Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem generellen Plot und ein paar unbedeutenden Namen. Alle originalen Charaktere und Schauplätze, die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.
Kapitel 19 - Quidditch / McNally / Krum / Zauberstäbe
»Willkommen zum heutigen Match Gryffindor gegen Slytherin. An diesem herrlich sonnigen Tag erwartet uns das absolute Highlight der Saison. Wer dieses Spiel für sich entscheiden kann, wird den Pokal mit nach Hause nehmen. – Da kommen schon die Spieler Gryffindors. Angeführt werden sie wie immer von ihrem Kapitän Ron Weasley. Direkt dahinter folgen Newcomerin Francis Claymore, die überraschend für Katie Bell einspringen muß. Dann ist da noch Andrew Kirke, der sich in diesem Jahr schon erheblich gesteigert hat und inzwischen eine ganz gute Figur abgibt. Ihr Sucher Harry Potter läuft ganz am Ende, und vor ihm laufen noch Ginny Weasley, Colin Creevey und Jack Sloper …
Und da kommen auch schon die Slytherins. Angeführt von ihrem Kapitän Neil Warrington, und direkt dahinter Phillip Voss, der heute als Jäger antreten wird. Dahinter kommt Angus Murtaghur, der diesmal den Sucher macht und damit auf Potter treffen wird. Das wird sicher ein spannendes Duell. Natürlich sind auch heute wieder Steve Baddock, Jason Welling, Graham Pritchard und Jeff North dabei. Die beiden Kapitäne treffen sich jetzt mit Madam Hooch, und sie bedeutet ihnen, sich die Hände zu schütteln. Sie zögern ... jetzt tun sie's doch.«
Die dunklen Augen von Angus Murtaghur zogen Harry einen Moment lang magisch an, ehe er ein angriffslustiges Funkeln in ihnen sah, was ihn nachdenklich stimmte. Warum spielte er diesmal Sucher, fragte er sich, stieg aber wie alle anderen auf seinen Besen. Der Pfiff ertönte, und er hob sofort ab. Schnell beschleunigte er das Tempo und stieg auf dreißig Meter, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Als er sich umdrehte, erkannte er Murtaghur ganz in seiner Nähe, dieser schien ihm aber nicht so direkt zu folgen, wie Malfoy es immer getan hatte. Eher war es so, als würde er ihn beschatten und sich dabei ein wenig abseits halten. Auch die beiden Treiber zogen kurz Harrys Aufmerksamkeit auf sich. Welling und North hatten einen der beiden Klatscher unter ihrer Kontrolle und spielten sich diesen gegenseitig zu. Es war eine ungewöhnliche Taktik, und Harry hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte.
Im gleichen Moment hörte er schon, wie Clarke das erste Tor kommentierte. »Ein herrliches Tor von Ginny Weasley. Die Treiber der Slytherins haben völlig versagt und sie nicht am Torwurf gehindert, obwohl sie kaum zehn Meter entfernt an ihnen vorbeigeflogen ist. Nicht mal eine Minute gespielt, einfach unglaublich.«
Sofort hielt Harry wieder Ausschau nach dem Schnatz und flog eine weitere Runde um das Stadion. Dabei behielt ihn Murtaghur immer im Auge, blieb aber auf etwa dreißig Meter Abstand, während auch er sich hektisch umsah. Leicht verwirrt bemerkte Harry, daß ihm North und Welling weiter folgten, während sie sich ununterbrochen den Klatscher zuspielten. Ich glaube, die haben es auf mich abgesehen, dachte er bei sich und gab ein wenig mehr Gas.
»Herrlicher Angriff der Slytherins … doch perfekt gehalten von Ron Weasley. Damit steht es weiterhin zehn zu null für Gryffindor«, hörte Harry von Clark und versuchte vergeblich, den Abstand zu seinen drei Verfolgern zu vergrößern.
Das ist irgendeine wirre Taktik, dachte er und beschleunigte weiter. Er flog über die jubelnden Hufflepuffs hinweg und bog in eine unglaublich enge Linkskurve. Nur ganz knapp flog er unter Warrington hindurch und ging in einen Looping, um endlich seine Verfolger abzuschütteln.
Immer auch ein wenig den Rest des Spieles beobachtend, sah er, wie Ginny den Quaffel an Francis gab, diese unter Baddock durchtauchte und ihn dann zu Colin warf, der immer, wenn er Quidditch spielte, auf Harry einen so völlig anderen Eindruck machte.
Einer Eingebung folgend, sah Harry zurück zu Murtaghur, und das im genau richtigen Moment. Dieser hatte plötzlich seine Beschattung aufgegeben und brach nach links unten weg. In Sekundenbruchteilen entschied sich Harry, es ihm gleichzutun, und beschleunigte auf das Maximum, während er ebenfalls nach links unten wegbrach.
Sich weit nach vorn lehnend, holte er alles aus seinem Besen heraus, konnte aber nur langsam aufschließen. Der hat einen guten Besen, dachte Harry, als er vor Murtaghur den Schnatz aufblitzen sah. Er glaubte schon, zu spät zu kommen, als Murtaghur überraschend von einem Klatscher in die Seite getroffen wurde und nach links wegdriftete.
Prompt sah Harry den Schnatz, sah aber auch einen Klatscher, der nun auf ihn zukam. Unverzüglich mußte er nach rechts ausbrechen, konnte nur knapp entwischen, verlor dabei aber den Schnatz wieder aus den Augen. Sein Mannschaftskollege Andrew lächelte ihm zu und schlug schon den nächsten Klatscher in Richtung Voss davon.
Harry versuchte, Murtaghur ins Sichtfeld zu bekommen, doch er konnte ihn nicht sehen. Hinter ihm tauchten dafür North und Welling auf und spielten sich schon wieder einen Klatscher zu. Plötzlich schoß Murtaghur durch die beiden hindurch und kam schnell auf ihn zu. Unsicher sah er sich um, konnte aber nichts erkennen. Murtaghur wurde immer schneller und schoß wie eine Gewehrkugel an ihm vorbei. Nervös versuchte er, irgend etwas zu erkennen, beschloß aber vorsichtshalber, dem anderen Sucher zu folgen. Maximal beschleunigend holte er Murtaghur schnell wieder ein, doch der wurde seltsamerweise wieder langsamer.
Plötzlich zog sein Gegner steil nach unten, und Harry folgte instinktiv. Wronski-Bluff, spukte es in Harrys Schädel, und dieser Eingebung folgend, brach er den Sturzflug ab. Murtaghur dagegen stürzte weiter und zog nur wenige Meter vor dem Boden den Besen steil wieder noch oben. Er steifte trotzdem das Gras und hinterließ eine tiefe Spur. Unbewußt mußte Harry lächeln, als der Slytherin sich zornig umblickte und Harry dreißig Meter über sich kreisen sah. Sofort ging auch Murtaghur wieder auf Höhe und flog in schnellem Tempo einen weiten Kreis um Harry herum, der sich einen Moment auf das restliche Spielgeschehen konzentrierte.
»Gryffindor führt noch immer mit dreißig zu zehn Punkten und ist erneut im Angriff. Eine schnelle Abfolge von Pässen. Wo ist der Quaffel? Da ist er, Francis Claymore hat ihn und fliegt auf Pritchard zu. Was für ein Manöver!«
Plötzlich sah er hinten in der Nähe der Gryffindor-Tribüne etwas aufblitzen. Umgehend beschleunigte Harry, doch auch Murtaghur näherte sich schon von der Seite an. Harry holte aus seinem Besen heraus, was nur in ihm steckte, doch Murtaghur war nicht viel langsamer. Beide schossen über die Tribüne hinweg, und Harry hätte schwören können, daß er dort Mad-Eye und Arthur gesehen hatte. Der Schnatz machte eine Ausweichbewegung nach rechts, und Harry folgte ihm in eine scharfe Kurve. In seinem Rücken kreuzte Murtaghur seine Flugbahn, war plötzlich auf Harrys anderer Seite und kam schnell näher. Der Schnatz und der Sieg waren nah, und Harry wollte zugreifen, als ihm Murtaghur hart in die Seite flog. Harry reagierte zu spät, wäre fast vom Besen geflogen und geriet ins Taumeln.
Einen Moment lang konnte er Clark hören: »Beide verlieren die Kontrolle … o nein, sie schmieren ab.«
Der Boden kam immer näher, und Harry bekam seinen Besen nicht unter Kontrolle. Instinktiv beschleunigte er im Fallen den Besen, so stark er konnte, und schaffte es doch noch, rechtzeitig hochzuziehen.
Mit Schweiß auf der Stirn sah er sich um und erkannte Murtaghur, der seinen Treibern Anweisungen zubrüllte, die Harry aber nicht verstehen konnte. Hastig suchte er wieder den Schnatz, doch war er schon erneut entwischt. North und Welling kamen ihm wieder deutlich näher und spielten sich weiter einen Klatscher zu. Diese Taktik verwirrte Harry noch immer und machte ihn sogar ein wenig nervös. Es war unverständlich für ihn, warum sie sich nur auf ihn konzentrierten und die Jäger einfach punkten ließen.
»Vierzig zu zehn … herrliches Tor von Ginny Weasley!« schrie Clark begeistert.
Gleichzeitig flog Harry auf Ron zu. Dieser nickte ihm offenbar bestätigend zu, und sofort danach schoß Harry auch schon an ihm vorbei. Als er sich dann umblickte, hatte er die beiden Treiber noch immer im Nacken.
»Was soll das nur?« sagte er leise zu sich selbst, flog über Hermines Kopf hinweg, die ihm dabei zuwinkte und ging in eine weitere Stadionrunde.
Aufmerksam beobachtete er das Spielgeschehen ein wenig, als Murtaghur überraschend auf ihn zuschoß und Harry hart nach oben ziehen mußte. Sie flogen so schnell und so nah aneinander vorbei, daß er den Luftdruck spüren konnte. Da ist er, dachte Harry begeistert und flog weiter steil nach oben. Innerlich Murtaghur für sein schwachsinniges Manöver dankend, sah er den Schnatz.
Dieser war nur zwanzig Meter genau über ihm, kam ihm aber zu schnell entgegen, was er erst in dem Moment bemerkte. Diese Möglichkeit zum Sieg konnte er deshalb nicht nutzen und mußte fluchend sofort in einen Looping gehen, um dem goldenen Ding zu folgen. Als er gerade kopfüber an seinem Besen hing, riskierte er alles und trieb seinen fliegenden Untersatz zu Höchstleistungen an. Die Fliehkräfte waren extrem, doch konnte er sich gerade noch festhalten.
Auch Murtaghur hatte offenbar den Schnatz gesehen, steuerte er doch ebenfalls auf in zu. Harry stürzte nach unten, doch der Schnatz ging in einen waagerechten Flug über. Sofort steuerte er hinterher und ließ sich durch die zickzackartigen Ausweichbewegungen nicht verunsichern. Er war nicht mehr weit weg, als Murtaghur neben ihm auftauchte. Diesmal nicht, Bürschchen, dachte Harry und rammte dem anderen Sucher voll in die Seite. Dieser war jedoch offenbar darauf vorbereitet und hielt mit aller Kraft dagegen. Der Schnatz tauchte unter beiden hinweg, doch sie beachteten es gar nicht.
»Tor für Slytherin. Doch noch immer sechzig zu zwanzig für Gryffindor. Tolles Solo von Baddock«, hörte Harry undeutlich.
Er steckte einen Schlag in die Rippen ein und einen Moment später einen zweiten, der ihm die Luft raubte. Intuitiv flog er ein Stück nach rechts weg und steuerte sofort wieder hart auf seinen Gegner zu. Die beiden krachten zusammen, und Harry verlor fast seinen Halt. Zusammen entfernten sich weiter vom restlichen Spielgeschehen und hatten keine Augen für den gewinnbringenden goldenen Ball. Sie beharkten sich ununterbrochen, und alle paar Sekunden steckte Harry einen weiteren heftigen Schlag ein. Ich krieg' dich schon, du Schwein, dachte er grimmig und steckte noch einen Ellbogencheck gegen sein Ohr ein. Langsam reichte es ihm endgültig, und er zog plötzlich steil nach rechts weg. Murtaghur reagierte zuerst nicht, und Harry steuerte wieder voll auf ihn zu. Anscheinend erschrocken versuchte der Slytherin, in einer Linkskurve auszuweichen, doch Harry ahnte es voraus und flog die Kurve noch viel enger. Krachend rauschten sie zusammen, und Harry hatte ihn mit seinem Besenende voll in die Rippen erwischt.
Ein unglaubliches Gefühl der Genugtuung durchfloß Harrys Körper, als sich Murtaghur mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite hielt. Sich nun wieder nach dem Schnatz umblickend, sah Harry einen Klatscher auf sich zurasen. Er hatte keine Chance mehr auszuweichen, bekam ihn voll in den Rücken, wurde nach vorn geworfen und konnte durch den sofort einsetzenden starken Schmerz nicht mehr scharf sehen. Tränen fluteten seine Augen, und er hatte Mühe, sich wieder aufzurichten.
»Tor für Slytherin. Siebzig zu dreißig. Doch da, seht! Murtaghur hat wohl den Schnatz gesehen«, hörte Harry undeutlich, reagierte aber sofort.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah er sich nach ihm um. Der Slytherin flog nicht mit voller Geschwindigkeit, hielt aber zielstrebig auf etwas zu. Harry versuchte sich einen klaren Blick zu verschaffen und flog hinterher. Der Slytherin hing ein wenig schief auf seinem Besen, und Harry kam ihm schnell näher. Als er sich umblickte, waren die beiden Treiber nur zwanzig Meter hinter ihm und bereit, ihn mit einem Klatscher abzuschießen. Murtaghur wollte erst den linken Arm ausstrecken, doch zögerte er und nahm dann den rechten.
Wieder gab Harry alles und war nur Augenblicke danach an Murtaghur dran. Der Schnatz war fast zum Greifen nah, und ein warmes Gefühl der Vorfreude durchflutete Harry Körper. Ein Klatscher flog plötzlich auf beide zu, und sie mußten leicht erschrocken zur Seite ausweichen. Der Klatscher jagte nur knapp zwischen den beiden hindurch, und er konnte ihn dabei beinahe spüren. Beide steuerten wieder in Richtung Gegner und krachten zusammen.
Glücklicherweise war Harry plötzlich in der besseren Position und konnte ihn nun fast greifen. Wie in Zeitlupe löste er seine rechte Hand vom Besen.
Den nächsten Stoß von Murtaghur spürte er nicht – er sah nur, wie seine Hand ein wenig erzitterte. Der Schnatz war nur noch wenige Zentimeter entfernt, und Harry streckte seine Finger, so weit es ging. Er berührte ihn mit den Fingerspitzen.
Ein Stromschlag jagte dabei durch seinen Körper, und seine Nackenhaare stellten sich auf. Harry spürte einen stechenden Schmerz in den Rippen, doch es kümmerte ihn nicht. Gleich hab' ich dich, dachte er und begann seine Faust um den Schnatz zu schließen. Dieser machte eine Zickzackbewegung und war plötzlich verschwunden.
Harry bremste, so hart es ging, und stand beinahe in der Luft, als der Schnatz wieder vor ihm auftauchte. Jetzt hab' ich dich, dachte er und seine Hand peitschte durch die Luft, um ihn zu greifen. In den Augenwinkeln nahm er Murtaghur wahr, und dieser kam näher. Harry hatte seine Faust beinahe um die Kugel geschlossen.
Bum!
Sein Blick erzitterte und verschwamm. Er fühlte eine unglaubliche Hitze in sich aufsteigen und schloß für einen Moment die Augen.
Als er sie wieder öffnete, war er stark geblendet und konnte ein doch sehr gedämpftes Jubeln vernehmen, welches von vielen Buhrufen durchzogen war. Er hatte noch immer ein merkwürdig warmes Gefühl am Hinterkopf und irgend etwas im Haar, das spürte er genau. Es schien flüssig zu sein. Angestrengt versuchte er, den Schnatz in seiner Faust zu fühlen, doch da war nichts.
»Was – ist – passiert?« fragte er zittrig und wurde bewußtlos.
Als er das nächste Mal erwachte, war er kurz geblendet, erkannte dann aber Angus Murtaghur über sich gebeugt. »Das war wohl nichts, Potter!« sagte Murtaghur mit schmerzverzerrtem Gesicht, aber seine Stimme klang dabei überaus schadenfroh. Er hielt etwas in der Hand, und es glitzerte. Der Schnatz.
Verdammt dachte Harry. »Was? Ich verstehe nicht«, stieß er hervor und fühlte, wie jemand über seine Stirn streichelte, während er mit der anderen Hand seinen Kopf hielt. Er sah Hermine. Sie war es, die seinen Kopf hielt und seine Stirn streichelte. Sie weinte, und Harry ging ein Stromstoß durch den Körper.
»Wir haben verloren. Du konntest den Schnatz nicht greifen. Murtaghur hat ihn erwischt«, sagte jemand mit zitternder Stimme, und Harry erkannte, daß es Ron gewesen war.
»Ich … ich hatte ihn doch schon«, murmelte Harry schwach und starrte ungläubig seine leeren Hände an.
»Wir müssen Mr. Potter zum Krankenflügel bringen«, hörte er eine weibliche Stimme, und neben Hermines Gesicht tauchten Madam Pomfrey und Arthur auf. Harry war wieder weg.
Als er erneut aufwachte, sah er nur verschwommen und wußte sofort, woran es lag. Er suchte seine Brille, doch Hermine setzte sie ihm noch im gleichen Moment auf.
»Geht es dir wieder gut?« fragte sie und küßte ihn, bevor er antworten konnte.
»Ja, ich denke schon. Was ist passiert?«
Hermine griff wieder seine Hand. »Als du den Schnatz beinahe hattest und Murtaghur neben dir war, da traf dich ein Klatscher am Hinterkopf. Dann bist du gefallen, doch Colin konnte deinen Sturz abfangen«, berichtete sie, und Harry wollte sofort die Stelle fühlen. »Ich hielt deinen Kopf in meinen Schoß … überall an meinen Händen klebte soviel von … deinem Blut … ich … ich konnte es nicht abwischen.« Ihre Stimme zitterte, und Tränen liefen über ihre wunderschönen Wangen.
»Weine nicht, ich bin wieder okay!« tröstete er sie leise und wischte ihr die Tränen mit seinen Daumen sanft von der Wange.
»Du bist vom Besen gefallen, und wäre Colin nicht gewesen …«
»Dann war Murtaghurs Taktik also erfolgreich«, murmelte er mehr zu sich selbst, doch Hermine nickte.
»Ron hat es mir vorhin erklärt«, flüsterte sie. Langsam beruhigte sie sich wieder.
Der Typ ist gefährlich, dachte Harry und sah zum Fenster. Es war draußen schon dunkel. »Wie spät ist es?«
Sie strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Es ist fast Mitternacht.«
»Ron und die anderen?«
»Die sind im Gemeinschaftsraum. Ron war so sauer wie noch nie. Luna konnte ihn kaum beruhigen.«
»Waren sie auch hier?«
»Sie waren bis halb zehn hier. Dann hat sie Madam Pomfrey rausgeworfen, weil sie sich zu laut unterhalten haben«, sagte sie, küßte immer wieder seine Hand und streichelte über seine Stirnnarbe.
»Arthur und der Rest vom Orden sind wieder weg?«
»Ja, sind sie – genau, wie sie gesagt haben. Kaum war klar, daß du wieder wirst, sind sie ins Ministerium abgereist.«
»Hat Slytherin den Pokal bekommen?«
»Beim Abendessen haben sie ihn bekommen. Die ganze Halle hat sie ausgebuht. Murtaghur hat ihn ganz demonstrativ einmal durch die Halle getragen, bis ihm Adrian ein Bein stellte«, erzählte sie, und beide fingen beim Gedanken daran an zu lächeln. »Die ganze Schule hat ihn ausgelacht, doch ich wette, daß er sich dafür revanchieren wird.«
»Wo ist Madam Pomfrey?«
»Sie ist in ihrem Büro. Ich sollte sie eigentlich gleich holen, wenn du aufwachst.«
»Ich würde hier gern sofort rauskommen.«
Hermine stand auf und ließ sein Hand los. Sie ging zu Madam Pomfreys Büro und klopfte an die Tür. Nur Sekunden danach stand sie schon an seinem Bett und fühlte seine Stirn. »Wie geht es Ihnen? Haben Sie noch Schmerzen?«
»Nein. Ich fühle mich schwach, würde aber gerne gehen«, antwortete Harry und lächelte.
»Nun gut. Wenn Sie der Meinung sind, es geht, können Sie gehen.«
Vorsichtig richtete er sich auf. Ihm wurde für einen Moment schwindlig, doch dann kam sein Kreislauf wieder besser in Schwung. Auf zittrigen Beinen ging Harry hinter den Sichtschutz, und Hermine brachte ihm seine Sachen hinterher. Einen Moment stützte er sich an dem Sichtschutz ab, während sie zurück zu Madam Pomfrey ging. Er versuchte seine Hose anzuziehen, doch er tat sich schwer, das Hosenbein zu erwischen; beugte er hingegen den Kopf herunter, begannen sofort die Kopfschmerzen.
»Hermine, kannst du mir bitte helfen?« fragte er, und nur Sekunden danach war sie wieder bei ihm. Kein Wort war nötig. Sofort ging sie in die Hocke und hielt ihm die Hose hin. Harry schlüpfte hinein, und sie zog ihm die Hose hoch.
»Wenn Ihnen noch schwindelig ist, sollten Sie wenigstens noch einen Heiltrank zu sich nehmen. Ich gehe ihn sogleich holen«, hörte Harry von der anderen Seite des Sichtschutzes und zog das Krankenhemd aus.
Mühsam zog er sein T-Shirt und den Pullover an. Hermine half ihm derweil in die Schuhe und verknotete die Schnürsenkel. Als Harry vor den Sichtschutz trat, kam Madam Pomfrey gerade mit einem Becher zurück.
»Trinken Sie das«, ordnete sie an und reichte ihm den Trank. Harry leerte das Gefäß in einem Zug und gab es zurück.
»Vielen Dank wie immer!« sagte er und ging Hand in Hand mit Hermine hinaus.
»Willst du ins Bett?« fragte sie dabei.
Er schüttelte vorsichtig den Kopf. »Ich möchte mit dir im Wald schlafen«, antwortete Harry und ging mit ihr die Stufen nach unten.
Als sie vor Klassenzimmer elf standen, öffnete er die Tür, und sie traten ein. Gemeinsam liefen sie auf die Lichtung, und sie breitete ihren Umhang auf dem Moos aus. Es war eine herrliche Sommernacht, und die beiden legten sich ganz langsam hin, wobei sie ihm helfen mußte. Anschließend legte sie ihren Kopf auf seine Brust, und er streichelte ihr durch ihr glänzendes Haar. Nur Minuten später waren die beiden friedlich eingeschlafen.
Als Harry am nächsten Morgen erwachte, war es im Wald noch immer tiefste Nacht. Auf seine Uhr sehend, weckte er Hermine mit einem zärtlichen Kuß auf die Stirn.
»Zeit zum Frühstücken«, flüsterte er leise und küßte sie noch mehrere Male.
Als sie in die Große Halle kamen, saßen Ron und die anderen schon beim Essen. »Morgen, ihr zwei! Wo wart ihr denn? Wir wollten dich heute morgen besuchen, doch Madam Pomfrey sagte, ihr wärt schon gegen Mitternacht gegangen.«
»Wir haben nicht weit von hier geschlafen. Ich wollte nicht im Krankenflügel bleiben«, gab Harry zurück und setzte sich neben ihn. Er hatte seinen gesunden Appetit wiedergefunden und langte ordentlich zu.
»Haust ja ganz schon rein. Hast dich also von unserer Niederlage und deiner Verletzung wieder gut erholt?« Ron schien irgendwie mies gelaunt und schob seine halbvolle Schale Cornflakes weg.
»Was soll ich mich groß aufregen? Wir haben verloren, und ich kann es nicht mehr ändern. Ich konzentriere mich sofort wieder auf Wichtigeres«, sagte Harry mit halbvollem Mund und schob noch etwas hinterher.
»Ihr habt nicht nur verloren. Ihr wurdet von ihnen gedemütigt«, meinte Gregory und sah verächtlich zu Angus Murtaghur und seine Bande hinüber.
»Ja, sie haben uns eiskalt ausgetrickst. Den Pokal haben sie dafür nicht verdient«, knurrte Ron und klang dabei ziemlich angefressen.
»Wir müssen das schnell vergessen. Gönn ihnen den kleinen Triumph. Wir schlagen sie dort, wo es drauf ankommt – auf dem wahren Schlachtfeld!« erwiderte Harry voller Zuversicht und trank einen Schluck Milch.
»Bist du wieder völlig in Ordnung?« fragte Ginny leicht besorgt, und da Harry den Mund voll hatte, nickte er nur.
»Du hast so schlimm geblutet. Ich hab' mir wirklich Sorgen gemacht«, gestand Luna überraschend ernst und hakte sich bei Ron unter.
»Hermine war voller Blut, und sie konnte es nicht wegzaubern. Sie stand unter Schock«, berichtete Neville und fing sich dafür von Hermine einen bösen Blick ein.
Harry bemerkte das sofort und drückte ihr einen langen Kuß auf. »Du mußt ihm deswegen nicht böse sein. Wenn du so geblutet hättest, wäre ich auch geschockt gewesen«, flüsterte er beinahe unhörbar und lächelte sie an.
»Was, wenn einmal dein Leben von meiner Reaktion abhängt und ich nicht reagieren kann? Es ist nicht das erste Mal, daß ich wie festgefroren bin«, klagte sie und klang dabei sehr ängstlich.
Er nahm sie in den Arm. »Das wird nicht passieren. Ich habe in dich vollstes Vertrauen. Wenn es wirklich darauf ankommt, wirst du wieder mein Leben retten. So, wie du es auch schon ein paarmal getan hast. Das weiß ich so sicher, wie ich weiß, daß ich dich liebe.«
Plötzlich wurde es laut in der Großen Halle. Harry blickte zu Dumbledore und sah, daß er leise mit einigen Lehrern sprach. Er erhob sich und räusperte sich einmal, während es sofort still wurde. Gebannt starrten alle Augen nur auf ihn.
»Ich habe schlechte Nachrichten«, begann Dumbledore. »Voldemort ist zurück in England. Er hat gerade ein Dorf an der Grenze zu Schottland angegriffen. Augenblicklich werde ich mit einigen der Lehrer eingreifen müssen.«
Er nahm einen Teller in die Hand. Sofort wußte Harry, daß er daraus einen Portschlüssel machen wollte, der sie ins Kampfgebiet bringen würde. Instinktiv sprang Harry auf und suchte den Blick von Dumbledore. Langsam ging er schon auf ihn zu, doch als sich ihre Blicke trafen, sah er ihn bereits mit dem Kopfe schütteln. Seinen Kopf zurück zu Hermine drehend, tauschte er einen kurzen, aber intensiven Blick mit Angus Murtaghur. Dieser hatte ein unnatürlich fieses Grinsen im Gesicht, und Harry hätte schwören können, daß er ihn laut lachen hörte, obwohl er seinen Mund nicht bewegte. Leicht nervös ging Harry zurück zu Hermine, und sie schloß ihn sofort in ihre Arme. Als er sich erneut zu Dumbledore umsah, waren dort nur noch Hagrid, Professor Vektor und Madam Hooch.
Vektor bat um Ruhe. »Der Unterricht entfällt zumindest heute vormittag. Ich bitte alle Schüler, in ihre Gemeinschaftsräume zurückzukehren und dort zu bleiben, bis ein Lehrer sie holen kommt.«
Harry und die anderen standen auf und machten sich auf den Weg nach oben. Dort konnte er sich wie alle anderen nur schwer aufs Lernen konzentrieren – doch schließlich siegte sein Wille über seine Neugier.
Als gegen zwei Uhr noch immer kein Lehrer aufgetaucht war, begannen sich die Schüler immer größere Sorgen zu machen. Nur wenige konnten jetzt noch irgend etwas Sinnvolles tun, und die meisten waren bereits in Spekulationen verwickelt.
Kurz nach halb drei tauchte im Gemeinschaftsraum ein kleines Buffet auf, und alle hungrigen Schüler versorgten sich mit Essen. Gegen fünf sprachen ausnahmslos alle über die Situation, und nicht ein einziger ging jetzt noch einer produktiven Beschäftigung nach.
Kurz vor sechs Uhr kam endlich die Erlösung. Ein Zettel tauchte im Raum auf, der ihnen mitteilte, daß sie in die Große Halle kommen sollten. Ohne Zeit zu verlieren, gingen sie wieder alle nach unten und wurden von Dumbledore und den anderen Lehrern schon erwartet. Professor Snape und Professor McNally fehlten.
Dumbledore wartete noch einige Minuten, bis sich alle Schüler im Saal versammelt und ihre Plätze eingenommen hatten. »Heute ist erneut ein trauriger Tag für uns. Voldemort hat ein kleines Dorf nahe der schottischen Grenze angegriffen und praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Er hat mit einer etwa hundertfünfzig Mann starken Armee gegen über dreihundert unserer Verbündeten gekämpft, und trotzdem konnten wir ihn nur mühsam zurückschlagen.«
»Die DA hätte helfen können«, flüsterte Harry Ron zu und verpaßte ein paar Worte von Dumbledore.
»… am Ende eine Niederlage einstecken müssen und konnten ihn nicht daran hindern, uns erneut zu entkommen. Wir konnten zwar einen Großteil seiner Armee neutralisieren, doch auch wir haben große Verluste zu beklagen. Auch ein sehr geschätzter Kollege ist von uns gegangen, während ein weiterer schwer verletzt wurde. Professor Snape wird etwa zwei Wochen im St.-Mungo-Hospital bleiben müssen, während Professor McNally« – ein Raunen ging durch die Schüler, und auch Harry war leicht geschockt – »morgen auf dem Friedhof hier in Hogwarts beigesetzt werden wird. Ferner sind am heutigen Tage fast vierzig weitere Todesopfer in unseren Reihen zu beklagen, und fast einhundert wurden zum Teil sehr schwer verletzt.
Der Kampf hat etwa bis dreizehn Uhr gedauert, und bis kurz nach sechzehn Uhr haben die Versorgung und der Transport der Verletzten und Toten in Anspruch genommen. Unter den Muggeln gab es eine weit größere Zahl von Opfern – sie liegt bei über fünfhundert. Ich bedauere sehr, es euch mitteilen zu müssen, doch leider sind unter allen Todesopfern auch drei Elternteile von Hogwarts-Schülern. Ich bitte ihre Freunde, sich um die drei zu kümmern und ihnen zu helfen, über den schweren Verlust hinwegzukommen. Leider von uns gegangen sind der Vater von Connie Wu, die Mutter von Cecilia Borrows und der Vater von Reginald Thomson.«
Nur Sekundenbruchteile danach sah Harry die drei in Tränen aufgehen. Keinen von ihnen kannte er. Alle drei wurden sofort von den Umsitzenden getröstet, und Vektor, Flitwick und McGonagall eilten zu ihnen. Als Harry durch die Reihen der Schüler blickte, sah er so viele verängstigte Gesichter, daß ihm schlecht wurde. Allerdings sah er auch etwas, was ihm Hoffnung gab: er sah in die Gesichter der DA-Mitglieder, und in ihnen spiegelte sich die pure Entschlossenheit. Harry spürte, wie sich Hermine fester an ihn klammerte.
»Wir versuchen, den Unterricht morgen wie gewohnt aufzunehmen, und werden die ausgefallenen Lehrer entsprechend ersetzen. Professor Snape wird auf eigenen Wunsch in den nächsten zwei Wochen wieder von Miß Granger ersetzt, und für Professor McNally werden wir euch hoffentlich beim Abendessen eine Vertretung bis Schuljahresende nennen können. Ich bitte euch jetzt, in die Gemeinschaftsräume zurückzukehren. Abendessen gibt es heute um acht.«
Dumbledore ging eiligen Schrittes auf Harry und Hermine zu. »Ich möchte euch beide gerne auf ein Gespräch in mein Büro bitten.«
Die beiden erhoben sich ein wenig unsicher und folgten ihrem Schulleiter aus der Großen Halle, wobei sie Probleme hatten, mit ihm Schritt zu halten. Sie kamen ein wenig außer Atem in seinem Büro an und setzten sich auf die Stühle an seinem Schreibtisch. Unterwegs hatten sie nicht ein Wort gesprochen.
»Jetzt kommt erneut eine kritische Phase«, begann Dumbledore und setzte sich ebenfalls. Er räusperte sich einmal. »Ich möchte dich bitten, Verteidigung gegen die dunklen Künste zu übernehmen. Ich kann dafür leider weder Remus noch Alastor entbehren und auch keinen anderen. Dich als Lösung des Problems zu wählen, ist äußerst naheliegend, selbst wenn du es im Moment noch nicht glaubst.«
Er blickte Harry in Erwartung einer Antwort an, der sich wirklich unwohl fühlte. »Professor, ich weiß nicht recht.«
Dumbledore lehnte sich zu Harry herüber. »Den Lehrplan bekommst du selbstverständlich von Remus. Du mußt mit den Schülern auch fast nur noch Wiederholungen durchführen. Das Jahr ist beinahe vorüber, und es wird niemandem außer dir möglich sein, sich noch auf die Schnelle in den Stoff einzuarbeiten. Ich sage es, wie es ist: Es wird mir nicht möglich sein, für die Stelle noch einen Besseren zu finden.«
Harry war davon völlig überrascht. Mit so etwas hätte er nie im Leben gerechnet. Klar, Zehnjährige zu unterrichten hätte er sich noch vorstellen können, doch wie sollte er Hunderte von Schülern fast einen Monat lang unterrichten. Harry hatte darauf absolut keine Antwort. Erst nach und nach löste sich der Schleier der Verwirrtheit, und ihm fielen Fragen ein.
»Wie soll ich das mit meinem eigenen Unterricht in Einklang bringen? Ich habe zum Ende des Jahres doch auch Prüfungen«, wand er ein und blickte Dumbledore unsicher an.
»Ihre beide werdet natürlich einen Zeitumkehrer benutzen«, gab Dumbledore zurück, holte einen weiteren aus seiner Schublade, gab ihn Harry und lächelte weise.
»Sir, das kann gar nicht unentdeckt bleiben. Jedem in unserer Klasse wird auffallen, daß wir weiter am Unterricht teilnehmen, während wir in den anderen Klassen Unterricht geben«, warf Hermine ein.
Dumbledore lächelte noch breiter. »Das laßt nur meine Sorge sein. Da braucht ihr wirklich keine Sorgen zu haben. Niemand in eurer Klasse wird euch wahrnehmen, zumindest wenn ihr diesen Trank vorher einnehmt.« Er holte aus seinem Schreibtisch zwei kleine Flaschen. Harry fragte sich, was diese wohl enthielten. »Trinkt je einen Schluck, bevor ihr in eure Klasse geht, und vermeidet danach, mit den anderen zu sprechen. Ihr werdet dem Unterricht nur still folgen können und dürft dabei niemandem auffallen. Solange ihr dies beachtet, ist eure Anwesenheit unkritisch. Eure Lehrer werde ich darüber informieren, so daß euch daraus kein Nachteil erwächst. Da euer Tag fast doppelt so lang wie normal wird, könnt ihr euch auch drei Stunden mehr Schlaf gönnen.«
Nun mußte auch Harry lächeln. Dumbledore hatte wirklich alles durchdacht, und so blieb ihm eigentlich nichts anderes übrig, als einzuschlagen, bis ihm plötzlich eine andere Frage in den Kopf kam. »Aber Professor! Warum benutzt nicht Professor Flitwick einen Zeitumkehrer und unterrichtet seine Klasse und Professor Snapes Klasse parallel.«
»Weil er bereits jetzt schon einen Zeitumkehrer benutzt und gleichzeitig in Osteuropa auf der Suche nach deinen Verwandten ist.«
Nun wurde Harry erst richtig neugierig. »Und die anderen Lehrer? Mad-Eye oder Remus, auch sie könnten einen benutzen.«
Nun grinste Dumbledore fast schon. »Das tun sie schon – ausnahmslos. Alle im Orden leisten mehr, als ein normaler Zauberer leisten könnte.« Er zwinkerte ihnen zu, und Harry fühlte, daß er dazu nichts mehr sagen würde.
»Okay. Ich mache es«, erklärte er schließlich, steckte den Zeitumkehrer in die Tasche und streckte ihm die Hand hin.
»Jeden Morgen werdet ihr beide eine kleine Flasche mit diesem Trank auf eurem Nachttisch finden. Vergeßt nicht, ihn zu nehmen. Es ist von elementarer Bedeutung und wird für einen reibungslosen Ablauf dieses ganzen Unternehmens sorgen«, schärfte Dumbledore ihnen noch einmal ein und schüttelte Harrys Hand.
»Und wie geht's jetzt weiter?«
Dumbledore strahlte die beiden an. »Nach dem Abendessen kommt ihr in das Lehrerzimmer. Dort geben wir euch noch weitere Anweisungen. Ich bin so überaus stolz auf euch beide. Ihr übernehmt eine Verantwortung in euren noch so jungen Jahren, die selbst ich nie zu tragen imstande gewesen wäre.«
Harry konnte den Stolz und die Bewunderung in den Augen seines Schulleiters erkennen und vergaß dabei kurzzeitig, daß ein Lehrer gestorben war. Dies wurde ihm erst wieder schmerzlich bewußt, als er mit Hermine im Gemeinschaftsraum eintraf. Die Stimmung war so gedrückt wie nie zuvor. Sie erzählten Ron und den drei anderen von Dumbledores Plan, und keiner von ihnen schien sonderlich begeistert, daß Harry nun ebenfalls unterrichtete.
»Ist nicht so, daß ich es dir nicht zutraue oder so … aber ich hab' die Befürchtung, daß du bei diesem gewaltigem Extrapensum irgendwann mal zusammenbrechen könntest«, meinte Ron. Ginny nickte zustimmend.
»Mach dir deswegen keine Sorgen. Sind ja nur drei Wochen. Die schaffe ich schon noch«, versicherte Harry und hoffte inständig, daß er es auch wirklich schaffen würde.
Die Zeit bis zum Abendessen wollte überhaupt nicht vergehen. Alle trauerten um Professor McNally, und man gedachte auch der anderen Toten; vor allem sprach man auch über die drei Schüler, die ein Elternteil verloren hatten. Diese Lehrstelle ist wahrhaftig verhext, dachte Harry, als er Professor McNally geistig vor sich sah, wie er ihnen in einer der DA-Stunden einen Fluch gezeigt hatte. Man sprach auch über Snape, und alle fragten sich, was ihm wohl fehlte, wenn er volle zwei Wochen bis zu den Prüfungen außer Gefecht sein sollte.
Kurz bevor es Zeit wurde, zum Abendessen wieder herunterzugehen, kam Ron noch einmal auf Harry und Hermine zu. »Die beiden nächsten Wochen werden echt hart für euch, aber wenn ihr irgendeine Hilfe braucht, müßt ihr es uns nur sagen. Wir sind immer für euch da!« versicherte er ihnen und klopfte ihnen auf die Schulter.
»Ich danke dir, Kumpel«, sagte Harry sichtlich erleichtert, und auch Hermine lächelte Ron für seine Worte an.
Beim Abendessen verkündete Dumbledore die neue Nachricht, und ein Raunen ging durch die Große Halle, ehe viele anfingen zu jubeln. Harry sah Angus Murtaghur mit Pansy Parkinson tuscheln, und zu seiner Verwunderung grinsten die beiden. Während des Essens war Harry zwar nur das zweitwichtigste Thema, doch konnte er etliche Schüler sehen, die verstohlen zu ihm herüberblickten und sofort danach zu flüstern begannen. Gesprächsthema Nummer eins war natürlich noch immer der Angriff, und das änderte sich bis zum Ende des Essens nicht mehr.
Nach dem Essen wollten Ron und die anderen noch lernen gehen, während Harry und Hermine in das Lehrerzimmer mußten. Als die beiden die Große Halle verließen, trafen sie draußen auf die drei Schüler, deren Vater oder Mutter bei dem Gefecht getötet worden waren. Sie standen mit ihren Koffern wie ein Häufchen Elend da und warteten darauf, daß Dumbledore sie mit einem Portschlüssel nach Hause schickte. Das konnten Harry und Hermine aber nicht mehr beobachten, da sie auf direktem Weg zum Lehrerzimmer gingen, bis sie schließlich vor den beiden Wasserspeiern standen. Harry öffnete die Tür, und sie traten ein. Das Lehrerzimmer, ein langer, holzgetäfelter Raum voll alter, nicht zusammenpassender Stühle, war beinahe leer. Nur Professor McGonagall war schon da und saß in einem Sessel vor dem Kamin, wo sie einige ihrer Unterlagen durchsah.
Sie sah kurz auf und begrüßte sie: »Schön, daß ihr kommt. Wir warten noch auf die anderen.«
Die beiden setzten sich in ihre Nähe, und Harry spielte nervös an seinen Händen. Er sah Hermine an, und zu seiner Überraschung war sie beinahe völlig entspannt. »Mach dir keine Sorgen. So schlimm wird es nicht«, beruhigte sie ihn und küßte ihn kurz auf die Wange.
»Professor McGonagall, kann ich Sie etwas fragen?« erkundigte sich Harry vorsichtig.
Sie blickte von ihren Unterlagen auf. »Solange wir ›Lehrer‹ unter uns sind, kannst du mich gern Minerva nennen«, sagte sie und lächelte ihn verschmitzt an.
»Ähhm … das … das kann ich nicht«, stotterte Harry ein wenig kleinlaut.
»Das finde ich sehr schade. Aber wenn Sie darauf bestehen, Mr. Potter …«
»Ähhm, also meine Frage, Mi–nerva. Wie soll ich mit den Schülern … umgehen? Ich bin da einfach unsicher.«
»Behandele die Schüler, wie du ein Mitglied der DA behandeln würdest; es gibt keinen Unterschied. Niemand erwartet von dir, daß du dich wie ein Lehrer mit zwanzigjähriger Berufserfahrung verhältst«, riet sie ihm und blickte wieder auf ihre Unterlagen.
Nach einigen Minuten füllte sich der Raum langsam, und als Dumbledore als letzter eintraf, setzen sich alle an den Tisch. Dumbledore hatte eine Tasche dabei und holte dort Unterlagen hervor.
»Ich möchte dann Harry im Kreis der Lehrer willkommen heißen, und dich, meine liebe Hermine, möchte ich wieder in diesem Kreise begrüßen. Die Gründe für eure Ernennung sind leider ernst und sehr traurig, doch nichtsdestotrotz dürfen wir uns davon in unserer Arbeit nicht beeinflussen lassen. Hier habe ich die Unterlagen für Hermine. Du übernimmst diesmal, genau wie auch Harry, den Unterricht von der ersten bis zur siebten Klasse. Du gehst mit ihnen noch einmal die prüfungsrelevanten Tränke durch und auch die Bedeutung einiger ausgewählter Zutaten.« Er schob die Unterlagen zu Professor Flitwick, der reichte sie weiter, und so kamen sie schließlich bei ihr an. »Die rot markierten sind die Tränke, Zutaten und Themengebiete, die in der Prüfung vorkommen werden, und die gelben sind die, die du zusätzlich noch einmal wiederholen solltest. Ein oder zwei von den roten Themen solltest du jeweils nicht wiederholen, wir wollen die Prüfung ja nicht zu leicht machen. Solltest du mit irgendeinem der Themen für die siebte Klasse Probleme haben, so scheue dich nicht, dich bei mir oder einem der anderen Lehrer zu melden. Für so etwas finden wir mit Leichtigkeit eine Lösung. Du wirst ferner sehen, daß für deinen Jahrgang keine roten Markierungen vorhanden sind. Dies dürfte auch in deinem eigenen Interesse sein. Der Rest läuft genauso wie beim letztenmal, damit dürfte für dich beinahe alles klar sein.«
Hermine nickte und blätterte durch die Unterlagen.
»Kommen wir zu dir, Harry«, fuhr Dumbledore fort und schob nun die Unterlagen für ihn zu Professor Flitwick, der sie ebenfalls weiterreichte. »Prinzipiell ist es bei dir sehr ähnlich. Rot markiert sind die Prüfungszauber und Themengebiete, und gelb markiert sind die, welche du ebenfalls wiederholen solltest. Ein oder zwei der roten Themen solltest auch du jeweils auslassen. Zwar dürfte es bei dir mit dem Stoff an und für sich keine Probleme geben; falls ich mich aber irre, melde dich bitte bei einem von uns.«
Harry nickte.
»Wichtig ist für euch noch, daß ihr den Zeitumkehrer korrekt einsetzt. Dafür stelle ich euch zwei leere Klassenzimmer zur Verfügung. Sie sind im zweiten und im dritten Stock und nur nach Eingabe eines Paßwortes zu betreten. Im zweiten Stock ist es Zimmer neunzehn, und das Paßwort lautet ›Dubitare‹; im dritten Stock ist es Zimmer vierzehn, und das Paßwort lautet ›Fuscina‹.«
Die beiden nickten.
»Benutzt die Zimmer abwechselnd, damit ihr eurem anderen Ich nicht begegnet, und vergeßt nicht, den Trank vor jeder eurer eigenen Stunden zu trinken. Hier habt ihr noch einen Plan von mir.« Dabei reichte er zwei Blätter herüber; während Harry daraufblickte, sprach Dumbledore weiter. »Dort steht, wann und wo ihr sein solltet und was ihr dort zu tun habt. Streicht alles durch, was ihr bereits erledigt habt. Ich habe auch die eine oder andere zusätzliche Schlafpause vermerkt, nutzt sie auch. Mit diesem Plan verhindern wir Fehler. Ein jeder von uns hat einen solchen und hält sich akkurat daran. Das ist von elementarer Bedeutung.«
»Habt ihr noch Fragen?« Professor McGonagall sah die beiden prüfend an.
»Eigentlich ist soweit alles klar für mich«, erwiderte Harry.
»Das ist schön. Bei dir auch, Hermine?« Diese nickte.
»Dann könnt ihr euch jetzt für morgen vorbereiten gehen. Bleibt mir nur, euch viel Erfolg zu wüschen«, schloß Dumbledore und blickte auf seine Uhr. Er stand auf und eilte aus dem Raum. Auch Harry und Hermine erhoben sich und verließen mit Professor McGonagall das Lehrerzimmer.
»Meine Tür steht euch immer offen«, sagte sie noch zum Abschied, bevor sie in Richtung ihres Büros davonging.
Harry kehrte mit Hermine in den Gemeinschaftsraum zurück und begann sofort damit, sich auf den morgigen Tag vorzubereiten. Er ging alle Sprüche durch, die er wiederholen mußte, und stellte sicher, daß er sie ohne Probleme beherrschte. Dagegen war Hermine in die Kerker hinuntergegangen und bereitete die Zutaten vor, die sie für den nächsten Tag benötigen würde.
Kurz vor elf trafen sie sich wieder im Gemeinschaftsraum, kuschelten noch eine Viertelstunde vor dem Kamin und sprachen über ihre Vorbereitungen, ehe sie schlafen gingen.
Der nächste Tag begann für Harry ziemlich gut. Nachdem er sich beim Frühstück ausgiebig gestärkt hatte, begann er den Tag mit dem Unterricht in Verteidigung gegen die dunklen Künste in der dritten Klasse von Hufflepuff und Ravenclaw. Er wiederholte alle Sprüche, die mit den Rotkappen zu tun hatten, und ging im Schnellverfahren noch einmal ihre Eigenschaften und Besonderheiten durch. Alles lief problemlos, und so war die Doppelstunde ein guter Start in den Tag. Seine Schüler schienen mit ihm zufrieden gewesen zu sein, und so war es Harry auch.
Anschließend ging er sofort in den zweiten Stock, benutzte seinen Zeitumkehrer und trank einen Schluck von dem Zaubertrank. Dieser schmeckte ein wenig eigenartig, doch damit mußte er wohl leben. Nun mußte er in den Unterricht von Professor McGonagall, wo er absolut niemandem auffiel. Während McGonagall noch einmal einige Verwandlungszauber wiederholte, blickte sich Harry in der Klasse um. Einen Nachteil hatte das Ganze aber, dachte er leise seufzend, als er Hermine nirgends entdecken konnte.
Schließlich brachte er die Zeit bis zum Mittagessen hinter sich und hatte besonders beim Unterrichten mehr Spaß, als er für möglich gehalten hätte. Als er hungrig hinunter in die Große Halle ging, bemerkte Ron ihn nicht, obwohl er neben ihm ging. Der Trank hatte seine Wirksamkeit noch nicht verloren, so daß er ihm auf die Schulter schlagen mußte, um ihn auf sich aufmerksam zu machen.
»Hi, Ron!« rief er zugleich und fing ihn auf, bevor er vor Schreck die Treppen hinunterstürzen konnte.
»Mach so was – nie – nie – wieder«, warnte Ron ihn leicht verärgert, bevor er ihn für seine Unsichtbarkeit bewunderte.
Beim Mittagessen tauchte auch Hermine plötzlich neben Harry auf, und er hätte beinahe seine Gabel fallen lassen. Als er sich wieder gefaßt hatte, lächelte er sie erst einmal an und küßte sie danach gierig. Da die beiden seit dem Frühstück schon eine Doppelschicht hinter sich gebracht hatten, verschlangen sie ihr Essen beinahe ein wenig zu hektisch, was doch ein wenig zuviel Aufmerksamkeit auf sie lenkte. Die beiden ließen sich davon jedoch nicht wirklich aus der Ruhe bringen, aßen aber trotzdem ein wenig gesitteter weiter.
Der Nachmittag verlief für sie auf ähnliche Art und Weise. Erst gaben sie selbst Unterricht und gingen danach in ihren eigenen. Dabei fiel ihm das Unterrichten ungewöhnlich leicht, was er vor allem auf seine Erfahrungen in der DA zurückführte, und so saß er beim Abendessen recht zufrieden mit Ron und Hermine am Tisch. Die schrecklichen Ereignisse, die dazu geführt hatten, daß er nun Aushilfslehrer war, hatte er inzwischen vollständig verdrängt. Erst als Dumbledore nach dem Essen ankündigte, daß die Beisetzung von Professor McNally in wenigen Minuten auf dem Friedhof stattfinden würde, kehrte die Erinnerung daran zurück.
Mit der gesamten DA folgte er Dumbledore nach draußen auf den Friedhof, und sofort kamen seine eigenen Erinnerungen an die Schlacht wieder hoch. Für einen kurzen Moment sah er die beiden riesigen feuerspeienden Drachen, die einige Todesser in Brand gesetzt hatten; er hörte erneut ihre Schreie und fühlte beinahe so etwas wie Zufriedenheit in sich, was in ihm einen merkwürdigen Ekel vor sich selbst hervorrief.
Gemeinsam liefen sie über den Friedhof, der vor gar nicht langer Zeit noch ein gewaltiges Schlachtfeld gewesen war, auf dem sich die Leichen und die Verwundeten gestapelt hatten. Harry sah die DA-Staffeln über den Friedhof jagen und wie sie Flüche gen Boden geschickt hatten. Unbewußt griff er Hermines Hand und drückte sie fest. Die Vision seiner hier gestorbenen Freunde drängte sich Harry in den Geist, und er mußte sich zwingen, diese Bilder zu ignorieren. Er wollte nicht hier sein. Dies war kein guter Ort. Mit jedem Schritt wuchs sein Unbehagen, doch er riß sich so gut, wie er konnte, zusammen. Auch einigen anderen sah er an, daß sie sich mehr als nur unwohl fühlten, doch ließ sich keiner von seinen Emotionen überwältigen.
Nach wenigen Minuten waren sie an einem Loch im Boden angekommen, und nicht weit vom Rand des Friedhofs entfernt stand eine prachtvolle schwarze Kutsche. Ein Sarg wurde herausgezogen und von sechs Männern getragen. Neben dem Sarg lief ein wohl älterer Mann in leicht gebeugter, trauriger Haltung, und Harry fragte sich, wer das wohl war. Neben diesem lief ein Geistlicher, und die beiden näherten sich nun rasch der Versammlung. Der Sarg wurde von Ordensmitgliedern getragen, und Harry erkannte sofort den Rotschopf ganz am Ende: es war Arthur Weasley. Als die Männer mit dem Sarg angekommen waren, stellten sie ihn auf dem Boden ab. Arthur nickte kurz ihm und seinen Kindern zu.
Der Geistliche hob seinen Zauberstab, und der Sarg erhob sich. Langsam glitt er durch die Luft und landete sanft in dem Erdloch. Der Geistliche trat hinter den Grabstein, den Harry erst jetzt wahrnahm. David McNally stand darauf, und ihm wurde bewußt, daß er den Vornamen seines Lehrers bisher nicht gekannt hatte. In Gedenken an einen mutigen Mann und einen liebevollen Sohn, las Harry in Gedanken, und tatsächlich bekam er feuchte Augen. Der alte Mann mußte sein Vater sein, dachte er und sah ihm für einen Augenblick in die alten und verwirrten Augen. Tränen spiegelten sein Gefühlsleben wider, und er wirkte auf Harry wie ein gebrochener Mensch.
»Niemand sollte seine Kinder begraben müssen«, flüsterte Hermine so leise, daß nur Harry es vernehmen konnte, doch ihre Worte brannten sich in sein Hirn.
Der Geistliche sprach ein paar wenige Worte, doch Harry bekam sie nicht wirklich mit. Er sah nur auf den alten Mann, der plötzlich zurückblickte. Er schien Harrys Narbe zu bemerken, und nur für einen winzigen Moment – da lächelte er. Harry konnte es nicht glauben. Dieser Mann begrub gerade seinen Sohn und lächelte ihm dabei zu. Es war nur für einen kurzen Moment gewesen, doch er verwirrte Harry überaus. Als der Geistliche mit seiner Rede geendet hatte, machte er eine kurze Bewegung mit seinem Zauberstabe, und eine kleine Menge Erde flog von einem Haufen auf den Sarg. Dumbledore trat einen Schritt vor, sprach einige wenige Worte und wiederholte das Ritual. Auch die anderen Lehrer und die sechs vom Orden taten es ihm gleich und ließen eine kleine Menge Erde hinuntergleiten. Harry war als einer der nächsten an der Reihe, doch er konnte sich nicht rühren. Er starrte auf das Grab und wußte nicht, warum ihn der Tod dieses Mannes so mitnahm. Eine Träne lief über sein Gesicht. Er hatte McNally kaum gekannt und für ihn eigentlich nur Achtung und Respekt empfunden, was ihm aber eigentlich als nicht genug erschien, um hier zu weinen.
Bei Sirius war es ihm klar gewesen. Er hatte sehr viel für seinen Paten empfunden, und sein Tod war für ihn deshalb überaus tragisch gewesen, auch, weil er an seinem Tod eine Mitschuld trug. Dieses starke Gefühl der Verletzbarkeit hatte sonst nur noch Hermines Entführung und zweimonatiges Verschwinden in ihm ausgelöst. In seinem Augenwinkel bemerkte er, daß Hermine ihn ansah, doch so richtig nahm er dies nicht wahr. Seltsamerweise starrte er nur weiter den alten Mann an, und eine weitere Träne lief seine Wange hinunter. Nach und nach strömten die anderen an ihm und Hermine vorbei und ließen mit einem Schwenk ihres Zauberstabes Erde in das Grab fallen.
Wenige Minuten später löste sich die Menge langsam auf, doch Harry stand weiter wie angewurzelt da. Wieder lächelte ihm der alte Mann einen Moment zu, ehe er flüsternd ein paar Worte mit Dumbledore austauschte und auch dieser für einen Moment lächelte.
Viele waren schon gegangen, und nur noch Dumbledore, der Geistliche, der alte Mann und wenige Schüler waren da. Auch die letzten von ihnen ließen nun Erde auf den Sarg gleiten und folgten den anderen zurück in die Schule. Als nur noch die fünf übrig waren, sorgte der Geistliche dafür, daß auch die restliche Erde den Sarg bedeckte, und der alte Mann holte seinen Zauberstab aus dem Umhang. Er murmelte etwas, und auf dem Grab erschienen die schönsten Blumen, die sich Harry nur vorstellen konnte. Sie strahlten in allen Farben und brannten sich in seine Augen ein. Seine Tränen waren versiegt, und Hermine hatte sich inzwischen bei ihm untergehakt. Der Geistliche tauschte noch ein paar Worte mit Dumbledore und ging zurück zur Kutsche, wo die sechs Mitglieder des Ordens warteten. Der alte Mann kam auf Harry zu und lächelte wieder.
Er hob seine Hand und sagte mit einer kraftvollen Stimme einfach nur ein einziges Wort: »Danke!«
Er lächelte auch Hermine einige Sekunden lang an, ehe sein Blick Harrys Hand suchte, die an seiner Seite baumelte. Langsam führte Harry sie nach oben, und er schüttelte sie. Die beiden sahen sich dabei einen Moment lang in die Augen, und irgend etwas war jetzt anders.
Der alte Mann ließ seine Hand los, drehte sich um und ging dem Geistlichen langsam hinterher, während ihm Harry nach starrte. Der Geistliche wartete nicht weit entfernt auf McNallys Vater und stützte ihn den Rest des Weges. Zu viele Gedanken gingen Harry in diesem Moment durch den Kopf, als er wieder zu Dumbledore hinüberblickte. Dieser näherte sich ihm und legte seine Hand auf Harrys Schulter. Von ihr ging eine große Wärme aus und durchflutete seinen Körper.
»Sir! Warum hat er mir zugelächelt … wofür dankt er mir?«
Auch Dumbledore schien einen Moment lang zu überlegen. »Gelächelt hat er, weil du in diesen schweren Zeiten jemanden an deiner Seite hast, der es für dich erträglicher macht. Er hat diese Person nicht mehr, weil seine Frau schon vor Jahren gestorben ist«, antwortete er schließlich und lächelte Hermine dabei an. »Bedankt hat er sich bei dir, weil du da bist und nicht aufgibst! Das gibt ihm Hoffnung.«
Einige Zeit lang sahen sie sich noch an, ehe er Harry und Hermine zum Schloß zurückführte. Sie gingen nur langsam, und so hatte Harry genug Zeit, darüber nachzudenken. Auch er würde sich gerne bei jemandem bedanken, und diese Person war ausnahmsweise nicht Hermine oder einer seiner Freunde.
»Sir … Albus, ich möchte mich bei … dir bedanken«, sagte Harry unerwartet und lächelte seinen Schulleiter an. »Sie sind immer da, wenn Sie jemand braucht, wenn ich Sie brauchte, und ohne Sie hätten wir … hätte ich schon längst verloren.« Überrascht entdeckte er in den Augen des alten Mannes tatsächlich einige Tränen, die nur Momente danach über seine Wangen kullerten und in seinem dicken weißen Bart versickerten, während er ihn warm anlächelte.
»Ich muß dir danken, Harry!« erwiderte er nur und ging langsam weiter.
Sie sprachen auf dem weiteren Weg kein Wort mehr; alles Wichtige war gesagt worden. Ihre Wege trennten sich. Harry ging allein in den Gemeinschaftsraum zurück und bereitete vier Stunden lang den nächsten Tag vor, während Hermine wieder in den Kerker ging, um ihrerseits alles zurechtzulegen. Danach lernten beide für Zauberkunst und gingen gegen vier Uhr ins Bett, aber nicht, ohne den Zeitumkehrer noch um fünf Stunden zurückzudrehen.
Der nächste Tag begann mit einer Schreckensnachricht. Nicht nur war im Tagespropheten alles über den Angriff auf das Dorf nahe der schottischen Grenze zu lesen, sie erfuhren von Dumbledore auch noch von einem weiteren Angriff. Diesmal war er wieder in London erfolgt und hatte über dreihundert Menschenleben gekostet. Voldemort hatte dafür nur wenige Minuten benötigt und damit jeglichen Kontakt zum Orden oder zu Ministeriumskräften vermieden. Die Stimmung in der Schule hatte einen neuen Tiefpunkt erreicht, und Dumbledore zeigte sich allmählich doch ein wenig ratlos.
Der Tag selbst verlief für Harry und Hermine wie am Schnürchen. Beide hatten keine Schwierigkeiten zu meistern, waren am Abend aber wieder überaus erschöpft. Trotzdem lernten beide, so gut es nur ging, noch für ihre eigenen Prüfungen und gingen nach einem langen Tag erschöpft ins Bett.
Der nächste Morgen war nicht besser. Wieder konnten sie alles über den letzten Angriff im Propheten lesen, während ihnen Dumbledore schon von dem neuesten Angriff berichtete. Er hatte in Liverpool stattgefunden und weitere zweihundertfünfzig Leben gekostet. Diesmal gelang es aber immerhin Ministeriumskräften, einzugreifen und einige der Todesser zu töten und gefangenzunehmen. Harry hatte leichte Probleme, diese neuerlichen Schreckensmeldungen richtig zu verdauen, und sein Unterricht war für ihn beinahe ein Kinderspiel dagegen.
Als er mit Hermine zum Mittagessen die Große Halle betrat, war dort ein Tumult ausgebrochen: eine riesige Schülertraube stand um etwas herum, was man angesichts der Massen nicht erkennen konnte. Dumbledore stand wohl mitten darin und schien zu lächeln. Am liebsten hätte Harry das Ganze nicht beachtet, doch Dumbledore winkte plötzlich in ihre Richtung, was Harry als »Kommt bitte her!« interpretierte. Mühsam drängelten sie sich durch die Menge und standen plötzlich – direkt vor Viktor Krum. Warum konnte er nicht in Italien bleiben, dachte Harry mißmutig und zwang sich unter größter Anstrengung ein Lächeln ins Gesicht.
»Hallo, Hermine. Ich mußte kommen, um dich zu sehen. Dein Brief hat es mir nicht ausreden können«, sprach Krum und sah sie begeistert an.
Harry hatte Probleme zu glauben, daß da wirklich Viktor Krum sprach. Er hatte fast keinen Dialekt mehr, und sein Englisch war nahezu perfekt. Zwar sprach er noch ein wenig zu langsam, doch sogar Hermines Namen hatte er richtig ausgesprochen. Äußerlich hatte er sich nur wenig verändert, aber Harry glaubte, daß seine lange Nase noch ein wenig krummer geworden war. Er war auch nicht mehr ganz so schlank und hatte offenbar ein paar Muskeln aufgebaut, doch eigentlich war er noch immer der dunkelhaarige und fahlgesichtige junge Mann mit den dichten schwarzen Augenbrauen. Er war jetzt zwanzig Jahre alt und noch immer ein ganzes Stück größer als Harry – und auch kräftiger. Wütend möchte ich ihn nicht erleben, dachte Harry, während er ihn von Kopf bis Fuß musterte.
»Hallo, Viktor«, grüßte Hermine, sah dann gleich zu Harry und griff demonstrativ seine Hand. Darüber war Harry unglaublich glücklich, und ein wohliger Schauer jagte über seinen Rücken. Sie zeigte sofort, wer ihr Freund war und Viktor damit die kalte Schulter. »Du hättest nicht kommen sollen. Es gibt eigentlich nichts mehr zu sagen«, fuhr Hermine fort und zog Harry an ihm vorbei.
Viktor Krum war offenbar total perplex und sah ihnen nach. Selbst als Harry und Hermine längst am Tisch saßen und sich etwas auf ihre Teller taten, stand er noch immer da und starrte sie an, während um ihn herum die Traube nicht wirklich kleiner wurde. Immer wieder redete Dumbledore mit ihm, Viktor nickte und sprach seinerseits einige Worte zurück. Schließlich löste sich die Traube langsam auf, und Harry sah, daß auch Ron inmitten dieser gestanden hatte. Er kam mit Luna zu Harry an den Tisch.
»Er bleibt eine Weile hier. Dumbledore hat ihn eingeladen«, bemerkte Ron und schnappte sich etwas zu essen.
»Ron hat mir die Geschichte erzählt. Ich glaube, ihr habt ihn kalt erwischt«, meinte Luna und lächelte den beiden zu.
»Hat sicher nicht damit gerechnet, daß du es bist«, fügte Ron grinsend hinzu.
»Ganz sicher nicht«, murmelte Harry und fühlte sich seltsam unwohl in seiner Haut. Er sah, wie sich Krum endlich setzte und pausenlos jemand auf ihn einredete.
»Er wird wieder bei Slytherin untergebracht«, sagte Ron mit vollem Mund und gönnte sich einen Schluck Limonade. »Ich hoffe, es macht euch nichts aus, wenn ich versuche, mit dem weltbesten Quidditch-Spieler ein bißchen zu plaudern.«
»Ich hab' nichts dagegen«, versicherte Harry und fühlte sich merkwürdigerweise ein wenig eifersüchtig, obwohl ihm Hermine nicht den geringsten Anlaß geliefert hatte. Ganz im Gegenteil spürte er ihre Hand auf seinem Oberschenkel, und er selbst streichelte diese Hand, während er seinen Auflauf aß.
Während des Essens redete Hermine nicht viel, und Harry wußte, daß es ihr unglaublich unangenehm war, daß Krum ihren Brief ignoriert hatte. Kurz vor Ende des Essens erhob sich Dumbledore und begrüßte Krum offiziell wieder in Hogwarts. Er sagte, daß er einige Tage bleiben und im Wohnbereich der Slytherins ein Bett belegen würde. Überall in der Halle brachen die Slytherins in Jubel aus, und auch Angus Murtaghur und Pansy Parkinson sah Harry ausgiebig jubeln.
Nach dem Essen verschwanden Harry und Hermine schnell aus der Großen Halle und gingen in den zweiten Stock zum Zimmer neunzehn. Harry blickte sich kurz um und nannte das Paßwort: »Dubitare!«
Sie gingen hinein, und Hermine schien nur darauf gewartet zu haben, daß sie endlich allein waren.
»Warum ist er gekommen? Hab' ich mich nicht klar genug ausgedrückt?« fragte sie ihn verärgert.
Er sah sie ein wenig ratlos an. »Ich weiß es nicht. Ich fand deinen Brief eindeutig, aber vielleicht sieht man das in Bulgarien anders.«
»Was machen wir jetzt?« fragte sie und hielt sich an ihm fest.
»Ich weiß es auch nicht genau. Ich würde sagen, wir versuchen es zu vermeiden, allein auf ihn zu treffen. Wenn der andere dabei ist, kann er nicht so reden, wie er es wohl gerne würde.«
»Das ist eine glänzende Idee. Wir könnten uns auch häufig vor ihm küssen. Das macht es vielleicht klarer für ihn.« Zärtlich küßte sie ihn, wie zur Probe.
»Das gefällt mir sehr gut«, erwiderte er und spürte ihre weichen Lippen für eine weitere Ewigkeit auf den seinen.
»Wir könnten auch versuchen, ihn zu ignorieren, aber das wird wahrscheinlich nicht gelingen.«
»Wir warten mal ab, was er sagt, wenn er uns das erste Mal richtig anspricht. Wenn nicht gerade sein Fanclub dabei ist, wird es ja erst richtig interessant«, meinte Harry, und mit einem viel besseren Gefühl in der Magengegend verließen sie gemeinsam das alte Klassenzimmer, um sich wieder ihrem Unterricht zu widmen.
Das Gespräch, welches beide gerne vermieden hätten, kam am Abend zustande. Viktor trat während des Abendessens an die beiden heran und bat um ein Gespräch unter sechs Augen. Da es wohl unvermeidlich war, stimmten die beiden nach einigem Zögern schließlich doch zu, und so verabredete man, sich gleich nach dem Essen in den Raum der Wünsche zu begeben. Als die drei den Raum betraten, war er nicht sehr schön eingerichtet. Zum ersten Mal war er äußerst karg und kalt dekoriert, und die Stühle, die am Tisch bereitstanden, sahen äußerst unbequem aus. Zufrieden setzte sich Harry mit Hermine auf die eine Seite des Tisches, und Krum setzte sich in über zwei Meter Entfernung an die andere Seite. Wieder griff Hermine Harrys Hand, und sie tat dies absichtlich nicht unter dem Tisch.
»Warum bist du gekommen?« fragte sie kurz und knapp und eröffnete damit mutig dieses Gespräch.
»Weil ich dich noch immer liebe und dich zurückgewinnen will«, erwiderte er mit Nachdruck und warf Harry einen bösen Blick zu.
»Habe ich dir nicht damals in meinen Briefen schon deutlich genug gesagt, daß ich nicht mehr an dir interessiert bin?«
Nun wurde es für Harry interessant. Er hatte nie erfahren, was sich die beiden in den Sommerferien geschrieben hatten, und nachdem er mit Hermine zusammengekommen war, hatte es ihn auch nicht mehr wirklich interessiert.
»Doch, du hast deinen Standpunkt klargemacht. Aber inzwischen ist beinahe ein Jahr vergangen, und deine Bedenken von damals … scheinen … nicht mehr aktuell zu sein.« Erneut schenkte er Harry einen verächtlichen Blick.
»Das mag so sein, doch auch in meinem letzten Brief, der keine Woche her ist, habe ich doch eigentlich alles gesagt, was noch gesagt werden mußte.« Nach diesen Worten griff sie auch mit ihrer anderen Hand nach der von Harry.
»Es ist mir unangenehm, über meine Gefühle zu reden, wenn … dieser falsche Fuffziger dabei ist«, sagte Viktor und schoß nun Giftpfeile auf Harry ab.
»Ich habe damals die Wahrheit gesagt«, mischte sich Harry ein; er wußte genau, auf welches Gespräch Krum anspielte. Nun blickte ihn Hermine ein wenig neugierig an.
»Wie kommt es dann, daß ihr heute … mehr als Freunde seid?« In Viktors Stimme war so etwas wie Verachtung zu hören.
»Weil es so ist. Heute liebe ich sie so sehr, wie ein Mann nur eine Frau lieben kann«, erwiderte Harry.
Viktor winkte ab. »Du bist kein Mann! Hermine ist zwar eine Frau – aber du bist noch ein Kind!«
»Du bist nicht weniger Kind«, warf Hermine ein und streichelte mit ihrem Daumen aufmunternd Harrys Hand. »Jedenfalls benimmst du dich gerade so.«
»Ich war schon letztes Jahr ein Mann und bin es heute noch mehr. Das waren doch deine Argumente. Ich sei dir zu weit, wollte zu viel … zu schnell«, gab Viktor leicht hektisch zurück. Harry verstand nun besser, was vor fast einem Jahr zwischen den beiden gewesen war.
»Damals habe ich es aber noch nicht so gut beurteilen können, wie ich es heute kann«, erwiderte sie und warf Harry einen warmen Blick zu.
»Du hast mich damals schon viel mehr als nur gemocht, und ich wette, du tust es noch heute. Wenn du erst einmal wieder mehr Zeit mit mir verbracht hast, wirst du es schon sehen. Ich spüre, da ist noch was zwischen uns. Ich werde nicht aufgeben!« Er hielt ihr seinen Zeigefinger wie zur Drohung hin.
»Ich liebe nur Harry«, sagte sie und küßte ihn lange, direkt vor Viktors Augen, was diesen rasend, Harry aber glücklich machte.
»Du sahst nicht anders aus, als du damals mich geküßt hast«, bemerkte er, nun scheinbar wieder gelassen, aber in seinem Blick brannte noch immer die Eifersucht.
»Dann solltest du meinen Blick mal sehen, wenn wir andere Sachen machen«, meinte sie spitz, und Harry sah ihr sofort an, daß sie es sehr bereute. Sie lief sofort rot an, und auch Harry fühlte die Hitze in seinen Kopf steigen. Das war nun wirklich das letzte Thema, worüber er mit Viktor Krum reden wollte.
»Du solltest dein Gesicht sehen, wenn wir es erst getan haben. Bei mir hat sich noch keine beschwert«, prahlte Krum und lehnte sich lächelnd zurück.
Harry wußte, daß das genau Krums Thema war. Natürlich kannte sich der weltbeste Quidditch-Spieler in Italiens Profiliga, mit seiner riesigen Gage und den verrückten Groupies, auf diesem Gebiet viel besser aus, als Harry es tat, doch auch Hermine hatte sich bei ihm niemals beklagt – ganz im Gegenteil!
»Glaubst du, mit so was kannst du mir imponieren? Damit erreichst du nur das Gegenteil. Was soll ich von einem Mann halten, der sich damit brüstet, mit Dutzenden Frauen geschlafen zu haben?« Hermine war jetzt wütend, und Krums Lächeln verschwand. Wieder beugte er sich nach vorn und kam ihnen damit ein paar Zentimeter näher.
»Ich wette, noch vor Ablauf deines Schuljahres wirst du meine Hand halten und mich küssen. Damals hat er mir gesagt, daß zwischen euch nichts ist, daß er dich nicht liebt. Ich glaube nicht, daß es sich so schnell geändert hat«, donnerte Krum, stand auf und drehte sich um.
Harry stand ebenfalls auf. »Du irrst dich. Ich liebe sie mehr als mein Leben. Du hast ja keine Ahnung, was inzwischen passiert ist.«
»Wir werden sehen, ob das wirklich so ist«, entgegnete Viktor, ohne sich umzudrehen, und ging aus dem Raum. Kaum hatte er die Tür geschlossen, sahen sich Harry und Hermine lange in die Augen.
»Ich glaube nicht, daß wir ihn so schnell loswerden«, sagte Hermine und küßte Harry wie zum Trost.
»Mir egal. Solange ich dich an meiner Seite weiß, kann er solange bleiben, bis er schwarz wird.« Sie küßten sich lange.
Sie verließen den Raum und betraten ihn keine Minute später erneut. Diesmal war er mit einem herrlichen Kamin ausgestattet, und ein großes Himmelbett stand einladend bereit. Eilig versiegelte er sorgfältig die Tür, und nach zwei Stunden mußte Hermine die Versiegelung schon zum zweitenmal erneuern. Sie liebten sich, wie sie sich nie zuvor geliebt hatten, und Harry war sich so sicher wie niemals zuvor, daß Krum besser heute als morgen abgereist wäre. In diesen wenigen Stunden war Krums Mission endgültig zum Scheitern verurteilt worden, und Harry und Hermine waren die Scharfrichter gewesen.
Der nächste Tag war für die beiden nicht leichter. In jeder Minute, in der Harry und Hermine für Krum erreichbar waren, machte dieser ihr schöne Augen und putzte Harry verbal herunter. Schon beim Abendessen riß Harry beinahe der Geduldsfaden, doch Hermine konnte ihn noch im letzten Moment beruhigen. Als Harry seinem besten Kumpel Ron alles über die Sache mit Krum erzählt hatte, hatte dieser sich sofort hinter ihn gestellt, und er wollte nichts mehr mit Krum zu tun haben. Leider hatte dieser aber auch ohne Ron noch mehr als genug Bewunderer und mußte Hunderte Autogramme schreiben, was sich aber dann doch wieder als positiv herausstellte, da es ihn zumindest zeitweilig von Hermine ablenkte.
Die Lehrtätigkeit in Harrys eigener Klasse lief wie geschmiert, auch wenn sich Pansy Parkinson mit einigen anderen demonstrativ nicht beteiligte und ihn ununterbrochen angrinste. Harry hätte sich am Anfang dadurch beinahe aus der Ruhe bringen lassen, doch am Ende fand er es nur noch dämlich. In der siebten Klasse ging es ihm nicht anders: Angus Murtaghur und einige seiner Freunde beteiligten sich ebenfalls nicht am Unterricht, grinsten ihn aber ununterbrochen an, was Harry aber nicht davon abhielt, mit den anderen ein gutes Stück voranzukommen.
Nach dem Abendessen hatten Harry und Hermine wieder viel zu tun und bereiteten sich auf den Freitagsunterricht vor. Spät am Abend lernten sie wieder für ihre eigenen Prüfungen und bekamen mit Hilfe des Zeitumkehrers gerade noch genügend Schlaf.
Als Harry am Freitag aufstand, freute er sich schon unheimlich auf das Wochenende. Endlich würde er dringend benötigten Schlaf nachholen können, und er könnte sich in Ruhe auf die nächste Woche vorbereiten. Sein Tag verlief wieder völlig problemlos und er hatte sogar ein kleines bißchen Zeit, um sich mit Hermine eine Viertelstunde zum Knutschen zurückzuziehen, was beide sehr genossen.
Beim Abendessen tauchte dann plötzlich Professor Snape wieder auf. Seine Ankunft war auch für Dumbledore überraschend, trotzdem begrüßte er ihn herzlich. Harry sah sofort, daß es Snape noch überaus schlechtging, lief er doch nur langsam und war noch kreidebleicher als je zuvor. Selbst sein Blick war nicht ganz so tödlich wie sonst, und ab und zu verzog sich sein Gesicht vor Schmerzen. Offensichtlich quälte er sich sein Essen hinein und bekam auch nur geringe Mengen davon herunter, was Harrys schlechten Eindruck von ihm nur noch verstärkte. Nach dem Essen wurden Harry und Hermine in das Lehrerzimmer gebeten, und nach wenigen Minuten betrat auch Snape zusammen mit Dumbledore den Raum.
»Wie ihr sehen könnt, ist Professor Snape zurück und wird ab Montag auch wieder seinen Unterricht leiten. Zusätzlich hat er sich bereit erklärt, auch den Unterricht von Professor McNally zu übernehmen, so daß ihr von dieser Last wieder befreit seid«, verkündete Dumbledore lächelnd.
»Geht es ihnen auch gut genug, Sir?« fragte Harry und blickte Snape unsicher an.
Snape funkelte Harry merkwürdig an. »Mein Gesundheitszustand ist nicht Teil dieser Diskussion. Ich versichere Ihnen aber, daß Ihre Dienste nicht länger benötigt werden.«
»Dann benötigen wir die Zeitumkehrer ja nicht mehr«, sagte Harry und nahm seinen ab.
Dumbledore nahm ihn entgegen; als aber Hermine ihren ebenfalls ablegen wollte, schüttelte er den Kopf: »Gebt mir den anderen am Montag zurück. Das Wochenende könnt ihr ihn noch zum Lernen verwenden und somit ein wenig der Zeit gutmachen, die ihr in der letzten Woche verloren habt.«
»Vielen Dank, Professor. Wir gehen dann jetzt«, sagte Harry und erhob sich schon, als Snape sich räusperte.
»Wir haben Ihnen zu danken«, meinte dieser überraschend, und das hätte Harry beinahe über seinen Stuhl stolpern lassen. Dumbledore und auch einige der anderen Lehrer lächelten unmerklich. Harry war das alles irgendwie ein wenig suspekt.
»War uns eine Ehre«, sagte Hermine leise und gemeinsam verließen sie so schnell wie möglich das Lehrerzimmer.
»Hat sich Snape je bei dir bedankt?« fragte sie ihn, kaum vor der Tür, und er konnte nur ungläubig mit dem Kopf schütteln. Die beiden gingen in den Gemeinschaftsraum zurück. Viktor Krum war ebenfalls anwesend und stand einigen Schülern vor dem Kamin Rede und Antwort.
»Was macht der denn hier?« fragte Harry an Ron gewandt, der mit Neville Schach spielte.
»Wurde eingeladen, einige Drittkläßler«, antwortete Ron nur kurz, aber grimmig, und konzentrierte sich auf seinen nächsten Zug.
»Was wollte Dumbledore denn von euch?« fragte Neville und beobachte Ron, der angestrengt über den nächsten Zug nachdachte.
»Er hat uns von unseren Lehrerpflichten entbunden. Snape kümmert sich ab Montag darum«, erwiderte Harry, während er Ron bei seinem Zug zusah. Er schlug mit seinem Läufer Nevilles Springer.
»Schade. Ich hatte gehofft, Snape kommt erst nächstes Jahr zurück«, gab Neville zurück und machte nun seinerseits ein nachdenkliches Gesicht.
Viktor Krum schien Harry und Hermine bemerkt zu haben und stand plötzlich neben den beiden.
»Hallo, meine Schönste«, grüßte er fröhlich und wollte ihr einen Kuß auf die Wange drücken.
»Was soll denn das?« fragte Hermine leicht angewidert, als sie sich von ihm wegdrehen mußte, um seinem Kuß zu entgehen.
»Ich wollte meine Prinzessin nur angemessen begrüßen.«
Dafür fing er sich von Hermine einen deutlichen Blick ein. Innerlich mußte Harry darüber sogar grinsen, da Krum noch nie so dumm aus der Wäsche geguckte hatte.
»Ich möchte unter vier Augen mit dir sprechen«, fuhr er fort und hatte einen flehenden Ausdruck im Gesicht. Hermines harter Blick machte einem etwas gemäßigteren Platz, doch ihre Antwort war überaus deutlich.
»Aber ich möchte das nicht. Sieh es doch ein«, entgegnete sie genervt und zog Harry hoch in Richtung ihres Schlafsaales.
»Was hast du vor?« fragte Harry, während sie nur lächelte. Harry merkte, daß Krum ihnen folgte, begriff aber nicht, was Hermine damit bezweckte. Sie liefen die Stufen hinauf, und dann begriff er es doch noch.
»Kannst ja richtig gemein sein«, flüsterte er, und sie grinste inzwischen breit. Beide kamen oben an der Tür an, und Hermine öffnete sie, während Krum die Treppe erreichte und ihnen weiter folgen wollte. Keine Sekunde später rollte Krum die Rutschbahn herunter, und von unten konnten Harry und Hermine lautes Gelächter hören, wobei besonders Ron deutlich herauszuhören war. Hermine schloß die Tür und ging mit Harry zu ihrem Bett.
»Wollen wir gleich lernen?« fragte sie, und Harry nickte. Zwar hätte er lieber etwas anderes gemacht, und auch in ihrem Blicke sah er das gleiche Verlangen, doch die Prüfung war nicht mehr weit und für die DA hatten sie in der ganzen letzten Woche keinen Handschlag gemacht.
Die beiden fingen an zu lernen und gingen erst kurz vor zehn zurück in den noch immer gut gefüllten Gemeinschaftsraum. Von Viktor Krum war keine Spur zu sehen, was die beiden ungemein erleichterte. Harry ging zu Ron, Neville, Seamus und Dean, die ebenfalls am Lernen waren.
Als Ron die beiden bemerkte, fing er sofort an zu grinsen. »Ihr habt Viktor knapp verpaßt. Er hat weit über eine Stunde geduldig auf euch gewartet, doch dann haben ihn die anderen wohl zu sehr bedrängt, und so ist er wütend abgezogen.«
»Wenn er es einfach nicht verstehen will, dann tut es mir für ihn nicht leid«, meinte Hermine nur und ging zu Ginny und Luna.
»Was wollt ihr heute noch machen?« fragte Neville und blickte von seinen Aufzeichnungen für Geschichte der Zauberei auf, während er dabei herzhaft gähnte.
»Wir gehen noch in den DA-Raum. Müssen mal wieder an der Schildkombination arbeiten. Nächste Woche geht es mit der DA wieder weiter wie gehabt«, antwortete Harry und ging dann zu Hermine herüber. Diese schien sich mit Luna und Ginny über Viktor Krum zu unterhalten. Die Mädchen unterbrachen ihr Gespräch, als Harry in Hörreichweite kam, und er konnte gerade noch Krums Namen wahrnehmen.
Er wurde neugierig. »Was redet ihr über Krum?«
Ginny fing an zu grinsen: »Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen mußt, eher das Gegenteil.«
»Dafür hätte ich ja jetzt wirklich gern eine Erklärung«, meinte Harry ein wenig unsicher und kratzte sich verlegen am Kopf. Die beiden sahen Hermine grinsend an, und diese wurde ein wenig rot. Die Situation entspannte sich jedoch, als plötzlich Ron und Neville zu ihnen kamen und ihnen mitteilten, daß sie mitkommen wollten.
Gemeinsam verließen die vier den Gryffindor Turm und gingen zum DA-Raum. Unterwegs hielten Harry und Hermine Händchen, sprachen aber kein Wort. Kaum hatten sie den Raum betreten, der wieder perfekt zum Üben von Schilden eingerichtet war, zog sie ihn für einen Moment von den anderen weg.
»Die beiden wollten unbedingt wissen, ob Viktor gut küssen kann. Ich habe ihnen gesagt, daß er gut küßt«, sagte sie und lächelte verlegen.
»Dann verstehe ich Ginnys Kommentar nicht ganz«, erwiderte Harry irritiert, der sich von Ron beobachtet fühlte.
»Na ja … ich hab' ihnen auch gesagt, daß du deutlich besser küßt.«
»Wolltest mich also grad veräppeln?« Harry spielte den Schockierten und fing an sie zu kitzeln. Hermine krümmte sich schnell vor Lachen und konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten.
»Auf-hö-ren«, stammelte sie, aber Harry war gnadenlos. Am Ende lag sie auf ihm und küßte ihn lange, was Harry sehr genoß; und er spürte, daß es bei ihr genauso war. Tatsächlich erregte es ihn sehr, was sie schnell bemerkte und mit einem schelmischen Grinsen quittierte. Erst ein lautes Räuspern von Ron und Neville holte die beiden zurück.
»Deswegen sind wir aber nicht hier, oder?« ließ sich Ron vernehmen, und es hörte sich beinahe so an, als ob er die Frage ernst meinte.
»Nein, natürlich nicht«, meinte Hermine grinsend und stand auf. Ron half Harry auf die Beine, und alle vier bereiteten sich vor zu zaubern.
»Auf wen lassen wir die Schilde wirken?« fragte Neville.
»Ich würde sagen, wir fangen mit Ron an. Wenn es bei ihm zusammenbricht, ist das nicht so schlimm«, stichelte Harry und grinste Ron fies an.
»Lach nur. Du kommst auch noch dran«, gab Ron warnend zurück, und schon jetzt klang die Schadenfreude durch, die er sicher spüren würde, wenn später Harrys Schilde nicht halten würden.
»Zuerst Hermine das Hellporar- und ich das Weltum-Schild auf Ron. Neville greift an.«
»Welchen Angriffszauber soll ich nehmen?« fragte dieser und grinste Ron überlegen an.
»Ähhm … fangt mal bitte mit was Harmlosem an«, entgegnete dieser leicht nervös.
Neville grinste noch breiter. »Ich weiß schon.«
Nun blickte Ron ein wenig merkwürdig drein. »Dann sag's mir«, bat er, und hatte einen flehenden Ton in der Stimme.
»Laß dich überraschen«, sagte Harry und grinste Ron an, der plötzlich überaus nervös aussah. »Wir beginnen auf drei, und bei sechs fängt Neville an. Eins … zwei … Proturesa Weltum!« sagte Harry im selben Moment, als Hermine »Deflectare Hellporar!« sprach.
Die Schilde bauten sich augenblicklich auf und begannen sich, wie gewohnt, gegenseitig zu stören, während Neville weiter bis fünf zählte und auf sechs einen harmlosen Stupor losschickte. Der rote Fluch verfing sich im Schild und ließ ihn plötzlich zusammenbrechen. Der Stupor schoß in Rons Brust, und Harry mußte den Fluch wieder aufheben.
»Ich verstehe das einfach nicht«, murmelte Harry enttäuscht und mehr zu sich als zu den anderen. Dann sah er wieder auf das Buch über Schildtheorie. »Ich weiß, es ist möglich.« Die anderen sahen ihn nur ratlos an. Schließlich schloß er das Buch. »Ich möchte etwas probieren.«
»Was denn?« fragte Ron ein wenig vorsichtig. Offensichtlich wollte er nur ungern weiter das Versuchskaninchen spielen.
»Wir mischen die Sprüche. Wir sagen ›Proturesa Hellporar‹ und ›Deflectare Weltum‹. Absolut synchron! Dazu machen wir diese Bewegung mit dem Stab.« Er erhob sich vom Tisch und führte sie einige Male vor.
»Was, wenn gar nichts passiert?« fragte Neville und sah Harry an.
»Auch wenn du keinen Schild sehen kannst, schießt du den Stupor los«, antwortete Harry und zu Ron, der schon Einspruch einlegend den Finger hob: »Vertrau mir.«
Anscheinend tat Ron das tatsächlich, ließ er doch den Finger wieder sinken und stellte sich in Position. »Dann los. Schlimmer als eben kann es kaum kommen.«
Wieder zählte Harry bis zwei, und auf drei sagten er und Hermine ihre geänderte Formel und machten die neue Bewegung. Die Synchronität ihrer Worte war perfekt, doch es sah nicht so aus, als ob etwas passiert wäre. Zwar hatte etwas ihre Zauberstäbe verlassen, aber das hatte Harry nur gefühlt, sehen konnte er nichts. Ron sah extrem nervös aus, und auch Neville wußte wohl nicht so recht, was er tun sollte, zählte aber bis fünf weiter und schoß den Stupor ab. Der Blitz traf nicht, wie von allen erwartet, in Rons Brust, sondern wurde urplötzlich von einem nicht sichtbaren Schild absorbiert und auf Neville zurückgeworfen.
Der Schild explodierte mit einem lauten Knall und warf alle vier um. Harry hatte die Explosion noch kommen sehen, konnte aber nicht mehr reagieren und verlor sofort das Bewußtsein.
Als er die Augen wieder öffnete, befand er sich wieder einmal auf dem Krankenflügel. Er sah Dumbledore unscharf über sich gebeugt, doch hatte er sich gerade von ihm abgewendet.
»Wann erwachen sie wieder«, hörte Harry eine Stimme sprechen, und er erkannte sie sofort: es war Ginnys.
»Jetzt … zumindest ich«, ächzte Harry und richtete sich vorsichtig auf. Er suchte seine Brille und setzte sie auf.
»Was ist passiert, wurdet ihr angegriffen?« fragte Dumbledore. Er schien ein wenig besorgt.
»Nein, Sir. Wir haben mit Schilden experimentiert, und ich glaube, der letzte Versuch ging irgendwie schief.«
Er versuchte aufzustehen, doch Dumbledore drückte ihn zurück auf das Bett. »Miß Weasley hat euch vor zwei Stunden gefunden. Ihr wart ohne ersichtlichen Grund bewußtlos.«
»Wo ist Hermine?« Er sah sich besorgt um.
»Ich bin hier drüben«, rief sie und richtete sich zwei Betten weiter auf.
»Wo sind wir«, fragte Ron plötzlich, richtete sich ebenfalls auf und setzte sich auf den Bettrand. »Mann, was ist denn passiert? Ich hab' noch gesehen, wie Neville seinen Stupor abbekommen hat, aber dann wurde alles schwarz.«
»Die Schilde sind explodiert. Irgendeine Unverträglichkeit, denke ich«, vermutete Harry und setzte sich ebenfalls auf die Bettkante, da ihn Dumbledore nun nicht mehr daran hinderte.
»Was ist mit Neville?« fragte Ginny, welche bei ihm am Bett stand.
»Ein Stupor hat ihn getroffen?« vergewisserte sich Dumbledore noch einmal, und Harry nickte. Dumbledore ging zu ihm herüber und versuchte ihn mit »Enervate!« aufzuheben. Nichts passierte.
»Ist es ganz sicher ein Stupor?« fragte er noch einmal und sah Harry ratlos an, der wieder bestätigend nickte. Dumbledore machte erneut einen Schwenk mit seinem Zauberstab und murmelte erneut die Formel, doch wieder passierte nichts. »Dann ist es mir ein Rätsel«, sagte er schließlich und steckte seinen Stab weg. Harry dachte einen Moment lang nach. Wurde der Stupor durch die Schilde verstärkt? Er wollte sein Buch zu Rate ziehen.
»Sir, ich muß in den Raum der Wünsche zurück«, verlangte er.
In diesem Moment kam Madam Pomfrey aus ihrem Büro zurück. »Oh, ihr seid ja schon wach – bis auf Mr. Longbottom zumindest«, sagte sie und hatte ein Tablett mit Tassen dabei.
»Ich muß etwas nachschlagen«, sagte Harry zu Dumbledore, und dieser nickte nur. Harry stand auf und lief los. Als er nach einigen Minuten mit dem Buche wieder zurückkam, setzte er sich auf das Bett und trank seine Tasse. Während es Hermine und Ron schon besserging, las Harry in dem Buch. »Ich glaube, der Ansatz war richtig, aber im Detail steckt noch ein Fehler«, murmelte Harry nach einigen Minuten; alle sahen ihn nur ratlos an. »Die Beschwörungsformeln zu kreuzen war schon gut, aber ich habe nicht bedacht, daß die Zauberstäbe eine große Rolle spielen könnten. Sie müssen kompatibel sein, denke ich jedenfalls, und meiner und Hermines sind es wohl nicht gewesen. Am liebsten würde ich sofort mit Mr. Ollivander darüber sprechen.«
»Harry, weißt du, wie spät es ist?« fragte Dumbledore schmunzelnd.
Harry sah auf seine Uhr. Es war drei Uhr in der Nacht und damit eine ungeeignete Zeit, ein solches Thema zu besprechen. »Sie haben recht, Sir! Ich denke, um Neville aufzuwecken, müssen wir meinen oder Hermines Zauberstab benutzen.«
Sofort konnte er sehen, wie in Ginnys Augen die Hoffnung wuchs. Schwungvoll stand er auf, ging zu Neville und versuchte den Stupor aufzuheben. Als es nicht gelang, kam Hermine herüber und versuchte es ebenfalls, doch auch sie scheiterte.
»Irgendwas übersehen wir.« Seite um Seite blätterte er durch sein Buch. »Natürlich, das ist so offensichtlich!« Er schlug sich an die Stirn und wandte sich wieder zu Neville. »Wir müssen es gleichzeitig machen. Unsere Schilde haben den Stupor stark beeinflußt.«
Einen Moment später murmelten sie gemeinsam die Formel. Nur Augenblicke danach erwachte auch Neville, war aber noch leicht verwirrt. Nachdem aber auch er seine Tasse geleert hatte, ging es ihm ebenfalls sichtlich besser.
Harrys Vermutung hatte sich bestätigt, und so erklärte er ihnen, woran es gelegen hatte und warum sie den Stupor nur gemeinsam hatten aufheben können. »Ich muß morgen dringend mit Mr. Ollivander sprechen. Wir brauchen zwei kompatible Zauberstäbe«, schloß er und blickte Ron und Neville an, die es anscheinend noch immer nicht ganz begriffen hatten. »Solange wir nicht zwei kompatible Zauberstäbe für diese Schildbeschwörung benutzen, werden sich die beiden Schildzauber immer irgendwie stören. Sie bauen sich nicht richtig auf oder explodieren sogar. Aber ich denke, mit den richtigen Stäben wird es funktionieren. Ihr werdet sehen.«
Gemeinsam verließ man die Krankenstation.
»Dann ist dieser Zauber aber nur begrenzt praktikabel«, stellte Hermine fest.
Ron nickte. »Stimmt. Wäre ja Zufall, wenn man immer, wenn man diesen Schild braucht, einen passenden Partner für die Beschwörung hätte.«
»Das ist so nicht gesagt«, mischte sich plötzlich Dumbledore ein, der die anderen zum Gemeinschaftsraum begleitete.
»Wie meinen Sie das, Sir?« fragte Ginny neugierig.
»Ich denke, er meint den Ähnlichkeitszauber ›Simile Coactus‹«, warf Harry ein. »Mit diesem kann man vielleicht eine Kompatibilität erzwingen. Leider funktioniert dieser, wenn überhaupt, dann nur für einen kurzen Zeitraum.«
Dumbledore nickte zustimmend und lächelte Harry stolz an. »In der Tat, Harry. Genau diesen Zauber meinte ich. Allerdings bin ich mir nicht sicher, inwiefern er sich überhaupt auf Zauberstäbe auswirkt. Wenn das allerdings funktioniert, wäre es eine reife Leistung. – Aber woher weißt du das? Der Simile-Coactus-Zauber ist nicht Bestandteil des Lehrplanes, und außer mir selbst – und Professor Flitwick vielleicht – dürfte ihn hier in Hogwarts eigentlich niemand kennen. Deshalb wundere ich mich gerade ein wenig darüber, daß du trotzdem von seiner Existenz weißt, was mich angenehm erstaunt.«
Harry fing an zu grinsen. »Sie irren, Sir. Den Zauber habe ich von William Mcnamara, der ihn für die DA in Augenschein genommen hat. Zwar haben wir bisher keinen Verwendungszweck für ihn gefunden, doch kennen ihn sicher auch noch ein paar der anderen, einschließlich Neville. Wir haben für viele Gebiete Gruppen gebildet. Diese haben sich Sprüche angesehen, mir diese vorgestellt, und gemeinsam haben wir entschieden, ob sie brauchbar sind oder ob wir sie vergessen können. So konnten wir in möglichst kurzer Zeit ein breites Band abdecken.«
»Fürwahr, eine glänzende Herangehensweise. Ich bin wirklich fasziniert über euren frischen Geist«, staunte Dumbledore und verabschiedete sich nur eine Minute später von ihnen.
Harry und die vier anderen waren nun nicht mehr weit vom Porträtloch entfernt und weckten kurz danach die fette Dame auf.
»Wer stört mich, mitten in der Nacht?« gähnte sie unwillig. Harry nannte das Paßwort. Drinnen verabschiedete er sich von Hermine und ging mit Ron und Neville nach oben. Sie redeten noch einige Minuten, ehe sie müde und erschöpft einschliefen.
Der Samstag begann für Harry schon wieder sehr früh. Obwohl er erst gegen halb vier eingeschlafen war, stand er schon um neun Uhr unten in der Großen Halle. Viktor Krum war glücklicherweise nicht zu sehen, und da Hermine noch schlief, während Dumbledore ebenfalls schon beim Essen war, ging Harry sofort zu ihm.
»Guten Morgen, Harry«, begrüßte ihn dieser und bot ihm einen Stuhl neben sich an.
Harry wehrte ab. »Sir, dabei wäre mir nicht ganz wohl.«
Dumbledore lächelte nur verschmitzt. »Wie du möchtest. Nimmst du bitte meinen Becher?«
Harry blickte einen Moment verdutzt, aber dann sah er, daß sein Schulleiter seinen Teller nahm und zum Tisch der Gryffindors schritt.
»Ich habe dir bisher noch gar nicht gesagt, was ich von der Durchmischung der Häuser hier bei Tisch halte, oder?« Lächelnd setzte er sich.
»Nein. Aber da Sie es nicht verboten haben, scheinen Sie es zu tolerieren.«
»Nun. Es ist – so muß ich zugeben – gewöhnungsbedürftig gewesen, und es gab auch einen Lehrer, der sich dagegen wehren wollte, doch ich selbst empfinde es als eine deiner besten Ideen.«
»Danke. Doch eigentlich müssen sie dafür dem Hut danken und den Schülern, die gleich mitgemacht haben.«
»Da hast du vielleicht recht, doch wäre dies ohne deine Unterstützung nie möglich gewesen.«
Harry kam plötzlich ein anderer Gedanke. »Sir! Ich hätte da noch ein paar andere Themen, über die ich gern sprechen würde.« Dumbledore nickte, und so fuhr er fort: »Ich frage mich, ob das Ministerium inzwischen eigentlich selbst irgend etwas über die Schilde herausbekommen hat. Ich meine, es ist nun schon eine Ewigkeit her, daß sie mit den Forschungen angefangen haben.«
Dumbledore sah ihn ernst an und wirkte ein wenig nachdenklich. »Ich fürchte, bisher gibt es noch nicht viel Neues zu berichten. Zwar haben sie deine Aufzeichnungen genauestens analysiert, und natürlich haben sie auch Versuche unternommen, aber soweit mir bekannt ist, hat es noch niemand geschafft, deine Leistung zu wiederholen – und das, obwohl du jetzt schon dabei bist, deine Fähigkeiten erneut zu steigern und beide Schilde zu kombinieren.«
»Es ist noch keinem gelungen, einen Unverzeihlichen abzuwehren?« Harry war baff. »Das Ministerium hat doch Experten für so was, oder?«
Dumbledore nickte kurz. »Ja, das hat es. Aber leider scheinst du im Moment der größte Experte zu sein, zumindest wenn es um die konkrete Anwendung geht.«
Jetzt wurde Harry neugierig. »Haben Sie selbst es auch noch mal versucht?«
Erneut nickte der alte Mann. »Inzwischen sind es sechs Versuche gewesen. Einmal wäre es mir beinahe gelungen, aber irgendwie verlor ich die Konzentration.« Er klang ein wenig enttäuscht.
»Sir, ich bin mir ziemlich sicher, daß es fast jeder schaffen kann. Hermine ist soweit, denke ich, und Neville ist es wahrscheinlich auch. Am liebsten würden sie sofort testen. Einige werden es in den nächsten Wochen schaffen.«
»Vielleicht können wir es nach den Prüfungen einrichten, einige derer, denen du es zutraust, zu testen«, beschied Dumbledore und sah Harry nachdenklich an.
»Gibt es was Neues von Remus?«
Dumbledore sah sich gründlich um, bevor er antwortete. »Im Moment gibt es einige spannende Entwicklungen. Vielleicht erfahren wir noch heute etwas sehr Interessantes, doch das sollten wir nicht hier besprechen.«
Damit machte er Harry erst recht sehr neugierig, und er fragte sich, was das bedeuten könnte. Derweil fuhr Dumbledore fort:
»Da wir gerade so nett plaudern – es gibt noch ein Thema, das mich persönlich sehr interessiert.«
Harry nickte. Er wußte, was sein Schulleiter gern hören wollte, doch diesmal gab es nichts, was er ihm sagen konnte. »Sir! Ich träume zwar noch unregelmäßig von dieser Nacht, doch den zweiten Fluch konnte ich noch nicht identifizieren. Ich bin aber absolut sicher, daß es mir gelingen wird. Ich weiß, daß ich ihn gesehen habe, und ich weiß auch, daß ich ihn gehört habe, doch morgens, wenn ich mein Traumtagebuch benutze, wirkt alles so unwirklich; und dann bin ich mir noch nicht sicher genug.«
Obgleich es keine guten Neuigkeiten waren, erhellte sich Dumbledores Miene. »Ich hoffe darauf, aber vielleicht wird es nicht nötig sein. Meine eigenen Nachforschungen und die meiner Freunde deuten auf interessante Möglichkeiten hin. Daß wir einen der Flüche kennen, macht die Sache auch schon erheblich überschaubarer, und vielleicht schaffen wir es auch so.«
Harry war darüber erleichtert. Er wußte nur zu gut, daß es nichts bringen würde, sich deswegen unter Druck zu setzen; entweder würde er den Fluch irgendwann erkennen, oder er würde es nicht können. Er hatte einfach keinen Einfluß darauf. Sie plauderten noch einige Minuten über Harrys Experimente mit den Schildzaubern und auch über seine neuesten Erkenntnisse.
Plötzlich fiel Harry wieder Mr. Ollivander ein. »Professor, ich würde heute gern in die Winkelgasse reisen.«
Dumbledore nickte und schien darauf gewartet zu haben. »Es ist längst alles arrangiert. Man erwartet dich gegen halb elf.«
»Ich würde gern Neville, Ron und Hermine mitnehmen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Das ist kein Problem. Zudem schicke ich euch noch vier Mitglieder des Ordens mit.«
»Soll ich in Ihr Büro kommen? Nehmen wir Flohpulver?«
Im Augenwinkel bemerkte er Ron, der mit Luna zum Frühstück kam. Dieser wollte erst an den Hufflepuff-Tisch und sich zu Zacharias setzen, doch Harry winkte ihn heran.
»Ich habe einen Portschlüssel vorgesehen, und er wartet in meinem Büro. Niemand sollte wissen, daß du in der Winkelgasse bist«, schärfte Dumbledore ihm ein.
Währenddessen war Ron mit Luna bei ihnen angekommen und hatte sich zu ihnen gesetzt.
»Hast du Luna von gestern nacht erzählt?« fragte Harry und grinste.
»Ja, hat er. Das war unvorsichtig von euch«, antwortete sie in mahnendem Ton, und Ron wurde leicht rot.
»Hast ihm eine Standpauke gehalten, nicht wahr?« fragte Harry und grinste noch breiter. Luna lächelte nur, sagte dazu aber nichts. Auch die beiden begannen zu essen, während Harry ihnen seine Planung mitteilte.
»Klingt gut«, sagte Ron schließlich mit vollem Mund, und Harry bemerkte, wie Dumbledore sich darüber amüsierte. Luna schien nicht ganz so begeistert zu sein, sagte aber nichts, und Harry wollte es erst einmal dabei belassen.
Eine Viertelstunde später kamen auch Ginny und Neville zum Essen. »Hermine kommt gleich. Sie war schon dabei, sich anzuziehen, als wir runter sind«, berichtete Ginny, und Harry erzählte auch Neville von seiner Planung.
»Und was ist mit uns?«, fragte Ginny und deutete auf sich und Luna.
»Ihr haltet derweil eine DA-Sitzung ab.« Harry konnte in Ginnys Blick deutlich lesen, was sie von dieser Idee hielt. »Die zweite Gruppe braucht unbedingt wieder ihre Sitzungen. Sie hinkt noch zu sehr hinterher.«
»Hast ja recht«, beschied sie schließlich, »aber ich wäre schon gerne dabei gewesen.«
»Du möchtest dabei sein, wenn wir vielleicht stundenlang nach zwei geeigneten Zauberstäben suchen?«
Offenbar wurde ihr erst jetzt bewußt, wie langweilig das klang. »Hmm, so hatte ich das nicht gesehen.«
Plötzlich kam Harry noch eine vage Idee. Er hatte das Gefühl, daß ihm gleich noch etwas Geniales einfallen würde, wenn er sich nur genug anstrengen könnte. Leider betrat Hermine genau in diesem Moment die Große Halle, zog Harrys Aufmerksamkeit komplett auf sich, als er sie grazil heranschweben sah, und sein genialer Gedanke war verschwunden. Dumbledore stand auf und machte ihr seinen Platz frei.
»Bis nachher«, meinte der alte Mann, nickte noch Hermine zu und ging zu seinem Platz zurück. Wie von Geisterhand verschwanden sein Teller und seine Tasse, und neues Besteck erschien.
Hermine begrüßte Harry mit einem Kuß, machte sich sofort über das Essen her und biß vor Hunger in ein trockenes Brötchen. Dank des Kusses hätte er nun sogar vergessen, daß er überhaupt eine geniale Idee gehabt hatte, und begann ihr ein Brötchen zu schmieren. Zum Dank schenkte sie ihm ein umwerfendes Lächeln, das sein Herz zum Schmelzen brachte.
Nach dem Essen ging er noch in den Gemeinschaftsraum und las in seinem Theoriebuch, während Hermine dabei half, das DA-Treffen von Ginny und Luna vorzubereiten. Derweil waren Ron und Neville mit Prüfungswiederholungen beschäftigt und dafür in die Bibliothek gegangen. Pünktlich trafen sich die vier dann vor den Wasserspeiern, die den Zugang zu Dumbledores Büro bewachten. Es dauerte nur wenige Sekunden, ehe der alte Mann sie dort abholte. Gemeinsam gingen sie nach oben. Dort warteten schon der Portschlüssel und drei bekannte Mitglieder des Ordens: Mad-Eye, Arthur und Kingsley Shacklebolt. Freudig begrüßten sie sich, und als Harry nach dem vierten Begleiter fragte, grinste ihn schließlich Dumbledore solange an, bis Harry es verstanden hatte.
»Ihr müßt ihn alle anfassen«, sagte er und hielt ihnen die häßlichste Vase hin, die Harry je gesehen hatte.
Dumbledore aktivierte den Portschlüssel, und sogleich bemerkte Harry das altbekannte Ziehen am Bauchnabel. Er hatte sich bereits so daran gewöhnt, daß seine Landung äußerst sanft war, während Neville zu Boden fiel. Mit Schwung half ihm Ron auf die Beine, während Harry sich umsah. Mit großen Augen stand er inmitten eines kleinen Lagers, in dem es nur einen einzigen Artikel zu geben schien. In der Mitte standen ein größerer Holztisch und einige Stühle bereit. Die kleinen Schachteln, die überall die Regale verstopften, erkannte Harry sofort, da er selbst auch schon eine von ihnen käuflich erworben hatte. Eigentlich hatte er aber nicht die Schachtel gekauft, sondern der Inhalt war es, an dem er damals interessiert gewesen war und an dem er auch jetzt Interesse hatte.
Nur einen Moment nach ihrem Erscheinen war auch schon Mr. Ollivander an Harrys Seite und begrüßte ihn begeistert. »Schön, Sie wieder zu sehen, und Sie, Mr. Longbottom, Miß Granger, und natürlich auch Sie, Mr. Weasley. Ihr Besuch wurde mir bereits von Albus angekündigt, aber der Grund dafür ist mir bisher verborgen geblieben. Ich hoffe nicht, daß einer ihrer Zauberstäbe beschädigt wurde.« Besorgt blickte er jeden von ihnen an.
»Nein, das ist nicht der Grund für unseren Besuch«, erwiderte Harry und begann ihm alles zu erklären.
Als Harry fertig war, ließ Mr. Olivander sich das Ganze einen Moment durch den Kopf gehen. »In der Tat erscheint es mir unmöglich, daß der Zauberstab von Miß Granger und Ihrer – wie sagten Sie? – kompatibel sind. Sie sind überaus unterschiedlich, und ich glaube auch nicht, daß sie durch den Simile-Coactus-Zauber dazu bewegt werden können, im Einklang miteinander zu wirken. Da würde ich größere Chancen bei dem neuen Zauberstab von Mr. Longbottom und Miß Granger sehen. Diese sind sich relativ ähnlich, auch wenn sie noch lange nicht identisch sind. Der Zauber könnte hier erfolgreich sein, aber die Wirkung wird selbst dort sehr begrenzt sein, sofern er überhaupt wirkt. Der Zauber ist eigentlich nicht für Stäbe vorgesehen; ich muß allerdings dazu sagen, daß ich es nie versucht habe.«
Harry nickte skeptisch. »Nun, merkwürdig finde ich, daß Hermine und ich mit dem Zauberstab des anderen ganz gut zurechtkommen.« Sie nickte bestätigend.
»Dafür gibt es zweifellos andere Gründe. Es könnte daran liegen, daß Sie einander überaus verbunden sind. Das heißt aber nicht, daß sich Ihre Stäbe tatsächlich ähneln müssen. Zudem kommt es auch immer darauf an, wieviel magisches Potential überhaupt vorhanden ist. Ein mächtiger Zauberer, wie Albus zweifelsfrei einer ist, kann mit praktisch jedem Stab gute Ergebnisse erzielen. Aber erst mit dem richtigen Stab werden daraus optimale Ergebnisse.«
»Hmm, nun gut. Vielleicht haben sie ja recht«, brummte Harry, nicht so recht zufrieden mit der Aussage.
»Nicht nur vielleicht. Die Stäbe sind sehr unterschiedlich, das ist Fakt«, sagte Mr. Ollivander mit Nachdruck. »Aber ich würde vermuten, Sie beide verbindet erheblich mehr als nur Freundschaft? Zudem haben Sie beide großes magisches Potential, nicht wahr? Es ist zwar noch immer ein wenig ungewöhnlich, aber nicht außergewöhnlich.«
In diesem Moment erinnerte Harry sich an die geniale Idee, welche er auch schon beim Frühstück gehabt hatte und die er vergessen hatte, als Hermine hereingekommen war. »Sir, Sie sagten Nevilles und Hermines Zauberstäbe seien sich ähnlich, während meiner gänzlich verschieden wäre. Wie verschieden sind sie?«
Man konnte Mr. Ollivander beim Nachdenken zusehen. »Nun, der Unterschied ist beträchtlich. Und, wie ich vorhin sagte, wären sie auch nach der Anwendung des Simile-Coactus-Zaubers nicht kompatibel.«
Harry gab Hermine und Neville ein Zeichen, ihre Zauberstäbe herauszuholen.
»Worauf willst du hinaus?« erkundigte sich Dumbledore.
»Sir, wir brauchen William hier. Es sei denn, Sie oder ein anderer hier ist mit dem Zauber vertraut, mit dem man vor ewigen Zeiten Zauberstäbe vervielfältigen konnte.« Er sah sich fragend um.
»Das muß ich zu meiner Schande verneinen. Natürlich habe ich davon schon gehört, und auch die ungefähre Wirkung kenne ich, doch ist es schon viel zu lange her. Soweit ich weiß, wird er heute auch nicht mehr benutzt.«
Auch Mad-Eye zuckte mit den Achseln. »Nun, ich kenne ihn nicht, soviel kann ich sagen.«
Harry sah Mr. Ollivander an. Er mußte ihn doch kennen, dachte er und wartete auf eine Antwort.
Doch auch dieser blickte entschuldigend zu Boden. »Nun, ich kann Ihnen sagen, daß meine Familie diesen Spruch schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt. Heute kann man auf wesentlich effektivere Weise Zauberstäbe herstellen.«
»Dieser Zauber hat mich nach dem Erlebnis mit Voldemort und der Verbindung unserer Zauberstäbe interessiert, weshalb ich William darauf angesetzt habe. Ich brauche sein Wissen – sofort, Professor!«
Dumbledore nickte und nahm die Vase. Erneut verwandelte er sie in einen Portschlüssel und verschwand nur Augenblicke danach. Die Minuten bis zu seiner Rückkehr nutzte Neville ausführlich dafür, über seinen neuen Zauberstab zu schwärmen. Vor Beginn des Schuljahres hatte er ihn als Ersatz für den zerstörten Stab seines Vaters gekauft, und endlich war er in der Lage, adäquat zu zaubern.
Dumbledore kehrte fünfzehn Minuten später zurück und hatte William dabei, der ein Buch in seinen Händen trug. Er schien leicht nervös zu sein, aber offensichtlich auch stolz, daß seine Anwesenheit benötigt wurde.
»Hallo, William. Hat Professor Dumbledore dich schon eingeweiht?« fragte Harry ihn und schob ihn auf einen Stuhl.
»Nicht genau. Er sagte nur was vom Talea-Deferadi-Zauber und daß du in dieser Sache meine Hilfe brauchst.«
Harry nickte. »Dann erkläre ich es mal vom Anfang an. Es ist eigentlich ganz einfach. Als ich mit Voldemort nach dem Trimagischen Turnier auf dem Friedhof kämpfte und sich unsere Zauberstäbe verbanden, war dies nur möglich, weil unsere Stäbe Brüder sind. Dies ist eine Sache, die nun auch Voldemort weiß und was ich ausnutzen wollte. Dazu gehörte es auch, mir viele Sprüche anzusehen, die eine Wirkung auf Zauberstäbe haben könnten.« Er blickte zu Mr. Ollivander, der interessiert zuhörte und dabei die Arme vor seiner Brust verschränkte. »Diese Sache hatte mich lange interessiert, und ich bin irgendwie dabei auf diesen Zauber gestoßen. Ich habe mir auch viel Unnützes angesehen, was eine Auswirkung auf Zauberstäbe hat, doch dieser Spruch schien mir interessant. Da ich aber selbst keine Zeit dafür fand, bat ich William, sich die Sache mal ganz genau anzusehen. Würdest du uns diesen Zauber bitte kurz vorstellen.« Harry blickte William direkt an.
»Ähhm … klar, kein Problem. Also, der Talea-Deferadi-Zauber ist uralt, und er wurde dazu benutzt, Eigenschaften und Fähigkeiten eines Zauberstabes auf einen anderen einfachen Holzstab zu übertragen, der bis dahin noch keinerlei magische Fähigkeiten hatte. Heute bettet man ja Drachenherzfasern oder andere Dinge in einen Zauberstab ein, woher dieser dann seine magischen Eigenschaften bezieht, doch damals war das noch anders. Der Talea-Deferadi-Zauber war deshalb interessant, weil Zauberstäbe damals wirklich schwer herzustellende und damit absolut seltene Kostbarkeiten waren, die so relativ einfach vervielfältigt werden konnten. Doch so einfach war es natürlich auch wieder nicht, und natürlich war es auch keine wirkliche Eins-zu-eins-Kopie.
Die Kopie war erheblich schwächer, und der Vorgang schwächte auch die Fähigkeiten des Originalstabes. Aus diesem Grund benötigte man meist mehrere Originale, um eine adäquate Kopie zu erzeugen, welche dann die Eigenschaften aller benutzten Originale in sich vereinte. Im Normalfall benutzte man drei oder vier Originale, alle mit den gleichen magischen Eigenschaften, um damit einen weiteren Zauberstab zu erschaffen. Dies hatte natürlich auch Nachteile, doch einer der Vorteile war, daß die Kopie von jedem der Zauberer, zu dem auch schon eines der Originale paßte, in vollem Umfang benutzt werden konnte, sofern man denn unterschiedliche Stäbe als Originale wählte, was nur sehr selten vorkam.« William holte tief Luft und sah Harry erwartungsvoll an.
Dieser lächelte. »Genau, so ungefähr hatte ich es auch noch im Kopf.«
»Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der das nicht versteht«, erklärte Mad-Eye und sah Dumbledore ratlos an.
»Es ist ganz einfach«, sagte Hermine und fing an zu grinsen. »Harry, du bist genial.« Zärtlich küßte sie ihn.
»Wieso ist er genial?« fragte Ron mißmutig und sah Hermine irritiert an. »Ich verstehe nur Bahnhof.«
»Wenn es funktioniert, ist es so einfach wie genial«, befand Dumbledore.
»Aber du weißt nicht, was passiert, wenn man heutige Zauberstäbe kopiert?« warf Mr. Ollivander fragend ein, dem offenbar ebenfalls gerade ein Licht aufging.
»Ich will die Stäbe auch nicht wirklich kopieren, zumindest nicht auf einen magielosen Stab«, erklärte Harry und holte seinen Stab heraus. »Ich werde aber versuchen, ihre Fähigkeiten und Eigenschaften zu mischen. Aber sie haben recht, was wirklich passiert, weiß ich nicht. Es ist ein Risiko dabei, aber wir sollten es eingehen. William, würdest du uns bitte so einfach wie möglich erklären, wie der Spruch angewendet wird.«
Auch William holte seinen Zauberstab aus seinem Umhang und konzentrierte sich einen Moment. »Die Bewegung ist das Schwierige an diesem Zauber«, erläuterte er und wiederholte sie einige Male, während Hermine, Neville und Harry sie nachahmten. »Die Formel lautet natürlich ›Talea Deferadi‹. Die Betonung muß hierbei auf ›lea‹ und auf ›fer‹ liegen, sonst wirkt er nicht richtig.«
Die drei übten die Aussprache, was ihnen zufriedenstellend gelang.
»Gut. Ich würde sagen, ich fange an und werde versuchen, die Eigenschaften und Fähigkeiten meines Zauberstabes auf den von Hermine zu übertragen. Legst du ihn bitte hin«, bat Harry, und Hermine legte ihren Stab auf den Tisch.
»Talea Deferadi!«
Sofort glühten beide Stäbe kurz und intensiv auf.
»Dadurch findet jetzt eine Vermischung der Stäbe statt, und jeder von uns kann ihn dann mit dem der anderen kombinieren, um einen stabilen Schild zu erschaffen?« fragte Neville und bekam beinahe vor Staunen den Mund nicht mehr zu.
»Das sollte das Ergebnis sein – hoffe ich jedenfalls«, meinte Harry und legte seinen Zauberstab auf den Tisch.
»Wer jetzt?« fragte Hermine und nahm ihren Zauberstab auf. Sie sah Harry an. »Auf deinen oder Nevilles?«
»Zuerst auf Nevilles, dann auf meinen«, antwortete Harry und sah zu, wie sie zweimal die Beschwörungsformel sprach und die drei Stäbe aufglühten. »Nun Neville auf meinen und dann auf deinen.«
Hermine legte ihren Stab auf den Tisch, während Neville seinen aufhob. Auch er führte zweimal die Beschwörung durch, während Harry sie noch einmal auf Nevilles Stab ausführte. Damit hatten sich die drei Stäbe komplett durchmischt, zumindest hoffte Harry das.
»Mr. Ollivander, würden sie sich die Stäbe einmal ansehen«, bat Harry und reichte alle drei herüber. Es dauerte einige Minuten, und mehrmals schwang er sie dabei in der Luft. Auch murmelte er leise etwas, was sich nach »Sehr interessant!« oder auch »Unglaublich!« anhörte. Schließlich gab er allen drei ihre Stäbe zurück.
»Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, dann würde ich es wohl nicht glauben«, sagte er schließlich und lächelte verblüfft.
»Dann hat es geklappt?« fragte Harry unsicher und bekam nur ein Nicken von Ollivander zurück. »Was würden Sie sagen, wie oft man das wiederholen kann … ich meine, wie viele Stäbe man so mischen kann?«
Ollivander dachte einen Moment darüber nach. Die ganze Zeit über konnte Harry die Anspannung in den Gesichtern der anderen sehen, und auch er war angespannt. Selbst Dumbledore schien ungewöhnlich nervös zu sein.
»Ich denke, zwischen vier und sechs, vielleicht bis zu acht könnte man so mischen. Vor allem, da man bedenken muß, daß keiner der Stäbe magisches Potential verloren hat; es fand ein absolut gleichwertiger Austausch statt. Vielleicht ist das so etwas wie eine Revolution in der Zauberstabherstellung. Das muß ich mir sofort notieren.«
Kurz verließ er den Raum, um sich etwas zu schreiben zu holen, und begann sofort nach seiner Rückkehr damit, furios die Feder zu schwingen.
»Du überraschst mich immer wieder. Darf ich dich fragen, wie du diesen Zauber gegen Voldemort verwenden wolltest?« erkundigte Dumbledore und sprach das aus, was wohl allen im Raume auf der Zunge lag.
»Ich wollte damit Voldemort austricksen. Er ist so unglaublich arrogant und selbstgefällig und deshalb prädestiniert für einen kühnen Plan, um ihn damit endgültig zu vernichten. Als ich William bat, sich den Zauber anzusehen, wollte ich die Fähigkeiten meines Zauberstabes vollständig auf einen anderen nichtmagischen Stab übertragen. Ich weiß, daß ich Voldemort irgendwann wieder gegenübertreten muß und es mir dann passieren könnte, daß er mich entwaffnet. Wie gesagt, mein Stab und sein Stab sind Brüder; er kann meinen so gut benutzen wie seinen eigenen. Er ist sehr arrogant, und die Chancen stehen nicht schlecht, daß er versuchen wird, meinen eigenen Stab gegen mich zu verwenden, um mich damit zu töten. Wäre das nicht ironisch?« Allen stockte der Atem, trotzdem sprach er weiter. »Wenn ich meinen Stab also unbrauchbar gemacht hätte, dann gäbe es für mich noch immer die Chance, ihn mit meiner Kopie zu überraschen, während er meinen nutzlosen Stab in Händen hält.«
Dumbledore nickte anerkennend. »Eine tollkühne, aber unglaublich mutige Idee. Allerdings frage ich mich, warum du sie noch nicht umgesetzt hast.«
Harry überlegte einen Moment. »Aus drei Gründen: zum einen wußte ich nicht genau, ob man die Kräfte vollständig übertragen kann; dann hatte ich Angst, daß mein Plan ein wenig zu tollkühn wäre; und als drittes, weil ich seit gestern nacht was Besseres weiß.«
Wieder sahen ihn alle fragend an, nur Hermine begann zu lächeln. »Du bist noch genialer, als ich je gedacht hätte«, rief sie aus und gab ihm einen weiteren Kuß.
»Danke für die Blumen, du bist aber auch nicht ohne«, erwiderte er schmunzelnd und küßte sie zurück.
»Würdet ihr es auch uns Normalsterblichen erklären?« fragte Ron leicht verärgert.
»Das solltest du eigentlich alleine rauskriegen«, neckte Harry und grinste ihn an.
»Nun sag's schon, Alter!«
»Es kann doch nur mit eurem Versuch von letzter Nacht zu tun haben«, lächelte Dumbledore.
Mad-Eye, Arthur und Kingsley Shacklebolt sahen sich verwundert an, da sie davon noch nichts wissen konnten.
Ron begann zu verstehen und blickte Harry erstaunt an. »Du willst die Schilde gegen ihn einsetzen?«
»Ja, will ich. Wenn wir die Schilde geschickt weiterentwickeln können, so daß sie auch nach innen reflektieren, dann werden wir, kurz bevor er den Todesfluch spricht, einen unsichtbaren Schild um ihn herum aufbauen. Dadurch wird er sich selbst vernichten oder zumindest so sehr schwächen, daß ich den finalen Zug machen kann!« meinte Harry mit Nachdruck, schlug mit der Hand auf den Tisch und ließ alle zusammenzucken. »Das wird ein hartes Stück Arbeit, bedarf vieler Zufälle und wird verdammt gefährlich, doch mit eurer Hilfe werden wir es schaffen!«
Hermine nickte still und sah dabei ein wenig ängstlich, gleichzeitig aber auch zuversichtlich aus. Auf Rons Stirn dagegen bildeten sich tiefe Sorgenfalten.
»Ich hoffe, wir haben dafür genug Zeit«, gab Dumbledore zu bedenken, und sein Gesicht sah wieder ernster aus.
»Wir müssen zuerst zurück und ausprobieren, ob wir heute erfolgreich waren«, sagte Harry und stand auf.
Dumbledore erhob sich ebenfalls, zog eine alte Zahnbürste aus der Tasche und reichte sie Mad-Eye. »Damit kommt ihr ins Ministerium zurück«, erklärte er ihnen, und nur einen Moment später waren die drei vom Orden verschwunden.
Dumbledore nahm die Vase und verwandelte sie in einen Portschlüssel. Harry und die anderen bedankten sich bei Mr. Ollivander. Dieser hatte schon eine halbe Rolle Pergament gefüllt, war völlig darin vertieft und sah gar nicht mehr zu ihnen auf, als sie den Schlüssel benutzten.
Als Harry wieder bei Dumbledore im Büro war, wollte er sofort in den DA-Raum. Hermine schlug hingegen vor, erst etwas zu essen, und Ron stimmte dem zu.
»In Ordnung. Dabei können wir es auch gleich Ginny und Luna erzählen«, erklärte sich Harry einverstanden und ging mit den anderen und auch Dumbledore in die Große Halle.
Zu seiner Überraschung setzte sich Dumbledore zu ihnen an den Ravenclaw-Tisch. Neben diesem saß der Zweitkläßler Timmy Taylor und war darüber total aus dem Häuschen. Natürlich erzählten Ron und Neville ihren Freundinnen beim Essen, was bei Mr. Ollivander alles passiert war, wobei sie peinlich darauf achteten, daß niemand sie belauschen konnte.
Ebenfalls beim Essen war Viktor Krum, der wieder einmal Mittelpunkt diverser Gespräche war, die um ihn herum geführt wurden. Intensiv und mit einem grimmigen Gesichtsausdruck beobachtete er Harry, und dies entging auch Hermine nicht.
»Laß dich von ihm nicht ärgern. Sicher versucht er nur, dich zu provozieren«, flüsterte sie und streichelte dabei seinen Oberschenkel.
»Ich versuche es«, antwortete er ebenfalls flüsternd und erwiderte die kleine Zärtlichkeit. Leider fiel es Harry zunehmend schwerer, Viktor Krum zu ignorieren, und mittlerweile war er beinahe bereit, alles dafür zu tun, um ihn wieder loszuwerden.
»Habt ihr etwas dagegen, wenn ich an euren Versuchen teilnehme?« fragte Dumbledore plötzlich, und Harry fuhr aus seinen Gedanken hoch.
»Nein, natürlich nicht. Es wäre sicher vorteilhaft«, gab er zurück und lächelte seinem Schulleiter entgegen.
Erst als sie aufgegessen hatten, bemerkte Harry, daß die verzauberte Decke der Großen Halle mit Wolken bedeckt war und es sicher bald anfangen würde zu regnen. Da er in der nächsten Zeit aber sowieso nicht nach draußen wollte, störte es ihn auch nicht so sehr; ganz im Gegensatz zu Ron, der am Abend noch mit Luna hinaus ins Freie wollte. Mehrmals hörte er ihn leise fluchen. Als Ron sich schließlich wieder beruhigt hatte, gingen alle ohne Umwege in den DA-Raum und bereiteten ihre weiteren Experimente vor.
