Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem Plot. Alle originalen Charaktere und Schauplätze die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.

Kapitel 13 – Informationen / Ungewißheit / Veränderungen

Neujahr begann für Harry um zehn Uhr. Er hatte ihren Pulli als Kopfkissen benutzt und ausgesprochen gut geschlafen, was an dem unheimlich angenehmen Geruch lag, der von Hermine auf ihren Pullover übergegangen war. Er war nur mit einem Hauch Parfüm angereichert und roch ansonsten einfach nur nach ihr, was er wirklich liebte. Das Parfüm war noch immer die gleiche Marke, welche Ron ihr vor einiger Zeit zu Weihnachten geschenkt hatte. Damals hatte sie sich nicht so sehr über das Präsent gefreut, da sie noch keinen Wert auf solche Dinge gelegt hatte, doch mittlerweile schien sie durchaus ab und zu Parfüm zu benutzen. Seinerzeit hatte er Ron um seinen guten Geschmack beneidet, waren seine eigenen Geschenke für Hermine doch noch deutlich platonischer gewesen. Dies lag wohl daran, daß Ron zu der Zeit noch romantische Gefühle für Hermine gehegt hatte, während Harry für eine Liebesbeziehung noch lange nicht reif gewesen war. Lange war Hermine für ihn immer nur so etwas wie eine beste Freundin gewesen, jemand, auf den er sich immer verlassen konnte, und erst mit dem Vorfall in der Mysteriumsabteilung hatte sich die Situation geändert. Sie war beinahe gestorben, und Harry hatte sich unglaubliche Sorgen um sie gemacht. Er hatte viel größere Angst, sie zu verlieren, als er sie je bei einem anderen gehabt hatte, inklusive sich selbst. Dieser Vorfall hatte seine Augen endgültig geöffnet. Von da an sah er sie auf andere Art und Weise, und er hatte sich endgültig in sie verliebt, obwohl er sich erst ein wenig später wirklich sicher gewesen war.

Er roch wieder an dem Pullover. Dies erinnerte ihn an den Gedanken, den er vorher gehabt hatte. Hermine hatte sich mit der Zeit an dieses Parfüm gewöhnt, und es war ihr Duft geworden. Es roch ein wenig nach Rosenöl, doch Harry war es eigentlich egal, wonach es roch, solange es nur so perfekt war. Trotzdem konnte er Hermine selbst noch viel deutlicher riechen, fast so, als wäre sie wirklich da. Nur ihren Herzschlag hatte er beim Einschlafen vermißt, was das Ganze ein wenig länger dauern ließ als am Vortag. Zu Harrys Erstaunen tat ihm seine Narbe nicht weh, machten sich die gesteigerten Anstrengungen bei seinen Okklumentikübungen offenbar endlich bemerkbar. Selten war Harry morgens so gut gelaunt gewesen, was aber auch daran lag, daß Neujahr nicht als ruhiger, sondern als ein sehr spaßiger Tag geplant war.

Die DA Mitglieder und einige vom Orden hatten sich zum Quidditch verabredet, und so gingen sie nach dem Frühstück, welches sie noch immer alle zusammen an nur einem einzigen Tisch genossen hatten, gutgelaunt hinunter zum Stadion. Sie bildeten vier Mannschaften mit Auswechselspielern und gaben ihren Teams lustige Namen. Die Häuser waren gut durchgemischt, und sogar Hermine machte mit, auch wenn Harry sie dafür überreden mußte und sie anfangs mehr als ängstlich war. Sie spielte zuerst abwechselnd mit Harry Sucherin, ehe er auf die Position des Hüters wechselte und sie sich ihren Job von da an mit Neville teilte.

Gerade weil es um nichts ging, war es so toll, und so wurde während des Spieles auch viel herumgealbert. Ab und zu wurden auch kleine und lustige Zwischenaufgaben eingeschoben. Mal war es ein Wettfliegen, oder man mußte die Klatscher möglichst zielgenau irgendwo hinschlagen. Kommentiert wurden die Spiele von Professor McGonagall, die nur selten unparteiisch bleiben konnte und dabei oft verschmitzt lächeln mußte, was niemandem entging.

Harrys Anspannung fiel während des Tages fast völlig von ihm ab, war es doch genau das, was er gebraucht hatte. Den Wind im Haar, den Besen zwischen den Beinen und einfach durch die Luft fliegen, das war einfach herrlich, und er liebte es noch immer wie beim ersten Mal. Schon in drei Tagen würden die anderen anreisen, und am sechsten Januar würde die Schule wieder losgehen, worauf sich Harry gut vorbereitet hatte. Er wollte seine Bemühungen für die Schule verdoppeln, wollte er doch Voldemort endlich zur Strecke bringen, und dafür würde er alles Notwendige auf sich nehmen.

Erst nach dem letzten Spiel, gegen zwanzig Uhr, fand das Abendessen statt. Müde, hungrig, aber glücklich gingen alle zum Essen und sprachen noch lange über die Manöver, die sie geflogen hatten, und Hermine erzählte allen, die es hören wollten – und das waren nicht wenige –, wie sie ihren ersten Schnatz gefangen hatte:

»Zuerst hab' ich Dean abgehängt und bin dann steil einen Looping geflogen. Fast wäre ich dabei vom Besen gefallen, und wenn ich ehrlich bin … also, ich hatte wirklich Angst. Dann sah ich plötzlich Williams Klatscher auf mich zukommen, und ich dachte schon, es ist aus. William hatte ihn echt gut geschlagen, und ich konnte nur noch mit letzter Not ausweichen. Ich flog in einer Spirale – und sah den Schnatz unter mir. Ich dachte zuerst, ich könnte ihn einfach greifen, aber er machte plötzlich kehrt. Ich versuchte schnell zu wenden, verlor ihn dabei aber aus den Augen. Gut, daß Dean plötzlich wieder da war und genau auf ihn zuflog. So hab' ich ihn wieder ins Blickfeld bekommen.«

Dean ergänzte: »Ja, zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, ich hätte ihn; aber Hermine war so schnell, daß sie nur Augenblicke später an mir dran war. Ich wollte ihn greifen, hätte es auch beinahe geschafft, ich ließ mich von ihr aber leider ablenken.« Dean mußte sich jetzt ein Lachen verkneifen und errötete etwas.

Hermine erzählte weiter: »Ich bin also von hinten gekommen und sah, daß er ihn schon fast hatte. Also hab' ich ihm was zugerufen, etwas, was ich jetzt nicht wiederholen kann. Und er sieht doch wirklich nach hinten!« Hermine grinste breit und lief gleichzeitig leicht rosa an, während alle lachten und sich bei dem Gedanken, was sie ihm wohl zugerufen haben könnte, amüsierten. »Ich war neben ihm und drängelte einmal ein bißchen, und schon hatte ich den Schnatz in der Hand. Am Ende war es viel einfacher, als ich gedacht hatte.« Hermine zwinkerte Dean einmal zu und dann auch einmal unmerklich in Harrys Richtung. Man konnte ihren Stolz förmlich spüren, und nicht weniger stolz war Harry auf sie.

Er wußte, daß Hermine eigentlich nie viel vom Fliegen gehalten hatte, doch sah er mit Freude, wie sie strahlend von ihrem Fang erzählte. Selten hatte er sie so ausgelassen gesehen. Es lag sicher auch daran, daß die Schule noch nicht wieder angefangen hatte, dachte er und lachte wie alle anderen über diese Geschichte.

Er selbst hatte in drei Partien nur einen Schnatz gefangen, da er schon zu Beginn des zweiten Matches auf die Position des Hüters gewechselt war. Harry hatte Lust, einmal etwas anderes auszuprobieren, und teilte sich die Position mit Cho. Alle paar Minuten wechselten sie durch, und so konnten sich die gegnerischen Mannschaften nie auf einen von ihnen einstellen. Harry ließ in den zwei Partien als Hüter nur vier Bälle durch, und Cho war sogar noch besser gewesen.

Auch Hagrid ließen sie heute auf einem Besen fliegen, doch wenn man es genau betrachtete, waren es drei Besen gleichzeitig gewesen: einer alleine war nicht in der Lage, ihn in die Luft zu befördern; mit zweien ging es dann schon ganz gut, und er konnte langsam durch die Gegend schweben; mit dreien flog er schließlich richtig schnell, wobei ihm die Landung ein wenig mißlang und sich alle kaum noch vor Lachen halten konnten. Selbst Hagrid prustete los, daß er kaum noch Luft bekam, und so war es für alle ein fast perfekter Tag.

Hermine hatte ihm wieder einen Pullover heruntergebracht, als er gegen dreiundzwanzig Uhr – zufrieden wie selten – ins Bett gestiegen war. Wie es inzwischen zur Regel geworden war, hatten sie sich wieder mit einem langen Kuß voneinander verabschiedet, was Harry wie ein Baby schlafen ließ.

Der vierte Januar begann wie üblich, und Harry ging mit seinen Freunden zum Frühstück. Bei diesem nahm zu seiner Überraschung auch Dumbledore teil. Dieser schien äußerst müde zu sein, und Harry war sicher, daß er während der Nacht nicht geschlafen hatte.

Hermine bekam beim Frühstück ein kleines Paket von ihrer Mutter, und als sie es, ohne es zu öffnen, in einen Beutel tat, wurde Harry neugierig.

»Was ist denn drin?« fragte er und lächelte sie an.

»Erzähle ich dir später. Ist jetzt nicht so wichtig«, antwortete sie leichthin und machte Harry damit nur noch neugieriger.

»Komm schon, erzähl's mir!« drang er weiter in sie und setzte einen flehentlichen Gesichtsausdruck auf, der nur krampfhaft ein Grinsen verbarg.

»Ich zeige es dir noch früh genug, da kannst du absolut sicher sein!« Ihr Finger zeigte auf Dumbledore. Harry blickte hinüber und erkannte, daß dieser ihn zu sich winkte, um ihm kurz mitzuteilen, daß er sie nachher zu sprechen wünschte.

Auf dem Rückweg zu seinem Platz bemerkte er, daß Ginny mit ihrem Blick Hermine taxierte, konnte sich den Grund dafür aber nicht erklären, bis sie Ginny ihrerseits einen eindeutigen Blick zuwarf und ihm klar wurde, daß es nur um das Paket gehen konnte. Einen Moment lang überlegte er, ob er weiter nachzubohren sollte, ehe er entschied, geduldig zu sein und abzuwarten, bis Hermine es ihm von allein erzählen würde.

Nach dem Frühstück gingen die beiden zu Dumbledore ins Büro, und er erzählte über seine Reise nach Polen:

»Wir haben herausbekommen, daß Elisabeth Potter zwei Jahre dort gelebt hatte. Sie hatte dort offenbar einige weitere Fortbildungskurse besucht und war an einer speziellen Schule für erwachsene Zauberer eingetragen. Sie wollte wohl vor allem ihr Sprachwissen auffrischen und hatte auch Kurse in angewandter Magie und so etwas wie Muggelkunde belegt. Sie lebte in einem Ort mit Namen Tarnobrzeg.«

Dumbledore gelang es, diesen Namen auszusprechen, ohne sich die Zunge zu brechen, was Harry sehr imponierte. Aufmerksam hatte er zugehört, und als er gerade Fragen stellen wollte, redete Dumbledore weiter:

»Danach verließ sie das Land und ist höchstwahrscheinlich in Richtung Ungarn gereist. Wir haben keinen Hinweis darauf gefunden, daß sie in Polen eine Familie gegründet hat. Als nächstes werde ich mich ebenfalls nach Ungarn begeben und versuchen, dort die Spur wieder aufzunehmen. Zuvor allerdings muß ich mich einige Stunden ausruhen. Ich werde noch am Abendessen teilnehmen und die anderen Schüler in einer kleinen Rede begrüßen und mich anschließend wieder auf die Reise machen.«

Dumbledore schwieg, lehnte sich zurück und schloß die Augen. Harry verstand das als Zeichen, daß er ihnen alles mitgeteilt hatte, und sie verließen sein Büro.

Natürlich erzählte er alle Neuigkeiten seinen Freunden. Sofort stellte Ron die verrücktesten Theorien auf, und Luna nickte mindestens bei jeder zweiten zustimmend mit dem Kopf. Harry wußte, daß sich zwei verwandte Seelen gefunden hatten, auch wenn Ron das vor nicht allzu langer Zeit vehement abgestritten hätte.

Hermine konnte sich auf die ganze Sache mit Osteuropa noch keinen wirklichen Reim machen. Zwar wollte sie in den nächsten Tagen ein oder zwei Ansatzpunkte in der Bibliothek nachschlagen, doch glaubte sie nicht so recht daran, daß sie etwas Entscheidendes zur Lösung beitragen könnte.

Am Nachmittag spielten sie noch einmal ein wenig Quidditch, und kaum war es fünf Uhr, trafen die anderen Schüler ein. Viele von ihnen hatten natürlich den Tagespropheten gelesen, wollten aber nun alles aus erster Hand erfahren. Auch die Slytherins waren nun wieder in Hogwarts, nachdem sie am zwanzigsten Dezember von Snape aus Durmstrang abgeholt worden waren und die Feiertage zu Hause verbracht hatten. Ziemlich überrascht war Harry, daß ihn fast alle Schüler den ganzen Abend über in Ruhe ließen, was ihn allerdings erfreute. Nur zwei junge Gryffindors kamen zum ihm, um die Ereignisse aus seiner Sicht zu erfahren, doch war Neville an seiner Seite und übernahm gern die Rolle des Geschichtenerzählers.

Nebenbei bekam Harry mit, daß viele der anderen Schüler der DA beitreten wollte, hatte Dumbledore doch schon einige von ihnen nur mit Mühe vor der Schlacht nach Hause schicken können. Da in der DA zu sein bedeutete, daß die Chancen, an Kämpfen teilzunehmen, beträchtlich stiegen, waren nun viele interessiert und wollten sich nicht mehr ausschließen lassen. Auch die Erwähnung der vielen damit verbundenen Gefahren konnte sie von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Das Ganze kam Harry aber auch nicht ungelegen, da die DA leider deutlich geschwächt worden war und der Kampf gegen Voldemort keine solche Schwäche erlaubte. Sie würden die Gruppe mit frischem Blut wieder verstärken müssen, das aber sollten die anderen in die Hand nehmen.

Ron hatte Harry geraten, die Verantwortung auf noch mehr Köpfe zu verteilen, und so gab er Ron, Luna, Dean und Zacharias die Aufgabe, die Neuen auszusuchen. Sie sollten sorgsam wählen und die Frischlinge auf ihre Kenntnisse prüfen und entsprechend in die Gruppen einteilen. Harry wollte drei Gruppen mit je fünfundzwanzig Mitgliedern bilden, glaubte aber selbst nicht daran, daß sie wirklich drei davon vollbekämen. Am Nachmittag aber war er schon gezwungen, die Gruppen auf dreißig Mann aufstocken zu lassen, weil ein so großes Interesse bestand.

Eine dieser Gruppen wollte er weiter selbst führen, und in ihr sollten nur die Besten der Besten sein. Zu dieser Gruppe gehörten auch fast alle verbliebenen Gründungsmitglieder der DA. Sie würden das härteste Training haben, und er wollte auch wieder einige Gastvorlesungen einbauen. Die zweite Gruppe sollte Hermine zusammen mit Ginny führen. Den Anfängern sollten Neville und Ron die wichtigsten Grundkenntnisse beibringen, anders war das Training sonst nicht mit der Schule in Einklang zu bringen.

Es gab aber nicht nur Leute, die begeistert von der DA waren und mitkämpfen wollten. Es gab auch ein paar, die der Sache sehr skeptisch gegenüberstanden, und auch Dumbledore wurde nicht von ihnen verschont. Sie waren der unumstößlichen Meinung, daß Kinder an keinem Krieg teilzunehmen hatten, und sie glaubten, Harry hätte die anderen irgendwie dazu überredet. Ihm waren diese Vorwürfe egal, hatte er sich in all den Jahren doch schon daran gewöhnt, daß er mal ein Held und mal ein Irrer sein sollte.

Am nächsten Morgen sollte die Schule wieder losgehen und damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von der DA ablenken, während er Freitag mit dem DA-Training fortfahren wollte. Nach dem Abendessen ging er mit Hermine noch in die Bibliothek. Dort ging sie wieder ihren Spuren nach, die leider nichts Konkretes ergaben, und Harry tat einiges für den Zaubertrankunterricht. Er wollte allen zeigen, daß er es noch besser konnte, und vor allem wollte er es sich selbst beweisen. Als er das erste Mal an diesem Abend auf die Uhr blickte, war es schon gegen zehn, und er fragte sich ernsthaft, wo die Zeit geblieben war.

Er verabschiedete sich mit einem leidenschaftlichen Kuß von Hermine, die noch weiter recherchieren wollte, und ging in den mittlerweile wieder vollbelegten Gryffindor-Turm. Dort traf er auf Luna, die ihm freudestrahlend erzählte, daß die DA-Mitglieder im Krankenflügel wieder völlig wiederhergestellt seien und von den dreien im St. Mungo nur Adrian noch nicht entlassen worden sei, während Gary und Sarah sich bereits auf dem Krankenflügel von Hogwarts befänden.

Als er Minuten später in sein Bett stieg, benutzte er abermals einen von Hermines Pullovern als Kopfkissen und schlief schnell ein.

Mitten in der Nacht – gegen drei Uhr – wachte er auf. Ron schien einen Alptraum zu haben und machte dabei soviel Lärm, daß Harry zu ihm gehen mußte, um ihn zu wecken.

»Ron, wach auf. Du träumst schlecht!«

Fast hätte sein Kumpel ihm dabei einen Schlag verpaßt, und er vermutete, daß Ron etwas von Percy träumte; anscheinend stritten sie sich im Traum, und Ron wollte Percy wohl eine verpassen.

»Was, Mum? – Nein, ich will noch schlafen!« murmelte er und schien leicht verwirrt zu sein, schlief aber so schnell wieder ein, daß Harry es bis dahin noch nicht einmal zurück in sein Bett geschafft hatte.

Er überlegte, ob er Luna den Tip mit dem Pullover stecken sollte, vielleicht würde Ron ja damit auch besser schlafen können. Müde zog sich Harry die Bettdecke über den Kopf und schlief ebenfalls schnell wieder ein.

Kurz vor sieben Uhr wachte er auf und bemerkte, daß Ron den Schlafsaal schon verlassen hatte und Neville und Dean sich gerade anzogen. Harry weckte Seamus und wollte anschließend Ron suchen. Er fand ihn im Gemeinschaftsraum, als er sich gerade mit Luna und Hermine unterhielt. Harry ging zu ihnen und begrüßte Hermine mit einem Kuß.

»Alles klar, Ron?« fragte er.

»Na ja. Ich glaube, du weißt ja von meinem Traum, ich glaube, du hast mich aus ihm erweckt. Ich hab' den beiden gerade davon erzählt. Sie glauben, ich sollte mal mit meinem Dad reden.«

Luna wandte sich an Harry: »Denkst du nicht auch, daß es eine gute Idee ist? Vielleicht hilft es Ronald.«

»Kann schon sein. Manchmal hilft es mir auch, über meine Träume zu reden. Im Augenblick geht's mir nachts aber ganz gut. Träume inzwischen nicht mehr schlecht – sind eher angenehme Träume«, meinte Harry und zwinkerte Hermine zu, die sofort leicht rot anlief. Sie blickte sich um, um zu sehen, ob Ron und Luna etwas mitbekommen hatten, und sah erleichtert aus, als sie keinerlei Reaktionen zeigten. »Am besten schlafe ich, wenn Hermine bei mir ist. Könnt ihr ja auch mal ausprobieren.« Dabei grinste Harry Ron schelmisch ins Gesicht.

Ron und Luna blickten sich kurz an und wurden beide rot; offenbar interpretierten sie in seine Aussage zuviel hinein. Aus dem Augenwinkel sah er, daß auch Hermine wieder rot anlief, was ihn schon verwunderte, wußte sie doch, wie er es eigentlich gemeint hatte.

Sie erhoben sich und gingen zusammen hinunter in die Große Halle zum Frühstück. Wieder waren die vier Haustische reichlich mit Essen gedeckt. Seit die anderen Schüler zurück in Hogwarts waren, kehrte langsam wieder der Alltag ein, und Harry vermißte es schon, an nur einer großen Tafel mit allen zusammen zu speisen. Irgendwie war es ihm viel familiärer vorgekommen, und er mochte es sehr. Aus welchem Hause man kam, war jedem egal gewesen. William aus dem Hause Slytherin hatte neben einem Hufflepuff und einer Ravenclaw gesessen, und niemand hatte sich auch nur entfernt daran gestört. Seit heute morgen jedoch war die alte Ordnung wiederhergestellt; die Rivalität zwischen den Häusern würde wieder wachsen, und jeder war wieder von den anderen getrennt, wenn man einmal von ganz wenigen Ausnahmen wie Luna absah, die sich nie an die Sitzordnung halten würde. Harry war sich unsicher, ob er das so zulassen wollte. Deshalb wandte er sich kurzum an einige Gryffindors:

»Kommt, Leute, verteilt euch an die anderen Tische. Der Konkurrenzkampf der Häuser muß ein Ende haben.«

Alle schienen seine Idee gut zu finden oder sie zumindest nicht offen abzulehnen, da sie tatsächlich begannen, sich zu verteilen. Harry schnappte sich Hermines Hand und ging mit ihr zum Slytherin-Tisch. Ron und Luna gingen zu Ravenclaw, während sich Ginny und Neville an den Tisch von Hufflepuff setzten. Dean blieb beim Gryffindor-Tisch, und Seamus setzte sich mit Lavender ebenfalls an den Slytherin-Tisch. Einige in der Halle schienen davon ziemlich verwirrt zu sein, doch Harry glaubte, daß er Dumbledore lächeln sah, als er sich mit Hermine gesetzt hatte. Er ermunterte einige der Slytherins, sich doch auch an einen der anderen Tische zu setzen, und sagte ihnen, daß sie sich doch an die Ansprache des Hutes erinnern sollten. Dieser hatte ihnen damals gesagt, daß, nur wenn die Häusergrenzen überwunden würden, sich eines Tages alles zum Guten wenden würde.

Tatsächlich begannen sich die Häuser zaghaft zu mischen, was vor allem an den DA-Mitgliedern aus dem Hause Slytherin lag, von denen es inzwischen sieben gab. Harry war selbst ein wenig über den Erfolg erstaunt und fand sich nur wenig später in einer interessanten Diskussion mit zwei Viertkläßlern aus dem Hause Slytherin wieder. Es waren Tim Holland und Richard Edlund, mit denen er niemals zuvor auch nur ein Wort gewechselt hatte. Eigentlich konnte er sich nicht einmal daran erinnern, sie jemals zuvor gesehen zu haben, doch das spielte keine Rolle. Sie unterhielten sich über Quidditch-Manöver, Vor- und Nachteile der verschiedenen Besen und wie toll sich sein Feuerblitz flog.

Pansy Parkinson sah zornig zu Hermine, als diese ein Gespräch mit Jane Burgess anfing, wagte es aber nicht, sich in das Gespräch mit einzumischen. Nebenbei konnte Harry hören, daß Jane im dritten Jahr war und sich, schon seit sie sieben war, sehr für Zaubertränke interessierte. Selbst in ihrer Freizeit hatte sie praktisch immer einen Kessel auf dem Feuer und konnte durchaus als Profi bezeichnet werden. Dagegen sah Pansy Parkinson mit jeder Minute übellauniger aus und hatte es wohl auch noch nicht verwunden, daß Draco Malfoy nun Lord Voldemort war und Draco selbst sehr wahrscheinlich tot war. Positiv denkend, hoffte Harry, daß sie sich irgendwann beruhigen würde, hatte aber nicht allzuviel Hoffnung. Vielleicht könnte ja Gregory mal ein Wort mit ihr sprechen, möglicherweise könnte er zu ihr durchdringen, dachte er, bezweifelte es aber irgendwie.

Um Viertel vor acht bat Dumbledore dann um Ruhe, da er offenbar eine kleinere Ansprache halten wollte. Zuerst begrüßte er alle Schüler, vor allem die, die erst vor zwei Tagen zurückgekommen waren. Er erzählte ein wenig von der großen Schlacht und auch davon, daß viele während dieser gefallen waren. Er dankte der DA für ihr beherztes Eingreifen und für ihren Mut, und er erwähnte einen jeden einzelnen, der gestorben war, namentlich. Er sagte, daß niemand sie dazu aufgefordert habe zu kommen, sondern daß das Gegenteil der Fall gewesen sei und sie trotzdem dagewesen seien. Man solle sich ihren Mut und ihre Tapferkeit zum Vorbild nehmen, und er erinnerte sie alle daran, daß sie sich darüber im klaren sein sollten, auf welcher Seite sie stehen würden, und ob sie bereit wären, für diese Seite zu kämpfen. Er ermahnte sie, daß man in letzter Konsequenz aber auch bereit sein müßte, für seine Seite zu sterben, und er warnte davor, unvorbereitet in einen Krieg zu ziehen.

»Die DA-Mitglieder waren gut ausgebildet, und trotzdem sind viele von ihnen verletzt oder getötet worden. Ihr solltet alle genau über euer Handeln nachdenken, denn stets bleiben euch mehrere Optionen. Wählt weise! Ich bitte auch darum, euch mit euren Eltern über diese Problematik zu unterhalten. Sie lieben euch sehr und wollen euch nicht verlieren. Ihr solltet auch ihre Wünsche berücksichtigen. Schließlich und endlich sind viele von euch noch Kinder, und es würde mir sehr schwer fallen, euch zu Grabe zu tragen. Versteht mich in dieser wichtigen Angelegenheit aber nicht falsch. Trotz allem werde ich euch keine Steine in den Weg legen. Ein jeder von euch kann und wird seinen eigenen Weg gehen, daran vermag ich sowieso nichts zu ändern. Genauso, wie ich die DA nicht davon abhalten konnte, werde ich auch euch nicht aufhalten können. Dieser Krieg verlangt von vielen von uns Opfer, und ihr allein habt die Wahl, ob ihr schon bereit seid, sie zu tragen.«

Dumbledore ließ seine Worte lange nachwirken. Harry konnte einige Schüler flüstern hören und schloß daraus, daß das Bedürfnis, sich über seine Worte zu unterhalten, wohl sehr stark war. Dumbledore fuhr nun fort, und augenblicklich war es wieder still im Saal.

»Nun aber zurück zu den Schulthemen. Der Unterricht läuft wieder nach Plan. Er beginnt heute allerdings erst um acht Uhr dreißig, und die erste Stunde ist entsprechend zu verkürzen. Ich selbst werde auf unbestimmte Zeit verreisen und nur sehr selten und dann meist nur kurz hiersein. Professor McGonagall wird mich in der Zwischenzeit vertreten und hat volle Entscheidungsgewalt. Ich verabschiede mich also von euch allen und mache mich jetzt auf den Weg.« Wohin er wollte, ließ er offen, aber für Harry und die DA-Mitglieder war es kein Geheimnis mehr. Dumbledore verabschiedete sich noch kurz von einigen Lehrern und verließ auch schon die Große Halle, nicht ohne Harry aber noch einmal zuzuzwinkern.

Die ersten beiden Stunden des Tages waren im Fach Verwandlung. Eigentlich hätten sie montags immer zuerst Zaubertränke, jedoch hatte sich nach den Weihnachtsferien der Stundenplan ein wenig geändert, was allerdings niemanden wirklich störte. Professor McGonagall zeigte ihnen ein paar faszinierende Sprüche, gab ihnen leider aber auch einen Haufen Hausaufgaben auf, der Harry viel Zeit kosten würde, die er lieber für sein Selbststudium genutzt hätte.

Der Rest des Tages war nicht mehr ganz so spannend, dennoch mit ebenso vielen Hausaufgaben verbunden. Fast den ganzen Abend brauchte Harry für ihre Erledigung und auch für seine Übungen für Zaubertränke. Er hatte sich mit neuem Eifer dem Stoff, den es zu lernen galt, gewidmet und freute sich schon fast auf den Unterricht, auch wenn er sich niemals auf Snape freuen können würde.

Am nächsten Morgen beim Frühstück – Harry und Hermine saßen diesmal am Tisch von Ravenclaw – war die Durchmischung der Häuser schon gründlicher. Es gab nur wenige, die sich scheinbar dem Ganzen entziehen wollten und sich strikt weigerten, ihre angestammten Plätze zu verlassen.

Aus Hermines Tagespropheten erfuhren sie von weiteren Entführungen in Osteuropa, worüber sich niemand von ihnen wunderte. Zwei weitere waren in Ungarn verschwunden, einer in Bulgarien, und drei Rumänen wurden ebenfalls vermißt. Hermine fand das Ganze sehr aufschlußreich:

»Seht ihr! Es wurde niemand mehr in Polen entführt. Anscheinend weiß Voldemort nun auch, daß Elisabeth Potter nur eine begrenzte Zeit in Polen war. Er muß aber noch mehr wissen, sonst würde er kaum so viele Hexen und Zauberer auch aus den anderen Ländern entführen.«

»Für mich ist eher die Frage entscheidend, woher er soviel weiß. Ich meine, Dumbledore und das Ministerium wissen fast nichts«, gab Harry zu bedenken.

Stille folgte, bis ihnen bewußt wurde, daß der Unterricht gleich beginnen würde; alle nahmen ihre Schulsachen und gingen hinunter in Richtung der Kerker. Sie mußten noch einige Minuten vor der verschlossenen Tür warten, ehe Professor Snape sie von innen öffnete und sie hineinließ. Alle Schüler nahmen still ihre Plätze ein, die Kessel und eine gewaltige Menge von Zutaten lagen schon für sie bereit, ebenso wie die Aufgabenstellung schon an der Tafel stand.

»Ich empfehle, sofort mit der Zubereitung zu beginnen. Die Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, ist äußerst knapp bemessen«, verkündete Snape und zeigte mit seinem Zauberstab auf die Tafel. Der Unterricht begann.

Jetzt, da Draco Malfoy nicht mehr da war und Harry mit der DA am Kampf gegen Voldemort teilgenommen hatte, war Snape zu Harrys Erstaunen höchst erträglich. Er schien auf eine seltsame Art und Weise einen gewissen Respekt für Harry und die anderen zu empfinden, was ihn beinahe davon abhielt, sie grundlos herunterzuputzen; deshalb kam Harry mit seinem Trank auch gut voran. Einmal wäre ihm zwar fast ein Schnitzer passiert, doch hatte er ihn schon entdeckt, bevor Hermine ihn überhaupt darauf aufmerksam machen konnte. Am Ende der Doppelstunde waren Harrys, Hermines und auch Rons Tränke sehr gut geworden, was alle mit Stolz erfüllte. Auch Nevilles Trank war wieder einmal gut gewesen, und er trotzte Snape damit sogar ein anerkennendes Heben seiner rechten Augenbraue ab.

Der Rest der Woche verging wahnsinnig schnell, und Harry war nicht nur im Zaubertrankunterricht so gut wie niemals zuvor. Jeder Trank, den sie in den ersten sechs Wochenstunden gebraut hatten, war ihm gelungen, und selbst Hermine schien davon überrascht zu sein. Auch der Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste bei Professor McNally lief für Harry und die anderen sehr erfolgreich. Stetig verbesserten sie ihre Technik und lernten neue Sprüche. Es gab nur ein DA-Treffen in der Woche, und Harry zeigte ihnen, mit Mad-Eyes Hilfe, zwei neue Flüche. Dagegen versuchte Hermine, der zweiten Gruppe den Patronus beizubringen, und Ron und Neville zeigten den Anfängern einige der leichteren Flüche.

Harry schlief die Woche über sehr gut, und auch Ron schien seine Alpträume langsam zu überwinden, war er doch nur in einer Nacht schweißgebadet aufgewacht. Regelmäßig ging Harry schon vor zwölf Uhr ins Bett, und seine Hausaufgaben erledigte er mit einem ihm bisher fast unbekannten Fleiß. Nicht einmal Hermine war mit ihren Aufgaben schneller fertig als er, was diese fast ein wenig verärgerte. Ron dagegen kam eigentlich nie vor ein Uhr ins Bett, hatte sich etwas von Harry und Hermine zurückgezogen und lernte vor allem viel mit Neville zusammen. Die beiden machten einen genauen Plan, wie sie ihre DA-Übungsgruppe schnellstmöglich auf den Stand von Hermines Gruppe bringen könnten, und so setzten sie für jede Woche eine Extrasitzung an. Nur dadurch schien es ihnen möglich, das Pensum zu schaffen, daß sie dafür bewältigen mußten.

Eine weitere Woche verging wie im Fluge, und Dumbledore tauchte erst am Sonntagmorgen wieder auf. Zwei Wochen waren nun schon seit seiner Abreise vergangen, und wieder wirkte er auf Harry ausgesprochen müde. Harry, Hermine und Ron waren in seinem Büro, als er von seiner Reise erzählte.

Dumbledore war in Ungarn gewesen und hatte die Spur weiterverfolgt. In Pécs wäre er fast mit Voldemort zusammengetroffen, hatte er ihn doch nur um einen einzigen Tag verpaßt. Elisabeth Potter hatte sich etwa ein Jahr in der Stadt am südlichen Fuße des Mecsek-Gebirges aufgehalten, hatte dort unter Muggeln gelebt und war zuerst nicht weiter aufgefallen. Es gab nur wenige konkrete Hinweise auf ihren Aufenthalt, und Dumbledore erzählte Harry, was er noch erfahren hatte.

»Elisabeth Potter hat in Pécs viel Zeit mit einem gewissen János Szabó verbracht; dieser war ein Muggel. Später wurde sie von ihm als Hexe enttarnt, woraufhin er sie anzeigte. Dies war mit ziemlicher Sicherheit der Auslöser für ihre Flucht aus dem Land, und leider wissen wir dann nur noch, daß sie ein Jahr später kurz zu ihm zurückkehrte. Warum und weshalb können wir aber nur vermuten. Wir wissen allerdings, daß Voldemort tatsächlich einen Nachfahren der Familie Szabó entführen ließ. Er ging offenbar davon aus, daß sie zurückkehrte, weil sie ein Kind von ihm erwartete oder bekommen hatte. Dies ist für uns im Moment aber unwahrscheinlich. Ihr zweiter Aufenthalt in Ungarn war nur sehr kurz, und ich glaube nicht, daß sie ihr Kind einfach dort zurückgelassen hat, nur um dann weiterzuziehen. Folglich sind die Nachfahren der Familie Szabó mutmaßlich nicht mit dir verwandt. Für unsere Theorie spricht auch, daß wir den Entführten nur zwei Tage später tot fanden. Zudem hatte er nur einen weiteren Tag später noch einen Rumänen entführen lassen, und dies hätte er wohl nicht mehr nötig gehabt, wenn seine Suche schon erfolgreich gewesen wäre.«

Dumbledore wollte am Dienstag nach Ungarn zurückkehren und hoffte, dort noch etwas mehr zu finden. Für Harry war es spannend, etwas über mögliche Verwandte zu erfahren, obgleich er sich auch große Sorgen darüber machte. Schließlich könnte Voldemort sie gegen ihn einsetzen, und dies wollte Harry unbedingt vermeiden. Im Moment konnte er aber nur abwarten, was ihm schon immer sehr schwergefallen war, denn nichts hätte er lieber getan, als mit Dumbledore und Hermine zusammen seiner Familie hinterherzuspüren.

Für die nächste Woche war endlich wieder ein Quidditch-Match angesetzt. Ravenclaw trat gegen Hufflepuff an, und Harry war sich nicht sicher, wen er lieber siegen sehen wollte, da er in beiden Mannschaften gute Freunde hatte. Die DA-Mitglieder sahen sich das Spiel gemeinsam an, und beide Mannschaften wurden von ihnen gleich laut bejubelt, da es für Harry kein wirklicher Wettstreit mehr war. Eigentlich wollte er beim Quidditch nur noch möglichst viel Spaß haben und sich an tollen Spielzügen erfreuen, weshalb er am Training seiner eigenen Mannschaft seltener und auch kürzer teilnahm.

Das Spiel war relativ ausgeglichen, und Hufflepuff führte mit nur zehn Punkten Vorsprung, ehe es nach rund zwei Stunden vorbei war. Hufflepuff-Sucher Clifton Summerby, ebenfalls ein DA-Mitglied, konnte den Schnatz knapp vor Cho fangen, und so lautete das Endergebnis zweihundertdreißig zu siebzig Punkte. Zwar ärgerte sich Cho einige Zeit lang sichtlich, doch schon beim Abendessen war es wieder vergessen, als die beiden Sucher miteinander scherzten, was Harry erfreut zur Kenntnis nahm. Keiner schien wirklich unglücklich, daß er das Spiel verloren hatte, und so war die Stimmung allgemein gut. Nur ein harter Kern um Pansy Parkinson und einigen Siebtkläßlern herum war übel gelaunt. Gregory hatte zwar versucht, mit ihr zu sprechen, doch sie hatte ihn einfach abgewürgt, wollte sie doch »mit keinem Freund von Potter etwas zu tun haben, und schon gar nicht jetzt, wo Draco seinetwegen tot ist«.

Eine weitere Woche raste nur so dahin. In der Zeit hatte Harry nur einmal – für kaum zwei Stunden – Quidditch-Training und leitete einmal seine DA-Gruppe, wobei jemand vom Orden – ein Auror namens Timothy Walker – anwesend war und ihnen eine neue Art der Verteidigung beibrachte. Es handelte sich hierbei um einen Tarnzauber; solange man stillstand, konnte man nicht gesehen werden, und selbst andere Zauber vermochten diesen wirksamen Spruch nicht aufzuheben. Er hatte nicht die Nachteile wie verschiedene andere Sprüche, doch war er sehr schwierig auszuführen, und am Ende war es Harry nur gelungen, seine Beine unsichtbar zu machen. Viele in seiner Gruppe waren völlig an dem Zauber gescheitert; nur Neville hatte es halbwegs hinbekommen, und bis auf seine Arme war er gänzlich unsichtbar geworden. Trotzdem war Timothy Walker sehr überrascht, daß es überhaupt diese Erfolgserlebnisse gab, da er zugab, daß er selbst fast zwei Monate gebraucht hatte, diesen Zauber korrekt zu erlernen.

Zwei Tage später schaffte Harry es jedoch auf einmal, sich vollständig unsichtbar zu machen; dabei war er mit Hermine im Gemeinschaftsraum der Gryffindors gewesen, und es war leichter, als er es erwartet hatte. Es gab einen kleinen Trick, den Hermine gefunden hatte und der auch Timothy unbekannt, wie Harry später erfuhr. Nicht nur Harry war davon sehr überrascht, sollte man doch meinen, daß ein solch einfacher Trick in der ganzen Zaubererschaft bekannt sein sollte, doch andererseits bestätigte dies eigentlich nur, wie brillant Hermine tatsächlich war.

Nur eine Woche später beherrschten neunzehn DA-Mitglieder diesen Zauber, und auch Dumbledore schien sehr verblüfft zu sein, als Harry es ihm bei ihrem nächsten Treffen erzählte. Er wußte ja, wie weit die DA-Mitglieder bereits waren; daß sie aber einen solch komplexen Zauber so schnell erlernten, fand er außergewöhnlich.

Anschließend erzählte er Harry auch von seiner zweiten Reise nach Ungarn. Damals war Elisabeth Potter noch einmal zurückgekehrt, weil sich János Szabó wohl von Angesicht zu Angesicht bei ihr hatte entschuldigen wollen. Die beiden hatten nach ihrer Flucht aus Ungarn offenbar noch Briefkontakt gepflegt, und Elisabeth hatte János davon überzeugen können, daß sie ihm nie Schaden hatte zufügen wollen. Er hatte es endlich geglaubt und ihre Beziehung vermutlich wieder ins reine bringen wollen, doch dafür gab es keine wirklichen Beweise. Dumbledore zeigte Harry einen von drei Briefen, die Elisabeth an János geschrieben hatte.

»Leider gibt es auch keine wirklichen Hinweise auf ihren nächsten Aufenthaltsort. Einiges spricht aber für Rumänien, welches auch mein nächstes Ziel sein wird. Vom Ministerium werden ebenfalls weitere Leute entsandt. Es gibt in einem der anderen Briefe, welche momentan im Ministerium untersucht werden, die Beschreibung einer Gemeinde, und das könnte der entscheidende Hinweis sein. Die Beschreibung deutet auf eine kleine Stadt mit Namen Caracal hin. Es könnte sich natürlich auch als eine Sackgasse herausstellen, ich bin aber voller Hoffnung, daß wir dort etwas finden werden.«

Dumbledore erzählte ihm auch von neuen Entführungen. Wieder waren ein Pole, ein Ungar, drei Rumänen und zwei Bulgaren verschwunden. Er teilte Harry mit, daß man auch weitere Leichen gefunden hatte; in Polen war man fündig geworden und hatte drei Tote entdeckt. Diese waren eindeutig durch mächtige Schwarze Magie getötet worden, und zwar nicht allein mit dem Todesfluch. Als Dumbledore Harry davon erzählte, lief es diesem eiskalt den Rücken herunter, waren sie doch ganz offensichtlich auch zu Tode gefoltert worden. Harry konnte diese Brutalität und Gewalt nicht mehr ertragen, und ihm wurde speiübel. Er hörte kaum noch zu, als Dumbledore ihm erzählte, daß er nach Rumänien wollte, sobald er sich ein wenig ausgeruht hatte.

Dumbledore wartete, bis sich Harry von den Schreckensmeldungen erholt hatte, ehe er das Thema wechselte. »Gibt es bei dir persönlich noch etwas Neues?« fragte er und zwinkerte ihm zu.

Harry überlegte einen Moment und erzählte dann ein wenig von sich und Hermine. Mit Freuden hörte Dumbledore, daß Harry eine Möglichkeit gefunden hatte, seine Alpträume fernzuhalten, und er war auch erfreut, daß Harrys Narbe nun kaum noch schmerzte und er seine Okklumentikübungen mit gutem Erfolg weitergeführt hatte. Auch hatte er wohl von Professor Snape erfahren, daß Harry sich in Zaubertränke beträchtlich gesteigert hatte, und fand lobende Worte für ihn. Dumbledore hatte ihn nur selten für schulische Leistungen gelobt, weswegen Harry um so stolzer darüber war. Als er Hermine später davon erzählt, mußte sie lächeln, denn ein Lob von Dumbledore stellte für sie wahrhaft die Krönung dar.

Auch die nächste Woche verstrich weitestgehend ereignislos, wenn man von einer Ausnahme absah. Am meisten Aufsehen erregte das Spiel zwischen Ravenclaw und Slytherin. Das Spiel war von vielen brutalen Fouls und einigen Strafen geprägt, doch am Ende gewann Slytherin deutlich mit zweihundertsechzig zu fünfzig Punkten. Ihr Sucher Philip Voss, ein Viertkläßler, konnte den Schnatz knapp vor Cho fangen. Malcolm Clarke hatte sich während des Spiels in einen wahren Rausch kommentiert, und die schnelle Folge von Slytherin-Fouls ließ ihn immer parteiischer werden, was ihm viele Sympathien einbrachte, wenn man von einigen Slytherins absah. Diese zweite Niederlage betrübte Cho deutlich mehr, hatte sie nun schon das zweite Spiel in Folge knapp verloren, weil der gegnerische Sucher ihr den Schnatz praktisch vor der Nase weggeschnappt hatte. Dieses Mal brauchte sie einige Zeit, um sich davon zu erholen, und das nicht nur, weil sie zweimal hintereinander versagt hatte; auch die Art, wie Philip Voss sie kurz vor dem Fang gefoult hatte, konnte sie nicht so leicht verkraften.

Einige Slytherins hatten den Sieg und Voss überschwenglich gefeiert, vor allem natürlich Pansy Parkinson, Blaise Zabini und die Siebtkläßler ihrer Clique. Die Mitglieder dieser kleinen Gruppe waren nun die absoluten Außenseiter der Schule. Die anderen Häuser verbesserten stetig ihr Verhältnis zueinander, während es zu Pansy Parkinson und ihren Freunden immer mehr abkühlte. Allerdings gab es auch bei den Slytherins genug Leute, die mit Pansy Parkinson nichts zu tun haben wollten und sich deshalb von ihnen fernhielten. Harry war sehr erstaunt darüber, daß sich einige von ihnen trotz aller Probleme in der Vergangenheit bei der DA bewarben, freute sich aber darüber. Jeden von ihnen ließ er mit dem Wahrheitsserum testen, führte es aber auch für alle anderen Häuser ein, da er sich keine Verräter in der Truppe leisten wollte. Auch alle bestehenden Mitglieder mußten es über sich ergehen lassen, und auch seine besten Freunde wollte und konnte er davon nicht ausnehmen. Zwar war Hermine kurzzeitig böse auf ihn, doch sah sie ein, daß es für alle das beste und auch am gerechtesten war. Er selbst ließ sich ebenfalls testen, obwohl ihm eigentlich alle sagten, daß es lächerlich wäre. Snape wollten sie für den Trank allerdings nicht belästigen, weshalb sie ihn einfach selbst herstellten.

Die Slytherins, die in der letzten Zeit in die DA eingetreten waren, hatten dies äußerst vorsichtig tun müssen, da sie andernfalls schlimme Repressalien zu befürchten hatten. Pansy Parkinson und etwa fünfzehn andere bildeten eine eingeschworene Truppe, und wer sich ihnen widersetzte, hatte nicht mehr viel zu lachen. Es gab nur wenige im eigenen Haus, die keine Angst vor ihnen hatten, insbesondere nach diesem einen seltsamen Zwischenfall; dabei waren ein paar Fünftkläßler unter merkwürdigen Umständen verhext worden, und Madam Pomfrey hatte ihnen erst nach einigen Tagen helfen können. Zu gern hätte Harry Pansy Parkinson dafür eine Lektion erteilt, doch glaubte er nicht daran, daß es die Geschichte zum Besseren wenden würde. Auch Hermine und die meisten anderen rieten ihm davon ab, wobei Ron als einziger von dem Vorschlag begeistert gewesen war.

Beim nächsten Treffen der kompletten DA – inzwischen waren sie schon über hundert Mann – wollte Harry nach Lösungen suchen lassen, wie man mit diesen unbelehrbaren Slytherins klarkommen sollte, da es eines Tages sonst zu einer Katastrophe kommen könnte, wie vor allem Hermine glaubte.

An einem Freitag, kurz nach drei Uhr, kam Harry gerade aus Verwandlung, seiner letzten Unterrichtsstunde, und vernahm weiter hinten auf dem Gang einen Tumult. Er blickte Hermine an, und beide liefen einigen anderen hinterher, um nachzusehen. Als sie dort ankamen, fanden sie Parvati Patil und Pansy Parkinson auf dem Boden vor, die beide verbissen miteinander kämpften. Harry hoffte zwar, daß Parvati der Slytherin-Schülerin eine Lektion erteilen könnte, doch mußte er es sofort beenden; wenn erst einmal ein Lehrer hier war, würde es Strafen hageln. Doch bevor er überhaupt etwas unternehmen konnte, war es auch schon zu spät. Filch, der Hausmeister, bog um die Ecke und brüllte sofort los:

»Auseinander! Hört ihr wohl sofort mit dem Unfug auf!«

Die beiden Streithähne beachteten ihn gar nicht. Sie wälzten sich über den Fußboden und zogen sich an den Haaren. Ihre Zauberstäbe lagen weit von ihnen weg, und Harry war erstaunt, daß sich keiner von Parkinsons Freunden einmischte. Alle warteten auf eine faire Entscheidung, während Filch den Kampf beenden wollte.

»Auseinander, hab' ich gesagt.« Er zog an Parvati, und diese ließ unter großem Widerstand Pansy Parkinson los. Erst nahm er Parvati zur Seite: »Du gehst sofort in mein Büro und wartest dort.« Parvati zog wütend von dannen, allerdings nicht, ohne ihren Zauberstab vom Boden aufzuheben. Filch widmete sich dann Parkinson: »Und du, du wirst ebenfalls mit mir mitkommen. Wir werden schon eine schöne Strafe für euch finden.« Filch fing an zu grinsen, und Harry war erstaunt, da der Hausmeister seines Wissens noch nie einen Slytherin bestraft hatte.

»Die blöde Kuh hat angefangen, ich hab' mich nur verteidigt.«

Einige der Slytherins sprachen durcheinander und bestätigten Parkinsons Aussage, doch Filch ließ sich davon nicht ablenken:

»Mir ist völlig egal, wer angefangen hat. Euch beide erwartet die gleiche Strafe. Und jetzt geh endlich. Bevor ich bei einer von euch die Strafe verdopple.«

Pansy wollte noch etwas sagen, aber das Grinsen in Filchs Gesicht ließ sie vorher stoppen, und so folgte sie ihm widerwillig in Richtung seines Büros. Harry drehte sich zu Hermine:

»Ob Parvati wirklich angefangen hat? Also, ich weiß nicht.«

»Sie kann ganz schön impulsiv sein, würde man ihr gar nicht zutrauen. Und seit ihre Schwester tot ist, hat sie sich auch sehr verändert. Sie kommt mir abgestumpft vor. Sie lacht nur noch sehr selten, und meist wirkt es gezwungen.«

»Ist eine schwere Zeit für sie, denk' ich. Aber mir fällt ehrlich nichts ein, wie wir ihr helfen können.«

Die Versammlung löste sich langsam auf. Kleine Gruppen liefen davon und redeten noch über den Zwischenfall, den sie soeben gesehen hatten. Zu Harry und Hermine gesellten sich Ginny und Neville.

»Was war denn hier los?« fragte Ginny neugierig.

»Ein kleiner Kampf zwischen Parvati und Pansy«, antwortete Hermine.

»Wer hat denn gewonnen?«

»Wer wohl? Filch natürlich«, erwiderte Harry und konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. In der Tat glaubte er, daß Filch am meisten gewonnen hatte. Die Sache hatte ihm kaum Ärger beschert, aber dafür konnte er nun zwei Schüler stundenlang bestrafen. Das war für ihn sicher wie Geburtstag und Weihnachten zusammen.

»Was, denkst du, wird ihre Strafe sein?« fragte Hermine.

»Ich glaub', der Trophäenraum ist schon wieder ganz staubig«, mischte sich Ron grinsend ein, der gerade mit Luna dazustieß.

»Manchmal bist du echt gemein, Ronald«, meinte seine Freundin.

»Na ja, manchmal bin ich aber auch echt lieb, oder?« gab dieser zurück, errötete leicht und grinste ihr gleichzeitig ein bißchen frech ins Gesicht.

»Was wollen wir heute machen?« fragte Harry, um die Situation ein wenig zu entspannen.

»Wie wäre es mit Lernen oder Hausaufgaben?« antwortete Hermine sofort und lächelte Harry dabei süß an.

Er wußte, daß sie recht hatte. Er wollte in seinen Leistungen nicht nachlassen, denn er wollte so gut sein, wie es nur irgend ging. Fünf Jahre hatte er verschwendet, und nun wollte er seine Möglichkeiten immer optimal ausnutzen. »Laßt uns in die Bibliothek gehen. Ich möchte zuerst etwas über dieses merkwürdige Kraut für Zaubertränke lesen. Wie hieß es noch?«

»Du meinst Rabolunatuskraut?« fragte Neville.

»Genau.«

»Dann schau mal in das Buch Kräuter – Die meistunterschätzten von Wilson Herbert. Da steht fast alles Wichtige drin. Ginny, Luna und ich gehen in den Gemeinschaftsraum. Ich helfe ihnen erst noch ein wenig in Kräuterkunde und komme dann nachher zu euch. «

Sie verabschiedeten sich, und während Neville mit den beiden Mädchen den Weg zum Gryffindor-Turm einschlug, nahmen die anderen drei die Abzweigung nach rechts und kamen wenige Minuten später in der Bibliothek an. Sie gingen durch die Reihen, bis sie bei der Abteilung Flora und Fauna haltmachten und nach dem Buche Ausschau hielten.

Ron entdeckte es als erster und nahm es aus dem Bücherregal. Er gab es Harry, der damit zum nächsten Tisch ging, während Ron sich noch nach einem Buch für Verwandlung umsehen wollte.

Harry schlug derweil das Buch auf und suchte die Seite, auf der etwas über das Rabolunatuskraut stand. Kaum hatte er sie aufgeschlagen, als Ron auch schon mit Verwandlungen – Gefährlich oder Nützlich von Bridget Moynahan zurückkam. Harry begann vorzulesen:

»Das Rabolunatuskraut wächst nur in den unendlichen Weiten des menschenleeren Nordtibets. Entgegen landläufiger Meinungen ist dieses Kraut zu weit mehr fähig, als bisher angenommen. Es ist unverzichtbar für jede Art von Trank, der seinem Brauer übermenschliche Kräfte verleihen soll. Wenn es richtig eingesetzt wird, kann es zum Beispiel die Stärke eines Intelligenztrankes ohne weiteres verdoppeln. Als weitere Besonderheit hat es auch große Auswirkungen auf die Wirkdauer eines Trankes. Der größte Vorteil dieses Krautes liegt darin begründet, daß es einer ungewöhnlich großen Anzahl von Tränken hinzugefügt werden kann, ohne daß es tatsächlich für den Trank erforderlich wäre. Um zu erfahren, mit welchen Arten von Tränken es verträglich ist, lesen sie bitte auf Seite 495 weiter. Das Rabolunatuskraut erkennen sie vor allem an seinem übermäßig dicken Stiel und den sehr kleinen fliederfabenen Blättern (siehe nebenstehende Abbildung). Der Stiel ist für gewöhnlich sehr trocken, während die Blätter eine ungewöhnlich große Menge an Feuchtigkeit speichern können …«

Ungefähr eine Stunde lang hatten Harry und die anderen gelesen und an ihren Zusammenfassungen gearbeitet, ehe Neville dazukam. Er wies in einem anderen Werk noch auf zwei interessante Fakten zu dem Kraut hin, ehe sie sich dem Buch für Verwandlung zuwandten.

Drei Stunden später hatten sie nicht nur ihre Hausaufgaben in vier Fächern erledigt, sie hatten sogar schon ein wenig im voraus gelernt, was die nächsten Unterrichtsstunden erleichtern würde. Harry war stolz, und Hermine war zumindest sehr zufrieden.

Auf dem Weg zurück zum Turm sah Hermine ihn lange an, ehe sie Harry küßte. »Es macht langsam wirklich Spaß, mit euch zu lernen. Man merkt richtig, daß ihr die Sache mit viel mehr Konzentration und Ehrgeiz angeht.«

»Danke für das Kompliment«, antwortete Ron mit einem Grinsen. »Aber was bleibt uns bei dir auch anderes übrig? Wenn wir nicht freiwillig mehr tun, holst du doch sowieso die Peitsche raus.«

Hermine fing ein wenig verlegen an zu lächeln. Harry nahm sie liebevoll in den Arm:

»Und das ist auch gut so. Wir dürfen nicht nachlassen. Voldemort schläft nicht. Er hat schon wieder einen neuen Plan, und wenn wir uns nicht stetig verbessern, ist es nur eine Frage der Zeit, bis uns das Glück verläßt. Denn bisher hatten wir fast nur Glück. Sosehr es mich auch betrübt, aber im Kampf eins gegen eins ohne Hilfe von anderen wäre ein jeder von uns schneller tot, als wir es uns in unseren schlimmsten Alpträumen vorstellen könnten.« Mit jedem seiner Worte wurde Harry ernster, und auch bei den anderen verfinsterten sich die Mienen. Mit einem Schlag war ihnen wieder bewußt, wofür sie lernten. Sie lernten, um den letzten Kampf am Ende als Sieger zu überleben. Es war nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Oben im Turm trafen sie auf Ginny und Luna. Sie hatten gerade ihre Hausaufgaben in Geschichte der Zauberei beendet und waren völlig geschafft. Harry und die anderen brachten ihre Schulsachen in die Schlafsäle, um sich dann auf den Weg zum Abendessen zu machen. Auf dem Weg dahin sprachen sie über Dumbledores nun schon wieder ziemlich lange Abwesenheit.

»Wo, denkst du, ist er jetzt?« fragte Neville, an Harry gewandt.

»Wahrscheinlich ist er noch immer in Rumänien. Vielleicht hat er ja endlich richtige Hinweise gefunden, und denen spürt er hoffentlich im Moment nach.«

»Ich glaube nicht, daß er schon viel gefunden hat«, meinte Hermine mit zweifelndem Ton. »Hätte er schon etwas entdeckt, wäre er sicher hergekommen, um dir davon zu berichten. Es geht immerhin um deine Familie. Er hat die moralische Pflicht, dir alles zu erzählen. Aber wer weiß? Vielleicht irre ich mich auch. Vielleicht jagt er ja wirklich einer guten Spur hinterher.«

Harry war ein wenig verunsichert. Bis jetzt hatte Dumbledore wirklich noch nicht viel gefunden. »Du hast recht«, gab er zu, »bis jetzt haben seine Informationen neue Entführungen nicht verhindern können. Aber immerhin war er Voldemort einmal schon ganz nah gewesen.«

Sie betraten die Große Halle, und zu ihrer aller Überraschung saß Dumbledore an seinem Platz. Parvati und Pansy Parkinson waren nicht anwesend, sicher dauerte die Strafarbeit noch an, dachte Harry, als er Dumbledore ein wenig genauer anblickte. Er sah gutgelaunt, aber ein wenig schwach aus. Harry war sich nicht sicher, was er tun sollte.

»Ich muß mit ihm sprechen«, sagte er leise zu Hermine.

»Ich halte dir einen Platz am Hufflepuff-Tisch frei.«

Ihre Wege trennten sich, und Harry lief vor zum Lehrertisch. »Hallo Hagrid!« grüßte er zuerst einmal einen seiner besten Freunde; so war es auch weniger auffällig, als wenn er sich direkt an Dumbledore gewandt hätte. »Wie geht's dir? Wie geht's Grawp?«

»'n Abend, Harry. Mir geht's schon viel besser. Wie du siehst, sind meine Narben gut verheilt. Grawp, dem geht's auch gut. Er und die anderen haben sich ebenfalls erholt. Wäre aber schön, wenn ihr mal wieder vorbeikommen tätet. Sie langweilen sich alle schon wieder 'n bißchen«, erwiderte der Halbriese und sah in freudiger Erwartung auf den Schwarzhaarigen herab.

»Klar. Wie wäre es mit morgen? Ich bringe ein paar Leute mit. Wir sind um halb zehn bei deiner Hütte, okay?«

»Dann seh'n wir uns morgen. Ich freu' mich«, antworte Hagrid strahlend und griff sich ein ganzes Brathuhn, in das er voller Inbrunst hineinbiß und auch auf Knochen keine Rücksicht zu nehmen schien.

Sogleich ging Harry weiter zu Dumbledore. Er wollte gerade etwas sagen, als dieser ihm zuvorkam:

»Komm nachher in mein Büro, Harry! Das Paßwort lautet: Mongos wolkenweiße Zuckerwatte.«

Harry nickte nur. Dumbledore sprach umgehend weiter mit Professor McGonagall, ehe er sich eine große Kelle mit Kartoffelbrei auf seinen Teller tat. Harry ging unterdessen zurück zu Hermine an den Hufflepuff-Tisch. »Wir haben morgen um halb zehn eine Verabredung mit Hagrid, und wir nehmen ein paar von den anderen mit. Die Riesen brauchen wieder ein wenig Spaß.«

»Und was ist mit Dumbledore?« fragte Hermine neugierig.

»Wir gehen nachher zu ihm. Er gab mir das Paßwort.«

Harry nahm sich einen Brathuhnflügel, eine Kelle mit Rotkohl und ein paar Kartoffeln, ehe eine herrlich riechende Soße sein Mahl abrunden sollte. Kurz bevor Harry mit dem Essen fertig war, sah er, daß Dumbledore seinen Platz verließ.

Sofort standen auch sie auf und nickten Ron kurz zu; dieser ließ die Keule auf den Teller fallen, an der er gerade eifrig genagt hatte, und gemeinsam folgten Harry, Ron, Hermine und Luna ihrem Schulleiter zu dessen Büro. Niemand von ihnen sprach währenddessen ein Wort. Harry war sehr gespannt, was Dumbledore zu erzählen hatte, gleichzeitig fürchtete er sich aber auch ein wenig davor. Als sie den Wasserspeier erreichten, sah Harry, daß die Treppe noch offen stand, so daß sie das Paßwort gar nicht einsetzen mußten. Gemeinsam ließen sie sich von der Treppe nach oben bringen, öffneten die Tür und betraten das Büro. Dumbledore erwartete sie schon an seinem Schreibtisch und hatte vier Stühle für sie bereitgestellt. Unsicher setzte sich Harry, und Dumbledore sah ihn an:

»Zuerst die schlechten Nachrichten. Wir wissen noch immer nicht, in welchem Land sich Elisabeth Potter am Schluß niederließ, und Voldemort ist noch immer auf freiem Fuß. Allerdings gibt es auch gute Neuigkeiten: Wir haben zwei Familien in Rumänien retten können, und dabei haben wir vier Todesser gefangengenommen, unter ihnen Marcus Flint, der nun seine gerechte Strafe erhalten wird. Leider konnte Voldemort noch disapparieren und sich in Sicherheit bringen. Trotzdem ist uns, nach der Schlacht um Hogwarts, damit der erste echte Schlag gegen ihn gelungen. Von Marcus Flint haben wir auch ein paar weitere Informationen erfahren können. Offenbar hatte Voldemort, nachdem er vor zwei Jahren mit der Hilfe deines Blutes wiederauferstanden war, ständig Visionen von deiner Familie. Das ist eine Sache, die wir uns nicht so recht erklären können, aber anscheinend ist das Band zwischen euch stärker, als wir je geahnt hatten. Solche Visionen hatte er auch von Elisabeth Potter, zumindest ist es das, was er Flint und den anderen mitgeteilt hat. Aus diesem Grunde weiß er wahrscheinlich einige Einzelheiten über ihr Leben, die uns nicht zur Verfügung stehen. Gut für uns ist allerdings, daß seine Visionen wohl sehr unpräzise waren und viele der Bruchstücke nicht recht zusammenpassen sollen. Zunächst einmal ist Voldemort offensichtlich hinter deinen Verwandten her. Wie wir bereits wissen, sieht sein Plan vor, sie zu benutzen, um dich zu töten. Nun teilte uns Flint aber mit, daß es noch einen anderen Grund gibt, warum er einen Verwandten von dir sucht; also verfolgt er auch noch eine andere Strategie. Soweit uns Flint mitteilen konnte, braucht Voldemort das Blut von einem von Harrys Verwandten wohl für einen Zaubertrank. Was es mit diesem Trank auf sich hat, wissen wir aber noch nicht. Allerdings ist das der erste wirkliche Durchbruch bei der Jagd nach Voldemort, zumindest, wenn die uns vorliegenden Informationen keine Finte sind.

Ich habe erneut das Hauptquartier des Ordens verlegt, und zwar ins Ministerium, da die Mitglieder des Ordens von London aus schneller nach Europa kommen können. Auch deine Eltern werden uns morgen früh verlassen.« Dumbledore sah bei den letzten Worten Ron an und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Nun schien er gespannt darauf, wie sie diese Neuigkeiten aufnehmen würden.

»Er will Blut von Harrys Verwandten für einen Zaubertrank?« fragte Ron ungläubig, der als erstes den Mund aufbekam.

»Sieht so aus«, murmelte Hermine, und ihr war bei diesem Gedanken nicht wohl zumute.

»Wie verläßlich sind die Informationen, und ist Voldemort noch immer in Rumänien?« erkundigte sich Harry.

»Voldemort hat noch einige Helfershelfer. Mit ihnen sucht er noch immer nach deinen Verwandten. Er wird sicher nicht ausschließlich in Rumänien suchen, aber er konzentriert sich momentan wohl auf dieses Land. Die Informationen sind soweit verläßlich, auch Flint geht davon aus. Ob das alles eine Finte ist, können wir aber leider noch nicht mit Sicherheit sagen, doch arbeiten wir daran.«

»Was tun Sie, um Harrys Verwandte zu finden?« fragte Hermine.

»Wir durchstöbern hauptsächlich alte Aufzeichnungen nach ihrem Namen, immer in der Hoffnung, etwas über sie zu finden; so, wie es auch schon in alten Muggelakten in Ungarn der Fall war. Aus diesem Grunde habe ich auch einige vom Orden für diese Aufgabe abgestellt. Zudem überprüfen wir Friedhöfe auf ihren Namen.«

Nachdenklich blickte sich Harry um. Was sollte er davon halten? Er konnte Dumbledores gute Laune am heutigen Tag zwar verstehen, aber es waren noch immer Menschen in Gefahr, und das gefiel ihm nicht. Daß der Orden nicht mit seinen Kräften in Hogwarts blieb, war ihm zwar auch nicht so ganz recht, aber immerhin bedeutete das wohl, daß Dumbledore im Moment keine konkrete Gefahr für Hogwarts sah.

»Können wir irgend etwas tun?« ließ sich Luna vernehmen. Auch den anderen lag diese Frage wohl auf der Zunge.

»Ihr persönlich könnt nicht viel tun. Ihr seid auf das Schloß und seine Ländereien begrenzt. Lernt, soviel ihr könnt, denn eines muß euch klar sein: Harry braucht Voldemort nicht zu finden, Voldemort wird ihn finden. Und wenn es soweit ist, muß er vorbereitet sein. Dazu wird er Hilfe benötigen – eure Hilfe!« Dumbledore blickte jedem von ihnen ernst ins Gesicht. »Allein wird Harry es sehr schwer haben. Nur mit der Hilfe seiner Freunde hat er eine Chance, aus dem Kampf als Sieger hervorzugehen.«

Harry sah in Rons Gesicht und sah leichte Panik – Angst – aufsteigen. »Wir tun ja, was wir können, aber … ich weiß nicht, ob es genug ist. Ich weiß nicht, ob wir überhaupt eine Chance haben«, gab dieser zu bedenken.

Dumbledore überlegte seine Worte gut, bis er erwiderte: »Das wird nur die Zeit zeigen können. Auch ich weiß nicht, ob all unser Handeln einen Sinn ergibt oder ob wir das Unvermeidliche damit nur hinauszögern.« Er machte eine kurze dramatische Pause. »Aber ist es die gemeinsame Zeit mit unseren Freunden nicht wert, um jede einzelne Minute mit aller Kraft zu kämpfen?«

Alle sahen sich an. Harry blickte in Hermines Gesicht. Er liebte sie sehr, und war sie nicht bei ihm, vermißte er sie so sehr. Dann blickte er in Rons Gesicht. Er war immer irgendwie ein kleiner Angsthase gewesen, wenn es aber darauf ankam, wenn seine Freunde in Gefahr waren, wuchs er regelmäßig über sich hinaus und war mit seinem Mut und seiner Tapferkeit selbst Harry ein Vorbild. Er blickte weiter und sah nun in das unerschrockene Gesicht von Luna. Auch sie hatte sich als ausgesprochen tapfer und mutig erwiesen; zwar sicher auch aus einer gewissen Naivität heraus, doch war sie stets bereit, für ihre Freunde zu kämpfen. Harry blickte nun wieder zu Hermine. Er war so stolz auf sie. Auch sie hatte stets mit vollem Einsatz für ihre Freunde und vor allem für ihn gekämpft. Ohne ihre Hilfe wären sie schon vor Jahren an Voldemort gescheitert.

»Natürlich ist es das wert!« sagte er mit Nachdruck. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Voldemort aufzuhalten. Wenn das bedeutet, daß ich noch härter lernen muß, dann werde ich dafür bereit sein.« Harry sah Dumbledore lächeln. Hermine griff seine Hand und streichelte sie zärtlich. Auch Ron sah nun wieder entschlossener aus.

»Es freut mich sehr, daß wir uns in dieser Angelegenheit einig sind. Ihr alle arbeitet hart, vielleicht sogar härter als je ein Hogwartsschüler zuvor. Wenn denn überhaupt jemand eine Chance hat, dann seid ihr es! Ich werde wahrscheinlich im entscheidenden Moment nicht dasein können, weil Voldemort irgendwie dafür sorgen wird. Dennoch vertraue ich darauf, daß ihr es schaffen könnt.«

Harry zuckte bei dem Gedanken leicht zusammen, daß Dumbledore im Augenblick der Entscheidung nicht bei ihm sein würde. »Reisen Sie gleich wieder ab?« fragte er hektisch, mehr um sich selbst abzulenken.

»Morgen vor dem Frühstück werde ich abreisen, und einige vom Orden werden mich begleiten. Der Rest von ihnen wird nach dem Frühstück nach London abreisen. Heute aber werde ich mich noch ein wenig ausruhen, ehe ich mich wieder in Rumänien auf die Suche mache.«

Alle sahen sich einen Moment lang an. Die Stille wurde beinahe drückend. Ron blickte in die Gesichter der anderen und wagte sie als erster zu durchbrechen:

»Dann gibt es im Augenblick nichts weiter zu besprechen?«

Dumbledore nickte leise, und Harry erhob sich. Die anderen folgten ihm, und als Harry sich noch einmal kurz umblickte, hatte Dumbledore schon drei der Stühle wieder weggezaubert. Zu viert verließen sie das Büro, und unten sah Harry die anderen an: »Schade, daß Voldemort schon wieder entkommen ist. Immerhin haben sie aber vier von ihnen geschnappt.«

»Dann auch noch Marcus Flint. Davon müssen wir Gregory erzählen. Wird ihn sicher freuen«, meinte Ron.

»Und was machen wir heute noch?« fragte Luna träumerisch lächelnd.

»Lernen!« riefen alle vier gleichzeitig wie aus einem Munde, und sie mußten lachen.

Harry entspannte sich ein wenig, war Lachen doch genau das, was sie jetzt brauchten. Auch den anderen konnte er ansehen, daß sie langsam wieder lockerer wurden.

»Ich geh' zu Ginny und lern' mit ihr. Und ich erzähle Gregory von Flint«, verkündete Luna, gab Ron einen Kuß und verschwand in Richtung Gryffindor-Turm.

»Laßt uns in die Bibliothek gehen«, schlug Hermine vor, und Ron und Harry folgten ihr.

Kurze Zeit später waren auch Neville, Dean und Seamus zu ihnen gestoßen. Luna hatte wohl vielen Bescheid gesagt, so daß auch etliche der anderen DA-Mitglieder in die Bibliothek gekommen waren. Fast alle Tische waren besetzt, und an jedem wurde leise geflüstert und gemurmelt. Harry und Hermine konzentrierten sich dabei auf zwei Bücher: das erste hieß Gefährliche Zauber und wie Sie sich schützen von einem gewissen John Hatchfield, der Titel des zweiten Buches lautete Magische Zaubertränke und ihre Wirkung von Agnes Gould. Harry machte sich viele Notizen, da einige der Schutzzauber für die DA-Ausbildung zu gebrauchen sein könnten. Derweil sah sich Hermine das Buch über Zaubertränke genauer an und schrieb so etwas wie eine Zusammenfassung, von der sie jedem der DA nachher eine geben wollte. Auch an den anderen Tischen wurde viel geschrieben und wurden Notizen gemacht, immer in dem Bestreben, soviel Wissen in kürzester Zeit aufzusaugen, wie es nur irgendwie möglich war. Besonders viel Ergeiz entwickelte Neville. Er las praktisch drei Bücher gleichzeitig und blätterte ständig hin und her. Ron las das Buch Schwierige Verwandlungen von Jeff Gordon. Er schrieb die besten Sprüche des Buches zusammen und wollte sie dann mit zwei oder drei anderen aus der DA ausprobieren, bevor alle anderen sie lernen sollten.

Cho las in zwei Büchern, die einzig und allein dem Thema Apparieren gewidmet waren. Damit wollte sie sich und einige andere darauf vorbereiten, da sie es schon bald erlernen können würden. Natürlich hatten die Kandidaten schon mit den Übungen angefangen, doch bis zu der Prüfung Anfang April im Ministerium war es noch ein harter Weg. Cho bekam, ebenso wie siebenundzwanzig andere DA-Mitglieder aus dem sechsten und siebten Jahrgang, Unterricht, was schon seit Anfang Februar der Fall war. Sie gehörte mit zu den letzten zu prüfenden Siebtkläßlern, da viele von ihnen ihre eigene Prüfung schon während des sechsten Schuljahres abgelegt hatten. Zu gern hätte auch Harry es schon erlernt, doch selbst für ihn wurde keine Ausnahme gemacht – erst als volljähriger Zauberer würde er apparieren dürfen.

Hermine, die fast ein ganzes Jahr älter als Harry war, hätte normalerweise jetzt schon ihre Prüfung ablegen können, doch wollte sie es mit Harry zusammen machen. Für beide war eine Prüfung in den Sommerferien vorgesehen, und damit mußte sich Harry zufriedengeben; schließlich blieb ihm auch nichts anderes übrig.

Gegen Viertel vor neun kam Parvati in die Bibliothek. Sie schien völlig ausgelaugt zu sein und erzählte in knappen Worten von ihrer Strafe, wie sie zusammen mit Pansy Parkinson einen ganzen Korridor von Hand hatte wienern müssen:

»Mir tun so die Knie und mein Kopf weh – aber Pansy geht es noch schlechter. Sie hatte mir ein Bein gestellt, und ich bin doch wirklich kopfüber in eine der alten Rüstungen gefallen. Glücklicherweise hat Filch es gesehen und war nicht mal sauer, als ich ihr noch eine verpaßt habe. Ich wette, sie kriegt dafür ihr Fett weg!«

Um kurz vor elf beschlossen sie dann, für diesen Tag ihre Arbeit zu beenden. Harry rollte seine Notizen zusammen und gab sie Hermine. Diese zog ihren Zauberstab heraus und vervielfältigte Harrys Aufzeichnungen; das gleiche machte sie mit ihrer eigenen Zusammenfassung und gab Harry je eine Kopie zurück, während sie die anderen im Raum verteilte. Schnell erhielt er auch von einigen anderen viele verschiedene Blätter, die er sich am nächsten Tag näher ansehen wollte; das würde er allerdings frühestens am Nachmittag tun können, denn den Vormittag hatte er ja schon Hagrid versprochen.

Gemeinsam verließen sie die Bibliothek und verabschiedeten sich an den entsprechenden Abzweigungen, um in die Gemeinschaftsräume ihres jeweiligen Hauses zurückzukehren. Als letztes trennten sich Gryffindor und Hufflepuff, und Harry stieg, von den anderen gefolgt, weiter die Stufen hinauf. Sie kamen an das Porträt, und sofort war die fette Dame zur Stelle:

»Das Paßwort meine Lieben, das Paßwort.«

»Quantum Leap!« antwortete Dean. Sofort schwang das Gemälde zur Seite und gab den Durchgang frei. Die Gryffindors schlüpften hindurch, und Harry fand Luna und Ginny – zusammen mit einigen anderen aus ihrem Jahrgang – über einige Lehrbücher gebeugt vor.

Sie bemerkten Harry sofort, und Ginny sprach ihn gleich an: »Da seid ihr ja endlich. Wollen wir noch was spielen?«

Ron ging zu seiner Schwester. »Laß uns noch eine Runde Schach spielen. Mein Gehirn arbeitet gerade auf Hochtouren, das muß ich ausnutzen.« Er begann zu grinsen und gab nun Luna einen Kuß. »Spielst du mit?«

In Lunas Gesicht schlich sich ein schelmisches Lächeln. »Gegen dich spiel' ich doch immer gern. Paß nur auf, irgendwann krieg' ich dich.« Erneut küßten sie sich.

»Neville, hast du auch Lust?« fragte Ginny ihren Freund.

»Klar. Diesmal schlag' ich Ron bestimmt!« antwortete er und grinste dabei Ron unverschämt an, was diesen sichtlich ärgerte.

Sofort holte Ron das Brett, während Ginny und die anderen ihre Schulsachen wegräumten. Harry hatte sich das alles in einiger Entfernung angesehen und wollte sich gerade von Hermine verabschieden, um ins Bett gehen. Als er sich zu ihr umdrehte, zerrte sie ihn schon näher in Richtung der anderen auf eine Couch. Sie setzte sich und zog ihn zu sich; Harry ließ es geschehen. Sie machten es sich bequem und kuschelten ein bißchen, wobei ihm Hermine sanft mit ihrer Hand durchs Haar strich, während er ihre Wade streichelte.

Die erste Partie gewann Ginny gegen Neville. Dabei hatte er aber zwei Möglichkeiten zum Sieg übersehen, was sogar Harry auffiel. »Das war bestimmt Absicht!« flüsterte er zu Hermine. »Schau, er ärgert sich kein bißchen, sieht eher so aus, als müßte er sich ein Grinsen verkneifen!«

Die zweite Partie zwischen Luna und Ron war erst ausgeglichen, ehe Ron eine Springergabel ausnutzte, um mit seinem Springer ihren Turm zu zerschmettern. Sie ärgerte sich nicht darüber, sondern spielte verbissen weiter und konnte Ron sogar einen Läufer abnehmen, ehe Rons Dame ihren zweiten Turm vom Brett katapultierte und er danach die Partie schnell gewonnen hatte. Als nächstes sahen Harry und Hermine die Partie von Ginny und Ron. Bereits nach zwanzig Zügen war alles vorbei: Ron war unnachahmlich über das Brett gewütet und hatte sie vernichtend geschlagen.

»Mal sehen, ob Neville auch Luna gewinnen läßt«, flüsterte Harry seiner Freundin ins Ohr.

»Ich glaub' nicht. Was hat er davon?« war Hermines Antwort.

»Ich weiß es nicht genau«, meinte Harry und sah eine spannende Partie, die am Ende überraschend Luna gewann. Neville schien sehr sauer zu sein, in einem unbeobachteten Moment aber zwinkerte er Harry und Hermine zu.

»Was sollte das denn?« fragte Hermine leise.

»Ich glaube, er will Ron in Sicherheit wiegen, um ihn jetzt zu schlagen«, flüsterte Harry zurück.

Die vorletzte Partie zwischen Ginny und Luna war fast ausgeglichen, trotzdem hatte sich Luna nach und nach einen kleinen Vorteil erarbeitet. Sie führte mit zwei Bauern, als es langsam ins Endspiel ging. In einer genialen Kombination, selbst Ron staunte nicht schlecht, konnte sich Luna schließlich deutlich durchsetzen und hatte damit den zweiten Platz in diesem kleinen Turnier sicher.

Harry war nun froh, doch noch nicht ins Bett gegangen zu sein, war die letzte Stunde doch sehr aufregend und gleichzeitig auch sehr schön gewesen – wobei letzteres vor allem an Hermine lag. Neville baute das Brett wieder auf, während Ron in seinem Übermut schon die ersten Glückwünsche entgegennahm, obwohl er das Spiel nicht einmal begonnen hatte.

Das Spiel entwickelte sich am Anfang relativ langsam. Beide entwickelten ihre Figuren und verschanzten sich in einer sicheren Stellung, ehe Ron die Initiative übernahm und mutig mit Läufern und Springern nach vorn marschierte. Neville konnte diesen Angriff abwehren und ging zu Rons Überraschung plötzlich selbst in den Angriff über. Schnell hatte Ron zwei Bauern verloren, ehe sein Springer von Nevilles Läufer in Stücke gerissen wurde. Sofort wurde Ron sichtlich nervös und überlegte bei jedem seiner Züge deutlich länger als gewöhnlich. Die Partie dauerte schon über zwanzig Minuten, als er Nevilles Turm und dessen Dame mit einer Gabel bedrohte und gleich wieder zuversichtlicher dreinblickte. Neville blieb nichts anderes übrig, als seine Dame zu retten, und mußte mit ansehen, wie sein Turm zertrümmert wurde. Die Partie war nun wieder offen, und beide lieferten sich eine heiße Schlacht. Mal sah es für den einen, mal für den anderen besser aus.

»Ich glaube, das wird wieder ein Remis«, hörte er Ginny zu Luna tuscheln, als Neville es auch schon anbot. Inzwischen waren nicht mehr viele Figuren auf dem Brett übriggeblieben, und ein Sieg für einen von beiden war nur noch schwer möglich. Widerwillig stimmte Ron dem Remis zu. Neville grinste in die Menge und bekam anerkennende Schulterklopfer.

Selbst Ron schien stolz: »Echt eine klasse Partie! Du warst wirklich spitze!«

»Danke für das Kompliment. Aber wie du mit deinem Turm meinen Springer erwischt hast – damit hatte ich nicht gerechnet. Genialer Zug«, erwiderte Neville artig, und beide reichten sich die Hände.

Es war kurz vor halb eins, als Harry und Hermine sich von der Couch erhoben und zur Treppe gingen, die zu den Mädchenschlafsälen führte. Harry wollte Hermine gerade einen Abschiedskuß geben, als ihr scheinbar etwas einfiel:

»Warte kurz, ich bring' dir noch meinen Pullover.«

Sie küßten sich nur kurz, und Hermine verschwand. Zwei Minuten später war sie wieder da und trug diesmal einen anderen Pyjama. Er war aus Seide, einfarbig und strahlte in einem dunklen Rot. Harry fand, daß sie auch in diesem unglaublich süß aussah, vielleicht noch ein wenig süßer als in dem grauen Pyjama. Auch dieser schien eine kleines bißchen zu groß geraten, was Harry ein wenig wunderte. Er wollte Hermine nach dem Grund fragen, doch sie kam ihm zuvor:

»Du willst bestimmt wissen, warum mir meine Pyjamas zu groß sind, oder?«

»Du bist wirklich clever«, antwortete Harry überrascht.

»Der Grund ist ganz einfach. Ich hab' sie mir selbst gekauft, und sie waren ziemlich teuer. Und ich habe sie deshalb eine Nummer größer gekauft, weil ich sie noch lange tragen möchte – und schließlich hoffe ich noch ein kleines bißchen zu wachsen, damit du nicht so viel größer als ich bist. Das macht das Küssen leichter.« Hermine begann zu lächeln und drückte zärtlich ihre Lippen auf die seinen, wobei sie sich ein wenig auf die Zehnspitzen stellen mußte.

Sie beachteten dabei niemanden mehr um sich herum, als er sie mit mehr Nachdruck in seine Arme zog und mehr Leidenschaft in den Kuß legte. Verschwommen nahm Harry ein Johlen wahr. Als er deshalb von ihr abließ und sich umsah, bemerkte er, daß sie von ziemlich vielen Augenpaaren beobachtet wurden. Auch Ron starrte sie beide an und amüsierte sich königlich. Harry blickte wieder Hermine in die Augen. Die anderen waren ihm völlig egal, sie dagegen war wieder einmal zartrosa angelaufen. Wieder und wieder küßte er sie, bis sie sich immer mehr entspannte. Er nahm den Pullover und löste sich von ihr.

»Träum süß!«

Zögernd ging er zur Treppe zu seinem Schlafsaal und blickte noch mal kurz zu ihr herüber. Sie winkten einander fast schüchtern zu.

»Gute Nacht, Harry!«

Beide lächelten für einen Moment und gingen nach oben. Kaum dort angekommen, zog sich Harry um. Wieder und wieder roch er an ihrem Pullover, so, als ob er nicht glauben konnte, wie gut sie duftete. Er zog die Bettdecke zurück und legte sich in sein Bett, den Pullover als Kopfkissen benutzend. Sofort spürte er die wohlige Wärme der Decke und schloß die Augen. Nur wenige Minuten später erschienen Ron, Neville, Dean und Seamus. Auch sie zogen sich um, waren dabei allerdings nicht so leise, wie Harry es gewesen war. So blieb ihm keine Wahl, und er wurde von den anderen noch in eine Diskussion über die Schachpartien verwickelt.

Neville erzählte dabei, daß er tatsächlich absichtlich gegen Ginny verloren hatte, weil er ihr ein kleines Erfolgserlebnis gönnen wollte. Harry sah, wie sehr Neville sie liebte, da er immer, wenn er von ihr sprach, leuchtende Augen bekam. Gegen Luna hatte er zwar nicht absichtlich verloren, sich aber nicht so sehr geärgert, wie es ausgesehen hatte. Harry konnte diese Tatsache bestätigen: Ron sollte unvorsichtig werden und ihn unterschätzen, was ihm ja auch prompt passiert war.

Harry wünschte allen eine gute Nacht und schloß seine Augen; er schlief schnell ein und begann von Hermine zu träumen. Sie war wunderschön und stand auf der Wiese neben dem Fuchsbau. Sie trug ein herrlich leichtes, gelbliches Sommerkleid mit einem feinen Blumenmuster. Sie streifte den linken Träger ab, lächelte und wurde leicht rosa im Gesicht. Sie streifte den rechten Träger ab, was ihr Kleid langsam zu Boden gleiten ließ. Er machte sich darauf gefaßt, etwas Häßliches und Widerliches zu Gesicht zu bekommen, wie es schon so oft geschehen war. Er glaubte, daß sich ihr schönes Gesicht in eine abscheuliche Fratze verwandeln würde, doch was er sah, war einfach nur perfekt. Er sah sie in ihrer ganzen Pracht vor sich, als sie langsam auf ihn zukam und ihn weich auf die Lippen küßte.

Als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte er nicht nur wunderschön geträumt, er hatte auch weiter geträumt, als er es jemals vorher gewagt hatte. Gutgelaunt zog er sich an und weckte die anderen. Es war schon zehn vor neun, und es wurde Zeit für das Frühstück, andernfalls würden sie zu spät zu Hagrid kommen. Er wartete noch, bis sich die anderen angezogen hatten, und faltete dabei Hermines Pullover ordentlich zusammen und legte ihn in den Wäschekorb, damit die Haushelfen ihn nach der Reinigung an Hermine zurückgeben könnten. Gemeinsam verließen die fünf Jungen ihren Schlafsaal und gingen nach unten. Dort fanden sie einen Zettel der Mädchen vor.

Sind schon vorgegangen.

Beeilt euch!

Wir vermissen euch jetzt schon.

Unterschrieben war er von Hermine, Ginny, Luna und Lavender. Harry, Ron und Neville blickten jetzt Dean und Seamus durchbohrend an:

»Wer von euch geht mit Lavender?«

Sie bekamen sogleich eine Antwort, die keinerlei Worte bedurfte, denn Seamus lief knallrot an.

»Kein Grund, rot zu werden«, meinte Harry grinsend, der ja schon von Seamus' Interesse wußte.

Dean fing an zu lächeln, weshalb sich Neville ihm zuwandte: »Und wer ist die Frau deiner Wahl?«

»Das wüßtest du gerne, oder?« erwiderte Dean und wandte sich zum Gehen. Da begann Seamus hinter ihm zu grinsen:

»Conny Nelson. Die kleine Hufflepuff, die er zur DA geholt hat.«

»Hätte ich mir ja eigentlich denken können«, sagte Neville und legte seinen Arm um Deans Schulter.

»Verräter!« rief Dean in Seamus' Richtung, und alle fingen an zu lachen.

Sie gingen in die Große Halle; dort drehte sich Dean zu ihnen um: »Ich geh' zu Conny. Jetzt wissen's sowieso alle.« Damit stapfte er von dannen.

Harry und die drei anderen gingen zu ihren Mädchen, die alle zur Abwechslung mal wieder am Gryffindor-Tisch saßen. Er setzte sich neben Hermine, gab ihr einen langen Kuß und lehnte sich nah an ihr Ohr.

»Hi, meine Schönste, ich hab' süß von Dir geträumt. Du bist so perfekt!«

Zu Harrys Überraschung lief Hermine nicht rot an; statt dessen küßte sie ihn: »Ich hab' auch von dir geträumt. Du hattest nichts an, und das stand dir gut.« Ihr Ton klang frech, und Harry wurde davon so überrascht, daß er es statt dessen war, der nun rot anlief. Ron blieb das nicht verborgen, und er hatte sichtlich seinen Spaß an der Sache.

Obwohl er Hunger hatte, aß Harry sich nicht satt. Mit vollem Magen ließ seine Konzentration immer ein bißchen nach, und er wollte voll bei der Sache sein, wenn er mit den Riesen spielen würde. Das Frühstück war für die fünfzehn DA-Mitglieder, die heute zu Hagrid wollten, ziemlich schnell vorbei. Um neun Uhr zwanzig verließen sie die Halle und machten sich auf den Weg zur Hütte. Hagrid wartete dort schon auf sie und begrüßte alle von ihnen herzlich.

»Kommt, kommt!« rief er aufgeregt und deutete in Richtung Wald.

Die Riesen hatten dort ein neues Zuhause gefunden und bewohnten nun einen Teil des Waldes, den sie mit niemandem sonst teilen mußten. Hagrid führte sie den Weg entlang, den Harry schon mehrmals zu ihnen gegangen war. Es war nicht lange hergewesen, und er konnte sich an die markanten Stellen gut erinnern, ehe sie plötzlich eine andere Richtung einschlugen. Nach einer Viertelstunde kamen sie an eine größere Lichtung, von der Harry hätte schwören können, daß sie vorher nicht vorhanden gewesen wäre.

»Bäume ausreißen, das ist echt ihr Hobby«, bemerkte Ron, und alle lachten. Selbst aus Hagrids Mund hörte Harry einige Laute, die wie mühsam unterdrücktes Lachen klangen. Hagrid hatte keine Mühe, die ausgerissenen Bäume zu überklettern, während die jungen Hexen und Zauberer sich damit schon deutlich schwerer taten.

Als sie die Riesen erreichten, schienen diese schon auf ihre Ankunft gewartet zu haben. Sie schauten ihnen, am Boden in einer Reihe sitzend, freudig entgegen, als Grawp schon laut losbrüllte:

»Hermy. Hagger. Hahrie. Schön sein hier.«

Er erhob sich sofort und lief auf Harry und die anderen zu. Einige der DA wollten sich schon in Deckung bringen, als Grawp rechtzeitig abbremste und in die Knie ging. Er hielt ihnen seinen ausgestreckten, riesigen Zeigefinger zur Begrüßung hin. Alle DA-Mitglieder hängten sich kurz an ihn, und schon konnte der Spaß beginnen.

Zuerst spielten sie Verstecken, und meist gewannen dabei natürlich Harry und seine Freunde. Wieder einmal war Harry über das manchmal unglaublich kindliche Gemüt der Riesen erstaunt; wenn sie sich nicht gerade in einem Kampf befanden, den sie dann unerbittlich und rücksichtslos führten, waren sie leicht zufriedenzustellen und freuten sich wie kleine Kinder, wenn sie einen der Schüler beim Versteckspielen fanden.

Als nächstes machten Hermine, Ginny, Luna und Lavender mit ihnen ein wenig Gymnastik, wobei die große Lichtung voll zur Geltung kam. Die Riesen standen um die Mädchen herum und versuchten, deren Bewegungen nachzumachen. Diese Übung war teilweise nicht so leicht, wie es sich anhörte, fielen die Riesen dabei doch immer wieder um, wobei die Erde erbebte und alle lachen mußten. Hagrid liefen schon die Tränen in den dicken Bart, als das nächste Spiel auf dem Programm stand, das er sich ausgedacht hatte.

Die DA-Mitglieder verbanden sich die Augen, und ein Riese kniete vor ihnen. Sie sollten dabei nur durch Ertasten herausfinden, welcher Riese es war, was allen sichtlich Spaß und das Spiel zu einem vollen Erfolg machte. Es kitzelte die Riesen im Gesicht, und sie mußten davon lachen. Dieses Spiel wurde von Ginny gewonnen, die alle Riesen an ihrer Nase erkannte, wie sie später offenbarte. Sie hatte sich die Form bei jedem gut eingeprägt und deshalb leichtes Spiel gehabt. Harry war nicht so gut gewesen; er lag nur bei drei von sieben Versuchen richtig und wurde nur von Parvati und Neville unterboten, die je zweimal richtig rieten.

Kurz vor eins führte Hagrid sie aus dem Wald heraus, und sie folgten ihm hoch zum Schloß, wo sie das Mittagessen erwartete. Für Harry gab es Nudeln mit Tomatensoße, und Hermine genehmigte sich eine Portion Rührei mit Spinat und Kartoffeln. Dabei langte er kräftig zu, wollten sie doch noch zwei Stunden Quidditch trainieren, wofür er alle Kraft brauchte. Am Sonntag, den dreiundzwanzigsten März würde schon ihr vorletztes Spiel stattfinden, überschlug Harry im Kopf und spülte sein Essen mit Eistee herunter. Es würde das Spiel gegen Hufflepuff sein, doch noch nie war es ihm so egal gewesen, ob er es gewinnen oder verlieren würde; er wollte einfach nur ein schönes Spiel abliefern und dabei seinen Spaß haben. Nur das letzte Spiel gegen Slytherin, am fünfzehnten Juni, wollte er unbedingt gewinnen.

Zur Mannschaft der Slytherins gehörte kein einziger aus der DA. Im Gegenteil gehörte jeder von ihnen zu Pansy Parkinsons Clique, mit denen Harry wohl keinen Frieden mehr würde schließen können. Die Feindseligkeiten waren zwar zurückgegangen, aber nur weil Filch Parkinson ordentlich bestraft hatte, nachdem sie Parvati während der Strafarbeiten im Februar ein Bein gestellt hatte und diese kopfüber in eine Rüstung gefallen war. Obwohl Filch sonst mehr zu den Slytherins hielt, hatte er sie für diese Tat zu einer weiteren vollen Woche »Putzen auf Muggelart« verdonnert. Sie hatte das halbe Schloß auf Knien wienern müssen, und dies hatte ihr wohl etwas den Wind aus den Segeln genommen und dafür gesorgt, daß sie Harry und seine Freunde zwar noch mehr haßte, sie aber fürs erste in Ruhe ließ.

Das Quidditch-Training lief gut und alle hatten ihren Spaß. Ron hielt einen Ball nach dem nächsten und war in absoluter Topform. Luna applaudierte bei jedem einzelnen verhinderten Tor und war ganz aus dem Häuschen. Ihr war Quidditch eigentlich total egal, jedenfalls solange Ron nicht mitspielte. War er jedoch dabei, konnte sie ihre Begeisterung kaum bremsen, was sie mit Hermine gemeinsam hatte, wobei diese nur Augen für Harry hatte und ein jedes seiner Manöver genauestens beobachtete.

Jedesmal, wenn Harry den Schnatz beim Training fing, sprang sie auf und jubelte, was das Zeug hielt. Harry erkannte sie dabei kaum wieder, so enthusiastisch war sie, was ihm außerordentlich gut gefiel. Sie begrüßte ihn, kaum daß er gelandet war, sofort mit einem Kuß, was das Strahlen in Harrys Gesicht nur noch verstärkte. Während er sich umziehen ging, wartete Hermine vor der Tür.

Harry verließ nach einer überaus schnellen Dusche als erster die Umkleidekabinen. Unbeobachtet liefen er und Hermine allein hinauf zum Schloß. Eigentlich wollte er gleich in die Bibliothek und bis zum Abendessen noch ein wenig lernen, doch als sie vor der Großen Halle standen, zog ihn Hermine in den Korridor, in dem sich Klassenzimmer elf befand. Zielstrebig führte sie ihn zur Tür, drückte die Klinke nach unten und öffnete sie. Sie zog den leicht verwirrten Harry in den Wald und sah ihm tief in die Augen. Harry erblickte etwas in ihnen … etwas, daß er nie zuvor gesehen hatte. Es war pures Verlangen. Willig ließ er sich von ihr tiefer hineinführen, bis sie auf die kleine mit Moos bewachsene Lichtung kamen. Hermine sah sich kurz um.

»Firenze! Bist du hier?« rief sie laut, und da sie wußte, daß er eigentlich nicht dasein konnte, horchte sie nur kurz auf eine Antwort. Sie verriegelte die Tür mit einem schnell ausgeführten Zauber und drehte sich Harry zu.

Nur einen Moment später zog sie ihn zu sich heran. Sie küßten sich lange und leidenschaftlich, was ihn nur noch mehr verwirrte. Schnell legte sie ihren Umhang ab, öffnete auch seinen Umhang und ließ ihn ebenfalls auf den Boden gleiten. Er wurde immer nervöser. Etwas lief anders als beim letzten Mal. Es lief sogar anders als am Valentinstag, den Harry mit ihr knutschend in seinem Schlafsaal verbracht hatte; damals hatte er zum ersten Mal ihre nur noch von ihrem BH bedeckten Brüste unter ihrem Pullover berühren dürfen.

Sie zog ihren Pullover hoch, streifte ihn über ihren Kopf, und ihre Haare fielen zurück auf ihre Schultern. Sie trug sein Geburtstagsgeschenk, was Harry ein kurzes Lächeln entlockte, das angesichts ihrer näher kommenden Hände allerdings wieder verschwand. Langsam zog sie seinen Pullover hoch, während er instinktiv die Arme hob. Als auch sein weißes T-Shirt auf den Boden schwebte, sahen sie sich eine kurze Zeit lang einfach nur an. Sie strich mit ihren Händen über seinen nackten Oberkörper, was ihm einen Schauer über den Rücken jagte und seinen Herzschlag verdoppelte. Er stand nur da und hatte keine Ahnung, was er tun sollte.

Was erwartet sie jetzt von mir, fragte er sich bebend. Er war so unsicher. Er wollte sie so gern berühren, wie er es schon einmal fertiggebracht hatte, doch seine Hände wollten seinem Willen nicht gehorchen. Er konnte sich einfach nicht bewegen, war wie festgefroren. Sie führte ihre Hände hinter ihren Rücken und wollte den Verschluß ihres BHs öffnen, als sie in ihrer Bewegung erstarrte. Sie sahen sich lange und tief in die Augen.

»Ich möchte mit dir schlafen, möchtest du es auch?« fragte sie zögernd und beinahe flüsternd.

»Ich … ich weiß es nicht.« Eine kleine Pause entstand. Er war unsicher, ob sie jetzt enttäuscht war. »Ich möchte schon …«, stieß er plötzlich hervor, als sie ihn tatsächlich enttäuscht ansah. »Aber ich weiß nicht … wie.« Harry wurde rot und sah kurz beschämt zu Boden. Als er wieder hochsah, blickten sie sich tief in die Augen.

»Ich weiß es auch nicht«, sagte sie leise und lächelte, »aber ich möchte es nur mit dir herausfinden.« Sie lächelte ihn weiter an, und Harry dachte einige Sekunden lang nach.

»Was ist mit … Verhütung?«

»Mach dir deshalb keine Sorgen. Erinnerst du dich an das Paket von meiner Mutter?« Sie küßte ihn so sanft wie selten.

»Du denkst immer an alles.« Er schloß seine Augen. Sie hob ihre Hand, berührte seine Wange und streichelte ihm über seine linke Gesichtshälfte. Ihre Hand fühlte sich so zart und warm an, und erneut küßten sie sich.

Als er eine Ewigkeit später seine Augen wieder öffnete, sah er sie das erste Mal wirklich. Sie war so schön; schöner, als er es sich je erträumt hatte. Er wollte sie so gern berühren, doch noch immer war er wie festgefroren. Er wollte etwas sagen, doch wußte er genau, daß sein Gehirn nicht in der Lage war, adäquate Sätze zu bilden. Statt dessen klappte ihm der Mund auf, was Hermine ein schüchternes Lächeln auf die Lippen zauberte. Einer seiner Finger zuckte. Sie nahm seine Hand, führte sie langsam nach oben und legte sie auf ihre Brust. Als er ihren Herzschlag spürte, wäre er beinahe gestorben. Ein Schauer jagte über seinen Rücken, sein Magen schlug Saltos, und am ganzen Körper bekam er eine angenehme Gänsehaut. Wenn er es gekonnt hätte, er hätte diesen einen Moment für immer festgehalten.

Endlich konnte er wieder klarer denken. Er mußte ihr vorher noch etwas sagen, hinterher wäre er vielleicht nicht mehr dazu fähig. »Du bist so unglaublich schön.« Seine Stimme war leise, doch konnte sie ihn laut und deutlich verstehen.

»Du mußt so was nicht sagen. Du hast mein Herz schon gewonnen.«

»Ich meine es ernst. Du bist wunderschön, und ich werde es dir so oft sagen, bis du mir glaubst. Ich liebe dich!«

»Ich … liebe dich auch.«

Zärtlich und leicht zitternd begann Harry damit ihre Brust zu ertasten, während sie seinen Gürtel öffnete. Wieder jagte ein Schauer über seinen Rücken, und er konnte nicht einmal erahnen, daß alles, was jetzt noch folgen sollte, so unendlich viel schöner sein könnte.

Viel später lagen die beiden nackt im Moos, und Harry hielt sie in seinen Armen. Sie blickten in einen herrlichen Nachthimmel, und er küßte sie sanft auf die Nasenspitze. Sie lächelten sich an, und Harry fühlte sich so glücklich. Er dachte jetzt nicht an Sirius oder an seine gefallenen Freunde, er dachte im Moment nur an die Gegenwart und an seine Zukunft mit Hermine. Alles andere war ihm völlig egal, und Voldemort schien unendlich weit weg zu sein. Alle seine Probleme waren unwichtig geworden, und er wünschte, er könnte für immer einfach hier liegen blieben. Dieser Tag hatte etwas in Harry verändert, etwas, das er erst viel später begreifen sollte. Langsam beugte er sich hoch und streichelte über ihren Körper, während er ihn ausgiebig bewunderte.

»Das hätte ich jetzt nicht erwartet«, sagte er kurz darauf, als er bei ihrem Knie angekommen war.

»Was meinst du«, fragte sie mit einem Lächeln im Gesicht.

»Selbst du bist nicht perfekt. Du hast hier eine Narbe.« Er kreiste sie mit seinem Finger ein.

»Was heißt perfekt? Das bin ich längst nicht«, schalt sie ihn mit gespielter Entrüstung und beugte sich ebenfalls hoch.

»Für mich bist du es … fast. Wenn diese kleine Narbe nicht wäre.«

»Schau dir nur meine Haare an, die sind … nicht mal annehmbar«, sagte sie und deutete auf ihre lockigen und ein wenig buschigen Haare.

»Dein Haar ist perfekt.« Er küßte sie. »Wo hast du die Narbe her?«

Sie blickte zu ihrem Knie hinunter. »Ich glaub', ich bin als Kind hingefallen und hab' mir mein Knie an einer hochstehenden Bodenplatte angestoßen.« Sie lächelte und legte sich zurück ins Moos.

Harry streichelte über die Narbe und küßte sie. »Wenn man es genau betrachtet, ist sogar diese Narbe perfekt«, flüsterte er und legte sich wieder zu ihr.

Als sich die beiden eine Viertelstunde später anzogen, bemerkte er, daß es schon nach siebzehn Uhr war. Die anderen werden uns sicher schon vermissen, dachte er und band sich den Schnürsenkel zu.

»Was erzählen wir ihnen, wo wir waren?« fragte er sie.

Sie schien einen Moment lang zu überlegen. »Ich weiß nicht.« Sie giggelte.

Moment mal, Hermine und giggeln? »Du bist süß, wenn du giggelst.«

»Ich giggel' nicht.«, erwiderte sie plötzlich ernst.

»Streit es ruhig ab. Du tust es trotzdem. Aber ich hoffe, du giggelst nur für mich. Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich mehr!«

Hand in Hand verließen Harry und Hermine das Klassenzimmer, gingen an der Tür zur Großen Halle vorbei und nahmen die Treppe nach oben. Sie liefen durch das Porträtloch und betraten den Gryffindor-Gemeinschaftsraum.

»Da seid ihr ja!« begrüßte sie Ron, in die Notizen und Zusammenfassungen vom Vortag vertieft.

Im ganzen Raum war es ausgesprochen ruhig, obwohl er ungewöhnlich voll war. Viele von ihnen waren wie Ron hochkonzentriert bei der Arbeit, und niemand fragte die beiden, wo sie gewesen waren. Sie sahen sich noch einmal lächelnd an und küßten sich. Harry zog Hermine an den Tisch von Ron, holte seine Unterlagen aus seinem Umhang und begann damit, eine von Nevilles Zusammenfassungen zu lesen. Eine Stunde später war er gerade dabei, einige Notizen von Cho durchzugehen, als ihn Hermine aus dem Sessel zog und sie alle gemeinsam zum Abendessen gingen.

Dieses Mal saßen Harry und Hermine am Ravenclaw-Tisch, und Ron und Luna saßen ihnen gegenüber am Tisch der Slytherins. Des öfteren blickte Luna dabei zu Hermine herüber; ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war sie wohl leicht verwirrt, während sie immer wieder mit Ron flüsterte, der daraufhin lächelnd in Harrys Gesicht blickte. Etwas nervös bemühte sich Harry, so zu tun, als wäre nichts gewesen, und unterhielt sich mit Ernie, der neben ihm saß.

Als das Abendessen beendet war, gingen alle in ihre Gemeinschaftsräume zurück. Sofort widmete sich Harry wieder den Unterlagen und begann nun, Hermines Zusammenfassung zu lesen. Sie hatte es geschafft, ein ganzes Buch auf kaum dreißig Zentimeter Pergament zu bannen, was außer ihr wohl niemand fertigbringen würde. Kurz nach halb zwölf legte Harry seine Unterlagen weg, schnappte sich Hermine und zog sie auf eine Couch. Die beiden lagen einfach nur da und beobachteten die anderen. Gegen zwölf wollte Harry ins Bett, und er verabschiedete sich von Hermine, die noch aufbleiben wollte, mit einem langen Kuß.

»Soll ich Dir noch einen Pullover geben?« fragte sie ihn leise.

»Das ist nicht mehr nötig. Ich trage dich für immer in meinem Herzen. Ich liebe dich. Gute Nacht.«

Er bekam noch einen weiteren Kuß von Hermine, die ihm danach eine gute Nacht wünschte. Langsam ging er zur Treppe des Jungenschlafsaales und bemerkte, daß Ron ihn dabei beobachtete. Noch ein letztes Lächeln schenkte er der Frau seiner Träume und ging nach oben.

Kaum war er dabei, sich umzuziehen, erschien Ron im Raum und kam grinsend auf ihn zu. »Wo warst du mit ihr?«

»Was meinst du?« fragte Harry unschuldig und legte sich ins Bett.

»Du weißt genau, was ich meine!« Ron klang bestimmend.

»Nein«, erwiderte er noch immer betont ruhig. Etwas angespannt versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen.

»Hm, ihr wart über zwei Stunden weg. Gibt nicht viel, was ihr gemacht haben könntet. Raus mit der Sprache.« Ron setzte sich zu Harry aufs Bett.

Genau ein solches Gespräch hatte Harry befürchtet. Er wollte Ron nicht anlügen, aber er wollte ihm auch nichts verraten. Die Sache war zu persönlich und ihm absolut unangenehm. Diese Fragen waren eigentlich untypisch für Ron, führten sie doch sonst nie solche Gespräche. Für dieses Thema suchte Ron normalerweise die Nähe von Dean und Seamus, die wesentlich gewillter waren, über das Thema zu sprechen. Es mußte damit zusammenhängen, daß er mit Luna an einem ähnlichen Punkt angelangt war und nun dringend Antworten auf offene Fragen wollte, dachte Harry und überlegte, wie er sich aus der Sache herauswinden könnte. Er hatte nun schon ziemlich lange gezögert, um ihn loszuwerden, mußte ihm aber nun irgend etwas antworten.

»Ach, das meinst du. Wir waren in der Eulerei«, flunkerte Harry nun beherzt und drehte sich weg. Nun hatte er doch gelogen, und er wußte, daß Ron ihm diese billige Lüge nicht abkaufen würde.

»Luna glaubt nicht, daß ihr in der Eulerei wart, und ich glaub's auch nicht.« Ron grinste nun nicht mehr, Harry konnte es an seiner Stimmlage erkennen. Anscheinend war er nicht erfreut, angelogen zu werden.

»Also gut …«, gab sich Harry geschlagen und drehte sich wieder zu seinem Freund um. Sofort konnte er sehen, wie sich Rons Miene wieder erhellte. »Klassenzimmer elf. Und nun laß mich schlafen. Mehr erfährst du ja doch nicht.« Harry versuchte mit seinem Gesichtsausdruck diese Aussage noch zu unterstreichen, doch schien es nicht zu funktionieren.

»Ihr habt euch nicht nur geküßt, oder?« Man konnte die Neugierde in seinen Augen brennen sehen. Natürlich hätte er ihm alles von Hermine und sich erzählen können, doch fand er, daß es nicht richtig war.

»Dir zu antworten steht mir nicht zu und wäre auch nicht richtig. Denn sieh mal: Wenn ich sage, es war nichts, dann würdest du mir doch nicht glauben; wenn ich aber sage, es war was, dann würde ich dir etwas sehr Persönliches offenbaren, was nur Hermine und mich etwas angeht. Ich würde sie damit hintergehen. Versteh mich bitte. Es wäre Hermine gegenüber einfach nicht fair, wenn ich dir irgend etwas erzählen würde, ob wir nun etwas gemacht haben oder auch nicht. Belassen wir es doch einfach dabei, daß ich nichts dazu sage.« Harry drehte sich wieder um und schloß die Augen. Er sah Hermine nackt vor sich und mußte lächeln.

Er spürte wie sich Ron von seinem Bett erhob. »Firenzes Klassenzimmer? Das ist sicherer als der Raum der Wünsche, denke ich. Soweit ich weiß, benutzen den schon ziemlich viele Paare, was durchaus mal peinlich werden könnte. Ich verspreche dir aber, daß alles unter uns bleibt, was diesen Raum angeht. Wenn wir Glück haben, kommt kein anderer auf die Idee. Danke, daß du mir mehr gesagt hast, als ich gehofft hatte.«

Harry hörte, wie Ron den Schlafsaal verließ, und schlief nur Minuten später ein. Er hatte angenehme Träume, und nichts störte seinen Schlaf, bis er sehr früh am Sonntagmorgen aufwachte. Sogleich zog er sich an und stellte fest, daß Ron nicht in seinem Bett war. Die anderen schliefen noch, und er wollte keinen von ihnen wecken, weshalb er betont leise den Raum verließ. Er ging mit seinen Unterlagen nach unten in den Gemeinschaftsraum, der noch verlassen war, und hinterließ Hermine an einer vorher verabredeten Stelle eine kurze Nachricht. Er wollte in den Raum der Wünsche, um dort einige der neuen Zauber auszuprobieren. Gutgelaunt machte er sich auf den Weg und traf dabei auf Professor Snape, den er hier nicht erwartet hätte. Eigentlich wollte Harry auch ihn einmal fragen, ob er nicht eine Gastvorlesung für die DA halten wollte, doch vorher wollte er erst noch Dumbledore um Erlaubnis bitten.

»Guten Morgen Professor Snape!« grüßte Harry ihn freundlich, aber nicht zu freundlich, um es nicht gekünstelt wirken zu lassen. Sein Verhältnis zu Snape war zwar noch immer sehr distanziert und eher förmlicher Natur, trotzdem machte ihm Snape das Leben nicht mehr ganz so schwer wie noch im letzten Jahr.

»Mr. Potter. So früh schon auf den Beinen? Wohin des Weges?« fragte ihn Snape. Sein Ton war kühl, für Snape aber ungewöhnlich höflich.

»Ich bin auf dem Weg in den DA-Übungsraum. Wir haben einige Zauber zusammengesucht, die ich mal ausprobieren wollte«, entgegnete Harry und konnte ein Zucken von Snapes Augenbraue beobachten.

»Wo ist Ihr zweiter Mann?«

»Ich bin allein.«

»Das sollten Sie besser nicht tun. Falls Sie einen Fehler machen, wovon bei neuen Sprüchen immer auszugehen ist, und Sie dabei ein Unglück heraufbeschwören, sollte Ihnen jemand zur Seite stehen«, erklärte Snape ihm in schneidendem Ton und blickte ihn mit finsteren, leblosen Augen an. Harry wußte nicht, was er machen sollte. Eigentlich hatte Snape recht, aber Hermine würde ja zu ihm kommen, sobald sie aufgestanden war.

»Sie haben vielleicht recht …«, begann er, wurde aber von Snape unterbrochen.

»Nicht vielleicht, sondern ganz sicher!«

»Ich sehe mir, solange ich allein bin, nur die Theorie an. Hermine wollte bald nachkommen. Ist das okay?«

»Sie brauchen dafür nicht meine Erlaubnis! Ich kann Sie nicht daran hindern, in Ihr Unglück zu laufen«, erwiderte Snape und ging weiter den Korridor entlang.

Harry wußte nicht, was er davon halten sollte. Sein Professor war ungewöhnlich redselig, trotzdem aber noch immer sehr reserviert gewesen. Etwas weniger gut gelaunt, lief er weiter und wünschte sich einen Raum, in dem er neue Zauber ausprobieren konnte. Die Tür erschien, und er ging hinein. Seine Unterlagen breitete er auf dem Tisch aus und zog seinen Zauberstab. Zuerst wollte er sich noch einmal die neuen Schutzzauber ansehen, bei denen er teilweise komplizierte Bewegungen ausführen mußte, die er sich genau einprägen wollte.

Eine gute Stunde später erschienen Hermine, Ron und Luna. Ron hielt Lunas Hand, und beide sahen ausgesprochen müde und verschlafen, dennoch aber bester Laune aus. Luna schien ein wenig zu strahlen.

»Morgen, mein Schatz!« begrüßte Harry seine Freundin, eilte auf sie zu und gab ihr einen langen Kuß. »Ich liebe dich«, flüsterte er.

»Ich liebe dich mehr. Hast du gut geschlafen?« flüsterte sie zurück.

»Sehr gut. Keine Alpträume«, erwiderte er wieder in normaler Lautstärke und lächelte sie dabei an. Auch sie mußte nun lächeln. »Morgen, Kumpel! Hallo, Luna.« Harry wandte sich den beiden zu.

»Hi, Harry«, grüßte Ron zurück, von Luna kam nur ein Nicken. Sie strahlte ähnlich hell wie Hermine, und Harry war sich sicher, daß sie entweder mit Ron geschlafen hatte oder zumindest ziemlich nahe dran gewesen war.

Schnell verdrängte er diese Gedanken wieder; das sollte sie nicht von der Arbeit abhalten. »Gut, daß ihr kommt. So können wir ein paar mehr Zauber ausprobieren.«

Bis zum Frühstück blieb ihnen noch mehr als eine Stunde, und so übten sie die Beschwörung von zwei neuen Schildzaubern, mit denen Harry rasch großen Erfolg hatte. Er konnte damit mühelos jeden Fluch abwehren, den Hermine ihm mit aller Kraft entgegenschleuderte. Auch die anderen lernten die Zauber zwar schnell, doch mit nicht so durchschlagendem Erfolg.

»Schade, daß die Wirkung von den beiden Schilden nicht bei jedem von uns gleich stark ist«, gab Harry zu bedenken und runzelte nachdenklich seine Stirn.

»Bei mir wirken sie längst nicht so gut wie Deflecto Menaran«, sagte Ron.

»Um so mächtiger der Zauberer, desto mächtiger der Schild«, meinte Hermine und setzte sich auf einen Stuhl.

»Die Wirkung bei Harry ist jedenfalls unglaublich. Nichts kommt durch. Prallt einfach ab«, staunte Luna mit einem träumerischen Ausdruck in den Augen und setzte sich zu Hermine.

»Unter Streß und echter Gefahr wirkt Proturesa Weltum bei euch bestimmt auch besser«, sagte Harry, legte seinen Zauberstab auf den Tisch und setzte sich zu den beiden Mädchen.

»Das kann ich nur hoffen!« erwiderte Ron enttäuscht und setzte sich als letztes an den Tisch. »Im Augenblick kann ich damit jedenfalls gerade mal einen Stupor aufhalten, und selbst der prallt bei mir noch nicht mal wirklich ab. Wird irgendwie vom Schild aufgesogen.«

»Ich wette, Dumbledore könnte damit sogar Avada Kedavra aufhalten«, sagte Luna.

»Ist schwer zu sagen«, entgegnete Harry. »Laut dem Buch ist es unmöglich, den Todesfluch aufzuhalten, aber wer weiß. Nicht jedes Buch ist der Weisheit letzter Schluß. Ich denke, ich werde auf diesem Gebiet weiterforschen.«

In dem Buch, das er gelesen hatte, stand zwar, daß nichts die Unverzeihlichen Flüche besiegen konnte, doch wollte er es noch nicht glauben. Er wollte lieber glauben, daß ein mächtiger Zauberer mit dem stärksten Schildzauber die Unverzeihlichen Flüche abwehren konnte. Er hätte es so gerne einfach mal ausprobiert, doch waren die Unverzeihlichen Flüche nicht für Experimente mit Menschen geeignet. Unerfreulicher weise wirkten aber diese beiden Schilde auch nur auf Menschen, so daß sie nicht mit Gegenständen experimentieren konnten. Beim nächsten DA-Treffen wollte er den anderen jedenfalls trotz allem die zwei neuen Schildzauber zeigen. Es handelte sich um Deflectare Hellporar und Proturesa Weltum. Beide waren eigentlich noch erheblich mächtiger als Deflecto Menaran und Protego, doch schien die Wirkung von vielen unterschiedlichen Faktoren abzuhängen, die sie noch nicht ganz ausgetüftelt hatten, weil die vorhandenen Aufzeichnungen vage blieben.

Harry räumte seine Unterlagen zusammen, und die anderen taten es ihm gleich. Danach gingen alle zusammen zum Frühstück, worauf er sich schon freute, war er doch ausgesprochen hungrig. Übereifrig füllte er seinen Teller, wobei er diesmal wieder am Slytherin-Tisch saß. Pansy Parkinson und ihre Freunde starrten ihn mit wütenden Gesichtern an, doch ließen sich Harry und Hermine davon nicht vom Essen abhalten. Das Gespräch mit Neville, Ernie und William lenkte sie da schon mehr ab, unterhielten sie sich doch über den Zaubertrankunterricht. Das interessierte ihn vor allem deshalb, weil sie die ganze nächste Woche an nur einem einzigen Trank brauen würden und Snape ihnen nicht gesagt hatte, um welchen Trank es sich dabei handeln sollte. Obwohl William nicht in ihrem Jahrgang war, beteiligte er sich mit großem Eifer an den Spekulationen.

Den Rest des Sonntages verbrachten sie mit einem kurzen Besuch bei Hagrid, einem noch kürzerem Besuch bei Dobby und einer anschließenden Stippvisite bei Hedwig und Pig, den Harry wieder ausgiebig verwöhnte, was Hedwig nicht zu gefallen schien.

Vor dem Mittagessen waren sie dann noch etwas mehr als eine Stunde im DA-Raum, ehe sie nach dem Essen ein inoffizielles DA-Treffen in der Bibliothek hatten und sich dort zusammen weiterbildeten. Hermine war mit dem Arbeitspensum sehr zufrieden und lobte alle für ihre Anstrengungen.

Die letzte halbe Stunden bis zum Abendessen verbrachte dann ein Großteil der Gryffindors im Gemeinschaftsraum, und obwohl sich Harry gerne entspannt hätte, gehörte er zu den wenigen, die bis zur letzten Sekunde in der Bibliothek blieben und weiter lernten.

Beim Abendessen war Professor Dumbledore wieder mal nicht anwesend, und nach dem herrlichen Braten wußte Harry seine freie Zeit nicht besser einzusetzen, als sich zusammen mit Hermine wieder auf die Bücher zu stürzen.