Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem generellen Plot und ein paar unbedeutenden Namen. Alle originalen Charaktere und Schauplätze, die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.
Kapitel 16 – Konfrontationen / Rückschläge / Hoffnung
»Wachen Sie auf, Potter! Schnell!« flüsterte eine weiblich klingende Stimme. Harry erschrak bei der Berührung, nahm das Ganze aber nur undeutlich wahr. Es dauerte noch einige Sekunden, bis Professor McGonagall ihn schließlich dazu gebracht hatte, aus dem Bett aufzustehen.
»Was – ist – los?« stammelte er leise und setzte sich seine Brille auf.
»Es findet gerade ein Angriff auf London statt. Ihre Anwesenheit ist erforderlich«, erwiderte sie kurz angebunden.
Harry warf sich verschlafen seinen Umhang über und schlüpfte in seine Schuhe. Noch leicht benommen, griff er seinen Zauberstab und wollte Ron wecken.
»Dafür bleibt keine Zeit«, flüsterte sie sofort und führte ihn eilig hinunter in den Gemeinschaftsraum. Als sie unten ankamen, streute sie eine Prise Flohpulver ins Feuer. »Sie müssen ins Zaubereiministerium, Büro Cornelius Fudge!«
Völlig perplex wurde er von ihr ins Feuer geschoben, folgte aber trotzdem ihren Anweisungen. »Zaubereiminsterium, Büro Cornelius Fudge«, wiederholte er ihre Worte und spürte unmittelbar die Auswirkungen der Reise. Nur einen Augenblick später stand er schon leicht verrußt im Büro von Minister Fudge. Nur der Minister und Mad-Eye waren anwesend.
»Harry, komm schnell«, sagte der ehemalige Auror und drückte ihm eine Prise Flohpulver in die Hand. Offensichtlich ist die Reise noch nicht vorbei, dachte Harry und warf einen Blick auf Fudge. Mit Bestimmtheit führte Mad-Eye ihn zurück zum Kamin und warf seine eigene Prise ins Feuer. »Elmington Road 4«, rief er Harry hektisch zu, begab sich mitten in die Flammen und verschwand augenblicklich, nachdem er seine eigenen Worte wiederholt hatte.
»Hinterher, Harry!« forderte Fudge ihn auf und drängte zur Eile.
Noch immer wußte Harry nicht, was das alles hier sollte, und er fühlte sich leicht veräppelt, da ihm keiner sagte, was hier wirklich los war. Er kam sich wie ein Gegenstand vor, den man nach Belieben benutzen konnte. Trotzdem machte er es Mad-Eye nach, da er tief in seinem Innern ein starkes Vertrauen in dessen Entscheidungen spürte. Als er schließlich am endgültigen Zielort aus dem Kamin trat, wurde er von Dumbledore in Empfang genommen und nahm augenblicklich die Kampfhandlungen wahr. In einiger Entfernung hörte er laute und wiederholte »Avada Kedavra!«-Rufe, und sofort wußte er, daß es hier um Leben und Tod ging.
»In Deckung, Harry!« warnte Dumbledore ihn und zog ihn hastig vom offenen Fenster weg.
»Was ist hier los?« fragte Harry, noch immer verwirrt, und sah sich im unbeleuchteten Raum um.
Ebenfalls anwesend waren etliche Ministeriumszauberer, die er noch nicht kannte, und einige von ihnen sahen noch erschreckend jung aus. Auch Mundungus war da, und er wirkte nicht sehr glücklich darüber. Dazu kamen noch Dumbledore, Mad-Eye Moody und Arthur Weasley. Dieser warf ihm einen aufmunternden Blick zu, sagte jedoch kein Wort. Der Raum selbst war bis auf die genannten Personen absolut leer, nicht einmal Möbel waren zu sehen; das Haus schien unbewohnt zu sein.
»Voldemort ist dort draußen. Wenn wir Glück haben, dann wirst du ihn noch heute nacht töten«, verkündete Dumbledore und bedeutete Harry, ihm zu folgen.
Auf einen Schlag war Harry hellwach. Die Aussicht, Voldemort vielleicht noch heute nacht töten zu können, beflügelte innerhalb eines Augenblicks seinen Geist. Sie verließen den Raum mit dem Kamin und kamen in einen Flur, der ebenfalls völlig leer war. Dumbledore öffnete eine Tür mit seinem Zauberstab und trat in das dunkle Treppenhaus dahinter; alle folgten ihm. Harry war hinter Mad-Eye an dritter Stelle. Das Treppenhaus stank ein wenig nach Urin, doch versuchte er es zu verdrängen. Sicher nicht die vornehmste Wohngegend, dachte er bei sich und folgte Dumbledore, der sie schnell nach unten führte.
»Wir müssen vier Stockwerke hinunter, ehe wir im Erdgeschoß ankommen«, flüsterte ihm Mad-Eye zu. Damit war klar, daß Harry nicht in einem Einfamilienhaus, sondern in einer Wohnung angekommen war.
Möglichst leise eilte die Gruppe nach unten. Im zweiten Stock wäre Harry beinahe über eine fette Ratte gestolpert, die er im ersten Moment für eine kleine Katze gehalten hatte. Hinter sich hörte er sie laut und gequält quieken, als wohl einer der anderen auf sie trat, doch konnte er in dem Moment kein Mitleid empfinden.
Unten angekommen, sah sich Dumbledore kurz um; dann wandte er sich statt zum Vorderausgang des Hauses in die andere Richtung. Dabei traten sie durch eine alte Tür, die halb in den Angeln hing und sie hinaus auf den dunklen Hof führte.
Es war so finster, daß Harry fast nicht erkennen konnte, wohin er trat. Dessenungeachtet überquerten sie im Laufschritt den Hof, wobei sie mehreren Fahrrädern auswichen, die auf dem Boden herumlagen und deren Zustand nicht besonders gut war. Weiter links sah er auch einen alten Kühlschrank und etwas, das nach Sperrmüll aussah.
Dumbledore führte sie zu einem Durchgang, durch den man anscheinend in ein anderes Haus gelangen konnte. Dafür brauchte er keine Tür zu öffnen, da sie komplett aus den Angeln gerissen und neben der Öffnung an die Wand gelehnt war. Alle folgten dem alten Mann und ließen sich von ihm in ein überaus dreckiges Treppenhaus führen. Überall lag Müll herum, und sie hatten Mühe, sich durch die Abfallberge hindurchzukämpfen. Auch hier roch es nicht nach Rosenwasser, wie Harry angewidert feststellte; vielmehr stank es sehr stark nach Verwesung, was nicht nur ihn irritierte, wie er leicht an Mad-Eyes Gesichtsausdruck ablesen konnte. Wenn es schon den alten Auror störte, der nun wirklich alles erlebt haben mußte, dann war es wirklich übel, dachte Harry und folgte Dumbledore und den anderen zur Vordertür.
Der Schulleiter öffnete sie mit seinem Zauberstab, und alle folgten ihm nach draußen. Sie waren nun in einer kleinen dunklen Seitengasse, in der überall große Müllcontainer herumstanden. Die Gasse war nur spärlich beleuchtet und wirkte unheimlich. Praktisch überall war Dreck, und es sah nicht wirklich einladend aus.
»Da entlang!« meinte Dumbledore mit leiser, aber fester Stimme und führte die Gruppe nun schnell durch die Gasse, hinüber zu einer größeren Straße, wo Harry einige bunte Flüche aufblitzen sah.
Noch immer wußte er nicht genau, was hier wirklich los war, und er kam sich ein wenig deplaziert vor. Zu gern läge er jetzt in seinem Bett und schliefe friedlich, doch statt dessen folgte er weiter dem Impuls, an Dumbledore und Mad-Eye dranzubleiben, weil ihm ja auch gar nichts anderes übrigblieb.
Sie erreichten das Ende der Gasse. Dumbledore spähte vorsichtig um die Ecke. Einige Sekunden verweilte er in der Position, ehe er sich wieder zu ihnen herumdrehte.
»Da hinten ist eine größere Gruppe«, berichtete er. »Zwischen acht und zehn Todesser. Sie foltern Muggel. Wir müssen schnell sein und präzise. Voldemort kann ich nicht sehen. Schockt sie! Harry, sei bitte äußerst vorsichtig, du wirst noch benötigt.« Einen Augenblick später war auch schon um die Ecke verschwunden.
Harry zog seinen Zauberstab und erfuhr dabei einen ungeahnten Adrenalinschub, der seine Aufmerksamkeit auf ein Maximum erhöhte und seine Müdigkeit wegblies. Hektisch bog die Gruppe um die Ecke. Was Harry dort sah, ließ in ihm eine bisher unbekannte Übelkeit aufsteigen.
Überall in der Straße sah er tote Menschen, die brutal ermordet worden waren. Einige lagen in unnatürlichen Körperhaltungen herum, während bei anderen die Körper zerrissen und die Einzelteile in der Gegend verstreut waren. Die Luft roch leicht süßlich, und einfach überall war Blut. Die schiere Menge dieser roten Flüssigkeit wäre schon für sich ein grausiger Anblick gewesen, doch die vielen Leichenteile machten es unerträglich. Der Atem stockte ihm, und seine Augen weiteten sich vor blankem Entsetzen. Ein solches Grauen hatte er noch nie gesehen und hatte es niemals sehen wollen. Es schnürte ihm die Kehle zu.
Das kann doch alles gar nicht sein, dachte er völlig verzweifelt und blickte in das entstellte Etwas, das früher einmal das Gesicht eines Menschen gewesen sein mußte. Eine unbändige Wut spürte er in sich aufsteigen, eine Wut, die er schon einmal gespürt hatte. Sie schien sich in seinem Magen zu manifestieren und vernebelte seinen Geist. Entsetzen wich Rache. Er wollte nur noch Rache! Selbst seine Rachegefühle gegenüber Bellatrix Lestrange waren nicht so stark wie die, die er jetzt fühlte. Diese Grausamkeiten mußten endlich ein Ende haben – wenn es die anderen nicht konnten, dann würde eben er diesem ekelerregenden Treiben ein Ende bereiten müssen.
In fünfzig Meter Entfernung sah er die Todesser. Sie liefen sehr langsam, und einige Muggel kreisten über ihren Köpfen schwerelos in der Luft. Schnell näherten sie sich dieser Gruppe, als plötzlich wieder angsterfüllte Schreie erklungen. Einer der Todesser ließ sein Opfer gegen die linke Häuserwand schmettern, und das ohrenbetäubende Krachen zerberstender Knochen brannte sich in Harrys Hirnwindungen. Der tote Körper fiel einfach zu Boden.
Jede Deckung nutzend, folgte Harry dem alten Auror ein wenig nach links. Alles, was er tat, war nun nicht mehr von seinem Willen gelenkt, sondern nur noch Reflex und Instinkt. Sie nutzten die ganze Breite der Straße und waren schnell bis auf etwa zwanzig Meter heran, als Dumbledore die Todesser unter Feuer nahm.
Augenblicklich kanalisierte Harry seine Wut in einen einzigen Fluch, mit dem er einen der Todesser für immer ausschalten wollte. Er zielte auf einen von drei Zeitungsautomaten vor ihm.
»Waddiwasi!« schrie er und entlud damit einen Teil seiner aufgestauten Aggressionen. Sein Fluch traf, riß den Automaten aus seiner Verankerung und ließ ihn mit der Geschwindigkeit einer Gewehrkugel an den Kopf eines der Todesser krachen.
Mit tiefer Genugtuung verfolgte Harry das Ende seines Feindes. Dieser flog aufgrund der gewaltigen Wucht nach hinten weg, als würde sein Körper keinen Widerstand leisten. Er schlug auf den Boden auf und rührte sich nie mehr.
Auch einige von Harrys Verbündeten mußten getroffen haben. Zwar hatte er es nicht mitbekommen, doch war nun fast die Hälfte der Todesser kampfunfähig. Der Angriff war für sie zu überraschend erfolgt, und so waren sie erst jetzt in der Lage zu reagieren.
Plötzlich flogen die verbliebenen Muggel nach rechts und links gegen die Häuserwände, und schon wieder hörte Harry dieses abstoßende Geräusch zersplitternder Knochen.
Sein Zorn wuchs ins Unermeßliche. Er sah verschiedene Lichtblitze auf sich zufliegen, warf sich zur Seite, und ein grüner Fluch flog nur Zentimeter an ihm vorbei. Im Augenwinkel sah er, daß Dumbledore von einem Fluch getroffen wurde, diesem aber irgendwie widerstand, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Es war ein Cruciatus-Fluch gewesen, dessen war sich Harry sicher. Sofort schoß er selbst erneut auf die Todesser, verfehlte sie aber knapp.
Er sah einige weitere Flüche auf sich zukommen, während er schon »Deflectare Hellporar!« in die Nacht schrie. Ein schwach gelb leuchtender Schild baute sich um ihn herum auf. Er erschien im einzig richtigen Moment, um nur Sekundenbruchteile später zwei Flüche auf ihre Verursacher zurückprallen zu lassen. Beide gingen zu Boden.
Umgehend ließ er seinen Schild zusammenbrechen und ging in einem Hauseingang in Deckung. Es waren nicht mehr viele Todesser übrig, diese aber hatten sich hinter einem parkenden Auto gut verschanzt.
Dumbledore war nun ebenfalls in Deckung gegangen und kauerte mit Mad-Eye hinter den verbliebenen Zeitungsautomaten. Ununterbrochen sah Harry Flüche durch die Straße schießen. Einer der Ministeriumszauberer ging zu Boden; ein grüner Lichtblitz hatte ihn getroffen, und Harry wußte, daß er tot war. Sich umblickend sah er in die aufgeregten Augen von Arthur Weasley. Dieser sprang zur Seite und ging auf der anderen Straßenseite hinter einer Telefonzelle in Deckung.
Harry mußte sich eine kurze Auszeit nehmen. Er überblickte die Lage, ehe er zielte und eine ebenso einfache wie wirkungsvolle Formel sprach, an die er sich so genau erinnerte, als wären erst fünf Minuten vergangen, seit Hermine Ron in der Aussprache dieses Zauberspruches korrigiert hatte:
»Wingardium Leviosa!«
Nur einen winzigen Moment später erhob sich das Auto in die Höhe, welches die Todesser für ihre Deckung benutzt hatten. Im selben Augenblick trat Dumbledore aus seiner Deckung und traf mit drei unglaublich schnell gesprochenen und ebenso gut gezielten Flüchen drei der verdutzten Todesser. Auch die noch verbliebenen gingen mit ihnen zu Boden, denn scheinbar hatten auch Arthur und die anderen nicht lange gezögert.
Diese kleine Schlacht hatten sie für sich entschieden, und Harry ließ das Auto langsam wieder hinuntergleiten. Dabei drehte sich ihm plötzlich der Magen um, kaum daß er realisierte, was soeben passiert war. Er hatte mutwillig einen Menschen getötet, und irgendwie konnte er sich damit nicht im entferntesten anfreunden. Kurz lächelte ihm Dumbledore aufmunternd zu, was auf ihn aber keine positive Wirkung hatte. Mad-Eye stand plötzlich neben Harry.
Mit Handsignalen bedeutete ihnen Dumbledore, ihm zu folgen. Harry und Mad-Eye liefen zu den Todessern und fesselten die Lebenden mit dem Incarcerus-Fluch. Erst jetzt bemerkte Harry, wie viele der Auroren getroffen worden waren, während er die Unverletzten dabei beobachtete, wie sie versuchten, den Verwundeten zu helfen.
Auch Arthur sah sich einen der verwundeten Auroren an, schüttelte aber nur Sekunden später mit dem Kopf und machte damit klar, daß dieser Kampf ein weiteres Opfer gefordert hatte.
Harry wurde noch schlechter. Die blutüberströmte Leiche eines Menschen starrte ihn förmlich an und ließ einen Brechreiz in ihm aufsteigen, der mit jeder Sekunde stärker wurde. Für einen Atemzug konnte er sich dem noch einmal widersetzen, ehe das Gefühl übermächtig wurde. Schnell wollte er noch in einen der Hauseingänge rennen, doch so weit kam er nicht mehr. Kaum hatte er sich umgedreht, da rebellierte sein Magen endgültig und breitete seinen Inhalt auf der Straße vor ihm aus.
Sofort brannte es in seiner Nase unangenehm, und er hatte einen abscheulichen Geschmack im Mund. Der Gestank war einfach widerlich. Er wischte sich das Gesicht mit seinem rechten Ärmel ab, als schon ein weiterer Schwall Erbrochenes seinen Körper verließ und noch halb seinen Ärmel traf. Dabei wurden ihm die Knie weich, und nur mit Mühe hielt er sich überhaupt auf den Beinen.
Er zog die Nase hoch und spuckte auf die Straße, was nur wenig Linderung brachte. Immerhin war sein Magen nun weniger verkrampft, und Harry konnte einen Moment verschnaufen, ehe Arthur plötzlich disapparierte. Harry war darüber überrascht und suchte sogleich die Augen Dumbledores, die ihm unverzüglich klarmachten, daß alles seine Richtigkeit hatte.
Mit gezogenem Zauberstab blickte sich Harry in der Straße um und war bereit, den Kampf fortzusetzen. Nur zwanzig Sekunden nach seinem Verschwinden kam Arthur mit fünf weiteren Zauberern zurück, von denen Harry keinen einzigen kannte. Zwei von ihnen gingen sofort zu den Todessern, während sich der dritte um einen verwundeten Auror kümmerte. Die letzten beiden schlossen sich Dumbledore an, und dieser befahl den Abmarsch. Die Gruppe bestand jetzt noch aus Harry, Dumbledore, Mad-Eye, Arthur, Mundungus und drei weiteren Auroren. Sie ließen die anderen zurück, welche die Todesser in Verwahrung nahmen, und liefen los.
Harry hielt dabei weiter engen Kontakt zu Mad-Eye und fühlte sich hinter ihm zumindest ein wenig sicherer. Sie bogen von der Hauptstraße in eine Nebenstraße, und wieder konnte er weit vor sich Menschen schreien hören. In noch größerer Entfernung nahm er Polizeisirenen wahr, die scheinbar näher kamen.
Dumbledore beschleunigte seine Schritte, und Harry mußte fast joggen, um ihm überhaupt zu folgen. Vor ihnen war eine weitere Querstraße, aus der sie Flüche kommen sahen. Einer von ihnen war grün, und Harry wußte, was das zu bedeuten hatte. Sie kamen an die Häuserecke, um die Dumbledore vorsichtig herumspähte.
»Voldemort. Er tötet Muggel«, flüsterte er in kurzen Worten und gab den anderen Handzeichen. »Du bleibst hier, Harry! Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
Kaum hatte er diese Worte gesprochen, marschierte er einfach um die Ecke, so daß Harry ihm nur erschrocken hinterhersehen konnte.
»Laß es sein, Tom. Gib auf!« sagte Dumbledore in einem Ton, der Harry die Nackenhaare aufstellte.
»Was willst du hier, alter Mann?« fragte eine laute Stimme, die Harry nur zu gut kannte. Es war die Stimme von Draco Malfoy, die nun Lord Voldemort gehörte.
»Ich bin hier, um dich ein für allemal aufzuhalten«, erwiderte Dumbledore.
Harry blickte sich um und bemerkte erst jetzt, daß Mad-Eye und Arthur fortgegangen waren, genau wie alle anderen. Als er den Kopf ganz nach links drehte, sah er sie bereits hinter der nächsten Ecke verschwinden. Sein Blick ging zurück zu Dumbledore, doch konnte er ihn nicht mehr sehen. Er mußte einige Schritte auf Voldemort zugegangen sein, dachte Harry, und die Neugierde packte ihn. Er war sich unsicher, ob er sich weiter versteckt halten sollte, wie es Dumbledore angewiesen hatte, oder ob er einen Blick riskieren konnte.
Die Anspannung drohte ihn zu überwältigen; er konnte es nicht mehr ertragen. Vorsichtig tastete er sich die zwei Schritte bis zur Hausecke vor und lugte herum. Dumbledore war nur fünfzehn Meter von Voldemort entfernt, um den herum vier Todesser in geringem Abstand postiert waren. Alle hatten dunkle Kapuzen im Gesicht, und einfach überall lagen tote Menschen. Die Wände und die Straße waren voller Blut. Viele der Leichen waren übel zugerichtet, und Harry spürte die Übelkeit zurückkehren. Ein junges Mädchen, nicht älter als er selbst, war noch am Leben. Es kniete neben Voldemort und wimmerte leise vor sich hin. Mein Gott, dachte Harry verzweifelt, das Mädchen ist so gut wie tot.
»Wie willst du mich aufhalten, alter Mann?« fragte Voldemort und lachte abstoßend. Der Druck auf Harrys Magen nahm weiter zu, und der Brechreiz wurde immer stärker. Dieses Lachen hatte er schon allzu oft in seinem Leben hören müssen, nie aber hatte es so gräßlich geklungen.
»Das wird sich ergeben!« erwiderte Dumbledore, und das hörte sich irgendwie gar nicht gut an.
Nur unter größter Anstrengung gelang es Harry, die letzten Reste seines Mageninhaltes bei sich zu behalten, als Voldemort plötzlich »Avada Kedavra!« rief und ein Blitz auf Dumbledore zuschoß. Dieser wandte sich um und war mit einem Wirbeln seines Umhangs verschwunden, nur um drei Meter rechts von seiner alten Position wieder aufzutauchen.
»Du bist kein würdiger Gegner, alter Mann!« lachte Voldemort höhnisch und wartete offenbar auf eine Reaktion von Dumbledore, der jedoch in aller Seelenruhe abwartete. »Dich kannst du retten, doch wie willst du diesen dreckigen Muggel schützen, frage ich dich?« Voldemort war anscheinend des Wartens müde und drehte sich langsam zu dem neben ihm knienden Mädchen.
Harry wußte genau, was Voldemort jetzt tun wollte. In einem Satz sprang er um die Ecke, und mit einemmal ging alles ganz schnell. Er war der erste, der seine Formel sprach.
»Proturesa Weltum!«
Mit aller Kraft dachte er dabei an Hermine.
Ein Lichtblitz verließ seinen Zauberstab und flog tief brummend in Richtung des Mädchens davon. Als sein Fluch die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, sah er im Augenwinkel, wie Dumbledores Fluch in Voldemorts Richtung davonschoß.
Im selben Moment flogen vier Flüche auf Dumbledore zu, und Voldemort sprach seine Formel. Es war die einzige, die Harry in diesem ganzen Stimmenwirrwarr klar hören konnte:
»Avada …«
Harrys Blitz traf das Mädchen und umgab es mit einem unglaublich mächtigen Schild.
Voldemort wurde stark geblendet und war sichtlich überrascht.
Dumbledore ging langsam zu Boden, er mußte getroffen sein.
Ein roter Fluch kam auf Harry zu.
»… Kedavra!« beendete Voldemort seine Formel, der grüne Fluch verließ seinen Zauberstab, und schon im gleichen Augenblick wurde er von Dumbledores Fluch getroffen.
Voldemorts grüner Lichtblitz wurde vom Weltum-Schild aufgesogen, und Harry sah die gewaltigen Energien gegeneinander wirken.
Voldemort wurde von Dumbledores Fluch weggeschleudert. Es gab einen lauten Knall.
Harry sprang zur Seite und wich nur knapp einem roten Lichtblitz aus. Er sah hinten bei den Todessern etwas explodieren und wollte seine Feinde gerade angreifen, als Mad-Eye, Mundungus, Arthur und die anderen hinter ihnen auftauchten.
Am Boden liegend, verschwand Voldemort mit einem weiteren Knall, der sich völlig von dem vorherigen unterschied. Gleichzeitig wurden drei der Todesser von Mundungus und den anderen niedergestreckt. Der vierte verschwand wie Voldemort mit dem dritten Knall, während Harry aufstand und besorgt zu Dumbledore lief.
Als er bei ihm ankam, bewegte dieser sich schon wieder, trotzdem war Harry in größter Sorge, hatte er doch nicht mitbekommen, von welchen Flüchen der Professor getroffen worden war.
»Professor, sind Sie verletzt?« fragte Harry mit bebender Stimme.
»Es geht gleich wieder«, erwiderte dieser, und Arthur kam dazu. Die Polizeisirene war nun schon viel näher.
»Wir müssen hier weg, Professor«, sprach Harry und half Dumbledore zusammen mit Arthur auf die Beine.
Gemeinsam liefen sie langsam in die Richtung, aus der Mad-Eye und die anderen soeben gekommen waren. Dabei gingen sie an dem jungen Mädchen vorbei. Harry blickte in das schmerzverzerrte Gesicht; erst jetzt realisierte er, was soeben geschehen war.
Sein Schild hatte versagt! Er hatte den Todesfluch nicht aufhalten können. Etwas in ihm zerbrach in diesem Moment. Er hatte so sehr gehofft, sie zu retten, doch nun war sie tot, und Voldemorts Taten hatten ein weiteres unschuldiges Opfer gefordert.
Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Seine Knie wurden weich, und Dumbledore mußte nun ihn stützen. Völlig apathisch ließ er sich mitschleifen. In diesem Moment dachte er an gar nichts mehr. Nach einem letzten Blick in ihr Gesicht starrte er leer nach vorne, ehe er mit den anderen in die nächste Straße einbog.
Nur am Rande bekam er mit, daß Dumbledore die verbliebenen Auroren in das Ministerium zurückschickte, und nur einen Augenblick später waren sie auch schon disappariert.
Der Rest von ihnen lief einige Minuten durch die Straßen Londons, in denen sich Harry nach und nach aus der Starre befreien konnte. Hinter sich hörten sie verschiedene Polizei- und Krankenwagensirenen, doch die Krankenwagen waren überflüssig, würden sie doch keine Überlebenden mehr finden.
Das Gesicht des Mädchens ließ ihn nicht los, und sein Magen verkrampfte sich erneut. Die ganze Anspannung entlud sich innerhalb einiger Sekunden, und erneut übergab er sich.
Sein Magen war restlos leer, und am Schluß war nur noch Magensäure herausgekommen, während er vor Erschöpfung zitterte. Noch vor einem Jahr wäre es ihm peinlich gewesen, doch heute schämte er sich nicht dafür. Auch Mundungus und Arthur sahen nicht gut aus, und er war sich sicher, daß es ihnen nicht viel besser ging.
Einmal mußten sie für einen Augenblick in einem Hauseingang verschwinden, da ein Polizeiwagen um die Ecke gebogen kam. Dumbledore nutzte die Zeit, um etwas mit ihnen zu besprechen:
»Wir trennen uns hier. Arthur und Mundungus, ihr appariert zurück ins Ministerium. Harry, Alastor und ich, wir schlagen uns bis zum nächsten Kamin durch.« Nur einige Sekunde später war Harry mit den beiden allein.
»Wo ist der nächste angeschlossene Kamin?« erkundigte sich Mad-Eye und spähte durch die Tür nach draußen.
»Nicht mehr weit von hier! Nur noch drei oder vier Minuten«, erwiderte Dumbledore, führte sie zurück auf die Straße und beschleunigte ein wenig das Tempo.
Erneut mußte sich Harry sehr zusammenreißen, um nicht zurückzufallen. Sie bogen in die Camberwell Road, und ein Krankenwagen fuhr an ihnen vorbei, während sie sich hinter einem Lkw versteckt hielten. Sie kamen zur Tür mit der Hausnummer einundvierzig. Mad-Eye öffnete sie mit einem Wink seines Zauberstabes, und sie gingen hinein. Das Haus war wesentlich gepflegter.
»Dritter Stock, linke Tür!« meinte Dumbledore und bildete den Schluß der Gruppe.
Sie liefen die Treppen nicht gerade leise hinauf, Mad-Eye öffnete die Tür, und sie betraten die Wohnung. Sie sah nicht anders aus als die Wohnung in der Elmington Road, war aber in erheblich besserem Zustand. Zielstrebig gingen sie das Wohnzimmer, in dem sich der Kamin befand. Der Raum war sehr geräumig, wirkte wahrscheinlich aber größer, da auch diese Wohnung leer stand. Auf dem Kaminsims stand eine Schale, aus der Dumbledore eine große Prise Flohpulver nahm und es an die beiden anderen verteilte. Mit dem Zauberstab entfachter er ein Feuer, und Mad-Eye trat als erster hinein.
»Zaubereiminsterium, Büro Cornelius Fudge!« sagte er laut und deutlich und verschwand.
Harry folgte ihm, und Dumbledore wollte als letzter nachkommen. Als der Schwarzhaarige schließlich verrußt bei Fudge im Büro auftauchte, war es schon relativ eng. Dumbledore erschien nur wenige Augenblicke nach ihm im Kamin. Erst jetzt bemerkte Harry, daß sein Schulleiter stark blutete und sein Umhang rot gefärbt war. Sofort kümmerten sich zwei Hexen um ihn und führten ihn aus dem Raum.
»Also leider ein Fehlschlag?« fragte Fudge gerade Arthur, und Harry wußte, daß Fudge schon teilweise unterrichtet worden sein mußte.
»Leider! Voldemort ist erneut entkommen, wir haben viele Männer verloren, und noch mehr Muggel wurden heute nacht umgebracht.« Arthur sah sehr erschöpft aus.
»Wenigstens konnten wir fast alle Todesser in Gewahrsam nehmen«, erwiderte Fudge mißmutig. Er blickte in die Menge. »Ich danke erst einmal allen Beteiligten für ihren Mut und ihren unermüdlichen Einsatz. Jemand sollte jetzt Mr. Potter zurückbringen, und dann sollten wir die weiteren Aufräumarbeiten koordinieren.« Fudge sah dabei Arthur Weasley an, und dieser zog Harry zur Seite.
»Was ist mit Dumbledore?« fragte Harry besorgt.
»Ihm geht es bald besser, mach dir keine Sorgen«, erwiderte Mad-Eye und blickte Harry mit einem beruhigenden Lächeln ins Gesicht.
»Was passiert jetzt? Findet noch eine Besprechung statt?« fragte er, als ihm Mad-Eye schon Flohpulver in die Hand drückte.
»Natürlich!« sagte Fudge nur und sah Harry ungläubig an; so, als wollte er ihm damit zeigen, wie dumm diese Frage war.
»Dann will ich hierbleiben!«
»Das ist nicht erforderlich«, entgegnete Fudge steif und abweisend und machte Harry damit sauer.
»Das kann doch nicht wahr sein! Ihr zerrt mich mitten in der Nacht aus meinem Bett und schickt mich völlig unvorbereitet in einen Kampf, und dann wollt ihr mich einfach so wieder abschieben? Ich glaube, ihr spinnt wohl alle!«
Harry war sichtlich erregt. Er war schon lange nicht mehr so sauer gewesen; eigentlich hatte er sich ja geschworen, sich nicht mehr wie ein kleines, dummes Kind zu benehmen, doch wenn sie ihn weiterhin als ein solches behandelten, blieb ihm keine andere Wahl.
Die Tür ging auf, und Dumbledore trat ein. »Geht es Ihnen gut?« fragte Harry sofort und sah Dumbledore mit bangem Blicke an.
»Es ist alles soweit in Ordnung, Harry. Du solltest nun mit mir nach Hogwarts zurückkehren. Die Besprechung findet erst morgen abend statt. Ich verspreche dir, daß du nichts davon verpassen wirst«, erwiderte der alte Mann ganz ruhig und nahm nun ebenfalls eine Prise Flohpulver in die Hand. Harry hatte keine Ahnung, wie er schon wieder wissen konnte, was eben passiert war, doch interessierte es ihn nicht, solange er an der Besprechung teilnehmen durfte.
Einen Moment später trat Dumbledore ins Feuer: »Hogwarts, Büro Albus Dumbledore.«
Harry folgte ihm, und als er Sekunden später aus dem Kamin stieg, saß der Professor schon in seinem Stuhl. »Geh schlafen, Harry! Ich würde dich gern zu deinen Räumen begleiten, doch ich fürchte, ich bin dafür noch zu schwach!«
»Kann ich etwas für Sie tun?« fragte er sofort und sah seinen Mentor fragend an.
»Du könntest in der Tat etwas tun. Ruh dich gut aus. Morgen wird ein anstrengender Tag.« Dabei deutete Dumbledore auf die Tür. Etwas widerwillig verabschiedete Harry sich und ging hinaus. Kaum hatte er die Tür geschlossen, rief Dumbledore nach Madam Pomfrey. Dies sorgte bei Harry für eine spürbare Erleichterung, würde sie ihm doch sicher helfen können.
Auf halbem Wege zum Gryffindor-Turm traf Harry auf Professor Snape, der durch die Schule zu patrouillieren schien. Zu Harrys Überraschung musterte Snape ihn nur kurz und begleitete ihn still den ganzen Weg bis zum Portrait der fetten Dame. Dort nickte Harry seinem Lehrer kurz zu, und dieser nickte tatsächlich zurück.
Harry vermutete sofort, daß Dumbledore Snape informiert haben mußte und ihn angewiesen hatte, ihn zu begleiten. Müde ging er – so schnell er konnte – hinauf in seinen Schlafsaal. Die Tür knarrte, aber niemand störte sich daran. Die vier anderen schliefen noch immer tief und fest, und Harry sah auf die Uhr. Nur eine Dreiviertelstunde war er weg gewesen, was ihn sehr verwunderte, da es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war.
Erschöpft zog er seinen Umhang und seine Schuhe aus und legte den Zauberstab auf seinen Nachttisch. Harry zog auch seinen Pyjama aus und warf ihn zusammen mit dem Umhang in den Wäschekorb. Zum einen war er viel zu verschwitzt, um noch darin schlafen zu können, und dann war da noch immer ein wenig Erbrochenes am Ärmel. Nachdem er einen frischen Pyjama angezogen hatte, legte er sich in sein inzwischen wieder kaltes Bett und schlief nur wenige Minuten später ein.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, hatte er eine der schlimmsten Nächte seines Lebens hinter sich. Immer wieder sah er in seinen Alpträumen die vielen blutigen Leichen, welche die Straßen gesäumt hatten. Selbst jetzt sah er sie noch, und wieder wurde ihm schlecht. Beinahe pausenlos mußte er an das Mädchen denken, was ihn mental auslaugte. Es war noch so jung und unschuldig gewesen, und Voldemort hatte es einfach so kaltblütig umgebracht. Noch immer sah er ihn voller Wahnsinn grinsen, und ein unbeschreiblicher Schmerz durchzuckte seinen Körper, kanalisierte sich in seiner Narbe, ließ ihn die Augen zusammenkneifen und sein Gesicht verzerren.
»Morgen, Harry! Gut geschlafen?« fragte Ron gähnend, einige Zeit später.
Harry rollte sich mühsam aus seinem Bette und fühlte sich dabei unglaublich schwach und elend. Ihm war schwindlig. »Mir geht's nicht gut«, sagte er angestrengt und brach sofort zusammen.
Er erwachte irgendwann später auf dem Krankenflügel. »Geht es Ihnen wieder besser?« fragte Madam Pomfrey und kam zu ihm herüber.
»Ich fühle mich so ausgelaugt«, stöhnte Harry, richtete sich ein wenig auf und setzte seine Brille auf seine Nase. Madam Pomfrey hielt ihm einen Becher hin. Ohne Fragen zu stellen, trank er ihn in einem Zug leer und fühlte eine wohlige Wärme in sich. Trotzdem fühlte er sich in diesem Moment sehr verletzlich, und Hermine fehlte ihm. Er blickte sich um. »Wo sind Hermine und die anderen?«
»Professor Dumbledore bestand darauf, daß alle in den Unterricht gehen.«
»Wie spät ist es? Ist Dumbledore noch hier in der Schule?« fragte Harry und blickte sich nach einer Uhr um.
»Es ist kurz vor elf. Professor Dumbledore ist in der Schule. Er wird erst am späten Nachmittag abreisen«, berichtete Madam Pomfrey. Dann holte sie Harrys Kleidung und Schulsachen aus einem kleinen Schrank neben dem Bett.
»Die Sachen hat Ihnen Mr. Weasley gebracht. Sie können Ihren Pyjama hier lassen und sofort zum Unterricht gehen«, sagte sie, während sie den Sichtschutz vor Harrys Bett zog.
»Danke … weil Sie mir schon wieder geholfen haben«, murmelte Harry und begann sich umzuziehen.
»Ich mache nur meine Arbeit, aber bei Ihnen macht sie mir besonders viel Spaß, zumindest wenn es nichts Ernstes ist«, erwiderte sie und Harry hörte, wie sie sich dann entfernte.
Als er sich komplett umgezogen hatte, nahm er seine Schulsachen und lief zum Klassenzimmer für den Verwandlungsunterricht. Erst jetzt wurde er sich bewußt, daß er wieder einmal den Unterricht für Zaubertränke verpaßt hatte, und er wußte genau, daß Snape darüber nicht sehr erfreut sein würde. Bevor er ins Zimmer trat, klopfte Harry an die Tür. Professor McGonagall unterbrach für einen Moment und wartete, bis Harry sich gesetzt hatte.
»Schön, daß es Ihnen wieder bessergeht, Mr. Potter. Wir lernen gerade die Verwandlung, eines Felsens in ein Nashorn. Der Spruch steht …« Sie unterbrach sich, als sie bemerkte, daß Harry gerade dabei war, eine etwas überraschte Hermine innig zu küssen.
McGonagall räusperte sich und lenkte die Aufmerksamkeit der ganzen Klasse auf die beiden. Die meisten schienen nur baff zu sein, andere grinsten breit, doch ein paar schienen ihren Spaß zu haben und johlten ein wenig vor sich hin, was Harry ganz egal war.
»Entschuldigen Sie, Professor, aber nach letzter Nacht haben Sie sicher Verständnis dafür«, meinte Harry schließlich und blinzelte ihr zu. Zu seiner eigenen Überraschung lächelte McGonagall und nickte. Harry sah in die fragenden Gesichter seiner Freunde, und Hermine sah noch immer am überraschtesten von allen aus.
»Was meinst du damit?« fragte sie, und Harry gab ihr noch einen Kuß. Das war es, was er jetzt brauchte und er fühlte sich gleich um so viel besser. Das verzweifelte Gesicht des gestorbenen Mädchens verblaßte ganz langsam vor seinem geistigen Auge, und Harry war seiner Freundin dafür sehr dankbar, ohne daß sie auch nur hätte erahnen können, warum.
»Ich erzähle es euch beim Mittagessen. Wir sollten dem Unterricht jetzt fortsetzen«, sagte er und blickte zu Professor McGonagall. Unter dem Tisch hielt er dabei Hermines Hand und genoß jede Sekunde in ihrer Nähe.
»Vielen Dank, Mr. Potter. Also, wie ich eben schon gesagt habe, nehmen wir heute eine Verwandlung eines Felsens in ein Nashorn vor. Dies ist ein unglaublich schwieriger Spruch. Mr. Longbottom hat es eben im vierten Versuch geschafft. Mal sehen, wie Sie sich anstellen. Die Formel steht an der Tafel und den Zauberstab müssen Sie so führen.« Sie führte dabei die Bewegung mit ihrem Zauberstabe dreimal vor.
Harry ließ Hermines Hand los, ging nach vorn und blickte den Felsen an. Leise murmelte er die Formel, der Fels begann sich zu verformen, und nur Sekunden später stand ein ausgewachsenes Nashorn im Klassenzimmer.
»Ich … bin äußerst beeindruckt, Mr. Potter«, preßte McGonagall überrascht hervor und verwandelte das Tier zurück.
Beim Mittagessen fiel Harry auf, daß Hagrid nicht anwesend war und auch Dumbledore nicht zum Essen erschien. Seine Freunde sahen schon ganz ungeduldig aus, und nun konnte Harry ihnen endlich erzählen, was während der Nacht passiert war. Entgegen seiner ersten Überlegung entschied er sich, kein noch so grausames Detail auszulassen, da jeder von ihnen auf so etwas vorbereitet sein sollte.
Unter größten Schwierigkeiten begann er zu erzählen, wie die Todesser die Muggel an die Häuserwände geschleudert hatten, wie ihre Knochen gebrochen waren und die ganze Straße voll von blutigen Leichen gewesen war. Nur er selbst und Neville konnten dabei noch weiter essen, den anderen war sichtlich der Appetit vergangen.
Mit feuchten Augen blickte ihn Hermine dabei an, und in ihren Augen konnte er sehen, daß sie ihm gern einen Vorwurf machen wollte, daß er wieder ohne sie gegangen war, doch war das nicht Harrys Entscheidung gewesen, was sie wohl akzeptierte. Bis zu seiner Ankunft in der Elmington Road hatte er schließlich keine Ahnung von den Vorkommnissen gehabt, und McGonagall hatte ihn einfach aus dem Schlafsaal gezogen, ohne ihm die Möglichkeit zu geben, Ron oder einen anderen zu wecken.
Als er ihnen dann davon berichtete, wie er einen Todesser umgebracht hatte, konnte er sogar in Hermines Augen Abscheu entdecken, doch wurde dieser Ausdruck nur einen Sekundenbruchteil später von ihrer Liebe zu ihm verdrängt, was es ihm ein kleines bißchen leichter machte, mit seinen extrem starken Schuldgefühlen fertig zu werden.
Am Ende seines Berichts war er nun wieder ein wenig niedergeschlagener. Die so frischen Erlebnisse der Nacht belasteten ihn doch mehr, als er gehofft hatte, und auch die anderen starrten ihn ein wenig fassungslos an.
Schon wieder hatte er unglaublich schlimme Dinge erlebt, und die anderen konnten nur staunen, wie er das alles überhaupt wegstecken konnte, und verstanden seinen Blackout vom Morgen um so besser.
Als er ihnen am Ende von dem Kampf gegen Voldemort erzählte, wie Dumbledore von drei Flüchen getroffen worden war und Voldemort das Mädchen niedergestreckt hatte, stockte allen der Atem. Selbst Harry wurde wieder speiübel. Noch hatte er ihnen nicht erzählt, daß sein Schild versagt hatte, er sie nicht hatte retten können und er somit an ihrem Tod eine Mitschuld trug, doch mußte er es tun. Sie mußten es wissen.
Ihm wurde so schlecht, er wollte sich am liebsten übergeben, doch er mußte sich zusammenreißen. Beinahe wie ihn Trance erzählte er von den Vorkommnissen.
»Ich wollte das Mädchen mit meinem Schild schützen, und er war einfach perfekt. So perfekt. Er strahlte so hell, daß Voldemort total geblendet wurde. Ihr könnt es euch gar nicht vorstellen, wie hell er war. Ich hatte so große Hoffnung, daß er halten würde … er sog den Fluch auf … dann begann er zu pulsieren. Das war ein schlechtes Zeichen, denke ich. Plötzlich … wie in einer Explosion … er brach dann einfach zusammen … es gab einen lauten Knall. Der grüne Blitz schlug in ihren Körper. Als es vorbei war … ich sah in ihre entsetzen Augen. Sie war … war noch so jung … nicht älter als wir. Ich fühlte mich so leer. Mir war kalt. Sie war tot. Ich verstehe nicht, warum er nicht gehalten hat. Er hätte halten müssen.«
Harry mußte eine Pause machen, und Hermine nahm ihn in den Arm. Während er versuchte, seine Tränen zurückzuhalten, küßten sie sich, und er spürte ihre Liebe auf ihn einstrahlen. Ohne sie überstehe ich das nicht, dachte er und kuschelte sich näher an sie. Sie lächelte ihn aufmunternd an, wie es nur jemand konnte, der einen mehr als alles andere liebte, und das gab ihm neue Kraft. Es gab ihm neuen Mut, ehe er eine Minute später zu Ende erzählen konnte.
Als er fertig war, sah er in einige ungläubige Gesichter. Sie konnten nicht fassen, was letzte Nacht alles passiert war, denn im Tagespropheten vom Morgen hatte noch nichts von alldem gestanden.
Kurz vor dem Ende der Mittagspause kam plötzlich Hedwig in die Große Halle geflogen.
»Das muß Remus Antwort sein«, vermutete Hermine, die die Eule als erste entdeckt hatte.
Als Hedwig auf dem Tisch landete, streckte sie schon ihr Bein aus. Sie hatte nur einen sehr kleinen Brief dabei und schuhuhte aufgeregt. Schnell schob ihr Ron seinen Teller mit Essen hin. Selbst er hatte nicht mehr als zwei oder drei Bissen gegessen, und Hedwig schnappte sich sofort etwas von dem reichlichen Mahl. Gedankenverloren kraulte Harry sie mit einer Hand und versuchte mit der anderen den Brief von ihrem Bein zu lösen. Am Ende mußte ihm dann aber doch noch Luna dabei helfen, da der Knoten für ihn sonst nicht zu öffnen gewesen wäre. Auch Hermine streichelte die herrliche Eule.
»Ich danke dir, Hedwig. Du kannst dich oben ausruhen. Ich komme dich nach der Schule noch mal besuchen. Dann bringe ich dir noch ein paar leckere Sachen vorbei.« Harry kraulte Hedwig noch einmal liebevoll und sah ihr dann hinterher, wie sie davonflog. Ungeduldig öffnete er Remus Brief und zog ihn aus dem Umschlag. Nur kurz blickte er Hermine an, ehe er zu lesen begann.
Lieber Harry, liebe Hermine!
Ich habe mich sehr über Euern Brief gefreut. Im Moment habe ich nur wenig Zeit, mir geht es aber gut, und Ihr braucht Euch um mich keine Sorgen zu machen. Auch Krummbein geht es blendend.
Ich habe hier einen relativ ungefährlichen Job und bin bisher in keinen der Kämpfe verwickelt gewesen. Wo ich bin, kann ich Euch leider nicht verraten. Mit wem ich arbeite, könnt Ihr euch aber sicher denken.
Meine Arbeit hier kommt gut voran, und wir gehen einigen vielversprechenden Spuren nach. Wir hoffen, bald den Durchbruch zu schaffen. Grüßt bitte alle DA-Mitglieder recht herzlich von mir. Ich hoffe, Ihr schreibt mir mal wieder.
Alles Gute!
Remus
Der Brief brachte zwar keine wirklichen Neuigkeiten, doch waren alle erleichtert, daß es Remus gutging. Natürlich freute sich Hermine, daß auch mit Krummbein alles in Ordnung war, doch als sie schließlich zum Unterricht gehen wollten, zog sie Harry kurz zur Seite und sah sofort wieder sehr ernst aus.
»Ich muß mit dir noch über etwas reden«, flüsterte sie und führte ihn in eine weit entfernte Ecke.
»Über was?«
»Wie schlimm ist es?« Sie nahm seine Hand und drückte sie fest.
»Was genau meinst du?« fragte er unsicher.
»Deine Schuldgefühle meine ich. Du hast einen Menschen getötet. Absichtlich. Ich weiß, daß es dich fertigmacht. Sag es mir.« Ihre Stimme war weich und klang beinahe, als würde sie über etwas Schönes sprechen.
Sie kannte ihn zu gut. Obwohl er wirklich versucht hatte, es für sich zu behalten, hatte sie es gemerkt. Sie hatte seinen wunden Punkt gefunden. Als einzige. Selbst Dumbledore schien es nicht bemerkt zu haben. Auch Ron nicht und Luna und Ginny und Neville. Niemand hatte bemerkte, daß er ein kaltblütiger Killer war und ihn das fertigmachte. Er hatte es gut vor den anderen verborgen – so gut es ging. Ihr jedoch konnte er einfach nichts vormachen. Was sollte er ihr sagen?
»Es ist … Hermine …« Seine Augen wurden feucht. »Ich weiß nicht. Ich hab' jemanden ermordet. Einfach so. Wie kann ich damit leben? Ich weiß, daß ich Voldemort töten muß und würde es sofort tun, aber das war nicht Voldemort. Ich weiß nicht einmal, wer es war. Was für ein Mensch war es? Stand er vielleicht nur unter dem Imperius-Fluch? Dann hätte ich einen Unschuldigen ermordet. Ich gehöre nach Askaban, ich …«
»Red keinen Unsinn«, unterbrach sie ihn. »Es ist Krieg. Niemand kann von dir erwarten, mit einer weißen Weste daraus hervorzugehen. Harry, sieh mich genau an. Sieh mir in die Augen. In dieser Hinsicht sind wir beide längst nicht mehr unschuldig und rein. Auch ich habe schon einen Menschen absichtlich in den sicheren Tod getrieben. Erinnerst du dich?« Sie sah traurig aus.
»Nein. Ich verstehe nicht.« Eine Träne rollte seine Wange hinunter.
»Umbridge. Sie wollte dich foltern. Ich wußte, du würdest ihr kein Wort sagen. Sie hätte dich in den Wahnsinn gefoltert, ich habe es in ihren Augen gesehen. Das konnte ich nicht zulassen. Ich mußte sie aufhalten. Ich wußte genau, was im Wald geschehen würde, und es war mir absolut egal. Ich habe es für dich getan und würde es immer wieder tun. Ohne zu zögern. Ich hasse mich fast dafür, aber ich würde es immer wieder tun. Immer! Ich verstehe, daß du Zweifel hast und dich dafür verabscheust, doch was du getan hast, ist nicht so schlimm, wie du glaubst.«
»Wie kannst du so was sagen? Nicht schlimm?«
»Es ist Krieg! Wir oder die! Keiner kann leben, während der andere überlebt. Verstehst du? Es mag nur für dich und Voldemort prophezeit worden sein, gilt aber für den ganzen Krieg. Einzelne Opfer müssen wir in Kauf nehmen. Sicher dürfen wir nicht einfach alle töten, das würde uns noch schlimmer machen, als es Voldemort ist, doch wenn wir überleben wollen, dürfen wir uns keine Vorwürfe machen, wenn es doch einmal passiert. Solange dich dein Gewissen danach noch quält, bist du der Mensch, den ich liebe. Erst wenn es dir irgendwann einmal egal sein sollte … dann … verstehst du, wie ich es meine?
Ich liebe dich. Du bist kein Mörder. Voldemort ist ein Mörder. Seine Todesser sind Mörder. Du bist der gute. Der Held. Kein strahlender Held in glänzender Rüstung. Deine Rüstung ist schon ein wenig eingedellt, und sie glänzt nicht mehr, weil zuviel Blut daran klebt, von all den Opfern, die Voldemort auf dem Gewissen hat, aber du bist der Held. Niemand kann von dir erwarten, daß du anders handelst, als du gehandelt hast. Wäre es wirklich so schlimm gewesen, wie du glaubst, dann hätte dich Professor Dumbledore darauf angesprochen. Ganz sicher.
Natürlich war es falsch. So, wie es von mir falsch war, Umbridge in den Wald zu führen und zu wissen, daß sie wahrscheinlich sterben würde, selbst wenn sie noch einmal davon gekommen war. Es war falsch – aber nicht verachtenswert. Du bist noch immer ein Mensch – der Mensch, den ich liebe. Du bist kein Monster. Mach dich deswegen nicht kaputt. Verstehst du?« Sie wischte ihm mit ihrem Daumen eine Träne von der Wange.
»Ich glaube schon. Ich liebe dich, Hermine. Ohne dich würde ich das alles nicht schaffen. Du hältst mich am Leben! Ich danke dir so sehr.«
Sie küßten sich und sahen sich lange in die Augen. Sie hatten ein Verständnis füreinander entwickelt, wie es sich Harry nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte erhoffen können. Sie war sein Motor; für sie tat er all dies, und für sie würde er mit alledem fertig werden. Er hatte einen Menschen getötet. Aber es war Krieg. Im Krieg sterben Soldaten auf beiden Seiten, und auch Zivilisten müssen immer darunter leiden. Dies aber war kein gewöhnlicher Krieg, in dem die Soldaten beider Seiten glaubten, die einzig richtige Seite zu repräsentieren; in der beide für das Gute zu kämpfen glaubten und so ihre Taten rechtfertigen konnten.
Dieser Krieg war viel eindeutiger. Voldemort war auf der Seite des Bösen. Niemand hielt ihn für gut. Nicht einmal er selbst glaubte, das Richtige zu tun. Seine Soldaten wußten genau, daß sie die grausamsten Verbrechen begingen, und so konnte Harry für sich rechtfertigen, daß er das Richtige tat, auch wenn er vielleicht im Affekt die falschen Mittel benutzte. Er kämpfte nur gegen Voldemort und seine Soldaten, Zivilisten hielt er heraus. Das unterschied ihn; dies ließ ihn noch immer Mensch sein und machte die anderen zu Monstern. Aber auch er war nur ein Mensch; auch er konnte Dinge nur bis zu einem gewissen Punkt ertragen. Voldemort und seine Lakaien hatten diesen Punkt längst überschritten.
Trotzdem würde er niemals in die nächste Schlacht ziehen mit dem Vorsatz, so viele Soldaten wie möglich zu töten; doch wenn er einen töten sollte, weil er es anders nicht mehr ertragen konnte oder weil er dazu gezwungen war, dann würde es eben so sein. Er würde damit leben, und er würde gut damit leben, solange er Hermine an seiner Seite wußte. Sie würde ihm immer helfen und seine Dämonen im Zaum halten. Sie würde ihn halten, wenn er weinen mußte, und sie würde ihn trösten, wenn ihn die Alpträume quälen würden. Sie liebte ihn, auch wenn er Soldaten töten würde; solange er die Grenze nicht überschreiten würde – die schmale Grenze zum Mord.
Er umarmte sie, und sie drückten sich innig. Ihre Lippen fanden einander, und er fühlte so viel Gewicht von sich genommen, daß er das Gefühl hatte, er würde schweben. Sie half ihm so sehr, und er konnte ihr nicht einmal annähernd begreiflich machen, wie wichtig sie wirklich für ihn war. Die drei Worte langten schon längst nicht mehr, und auch wenn er Liebe mit ihr machte, hatte er das Gefühl, daß es noch immer nicht ausreichte. Er mußte sie fragen, was er tun konnte. Er mußte das wissen.
»Hermine, wie kann ich dir nur begreiflich machen, wie unglaublich wichtig du mir bist und wie sehr ich dich liebe? Wie unendlich dankbar ich dir bin? Ich habe das Gefühl, daß alles, was ich tue, einfach nicht ausreichend ist. Ich mache Liebe mit dir, und selbst dann habe ich das Gefühl, daß ich dir nicht genug gebe. Ich …« Seine geflüsterten Worte wurden von ihrem innigen Kuß unterbrochen.
»Wage es nicht, daran zu zweifeln! Ich weiß ganz genau, wie sehr du mich liebst, und du könntest es mir gar nicht mehr zeigen, ganz egal, wie sehr du es auch versuchen würdest. Wenn wir uns lieben, dann ist das, als ob … wenn du … wenn du mir noch mehr geben würdest … dann … das könnte ich gar nicht aushalten. Mehr Liebe kann ein Mensch doch gar nicht verkraften. Ich kann es sogar nur in deinen Augen sehen, also zweifele nicht daran. Du gibst mir viel mehr, als ich brauche; viel mehr, als ich jemals brauchen könnte. Du bist mein Leben, und ich weiß, daß ich deins bin. Ich weiß das. Ich weiß es ganz genau. Du gibst mir mehr, als ich erwarte, und ich nehme das alles. Du machst mich glücklich. Ich bin so glücklich, daß du mich so sehr liebst. Mehr, als mich sonst jemals ein anderer Mensch lieben könnte. Und genau so sehr liebe ich dich. Auch ich machte mir Sorgen, es dir nicht genug zeigen zu können, doch ist mir schon lange klargeworden, daß mehr nicht geht. Wir geben beide hundert Prozent. Mehr geht nicht. Sieh es ein und akzeptiere es.«
Genau das tat er. »Okay. Ich verstehe genau, was du meinst – und ich akzeptiere es. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch. Laß uns jetzt gehen.«
Die beiden faßten sich an den Händen und liefen zum Klassenraum für Zauberkunst. Sie würden zu spät kommen, doch war es beiden egal. Was gesagt worden war, hatte gesagt werden müssen, und das hatte Priorität.
Den Nachmittag hatte Harry dann auch noch Unterricht bei Hagrid, und der war ausgesprochen spannend. So spannend, daß er das andere erfolgreich verdrängen konnte und schon wieder viel zufriedener war. Es war ihm klar, daß es noch nicht gänzlich vorbei war, doch würde er damit leben können.
Die ersten Charjaven hatten am Morgen ihre Eier gelegt, und schon gegen Mittag waren sie geschlüpft.
»Deswegen war ich nicht beim Essen, konnte die Kleinen doch nicht allein lassen«, erzählte Hagrid in liebevollem Ton.
Harry begutachtete derweil die kopflosen, kleinen Wesen und sammelte vorsichtig ein paar große Stücke der Eierschale ein. Dies war eine sehr schwierige Aufgabe, da die Charjaven immer nach ihren Fingern hackten, und erst Neville brachte alle auf die Idee, dafür einfach Magie zu verwenden.
»Noch mal laß ich mir nicht die Hand zerhacken«, meinte er mit Nachdruck und nutzte den Accio-Zauber, der Harry schon einmal das Leben gerettet hatte.
Als die anderen es bei ihm gesehen hatten, brauchten sie es ihm nur nachzumachen, und die Sache verlor deutlich an Schrecken. Sie packten ungefähr die Hälfte der Eierschalen in einen Behälter, den sie nachher mit zum Schloß mitnehmen sollten, um ihn bei Professor Snape vorbeizubringen. Den Rest der Eierschalen ließen sie in den kleinen Nestern zurück, da die Küken sie fressen würden, sobald sie Kopf und Schnabel gebildet hatten.
»Bis dahin dauert es aber noch ein ganze Woche«, erklärte ihnen Hagrid und beobachtete, wie Harry für die hungrigen Eltern ein wenig Fischbrei zusammenstampfte, während Ron und Neville ihm dabei halfen.
»Wie geht es Hermine?« fragte Ron leise und sah Harry dabei ernst an.
»Ich denke, ganz gut. Sie hat es erstaunlich leicht aufgenommen. Immerhin war ich heute nacht in echter Lebensgefahr, und Dumbledore wurde schwer verwundet. Dann sind viele Muggel und gute Zauberer gestorben. Dazu noch ein paar andere Dinge, über die wir nachher noch gesprochen haben, und in denen sie meinen Kopf wieder geradegerückt hat. Ich denke also, sie kommt damit besser klar als ich«, gab er Harry zurück und lächelte Hermine an. Diese hatte es bemerkt und lächelte zurück.
»Ganz so leicht nimmt sie es wohl nicht«, warf Neville ein, und beide starrten ihn an. »Sie hat vorhin mit Ginny darüber geredet. Ginny meinte, ich solle dir davon erzählen.« Neville stampfte den nächsten Fischkopf.
»Was sollst du mir erzählen?« fragte Harry besorgt.
»Hermine hat vorhin auf dem Mädchenklo geweint. Sie hat große Angst um dich, will aber für dich stark sein«, erwiderte Neville und brachte Parvati den ersten fertigen Eimer.
Das hört sich nicht gut an. Sie baut mich wieder auf, weint aber allein auf dem Mädchenklo. Ich muß mit ihr reden, dachte Harry nachdenklich und beobachtete Parvati.
Diese bot gerade den Charjaven den Fischbrei an, und die schwarzen Vögel stürzten sich wie die Aasgeier darauf. Erschrocken wich Parvati zurück und fiel hin. Niemand außer Pansy Parkinson, Blaise Zabini und zwei anderen Slytherins lachten. Ganz im Gegenteil halfen ihr sogar zwei Slytherins auf, und jeder erkundigte sich besorgt, ob alles okay mit ihr sei.
Neville kam gerade zurück. »Du solltest unbedingt mit Hermine darüber reden, meinte Ginny. Sie quält sich damit zu sehr«, meinte er, während er sich daranmachte, in Rons Eimer weiterzustampfen. »Wie viele Köpfe müssen noch rein?« rief er zu diesem hinüber, der zu Seamus geeilt war, der mit einem Charjaven kämpfte.
»Noch zwei«, kam die prompte Antwort. Neville warf noch zwei Köpfe hinein und stampfte eifrig weiter.
Harry lies sich das Gehörte weiter durch den Kopf gehen und nahm sich fest vor, dieses Thema in der Eulerei noch einmal mit ihr zu besprechen.
Da er die Fische inzwischen fein genug zerstampft hatte, schnappte er sich seinen Eimer und brachte ihn Hermine, die sofort damit begann, die Charjaven zu füttern.
»Kommst du dann mit in die Eulerei, meine Süße?« fragte er sie zärtlich.
»Gern!« erwiderte sie strahlend, mußte aber im selben Augenblick vor den heranstürmenden Vögeln rückwärts fliehen. Galant fing er sie auf und küßte sie kurz, während sie ein wenig perplex war.
Nach dem Unterricht wollte sich Harry von Hagrid verabschieden, ehe dieser ihn zu sich rief. »Bring das bitte allein zu Professor Snape. Er wollte dich sprechen. Er erwartet dich in eurem Klassenzimmer. Dumbledore erwartet dich dann um fünf in sei'm Büro«, meinte der Halbriese und übergab ihm ein kleines Gefäß.
Harry sah Hermine überrascht an. »Dann gehst du schon langsam vor, ich beeile mich, um nachzukommen, und danach gehen wir direkt zu Dumbledore!«
Eilig schnappte er seine Sachen und lief schnellen Schrittes hoch zum Schloß, während die anderen gemächlich hinterhertrotteten. Auf direktem Weg führten ihn seine Füße in den Kerker, und er lief hektisch die Treppenstufen hinunter. Überaus gespannt war er, was Snape von ihm wollte. Sicher geht es um eine Strafarbeit für mein Fehlen heute morgen, dachte er bei sich. Als er an die Tür zu Snapes Klassenzimmer kam, klopfte er zaghaft an.
»Herein«, hörte er aus dem Inneren und betrat den Raum. Snape stand vorn am Lehrertisch und braute einen Trank. Harry sah unglaublich viele Zutaten herumstehen und trat ein paar Schritte näher.
»Hallo, Professor Snape. Bitte entschuldigen Sie meine Abwesenheit heute morgen. Ich wurde bewußtlos und mußte auf den Krankenflügel. Ich bringe ihnen hier von Professor Hagrid Eierschalen der Charjaven.« Mit diesen Worten ging er nach vorn zum Pult und stellte dort das Gefäß ab.
»Gerade noch rechtzeitig, Potter«, entgegnete Snape in strengem Ton und nahm das Gefäß an sich. Er streute ungefähr ein Drittel des Inhaltes in den Trank hinein, der in einem Kessel vor sich hin köchelte, verschloß den Rest sorgfältig, beschriftete es und verstaute es in seine Tasche, die am Boden lag. Dann nahm er eine Kelle und rührte um.
»Warum wollten Sie mich sprechen, Professor?« fragte Harry, nun neugierig geworden, hatte er doch bisher nicht den Eindruck, daß Snape ihn bestrafen wollen würde.
»Es geht auch um Ihr Fernbleiben heute morgen. Wir haben einen äußerst wichtigen Trank durchgenommen, und diesen werden Sie morgen nachmittag nachholen. Kommen Sie um Punkt halb fünf hierher, ich werde Sie erwarten. Und seien Sie pünktlich, Potter!« meinte er ruhig und in sachlichem Ton. Harry wollte schon gehen, als Snape ihn aufhielt. »Einen Moment noch, Potter! Sie sollen noch einen Schluck dieses Trankes zu sich nehmen. Anweisung von Professor Dumbledore.«
»Okay.«
Snape rührte noch einmal das Gebräu um. Er warf noch eine weitere Zutat hinein, und Harry erkannte das Jinguskraut sofort, da er es erst vor vier Wochen kennengelernt hatte. Erneut rührte Snape den Trank, ehe er eine kleine Menge davon in eine Schale abfüllte.
»Hier, trinken Sie das!« sagte er und reichte ihm die Schale.
Es stank fürchterlich, und Harry sah es angewidert an. Bis Snape das Jinguskraut hineingegeben hatte, war ihm der Gestank gar nicht aufgefallen. In nur einem Schluck trank er die Schale aus, und zu seiner völligen Überraschung schmeckte es sehr gut. Das wäre bei dem Gestank das letzte gewesen, was er erwartet hätte.
»Wofür ist der Trank, Professor?« fragte Harry und stellte die Schale auf den Schreibtisch.
»Er wird für etwa einen Monat dafür sorgen, daß Sie sich nicht mehr so leicht übergeben müssen. Zudem wird es dabei helfen, Ihnen ein paar alpträumfreie Nächte zu ermöglichen, und im allgemeinen wird er Ihre Konstitution stärken, da Sie bei vollen Kräften bleiben müssen. Ein angeschlagener Harry Potter nützt uns in diesem Krieg viel zu wenig.« Dann drehte er sich um und wies Harry stumm die Tür.
Noch einen Augenblick lang starrte er Snape an, ehe er den Kerker verließ. Wieder die Treppen hinauflaufend, machte er sich auf den Weg in die Eulerei. Nur einige Minuten später war er schon fast oben im Turm, als er Hermine einholte.
»Da bin ich schon, meine Süße«, sagte er und küßte sie zur Begrüßung.
»Schön … ich bin extra langsam gegangen«, antwortete sie und griff seine Hand.
Ihre Hand war so weich, so warm, und Harry fühlte sofort wieder Schmetterlinge im Bauch, die scheinbar niemals vergehen wollten, was er auch inständig hoffte. Gemeinsam betraten sie die Eulerei, und Hedwig kam sofort zu ihnen geflogen. Mit seinem Zauberstab beschwor Harry einige Leckereien, und seine Schneeeule begann freudig zu fressen. Harry beobachtete dabei Hermine genau, und ihm fiel nichts Verdächtiges an ihr auf. Wenn sie etwas bedrückte, hatte sie es sehr gut vor ihm verborgen. Harry fragte sich, wie er es am besten angehen konnte.
»Darf ich dich was fragen, Hermine?« begann er schließlich und lächelte leicht. Sie blickte unsicher zurück; offenbar hatte sie keine Ahnung davon, was er wußte.
»Ja, natürlich. Was ist denn?« fragte sie nach einer kurzen Pause zurück und lächelte nun auch, was aber leicht nervös wirkte.
»Sagst du mir alles?« fragte er unschuldig und sah sie neugierig an.
»Ich … ja … ich weiß nicht, was du jetzt meinst«, sagte sie verwirrt, gab Hedwig einen kleinen Keks. Diese knabberte ihn schnell weg.
»Ich habe erfahren, daß du mir gegenüber einen Teil deiner Gefühle verbirgst, um mich nicht damit zu belasten«, sagte er, lächelte aber noch immer und schien sie damit noch mehr zu verwirren. Ihre Augen wurden ein wenig rot, und Harry wußte, daß er es behutsam angehen mußte, sonst würde sie sich nur unnötig aufregen und erneut anfangen zu weinen.
»Ich … hast du das von Ginny?«
»Nein. Ginny würde niemals mit deinen Gefühlen hausieren gehen«, versicherte er, und das schien sie jetzt noch mehr zu verwirren; doch er wollte Ginny und Neville aus der Schußlinie halten. »Ich werde mal ein bißchen direkter: Mir geht es einfach darum, daß ich nicht möchte, daß du deine Gefühle vor mir verbergen mußt. Du mußt für mich nicht stark sein. Wenn du Angst um mich hast, dann möchte ich, daß du mir das deutlich sagst.
Wenn du meinetwegen Kummer hast, dann möchte ich, daß du mit mir darüber sprichst. Du kannst gern weiterhin auch mit anderen über deine Nöte sprechen, aber ich möchte gerne wissen, wenn dich etwas bedrückt. Ich liebe dich so sehr – du bist für mich das absolut Wichtigste. Wir haben eben erst über solche Dinge geredet, hast du deine eigenen Worte vergessen?
Wenn es dir schlechtgeht, dann geht es mir auch schlecht, selbst dann, wenn du versuchst, es vor mir zu verstecken. Ich möchte dir das Leben nicht zu schwer machen, aber wenn es dazu kommt – selbst dann, wenn ich nichts daran ändern kann –, möchte ich es wissen. Ich möchte dir helfen und immer für dich dasein, und das nicht nur in den guten Zeiten.
Es stört mich wirklich nicht, wenn du mir gegenüber solche Gefühle zeigst. Es ist eher das Gegenteil. Ich weiß, daß du mich so sehr liebst, wie ich dich liebe, und ich finde es sehr schön, daß du Angst um mich hast, obwohl ich es natürlich nicht toll finde, daß du überhaupt Angst um mich haben mußt.« Er zog Hermine in seine Arme und hielt sie einfach fest. »Du mußt dazu nichts sagen. Ich hab' es schon vergessen. Ich liebe dich!« Er küßte sie.
»Ich verstehe selbst nicht, warum ich nicht mit dir geredet habe. Eben noch bitte ich dich, mit mir über deine Sorgen und Probleme zu reden, ich aber renne auf die Toilette und heule vor Ginnys Augen. Ich hab' dich gar nicht verdient.«
»Ich hab' dich nicht verdient«, flüsterte er.
»Ich hab' dich weniger verdient«, flüsterte sie zurück.
»Das ist gelogen, und du weißt das. Wir haben uns verdient. Wir lieben uns. Ich liebe dich. Wenn du Sorgen hast, egal weshalb, dann sag es mir. Laß es uns vergessen. Okay?«
»Okay! Ich liebe dich!«
Über dieses Thema mußten die beiden kein weiteres Wort verlieren. Sie genossen noch eine halbe Stunde bei Hedwig, ehe Harry die Sache mit Cho wieder einfiel. Er wollte zwar mit Hermine nur ungern über das Thema sprechen, vor allem ausgerechnet jetzt, doch er hatte es sich fest vorgenommen.
»Mir fällt da noch ein anderes Thema ein, über das ich mit dir sprechen möchte. Es geht um Cho«, tastete er sich heran und beobachtete Hermine dabei genau.
»Meinst du, daß sie doch noch in dich verliebt ist?« fragte sie und griff seine Hand. Erstaunt sah er sie an.
»Ich weiß nicht so recht, ob sie das wirklich ist. Aber sie benimmt sich manchmal so eigenartig, wenn du dabei bist – und auch, wenn du nicht dabei bist«, sagte Harry und sah mit Freude, wie ihn Hermine anlächelte.
»Gib ihr mehr Zeit mit William. Ich denke, das Problem löst sich bald von allein.«
Harry dachte einen Moment darüber nach und kraulte Hedwig mit seiner rechten Hand. »Ich weiß nicht. Das geht jetzt schon eine ganze Weile so. Ich meine, sie scheint ihn sehr zu mögen, obwohl er erheblich jünger ist als sie, und trotzdem benimmt sie sich teilweise … merkwürdig mit dir im Raum.«
»Sie liebt ihn sehr, sonst würde sie nie mit ihm schlafen«, sagte Hermine und gab Harry einen Kuß.
»Woher bist du dir so sicher, daß sie mit ihm schläft?« fragte Harry und sah ihr in ihre wunderschönen zimtbraunen Augen. Er selbst dachte auch, daß sie es taten, wußte es aber nicht genau.
»Das ist ganz einfach. Ich habe mir nicht umsonst von meiner Mutter einen Gegenstand mit dem Detineo-Zauber schicken lassen; sonst hätte ich zu Madam Pomfrey gehen müssen, da es natürlich auch noch andere Möglichkeiten auf diesem Gebiet gibt. Genau das aber hat Cho getan, und es hat sich durch einen Zufall herumgesprochen, weshalb auch ich davon weiß. Das ist übrigens der Grund, weswegen ich mit dieser Sache lieber zu meiner Mutter gegangen bin. So wissen nur wir beide und sie davon«, erwiderte Hermine grinsend.
»Das gefällt mir, daß du selbst an so was denkst. Aber andererseits ist die Angelegenheit wirklich interessant. Über wen gibt es doch noch solche Geschichten?« fragte Harry und grinste nun so breit wie selten.
Das Grinsen verschwand aus Hermines Gesicht, und sie sah ihn nun eher neckisch an. »Von mir erfährst du nix über dieses Thema. Auch wenn ich dir da einiges berichten könnte.« Harry streichelte sie am Arm. »Daß er jünger ist als sie, ist aber auch kein Problem. William ist ein sehr ernster und ausgesprochen reifer Mensch; er hinkt ihr nicht hinterher.«
Beide setzten sich auf die kleine Bank und ließen Hedwig allein auf der Mauer sitzen.
»Meinst du, er hat gemerkt, daß sie noch etwas für mich empfindet?«
»Selbstverständlich weiß er es. Gerade deshalb hat er sie doch vor unseren Augen geküßt. Beim Frühstück, erinnerst du dich?« Sie starrte belustigt eine große dunkelgraue Eule an, die nur drei Meter über ihr saß und ihr Gefieder putzte.
»Klar. Das ist ja der Grund dafür, daß ich mit dir sprechen wollte … ich meine … ihre Reaktion auf diesen Kuß«, meinte er stotternd und beobachtete nun ebenfalls die Eule beim Putzen.
»Er wollte sie damit verwirren. Sie sollte sich damit auseinandersetzen, daß sie einerseits ihn, aber andererseits auch dich liebt. Aber mach dir keine Sorgen um Cho. William macht das sehr gut. Es wird nicht mehr lange dauern, und dann ist sie ganz schnell über dich hinweg.«
Harry blickte ihr ins Gesicht und sah ein herausforderndes Lächeln. »Ich glaub nicht, daß Frauen so schnell über mich hinwegkommen!«
Grinsend begann er sie zu kitzeln. Hermine konnte sich nicht auf der Bank halten, fiel lachend hinunter und Harry rutschte hinterher. Sie merkten nicht, daß sie inmitten von Eulenkot lagen und sich in ihm wälzten, während sie beide lachten und sich dabei küßten. Sie vergaßen beinahe die Zeit, ehe Hermine einfiel, daß sie noch eine Verabredung hatten. Sofort half er ihr auf und fing an zu grinsen.
»Du hast Eulenmist im Haar«, sagte er und begann es vorsichtig zu entfernen, ohne es noch tiefer hineinzuschmieren.
»Puh … da bist nur du dran schuld … und übrigens … an dir klebt das Zeug auch überall«, entgegnete sie lachend und begann damit, sich wieder halbwegs herzurichten, ehe sie dann zu Dumbledore aufbrachen.
Genau auch wegen solcher Dinge liebte er sie. Fast jede andere wäre ausgerastet, wenn sie Eulenmist im Haar gehabt hätte, doch Hermine machte das nicht viel aus. Sie war genau die Art von Frau, die zu ihm paßte und die er an seiner Seite brauchte.
Erst als Harry am Wasserspeier stand, fiel ihm auf, daß er vielleicht gar nicht das Paßwort hatte, und so versuchte er es mit dem alten:
»Extrasaure Honigsdrops!« Der Wasserspeier reagierte nicht.
Nur wenige Sekunden später sprang er trotzdem zur Seite und gab den Weg zur Treppe frei. Harry und Hermine fuhren überrascht nach oben und klopften an die Tür zu Dumbledores Büro, und nicht nur Harry war es ein wenig peinlich, überall Flecken auf der Kleidung zu haben.
Der alte Mann hatte sie schon zu erwartet. »Schön, daß ihr da seid. Ich hatte vergessen, dir das neue Paßwort zu geben, deshalb habe ich euch den Weg frei gemacht. Setzt euch doch.« Beide nahmen einen der Stühle und setzten sich.
Noch nie hatte Harry erlebt, daß Dumbledore etwas vergessen hatte; die letzte Nacht schien noch Auswirkungen auf ihn zu haben. Der Schulleiter musterte sie gründlich, und Harry merkte, wie er und Hermine rot anliefen.
»Ich hoffe, es geht Hedwig gut«, sagte Dumbledore, zwinkerte den beiden wissend zu, und Harry wäre am liebsten im Boden versunken. Zwar wußte er, daß oben in der Eulerei nichts wirklich Peinliches passiert war, doch allein dieser Blick ließ ihn ein wenig tiefer in den Stuhl rutschen.
»Sir, geht es Ihnen wieder besser?« fragte Hermine und durchbrach die unangenehme Stille.
»Du brauchst dir um mich wirklich keine Sorgen zu machen, Hermine. Ich bin zwar schon alt, aber von ein paar kleinen Flüchen lasse ich mich nicht umwerfen«, scherzte er und nahm einen Schluck aus der Tasse, die auf seinem Schreibtisch stand.
Harry roch etwas und wußte genau, daß er diesen Gestank kannte und es kein Eulenmist war. Er blickte auf Dumbledores Tasse; dieser hatte es sofort bemerkt.
»Schmeckt besser, als es riecht, nicht wahr?« meinte er und stellte die Tasse weg.
»Geht es ihnen wirklich gut?« erkundigte sich Harry. Hermine sah ihn fragend an, da er ihr noch nicht von dem Treffen mit Snape erzählt hatte.
»Ihr müßt euch um mich wirklich nicht sorgen. Dieser Trank ist eine reine Vorsichtsmaßnahme«, erwiderte er und sah die beiden eine Zeitlang an. »Nun wollen wir aber aufbrechen, es wird langsam Zeit, und Cornelius erwartet uns schon.« Dumbledore stand auf, und auch Harry und Hermine erhoben sich.
Nur wenige Augenblicke später, traten die drei aus dem Kamin in Fudges Büro. Im Raum war nur einer der Zauberer, der zusammen mit Harry in der Nacht gegen Voldemort und seine Todesser gekämpft hatte.
Dieser nickte Harry zu, als er schon auf die Tür zeigte und sie aufforderte, das Büro zu verlassen. »Die Besprechung findet im Konferenzsaal statt.« Er führte sie nur drei Türen weiter in einen großen Raum, in dem sicher dreißig Hexen und Zauberer schon ungeduldig zu warten schienen.
»Schön, daß Sie da sind, Albus«, begrüßte ihn Fudge und deutete auf zwei freie Stühle.
»Mr. Ockton, würden Sie bitte noch einen Stuhl für Miß Granger bringen, sie würde sicher gern an dieser Besprechung teilnehmen«, meinte Dumbledore zu dem Zauberer, der sie hergebracht hatte, und setzte sich auf den linken der beiden freien Plätze.
Harry ließ Hermines Hand los, folgte Dumbledore und setzte sich als letzter an den Tisch, ehe er Arthur und Mad-Eye unter den Versammelten erkannte. Arthur schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, und Mad-Eye zwinkerte ihm zu. Vor ihm auf dem Tisch lag ein Stück Pergament, und Harry erkannte sofort den Inhalt. Es war sein Aufsatz für Dumbledore, und die Überraschung ließ ihn rot anlaufen. Damit, daß Dumbledore es dem Ministerium zeigte, hatte er wahrlich nicht gerechnet. Inzwischen kam Ockton mit einem Stuhl für Hermine zurück, stellte ihn hinter Harry an die Wand und verließ den Raum.
»Dann können wir beginnen?« fragte Fudge und sah Dumbledore an, der ihm zunickte. »Fangen wir doch mit den Ereignissen der Nacht an.«
Fudge blickte Arthur an, der sich von seinem Platz erhob. Er ging zu einem Pult an der rechten Seite des Raumes und zog einige Unterlagen aus seinem Umhang.
»Gestern kam es im Südosten von London, zu einem Überfall durch V-Voldemorts Todesser.« Nur wenige erzitterten bei Voldemorts Namen, was Harry lächelnd zur Kenntnis nahm. »Er selbst war auch anwesend, und ihre gesamte Truppenstärke lag bei schätzungsweise neunzig Mann.«
Harry stockte der Atem. Hatte er etwa nur einen kleinen Teil des ganzen Grauens miterlebt? Waren noch viel mehr gestorben, als er bisher geglaubt hatte? Er mußte sich anstrengen, weiter zuzuhören.
»Der Angriff begann kurz vor halb zwei in der New Church Road und dauerte etwa eine Stunde. Voldemort und seine Todesser begannen sofort damit, Menschen aus ihren Häusern zu ziehen, sie zu foltern und brutal zu töten. Wir erfuhren nur sieben Minuten nach dem Beginn davon und rückten sofort mit etwa fünfzig Mann aus. Wir versammelten uns in der Parkhouse Street …« Arthur zeigte auf eine Ausschnittsvergrößerung eines Stadtplanes, der hinter ihm erschienen war. »… und begannen sofort damit, die Todesser anzugreifen. Diese hatten sich in mehrere Gruppen aufgeteilt, die unabhängig voneinander vorgingen; und obwohl wir auf harte Gegenwehr trafen, konnten wir uns gegen die ersten beiden Gruppen gut behaupten und haben diese unter minimalen Verlusten zurückschlagen können. Dies war etwa hier … und hier. Die meisten von ihnen konnten wir gefangennehmen, und unser Trupp ist dann über die Edmund Street bis zur Elmington Road vorgerückt.«
Arthur machte eine kurze Pause und trank einen Schluck Wasser. »Bereits wenige Minuten nach unserer Ankunft informierten wir die Muggelbehörden und baten um äußerste Zurückhaltung von ihrer Seite, und unserer Bitte wurde so lange wie möglich Folge geleistet. Etwa um Viertel vor zwei wurde Voldemort von einem Spähtrupp in der Picton Street ausgemacht … hier oben … und die von ihm angeführte Truppe wurde durchgängig verfolgt, um den Kontakt nicht zu verlieren.« Wieder zeigte er alle erwähnten Straße auf der Karte.
»Dumbledore wurde über alles informiert, und er schickte sofort Alastor Moody los, um Mr. Potter zu holen. In der Zwischenzeit gelang es uns unter größeren Verlusten, die nächsten beiden Gruppen auszuschalten … und zwar hier und hier. Dumbledore zog sich mit einer kleinen Gruppe in ein Haus in der Elmington Road zurück, und wir warteten auf das Eintreffen von Mr. Potter.«
Arthur nahm einen weiteren Schluck Wasser und sah noch einmal in seine Unterlagen, ehe er weitersprach. »Als Mr. Potter eintraf, wüteten nur noch die von Voldemort geführte und eine weitere Gruppe in den Straßen Londons. Da unsere Kräfte weitestgehend aufgerieben oder anderweitig gebunden waren, entschied Dumbledore, selbst vorzurücken und den Rest von ihnen anzugreifen. Obwohl wir wußten, daß es ein Risiko war, Mr. Potter mit in den Kampf zu nehmen, erwies es sich als einzig richtige Entscheidung. Mit seiner Hilfe konnten wir die erste Gruppe unter geringen Verlusten ausschalten, und zwar hier …« Wieder zeigte er auf der Karte die Position. »… ehe wir im weiteren Verlauf auf V-Voldemort trafen. Leider gelang es ihm, uns erneut zu entkommen, doch konnten wir weitere seiner Untergebenen gefangennehmen. Danach hat sich unsere Gruppe zweimal geteilt, um den eingreifenden Muggeln nicht in die Arme zu laufen. Wir sind ins Ministerium zurückgekehrt, und den Rest dürfte jeder kennen.
Abschließend mochte ich noch auf einige Zahlen zu sprechen kommen. Die Zahl unserer eigenen Opfer ist relativ überschaubar, und ich denke, wir sind noch gut davongekommen, auch wenn es noch immer schlimm genug ist. Für immer von uns gegangen sind sieben Hexen und Zauberer, während neunzehn weitere – meist nur leicht – verletzt wurden. Die Zahl der Opfer unter den Muggeln ist erschreckend hoch, und sie bewegt sich nach neuesten Erkenntnissen bei knapp über dreihundert. Genauere Zahlen sind im Augenblick nur schwer zu ermitteln, da die meisten der Opfer grausam entstellt wurden und von vielen nur wenige Körperteile übriggeblieben sind.« Arthur mußte eine Pause machen. Er trank hektisch einen weiteren Schluck Wasser, und nicht nur Harry hatte einen gewaltigen Kloß im Hals. Auch Arthur sah nicht gut aus.
Noch einmal sah Harry die Bilder der Verwüstung vor sich und spürte eine leichte Panik aufsteigen, doch Snapes Trank schien seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Über dreihundert, ging es ihm dabei immer wieder durch den Kopf, und er wünschte, er hätte es nie erfahren. Auch in den Augen der anderen sah er Furcht, und als er wieder zu Arthur blickte, sah er beinahe so etwas wie Verzweiflung in seinem Gesicht.
Arthur stellte schließlich das Glas weg. »Wir haben zweiundvierzig Todesser gefangengenommen, und vierundzwanzig weitere sind umgekommen, während eine uns unbekannte Zahl entkommen konnte.« Arthur nahm seine Unterlagen und ging ein wenig wackelig zurück zu seinem Platz.
Immerhin habe ich nicht den einzigen getötet, dachte Harry zumindest ein wenig erleichtert. Zwar war ihm schon das Gespräch mit Hermine eine große Hilfe, doch diese Tatsache war für ihn fast ebenso wichtig.
»Ich danke Ihnen, Arthur«, sagte Fudge und blickte nun Kingsley Shacklebolt an. »Gibt es noch etwas hinzuzufügen?« fragte er höflich, und Kingsley erhob sich von seinem Stuhl.
»Allerdings«, sagte dieser und ging ebenfalls zum Rednerpult. »Wir haben eine interessante Sache entdeckt. Unter den zweiundvierzig Todessern, die wir gefangennehmen konnten, waren mindestens sechzehn der aus Osteuropa entführten Zauberer und Hexen. Sie stehen aber nicht unter dem Imperius-Fluch, sondern unter einem gänzlich neuen Zauber, der aber eine ähnliche Wirkung hat. Leider haben wir im Moment noch keine Möglichkeit gefunden, ihn aufzuheben. Professor Snape ist allerdings mit einigen anderen dabei, Tränke zu brauen, die uns möglicherweise helfen könnten. Viele andere der gefangenen Todesser stammen ebenfalls aus Osteuropa, und es scheint, als ob Vol-de-mort dort im großen Stil neue Gefolgsleute rekrutiert. Dieser Angelegenheit müssen wir mehr Aufmerksamkeit widmen, und unsere Aufklärungsarbeit sollte intensiviert werden. Ich denke, wir können es uns nicht leisten, dem tatenlos zuzusehen. V-Voldemort stockt seine Armee schneller auf, als wir es können, und lange wird uns die größere Qualität nicht retten können.« Kingsley nickte einmal allen zu und ging zu seinem Stuhl zurück.
Fudge erhob sich. »Gut. Nun möchte ich selbst auch noch etwas sagen. Ich sprach vergangene Nacht mit dem Premierminister der Muggel und habe versucht, ihm die Situation zu erklären, doch ich bin nicht sicher, ob er das ganze Ausmaß begreift. Er war schockiert über die letzten Entwicklungen, und ich konnte ihn nur mit Mühe überzeugen, ruhig zu bleiben. Er hat mir allerdings klargemacht, daß er sich das Ganze nicht mehr lange anschaut. Wenn wir das Problem mit den ständigen Übergriffen auf seine Bürger nicht in den Griff bekommen, will er sich selbst darum kümmern. Auch als ich erwähnte, daß er damit keinen Erfolg haben würde, wollte er sich nicht davon abbringen lassen. Ich weiß also nicht, wie lange wir ihn noch im Griff haben.« Fudge trank einen Schluck Wasser und wandte sich dann zu Dumbledore: »Möchtest du noch etwas sagen, Albus?«
»Ich denke, zu gestern nacht brauche ich nichts mehr zu sagen. Die wesentlichen Elemente wurden zur Sprache gebracht, und nun bleibt mir nur noch das Thema, mit welchem sich das Dokument vor uns allen befaßt. Ich denke, ein jeder hat es inzwischen gelesen, und ich möchte noch einmal betonen, wie interessant ich diese ganze Angelegenheit finde. Mit Spannung hatte ich selbst darauf gewartet, es endlich lesen zu können, und ich denke, es ist durchaus wert, sich näher damit zu beschäftigen. Zwar wird es uns nicht immer und in jedem Fall helfen können, doch haben die beiden Schilde größeres Potential bewiesen, als ihnen bisher zugestanden wurde, und sie verdienen es, weiter studiert zu werden. Ich denke, Mr. Potter wird selbst weitere Erfahrungen mit ihnen sammeln wollen; aber auch die Abteilung für Experimentelle Zauberei sollte sich dieser Thematik annehmen. Sobald es von einer der beiden Seiten Fortschritte zu vermelden gibt, sollten wir noch einmal zusammenkommen und uns darüber austauschen. – Möchtet du noch etwas sagen, Harry?«
»Ähhm … eigentlich steht alles, was ich sagen könnte, schon in meinem Aufsatz«, erwiderte dieser schüchtern und blickte zu Fudge, der nun nickte.
»Gut. Damit hätten wir auch dieses Thema besprochen. Wir werden Albus' und Mr. Shacklebolts Empfehlungen folgen und können uns nun den neuesten Erkenntnissen von Mr. Lupin zuwenden. Albus, ist Mr. Potters Anwesenheit länger erforderlich?« Fudge sah Dumbledore dabei drängend an, und Harry wußte sofort, daß er ihn gerne aus dem Raum haben würde.
»Sie ist nicht erforderlich im eigentlichen Sinne, doch, denke ich, hat er sich seine Teilnahme gestern redlich verdient«, erwiderte der Angesprochene und blickte Harry stolz an.
»Nun gut«, gab sich Fudge leicht verstimmt geschlagen und blickte nun Mad-Eye an, der prompt aufstand und sich laut räusperte, bevor er seinen Bericht begann:
»Mr. Lupin teilte mir vor einer Stunde die neuesten Informationen mit. Die Vampire haben Voldemort in der Nähe von Piteşti in Rumänien aufgespürt, und offenbar hat er dort irgendwo sein momentanes Hauptquartier. Im Augenblick wissen sie noch nicht, wo genau, doch Remus hofft, dies noch innerhalb des nächsten Tages in Erfahrung bringen zu können. Sollte ihm dies gelingen, wäre ein schnelles Eingreifen unsererseits erforderlich und unabdingbar, und wir sollten alles dafür Nötige in die Wege leiten.
Weitere neue Informationen, die er hat, betreffen geplante Entführungen. Die nächsten sollen in zwei Tagen durchgeführt werden, und zwar in Rumänien und Bulgarien. In Rumänien lebt die Zielfamilie in Prahova, nicht weit östlich von Piteşti. In Bulgarien ist das Ziel in der Stadt Lom nahe der rumänischen Grenze ansässig. Remus hofft, noch genauere Informationen bekommen zu können, und ich empfehle dringend, in beiden Städten Kräfte zu stationieren, um gegebenenfalls schneller eingreifen zu können, falls wir Voldemorts Versteck bis dahin doch noch nicht ausfindig machen konnten.« Mad-Eye setzte sich.
»Nun gut. Ich denke, auch diesen beiden Empfehlungen werden wir folgen, und ich beauftrage hiermit Alastor Moody, sich um alles Weitere zu kümmern.« Fudge machte eine Pause, ehe er weitersprach: »Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?« Fudge blickte in die Runde. Harry bemerkte, wie alle begannen, ihn anzustarren.
»Du kannst wirklich einen Unverzeihlichen Fluch abwehren?« fragte ein älterer Zauberer, den Harry nicht kannte.
»Ich versichere dir, Kenneth, er kann!« bekräftigte Dumbledore mit Nachdruck.
»Ich würde es zu gern sehen«, meinte der alte Zauberer und blickte Harry erwartungsvoll an.
Harry wurde unwohl in seiner Haut, und er wollte sich lieber nicht vorstellen, was Hermine in diesem Augenblick dachte. Er blickte unsicher umher.
»Eine weitere Demonstration ist eigentlich nicht erforderlich, aber ich überlasse diese Entscheidung Harry«, beschied Dumbledore.
Harry rutschte tiefer in seinen Stuhl und zuckte zusammen, als ihn plötzlich jemand von hinten umarmte. Sofort wußte er, daß es nur Hermine sein konnte. »Zeig's ihnen!« flüsterte sie für andere unhörbar, küßte ihn auf die Wange und ging einfach in Richtung Tür.
Harry drehte sich zu ihr um und sah noch, wie sie lächelnd die Tür schloß. Weiter waren alle Augen auf ihn gerichtet, und so erhob er sich langsam.
Hoffentlich war das die richtige Entscheidung, dachte Hermine, warf Harry einen letzten Blick zu und schloß lächelnd Tür. Sie ging den Gang zurück zu Fudges Büro und traf auf den Zauberer, der sie dort empfangen hatte.
»Wo sind bitte die Waschräume?« fragte sie und hörte plötzlich ein lautes Summen aus dem Besprechungssaal kommen.
»Vier Türen weiter und dann links. Sie können es nicht verfehlen.«
Hermine bedankte sich und folgte schnell dem Gang. Krampfhaft versuchte sie, nicht daran zu denken, was sich jetzt bei Harry abspielte, und betrat die Waschräume. Zielstrebig ging sie zum Waschbecken und öffnete den Hahn mit dem kalten Wasser. Mehrmals spritzte sie sich das kühle Naß ins Gesicht und versuchte dabei, ihre Haare trocken zu halten. Sie starrte in den Spiegel und sah ihre roten Augen. Warum mußt du nur schon wieder heulen, es kann doch nichts passieren, dachte sie betrübt, und noch einmal erfrischte sie das kalte Wasser.
Ob es schon vorbei ist? Sie starrte weiter in ihre eigenen Augen. Langsam schloß sie den Hahn und trocknete sich das Gesicht mir einem Papiertuch. Ohne Eile drehte sie sich um und starrte auf die Tür. Sie wußte nicht, ob sie schon zurückgehen sollte, und legte nur ganz zögerlich die vier Schritte bis zur Türklinke zurück, ehe sie die Tür öffnete und wieder auf dem Gang stand. Sie blickte zurück zum Besprechungssaal und konnte dort weder etwas sehen noch etwas hören. Ganz langsam schloß sie die Tür und begann zurückzulaufen. Als sie nur noch fünf Meter von der Tür entfernt war, ging diese plötzlich auf, und Mad-Eye kam mit einem breiten Grinsen heraus.
»Du hast dir völlig umsonst Sorgen gemacht«, sagte er, als er sie bemerkte.
Schon tauchte Harry hinter ihm auf. Er lief die zwei Meter zu ihr, fiel in ihre ausgebreiteten Arme und küßte sie. »Lief super«, jubelte er und küßte sie noch einmal. »Ich habe zwei Cruciatus-Flüche und zwei Imperius-Flüche gleichzeitig abgewehrt. Du hättest mal die anderen sehen sollen, die standen nur ungläubig und mit offenem Mund rum, während Dumbledore die ganze Zeit gelächelt hat.« Harry sah in Hermines strahlendes Gesicht.
Dumbledore tauchte hinter ihm auf. »Wahrlich eine unglaubliche Demonstration von Zauberkraft«, meinte er und legte einen Arm um Harrys Schultern. »Wir sollten nun in die Schule zurückkehren. Das Abendessen wartet.«
Langsam führte Dumbledore sie zurück zu Fudges Büro. Hinter ihnen kamen einige weitere aus dem Besprechungsraum, und Harry konnte noch mehr ungläubige Kommentare hören. Nacheinander benutzten die drei den Kamin, und als sie schließlich im Büro des Schulleiters ankamen, wandte sich Dumbledore noch einmal Harry zu:
»Auch wenn du dich heute einmal mehr selbst übertroffen hast, bitte ich dich dennoch inständig, bei Voldemort nicht nur auf diesen einen Zauber zu vertrauen. Er ist ein unglaublich mächtiger Magier, und du hast selbst erlebt, wie es deinem Schilde bei eurem letzten Aufeinandertreffen ergangen ist.«
Harry sah es noch einmal vor sich, und er erinnerte sich an die Geräusche, als wäre es gerade eben erst passiert. Unbewußt griff er Hermines Hand, fühlte sich gleich wieder ein wenig besser und ging mit ihr zum Essen, während ihnen Dumbledore in geringem Abstand folgte.
»Was für einen Trank meinte Professor Dumbledore, der besser schmeckt, als er riecht?« fragte Hermine dabei so leise, daß ihr Schulleiter sie nicht hören konnte.
»Keine Ahnung, wie er heißt, aber Snape hat ihn auch für mich gebraut … sind Eierschalen der Charjaven drin, soll einen stärken und gegen Alpträume und Übelkeit helfen.«
Sie sah sogleich ein wenig bedrückter aus. »Wenn der Professor so was braucht, scheint es doch noch ernster zu sein, als er sagen will.«
Die Worte Hermines gingen Harry auch noch beim Abendessen durch den Kopf, bei dem die beiden den anderen von ihrem Besuch im Ministerium erzählten. Als Harry davon erzählte, wie er vier Unverzeihliche Flüche zur gleichen Zeit abgewehrt hatte, bekamen die anderen leuchtende Augen.
»Ist ja Wahnsinn, Kumpel«, strahlte Ron und klopfte ihm stolz auf die Schulter, »aber ich wette, Mum wird davon nicht so begeistert sein wie ich.« Er verschlang seinen Nachtisch in nur wenigen Sekunden. »Du kannst nur hoffen, daß Dad nix erzählt«, sagte er mit vollem Mund, daß Harry Mühe hatte, ihn zu verstehen.
»Er sagt ihr sicher nichts … Dad ist ja nicht lebensmüde. Wenn sie erfährt, daß er es nicht verhindert hat, bringt sie ihn glatt um«, meinte Ginny und grinste dabei ihren Bruder an. Auch die anderen begannen zu grinsen, denn jeder kannte die Familienverhältnisse der Weasleys nur zu gut, hatte doch die ganze Familie die Zeit nach der Schlacht in Hogwarts verbracht.
Den Rest des Abends ließ Harry, zusammen mit seiner Angebeteten, gemütlich auf der Couch ausklingen, während sie einfach nur müßig herumsaßen und den anderen bei allerlei Aktivitäten zusahen. Harry wußte nicht so recht, ob er allen von den dreihundert toten Muggeln erzählen sollte, doch er entschied am Ende, es nicht tun. Er wollte ausschließlich Ron und Neville vor dem Schlafengehen einweihen, die es dann Ginny und Luna sagen sollten. Gegen elf verabschiedete er sich von Hermine und ging mit den beiden Jungen nach oben.
