewöhnlich taten. Es wurde zusammen gesungen, und einige trugen sogar ein Gedicht vor. Im Laufe des Abends kam erstaunlicherweise Sibyll Trelawney aus ihrem Turm herunter und feierte mit ihnen. Für Harry war es wie eine riesige Familienfeier, und auch Ron schien seinen Ärger vergessen zu haben. So saß man noch fast bis Mitternacht zusammen und genoß die friedliche Zeit. Nach den schrecklichen Ereignissen und den vielen Toten schien nicht nur Harry das Verlangen nach einer solchen Zusammenkunft zu haben, die anderen brauchten es wohl ebenso.

Gegen ein Uhr ging Harry mit Hermine hoch in den Gryffindor-Turm. Sie wollte sich schon mit einem langen Kuß von ihm verabschieden, als er sie noch in eine Ecke des Gemeinschaftsraumes zog.

»Geh noch nicht«, sagte er fast bettelnd und küßte sie auf ihr Kinn.

»Wenn du es gern möchtest, dann bleib' ich noch ein bißchen«, erwiderte sie, und so machten sie es sich auf einer großen Couch bequem. Hermine lag in seinen Armen und wurde von ihm immer wieder im Nacken geküßt.

»Ich wünschte wirklich, wir hätten Voldemort erwischt«, begann er, ließ seine rechte Hand unter ihren Pullover wandern und streichelte über ihren Bauch. »Ich will wirklich, daß es endlich vorbei ist. Langsam habe ich das Gefühl, er wird niemals sterben.«

Hermine legte ihre rechte Hand auf die seine und streichelte mit ihrer linken Hand durch sein Haar. »Mach dir die nächsten Tage nicht so viele Sorgen. Voldemort ist nicht hier. Bis Neujahr haben wir hoffentlich Ruhe!«

»Ich weiß ja, daß du recht hast, aber ich … ich kann mich irgendwie nur selten entspannen. Mit dir fällt es mir aber am leichtesten.« Harry lächelte sie verliebt an und küßte sie erneut, diesmal auf ihre Schläfe.

Sie schmusten noch einige Zeit, und erst gegen zwei Uhr übermannte sie die Müdigkeit. Zum Abschied küßten sie sich lange, und er ging dann die erste Stufe zu seinem Schlafsaal hinauf, während Hermine langsam die Treppen zu ihrem Schlafsaal nahm. Harry warf ihr noch einen sehnsüchtigen Blick hinterher, ging dann aber doch zielstrebig nach oben. Dort zog er sich aus, schlüpfte in seinen Pyjama und stellte fest, daß Ron schon tief und friedlich schlief, während die anderen Betten leer waren. Am nächsten Tag, so nahm er sich fest vor, wollte er unbedingt alleine mit ihm reden. Auch er legte sich ins Bett und zog die Decke über seinen Kopf. Sogleich wurde ihm mollig warm, und er schlief nur wenige Augenblicke später ein.

Wieder träumte er fürchterliche Alpträume, und als er das erste Mal aufwachte und aufblickte, war es zwei Uhr sechsundfünfzig. Völlig gerädert schlief er kurz danach wieder ein, nur um bereits um drei Uhr einundvierzig erneut aufzuwachen. Gerade als er erschöpft seine Augen wieder schließen wollte, hörte er Dean und Seamus leise miteinander reden.

»Sie ist wirklich süß. Findest du nicht auch?« flüsterte Seamus.

»Mir gefällt die kleine blonde Hufflepuff besser. Die im fünften Jahr, meine ich. Sie ist noch nicht in der DA; sie sitzt oft vorne am Tisch, in der Nähe der Lehrer. Weißt du, wen ich meine? Sie heißt Conny«, antwortete Dean so leise, daß Harry Mühe hatte, es zu verstehen.

»Die ist auch nett. Da haste recht, ich dachte aber, du und Cho …«

Harry horchte auf. Das interessierte ihn dann doch.

»Mit Cho ist seit zwei Wochen Schluß. Ich glaube, sie liebt noch immer Harry. Sie redet ein bißchen viel von ihm. Michael hatte mit ihr aus dem gleichen Grund Schluß gemacht.«

»Bei Harry hat sie ja doch keine Chance mehr. Ich glaub', das mit Hermine ist echt ernst.«

»Glaub' ich auch. Seit Hermine zurück ist, sind sie nur noch am Rummachen. Aber ich gönne es ihnen, vor allem gönne ich es Harry. – Aber du und Lavender, also ich weiß nicht. Die hängt zuviel mit Parvati rum, und seit Padmas Tod ist die echt unausstehlich. Ich meine, ich kann sie schon verstehen … aber Lavenders Stimmung leidet da doch sicher auch drunter. Conny dagegen, sie hat das gewisse Etwas.«

Seamus fing leise an zu kichern. »Ich hab' Lavender auf dem Krankenflügel besucht, und ich find' sie wirklich nett. Sie sieht noch dazu langsam echt gut aus. Ich meine, hast du ihre Kurven mal genau angesehen … wow!«

Harry mußte sich zusammenreißen, um ruhig zu bleiben und sich ein Lachen zu verkneifen.

»Aber dich hat's ja scheinbar auch voll erwischt.«

»Ja, hat es. Lavender sieht ja wirklich gut aus, aber Conny ist auch nicht ohne, sag' ich dir, allein diese Brüste! Vor ein Paar Wochen hatte sie 'ne weiße Bluse an, da konnte man ihren BH durch sehen. Ich wünschte, sie würde die Bluse öfter tragen«, antwortete Dean und ergänzte dann mit einem Gähnen: »Ich würd' sagen, wir schlafen jetzt besser. Bin langsam echt müde. Können morgen auch noch reden.« Dean gähnte erneut, und Harry konnte hören, wie er sich auf die Seite drehte und noch ein »Schlaf gut!« hauchte.

Auch Harry versuchte weiterzuschlafen. Nur selten war er so müde gewesen, doch dieses Gespräch hatte er zu interessant gefunden, um es zu verpassen. Leider ging es für ihn in diesem unangenehmen Rhythmus die ganze Nacht weiter, und so wachte er fast jede Stunde auf.

Als Harry um halb acht schließlich mit den anderen aufstand, war er müder als zum Zeitpunkt, als er ins Bett gegangen war. Nach einer kalten Dusche schnappte er sich sogleich seine Sachen, zog sich an und ging mit Ron aus dem Schlafsaal. Dieser wollte wohl auf Luna warten, die sich gestern mit ihm hier verabredet hatte, als Harry ihn in eine abgelegene Ecke zog.

»Was gibt's denn?« fragte Ron neugierig und noch immer ein wenig grimmig klingend.

»Zwei Sachen! Die eine scheint ein wenig ernster zu sein, die andere ist, glaub' ich, eher harmlos.« Harry lächelte ein wenig verlegen. »Was soll ich dich zuerst fragen?«

Ron überlegte einen kurzen Moment. »Fang mit dem Ernsten an.«

»Okay. Also, warum hast du die Uhr so verärgert angestarrt, die mir dein Vater zu Weihnachten geschenkt hat? Was hat es damit auf sich?«

»Du weißt es gar nicht?«

»Weiß was nicht?« Harry hob skeptisch die linke Augenbraue.

»Die Uhr bekam Percy von Dad geschenkt. Der hatte sie von seinem Dad und so weiter. Percy bekam sie, als er im Ministerium eingestellt wurde, weil weder Bill noch Charlie sie haben wollten. Er sollte die Uhr mal an seine Kinder weitergeben, aber jetzt …« Ron stockte und blickte traurig zu Boden. Harry wußte sofort, warum.

»Jetzt, wo Percy tot ist, meinst du?«

»Ja. Percy hatte vor dem Kampf sein Testament geschrieben. Ich denke, das hatten wohl die meisten. Sogar Fred und George hatten eines. Na ja, im Testament stand drin, daß du die Uhr kriegen solltest, und Dad wollte sich daran halten. Ich hatte halt gedacht, daß … er sie mir hinterläßt. Es ist immerhin ein Familienerbstück. Aber er hatte schon recht damit, irgendwie gehörst du ja praktisch zur Familie. Vielleicht ist es ja sogar ganz okay so. Immerhin hatte ich ihm wegen letztem Jahr nicht verziehen, im Gegensatz zu dir. Vielleicht warst du sogar ein besserer Bruder, als ich es war.« Ron klang bei den letzten Worten sehr niedergeschlagen.

»Wenn du sie haben willst, dann geb' ich sie dir gerne! Du mußt es nur sagen. Ich konnte ja nicht ahnen, daß sie dir soviel bedeutet. Für mich ist das Ganze nicht so wichtig.« Er sah, daß Ron nachzudenken begann. Auch Harry sagte in der Zeit kein Wort, sondern blickte seinem besten Freund einfach nur in die Augen.

»Ich hätte sie wirklich furchtbar gerne, aber sie … Er hat sie dir vererbt, ich weiß nicht.«

»Sie gehört dir!« sagte Harry, holte die Uhr aus seiner Tasche und gab sie Ron. Der strahlte plötzlich über das ganze Gesicht, als er sie in Händen hielt. Er begutachtete sie ausführlich, ehe er sie in seinem Umhang verschwinden ließ.

»Und was ist das harmlose Thema?«

Harry fing an zu grinsen, kam mit seinem Gesicht näher und flüsterte Ron seine Frage zu, die niemand der anderen hören sollte.

»Was hat dir Luna geschenkt? Du bist plötzlich so rot geworden. War es ein … Foto von ihr? Du weißt schon, was für eines ich meine, oder?«

Ron fing an zu lachen. »Nee! Kein Foto, aber sie hat mir schon so was Ähnliches geschenkt. Es war ein ganzseitiger Artikel im Klitterer. Warum ich Ron liebe und er ein Held ist – von Luna Lovegood.«

»Den Artikel hat ihr Vater im Klitterer veröffentlicht?« fragte Harry jetzt völlig ungläubig. Rons Grinsen wurde immer breiter, als ob er nur auf die Frage gewartet hätte.

»Nee, dann wär' ich nicht nur rot geworden, das wäre ja wirklich peinlich gewesen. Luna hat den Artikel geschrieben, ihr Vater hat ihn dann für sie drucken lassen, also nur meine Ausgabe, meine ich. Die hat Luna dann rahmen lassen.«

»Das ist peinlich! Denk an die vielen Leute im Verlag, die es gelesen haben müssen«, erwiderte Harry mit einem breiten Grinsen.

Sofort wurde Ron wieder rot. Scheinbar wurde ihm erst jetzt bewußt, daß doch eine ganze Menge Leute darüber Bescheid wußten. Seine Schamröte schien sich aber sofort wieder zu legen. Harry wußte, daß er Luna liebte, so wie sie ihn liebte, und daß es ihm inzwischen auch nicht mehr peinlich war. Wenn er es recht bedachte, hatte er Ron in letzter Zeit nur selten so offen erlebt. Die beiden plauderten noch einige Minuten, ganz wie in alten Zeiten, und teilten auch einige Ängste und Sehnsüchte in bezug auf die Mädchen. Vor allem aber sprachen sie über ihre Alpträume. Harry erzählte Ron von seinen merkwürdigen Träumen über Hermine und Voldemort, und Ron erzählte Harry von seinen Träumen über Percy.

»Damit mußt du zu Dumbledore. Du träumst für meinen Geschmack ein wenig zu oft, und dann auch noch so heftig. Das macht mir dann doch ein wenig angst. Ich hab' zwar im Augenblick auch keine besonders guten Nächte, aber meine Träume sind ja noch harmlos gegen deine«, meinte Ron, als Harry am Ende seines Berichtes war, und dieser versprach ihm, auf jeden Fall mit Dumbledore darüber zu sprechen, als plötzlich die Mädchen kamen und sie mit zum Frühstück nahmen.

Es sollte zwei Tage dauern, bis sich die Gelegenheit bot; zufällig traf Harry im Flur auf Professor Dumbledore, und zusammen gingen sie in sein Büro. Harry erzählte von all seinen Träumen, in denen Voldemort oder Draco Malfoy vorkamen. Er ließ keinen aus, auch die nicht, die ihm peinlich waren und in denen Hermine eine Hauptrolle spielte. Er erzählte ihm sogar davon, daß er mit Hermine viel besser und ruhiger schlafen konnte und lief dabei rot an. Es war ihm sehr unangenehm, solch persönliche Dinge zu erzählen, doch wollte er keine Informationen zurückhalten, da alles wichtig sein konnte. Dumbledore hörte in Ruhe zu und mußte zuweilen lächeln, während er gelegentlich auch ein ernstes Gesicht zeigte. Für Harry sah es einen Augenblick lang so aus, als ob er sich dabei an seine eigene Jugend erinnerte. Erst als Harry fertig war, begann Dumbledore in ruhigem Ton:

»Deine Träume sind sehr interessant. Ich glaube aber nicht, daß Voldemort sie absichtlich verursacht. Eher denke ich, sie handeln von deinen Verlustängsten. Hermine wurde schon einmal entführt, und nun befürchtet dein Unterbewußtsein einen weiteren Verlust. Du hast scheinbar große Angst davor, Voldemort könnte dir Hermine für immer wegnehmen, und dies äußert sich massiv in deinen Träumen. Aber du hast eine gute Möglichkeit zur Vermeidung dieser Träume erwähnt. Hermines Nähe hilft dir, nutze dieses Wissen.« Dumbledore lächelte schelmisch und zwinkerte Harry zu.

Harry erzählte ihm auch von seiner immer noch schmerzenden Narbe. Sie tat ihm eigentlich ununterbrochen weh, und nur selten gelang es ihm, die Schmerzen gänzlich abzuschütteln.

»Das Schmerzen deiner Narbe verursacht mir mehr Kopfzerbrechen«, meinte Dumbledore sichtlich besorgt, »normalerweise hätten deine Okklumentikübungen deinen Geist völlig von Voldemort entkoppeln sollen. Dadurch sollten auch deine Schmerzen abnehmen. Das einzige, was ich dir im Moment raten kann, ist, deine Bemühungen noch zu verstärken. Wenn sie in den nächsten ein bis zwei Wochen nicht deutlich abklingen, solltest du unbedingt Professor Snape aufsuchen. Er kann deine Technik vielleicht doch noch ein wenig verfeiern.«

»Wenn Sie das für das beste halten, werde ich es tun. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit. Ich geh' dann mal zurück zu den anderen«, beschied Harry, und Dumbledore verabschiedete sich von ihm.

Ein wenig erleichtert verließ er Dumbledores Büro und war auf dem Wege zu Hermine, als er noch einmal über das Gesagte nachdachte. Er würde weiter Hermines Nähe suchen, soviel war ihm klar. Zwar durfte sie nicht bei ihm schlafen, aber sie könnte ihm ja vielleicht ein Kleidungsstück ausleihen, vielleicht einen Umhang oder einen Pullover. Wenn sie ihn getragen hatte, nahm er ihren Geruch an, und das würde ihm vielleicht schon reichen.

Einige Minuten später traf er Hermine in der Bibliothek. Als er sie auf dieses Thema ansprach, hatte sie nichts dagegen, ihm bei seinem Problem zu helfen; er sollte jedoch Stillschweigen darüber bewahren, da sonst nachher noch sonderbare Gerüchte aufkommen könnten. Harry wollte sich gar nicht erst die Kommentare der Slytherins vorstellen, würde ihnen doch mit Sicherheit ein Weg einfallen, wie sie ihn damit quälen könnten. Zwar hatte er nun einige wirklich gute Freunde unter ihnen; da aber nicht alle Slytherins Todesser als Eltern hatten, die nun gejagt wurden oder in Askaban waren, würden viele von ihnen nach Hogwarts zurückkehren, und denen wollte Harry lieber keine neue Munition liefern.

Hermine machte ihm aber auch noch einen anderen Vorschlag. Wenn er früh schlafen ging, könnte sie sich zu ihm legen, warten, bis er eingeschlummert war, und würde erst danach sein Bett verlassen. Natürlich würde sie auch dann gehen müssen, wenn es die Anstandsregeln spätestens von ihr erwarten würden, doch so könnte er vielleicht besser und ruhiger schlafen. Auch dieser Vorschlag gefiel ihm sehr.

Anschließend ließen die beiden den Tag zusammen mit Ron und Luna ausklingen. Sie besuchten Hagrid und die Riesen und erfuhren dabei von ihm, daß Firenze wieder im Wald lebte. Dumbledore hatte Bane überzeugen können, ihn wieder aufzunehmen, und nicht nur Firenze war darüber sehr froh gewesen. Zwar würde er weiter Unterricht geben, sein Leben aber würde er wieder im Wald zubringen, wie ihnen Hagrid erzählte. Alle freuten sich sehr für Firenze, war dieser doch nun wieder in seinem Element.

Als es langsam auf den Abend zuging, verabschiedeten sie sich von Hagrid und gingen zu den anderen in den Gemeinschaftsraum. Dort gab ihm Neville eine Nachricht von Dumbledore; dieser müsse sofort nach Polen aufbrechen, weil es dort einen ersten ernstzunehmenden Hinweis auf seine Verwandten gäbe. Harry war deswegen unglaublich angespannt; wenn Gregory recht hatte, dürfte er keinem von ihnen trauen, schließlich könnte Voldemort sie gegen ihn benutzen. Er könnte sie gegen ihn aufgebracht haben, oder, schlimmer noch, sie könnten unter dem Imperius-Fluch stehen, weshalb er permanent wachsam sein mußte.

Zur Ablenkung spielt er noch ein paar Runden Blitzschach mit den anderen. Dabei konnte er Dean zweimal schlagen. Gegen Neville gewann er einmal, und ein Spiel ging remis aus. Gegen Ron aber konnte er keinen Blumentopf gewinnen. Überhaupt gewann Ron all seine Partien mit nur einer Ausnahme; in dieser machte er einen kleinen Fehler, Neville ging mit einem Bauern in Führung und konnte Ron am Ende ein Remis abtrotzen. Es war das erste Spiel seiner Karriere, welches Ron nicht gewinnen konnte, was ihn tierisch ärgerte.

Ziemlich früh kapselten sich dann Harry und Hermine von den anderen ab, und nach einer halben Stunde auf der Couch beschloß er, früh schlafen zu gehen, weshalb er mit ihr nach oben in seinen Schlafsaal ging. Dean pfiff ihnen hinterher, meinte es aber nicht böse; Harry hatte ihnen von der Geschichte erzählt, war aber nicht weiter ins Detail gegangen.

Zuerst zog sich Harry um, und Hermine drehte ihm derweil den Rücken zu. Er spürte genau, daß sie dabei grinste, und wenn er ehrlich war, dann gefiel es ihm sehr. Zweimal schien sie kurz davor, sich einfach umzudrehen, doch wußte er genau, daß sie es nicht wirklich ernst meinte.

Müde stieg er in sein Bett, und Hermine legte sich hinter ihn. Endlich konnte er wieder ihren warmen Atem in seinem Nacken und ihren ruhigen Herzschlag in seinem Rücken spüren. Sie hatte einen Arm um ihn geschlungen, und er streichelte diesen, bis er einschlief. Dies gelang ihm so schnell und mühelos wie selten zuvor.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, lag Hermine nicht mehr hinter ihm, und ein merkwürdiges Gefühl der Leere ergriff ihn. Trotzdem hatte er tief und fest durchgeschlafen, und der alptraumlose Schlaf tat ihm so gut, daß er sich topfit fühlte. Neville erwachte nur einen Augenblick nach Harry, und beide unterhielten sich leise, während sie sich anzogen.

»Ich bin nur eine halbe Stunde nach dir ins Bett gegangen, da schlief Hermine schon tief und fest neben dir. Ich hab' sie dann sachte geweckt. Sie war zwar ein wenig durcheinander, hat sich aber bei mir bedankt und ist dann in ihr Bett gegangen«, berichtete Neville.

Sogleich fühlte sich Harry ein wenig schuldig. Für Hermine war es sicher nicht leicht, mit ihm im Bett zu liegen und wach zu bleiben, während er versuchte einzuschlafen. Für ihren eigenen Schlaf war das sicher auch nicht gut gewesen.

Nur zu gut kannte er das unangenehme Gefühl, wenn man schon kurz nach dem Einschlafen wieder erwachte. Er selbst hatte ja schon oft genug Alpträume gehabt, die seinen Schlaf vorzeitig unterbrachen oder sogar beendeten. Vielleicht sollte er Hermine nur selten bitten, bei ihm zu bleiben, so würde er zumindest ab und zu wirklich gut schlafen, während sie nicht zu oft auf einen guten Schlaf würde verzichten müssen.

Für einen winzigen Moment dachte er auch daran, für Hermine und sich um einen separaten Schlafsaal zu bitten; das war für Harry eine faszinierende Vorstellung, doch glaubte er nicht einmal entfernt an eine solche Möglichkeit. Die ständigen Alpträume zu ertragen, war aber auf Dauer auch kein akzeptabler Zustand, weshalb Harry für sein Problem eine Lösung finden mußte, die aber keinesfalls auf Hermines Kosten gehen sollte. Er beschloß, sich einfach einmal einen Pullover von ihr zu borgen und zu sehen, ob vielleicht allein ihr Geruch ihm friedliche Nächte ermöglichen könnte.

Die beiden Jungs verließen den Schlafsaal und begaben sich in den Gemeinschaftsraum. Nur Sekunden später kamen Ginny und Hermine nach unten, und Harry nahm seine ausgesprochen müde aussehende Freundin mit einem Kuß in Empfang.

»Hallo, meine Süße!« begrüßte er sie.

Hermine lächelte ihn verliebt an. »Guten Morgen.« Erneut küßten sie sich lange.

»Hermine und ich gehen schon vor. Wir sehen uns ja dann gleich beim Frühstück!« rief Harry den anderen zu und schnappte sich Hermines Hand.

Die beiden verließen den Gemeinschaftsraum und machten sich auf den Weg zum Frühstück. Sie hielten dabei Händchen, und Harry fühlte sich allein durch ihre Gegenwart noch einmal viel besser.

»Ich hatte keine Chance, wach zu bleiben. Es war so herrlich warm in deinem Bett, und du warst so schnell eingeschlafen. Plötzlich fühlte ich mich auch müde. Ich wollte nur kurz meine Augen ausruhen, und dann weckte mich Neville schon wieder auf.«

»Als nächstes probieren wir die Sache mit dem Pullover. Vielleicht reicht mir allein schon dein Geruch, damit ich im Traum denke, daß du bei mir bist.«

»Willst du damit sagen, ich stinke?«

Hätte sie sich das Grinsen besser verkneifen können, hätte Harry fest geglaubt, sie wäre wirklich böse mit ihm, doch so gab er ihr einen Kuß und drückte ihre Hand ein wenig fester.

»Okay, wenn es dir hilft, kriegst du einen Pulli von mir; denn wenn ich ehrlich bin, wäre es für mich sicher auch leichter. Denk aber bloß nicht, daß ich es nicht sehr schön fand.« Sie wurde leicht rot.

»Ich liebe dich«, flüsterte Harry und knabberte an ihrem Ohrläppchen.

»Ich liebe dich auch.« Sie umschlang seinen Hals und drückte ihn fester an sich, während sie sich minutenlang küßten.

Sie liefen noch die letzten Meter, betraten die Große Halle und setzten sich diesmal in die Nähe von Cho und William. Diese lächelte ihm kurz zu, und Harry wußte nicht genau, wie er es deuten sollte. Hatte es überhaupt irgendeine Bedeutung? Cho wandte sich von ihm ab und verwickelte sofort William in ein Gespräch.

Der Vormittag ging ereignislos zu Ende. Gemeinsam mit Hermine verbrachte Harry einige Stunden in der Bibliothek und bereitete sich auf den nun bald wieder beginnenden Unterricht vor. Auch viele andere DA Mitglieder lernten mit ihnen, ehe sie alle zum Mittagessen gingen. Für Harry gab es Kohlroulade, was ihm nicht so recht schmeckte, und so aß er ein wenig bei Hermines Buletten mit.

Nach dem Essen besuchte er mit über fünfzehn Freunden Hagrid. Dieser hatte sie gebeten zu kommen, da den Riesen langsam langweilig wurde und er sich ein kleines Spiel ausgedacht hatte, welches ihre Stimmung verbessern sollte. Zusammen wollten sie anschließend auch die Ruhestätte der gestorbenen Riesen und Trolle besuchen, um ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Direkt nach ihrem Eintreffen erklärte Hagrid ihnen die Regeln, und die Spiele konnten beginnen.

Es sollte absolut ungefährlich sein, denn nicht nur Hermine hatte sich deshalb große Sorgen gemacht. Immerhin waren einige der Spieler über fünf Meter groß, und ein falscher Schritt genügte, und es könnte Tote geben. Letztlich hatten aber alle viel Spaß, und tatsächlich wurde niemand verletzt. Die Riesen lachten, und Grawp schien richtig glücklich zu sein. Er verstand nun immer besser Englisch und konnte schon die wichtigsten Worte für alle verständlich sprechen. Inzwischen hatte er sich auch ein wenig an den Umgang mit Menschen gewöhnt, was von ihm eine völlig unbekannte filigrane Herangehensweise verlangte. Man konnte fast davon reden, daß er mittlerweile zivilisiert war.

Viele von den anderen Riesen hatten damit weniger Probleme gehabt, waren doch schon einige bei ihrer Ankunft sehr umgänglich gewesen. Nur Gutamog war nicht fähig gewesen, sich anzupassen, und hatte sein Leben als einer der Helden auf dem Schlachtfeld beendet. Er hatte gerade einem der anderen das Leben gerettet, als eine Faust seinen Kopf getroffen hatte. Er war bewußtlos liegengeblieben und nie mehr erwacht. Hagrid persönlich hatte die vier verstorbenen Riesen beerdigt, und bei keinem hatte er sich soviel Mühe mit dem Kreuz gegeben. Es war einem Riesen angemessen, und die Inschrift ließ Harry Tränen in die Augen steigen.

Den Rest des Nachmittags wollte Harry zum Studieren nutzen, weshalb er sich mit einigen anderen wieder in die Bibliothek zurückzog. Zusammen mit seinen engsten Freunden freute er sich aber schon so sehr auf den Abend, daß sie nicht gerade effektiv lernten, was der Stimmung aber keinen Abbruch tat.

Als sie schließlich zum Essen gingen, war das neue Jahr nicht mehr fern, und Harry hoffte, daß es ein gutes werden würde. Viele Mitglieder des Ordens waren gekommen, und auch Fred und George waren aufgetaucht und hatten einen gewaltigen Karton mit Feuerwerksutensilien mitgebracht. Darüber war Ron absolut begeistert. Alle erinnerten sich mit Freuden an den denkwürdigen Tag, als Umbridge im ganzen Schloß auf der Jagd nach Feuerwerkskörpern gewesen war, und es wurde viel gelacht. Sogar Professor McGonagall machte sich ein wenig über Umbridge lustig, nachdem die eine oder andere Flasche des stärkeren Butterbieres geleert war.

Einer hatte vorgeschlagen, den Jahreswechsel, wie auf dem Kontinent üblich, im Freien zu verbringen, und so waren sie um Mitternacht alle draußen auf dem Ostturm.

Pünktlich auf die Sekunde prosteten sie sich ausgelassen zu und feierten das neue Jahr. Ein jeder wünschte es sich erfreulicher als das letzte, so daß Harry mit seinem Wunsche nicht allein blieb. Man gedachte erneut der vielen Toten und Verwundeten, und er wünschte, auch Dumbledore wäre hier. Seit dieser nach Polen aufgebrochen war, hatten sie nichts mehr von ihm gehört, und so langsam stieg deswegen seine Nervosität.

Ein bißchen später setzte sich er mit Hermine ein wenig von den anderen ab. Sie saßen auf einer kleinen Holzbank auf der anderen Seite des großen Turmes, knutschten ein wenig und kuschelten sich vor Kälte aneinander.

»Ich liebe dich!« sagte Harry immer wieder und besiegelte seine Worte mit einem langen Kuß.

»Ich liebe dich auch!« erwiderte Hermine jedesmal, während sie mit ihren Händen durch seine Haare und über seine rosa Wangen streichelte.

Beide froren und kuschelten sich noch enger aneinander, um gemeinsam der Kälte zu trotzen, was ihnen erstaunlich gut gelang, wie er zufrieden feststellte. Eigentlich war ihm in Hermines Gegenwart immer ein wenig warm, und selbst die kalte Nacht konnte diese Wärme nicht vollständig verdrängen. Irgendwie konnte er sich kaum vorstellen, daß erst zwei Wochen seit dem Kampfe vergangen waren, kam es ihm doch erheblich länger vor. Noch vor zwei Wochen war Hermine für ihn tot gewesen, und nun schien sie schon wieder eine Ewigkeit bei ihm zu sein. Erst seit zwei Wochen war er mit ihr zusammen. In zwei Wochen kann sich verdammt viel ändern, dachte er und küßte sie wieder.

Gedankenverloren betrachtete er das herrliche Feuerwerk und mußte eingestehen, daß die Feuerwerkskörper von Fred und George ein voller Erfolg waren. Wenigstens konnte Familie Weasley den schweren Verlust zweier Söhne scheinbar einen Abend lang vergessen, dachte er und fuhr mit seiner rechten Hand unter Hermines Pullover. Sie erschrak ein wenig ob seiner kühlen Hand, doch gewöhnte sie sich schnell daran und machte keinerlei Anstalten, sie von dort zu vertreiben. Wieder blickte er zu den Weasleys und war sich sicher, daß es noch einer langen Zeit bedurfte, bis sie alle wieder so unbeschwert wären, wie zu dem Zeitpunkt, als er sie kennengelernt hatte.

Seit der Schlacht fühlte sich Harry immer ein wenig unwohl in Mollys und Arthurs Nähe; er wußte einfach nicht, was er ihnen sagen sollte. Zudem hatte er immer das Gefühl, an ihrem Unglück zumindest mitschuldig zu sein, und mied aus diesem Grund vielleicht sogar ein wenig ihre Gegenwart. Mit Ron dagegen kam er wieder gut klar, auch wenn dieser seinen Humor noch nicht völlig zurückgewonnen hatte, was nur zu verständlich war. Letztendlich war ja auch sein Gemütszustand noch vom tragischen Verlust seiner Brüder geprägt. Am besten schien Ginny mit allem klarzukommen, und Neville schaffte es offenbar spielend, sie bei Laune zu halten. Harry blickte zu den beiden und beobachtete sie einige Zeit, was Hermine nicht verborgen blieb.

»Ist was mit Ginny?« fragte sie.

»Nein. Und das ist es, was mich wundert. Alle Weasleys sind wegen Percy und Charlie wirklich traurig. Ihr scheint es viel weniger auszumachen.«

»Das täuscht, denke ich. Ich hab' ein paar Mal mit ihr und auch mit Neville gesprochen. Sie hat viel geweint deswegen. Neville hat sich aber toll um sie gekümmert, und trotzdem spielt sie auch ein wenig die Fröhliche.«

»Wie kommst du darauf?«

Hermine blickte zu Ginny hinüber. »Manchmal kommt es mir so vor. Also, sie hat in etwa gesagt, daß sich der Rest der Familie jetzt nicht auch noch mit ihr herumplagen sollte. Sie alle hätten genug mit ihren eigenen Sorgen zu kämpfen.«

»Da könntest du recht haben. Sie versucht wohl, besonders stark zu sein. Gut, daß sie Neville hat. Er liebt sie sehr«, sagte Harry und blickte Hermine ins Gesicht.

»Komm, laß uns noch ein bißchen mit den anderen feiern. Mir ist heute nicht nach Grübeln zumute«, meinte sie, zog Harry von der Bank hoch und ging mit ihm zurück zu den anderen.

Man blieb noch bis fast zwei Uhr morgens zusammen im Freien und genoß ein wenig fröstelnd die gemeinsame Zeit. Zum Abschied brachte er seine Freundin bis vor die Stufen hoch zu ihrem Schlafsaal. Sie ging kurz hinauf, zog sich um und kam in ihrem Pyjama wieder herunter. Darin sah sie unbeschreiblich süß aus; er war hellgrau, hatte ein feines Muster und war ihr ein kleines Stück zu groß, was das Ganze nur noch süßer aussehen ließ. Hermine gab ihm ihren bis eben getragenen Pullover, er verabschiedete sich mit einem langen Kuß von ihr und ging dankbar ins Bett.