Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem generellen Plot und ein paar unbedeutenden Namen. Alle originalen Charaktere und Schauplätze, die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.

Kapitel 15 – Bestätigung

Der Montag war für Harry überaus anstrengend, und er hatte erstmals seit langer Zeit wieder einen Fehler im Zaubertrankunterricht gemacht. Er hatte statt Blauwurz Blutwurz gelesen und damit seinen Trank verdorben. Der Grund war fehlende Aufmerksamkeit gewesen, hatte er sich doch ständig dabei ertappt, wie er Hermine anstarrte. Jedes Mal, wenn sie es bemerkte, lief sie rosa an, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen und blickte schließlich angestrengt wieder auf ihren Kessel. Es war für Harry nur ein kleiner Trost, daß er sie ebenfalls ablenken konnte, da sie im Gegensatz zu ihm ihre Leistungen davon nicht negativ beeinflussen ließ; und so war ihr Trank einmal mehr absolut perfekt gewesen. Snape hatte sie ausdrücklich dafür gelobt, und Harry konnte nur erahnen, wieviel Überwindung es den Tränkemeister gekostet hatte. Immerhin verschonte er Harry und verzichtete auf peinliche Kommentare. Snape ließ einfach den Trank verschwinden, ohne Harry dafür wie üblich vor der Klasse bloßzustellen, und das war fast soviel wert wie ein Lob.

Harry fragte sich allmählich ernsthaft, ob Snape nicht vielleicht bedrohlich erkrankt war, da er sich ihm gegenüber sowenig gehässig zeigte, bis dieser ihn beim Hinausgehen leise ansprach: »Bis zweiundzwanzig Uhr bringen sie mir eine Probe von einem neuen Trank in mein Büro, Mr. Potter.«

Fast fiel Harry ein Stein vom Herzen. Damit war zumindest klar, daß Snape nicht ernsthaft erkrankt war, sondern höchstens leichtes Fieber haben konnte, wie Ron nachher amüsiert anmerkte.

In Pflege Magischer Geschöpfe hatte Harry ebenfalls einen schlechten Tag erwischt. Einige der Charjaven waren offenbar kurz davor, ihre Eier zu legen, und waren dadurch ausgesprochen aggressiv. Aus diesem Grund hatte er Mühe, seinen Fischbrei zu stampfen, da er pausenlos von den eigentlich harmlosen Tieren angegriffen wurde. Ständig pickten sie auf seine Arme und Beine ein, und am Ende mußte er sich von Hermine verarzten lassen, die das zu allem Überfluß auch noch zu genießen schien. Auch Neville hatte so seine Nöte mit den kleinen Fliegern und mußte am Ende der Stunde in den Krankenflügel gebracht werden, da zwei der Charjaven fast seine halbe Hand abgepickt hatten. Neville stand total unter Schock und konnte nur mühsam dazu gebracht werden, sich in Bewegung zu setzen.

Der Nachmittag war mit Quidditch-Training ordentlich ausgefüllt, und Ron bestand darauf, einige neue Spielzüge einzutrainieren. So wollte er vor allem die Defensive verstärken, um die noch unerfahrenen Jäger der Slytherins gar nicht erst ins Spiel kommen zu lassen. Zwar schien ohnehin klar, daß Harry den Schnatz vor Voss fangen würde, doch der hatte schon zweimal mehr Glück als seine Gegner gehabt, und Ron war der Meinung, »daß Glück nur der Tüchtige hat«, weshalb er sie doppelt hart rannahm. Während des Trainings fing Harry den Schnatz ganze zwölf Mal und zeigte damit eine gute Leistung. Er selbst hatte nicht mitgezählt, aber Hermine führte eine Strichliste, in der sie auch die benötigte Zeit notierte.

Den Abend hätte er am liebsten wieder mit Hermine verbracht, doch hatte er einfach zu viele Hausaufgaben zu erledigen. Zudem mußte er nach dem Abendessen seinen mißlungenen Trank neu brauen, was die Sache auch nicht leichter machte. Diesmal ging aber immerhin alles glatt. Hermine war in der anderen Ecke des Gemeinschaftsraumes gewesen, so daß Harry sie dort nicht sehen und er hoch konzentriert seine Arbeit erledigen konnte.

Kurz nach neun Uhr füllte Harry die Probe ab und brachte sie zu Professor Snape in den Kerker. Dieser nahm sie weitestgehend kommentarlos entgegen, hatte er für Harry doch nur ein Zucken seiner Augenbraue übrig. Kaum hatte er einmal kurz am Trank gerochen, verschloß er ihn wieder und stellte ihn zu den anderen Proben.

»Das Ergebnis kriegen sie Mittwoch«, sagte er noch und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu.

So schnell er konnte, machte sich Harry davon. Kurz vor halb zehn war er dann wieder im Gemeinschaftsraum und arbeitete an seinen Hausaufgaben für Geschichte der Zauberei. Dafür las er in einem Buch über die Große Gringotts-Verschwörung, von der er nie zuvor etwas gehört hatte.

1862 hatte der Leiter der Gringotts Bank, der Kobold Shifshrewd, diese für über fünfzehn Monate geschlossen und sich geweigert, Guthaben auszuzahlen oder neue Kredite zu vergeben. Eine gewaltige Deflation war die Folge. Diese machte auch vor den Grundstückspreisen nicht halt, und eine größere Gruppe von Kobolden konnte zu Spottpreisen erhebliche Mengen Land erwerben.

»Nacht, Harry, ich geh' ins Bett«, sagte Hermine und gab Harry einen zärtlichen Kuß. Immer wieder war er überrascht, wie gut sie schmeckte und wie weich ihre Lippen waren. Was ihn noch mehr überraschte, das war das warme Gefühl in seinem Innern und die Elektrizität, die bei einem jeden Kuß durch seinen Körper jagte. Eigentlich hätte er geglaubt, daß sich das irgendwann legen würde, doch schien es sich statt dessen täglich zu verstärken. Zärtlich hielt er ihr Gesicht in beiden Händen, als er den Kuß intensivierte und damit auch das wunderbare Gefühl in ihm selbst. Er liebte sie. Er konnte ihr aber nicht wirklich klarmachen, wie sehr er sie liebte. Wieder und wieder küßte er sie, so sanft er konnte, bis sie sich schließlich voneinander lösten.

»Ich liebe dich!« flüsterte sie ihm noch ins Ohr, ehe sie zögernd hoch zu ihrem Schlafsaal ging.

»Ich liebe dich so sehr!« sagte Harry so laut, daß jeder es hören konnte. Noch einmal lächelte sie ihm zu und ging weiter zur Treppe. Ein letztes Mal sah er ihr hinterher, bevor er mit einem Seufzen weiterlas.

Daß es sich tatsächlich um eine Verschwörung handelte, wurde erst zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckt. Im Februar 1864 wurde Shifshrewd jedoch schon seines Amtes enthoben und aus der Gemeinschaft der Kobolde ausgeschlossen. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe von fünfzig Jahren verurteilt, die er im Gefängnis von Delmantia in Irland verbüßen sollte.

Gegen nur sehr wenige seiner Komplizen hatte man überhaupt Indizienbeweise, so daß er lange als Bauernopfer galt. 1912 jedoch tauchten zufällig neue Beweise auf, die den Schwarzen Koboldbund mit dem Fall in Zusammenhang brachten und offenbarten, daß es sich um eine Verschwörung gewaltigen Ausmaßes gehandelt hatte. Der Koboldbund war nicht nur in die damaligen Ereignisse verwickelt, er hatte die ganze Aktion geplant und durchgeführt. Der Erfolg war überwältigend gewesen, und innerhalb von nur vier Monaten hatte der Schwarze Koboldbund fünf Prozent der Landfläche ganz Europas erworben. Als im Februar 1864 der Leiter der Bank verurteilt wurde, hatte sich ihr Besitz auf über sieben Prozent erhöht.

Da viele der Grundstückskäufe dieser letzten fast zwei Jahre mit den Ereignissen in direktem Zusammenhang standen, wurden die Transaktionen vollständig rückgängig gemacht, und dadurch verlor der Koboldbund wieder dramatisch an Landbesitz.

Der Schwarze Koboldbund wurde 1196 mit dem Ziel gegründet, die Weltherrschaft zu erlangen, und für eine lange Zeit arbeitete er völlig im Untergrund. Nach den Koboldaufständen im achtzehnten Jahrhundert allerdings operierte er nicht mehr länger verdeckt. Der Schwarze Koboldbund war mit den getroffenen Vereinbahrungen, die zum Ende des Aufstandes führten, so unzufrieden gewesen, daß er 1804 dem Muggel und Feldherren der französischen Armee, Napoleon Bonaparte, aktiv dabei half, Kaiser der Franzosen zu werden, um mit dessen Hilfe der Weltherrschaft näher zu kommen. Als Napoleon allerdings am Ziel seiner Träume war, hinterging er seine Verbündeten, ließ sie rücksichtslos verfolgen und sorgte so fast für ihre Vernichtung. Der Schwarze Koboldbund zog sich daraufhin erneut in den Untergrund zurück und wandte sich anderen Plänen zu, während Napoleon ohne ihre Hilfe rasch an Macht und Einfluß verlor.

1860 wurden die Lehren aus früheren Fehlschlägen gezogen, und auf dieser Grundlage wurden die Regeln des Bundes neu festgelegt: unter anderem sollte kein Nichtkobold mehr an der Eroberung der Weltherrschaft beteiligt werden. Die Gringotts-Verschwörung wurde geplant und ab Mai 1862 wie oben geschildert in die Tat umgesetzt. Das endgültige Ende des Bundes kam, wie erwähnt, erst bedeutend später.

Der Bund wurde 1914 verboten und offiziell aufgelöst, nachdem das ganze Ausmaß der Gringotts-Verschwörung aufgedeckt worden war. Die Kobolde, die im Hintergrund die Fäden gezogen hatten, wurden angeklagt und ebenfalls zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der Bund und ihre Anführer wurden komplett enteignet, und Gringotts wurde unter die Aufsicht einer neuen Behörde gestellt. Diese Behörde ist streng geheim, selbst ihr Name ist nicht bekannt.

Die Kobolde selbst leiten die Gringotts Bank heute nicht mehr. Vielmehr haben sie nur noch einen repräsentativen Status und übernehmen die Arbeiten des Tagesgeschäftes. Allerdings haben einige der Kobolde damit begonnen, eigenständig Geldhandel zu betreiben; obwohl dies offiziell zwar untersagt ist, wird es vom Ministerium allerdings stillschweigend geduldet.

Das Personal der Gringotts Bank besteht noch heute fast ausschließlich aus Kobolden, da viele der Flüche und Fallen, die Gringotts schon seit unzähligen Zeiten schützen, nur von diesen speziell ausgebildeten Gringotts-Kobolden umgangen werden können. Eine komplette Ersetzung aller entsprechenden Zauber hätte mehrere Jahrzehnte gedauert und wäre unbezahlbar gewesen, weshalb man bis zum heutigen Tage auf die Mitarbeit der Kobolde angewiesen ist.

Da die Kobolde, welche mit dem Schwarzen Koboldbund nichts zu tun hatten, mit der Enteignung Gringotts' 1914 zu Recht unzufrieden waren, bekamen sie eine äußerst großzügige Entschädigung, welche …

Harry blätterte auf die nächste Seite. Bevor er jedoch weiterlesen konnte, wurde er von Neville unterbrochen: »Komm schon, Harry, mach Schluß.« Neville legte seinen verbundenen rechten Arm um seine Schultern. »Morgen ist auch noch ein Tag. Professor Binns erwartet den Aufsatz doch erst für Freitag.« Mit seiner linken Hand nahm er Harry das Buch aus der Hand.

»Hast ja recht«, erwiderte Harry und mußte laut gähnen.

Die beiden gingen gemeinsam hoch in den Schlafsaal, wo sie sich umzuziehen begannen.

»Wie weit bist du mit deinem Aufsatz?« erkundigte sich Harry beiläufig.

»Ich bin fast fertig«, sagte Neville lächelnd und legte seine getragenen Sachen in den Wäschekorb. »Ich schreibe gerade über das Ende von diesem komischen Koboldbund. Angeblich soll er verboten sein und war wohl mindestens die letzten fünfzig Jahre nicht aktiv, aber irgendwie glaub' ich nicht so recht daran. Kobolde können ganz schön hinterlistig sein.«

Harry fragte sich, wer heute überhaupt davon wußte, daß die Kobolde in Gringotts eigentlich nicht mehr viel zu sagen hatten. Aus Hagrids Munde hatte es damals im ersten Jahr noch ganz anders geklungen, und auch sonst hatte er nichts dergleichen jemals zuvor gehört. Obwohl es ihn wunderte, zwang er sich, nicht mehr weiter darüber nachzudenken, und leerte seinen Geist mit den Okklumentikübungen, ehe er zufrieden einschlief.

Der Dienstag gestaltete sich für Harry wieder erfreulicher. In Verwandlung bekam er für einen Aufsatz ein Ohnegleichen und war damit genausogut wie Hermine.

Auch der Mittwoch lief ebenfalls wieder sehr gut für Harry, als er in Zaubertränke ein weiteres Ohnegleichen erhielt, von dem er wirklich überrascht wurde.

Dem DA-Treffen am Nachmittag folgte beim Abendessen die Rückkehr von Cho, Katie, Seamus, Lavender und den anderen. Als Harry an den Tisch kam, sah er Cho über das ganze Gesicht strahlen, und William, der neben ihr saß, schien der Anlaß zu sein. Auf den ersten Blick fand Harry, daß die beiden ein nettes Paar abgaben, auch wenn William nach Deans Aussage nur ein Lückenbüßer für ihn selbst sein sollte. Inständig hoffte er für William, daß Dean sich geirrt hatte. Nicht weit von Cho entfernt setzte sich Harry zusammen mit Hermine an den Tisch und hörte Cho bei ihrer Erzählung zu, mit der sie offenbar gerade erst begonnen hatte:

»… im Ministerium. Auch die Unterkunft, in der wir geschlafen haben, war wirklich schön. Über die Prüfung dürfen wir leider nicht viel erzählen. Wir dürfen euch nicht mal sagen, warum. Ich kann nur soviel sagen, daß sie viel schwerer ist, als ich gedacht hatte. Die Übungen bereiten einen nur in einigen Details gut vor; das meiste lernt man erst in den ersten drei Tagen im Ministerium. Im nachhinein muß ich sagen, daß es die einzige Möglichkeit ist, und hier in Hogwarts könnte man es nie so machen. Auch wenn wieder viele durchgefallen sind, hat man doch immer eine faire Chance, und man hat wirklich viele Versuche. Die braucht man aber auch, sag' ich euch.«

Alle um sie herum hingen an ihren Lippen. Sofort spürte Harry, wie sehr sie es genoß, im Mittelpunkt zu stehen.

»Erzähl bloß nicht zuviel. Du weißt, sie kriegen es raus, und dann gibt es Ärger«, warnte Katie und blickte Cho dabei ernst an.

»Ja, ja, schon gut. Mehr kann ich, wie gesagt, nicht dazu erzählen. Wir würden wirklich großen Ärger bekommen. Aber freut euch schon mal! Apparieren ist echt klasse! Ich freue mich wahnsinnig darauf, einfach so fast überall hinreisen zu können. In den Sommerferien mach' ich viel Gebrauch davon, es ist einfach die beste Art zu reisen, sag' ich euch.« Chos Augen leuchteten.

»Wie viele sind denn durchgefallen?« wollte Hermine wissen und blickte Katie dabei an.

»Wir waren ja achtundzwanzig, und durchgefallen sind nur acht von uns. Aber es gab ja noch ein paar andere Gruppen, bei denen sind bis zu siebzig Prozent durchgefallen. Und da sind viele dabei gewesen, die die Prüfung schon öfter gemacht haben. Hogwarts war insgesamt wirklich gut dieses Jahr, das haben wir sicher auch dem harten DA-Training zu verdanken, denn eine solche Erfolgsquote gab es schon seit über zwanzig Jahren nicht mehr«, erzählte sie, und man konnte den Stolz in ihrer Stimme hören.

»Wohin seid ihr denn appariert, erzählt doch mal«, forderte Luna sie neugierig auf. Katie und Cho blickten sich an.

»Na ja … das ist eine Sache, die wir nicht erzählen dürfen.«

An diesem Abend wurde noch viel über die Prüfung gesprochen. Die Absolventen der Prüfung standen absolut im Mittelpunkt und genossen es sichtlich. Für Harry war es angenehm, aber ihm war auch die kleine Gruppe von Schülern nicht entgangen, die alle ziemlich enttäuscht aussahen, ein wenig abseits für sich allein saßen und leise flüsterten. Die Sechstkläßler hätten zumindest im nächsten Jahr noch die Chance, doch die Siebtkläßler würden sich nach ihrer Schulzeit damit beschäftigen müssen, gab es doch in diesem Schuljahr keinen weiteren Prüfungstermin.

Später saß Harry abseits allen Trubels in der Bibliothek und lernte mit Hermine für Geschichte der Zauberei. Harry hatte seinen Aufsatz über die Gringotts-Verschwörung erst zur Hälfte fertig, während Hermine ihren schon überarbeitete. Was Harry an der ganzen Geschichte nicht richtig verstehen konnte, war, wieso sich die Kobolde auf diesen Handel eingelassen hatten. In Harrys Augen war die Entschädigung für die verlorene Kontrolle über Gringotts kaum der Rede wert gewesen, und seiner Meinung nach hatten sich die Kobolde viel zu leicht abspeisen lassen. Die Entschädigung war die Erlaubnis, einmal in ihrem Leben die Grotte von Morkadido aufzusuchen zu dürfen. Harry war damit zwar klar, daß sie es vorher nicht gedurft hatten, doch er konnte noch nicht erkennen, was an ihr so besonders war.

»Sag mal, mein Schatz, was ist denn an der Grotte von Morkadido so besonders? Irgendwie finde ich dazu nichts«, fragte Harry in seiner süßesten Stimme seine Freundin.

»Das steht viel weiter hinten. Ich glaub', auf Seite 688. Es ist eine religiöse Angelegenheit«, antwortete sie und blickte ihn dabei an. In der Hoffnung, etwas mehr aus ihr herauszubekommen, legte er einen flehentlichen Gesichtsausdruck auf. Es wurde allmählich spät, und er wollte unbedingt noch heute fertig werden, so daß ihm ein etwas genauerer Hinweis sehr recht gewesen wäre. »Mehr verrate ich dir nicht. Du brauchst gar nicht so zu gucken. Du hast selbst gesagt, daß ich dir nicht zuviel helfen soll.« Hermine grinste ihn an.

»Schon gut. Du hast ja recht! Aber wenn ich dich das nächste Mal um so etwas Dummes bitte, dann sag mir vorher Bescheid«, sagte Harry lächelnd und blätterte in seinem Buch weiter nach hinten.

»Das mache ich«, versprach sie, schenkte ihm ein warmes Lächeln und küßte ihn kurz. Sogleich fühlte er sich erheblich besser und begann den Abschnitt über die Grotte zu lesen.

Als Harry damit fertig war, verstand er es noch immer nicht. Angeblich war in der Grotte der erste Kobold überhaupt geboren worden. Sie war über viele Jahrtausende eine Art Wallfahrtsort gewesen, bis ungefähr sechshundert vor Christus ein Koboldstamm die Grotte für sich allein beansprucht hatte. Es hatte ein grausamer Krieg unter verschiedenen Stämmen stattgefunden, die alle die alleinige Kontrolle über die Grotte zu erlangen suchten. Erst zweihundert Jahre und unzählige Opfer später hatte man sich mit Hilfe der Zauberergemeinschaft darauf geeinigt, daß die Grotte geschlossen und von nun an nie wieder von einem Kobold betreten werden sollte. Die Kobolde wären damals fast ausgestorben, und es war die einzige Möglichkeit gewesen, den Krieg zu beenden. Die Grotte wurde von einem unbekannten, aber sehr mächtigen Magier versiegelt.

Im Zuge der Gringotts-Verschwörung erhielten die Kobolde aber 1915 die Erlaubnis zurück, die Grotte zu betreten. Um einen erneuten Krieg zu verhindern, wurde die Grotte mit einem Fluch belegt, der es jedem Kobold nur einmal in seinem Leben erlaubte, sie zu betreten. Dieser Fluch wurde vom damals noch sehr jungen, aber auch schon sehr mächtigen Albus Dumbledore ausgesprochen und mußte alle hundert Jahre erneuert werden. Harry verstand nicht, warum es den Kobolden so wichtig war, die Grotte wieder betreten zu dürfen, denn mit Religion hatte er noch nie viel am Hut gehabt.

»Darf ich dich noch etwas fragen, Schatz?« Er war sich nicht sicher, ob sie ihm antworten würde.

»Fragen darfst du mich alles, immer und jederzeit«, antwortete Hermine ernst, rollte ihr Pergament zusammen und war offenbar mit dem Aufsatz fertig.

»In der Grotte ist also der erste Kobold geboren, aber warum bedeutet ihnen das soviel?«

»Mhhh. Da es eigentlich nicht mehr viel mit dem Aufsatz zu tun hat, beantworte ich dir deine Frage. Sie glauben, daß ein Aufenthalt in der Grotte ihnen nicht nur Glück, sondern ein ewiges Leben schenkt.«

»Ähhm … glaubst du, da ist was Wahres dran?«

»Wenn du mich so direkt fragst, nein. Aber es ist unwichtig, was ich glaube!« sagte Hermine und räumte ihre Sachen zusammen. »Ich bin müde. Ich geh' jetzt ins Bett. Wir sehen uns morgen, ja? Ich liebe dich!« sagte sie und gab Harry noch einen Kuß.

»Ich liebe dich auch. Schlaf gut, bis morgen«, sagte Harry, und noch einmal küßten sie sich.

Harry schrieb noch gut eine halbe Stunde an seinem Aufsatz, ehe auch er ins Bett ging. Dean und Ron schliefen schon, während Seamus und Neville noch nicht da waren.

Die nächsten beiden Tage verliefen wie gewohnt, und erst am elften April tat sich wieder etwas Ungewöhnliches. Harry und die anderen aßen gerade ihr Abendessen, als Professor McNally in die Große Halle gestürmt kam und zu Professor McGonagall eilte. Harry beobachtete, wie sie aufgeregt, aber leise miteinander sprachen.

»Da ist irgendwas passiert«, raunte Harry Hermine und Ron zu.

»Hier in der Schule oder außerhalb?« fragte Ron, und diese Frage hatte auch Hermine gerade stellen wollen.

Harry stand auf. »Ich geh' zu Hagrid und versuche ein wenig zu lauschen!« meinte er zu den anderen und lief nach vorne zum Lehrertisch.

Er hätte sich den Versuch sparen können: McGonagall redete mit Professor Sprout und Snape, während McNally mit Hagrid und Professor Flitwick sprach; nur Augenblicke später hatten sich alle Lehrer zu einer kleinen Traube versammelt. Unauffällig konnte er sich also nicht nähern, weshalb er seinen Versuch abbrach und sich zu einigen anderen begab, die weiter vorne am Gryffindor-Tisch und damit zumindest in der Nähe der Lehrertisches saßen.

Angestrengt versuchte er etwas zu verstehen, doch war ihm das nicht möglich. Plötzlich verließen einige der Professoren aufgeregt die Große Halle, unter ihnen auch Snape und McGonagall. Hagrid blieb zurück; er setzte sich wieder an seinen Platz und aß weiter, fast so, als ob nichts gewesen wäre. Harry aber kannte den Riesen besser. In dessen Blick war etwas, was ihm Angst machte. Daß er einfach weiteraß, hieß zwar, daß die Schule keiner unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt war, doch irgend etwas Schlimmes schien passiert zu sein. Die Neugier brachte Harry um, und deshalb beschloß er, zu Hagrid zu gehen und ihn einfach zu fragen.

»Was ist los, Hagrid? Was ist passiert?«

»Es gab 'n Kampf in Rumänien … mit Voldemort und einigen seiner Anhänger. Sieht wohl nich' gut aus«, nuschelte Hagrid gedämpft. »Sag keinem was davon. Noch wissen wir nichts Genaues.«

»Okay, wenn du es so möchtest.«

»Is' mir lieber so. Wenn ich was erfahre, dann sag' ich's dir. Ehrenwort!« erwiderte der Halbriese mit vollem Mund und nahm einen weiteren riesigen Bissen von seinem Brot.

Verunsichert ging er zurück zu Hermine und den anderen. Da er wußte, daß Hagrid nichts dagegen hatte, wenn er zumindest die DA-Führung einweihen würde, setzte er sich wieder ganz dicht neben sie.

»Ein Kampf in Rumänien. Sieht schlecht aus … für unsere Seite«, flüsterte Harry in ihr Ohr.

Hermine flüsterte es sofort Ron ins Ohr, und er gab es an Luna weiter. Luna flüsterte mit Ginny, während Harry einfach weiteraß, als ob nichts gewesen wäre. Zwar hatte er eigentlich keinen großen Hunger mehr, aber es hatte sowieso keinen Sinn, irgend etwas anderes zu tun, und essen mußte er. Harry und die DA waren absolut hilflos in solch einer Situation, und so konnten sie nichts tun, außer auf neue Nachrichten zu warten und das Beste zu hoffen.

In dieser Nacht schlief Harry erstmals seit langer Zeit wieder schlecht und wachte mehrmals mitten in der Nacht auf. Mundungus und Emmeline Vance waren nun schon eine halbe Ewigkeit vermißt, und inzwischen hatte er kaum noch Hoffnung, daß sie noch leben würden. Zu allem Überfluß waren nun schon wieder Zauberer und Hexen in höchster Gefahr, und Harry hoffte, daß es wenigstens Remus und Mad-Eye gutging.

Er hatte Angst davor, daß Voldemort nun auch noch Remus erwischt haben könnte, und er spürte, wie bei dem Gedanken daran ein Schmerz seinen Magen durchzuckte. Zwar hatte er Remus das letzte Mal vor etlichen Monaten gesehen, doch war seine Bindung zu ihm noch immer sehr stark, war er doch nach Sirius' Tod so etwas wie die letzte väterliche Bezugsperson, die Harry noch hatte.

Während der Nacht war auch Ron mehrmals wach gewesen, und er hatte die gleichen Probleme beim Schlafen gehabt wie Harry. Neville, der auch eingeweiht war, schlief dagegen wie ein Baby. Nach all den Sorgen, die er sich in seinem Leben schon um seine Eltern gemacht hatte, konnte fast nichts mehr seinen Schlaf trüben, dachte Harry leicht bedrückt, wenn auch etwas neidisch.

Dean und Seamus hatten von den Vorgängen noch keine Ahnung; es hatte ohnehin keinen Sinn, alle in Aufregung und Panik zu versetzen, ohne überhaupt konkrete Informationen zu besitzen. – Diese Informationen erhielten sie prompt am nächsten Morgen.

Beim Frühstück bekam Harry kaum einen Bissen herunter; Hermine schien noch viel angespannter zu sein als er und wartete ausgesprochen ungeduldig auf den Tagespropheten. Endlich kam die Eule. Hermine hielt den Knut für den dunkelbraunen Vogel schon bereit und steckte ihn sofort in den Lederbeutel an ihrem Bein, kaum daß diese gelandet war. Harry nahm ihr den Tagespropheten ab, die Eule startete sofort wieder und flog davon.

»Konfrontation in Rumänien«, las Harry die Schlagzeile.

»Lies schon vor«, erwiderte Ron ungeduldig.

»Gestern nachmittag kam es in Rumänien zu einer weiteren Konfrontation mit dem Bösen. Dutzende Ministeriumszauberer und Hexen, angeführt von Albus Dumbledore, trafen erneut auf den Dunklen Lord und seine Gefolgschaft. Kampfhandlungen waren unvermeidlich, und es kam, wie es kommen mußte. Erneut wurden sieben Ministeriumszauberer verletzt und leider Gottes verloren auch fünf von ihnen ihr Leben …«

Harry mußte eine Pause machen und schluckte hart, ehe er weiter vorlesen konnte. Die Spannung unter seinen Zuhörern war deutlich zu fühlen.

»Von uns gegangen sind Dolores Umbridge, Emmeline Vance, Robert Stackton, Lance Flicking und Walter Winston. Leider konnte der Dunkle Lord ein weiteres Mal entkommen und befindet sich noch immer auf freiem Fuß. Ein sofort nach Rumänien entsandtes Spezialkommando konnte nicht mehr rechtzeitig eingreifen, und es blieb nur noch die undankbare Aufgabe, die Aufräumarbeiten durchzuführen. Unzählige Muggel hatten den Kampf beobachtet, weshalb bei ihnen gedächtnisverändernde Maßnahmen durchgeführt werden mußten. Die Toten und die sieben Verwundeten wurden umgehend ins renommierte Londoner St.-Mungo-Hospital für Magische Krankheiten und Verletzungen überführt. Albus Dumbledore stand für einen Kommentar leider nicht zur Verfügung. Statt dessen setzte er sofort die Suche nach dem Lord fort.«

Harry blätterte auf die nächste Seite, ehe er weiter las.

»Noch immer liegen die Pläne des Dunklen Lords im verborgenen, und seine Aktivitäten, die sich im Moment noch immer auf Osteuropa beschränken, sind anscheinend nicht zu vereiteln. Jeden weiteren Tag schwindet die Hoffnung, ihn endlich aufhalten zu können. Jede Woche wird von ihm eine unterschiedlich große Zahl von Hexen und Zauberern entführt, und nur einige wenige davon sind bisher tot wiederaufgetaucht. Die Suchmannschaften sind ununterbrochen im Einsatz und müssen praktisch wöchentlich verstärkt werden; so sind mittlerweile etwa neunzig Ministeriumszauberer und -hexen in ganz Europa auf der Suche nach ihm und seinen Todesschwadronen.

Unterdessen leidet das Inland schon an den Folgen des Personalmangels. Die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Angestellten des Ministeriums ist jenseits aller Vorstellungskraft. Wie uns eine Quelle im Ministerium (die ungenannt bleiben möchte) verriet, ist ›die Situation nicht mehr länger tragbar‹. Wie uns erst gestern bekannt wurde, häuft sich die Arbeit und kann nicht mehr länger bewältigt werden. Man war seit einigen Wochen gezwungen, Aushilfen ohne Erfahrung einzustellen, um überhaupt noch mit der anfallenden Arbeit Schritt zu halten. Dies hat sich zunächst als eher kontraproduktiv erwiesen, da die Einarbeitung neuer Mitarbeiter anfangs weitere Ressourcen gebunden hatte. Nicht nur unsere Quelle ist inzwischen der Meinung, daß man Voldemort doch einfach in Ruhe lassen sollte, da er sowieso nicht aufgehalten werden könne. Diese Meinung können wir vom Tagespropheten zwar so nicht teilen, doch auch wir sind mit der Lage unzufrieden.

Zaubereiminister Fudge hat umgehend auf unsere Beschwerden reagiert und eine schnelle Verbesserung der Lage angekündigt. Ob diese Versprechen eingehalten werden können, wird die Zeit zeigen müssen. Leider war der Zaubereiminister zu keiner weiteren Aussage zu bewegen. Wir möchten den Angehörigen der Verblichenen unsere tiefe Trauer und unser Beileid aussprechen!«

Harry legte den Tagespropheten zur Seite. »Gott sei Dank wird Remus nicht erwähnt. Er ist also höchstens verletzt. Dafür ist Emmeline Vance tot, aber für Mundungus besteht noch Hoffnung«, sagte er traurig und blickte zu den Lehrern. Sie waren bis auf Professor Dumbledore vollzählig und schienen ebenfalls in der Mehrzahl betroffen und geknickt zu sein.

»Ich hab' die Umbridge zwar gehaßt, aber den Tod hätte ich ihr nicht gewünscht«, sagte Ron, und alle teilten wohl still seine Meinung.

So konnte es nicht weitergehen, dachte Harry. Leider fiel ihm absolut nichts ein, was er hätte unternehmen können. Zwar war nur er es, der Voldemort töten konnte, doch wie sollte er das anstellen? Voldemort war Tausende Kilometer entfernt, und Harry war auch noch gar nicht in der Lage, sich überhaupt gegen ihn durchzusetzen. Das alles schien ein nie enden wollender Kreislauf zu sein. Harry und die anderen machten Jagd auf Voldemort, während er sich von ihnen nicht stören ließ und ununterbrochen Menschen tötete. Oder Voldemort machte Jagd auf Harry und tötete dabei ebenfalls Menschen. Was konnte er dagegen nur tun? Noch immer wußte er nicht, wie er dem ein Ende bereiten sollte, dennoch spürte er den ungeheuren Druck, es irgendwie zu müssen. Er spürte die Verzweiflung in sich wachsen. Unruhig sah er Hermine an, und sie lächelte ihm zu.

Wenn Hermine nicht wäre, würde er vielleicht einfach so aufgeben. Was hätte es dann noch für einen Sinn? Er wußte nicht, ob es ihm reichen würde, noch andere Unschuldige retten zu können. Er wußte nicht, ob es sich für Ron und die anderen noch zu kämpfen lohnte. Ohne Hermine wäre es vorbei, dachte er und war geschockt, als ihm das bewußt wurde. Der Druck lastete von Sekunde zu Sekunde immer gewaltiger auf ihm, machte ihm das Atmen beinahe unerträglich, und er fühlte, wie in diesem Moment der Stein auf seiner Brust immer schwerer wurde. Immer weniger Luft strömte in seine Lungen. Langsam bekam sein Körper kaum noch Sauerstoff, und er mußte seine Atemfrequenz steigern. Der Sauerstoffmangel machte ihn schnell müde, und sein Atmen wurde lauter. Nur mit steigendem Aufwand war es ihm jetzt noch möglich, seine Lungen ein wenig zu füllen. Sein Blick verschwamm, und er mußte die Augen schließen. Er bekam kaum noch mit, was um ihn herum gesprochen wurde, und fühlte sich todmüde. Er wollte einfach nur schlafen. Der Stein mußte jetzt viele Tonnen wiegen, und er konnte den Widerstand nicht mehr besiegen. Harry hörte einfach auf zu atmen.

»Harry, was ist mit …«, hörte er noch ganz leise, bevor er auf dem Tisch zusammenbrach.

Als er wieder die Augen öffnete, sah er nur sehr unscharf. Trotzdem konnte er erkennen, daß er wieder einmal auf dem Krankenflügel lag. Das Gewicht des Steines auf seiner Brust war nun wieder auf ein erträgliches Maß gesunken, und er konnte wieder halbwegs Luft holen. Hermine war bei ihm und streichelte sein Gesicht.

»Was ist passiert?« fragte Harry und tastete nach seiner Brille. Als er sie gerade aufsetzte, war Madam Pomfrey schon an seinem Bett.

»Sie hatten wohl einen kleinen Panikanfall. Sie wurden vor einer halben Stunde bewußtlos hierhergebracht«, antwortete sie ihm und befühlte Harrys Stirn. »Können Sie wieder besser atmen?« Sie hielt ihm einen Becher hin.

»Es geht schon wieder, denk' ich. – Muß ich das wirklich trinken?«

Ein Blick von Madam Pomfrey belehrte ihn, daß er wohl nicht darum herumkam. Er führte den Becher an seinen Mund, roch aber lieber nicht daran – denn wenn er eine Sache in Hogwarts gelernt hatte, dann die, daß man nie an einem Heiltrank riechen sollte. Schnell nahm er einige kräftige Schlucke, um sich das widerlich salzig schmeckende Gebräu möglichst erträglich einzuverleiben.

»Geht's dir wirklich besser?« erkundigte sich Hermine und sah Harry sehr besorgt an.

»Ja, ich denke, es ist okay. Wo sind die anderen?« fragte er und nahm Hermines Hand.

»Die mußten in den Unterricht, nur ich durfte bei dir bleiben«, sagte Hermine und gab Harry einen Kuß.

Eine wohlige Wärme durchflutete Harrys Körper, und der Stein auf seiner Brust halbierte noch einmal sein Gewicht. Erneut küßten sie sich und wurden erst von Madam Pomfreys Räuspern unterbrochen.

»Sie können dann in den Unterricht gehen«, sagte sie und verließ anschließend den Raum. Harry stand auf, nahm Hermines Hand, griff seine Schultasche und ging mit ihr zusammen in den Kräuterkundeunterricht.

Der Rest des Tages verlief relativ ruhig, und niemand fragte nach seinem Zusammenbruch. Harry war dafür dankbar, da es ihm ausgesprochen peinlich war, bei einer solch harmlosen Geschichte zusammengeklappt zu sein, während er schon viel schlimmere Situationen ohne Schwächeanfall überstanden hatte. Zwar wußte er nicht so recht, warum es ihn so sehr mitgenommen hatte, und auch Hermine konnte ihm das nicht wirklich erklären, doch hoffte er sehr, daß es sich um einen einmaligen Vorfall handelte, und beschloß deshalb, die Sache abzuhaken.

Am Nachmittag hätte Harry eigentlich Quidditch-Training gehabt, doch hatte er einfach keine Lust dazu, und Ron und die anderen konnten schließlich auch ohne ihn ganz gut trainieren. Statt zu trainieren, war Harry im Gemeinschaftsraum geblieben und arbeitete an einem Aufsatz für Kräuterkunde, während Hermine in die Bibliothek gegangen war, um ihre Hausaufgaben für Arithmantik zu erledigen.

Plötzlich stürmte Dean völlig aufgelöst in den Gemeinschaftsraum und hetzte zu Harry: »Es hat schon wieder einen Kampf gegeben. Ich hab' gehört, wie McGonagall es Snape erzählt hat. Vol-Vol-de-mort hat wohl schon wieder Hexen und Zauberer entführt. Es soll auch Tote geben.«

»Schon wieder in Rumänien?« fragte Harry entsetzt. Sein Aufsatz fiel ihm aus der Hand und auf den Boden, doch er achtete nicht darauf.

»Sieht so aus. Diesmal war Dumbledore aber nicht in den Kampf verwickelt. War wohl eine kleine Gruppe von Ministeriumszauberern.«

»Wenn wir bloß seine Pläne kennen würden.« Harry rutschte nachdenklich noch ein Stück tiefer in den Sessel. Langsam wird die Situation unerträglich, dachte er, und es kostete ihn große Überwindung, einfach so mit seinem Aufsatz weiterzumachen.

Sobald Ron und die anderen zurück waren, erzählte er ihnen natürlich sofort davon. Hermine erfuhr es erst gegen neun Uhr, als sie schließlich aus der Bibliothek zurückkehrte, da Harry es für sinnlos hielt, sie wegen dieser Nachricht bei ihrer Arbeit zu stören. Zuerst war sie ihm dafür ein wenig böse, nachher aber fand sie seine Entscheidung doch rücksichtsvoll.

»Warum findet Professor Dumbledore ihn denn nicht endlich?« fragte Ginny verzweifelt, aber sie kannte die Antwort dabei genausogut wie jeder andere.

Neville beantwortete sie dennoch: »Weil er wirklich gerissen ist!«

Gemeinsam mit Hermine saß Harry danach noch auf einem der Sofas und genoß ihre Nähe. Er brauchte sie jetzt mehr als je zuvor, da sie ihm eine merkwürdige Sicherheit gab, eine Sicherheit, die er selbst bei Dumbledore nicht spüren konnte. Es war aber auch irgendwie seltsam in ihrer Nähe, und sie hatte einen viel größeren Einfluß auf ihn, als er es sich noch vor einem Jahr hätte vorstellen können.

Am nächsten Morgen erfuhren sie erneut aus dem Tagespropheten, was passiert war. Dumbledore war in Bulgarien einer Spur nachgegangen, während ein kleinerer Trupp von Ministeriumszauberern auf der Suche nach dem noch immer vermißten Mundungus Fletcher war. Als sie ihn schließlich in Siret, einem kleinen Ort in der Bukowina in Rumänien, fanden – gefangen in einem Haus am Waldrand –, wurden sie sofort angegriffen, und es kam zu einem Gefecht. Nach nur zwei Minuten war alles schon wieder vorbei, Voldemort war erneut geflohen und dennoch hatte es neuerlich Tote und Verletzte gegeben. Mundungus hatte wie durch ein Wunder nichts abbekommen und war wohlauf. Währenddessen waren in Caracal, einer anderen rumänischen Stadt, erneut zwei Zauberer verschwunden. Insgesamt konnten Voldemort nun schon neunundsechzig Entführungen angelastet werden, und Harry fühlte, wie sich die Schlinge um seine vielleicht noch lebenden Verwandten immer enger zog.

So langsam schlug ihm diese ganze Angelegenheit deutlich auf den Magen, und dagegen gab es nur ein Mittel zur Linderung: Hermine. Immer wenn sie auch nur mit ihm im gleichen Raum war, war die Sache für ihn gut zu ertragen. Zwar mußte er sich mehr anstrengen, um konzentriert zu blieben und sich nicht von ihr ablenken zu lassen, doch so war es ihm allemal lieber, als wenn er hoch konzentriert war und es ihm dafür aber miserabel ging. Ihm war es in den letzten Jahren oft genug schlechtgegangen, und so war es seiner Meinung nach an der Zeit, einfach einmal abzuschalten und sich nicht ununterbrochen Sorgen zu machen, auch wenn es ihm ein wenig unmoralisch vorkam.

Leider gelang es Harry nicht sehr lange, denn schon am Morgen des vierzehnten April wurde Harrys Laune trotz Hermines Anwesenheit wieder deutlich schlechter: Voldemort war zurück in England.

»Feiger Angriff auf Londoner Muggel«, las Hermine und legte den Tagespropheten mit zitternden Händen zurück auf den Frühstückstisch.

Harry mußte sie in den Arm nehmen und trösten, während sie mit den Tränen kämpfte. Auch einige der um ihn herum Sitzenden hatten mit ihren Gefühlen zu kämpfen, und auch Harry fand, daß ein Angriff auf Muggel einfach nur widerlich war, da sie nicht den Hauch einer Chance hatten, sich wenigstens zu verteidigen.

Warum nur vergreift er sich so oft an den Schwächsten, fragte er sich und griff mit der rechten Hand nach dem Tagespropheten, während er Hermine weiter im linken Arm hielt. Er mußte lesen, was passiert war.

»Der Dunkle Lord tauchte überraschend in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag in London auf. Mitten auf dem Trafalgar Square erschien er mit einer noch unbekannten Zahl von Todessern, griff wahllos jeden an, den er erreichen konnte, und sorgte unter der Londoner Bevölkerung für über vierzig Tote. Auch die schnell eingreifenden Ministeriumszauberer konnten ihn erneut nicht unter Kontrolle bringen. Spielend tötete er zwei von ihnen und thronte schließlich triumphierend auf einem der Löwen, die die Statue des Muggeladmiral Lord Nelson umgeben. Laut verhöhnte er alle, die ihn hören konnten, und lachte markerschütternd. Nach nicht einmal sieben Minuten war der Spuk vorbei, und Du-weißt-schon-wer verschwand so schnell und plötzlich, wie er gekommen war.

Der Premierminister der Muggel wurde von Minister Fudge kurzerhand in Kenntnis gesetzt, und auch er erwartet umgehend Erfolge. Der Dunkle Lord ist also zurück und verbreitet nun auch in England wieder seinen Schrecken. Minister Fudge, sie sind endlich am Zug!«, las Harry laut und legte die Zeitung hin. Er küßte Hermine zärtlich, die sich währenddessen ganz nah an ihn herangekuschelt hatte. »Vielleicht müssen wir wirklich mit den Vampiren zusammenarbeiten. Voldemort kennt keinerlei Skrupel. Um so mehr Skrupel wir zeigen, desto einfacher hat er es mit uns«, sagte Harry und küßte Hermine erneut. Sofort merkte er, wie es sie ein wenig aufmunterte. Sie schien sich wieder zu fangen, und er war sehr bemüht, für sie stark zu sein, um sie trösten zu können, so, wie sie so oft für ihn stark gewesen war.

»Ja, wenn Voldemort gestoppt werden soll, müssen wir vielleicht jedes Mittel einsetzen«, sagte sie und wischte sich eine Träne aus dem linken Auge. Sie setzte sich wieder aufrechter hin und begann nachzudenken. »Wir müssen noch härter arbeiten. Wer weiß, wieviel Zeit uns noch bleibt. Jetzt, wo er wieder nach England zurückgekehrt ist, kann er jederzeit wieder zuschlagen, und vielleicht werden wir diesmal nicht das Glück haben, rechtzeitig von dem Angriff zu erfahren.«

Der gesamte Unterrichtstag war von den Ereignissen der Nacht geprägt, und die Schüler hatten ein großes Bedürfnis, darüber zu reden. Sogar Professor Binns unterbrach seinen Unterricht, und sie sprachen über Voldemort und seine Motivation.

»Der Dunkle Lord ist kein Mensch mehr«, meinte Professor Binns, »jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Auch seine Gedankengänge sind nicht mehr rein menschlich. Keiner von euch wird sie hoffentlich je verstehen können. Als er in seinem ersten Jahr hier in Hogwarts mein Schüler war, da war diese Entwicklung noch nicht vorherzusehen. Er war ein Junge wie jeder andere. Zwar litt er augenscheinlich unter seiner Herkunft, doch war er anständig und hilfsbereit. Man mag es sich heute kaum noch vorstellen können, doch wurde er nur ganz langsam von den dunklen Künsten verführt, bis er schließlich nach der absoluten Macht strebte – einer Macht, die ein Mensch allein niemals besitzen darf.

Viel später, als er die Schule längst verlassen hatte und seine ersten Greueltaten beging, da fragte ich mich oft, ob wir etwas falsch gemacht hatten, ob wir ihn nicht irgendwie hätten aufhalten können. Doch heute glaube ich, daß es sein Schicksal ist. Es ist sein Schicksal, der Dunkle Lord zu sein, und es wird sein Schicksal sein, als Dunkler Lord zu fallen. Davon bin ich fest überzeugt. Je mehr Macht er anstrebt, um so dunkler die Kräfte werden, die er dafür bemühen muß, und um so brutaler seine Methoden werden, desto leichter macht er es uns letztlich damit. Glaubt es oder nicht, aber irgendwann werden ihm seine eigenen Untergebenen nicht mehr folgen, sondern werden sich gegen ihn stellen. So war es immer, so wird es immer sein. Ich bin davon felsenfest überzeugt. Wir werden noch viele Opfer erbringen müssen, er wird noch viele von uns zur Verzweiflung bringen, er wird viele von uns töten, doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem wir keine andere Wahl mehr haben, als ihn endlich zu besiegen! Und dann werden wir es einfach tun!

Wir werden über uns hinauswachsen, unsere Grenzen sprengen, und er wird davon so überrascht sein, daß er nicht mehr reagieren können wird. All seine Bemühungen werden umsonst gewesen sein; er wird ein weiteres Leben verschwendet haben – sein eigenes. Ein Leben, welches eigentlich schon vor vielen Jahren geendet hat.«

Professor Binns machte eine lange Pause. Niemand sagte etwas, und er blickte ihnen einfach in ihre unschuldigen Gesichter. In die Gesichter, in denen wieder ein wenig mehr Hoffnung zu sehen war.

»Sie können jetzt gehen«, sagte er ihnen zum Abschluß der Unterrichtsstunde, und nicht nur Harry war überrascht gewesen. Nur einmal zuvor hatte es Harry erlebt, daß Professor Binns für eine kurze Zeit seinen Unterrichtsstoff vernachlässigt hatte – doch diese Stunde war außergewöhnlich gewesen. Bei vielen von ihnen verspürte Harry jetzt wieder mehr Mut; mehr, als er bisher bemerkt hatte.

Beim Mittagessen sprachen sie viel über das alte Gespenst, und alle hofften, daß dieses letztlich recht behalten würde. Harry wurde in diesem Moment klarer als je zuvor, daß er selbst seine Grenzen überwinden mußte, daß er über sich hinauswachsen mußte. Leider war er sich nicht sicher, wie er es anstellen sollte. Bisher hatte er einfach nur wahnsinnig viel Glück gehabt, allerdings mußte sich Harry eingestehen, daß auch Voldemort oft teilweise nur mit Glück hatte entkommen können. Dies war ein Punkt, dem er bisher wenig Beachtung geschenkt hatte. Auch einige von Voldemorts Plänen basierten auf Zufällen und waren durchaus auch vom Glück abhängig. Daß Harry beim Trimagischen Turnier überhaupt so weit gekommen war, war nicht nur das Verdienst von Crouch Jr. oder seines eigenen Könnens und Hermines Bemühungen gewesen; es war auch viel Glück dabei, daß alle Puzzlestücke des Planes fast perfekt ineinandergegriffen hatten, so daß er Voldemort am Ende überhaupt in die Hände hatte fallen können. Ähnlich war es in der Mysteriumsabteilung gewesen: ein unglaublich komplexer und auch langwieriger Plan war es gewesen, Harry überhaupt dorthin zu locken. Hätte ihn Dumbledore vorgewarnt, wäre er nie dort gelandet, und Voldemorts Plan wäre noch mehr gescheitert, als es letztendlich geschehen war. Harry hatte in beiden Fällen zwar das Glück gehabt, daß er Voldemort am Ende doch noch hatte entkommen können, doch daß dieser solch gewagte Pläne in die Tat umgesetzt hatte, die noch dazu eine so lange Zeit der Geduld und des Abwartens verlangten, nur um dann auch auf sein Glück vertrauen zu müssen, machte Harry einen Hauch mehr Mut. Voldemort war kein unfehlbarer Stratege, hatte er doch schon viele Fehler gemacht. Er hatte vor allem den Fehler gemacht, Harry immer und immer wieder zu unterschätzen. Er hatte ihn zum Duell gezwungen, anstatt ihn einfach zu töten, wie ein schlauer Feind es getan hätte. Natürlich war Voldemort sehr mächtig, aber er war auch sehr unvorsichtig. Er war wohl so etwas wie größenwahnsinnig. Das machte ihn blind für Entwicklungen – Entwicklungen, die Harry betrafen. Ununterbrochen wurde dieser mächtiger und stärker, und mit jedem Tag, den Voldemort ihn nicht besiegen konnte, wuchsen Harrys Chancen. Mit einemmal war es ihm so klar wie nie zuvor. Er war es, der den Zeitpunkt bestimmen mußte, wann es zur nächsten Konfrontation kam, und er war es, der Voldemort stellen mußte. Aber erst dann, wenn er wirklich dazu bereit war. Ich muß ihm meine Spielregeln aufzwingen und ihn dazu bringen, mich zu unterschätzen. Ich muß ihn dazu bringen, auf sein Glück zu vertrauen, und dann kann ich ihn besiegen, dachte er.

Die nächsten vier Tage zog sich Harry von Hermine und den anderen zurück. Er war im Moment nicht in der richtigen Stimmung für Zweisamkeit und wollte intensiv über viele unangenehme Dinge nachdenken, womit er weder Hermine noch die anderen belasten wollte und wobei er sich auch nicht von ihnen ablenken lassen wollte.

»Ich brauche mal ein paar Tage für mich allein. Ich glaube, es ist auch besser für dich«, hatte er sie um Verständnis gebeten, doch er wußte genau, daß sie es niemals verstehen würde, selbst als sie ihm sagte, daß sie es tun würde.

»Wenn du das tun mußt, dann werde ich damit klarkommen«, hatte sie ihm mit Tränen in den Augen gesagt, gab ihm einen letzten Kuß und blieb tatsächlich auf Abstand.

Harry mußte viel nachdenken in diesen vier Tagen. Er mußte auch über Hermine und sich nachdenken. Natürlich fiel es ihm wahnsinnig schwer, sie nicht bei sich zu haben, aber er konnte einfach besser grübeln, wenn er weniger glücklich war. War Hermine bei ihm, dann war er zu glücklich, dann fiel es ihm viel zu schwer, über seine negativen Erinnerungen und Erfahrungen nachzudenken, und das war es, was er tun mußte. Leider liefen sie sich mehrmals am Tag über den Weg, was es auch für Harry nicht leichter machte. Sie sah völlig fertig aus, und er bemerkte sofort, daß sie sich nur mit Mühe weiter von ihm fernhalten konnte. Ginny war ständig bei ihr und mußte ihr gut zureden, während Ron ihn nicht verstand und ihm Vorwürfe machte.

»Damit tust du doch nur ihr und dir weh. Sie ißt kaum noch etwas. Bitte beende diesen Schwachsinn!« hatte er ihn zur Rede gestellt, und Harry wußte, daß Ron recht hatte, obwohl er es für nötig hielt.

Er mußte ihr und auch sich selbst weh tun, nur so konnte er über all die schlimmen Dinge nachdenken, über die er nachdenken wollte: darüber, wie er empfinden würde, sollte sie wirklich sterben; was passieren würde, sollte er selbst sterben; über all die Dinge, über die man in diesem Alter niemals nachdenken würde.

Während dieser Tage verbrachte Harry viel Zeit oben auf den Türmen. Hier war er ungestört, und die Aussicht und die frische Brise beflügelten seinen Geist, und es fiel ihm leichter, sich über einiges klarzuwerden. Harry verstand in jeder Minute mehr, daß nicht er allein Voldemort besiegen konnte, selbst wenn die Prophezeiung so gelautet hatte. Er konnte ihn nur mit seinen Freunden besiegen. Ohne sie war er ein Nichts, erst sie komplettierten ihn; sie machten aus ihm einen großen Zauberer, weil sie seine Schwachstellen ausbügelten; nur sie waren in der Lage, sein ganzes Potential aus ihm herauszukitzeln; sie waren es, auf die er bauen mußte; sie waren der Vorteil, den Voldemort nicht hatte. Harrys Freunde würden alles für ihn tun. Sie würden – wenn es denn sein mußte – für ihn sterben. Nicht weil er sie dazu zwang, sondern weil sie es einfach tun würden, ohne nachzudenken, ohne Reue.

Harry würde ihnen noch mehr vertrauen, und er beschloß, sie noch enger an sich heranzulassen. Er würde dieses Risiko eingehen, das Risiko, am Schmerz zu zerbrechen, falls ihnen etwas passieren sollte.

Beim Abendessen am Freitag kam Harry schließlich zu seinen Freunden zurück.

»Du hast mir so sehr gefehlt!« überraschte er Hermine von hinten und küßte sie innig, was beiden Tränen in den Augen trieb. Er setzte sich neben sie und drehte sich zu ihr. »Es tut mir unendlich leid. Bitte verzeih mir.« Er streichelte die Innenseiten ihrer Schenkel.

»Bitte tu mir das nie wieder an«, flüsterte sie, und wieder küßten sie sich.

»Gut, daß du wieder der alte bist«, sagte Ron freudig und klopfte ihm auf die Schulter. Auch die anderen begrüßten ihn, als käme er von einer Reise zurück.

»Ich muß mit euch sprechen, aber erst nach dem Essen. Ich werde dann alles erklären«, versprach Harry erleichtert, daß es so reibungslos lief, und langte ordentlich zu, da er wie Hermine in den letzten Tagen kaum einen Bissen herunterbekommen hatte.

Nach dem Essen ging Harry mit seinen engsten Freunden in den DA-Raum. Dort wollte er Hermine, Ron, Luna, Neville und Ginny seine Erkenntnisse und Beweggründe mitteilen. Ein jeder setzte sich auf ein Kissen, und zusammen bildeten sie einen Halbkreis um Harry herum. Als es sich alle bequem gemacht hatten, taxierte er sie noch für einen Moment, bevor er begann:

»Zuerst möchte ich mich wirklich bei euch entschuldigen. Dies möchte ich besonders bei dir, Hermine. Vor allem möchte ich mich dafür entschuldigen, daß ich die letzten Tage nicht für dich da war und auch nicht für die anderen. Ich habe diese Zeit benötigt, um mir schmerzhafte Erinnerungen wieder ins Gedächtnis zu rufen, was mir in eurer Gegenwart nicht gelungen wäre. Ich möchte mich aber auch dafür entschuldigen, daß ich mich in all den Jahren schon so oft von euch zurückgezogen habe; dafür, daß ich euch in den Sommerferien im letzten Jahr angegriffen habe, euch Vorwürfe gemacht habe, obwohl ihr nichts dafür konntet; dafür, daß ich euch dabei so ungerecht, so selbstgerecht behandelt habe; dafür, daß ich mich oft wie ein kleines, zorniges Kind benommen habe; dafür, daß ich euch nicht immer zu einhundert Prozent vertrauen konnte; und auch dafür, daß ich euch so oft meine Gefühle verschwiegen habe. Es fällt mir wirklich schwer, mit euch über meine Gefühle zu sprechen, doch in den letzten Tagen ist mir klar geworden, daß es sein muß. Ich hoffe, ihr werdet mich nachher verstehen.«

Harry machte eine kurze Pause und überlegte, wie er am besten fortfahren sollte. Niemand der anderen sagte etwas; sie lauschten einfach nur angespannt auf seine nächsten Worte.

»Ich mußte mir in den letzten beiden Tagen in einigen Sachen Klarheit verschaffen, und diese Dinge betreffen nicht nur mich selbst. Genauer gesagt, betreffen sie vor allem auch meinen Umgang mit meinen Freunden, also mit euch. Mit ist klar geworden, daß ich mich nicht länger vor euch verschließen darf. Ihr seid es, die mich alles, was ich bisher erlebt habe, überhaupt überstehen ließen. Ohne euch wäre ich längst tot. Der Kampf wäre verloren, und Voldemort würde herrschen. Ohne euch wäre alles längst vorbei. Zwar war ich euch bisher schon eng verbunden, wie es bei echten Freundschaften wohl üblich ist, doch in einigen Phasen unserer Beziehung habe ich mich bisweilen von euch abgenabelt … mich vor euch verschlossen. Ich wollte euch nicht zu sehr mit meinen Problemen belasten, und dabei seid ihr es doch, die es mir überhaupt ermöglichen, mit diesen Problemen fertig zu werden. Immer habt ihr mir zur Seite gestanden, obwohl ich dieses Vertrauen in mich oft nicht verdient hatte.

Ein jeder von euch würde für mich sterben, einige Male wäre es beinahe schon soweit gewesen, und das wäre ein Opfer, welches ich vielleicht nie würde verwinden können. Dabei würde auch ich jederzeit für einen jeden von euch sterben, und ich weiß, daß ihr damit die gleichen Schwierigkeiten haben würdet. Trotzdem ist mir klar geworden, daß wir alle es tun würden, und wir würden es gern tun. Mir ist klar geworden, daß das über normale Freundschaft noch weit hinausgeht. Wir sind mehr als ein Team, wir sind mehr als eine Familie. Wir sind nur zusammen stark, allein werden wir scheitern. Mir ist klar geworden, daß ich euch mehr als bisher an meinem Leben teilhaben lassen möchte. Mir ist auch klar geworden, daß ich noch mehr an eurem Leben teilhaben möchte. Mir ist klar geworden, daß wir als perfekte Einheit agieren müssen.

Wir haben einen Vorteil, den Voldemort nie haben wird. Uns verbindet eine viel stärkere Kraft als Furcht und Schrecken, die beiden Dinge, die Voldemort mit seiner Gefolgschaft verbinden. Uns verbindet ein Band, ein unglaubliches starkes Band. Natürlich sind meine Gefühle für Hermine am stärksten. Ein jeder von euch hat seine Liebe hier im Raum sitzen, und deshalb versteht ihr mich da sicher, aber auch wenn es komisch klingt und es sich vielleicht kitschig anhört, doch für den Rest von euch verspüre ich ebenso etwas wie Liebe, und diese Liebe wird uns am Ende siegen lassen.

Ihr seid meine größte Stärke im Kampf gegen ihn. Ich meine es noch viel mehr, als ich es in Worte fassen kann. Ihr seid deshalb meine größte Stärke, weil Voldemort euch nicht einschätzen kann. Er kennt und versteht nicht das, was uns verbindet. Das macht ihm angst. Ja, auch Voldemort kennt Angst. Er hat mehr Angst vor euch, als er es je vor mir haben wird. Bisher ist es ihm noch immer gelungen, daß ich ihm allein gegenüberstand, doch dazu darf ich es nicht mehr kommen lassen.

Ihr werdet – und ich muß dazu sagen, ich zähle total auf euch – mit mir zusammen gegen ihn antreten, denn die alles entscheidende Schlacht wird nur von uns zusammen gewonnen werden können.«

Harry mußte eine kurze Pause machen, war sein Hals doch inzwischen ganz trocken geworden. Er zückte seinen Zauberstab, murmelte einen Spruch, woraufhin ein Glas und eine Kanne mit Wasser erschienen. Langsam goß er sich ein Glas ein und trank es in einem Zug aus. Noch immer sagten die anderen nichts, sondern warteten geduldig, bis er weitersprach.

»Ich muß euch aber leider gestehen, daß ihr auch meine größte Schwäche seid. Ich muß euch das, glaube ich, erläutern, damit es keiner von euch falsch verstehen kann. Ihr alle seid mir das wichtigste auf der Welt, und darin liegt auch das Problem. Ihr seid mir wichtiger als mein eigenes Leben. Voldemort weiß das, und das ist für uns alle gefährlich. Falls Voldemort jemals wieder einen oder sogar mehrere von euch in die Finger bekommen sollte, kann ich nicht dafür garantieren, daß ich keine Dummheit begehe und ihm in eine Falle laufe. Keinem von uns wäre letztlich damit gedient, doch ich kann dem vielleicht einfach nicht widerstehen. Darum ist es um so wichtiger, dies zu verhindern.

Ich weiß, daß ihr sowieso schon vorsichtig seid und alles tut, um nicht zu Voldemorts Opfern zu werden, doch ich muß euch bitten, noch aufmerksamer zu sein! Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir bereit für ihn sind, und ich weiß, daß es schwerfallen wird, besonders über einen solch langen Zeitraum, wie er vielleicht noch vor uns liegt; doch vergeßt nie die warnenden Beispiele.

Wenn wir uns das Schicksal meiner eigenen Eltern vor Augen führen, werden wir erkennen müssen, daß sie unaufmerksam waren. Sie verließen sich darauf, daß Voldemort sie nicht würde finden können. Er fand sie trotzdem und machte ihrem Leben ein Ende. Selbst wenn diese konkreten Umstände bei uns nie zutreffen werden können, allein weil unter uns niemals ein Verräter sein kann, müssen wir doch daraus lernen.

WIR sind unsere größte Stärke, und wenn WIR wachsam genug sind, dann sind WIR auch nicht unsere größte Schwäche, und dann werden wir es wirklich schaffen! Voldemort wird fallen!«

Harry trank nun noch ein halbes Glas Wasser. Er war mit seiner Ansprache fertig und ließ die anderen nun in Ruhe darüber nachdenken. Im Geiste ging er Teile seiner Rede noch einmal durch. Leider war er sich nicht sicher, ob seine Worte die richtigen gewesen waren, und er wußte nicht, ob sie verstehen konnten, was er meinte. Er hatte seine Rede zwar fast wie geplant gehalten und ihm fielen auch jetzt keine besseren Formulierungen ein, dennoch war er unsicher. Vielleicht hatte er einiges zu oft wiederholt, und vielleicht war sie letztlich ein wenig lang geraten, doch schon zuvor, als er sie sich im Geiste zurechtgelegt hatte, hatten ihn genau die gleichen Zweifel befallen, und auch da war ihm keine Idee gekommen, wie er es noch besser sagen hätte sagen können. So blieb ihm nur, Vertrauen zu haben; und Vertrauen in seine Freunde und besonders Hermine hatte er unbegrenzt. Langsam stand sie auf, kam die zwei Meter zu ihm herüber und kniete sich vor ihn. Sie küßte ihn.

»Ich hatte viel Schlimmeres befürchtet«, murmelte sie ihm zu.

Harry war überrascht. »Was denn?« fragte er erstaunt.

»Ich hatte befürchtet, du würdest schon wieder allein kämpfen wollen. Das hätten wir nicht zulassen können!« meinte sie und kuschelte sich in seine Arme. Ginny machte es ihr bei Neville und Luna bei Ron nach.

»Das sind eigentlich alles Sachen, die wir auch schon vorher gewußt haben«, frotzelte Ron und mußte grinsen. Zärtlich küßte er Luna und strich ihr durch ihr blondes Haar, während Ginny und Neville eifrig nickend zustimmten.

»Dann hätte ich mir die ganze Rede sparen können?« fragte Harry und sah sie ungläubig an.

»So war das nicht gemeint, aber ich denke, du hast keinem von uns etwas wirklich Neues erzählt. Ich meine, dieses Band existiert schon seit Jahren. Sicher war es zwischendurch mal stärker und mal schwächer, aber seit du und Hermine endlich zueinandergefunden habt, war eigentlich alles geritzt. Du hast zwar recht, daß es komisch klingt, aber ich liebe euch mehr als sonst jemanden. Mit niemandem verbindet mich so viel wie mit euch hier. Nicht mal mit dem Rest meiner Familie.«

Harry merkte Ron deutlich an, wie er sich überwinden mußte, so offen über seine Gefühle zu reden, doch war er unglaublich erleichtert, daß Ron es überhaupt tat. Seine Freunde hatten ihn nicht nur genau verstanden, sie hatten es schon vorher gewußt, was ihn ausgesprochen dankbar und stolz machte. Er hatte einfach die besten Freunde, die man überhaupt haben konnte.

Den Rest des Abends verbrachten sie damit, die Schildzauber zu üben. Besonders Harrys Schild war dabei unglaublich. Seine Freunde stellten sich um ihn heraus auf und schossen alle Flüche auf ihn, die ihnen in den Sinn kamen, und nicht ein einziger davon kam durch. Zwar flackerte der Schild mehrmals unter dem heftigen Dauerbeschuß, doch er brach erst zusammen, als Harry es zuließ. Nun wollte er mehr denn je mit Dumbledore über die Schildzauber sprechen, schien doch tatsächlich das Unmögliche in Reichweite zu sein.

Auch die Leistungen seiner Freunde wurden immer besser. Hermines Schild hielt zwar nur gut zwei Minuten einem Dauerangriff stand, doch auch das war schon eine gewaltige Leistung, die mit Sicherheit nicht üblich war. Noch immer hatte Ron die größten Schwierigkeiten, und Harry wußte nicht so recht, wie er ihm helfen sollte.

»Ich werde mit Ronald gesondert üben, ich weiß, daß er es hinkriegt«, schlug Luna ihm schließlich vor, und Harry stimmte dem zu.

Die Nacht wollten er und Hermine nicht in ihren Schlafsälen verbringen. Sie hatten vier Tage aufzuholen und wollten es unter allen Umständen auch tun, selbst wenn sie dafür eine Strafe riskierten. Obwohl es ihnen unangenehm war, hielt Harry sich an seinen Plan, die anderen noch viel stärker in alles einzuweihen.

»Im Notfall findet ihr uns in Klassenzimmer elf. Aber nur im äußersten Notfall!« sagte Harry beim Verlassen des Raumes, und Ron mußte dabei grinsen, bekam allerdings sofort einen Klaps von Luna, der ihn wieder auf den Boden zurückholte.

Harry genoß die Nacht mit Hermine sehr, obwohl sie dabei eigentlich nur auf dem Waldboden lagen, sich einander im Arm hielten und sich küßten, bis sie zusammen einschliefen. Es war eine der angenehmsten Nächte, die er je erlebt hatte, auch wenn sie nicht miteinander geschlafen hatten.

»Guten Morgen, mein Schatz!« weckte er sie behutsam am frühen Sonntagmorgen, obwohl es im Klassenzimmer noch immer eine schöne Vollmondnacht war. Wieder küßten sie sich unter dem Sternenhimmel, und Harry ging es gut wie selten.

»Ich liebe dich so sehr … bitte verlaß mich niemals«, flüsterte Hermine leise und strich ihm dabei durch sein nach allen Seiten abstehendes Haar.

»Du bist so wunderschön. Ich liebe dich!« sagte er und sah ihr lange und tief in die Augen.

Sie kamen erst eine Stunde später, Hand in Hand, zum Frühstück, und Harry war klar, daß man in ihren beiden strahlenden Gesichtern würde ablesen können, was gerade eben geschehen war, doch das war ihm nur recht. Jeder, der es sehen kann, soll es doch sehen, dachte er bei sich und setzte sich zu Ron und Luna, die beide schon mit ihrem Essen fertig waren und nur auf Harry und Hermine gewartet zu haben schienen.

Nicht mehr am Tisch waren Neville und Ginny, die sich schon in die Bibliothek zurückgezogen hatten. Die Große Halle war fast leer, und niemand saß in ihrer Nähe, so daß sie sich ungestört unterhalten konnten.

»Neville hat mir vorhin gesagt, daß Dumbledore hier war. Du sollst um halb elf in sein Büro kommen. Paßwort lautet: Extrasaure Honigdrops«, berichtete Ron, und in Harry wuchs die Anspannung. Hermine hatte es sofort bemerkt und lenkte ihn gleich wieder mit einem Kuß ab.

»Hat euch die Nacht nicht gereicht?« beschwerte Ron sich grinsend. »Aua!« entfuhr es ihm nur eine Sekunde später ein wenig überrascht, und er griff mit seiner Hand unter den Tisch. »Kein Grund, mich zu treten«, meinte er zu Luna, und alle fingen an zu lachen.

»Es war wirklich sehr schön! Aber ja, es hat mir nicht gereicht, es wird mir niemals reichen«, sagte Harry plötzlich, lief leicht rot an und küßte Hermine schon wieder. Sie genoß das Kompliment sichtlich, auch wenn es ihr zweifellos unangenehm war, daß Harry es so direkt aussprach, und auch Ron und Luna waren nun offenbar ein wenig peinlich berührt. »Ich weiß, daß ihr euch an meine neue … Offenheit … erst noch gewöhnen müßt, aber ich schäme mich nicht für meine Liebe zu Hermine. Und ich schäme mich auch nicht für alles, was damit in Zusammenhang steht. Also schäme ich mich auch nicht für das, was wir gestern nacht oder heute morgen vielleicht gemacht haben. Es war wunderschön und wird sich hoffentlich noch sehr oft wiederholen!« sagte er leise, aber mit Bestimmtheit. Er nahm Hermine in den Arm und biß von ihrem Brötchen ab.

Ron und Luna sahen sich nun lange an, bis auch sie sich küßten. »Du hast recht. Ich verstehe dich voll und ganz«, gab Ron zu, und Harry sah, wie ernst er es meinte.

»Wir gehen dann jetzt auch in die Bibliothek. Dort findest du uns, wenn ihr bei Dumbledore wart«, meinte Luna, gab Ron noch einen weiteren Kuß, zog ihn hinter sich her und raus aus der Großen Halle.

Harry und Hermine aßen ganz in Ruhe zu Ende, hatte es doch ohnehin keinen Sinn, sich abzuhetzen, da das Treffen erst in einer halben Stunde sein würde.

Nur einige Minuten nachdem Ron und Luna gegangen waren, erschienen William und Cho in der Großen Halle. Harry bemerkte sofort das ungewöhnliche Leuchten in Williams Gesicht. Das war ungewöhnlich, da er ein ernster Mensch war, der so gut wie nie aus sich herausging. Auch Cho hatte ein Strahlen in den Augen, welches genauso aussah wie jenes in Hermines Augen. Überrascht bemerkte er, wie Cho ihn und Hermine erblickte und dieses Strahlen sehr schnell aus ihren Augen verschwand.

Nur zu gut konnte er sich vorstellen, was sich zwischen den beiden abgespielt hatte, und trotzdem schien Cho noch immer unheimlich stark auf seine bloße Anwesenheit zu reagieren. Dies gefiel ihm nicht so recht, und er beschloß, mit Hermine über Cho zu reden, sobald er mit Dumbledore fertig wäre.

Insgeheim erhoffte er sich von ihr einen guten Rat in dieser etwas unangenehmen Angelegenheit. William und Cho setzten sich zu ihnen. Das konnte nur Williams Idee gewesen sein, und Cho war ihm mit Sicherheit auch nur widerwillig gefolgt, dachte Harry.

»Morgen, Leute!« begrüßte William sie und lachte den beiden dabei beinahe ausgelassen ins Gesicht.

»Guten Morgen, ihr beiden«, gaben Harry und Hermine fast gleichzeitig zurück.

»Ich habe gehört, Dumbledore ist hier?« meinte William und fing an, Cornflakes zu essen. Cho sagte nichts und knabberte nur lustlos an einem halben Brötchen.

»Ja, ich habe gleich ein Treffen mit ihm. Mal sehen, was es Neues gibt. Heute abend wird es wahrscheinlich ein kurzes DA-Treffen geben, dann erfahrt ihr alles«, versprach Harry und kaute jetzt auf seinem letzten Stück Brötchen, während Hermine einen Schluck Orangensaft trank.

»Sonst alles in Ordnung bei euch?« fragte Hermine plötzlich mit einem merkwürdig wissenden Lächeln, schien ihr doch Williams ausgesprochen gute Laune nicht länger verborgen geblieben zu sein. Allerdings hatte sie noch immer nicht bemerkt, daß Cho sie ein wenig merkwürdig anblickte.

»Uns geht's bestens, nicht wahr, meine Süße?« sagte William und gab Cho einen langen und intensiven Kuß, bei dem zwei Zungen auf ausführliche Erkundungstour gingen.

Harry war wirklich überrascht, hatte er die beiden doch noch nie so offen agieren sehen, und erst recht nicht zu zweit. Noch mehr überraschte es ihn allerdings, daß in diesem Moment nichts mehr von Chos Anspannung zu sehen war. Für einen kurzen Augenblick kehrte das Strahlen in ihr Gesicht zurück, und sie erwiderte den Kuß innig, während sie fast sichtlich dahinschmolz. Harry wäre bei diesem Anblick nie auf die Idee gekommen, daß er selbst zwischen den beiden stand, und er mußte stark davon ausgehen, daß William wirklich gut küssen konnte.

»Es läuft sehr gut«, sagte Cho, kaum daß der Kuß vorbei war, und Harry konnte genau sehen, wie sich der Ausdruck in ihren Augen langsam verfinsterte, sobald ihr Blick wieder Hermine traf.

Es war dringend erforderlich, mit ihr zu sprechen, dachte Harry und nahm es sich jetzt innerlich fest vor. Eigentlich hatte er einer solchen Konfrontation mit Cho aus dem Weg gehen wollen, doch war offensichtlich, daß dies nicht länger möglich war.

»Extrasaure Honigdrops!« nannte Hermine das Paßwort, als sie eine halbe Stunde später vor dem Wasserspeier standen.

Oben an der Tür zu Dumbledores Büro klopfte Harry zweimal laut an, ehe Dumbledore sie hineinbat. »Hallo, Harry. Hallo, Hermine.«

»Hallo, Professor, schön, daß sie wieder da sind«, antwortete Harry, und auch Hermine begrüßte ihn.

»Ihr wollt sicher über die letzten Vorkommnisse informiert werden. Dann wollen wir keine Zeit verlieren. Ihr wißt, daß Voldemort in England war und in London einen Angriff durchführte. Dies war ein schwerer Schlag für uns, und wir werden bald von weiteren schweren Schlägen getroffen werden. Unsere Informationen deuten darauf hin, daß er einige weitere Anschläge plant, doch dies ist nur die halbe Wahrheit. Er hält sich weiterhin hauptsächlich in Osteuropa auf, und er kommt nur für seine Übergriffe zurück nach England. Wir denken, daß es sich um Ablenkungsmanöver handelt, aber darauf komme ich sofort zurück.

Remus geht es gut. Ich weiß, daß ihr euch große Sorgen um ihn macht. Er ist unser Verbindungsmann zu den Vampiren, sein Aufenthaltsort ist mir im Augenblick allerdings unbekannt. Krummbein ist bei ihm und leistet ihm Gesellschaft, und auch ihm geht es gut, zumindest war es gestern abend noch so. Er steht regelmäßig mit mir in Kontakt, da er mir jede neue Information meldet. Auch Mundungus geht es gut und auch fast allen anderen, die ihr persönlich kennt. Leider gab es aber etliche Tote, wie ihr wißt, unter ihnen auch Madam Vance und Madam Umbridge, welches die einzigen sind, die ihr kennen dürftet. Sie sind zusammen mit einigen Zauberern vom Ministerium und auch einigen vom Orden getötet worden.

Mit den Anschlägen hier in England will Voldemort erreichen, daß wir unsere Kräfte wieder hier bündeln und den Rest Europas ihm überlassen. Natürlich wehren sich auch die anderen Länder nach Leibeskräften gegen ihn, doch stehen sie seinen Aktionen noch viel ohnmächtiger gegenüber als wir. Seine Anschläge in England sind also eigentlich nur Ablenkungsmanöver, doch wir sind ihm schon zu nah auf den Fersen, um uns ablenken zu lassen. Dreimal sind wir nur um Stunden zu spät gekommen, und irgendwann werden wir nicht mehr zu spät kommen, auch wenn klar ist, daß wir ihm nicht wirklich etwas anhaben können. Wir werden also das Gegenteil dessen tun, wozu er uns zwingen will.

Wir werden die Kräfte in Osteuropa weiter aufstocken, und das habe ich auch so mit Minister Fudge vereinbart. Fünfzig weitere Ministeriumszauberer sind schon in einer Woche auf der Suche nach ihm, und wir erhalten zusätzliche Einheiten aus Frankreich, Deutschland und Italien. Insgesamt sind nun bald hundertvierzig Zauberer des Ministeriums und Mitglieder des Ordens auf Voldemorts Fersen, und dazu kommen noch über hundert aus unseren Partnerländern.«

Er schwieg und ließ den beiden Zeit, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Hermine war die erste, die wieder etwas sagte:

»Das ist ein gefährliches Spiel. Im Tagespropheten stand, daß das Ministerium nicht mehr in der Lage ist, die Probleme des Inlands zu bewältigen.«

»Ich weiß«, sagte Dumbledore und begann zu schmunzeln.

»Waren Sie etwa der Informant, der ungenannt bleiben wollte?« fragte sie leicht erstaunt.

»Ich hätte nicht gedacht, daß du so schnell darauf kommst, mein Kompliment«, erwiderte er und lächelte nun etwas breiter.

»Warum verbreiten Sie diese Informationen? Welchen Sinn hat es, das Ministerium in der Öffentlichkeit bloßzustellen?«

Dumbledore lächelte noch immer. »Das ist ganz einfach, meine liebe Hermine. In Wahrheit gibt es schon Probleme, sie sind aber noch nicht so gravierend, wie es im Tagespropheten verbreitet wurde. Wenn aber Voldemort daran glaubt, wird er unter Umständen unvorsichtig und greift erneut das Ministerium an; doch diesmal wären wir gut darauf vorbereitet. Im Prinzip haben wir ihm eine kleine Falle gestellt und hoffen, daß er uns hineintappt. Außerdem hat Minister Fudge schon einige weitere Maßnahmen in Vorbereitung. Dazu gehört unter anderem eine Rede, die er am Dienstag bei uns halten wird.

Er wird anbieten, die UTZ-Prüfungen vorzuziehen, um damit schon Anfang Mai die Siebtkläßler für das Ministerium rekrutieren zu können – natürlich nur auf freiwilliger Basis. Allerdings sind wir davon überzeugt, daß zumindest die meisten der DA-Mitglieder auf das Angebot eingehen werden. Sie werden natürlich zuerst im Ministerium arbeiten und zunächst die ungefährlicheren Auftrage übernehmen, ehe sie nach und nach und ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden. Dies wird schon mal eine weitere Verstärkung sein, denn viele von ihnen sind inzwischen sehr gute Hexen oder Zauberer.«

Dumbledore machte nun wieder eine Pause, und Harry dachte über alles nach. Es war wirklich nicht dumm, die Siebtkläßler zu nehmen, waren die meisten in ihren Fähigkeiten schon weiter fortgeschritten als viele fünf oder zehn Jahre Ältere. Auch hatten sie schon echte Kampferfahrung, und das könnte mehr wert sein als einige Jahre Berufserfahrung und eine fundierte Ausbildung, auch wenn er deren Wert nicht leugnen wollte. Die DA-Mitglieder waren alle ausgesprochen mutig, und ein jeder von ihnen war bereit, alles für den Sieg zu geben. Wenn es sein mußte, auch sein eigenes Leben, und Harry wußte nicht, ob Fudge das von all seinen Mitarbeitern sagen konnte.

»Ich denke, das ist ein guter Plan. Sicher werden zehn oder fünfzehn das Angebot annehmen«, meinte Harry und sah, wie Dumbledores Gesicht bei diesen Worten von Stolz erfüllt zu sein schien.

»Ich weiß, daß ich auf euch zählen kann«, sagte der alte Mann, stand auf und schien damit das Gespräch beenden zu wollen.

»Ich habe da noch eine Frage!« warf Harry eilig ein, und Dumbledore machte es sich doch noch einmal in seinem Stuhl bequem.

»Worum geht es?«

»Es geht um Schildzauber. Ich habe auf diesem Gebiet einige Nachforschungen angestellt und auch einiges herausgefunden, wie ich glaube. Wir haben auch Experimente durchgeführt, die meine Theorien bisher bestätigen, und ich denke, es ist möglich, mit einem Schildzauber die Unverzeihlichen Flüche abzuwehren.« Harry wartete auf irgendeine Reaktion von Dumbledore.

»Ich denke nicht, daß es möglich ist; und selbst wenn du Imperius und Cruciatus ablenken könntest, spätestens beim Todesfluch würdest du scheitern. Ich muß dich eindringlich bitten, dich nicht auf einen Schildzauber zu verlassen, solltest du je Voldemort gegenüberstehen«, sagte Dumbledore ernst.

»Sir, ich denke, mit ›Proturesa Weltum‹ kann man es schaffen. Dieser Zauber ist unglaublich mächtig, sofern es einem gelingt, ihn optimal auszuführen«, beharrte Harry, und in seinem Gesicht war die pure Hoffnung zu sehen.

»Steh auf, Harry. Stelle dich dort hinüber und benutze deinen Schild. Ich werde den Cruciatus auf dich anwenden, der Imperius-Fluch ist für dich ja keine echte Herausforderung mehr«, forderte Dumbledore ihn unvermittelt auf und erhob sich ebenfalls.

»Das dürfen Sie nicht!« schrie Hermine entsetzt, doch Harry war schon aufgestanden, um sich zu der bezeichneten Stelle zu begeben. »Harry, nicht! Dumbledore ist zu stark. Er wird deinen Schild durchdringen … bitteee«, flehte sie. Sie zog an seinem Arm, und er blickte ihr genau in ihre feuchten Augen. Er wußte genau, sie würde es nicht ertragen können, wenn ihm Schmerzen zugefügt würden, und wollte sie deshalb beruhigen. Zärtlich küßte er sie. Er schmeckte die salzigen Tränen, welche ihr schon über die Lippen gekullert waren, und leichte Schmerzen durchzuckten dabei sein Inneres.

»Vertrau mir bitte«, sagte er leise und gab ihr einen weiteren Kuß. Zögernd ließ sie seinen Arm los, und er ging an den Platz, den Dumbledore ihm gewiesen hatte. »Proturesa Weltum!« sagte Harry mit gezücktem Zauberstab, und ein unglaublich heller Schild erstrahlte in den verschiedensten Farben um ihn herum.

Er schien kurz zu pulsieren, ehe er stabil wurde, und Dumbledore war sichtlich über die Intensität des gleißenden Lichtes überrascht. Instinktiv wich er einen Schritt zurück, zückte aber seinen Zauberstab.

»Crucio!« rief er mit einer unglaublich zornig klingenden Stimme.

Ein Lichtblitz flog aus seinem Zauberstab, prallte an dem Schilde ab und brachte es einen Augenblick lang zum Flackern. Der Lichtblitz schlug in eine Bücherwand ein und zerstörte ein paar der kostbaren alten Bände.

»Aufhören!« kreischte Hermine völlig aufgelöst.

Dumbledore sah hingegen völlig verblüfft aus. »So etwas hab' ich noch nie gesehen – Crucio!« wiederholte er.

Erneut schoß ein Blitz aus der Spitze des Stabes und traf in Brusthöhe Harrys auf den Schild. Der Schutz brach sofort zusammen, spaltete dabei den Fluch in zwei Hälften, wovon eine Harry schmerzhaft in die Brust und die andere Dumbledore am Kopf traf. Harry brach mit einem lauten Schrei zusammen und krümmte sich auf dem Boden. Der Schmerz war so intensiv, daß er glaubte, er würde verbrennen. Sofort stürzte Hermine zu ihm und hielt ihn weinend im Arm.

Dumbledore mußte ebenso schwer getroffen worden sein wie Harry, doch er brach nicht völlig zusammen, sondern ging nur tief in die Knie und machte ein schmerzverzerrtes Gesicht. Nur Augenblicke später saß er wieder auf seinem Stuhl und hielt sich mit der rechten Hand den Kopf.

Hermine wußte nicht, was sie sagen sollte. Immer wieder küßte sie Harry, doch dieser nahm es kaum wahr. Würde er seinem inneren Druck nachgeben, er hätte laut losgeschrien, doch er wollte Hermine keine Angst einjagen, weshalb er sich, so gut es ging, zusammenriß. Allein der Gedanke an sie ließ die Schmerzen abklingen, und Harry fühlte, wie der Druck in seinem Schädel ständig geringer wurde. Das Brennen auf seiner Haut ließ nach, und er konnte Hermine noch leise wimmern hören.

Reiß dich zusammen, du machst ihr Angst, schrie er sich innerlich an, und tatsächlich stoppte der größte Schmerz augenblicklich, und er konnte sich mühsam aufrappeln. Sein Gesicht war ganz naß vor Tränen, und er wußte nicht, ob es seine eigenen oder die ihren waren. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewußt, wie schwer auch Dumbledore getroffen war.

»Sir – ist alles – in Ordnung mit Ihnen? Das wollte ich wirklich nicht«, meinte er unsicher und wankte zurück zu seinem Stuhl.

Sein Zauberstab lag noch am Boden, doch das war ihm egal. Wacklig war er noch auf den Beinen, weshalb Hermine ihn stützen mußte, ehe er endlich wieder saß. Langsam entspannte er sich, während Dumbledore noch immer seinen Kopf hielt, bis er plötzlich wieder aufblickte.

»Ja, mir geht es den Umständen entsprechend gut. Ich bin seit so vielen Jahren nicht mehr vom Cruciatus-Fluch getroffen worden, daß mich seine Heftigkeit doch ein wenig überrascht hat. Zumal es auch noch mein eigener war«, sagte Dumbledore, und Harry konnte noch mehr Stolz in seinen Augen sehen. »Das war eine unglaubliche Demonstration.« Dumbledore strahlte die beiden an. »Mir selbst ist es nie gelungen, einen Schild aufzubauen, der einen Unverzeihlichen Fluch abgewehrt hätte, allerdings muß ich zugeben, daß ich es auch nur einmal versucht habe. Damals war ich ein bei weitem noch nicht so erfahrener Zauberer, wie ich es heute bin, und trotzdem bin ich unglaublich überrascht, daß es dir gelungen ist – und ich hoffe, daß es kein Zufall war.«

Inzwischen schien er sich bereits völlig von den Schmerzen erholt zu haben, während sich Harry noch etwas schwach fühlte. »Beim zweiten Mal habe ich versagt!« gestand er und blickte beschämt zu Boden.

»Du hast beim zweiten Mal versagt, weil dich Hermine abgelenkt hat. Ich würde einen Schokofrosch darauf verwetten, daß es dir sonst gelungen wäre, meinen Fluch erneut abzuwehren«, erklärte Dumbledore und sah in Hermines erschrockenes Gesicht. »Mach dir keine Vorwürfe, Hermine! Du konntest es nicht wissen«, fuhr er fort und lächelte sie an.

Hermine schien zu begreifen, daß sie Harry mit ihrem Aufschrei nach dem ersten Versuch leicht aus dem Konzept gebracht hatte. »Es tut mir wahnsinnig leid!« sagte sie leise und gab Harry einen langen Kuß.

»Es war längst nicht so schlimm wie der Fluch von Voldemort«, log Harry und beruhigte Hermine damit sichtlich.

Dumbledore stand wieder auf, ging zu seinem Kamin und warf eine Prise Flohpulver hinein. »Ich bin gleich wieder da«, meinte er noch kurz, ehe er im Feuer verschwand und etwas rief, was Harry nicht richtig verstehen konnte.

»Wo geht er hin?« fragte er unbewußt laut, obwohl ihm niemand eine Antwort hätte geben können. Die Gelegenheit nutzend, zog er Hermine in seine Armen, und sie küßten sich eine Ewigkeit, wie sie sich nur selten geküßt hatten.

»Was ist denn hier los?« polterte Mad-Eye plötzlich aus dem Kamin und machte sofort Dumbledore Platz. Erschrocken zuckten Harry und Hermine auseinander, und diese nahm wieder ihren Platz ein.

»Hatte ich dir nicht gesagt, daß die beiden inzwischen ein Liebespaar sind?« fragte Dumbledore mit einem verschmitzten Grinsen.

»Das weiß ich schon seit der Schlacht, aber die beiden könnten sich zum Rumknutschen ruhig ein abgelegeneres Plätzchen suchen«, erwiderte Mad-Eye mit einem Grinsen. »Also, was soll ich jetzt hier, Albus? Du wolltest mir doch sicher nicht dieses süße Paar vorstellen, oder?« Dabei lächelte er leise, was Harry bei ihm nur sehr selten gesehen hatte und was einen bei seinem vernarbten Gesicht schon ein wenig irritieren konnte.

»Nein, natürlich nicht. Vielmehr möchte ich deine Meinung zu einer Leistung von Harry hören«, sagte Dumbledore und setzte sich auf seinen Stuhl, während Mad-Eye neben dem Schreibtisch stehen blieb.

»Was denn für eine Leistung?«

»Nun, unser Harry hier hat soeben meinen Cruciatus-Fluch mit einem Weltum-Schild abgehalten.«

»Das ist nicht dein Ernst!« rief Mad-Eye ungläubig aus.

»Doch, das ist es«, bekräftigte Dumbledore und sah Mad-Eye intensiv in die Augen. »Hast du jemals von einer solchen Leistung gehört oder es vielleicht sogar selbst gesehen?«

»Ich habe bisher nur gesehen, wie Voldemort höchstpersönlich einen solchen Schild mit einem Todesfluch in Stücke riß. Daß es jedoch überhaupt einen Unverzeihlichen Fluch abhalten könnte, hielt ich bis jetzt für absolut unmöglich. Das muß ich sehen!« Er blickte Harry herausfordernd an.

»Im Augenblick ist er viel zu erschöpft«, warf Hermine sofort in einem ersten Ton ein und sah Mad-Eye grimmig an. »Beim zweiten Versuch hat der Fluch die beiden je zur Hälfte getroffen. Harry muß sich erst erholen.« Ihr Blick ließ keinen Widerspruch zu.

»Ich wollte auch gar nicht, daß Harry es wiederholt. Vielmehr wollte ich selbst diesen Schild ausprobieren, und du sollst den Cruciatus-Fluch auf mich anwenden«, erklärte Dumbledore zu Mad-Eye gewandt.

»Nun denn, vertrödeln wir nicht unsere Zeit.«

Mad-Eye ging in die Mitte des Büros und wartete, bis Dumbledore aus seinem Stuhl aufgestanden und vor dem Bücherregal in Stellung gegangen war.

Auch Harry stand auf und zog Hermine hinter den Schreibtisch. Diese wußte erst gar nicht, was los war, ehe Harry sie aufklärte: »Wer weiß, wohin er reflektiert wird.« Die beiden versteckten sich hinter dem großen Tisch und blickten nur mit den Augen über den Rand hervor.

»Proturesa Weltum!« rief Dumbledore, und der Schild baute sich auf. Er war ebenfalls hell strahlend, doch Harry glaubte nicht so recht daran, daß er so stark wie sein eigener sein würde. Gespannt wartete Harry, was geschehen würde.

»Crucio!« rief Mad-Eye mit Nachdruck, und der Lichtblitz schoß aus seinem Zauberstab. Er prallte auf den Schild, der Dumbledore umgab. Der Schild sog den Blitz einfach auf. Es begann wild zu flackern, brach plötzlich doch zusammen, und Dumbledore wurde mit voller Wucht von dem Fluch getroffen.

»O Go…«, schrie Hermine, als sie von Dumbledores Schmerzensschrei unterbrochen wurde.

Noch nie hatte Harry ihn vor Schmerzen schreien hören, und es war markerschütternd. Unmittelbar nach seinem Schrei brach Dumbledore fast zusammen und konnte sich nur mühsam auf den Knien halten. Augenblicklich war Mad-Eye bei ihm, um ihm zu seinem Stuhl zurückzuhelfen.

»Ich kann nicht glauben, daß du ihn aufhalten kannst!« meinte Mad-Eye zu Harry, während er den angeschlagenen Dumbledore auf den Stuhl hob.

Noch immer stand Hermine unter Schock, und so nahm sie nicht wahr, wie Harry sich mitten in den Raum stellte und seinen Zauberstab vom Boden aufhob. »Proturesa Weltum!« sagte er und blickte Mad-Eye ernst an, während er von seinem eigenen Schild stark geblendet wurde. »Wenn du es siehst, wirst du es glauben!« Seine Worte waren kräftig und voller Selbstbewußtsein.

Sofort zog Mad-Eye wieder seinen Zauberstab. Sein magisches Auge hatte sich schon nach hinten gedreht, schien es doch massiv von Harrys Schild geblendet zu sein. »Crucio!« rief Mad-Eye erneut. Seine Stimme war zornig und machte Harry angst. Ehe Hermine den ganzen Vorgang wirklich begriffen hatte, war es längst zu spät.

Der Fluch schoß auf Harry zu und schlug mit einer Heftigkeit in den Schild, daß er fast unter dem Druck zusammengebrochen wäre; die Druckwelle war von Harry mehr als deutlich zu spüren. Der Schild sog die pure Energie des Cruciatus-Fluches auf, begann dabei heftig zu flackern, ehe der Fluch doch abgewehrt wurde und in die Deckenlampe einschlug, welche sofort erlosch. Schwaches Licht drang jetzt nur noch durch die Vorhänge, die vor den Fenstern hingen, und Harrys Schild tauchte den Raum in einen sonderbar bunten Schein.

»Noch mal!« rief Harry laut und sah, wie Hermine dabei starr vor Schreck wurde, was ihr ein Eingreifen unmöglich machte. Unmittelbar nach der Aufforderung wiederholte Mad-Eye die Formel, und erneut flog ein mächtiger Fluch in Harrys Richtung.

Unsicher darüber, was nun passieren würde, sah er den Blitz in seinem Augenwinkel, wie in Zeitlupe pulsierend, auf sich zukommen. Während er Hermine in ihre feuchten und vor Schreck geweiteten Augen blickte, dachte er daran, wie sehr er sie liebte. Er dachte auch daran, wie sehr sie ihn liebte und daß sie es niemals ertragen könnte, wenn er leiden würde. Er erinnerte sich an all die schönen Dinge, die sie bisher erlebt hatten, und sein Schild erstrahlte im selben Augenblick noch viel heller. Er strahlte so hell, daß er massiv geblendet wurde und gerade noch erkennen konnte, wie auch Mad-Eye und Hermine die Augen zukneifen mußten, ehe er seine eigenen schloß.

Er hörte, wie der Fluch donnernd und vibrierend in den Schild einschlug. In Erwartung des Schmerzes öffnete er sofort seine Augen, doch zu seiner eigenen Überraschung blieb der Schild absolut stabil. Der Fluch wurde einfach aufgesogen und verschwand mit einem unheimlichen Geräusch. Etwas ungläubig sah er Hermines Augen aufgehen und bemerkte, wie die unbeschreibliche Angst aus ihr zu weichen schien. Während er seinen Zauberstab senkte, erlosch der Schild.

Es war nun fast dunkel im Raum, und Harry konnte kaum die Hand vor Augen sehen.

»Lumos!« sagte Hermine nach einem kurzen Moment, und an der Spitze ihres Zauberstabes erschien ein intensives Licht.

Das Magische Auge Mad-Eyes taxierte ihn. Sein Mund stand offen, und er schien absolut sprachlos zu sein. Dagegen saß Dumbledore noch immer mit einem leicht schmerzverzerrten Gesicht in seinem Stuhl, schien sich aber schon fast wieder erholt zu haben.

Es dauerte noch einige weitere Sekunden, ehe sich Mad-Eye wieder gefaßt hatte. »Reparo« murmelte er schließlich, hob dabei seinen Zauberstab in die Höhe, und sofort ging das Licht der Lampe an. »Unglaublich!« murmelte er so leise, daß Harry es kaum hören konnte.

Mad-Eye ging zu einem Stuhl und mußte sich setzen. »Wie hast du das nur geschafft?« Er fragte, ohne Harry dabei anzusehen. »Wie kann dein Schild um so viel mächtiger sein? Warum hält er spielend gegen einen Unverzeihlichen Fluch, während einer der größten Magier aller Zeiten damit scheitert?« Mad-Eye drehte sich zu Harry. Danach steckte er seinen Zauberstab in die Tasche und widmete seine Aufmerksamkeit wieder Dumbledore. Dieser sah noch immer ein wenig schwach aus, hatte sich aber wieder gefangen. »Wie geht das?«

»Das kann ich dir auch nicht erklären«, entgegnete Dumbledore.

»Nox«, murmelte Hermine leise und steckte ihren Zauberstab wieder in ihren Umhang.

»Vielleicht hat ja Harry dafür eine Erklärung?« Dumbledore sah Harry fragend an.

»Ich glaube … das war eben der mächtigste Schild … den ich je erzeugt habe, und … ich … ich … habe ihn genährt«, sagte er stotternd und leicht verwirrt. Hatte er das eben wirklich gesagt? War es wirklich so gewesen? Etwas verunsichert blickte er die beiden alten Haudegen an.

»Wie meinst du das?« fragte Mad-Eye und drehte sich zu Harry.

Einen Moment lang mußte er darüber nachdenken, ehe er sprechen konnte. »Ich weiß nicht, ob es sich komisch anhört, aber ich glaube, meine Gefühle für Hermine haben ihn stärker gemacht. – Klingt das verrückt?«

Keiner sagte etwas, doch Hermine kam auf ihn zu und ließ sich von ihm fest in den Arm nehmen. Ihre Tränen waren versiegt, doch ihre Augen waren noch immer knallrot. Immer wieder küßten sie sich und ließen sich auch durch die Anwesenheit der beiden alten Freunde nicht stören. Selten hatte Harry seine Freundin so aufgelöst gesehen, und man hätte meinen können, er liege im Sterben. Ihm war augenblicklich bewußt, daß sie es mit ihm nicht leicht hatte, aber er liebte sie so sehr, weshalb er noch mehr auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen wollte. Zwar war er zu keiner Zeit wirklich in Gefahr gewesen, doch konnte er sich in ihre Lage versetzen. Wäre es andersherum gewesen, Harry hätte wohl die gleichen Bedenken und Sorgen gehabt wie sie.

»Es tut mir leid, wenn ich dir Kummer bereite!« flüsterte er ihr leise zu und küßte sie.

»Schon gut«, erwiderte sie noch leiser, und Harry fühlte, wie sich ihr Puls langsam senkte.

»Ich habe noch nie davon gehört, daß man einen Schildzauber mit ›Gefühlen‹ verstärken könnte«, meinte Mad-Eye ungläubig und blickte unsicher zu Dumbledore.

»So seltsam es klingt, müssen wir doch im Moment davon ausgehen, daß Harry es tatsächlich so gemacht hat. Ich habe gesehen, welch unglaubliche Stärke sein Schild bei deinem zweiten Angriff hatte. Diese Energie war absolut spürbar, und ich wurde von dem Schild geblendet. Es war eine der eindrucksvollsten Beobachtungen meines Lebens.«

»Meinen Sie, es könnte dem Todesfluch widerstehen?« fragte Harry und sah die beiden alten und weisen Zauberer an.

»Um ehrlich zu sein, ich kann es mir nicht vorstellen, aber auch die Demonstration von eben hätte ich mir nicht vorstellen können«, antwortete Dumbledore langsam und blickte wieder Mad-Eye an.

»Ich weiß nicht. Cruciatus ist ein unglaublich mächtiger Zauber, aber der Todesfluch ist noch viel stärker. Vielleicht könnten wir es ja mal mit mehreren Cruciatus-Flüchen gleichzeitig probieren, allerdings könnte Harry dabei Schaden nehmen.« Dabei warf Mad-Eye einen Blick auf Hermine.

»Das kommt nicht in Frage!« protestierte sie vehement und sah Harry dabei ängstlich an.

Instinktiv wußte er genau, daß sie nicht mit sich verhandeln lassen würde, und irgendwie liebte er sie dafür noch mehr. In dieser Situation wollte Harry auf sie Rücksicht nehmen und tat es gern. Sein Blick fand die Augen von Dumbledore.

»Ich denke auch, daß es das Risiko nicht wert ist. Zudem wäre die Situation selbst dann nicht zu hundert Prozent vergleichbar«, entgegnete Dumbledore, und Harry merkte sofort, daß Hermine sich wieder entspannte.

»Wir werden die Lösung dieser Frage also erst dann erleben, wenn die Antwort über Leben und Tod entscheiden wird«, sagte Harry ernst und sah Hermine in die besorgten Augen.

»Du solltest dich besser nicht auf den Schild verlassen«, meinte Dumbledore, stand von seinem Schreibtisch auf und tauschte einige bedeutungsvolle Blicke mit Mad-Eye. »Mad-Eye wird uns nun verlassen, er hat noch einiges zu tun. Ich danke dir für deine Zeit, mein Freund!« Daraufhin nahm er eine Prise Flohpulver und warf sie ins Kaminfeuer.

»Ich danke dir! Dies war eine unglaubliche Vorführung. Bis dann, mein alter Freund!« verabschiedete sich Mad-Eye und trat ins Feuer. Er zwinkerte Harry zu, murmelte etwas, was dieser nicht verstehen konnte, und verschwand.

Nun war Harry wieder allein mit Dumbledore und Hermine. Der alte Zauberer ging zurück zu seinem Stuhl und ließ sich darauf nieder, wobei Harry sofort bemerkte, daß er noch schwach auf den Beinen war.

»Setzt euch doch bitte, ihr beiden!« bat Dumbledore und zeigte auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. Harry und Hermine nahmen das Angebot gern an und begaben sich zu den Sitzgelegenheiten. »Ich finde es faszinierend, wie dieser Schild bei dir wirkt. Ich würde zu gern noch viel mehr darüber erfahren … auch darüber, woran genau du gedacht hast. Leider bleibt mir jetzt nicht genug Zeit dafür; ich muß gleich wieder aufbrechen. Minister Fudge braucht meine Unterstützung. Vielleicht könntest du ja deine Gedanken zu Papier bringen?«

Die erste Hausaufgabe von Dumbledore, dachte er unbewußt, und er fühlte ein seltsames Gefühl in seinem Inneren. »Selbstverständlich, Professor!«

Dumbledore sagte ihm, er solle das Pergament dann Professor McGonagall geben, die es an ihn weiterleiten würde. Der alte Mann verabschiedete sich von den beiden und verschwand durch seinen Kamin. Noch ein paar Minuten saßen die beiden allein in dem Büro und dachten über das soeben Geschehene nach. Erst danach gingen beide zurück zum Gryffindor-Turm und erzählten Ron und den anderen von den Vorkommnissen. Währenddessen hatte Harry die Sache mit Cho schon wieder völlig vergessen.

Besonders Ron war von der Tatsache überwältigt, daß Dumbledores Schild schwächer als der von Harry gewesen war. »Kraß!« rief er ständig aus und unterbrach damit einige Male die Erzählung.

Als Harry fertig war, sahen alle Neville grinsen. »Ich hätte zu gern gesehen, wie du die Unverzeihlichen Flüche abwehrst. Und noch lieber hätte ich Moodys und Dumbledores Gesicht dabei gesehen.«

»Dann hättest du aber auch gesehen, wie Harry und Dumbledore mehrmals von Cruciatus-Flüchen getroffen wurden. Das war nicht so lustig, sag' ich dir!« erwiderte Hermine und funkelte Neville böse an.

»So hab' ich das ehrlich nicht gemeint«, flüsterte dieser und war sichtlich von Hermines Einwurf überrascht.

»Das weiß Hermine natürlich«, beschwichtigte Harry und nahm den letzten Rest Spannung aus der Situation. »Jedenfalls haben wir jetzt die Bestätigung, daß es tatsächlich möglich ist, einen Unverzeihlichen Fluch abzuwehren. Das ist für mich eine überaus wichtige Erkenntnis. Wir sollten hier unbedingt am Ball bleiben. Dies könnte der entscheidende Vorteil gegenüber Voldemort sein.« Er sah seinen Mitstreitern tief in die Augen. »Auch ihr müßt unbedingt diesen Schild weiter trainieren. Selbst wenn man damit den Todesfluch nicht abwehren kann, könnte es trotzdem noch sehr nützlich für uns sein. Informiert auch die anderen der DA. Jeder sollte alles darüber wissen. Vergeßt aber die Offensivzauber nicht; es bringt uns nichts, wenn wir uns zwar schützen, aber nicht hart zurückschlagen können.« Er griff Hermines Hand. »Falls mich jemand sucht, ich bin in der Bibliothek. Ich fasse all meine Erkenntnisse für Dumbledore zusammen. Dies konnte die entscheidende Phase in diesem Krieg werden.«

Harry verließ mit Hermine den Gemeinschaftsraum, doch führte er sie nicht sofort in die Bibliothek. Zuerst brachte er sie in den DA-Raum und versiegelte die Tür mit »Colloportus!«. Sie hatte ihn den ganzen Weg über zwar etwas ungläubig angesehen, doch war sie ihm widerspruchslos gefolgt. Erst jetzt wollte sie scheinbar etwas sagen.

»Warum sind wir hier? Du wolltest doch in die Bibliothek.«

Harry sah sie an und küßte sie, doch war das nicht der Grund, warum er sie hierhergebracht hatte. »Ich muß zuerst noch etwas mit dir bereden. Danach gehen wir in die Bibliothek«, sagte er und gab ihr einen weiteren Kuß.

»Was willst du denn mit mir bereden?«

»Darüber, wie sehr ich dir in Dumbledores Büro weh getan habe; darüber, daß ich mich einfach über deine Wünsche hinweggesetzt habe. Ich will dir sagen, daß es mir von ganzem Herzen leid tut. Ich weiß zwar, daß du meine Gründe dafür voll und ganz verstehst, doch ich weiß auch, wie sehr es dich getroffen hat, mich leiden zu sehen.« Zärtlich blickte er ihr in ihre geröteten Augen.

»Mir tut es leid, daß ich jetzt schon wieder heulen muß. Ich weiß ja, daß dir eigentlich nichts passieren konnte, aber ich kann nichts gegen meine Gefühle machen. Als du dich vor Schmerzen auf dem Boden gekrümmt, als du vor Schmerzen geschrien hast – das war fast unerträglich für mich. Ich weiß, es war unvermeidlich, und ich will versuchen, mich mehr zusammenzureißen, aber … ich liebe dich so sehr!« Sie schluchzte, und zwei Tränen liefen dabei ihre Wangen hinab.

»Ich weiß das. Ich möchte aber nicht, daß du dich für mich zusammenreißen mußt. Wenn dich etwas bedrückt, dann sag es mir bitte. Es tut mir leid, nicht auf dich Rücksicht genommen zu haben. Ich habe deine Liebe mit Füßen getreten, und das wird nie wieder vorkommen! Das verspreche ich dir!«

»Ich weiß, daß du dein Versprechen halten würdest, doch ich weiß auch, daß du es vielleicht nicht halten darfst. Versprich mir also lieber, daß du nur dann keine Rücksicht auf mich nimmst, wenn du gründlich über die Folgen nachgedacht hast«, sagte sie und lächelte ihn liebevoll an.

Einen kurzen Moment lang mußte Harry darüber nachdenken, ehe er kaum glauben konnte, welch unbeschreibliches Glück er mit Hermine gefunden hatte. All dies hat Voldemort nicht, dachte er und küßte sie erneut, wobei sich ihre Lippen kaum berührten. »Ich verspreche es!« flüsterte er und ging anschließend, diesmal auf direktem Wege, mit ihr in die Bibliothek.

Als sie dort ankamen, warteten Ron und Luna schon auf die beiden. »Wo wart ihr denn?« fragte Ron und sah sehr neugierig aus.

»Wir waren im DA-Raum – aber nicht, was du schon wieder denkst. Ich mußte Hermine unter vier Augen sprechen. Es ging um eine wichtige Frage in unserer Beziehung, und ich mußte mich auch bei ihr entschuldigen.« Ihm war es, als könne er von Rons Gesicht ein kleines bißchen Enttäuschung ablesen.

»Darf ich fragen, warum du dich entschuldigen mußtest?« fragte Luna und blickte die beiden fragend an. Hermine schien es zwar unangenehm zu sein, doch nickte sie Harry bejahend zu.

»Hermine wollte nicht, daß mich Dumbledore und Moody mit dem Cruciatus-Fluch belegen. Sie kann es nicht ertragen, mit anzusehen, wenn mir Schmerzen zugefügt werden«, sagte er und nahm Hermine in den Arm. »Ich habe mich einfach über ihre Ängste hinweggesetzt und mußte mich dafür bei ihr entschuldigen. Nun haben wir die Sache geklärt, und ich denke, daß es damit auch wieder okay ist.« Hermine nickte und drückte seine Hand. »Wenn ihr mich dann jetzt entschuldigt, ich mache mich an die Arbeit. Nachher bekommt ihr eine Abschrift davon, könnte auch für euch ganz nützlich sein.«

Sofort zog er sich mit Pergament, Feder und Tinte an einen abgelegenen Tisch zurück. Anfangs überlegte er angestrengt und machte sich einige Stichpunkte und kurze Notizen, da er sich vorgenommen hatte, diesen Aufsatz sehr gut durchzustrukturieren. Vielleicht werden nicht nur Dumbledore und die DA-Mitglieder ihn lesen, dachte er und beschloß, ihn nachher auch noch von Hermine begutachten zu lassen, da sie ihm dann den letzten Schliff würde verpassen können.

Zwei Stunden saß er an seiner Arbeit über den Schildzauber, und selbst zum Mittagessen ging er nicht, da sein Magen noch vom späten Frühstück gefüllt war. Ron dagegen ließ keine Mahlzeit aus, ganz egal, wie satt er war, und Harry hatte sich schon oft gewundert, wie er dabei so schlank bleiben konnte. Ab und zu sah er auch zu Hermine herüber, die ebenfalls an etwas arbeitete. Beide lächelten sich häufig einen Moment verliebt an, und sie schien die ganzen Sorgen des Vormittags glücklicherweise bereits vergessen zu haben.

Inzwischen hatte Harry fein säuberlich dargelegt, wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, den Schildzauber gegen die Unverzeihlichen Flüche einzusetzen, und wie er sie mit der DA trainiert hatte. Zudem erläuterte er die dabei gemachten Fortschritte, die allein mit zunehmender Übung und Routine gelungen waren. Zum Ende hin ging es dann um Harrys persönliche Erfahrungen: wie er es geschafft hatte, die Stärke des Schildes so außergewöhnlich zu erhöhen, und woran genau er in welchem Moment gedacht hatte. Dies war der schwierigste Teil des ganzen Aufsatzes; Harry mußte sich überaus anstrengen, sich überhaupt an den genauen Ablauf seiner Gedanken zu erinnern, und einige sehr persönliche Dinge mußte er weglassen. Auch Dumbledore sollte diese nicht unbedingt erfahren, da er daraus keinen Vorteil hätte ziehen können.

Trotzdem war Harry ungewöhnlich offen gewesen, und kaum ein anderer hätte wohl solch intime Gedanken für seinen Schulleiter zu Papier bringen können. Vor der DA dagegen hatte Harry weit weniger Probleme damit. Ihnen konnte er fast alles sagen, und es stand in dem Aufsatz auch nichts, was nicht sowieso schon alle gewußt hätten. Noch vor einem Jahr hätte er wohl niemanden so tief in sich hineinsehen lassen, und vielleicht hätte er seine Gefühle in dieser Intensität nicht einmal mit Hermine teilen können.

Als er endlich fertig war und seine Arbeit noch zweimal gelesen hatte, wollte er sie von Hermine durchsehen lassen, ehe er sie schließlich noch einmal sauber abschreiben wollte. Aus diesem Grunde bat er sie zu sich an den Tisch und gab ihr seinen Aufsatz. Er war überaus gespannt, was sie dazu zu sagen hätte, doch schien sie nicht viele Anmerkungen zu machen. Ein paar Sätze stellte sie ein wenig um, und den einen oder anderen Rechtschreibfehler markierte sie. Als sie mit der Passage begann, in der Harry seine Gedanken erläuterte, die schließlich dazu geführt hatten, daß sich der Schild so verstärkt hatte, blickte sie mehrmals zu ihm herüber und lächelte ihn gefühlvoll an. Ein wenig war er unsicher darüber, ob es ihr recht war, seine Gefühle in einem solchen Aufsatz zu offenbaren, da vieles davon eigentlich nur sie beide etwas anging, doch sagte Hermine nichts dazu. Auch hier verbesserte sie noch ein paar Schreibfehler, doch es waren nur wenige Stellen.

»Wenn du nicht möchtest, daß irgendeine bestimmte Information von mir hier verwendet wird, dann mußt du es mir nur sagen«, sagte er und sah sie nervös an.

»Ein paar Sachen sind mir ein bißchen unangenehm. Es sind halt sehr persönliche Sachen darunter, aber ich verstehe, daß es helfen könnte. Und wenn es nur einen einzigen Schild verstärkt, dann war es das wert«, erwiderte sie zu Harrys Überraschung. Nach einem weiteren leidenschaftlichen Kuß machte er sich daran, den Aufsatz noch einmal sauber abzuschreiben.

Schließlich war er fertig. Es war nun schon kurz nach drei, und er spürte in der Magengegend, daß er das Mittagessen ausgelassen hatte. Gemeinsam gingen die beiden, mit ineinander verschlungenen Händen, zum Büro von Professor McGonagall, um ihr den Aufsatz zu übergeben.

Anschließend sah er kurz bei einem sehr erfreuten Dobby in der Küche vorbei und ließ sich von ihm zwei Kuchenstücke geben, ehe er danach mit Hermine wieder in den Gemeinschaftsraum zurückkehrte. Dort las er eine Stunde in seinem Buch über Schildtheorie, bis er sich dann noch bis zum Essen um ein paar Hausaufgaben kümmerte.

Beim Abendessen überreichte er allen DA-Mitgliedern eine Kopie seiner Arbeit mit der Order, sie nach dem Lesen zu vernichten, da keiner außerhalb der Gruppe einen Vorteil daraus ziehen können sollte.

»Ist denn heute noch ein DA-Treffen?« fragte Gregory, als er das Papier von Harry entgegennahm.

»Das ist nicht nötig. Was Dumbledore gesagt hat, wißt ihr ja schon. Heute abend soll sich jeder noch mal ein wenig entspannen können, die nächste Woche wird anstrengend genug«, erwiderte Harry und setzte sich schließlich zu Hermine an den Tisch der Hufflepuffs.

Nicht weit von ihnen entfernt saß William, der sich ständig in alle Richtungen umsah. Fast hätte Harry ihn gefragt, worauf er warten würde, doch nur einen Moment später kam Cho, und so klärte sich alles auf.

Nach dem Essen ging Harry erneut mit Hermine in die Bibliothek; er wollte sich ansehen, was sie bisher erarbeitet hatte. Sie hatte in einem alten Buch einen noch älteren Angriffszauber gefunden, doch leider funktionierte die Formel nicht richtig, oder aber der Spruch war falsch beschrieben worden. Eine halbe Stunde probierten sie verschiedene Variationen aus, ehe sie aufgeben mußten.

Vor dem Schlafengehen verbrachten sie noch eine Stunde in Klassenzimmer elf, dessen Tür sie zur Sicherheit wieder doppelt versiegelt hatten. Diesmal hatte Hermine den Zauber ausgesprochen; sie hatte ihn gleich auf Anhieb korrekt hinbekommen, worüber Harry ein wenig erstaunt war.

»Ich habe, glaub' ich, eine Woche gebraucht!« meinte er bewundernd und zog Hermine den Pullover aus. Sie küßten sich zärtlich, und Harry wurde wie immer rot, wenn Hermine in voller Pracht vor ihm stand. Ihr gefiel das ausgesprochen gut, was sie ihm nur zu gern zeigte.

Später, als sie wieder im Gryffindor-Turm waren, spielten sie noch eine kurze Runde Schach mit Ron und Luna. Sie bildeten dafür gemischte Mannschaften, und Harry bildete mit Luna ein überraschend starkes Team: jeder von ihnen spielte abwechselnd einen Zug, sie durften sich aber nicht untereinander beraten. Sie lieferten Ron und Hermine einen spannenden Kampf, ehe sie von Hermine doch schachmatt gesetzt wurden. Ron brach in Begeisterungsstürme aus, Hermine fiel ihm um den Hals, und Harry war für einen winzigen Moment tatsächlich eifersüchtig. Sie hatte es wohl sofort bemerkt, da sie sich von Ron löste und gleich danach um seinen Hals fiel, sich auf seinen Schoß setzte und ihn lange und voller Begeisterung küßte.

»Ich liebe dich!« sagte sie mehrmals, und sie küßten sich immer wieder.

»Ich liebe dich auch!« erwiderte er und küßte sie noch einige Male.

Kurz danach verabschiedeten sie sich voneinander und gingen ins Bett. Harry schlief schnell ein, denn der Tag hatte ihn wirklich geschafft.