Disclaimer: Nichts an dieser Geschichte gehört mir, außer dem generellen Plot und ein paar unbedeutenden Namen. Alle originalen Charaktere und Schauplätze, die aus dem HP-Universum entnommen sind, gehören J. K. Rowling oder Warner Bros. oder wem auch immer. Ich mache damit kein Geld.

Kapitel 21 - Verhör / Chang / Überraschungen

»Hermine, Harry! Aufwachen!« rief jemand, und der Stimme nach konnte es eigentlich nur Ron sein.

»Was ist los?« fragte Harry müde, als er Hermine in seinen Armen bemerkte, die noch immer sanft schlummerte.

»Wir müssen zum Frühstück. Es ist doch Montag heute, damit haben wir Schule. Vergessen?«

»Aufwachen, mein Schatz«, flüsterte Harry in Hermines Ohr und küßte liebevoll ihren Hals. Langsam drehte sie sich zu ihm und begann zu lächeln.

»Morgen«, murmelte sie und küßte ihn schon.

»Dafür habt ihr nachher noch Zeit«, rief Ron und war schon halb aus dem Raum raus. »Macht hin. Neville und die anderen sind schon im Gemeinschaftsraum.«

»Wir sollten aufstehen«, entschied Hermine.

»Ich mag lieber den ganzen Tag mit dir im Bett verbringen.« Seine Lippen fanden die ihren.

»Ich auch! Aber denk an die Strafarbeit, die uns Snape dafür aufgeben würde.« Diesmal fanden ihre Lippen die seinen.

»Du hast ja recht«, erwiderte er und rollte sich aus dem Bett. Er streckte sich und begann, sein T-Shirt auszuziehen.

»Warte bitte, bis ich draußen bin, sonst überleg' ich mir das doch noch mal«, rief Hermine keck mit einem verschmitzten Lächeln und stieg ebenfalls aus dem Bett. Harry mußte jetzt grinsen und begann, langsam seine Boxershorts herunterzuziehen.

»Beeil dich«, rief er ihr noch zu, bevor sie, so schnell sie konnte, aus dem Zimmer huschte.

Sie trafen sich wenige Minuten später im Gemeinschaftsraum, in dem schon Ron und einige andere warteten. In der kurzen Zeit hatte Hermine ihre Haare nicht mehr gebändigt bekommen und stand ein wenig verlegen vor ihm.

»Morgen. Ich liebe deine Frisur«, begrüßte sie Harry und küßte sie noch einmal lange.

»Laßt uns endlich gehen. Ich sterbe vor Hunger«, rief Ron ein wenig ungehalten und ging mit Luna an der Hand schon einige Schritte in Richtung Ausgang.

Sie gingen gemeinsam nach unten, sprachen aber nur spärlich miteinander. Noch immer waren die Erinnerungen an Williams Tod einfach zu frisch. Als sie die Große Halle betraten, fiel Harry auf, daß diese noch immer voll war, obwohl sie sehr spät waren und viele der anderen offensichtlich mit ihrem Frühstück bereits fertig waren. Die Stimmung schien eigenartig gespannt zu sein, und gleichzeitig war es ungewöhnlich still.

»Dumbledore will wohl allen etwas sagen«, erriet Ron, und das vermutete auch Harry. In Gedenken an William nahmen sie am Slytherin-Tisch Platz und setzten sich neben Gregory.

»Was ist los?« fragte dieser sofort.

»William ist tot«, flüsterte Harry ihm ins Ohr.

»Du machst doch hoffentlich Witze!«

»Leider nicht. Dumbledore wird es sicher bald verkünden«, erwiderte Harry traurig und begann, ein paar Löffel Cornflakes zu essen. Nur mühsam bekam er überhaupt etwas herunter.

Auch Hermine stocherte etwas lustlos in ihrem Essen herum, und sogar Ron bekam nach einigen schnellen Bissen kaum noch etwas herunter. Neville dagegen schien es weit weniger Probleme zu bereiten. Kraftvoll aß er sein Frühstück, und auch diese ungewohnte Stimmung in der Halle schien ihn nicht negativ zu beeinflussen.

»Auch dafür beneide ich dich manchmal«, murmelte Harry vor sich hin, wobei er sich nicht bewußt war, daß er diesen Gedanken nicht nur gedacht hatte.

»Worum beneidest du wen?« hakte Ron sofort nach, und auch Neville blickte von seinem Essen auf.

»Neville«, meinte Harry ehrlich, und alle sahen diesen an.

»Worum beneidest du ausgerechnet mich?« fragte er mit vollem Mund und starrte ihn ungläubig an.

»Heute nacht konntest du sofort einschlafen. Ich lag, bis Hermine kam, wach. Heute morgen kannst du ohne Probleme essen, ich kriege kaum einen Bissen runter.«

»Glaub nicht, ich würde das einfach wegstecken. Damit würdest du mir unrecht tun«, erwiderte Neville sofort. Er schien beinahe ein wenig wütend zu sein.

»Das glaube ich doch gar nicht. Nur kannst du es anscheinend besser … unterdrücken.«

»Das glaube ich so auch nicht. Aber es hat doch alles keinen Sinn. Was soll ich mich damit bestrafen, indem ich nicht schlafe oder esse. Ich bin genauso traurig wie ihr, doch mache ich mir deshalb keine schweren Gedanken darüber. Bin ich traurig ... gebe ich Ginny ein paar mehr Küsse, und dann geht's wieder besser.« Dabei blickte er zu seiner Angebeteten, die ein wenig rot zu werden schien.

»Das ist eine Sache, die ich nicht kann«, stellte Harry fest, und nun schien Neville es zu verstehen.

»Ich kann das auch nicht«, sagte Hermine und schob ihren Teller weg.

»Ich kann es auch erst so gut, seit ich mit Ginny zusammen bin«, erwiderte Neville und schenkte ihr ein verliebtes Lächeln, welches selbst Harrys Herz zu erwärmen schien.

Anscheinend betraten nun auch die letzten Schüler die Halle, denn kaum hatten diese sich gesetzt, erhob sich Dumbledore, und es wurde ganz still. Neben Dumbledore saß Snape und sah schon viel besser aus. Harry nahm sich fest vor, Hermine später zu fragen, was sie am Vorabend noch hatte machen sollen, und sah aufmerksam zu seinem Schulleiter.

»Ich habe eine weitere schlechte Nachricht zu verkünden. Erneut ist ein Mitschüler unter widrigen Umständen ums Leben gekommen. Es handelt sich um William Mcnamara, der gestern abend als Held gestorben ist. Über die genauen Umstände möchte ich euch nicht informieren, doch kann, muß und will ich euch sagen, daß er von Viktor Krum kaltblütig ermordet wurde.«

Ein unglaubliches Gemurmel entstand bei diesen Worten im Saal, und auch um sich herum konnte Harry ungläubige Kommentare hören.

»Ich bitte noch um einen Augenblick der Ruhe«, mahnte Dumbledore, und sofort verschwand die Geräuschkulisse. »Ebendieser Viktor Krum, den wir herzlich hier in unserer Mitte willkommen hießen und der nun feige jemanden unserer Mitte entrissen hat, verlor ebenfalls sein Leben am gestrigen Abend. Des weiteren habe ich euch mitzuteilen, daß drei Schüler der Schule verwiesen wurden. Diese waren in die Ereignisse verwickelt und sind noch in der Nacht von einem Gericht verurteilt worden. Die Sachlage war so eindeutig, daß keine Fragen offengeblieben sind, und zwei der drei haben auch ein freiwilliges Geständnis abgelegt. Bei diesen Schülern handelt es sich um Miß Parkinson, Mr. North und Mr. Pritchard.« Am Ende des Slytherin-Tisches warf Murtaghur Harry bei diesen Worten böse Blicke zu.

»Die drei sind unter Hausarrest gestellt worden, und ihre Zauberstäbe wurden vernichtet. Da niemand in Williams Familie Anspruch auf seine sterblichen Überreste gestellt hat, werden wir seinen Leichnam morgen nachmittag in Hogwarts bestatten. Ein jeder von euch kann an der Trauerfeier teilnehmen. Der Unterricht beginnt heute eine Viertelstunde später, da sicher einige das Bedürfnis haben, über diese Tragödie zu sprechen.« Dumbledore setzte sich wieder.

»Mein Gott ... Cho«, entfuhr es Harry plötzlich.

Die anderen starrten ihn an. Ron begriff als erster. »Du hast recht. Sie wird bestimmt denken, sie ist verflucht oder so.«

»Ich bin es William wohl schuldig, sie zu informieren«, entschied Harry und stand auf.

Als er bei Dumbledore stand, wurde er erst von ihm beachtet, als Snape sich räusperte, mit dem er gerade im Gespräch war. »Harry, was liegt dir auf dem Herzen?« fragte sein Schulleiter und sah ihn neugierig an.

»Sir, ich frage mich, ob Cho Chang von Williams Tod unterrichtet wurde.«

»Nein, bisher wurde sie das nicht. Jedoch habe ich einen Brief von ihr in seinen persönlichen Unterlagen entdeckt, dem ich eine engere Beziehung der beiden entnehmen konnte. Aus diesem Grund wollte ich sie von seinem Tod in Kenntnis setzen und zur Trauerfeier einladen.«

»Sir, ich würde es ihr gerne persönlich sagen.«

»Sie müssen gleich zum Unterricht, Mr. Potter«, ermahnte Snape ihn und starrte ihn griesgrämig an.

»Vielleicht in der Mittagspause. Man könnte sie herbeten.«

Dumbledore nickte.

»Soll jemand von uns dabei sein?« Harry sah sich unter den Lehrern um. Einen Moment später starrte er in die Schülermenge, von der schon ein großer Teil aus der Halle stürmte. Als er aber genauer hinsah, bemerkte er, daß nicht ein einziges DA-Mitglied gegangen war und ihn jeder einzelne von ihnen gespannt anblickte.

»Ich glaube, das reicht mir als Antwort«, meinte Dumbledore plötzlich und hatte die Hand auf Harrys Schulter gelegt. Überrascht drehte sich Harry um, da er nicht bemerkt hatte, daß Dumbledore seinen Platz verlassen hatte und nun hinter ihm stand. Die Tür zur Großen Halle schloß sich, und nur noch die DA-Mitglieder waren anwesend.

Der Blick Harrys schweifte durch die Halle. »Cho wird heute in der Mittagspause kommen. Wäre schön, wenn ihr dabei wärt, wenn ich ihr von Williams Tod erzähle. Vielleicht treffen wir uns am besten unten am See, gleich am Beginn der Pause.« Die Umstehenden signalisierten durch Kopfnicken ihre Zustimmung.

»Ich werde Miß Chang zu euch bringen und mich dann zurückziehen«, schlug Dumbledore vor und wandte sich dann an Harry. »Wir beide sehen uns dann noch heute abend. Eure Fortschritte mit den Schilden sind einfach zu bedeutend.«

Harry nickte ihm kurz zu und kehrte zu Hermine und den anderen zurück.

Nun verließen auch die DA-Mitglieder die Große Halle. Schnell kehrte Harry mit den anderen in den Gryffindor-Turm zurück, um von dort seine Schulsachen zu holen. Ihre Wege trennten sich, als Luna und Ginny zu Professor McGonagall gingen, während Harry und die anderen zu Professor Snape mußten.

Kaum kamen sie im Kerker an, sahen ihn einige schon sehr interessiert an. Vor allem die DA-Mitglieder wollten wohl gern wissen, was gestern abend geschehen war. Dagegen sah Blaise Zabini angriffslustig und gefährlich aus. Nur Momente später rauschte Snape durch die Tür in den Kerker und lief mit wehendem Umhang zum Lehrertisch. Er hatte sich seit dem Frühstück wohl weiter erholt und sah nun beinahe nur noch so krank aus wie sonst immer.

»Kommen wir zum Wesentlichen.« Snape wedelte sofort mit seinem Zauberstab. An der Tafel erschienen die Zutaten von zwei wichtigen Tränken, die er vielleicht in der Prüfung abfragen wollte. »Miß Granger erhält dreißig Hauspunkte«, verkündete Snape so nebenbei, und nun horchte Harry auf. Das hatte sicher etwas mit dem Abend zuvor zu tun.

Zabini hob seine Hand und protestierte aufgebracht. »Aber Sir! Wofür kriegt das Schlammblut Punkte?«

»Das geht Sie gar nichts an, Mr. Zabini. Zehn Punkte Abzug für Slytherin. Und wenn Sie das nächste Mal unaufgefordert sprechen, dann werden Sie es danach nie wieder in meinem Unterricht können, haben wir uns verstanden?«

Die halbe Klasse konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Zabini nickte grimmig.

»Was hast du gestern für Snape gemacht?« fragte Harry leise seine Freundin.

Plötzlich wurde er von dem Tränkemeister scharf angesehen. »Mr. Potter kann mal wieder den Mund nicht halten. Zehn Punkte Abzug für Gryffindor.« Lächelnd lief Snape zurück zum Lehrertisch.

»Mieses …«, fing Harry leise an, als er eine Hand auf seinem Oberschenkel fühlte. Er blickte Hermine in ihr grinsendes Gesicht.

»Später«, sagte sie bloß und konzentrierte sich auf die Wiederholung, welche Snape vorgesehen hatte.

Nach der Doppelstunde in Zaubertränke hatte sie einige Minuten Pause, während sie auf dem Weg zur nächsten Stunde waren. Das wollte Harry nutzen, um Hermine auszuquetschen. »Also, was hast du nun getan?«

»Ich mußte ihm einen Trank brauen. Ist dir nicht aufgefallen, wie schlecht er gestern und wie gut er heute wieder aussah?« Sie lächelte geheimnisvoll.

»Was für einen Trank, und warum du?«

»Das ist eine Sache, die ich dir im Augenblick nicht verraten möchte. Ich mußte versprechen, es nicht leichtfertig zu erzählen«, gab sie zurück und küßte ihn zum Trost.

»Nun gut, dann werde ich das wohl akzeptieren müssen«, beschied Harry mit einem Lächeln und holte sich einen weiteren Kuß.

Als es nach der nächsten Doppelstunde zur Mittagspause klingelte und Harry den Klassenraum verließ, wurde ihm schlagartig wieder bewußt, daß Cho nun wahrscheinlich hier war und er ihr irgendwie schonend Williams Tod beibringen mußte. Händchenhaltend lief er mit Hermine hinunter bis vor die Große Halle, wo schon viele der DA-Mitglieder warteten, während er darüber nachdachte, wie er ihr überhaupt davon berichten sollte. Es tat ihm so leid für sie, und er wußte nicht, was er tun konnte, um ihr die Sache zu erleichtern. Natürlich wußte er noch genau, wie er sich nach Sirius' Tod gefühlt hatte, wie verloren und allein, doch würde es ihr vielleicht noch schlimmer ergehen. Wenn er es nur mit Hermines Hilfe überwinden konnte, wer war nun noch da, um Cho zu helfen? Wer würde ihr Trost spenden?

»Gehen wir schon zum See. Dumbledore wird Cho wohl zu uns bringen«, schlug Harry vor und verließ mit Hermine das Schloß.

Langsam schlenderte die große Gruppe hinunter zum See. Auf dem Wege dorthin wurde kaum gesprochen, doch Harry spürte die Anspannung in jedem von ihnen wachsen. Auch die anderen wollten wissen, was gestern zu Williams Tod geführt hatte, und darauf bereitete sich Harry innerlich vor. Natürlich würde es ihm schwerfallen, die Geschehnisse erneut zu schildern, erneut die Bilder vor sich zu sehen, doch war er es zumindest Cho schuldig, und auch die anderen sollten es hören. William war einer von ihnen. Er war nicht nur ihr Verbündeter, er war mittlerweile ihr Freund, und jeder von ihnen würde ihn vermissen. Seufzend drückte er Hermines Hand ein wenig fester, während er ansonsten still seinen Weg fortsetzte.

Der Kalender wies für heute den Sommeranfang aus, und tatsächlich präsentierte sich das Wetter von seiner schönsten Seite. Es war sonnig und mild, der Wind war kaum mehr als eine leichte Brise, und die Bäume des Verbotenen Waldes strahlten im sattesten Grün. Als Harry schließlich mit der Gruppe am See ankam, setzte er sich einfach auf die Wiese, und fast alle taten es ihm gleich. Einige Minuten vergingen, in denen er es einfach genoß, in der Gruppe seiner Freunde zu sitzen und Hermine im Arm zu halten. Wäre der Anlaß für diese Zusammenkunft nicht so traurig, Harry wäre in diesem Moment wohl sehr glücklich gewesen.

»Dumbledore kommt mit Cho«, rief jemand, und Harry blickte auf.

Tatsächlich kam eine große Gestalt vom Schloß herüber, und eine nur etwas kleinere, aber deutlich zierlichere Person begleitete ihn. Es dauerte noch eine Weile, bis beide dann vor ihnen standen. Cho sah ein wenig merkwürdig aus, doch Harry vermutete, daß es daran lag, daß sie nicht wußte, warum sie hier war. Niemand sagte ein Wort, und das schien sie zusätzlich zu verunsichern. Dumbledore nickte Harry zu und ging dann einfach davon. Zwar war es so abgesprochen, doch irgendwie fiel es Harry dadurch nur noch schwerer. Mehrmals hatte er sich schon Gedanken gemacht, wie er ihr es sagen sollte, doch fand er keine Möglichkeit, es irgendwie erträglicher zu gestalten. Zögerlich stand er auf und ließ dabei Hermine los. Langsam ging er auf Cho zu, die sich völlig verwirrt umblickte.

»Was ist hier denn los? Dumbledore hat nichts gesagt«, preßte sie hervor und sah dann Harry in die Augen. Einen Augenblick lang suchte sie die Menge ab und fand nicht den, den sie suchte. Ihre Augen wurden rot, und Harry wußte, daß sie den Grund für ihre Anwesenheit schon erraten hatte; sie war nicht umsonst eine Ravenclaw. Harry stand nahe vor ihr, als ihre Tränen begannen, ungebremst ihre wunderschönen Wangen hinunterzulaufen. »Nein!« stöhnte sie nur noch, bevor Harry sie schon zärtlich in den Arm nahm.

Leise begann er zu erzählen, was gestern abend passiert war, bis er bemerkte, daß die anderen der DA ihn nicht hören konnten. Zaghaft zog er sie auf den Rasen und hielt Cho fest im Arm, während sie laut weinte. Für alle hörbar begann er von vorne zu erzählen, wie es zum Duell mit Krum gekommen war und wie er gegen ihn gekämpft hatte; wer das Match gewonnen hatte, erwähnte er nicht, und als ob es auch nicht wichtig gewesen wäre, fragte ihn auch niemand danach. Inzwischen lag Chos Kopf in seinem Schoß. Sie schluchzte zwar noch leise, doch ihre Tränen waren schon fast versiegt. An dieser Stelle warf er Hermine einen Blick zu, und sie erzählte dann weiter, da sie die einzige Augenzeugin von Williams Ende gewesen war.

Als Hermine erzählte, wie es genau passiert war, vergrub sich Cho in Harrys Schoß, weinte von neuem und heftiger als zuvor. Sie vergrub sich so tief, beinahe so, als wollte sie es nicht hören, weil es dann vielleicht doch nicht geschehen war. Als Hermine davon erzählen wollte, auf welche Art Krum sein verdientes Ende gefunden hatte, schüttelte Harry unmerklich den Kopf, und sie verstand es sofort. Von den Schilden erwähnte sie deshalb nichts und ließ damit offen, wie Krum gestorben war. Nur einen kurzen Moment später gab er Cho einen zärtlichen Kuß in ihr herrliches, seidiges, schwarzes Haar und zog sie ein Stück hoch.

»Du bist nicht allein«, versicherte er und nahm sie wieder in die Arme. »Wir sind alle deinetwegen hier.«

Hermine beendete die Geschichte mit Dumbledores Auftauchen und kam nun ebenfalls herüber. Sie kniete sich hinter Cho und legte ihren Kopf auf ihren Nacken. Cho begann erneut zu weinen, doch beruhigte sie sich fast genauso schnell und stand plötzlich auf.

»Ich danke euch allen … wirklich. Ihr seid … wie eine Familie … doch ich muß erst mal allein sein«, sagte sie in einem leicht wimmernden Ton, warf Harry einen seltsamen Blick zu und lief plötzlich in Richtung Waldrand davon. Harry wußte nicht, was er tun sollte, und konnte ihr nur verwirrt hinterhersehen.

»Geh allein zu ihr«, flüsterte Hermine plötzlich und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. Niemand sonst hatte es gehört.

»Ich weiß nicht«, erwiderte er leise und sah seine Freundin hilflos an.

»Sie muß dir etwas sagen, was niemand hören soll; und sie will von dir etwas hören, daß niemand anderes hören darf«, erklärte sie flüsternd und lächelte ihn geheimnisvoll an.

Harry verstand es nicht. »Wie meinst du das?« Sie lächelte nur. Harry stand auf und sah in die Runde. »Ich danke euch, daß ihr alle hier wart. Ich weiß, daß wir immer aufeinander zählen können, egal, was kommt.« Er lächelte sie alle an. Fast alle erwiderten das Lächeln, doch einige wenige schienen sehr nachdenklich. Einer von ihren war Zacharias Smith. »Was denkst du, Zacharias?«

»Ich frage mich, wie viele von uns noch sterben werden, bevor der Dunkle Lord endlich verreckt?« Einige nickten mit dem Kopf.

»Wie soll ich das wissen?« fragte Harry unsicher und ging einige Schritte auf ihn zu.

»Ich weiß nicht. Aber es kommt mir alles so sinnlos vor. Wir haben soviel gelernt und dennoch ist William gestorben. Dabei war er einer der Besten von uns und hat nicht einmal gegen den Dunklen Lord persönlich gekämpft. Und selbst wenn mal jemand gegen ihn gekämpft hat und drohte, ihn endlich zu besiegen, dann hatte er noch irgendeinen Trick parat und verschwand einfach. Das ist alles so unfair.« Zacharias war mit jedem Wort zorniger geworden.

»Das weiß ich alles«, sagte Harry und ging weitere Schritte auf ihn zu. »Aber ich verrate euch was. Wir haben eine mächtige Waffe entdeckt, die ich euch schon sehr bald vorstellen werde; eine Waffe, die niemand der Todesser kennt, und selbst wenn sie sie kennen würden, nicht nutzen könnten. Ich kann dir nicht versprechen, daß niemand mehr von uns sterben wird; genausowenig, wie ich dir versprechen kann, daß du überleben wirst; doch vertrau mir, wenn ich dir hier und jetzt sage: Zusammen werden wir siegen!« Harry hielt ihm seine Hand hin. Nach einigem Zögern griff Zacharias zu, und auch einige der Umstehenden legten ihre Hand drauf.

»Du solltest zu Cho. Sie braucht dich«, sagte Zacharias und lächelte.

»Geht jetzt lieber essen, sonst kriegt ihr nichts mehr«, rief Harry und bahnte sich seinen Weg durch die Menge.

Nach einem letzten Blick auf Hermine lief er Cho hinterher. Er beschleunigte ein wenig seine Schritte und kam recht schnell an den Rand des Waldes, an dem er entlanglief. Eine oder zwei Minuten später fand er Cho, die mit dem Rücken an einem großen Baum saß und ihr Gesicht zwischen ihren angezogenen Knien versteckte. Leise betrat Harry den Wald und lief langsam die zehn Schritte hinein. Als er sich still neben sie gesetzt hatte, blickte sie einen kurzen Moment auf, und er konnte ihr in ihre verheulten Augen sehen.

»Es tut mir so schrecklich leid. Es ist alles meine Schuld«, sagte Harry und zog ebenfalls die Knie an, die er mit seinen Armen umschlang. Cho lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

»Schickt dich Hermine?« fragte sie mit tränenerstickter Stimme.

»Ja«, antwortete Harry ehrlich.

»Sie ist wirklich nett. Ich hoffe, du bist glücklich mit ihr«, flüsterte sie unglaublich leise.

»Wenn du nur wüßtest, wie sehr«, sagte Harry leise, bereute es aber schon einen Moment später.

»Ich wünschte … William wäre noch da.«

»Ich auch. Er war ein großer Zauberer.« Harry legte traurig seinen Arm um ihre Schulter.

»Ich … habe es ihm nie gesagt.«

»Er hat es gewußt!« erwiderte er schnell. Er wußte, was sie gemeint hatte. William hatte sie geliebt, und er wußte, daß sie auch ihn geliebt hatte.

»Warum nur habe ich kein Glück? Erst verlier' ich Cedric, dann dich und dann William.«

Er hielt sie fester. »Du hast mich nicht verloren. Ich werde immer für dich dasein, nur kann ich es nicht … auch auf diese Art.«

»Ich weiß«, erwiderte sie und wischte sich ein paar Tränen weg.

»Irgendwann wird es besser. Auch wenn ich lange selber nicht daran glauben wollte. Heute weiß ich es.« Er hob ihr Kinn und sah ihr fest in die Augen. »Vertrau mir dabei.« Kurz und zärtlich berührten seine Lippen die ihren, in der Hoffnung, vielleicht ein wenig des Schmerzes von ihr zu nehmen. Kaum hatte er sich auf die Beine gestemmt, zog er auch sie hoch. »Komm mit zum Essen und erzähl uns vom Ministerium. Wenn du heute abend im Bett liegst, bleibt noch genügend Zeit, um zu trauern und zum Weinen. Ich weiß das nur zu gut.« Dabei lächelte er zaghaft.

Schließlich legte er seine Hand um ihre Taille und führte sie den Weg hinauf zum Schloß. Sie sprachen kein Wort, bis sie in der Großen Halle waren, doch wußte Harry, daß sie sich nicht aufgeben würde … daß sie es schaffen würde. Am Slytherin-Tisch hatte Hermine ihnen einen Platz freigehalten, und Harry setzte Cho in die Mitte. Zwar war nicht mehr viel Zeit zum Essen, doch würgte er schnell etwas hinunter, um wenigstens die Leere in seinem Magen ein wenig zu dämpfen. Mehr als zwei oder drei Bissen bekam sie allerdings nicht hinunter, was Harry aber nicht verwunderte.

Derweil erzählte sie aber tatsächlich vom Ministerium und wie sie anfangs ein paar Tage in einige der Abteilungen hineingeschnuppert hatte. Inzwischen hatte sie eine Schnellausbildung zum Auror gewählt und war bereits in der Grundausbildung, die noch drei Wochen dauern würde. Auch zwölf der anderen hatten sich für diese Ausbildung entschieden, während Katie eine von denen war, die lieber in andere Abteilungen wollten. Sie erzählte ein wenig über die Flüche, die sie erlernten, und daß es fast so wie in der DA war, nur daß sie hier zehn Stunden am Tag üben und lernen würden. Sie selbst hatte mit den anderen eine große Gemeinschaftsunterkunft bezogen, in der sie zumindest noch bis zum Ende der Ausbildung zusammenbleiben wollten, was wohl noch etwa vier Monate wären. Nach ihrem Bericht wurde sie noch von einigen alten Klassenkameradinnen eingeladen, noch kurz an ihren Tisch zu kommen, und sie kam der Einladung gerne nach.

Kaum war sie weg, wurde Harry von Hermine angestarrt. »Sag schon, was ist passiert?« fragte sie neugierig, als er nicht von sich aus beginnen wollte.

»Ich habe sie geküßt«, antwortete er ehrlich, konnte aber nur für wenige Augenblicke ein leichtes Lächeln zurückhalten.

»Nicht wirklich?« rief Ron aus, der nicht bemerkt zu haben schien, daß er Hermine nur necken wollte.

»Sag schon«, forderte Hermine ihn auf, und er konnte ihr ansehen, daß sie seine Intention sofort durchschaut hatte. Nichts anderes hatte er von ihr erwartet, war er doch vor nicht allzu langer Zeit schon einmal in der gleichen Situation mit dieser Art der Stichelei ebenfalls gescheitert. Also begann er statt dessen einfach zu erzählen, was er und Cho miteinander besprochen hatten.

»Ich hoffe, sie kommt wirklich drüber weg«, meinte Neville nachdenklich und warf ihr dabei einen langen Blick zu.

»Sie kann schon wieder lächeln«, sagte Luna und begann dabei ebenfalls zu schmunzeln.

Nur einen Augenblick später war die Pause schon wieder vorbei, und Harry saß mit Hermine in der Vorlesung Geschichte der Zauberei. Inzwischen war Cho schon wieder ins Ministerium zurückgekehrt und dabei von Professor Dumbledore begleitet worden. Professor Binns Wiederholungen waren trocken und langweilig wie immer, vielleicht sogar noch ein wenig trockener und langweiliger, trotzdem waren, mit drei Ausnahmen, alle überaus aufmerksam. Diese drei waren Slytherins, welche nicht zur DA gehörten, und einer von ihnen war Blaise Zabini. Ab und zu warf Harry einen Blick auf ihn und fragte sich, wie gefährlich er wirklich war. Auf ihn machte er meist einen etwas dümmeren Eindruck, doch hatten Vincent und Gregory dies auch getan, wobei sie sich hinterher als deutlich intelligenter als angenommen herausgestellt hatten. Unweigerlich mußte er dabei auch an das nächste Jahr denken, wenn Murtaghur die Schule verlassen hätte und damit der letzte der ihm feindlich gesinnten Slytherins, die er als überaus gerissen und gefährlich einschätzte. Zwar gab es noch einige im sechsten oder auch im fünften Jahr, die gefährlich sein könnten, doch ohne Führung waren sie nur schwer einzuschätzen. Zu diesen gehörte auch Blaise Zabini. Anfang des nächsten Schuljahres würde Harry ihn prüfen. Er wollte Zabini eine gute Gelegenheit liefern und sehen, was er aus ihr machen würde.

»Würden Sie uns bitte sagen, wer Dongl der Troll war und wann er gelebt hat, Mr. Potter?« ertönte eine schnarrende Stimme, und Harry realisierte erst bei der Nennung seines Namens, daß er gemeint war. Dongl der Troll, ging es durch seinen Kopf.

»Ähhm … Selbstverständlich, Sir …«, begann Harry und spielte ein wenig auf Zeit. Er wußte, wer Dongl war, doch es fiel ihm im Moment nicht ein. Er spürte eine Berührung seines Oberschenkels; beinahe so etwas wie ein Stromstoß fuhr durch seinen Körper und endete erst in seinem Gehirn. »Dongl, Sir, ist 1709 geboren worden. Dies tat er als Sohn von Degalo und als Tochter von Dubina. Schnell entwickelte er sich zu einem der mächtigsten Anführer des Clans der ... Dolaten und begann ... im Jahr 1744 den Krieg gegen der Clan der Maltoben. Dieser führte schließlich zur Schlacht von Brix und gipfelte auch in ihr. Er starb als Clanchef, zu dem er während des Krieges aufgestiegen war, im Verlauf ... dieser vierzehn Wochen dauernden Schlacht am ... einundzwanzigsten Dezember 1756. Sein Sohn Digalon übernahm nur zwei Wochen später die Führerschaft im zarten Trollalter von nur neunzehn Jahren, und dies, obwohl er seinen Vater hinterrücks ermordet hatte. Er verlor die Schlacht und damit den Krieg nur drei Tage später, vor allem aufgrund mangelnder Erfahrung und fehlender Unterstützung aus den eigenen Reihen.«

»Ausgezeichnet, Mr. Potter. Ich dachte schon, Sie wären gar nicht anwesend«, lobte Binns und schwebte zurück zu seinem Tisch. Unter dem Tisch verspürte er eine weitere Streicheleinheit, welches wohl die Belohnung für sein reichliches Wissen darstellte, und Harry schwor sich, mit seinen Bemühungen nicht nachzulassen.

Der restliche Unterricht bei Professor Binns war ziemlich ereignislos, und erst bei Hagrid gab es wieder Neuigkeiten. Die Charjaven waren tatsächlich krank geworden, und Hagrid vermutete eine Art Pollenallergie. Im Moment erwartete er dringend Nachricht von seinem Freund aus Kanada betreffs dieser Allergie. Die Charjaven sahen für Harrys Geschmack ein wenig zu abgemagert aus und tobten auch nicht durch die Luft wie sonst immer. Obwohl sie ihm irgendwie leid taten, konnten sie sich nicht um sie kümmern, sondern mußten auch für Hagrids Unterricht die Theorie wiederholen.

Die Stunde war schneller vorbei, als er gedacht hatte, und er begab sich mit den anderen DA-Mitgliedern noch auf einen kurzen Sprung zu den Riesen. Grawp freute sich über alle Maßen, daß Harry wieder einmal vorbeikam. Nach einer knappen halben Stunde gingen Harry und die anderen wieder ins Schloß und zogen sich bis zum Abendessen in die Bibliothek zurück, wenn man von einem kleinen Besuch bei Hedwig absah, bei dem er sie schon zu den Dursleys vorschickte. Er fand es eine gute Idee von Hermine, ihren Käfig zu schrumpfen und sie so nicht mitschleppen zu müssen.

»Was geht dir durch den Kopf«, fragte Hermine, als Harry sich nur halbherzig etwas für Zaubertränke durchlas.

»Dir entgeht aber auch gar nichts, oder?« fragte er sie lächelnd und streichelte ihren Oberschenkel.

»Was dich angeht, nur wenig. Also sag schon.«

»Ich habe mir überlegt, nicht nur mit Dumbledore heute an den Schilden zu arbeiten. Ich hab' doch vorhin mit Zacharias gesprochen, und ich denke, es wird Zeit, daß alle es sehen.«

Hermine holte ihre Münze heraus und zog ihren Zauberstab. »Gruppe eins oder zwei? Oder beide?«

»Beide.«

Hermine berührte die Münze und legte den Zeitpunkt für das Treffen fest.

Als sie zum Abendessen kamen, hatten sie alles Nötige erledigt, und zum ersten Mal an diesem Tag spürte Harry wieder echten Appetit. Zwar wußte er nicht warum, doch irgendwie konnte ihm auch Williams Tod den Appetit nicht mehr verderben. Auch Hermine aß schon wieder besser, doch noch nicht so viel, wie sie essen sollte. Deshalb beschloß er, ein wenig vom reichhaltigen Essen mitzunehmen und ihr im Laufe des Abend noch etwas davon anzubieten. Kaum war das Essen vorbei, stürmten über achtzig DA-Mitglieder aus der Großen Halle und strömten auf verschiedenen Wegen zum DA-Raum. Als Harry sich mit seinen Freunden so ziemlich als letzter auf den Weg machte, traf er an der Eichentür auf Dumbledore.

»Wird es heute eine große Vorführung?« fragte er, und Harry nickte. »Dann werde ich Verstärkung holen.«

Dumbledore verschwand, und Harry betrat nur wenige Minuten später den DA-Raum, in dem er schon erwartet wurde.

»Unglaublich, wie viele Leute hier reingehen«, flüsterte Ron ihm zu.

Tatsächlich war dieser Raum diesmal höchst eigenartig; er war noch weit größer als sonst und optimal auf Harrys Bedürfnisse eingestellt, obwohl jemand der anderen ihn gerufen hatte, der noch gar nicht hatte wissen können, was heute hier passieren sollte.

Zuerst begrüßte Harry alle und dankte für ihr Erscheinen. »Ich denke, ihr könnt euch denken, warum wir hier sind, zumindest diejenigen unter euch, die das Gespräch zwischen mir und Zacharias verfolgen konnten – wir haben eine neue Waffe! Eine mächtige Waffe gegen die Todesser. Diese Waffe kennt ihr bereits zum Teil, doch einiges ist völlig neu; so neu, daß kaum jemand davon weiß. Aber selbst wenn unsere Feinde davon wüßten, sie könnten mit dieser Information allein nur sehr wenig anfangen, weil ihnen dafür ein wichtiges Detail fehlt, was noch viel weniger kennen und daß auch niemand mehr erfahren wird – auch niemand von euch. Wir warten noch einen Augenblick auf einen Gast, und dann werdet ihr etwas sehen, was wir uns so zwar erhofft hatten, doch was selbst ich niemals wirklich zu glauben wagte.« Harry setzte sich auf den Boden. Hermine und die anderen vier setzten sich zu ihm.

»Das mit den Stäben verbinden, das willst du keinem zeigen?« fragte Ron leise.

Harry schüttelte nur den Kopf. »Das ist für sie ein unwichtiges Detail, welches wir auf jeden Fall verbergen sollten.« Hermine nickte.

»Wenn wir die Schilde erst einmal einsetzen, werden es die Todesser schnell genug mitbekommen; doch um so schwieriger wir es ihnen mit der ganzen Geschichte machen, um so besser ist es für uns«, bekräftigte Ginny, und nun nickte auch Ron.

Nur eine Minute später betrat Dumbledore mit einigen Begleitern den Raum. Sofort erkante Harry Minister Fudge, und auch Mad-Eye war da, ebenso wie der alte Zauberer, der damals im Ministerium um eine Vorführung gebeten hatte. Sogleich stand Harry auf und begrüßte die drei, wobei es bei Mad-Eye am herzlichsten ausfiel.

Da Harry zumindest einen von ihnen nur vom Namen her kannte, stellte er sich diesem auch gleich offiziell vor. »Hallo. Harry Potter«, begrüßte er etwas verlegen den alten Mann.

Dieser begann breit zu grinsen. »Mir brauchst du dich gewiß nicht vorzustellen, doch ich denke, ich sollte dir zumindest sagen, wer ich bin und was ich tue, oder? Ich bin der Leiter der Abteilung für Experimentelle Zauberei, und mein Name ist Kenneth Foster. Wir trafen uns einmal im Ministerium bei deiner umwerfenden Vorführung.«

Harry nickte sofort. »Ich weiß, Sir!« Er lächelte und wandte sich dann an Dumbledore. »Ich würde gern anfangen. Vielleicht könnte Mad-Eye assistieren.« Nur einen Moment später stand Mad-Eye mit gezücktem Zauberstab bereit. »Nun gut. Das wird jetzt kompliziert werden. Ich bitte alle Unbeteiligten, so weit wie möglich zurückzutreten«, sagte Harry lauter und sah beim letzten Satz auch Dumbledore, Fudge und Foster an. Die drei gingen mit den DA-Mitgliedern auf Abstand.

Harry wandte sich an die Beteiligten dieser Vorführung: »Folgendes schlage ich vor. Ron wird von Hermine und Neville mit einem gemischten Schild geschützt, und ich schütze Mad-Eye mit einem Weltum-Schild, während dieser einen Cruciatus auf Ron abschießt. Sollte alles klappen, dann wird der Cruciatus auf Mad-Eye zurückreflektiert und dabei von meinem Weltum-Schild unschädlich gemacht. Alles verstanden?«

Etwas unsicher hob Ron seine Hand. »Wie sicher bist du, daß es klappt.«

»So sicher, wie ich hier vor dir stehe.«

»Dann los«, grunzte Mad-Eye und ging in Position.

»Moment, ich erkläre nur eben, was wir hier machen.« Harry wandte sich an die Zuschauer und erzählte ihnen noch einmal das gleiche.

»Was ist, wenn dein Weltum-Schild den Cruciatus unkontrolliert reflektiert, wie es in meinem Büro oder auch im Ministerium geschehen ist?« fragte Dumbledore.

Harry lächelte. »Keine Sorge, Professor. Mein Weltum-Schild ist noch mächtiger geworden. Der Fluch wird nur aufgesogen und löst sich auf.« Harry drehte sich um. »Dann los!« rief er den anderen zu und wartete darauf, daß Hermine und Neville ihre gemischten Formeln sprachen.

Als sie es getan hatten nickte Hermine und gab damit das Zeichen, daß es funktioniert hatte. Nun war Harry dran, obwohl wieder einmal kein Schild um Ron herum zu sehen war, was diesen sichtlich irritierte. Tatsächlich provozierte das Fehlen jeglicher visueller Rückmeldungen auch eindeutige Reaktionen im Publikum, die Harry aber nicht weiter beachtete.

»Proturesa Weltum!« sagte er, und ein unglaublich heller Schild baute sich um Mad-Eye herum auf. Nicht nur dieser wurde von der Intensität des Lichts einen Moment lang geblendet, auch Harry kniff die Augen kurz zusammen.

»Crucio!« sprach Mad-Eye in dem Moment, in dem auch Harry wieder deutlich genug sehen konnte.

Der Lichtblitz schoß gegen Rons Schild – ein unglaublich helles Licht erstrahlte – ein dumpfes vibrierendes Geräusch war nur einen Moment später zu hören, als Harry und wohl auch die meisten anderen die Augen schon wieder geschlossen hatten. Nach dem erneuten Öffnen seiner Augen sah Harry das Resultat dieses Versuches. Niemand war von dem Cruciatus getroffen worden und es hatte alles genau nach Plan funktioniert. Applaus brandete kurz auf, doch Harry hielt alle zur Ruhe an.

»Dies war nur eine Vorführung eines eingespielten Teams. Es wird einige Zeit dauern, bis ein jeder von euch diesen Schutzschild bewirken kann, und es gibt auch noch einige Einschränkungen. Ich werde ein Beispiel vorführen. Ihr alle solltet sehen, was passiert, wenn man sich nicht peinlich genau an einige Regeln hält.« Harry gab Ron und Hermine ein Zeichen. »Neville wird nur einen normalen Stupor auf mich abfeuern, doch diesmal wird mich der Schild, den Ron und Hermine errichten, nicht schützen. Ganz im Gegenteil!«

Harry gab nun auch Neville ein Zeichen und stellte sich in Position. Hermine und Ron bauten die gemischten Schilde auf, und nur einen Moment später schoß Neville den Stupor ab. Harry sah den Schild aufblitzen, der Stupor wurde aufgesogen, und er mußte dabei die Augen schließen. Es gab einen lauten Knall, und alles wurde schwarz.

Als Harry seine Augen öffnete, standen etliche besorgt um ihn herum, während Hermine sanft seinen Kopf hielt.

»Das erste- und das letztemal, daß ich das vorführe«, sagte Harry leicht zittrig und begann zu grinsen. Mühsam rappelte er sich auf die Beine und wurde von Ron dabei unterstützt. Langsam legte sich die ganze Aufregung, und alle stellten sich wieder um ihn herum auf. »Wie ihr gesehen habt, kann bei falscher Verwendung der Schilde ein unbeabsichtigter Nebeneffekt erzielt werden. Ich glaub' … mir ist … schwindlig.« Harry mußte sich wieder setzen.

»Das war bei mir nicht so«, meinte Ron.

»Ich glaub', ich geh' auf den Krankenflügel. Hermine, würdest du bitte allen erklären, daß es an fehlender Kompatibilität lag und daß sich jeder eine Gruppe von sechs Leuten suchen muß, mit denen man dann in der Lage sein wird, diese Schilde zu bewirken. Ansonsten weißt du ja Bescheid.« Harry versuchte wieder aufzustehen. »Ron, bringst du mich bitte.« Im selben Moment hatte Ron schon Harrys Arm auf seine Schulter gezogen, und so machten sie sich auf den Weg.

Kurz darauf kamen sie im Krankenflügel an, und Madam Pomfrey kümmerte sich sofort um Harry. »Das war wirklich sehr unvernünftig. Ich verbitte mir in Zukunft solche Experimente«, schalt sie, als Ron ihr erklärt hatte, was passiert war. Wenig später hatte Harry einen Aufbautrank getrunken und schlief ein.

Als er wieder erwachte, lag Hermine hinter ihm und hatte ihren Arm um ihn geschlungen. Sofort wußte er, daß es noch sehr früh war, da die Sonne noch nicht aufgegangen war. Vorsichtig hob er Hermines Arm von sich herunter und schlüpfte aus dem Bett. Er setzte seine Brille auf und betrachtete einige Minuten lang diese schlafende Schönheit. Gleichmäßig hob und senkte sich ihr Brustkorb, und schon nach kurzer Zeit fing sie mit ihren Armen an, nach ihm zu suchen, obwohl sie dabei nicht erwachte. Noch immer konnte er nicht wirklich fassen, daß diese Frau ihn liebte.

Seiner Meinung nach verdiente sie so viel Besseres als ihn, doch offenbar sah sie das anders, und dafür war er ihr dankbar. Wie gern würde er das Leben mit ihr voll genießen können, ohne Voldemort, Todesser, lebensbedrohliche Situationen, verrückte Quidditch-Spieler, Fans, Reporter und was ihnen sonst noch das Leben schwermachte, doch im Augenblick war dies nicht möglich. Im Augenblick war sein Leben eines, das er so nicht führen wollte, doch es war ein Leben, welches so vorherbestimmt war und dessen Herausforderungen er sich stellen wollte. Er konnte nur hoffen, daß sie das ruhige Leben, welches er sich ersehnte, nach all diesen Herausforderungen würden führen können. Leise seufzend blickte er zur Uhr.

Müde war er nicht mehr, obwohl die Uhr anzeigte, daß es noch kurz vor vier war. Lautlos zog er sich an und wollte den Krankenflügel verlassen. Er wußte nicht, wieso er das tat, doch irgend etwas trieb ihn hinaus. Kaum war er vor die Tür getreten, spürte er das Schmerzen seiner Narbe, aber nur schwach und äußerst kurz. Ziellos ging er langsam durch die verlassenen Gänge der Schule und stand kurze Zeit später vor den Wasserspeiern, die den Eingang zu Dumbledores Büro bewachten. Da Harry das Paßwort nicht kannte, wollte er schon weitergehen, als die Wasserspeier plötzlich die Treppe freigaben und Dumbledore erschien.

»Guten Morgen, Harry, ich wollte eigentlich gerade zu dir.«

»Das ist ja eigenartig. Ich weiß nämlich nicht, warum ich hergekommen bin«, erwiderte Harry und ging Dumbledore hinterher. Sein Büro war nur schwach erleuchtet, und Remus saß auf einem der Stühle, den er freudig begrüßte. Auf dem Weg zu ihm sah Harry, daß Fawkes wieder einmal nicht da war.

»Das ging wirklich schnell«, meinte dieser, während er Harry die Hand reichte.

»Zufällig wartete Harry schon unten auf mich«, erklärte Dumbledore, während er sich setzte und ihnen zuzwinkerte.

»Seltsam. Nun gut. Wir haben wieder neue und sehr wichtige Informationen erhalten. Wir haben das Grab von Elisabeth Potter gefunden. Sie wurde in Rumänien begraben, als Ehefrau eines gewissen Mihaita Plesan.«

Damit hatte er Harry kalt erwischt. »Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.« Hilflos blickte er zu Dumbledore.

»Es ist alles ein wenig anders, als wir bisher gedacht haben«, fuhr Remus fort.

»Wie meinst du das?«

»Bisher haben wir geglaubt, Voldemort würde Blutsverwandte von dir suchen. Dies stimmte zwar, doch suchte er sie auch aus anderen Gründen als nur für den Trank. Er wollte dringend jemanden finden, dem du vertrauen würdest und der dich töten könnte. Doch zunächst einmal solltest du erfahren, daß Elisabeth Potter keine leiblichen Kinder hatte und er diese Person damit auch nicht finden konnte. Sie hatte zwar noch einen Sohn, doch dieser trug nicht ihr Blut in sich. Ihr Mann brachte diesen Sohn mit in diese - seine zweite – Ehe, nachdem seine erste Frau verstorben war. Voldemorts Ziel ist aber erheblich größer, als nur einen Verwandten von dir zu finden. Er hat diese ganzen Zauberer und Hexen in Europa entführt, weil er von jedem einzelnen das Blut wollte und brauchte. Harry, verstehst du, oder muß ich deutlicher werden?«

»So ganz verstehe ich das, glaube ich, noch nicht. Ich habe also doch keine Verwandten mehr, und die Zauberer und Hexen, die entführt wurden, sind nicht nur wegen der Suche nach meinen Verwandten entführt worden, sondern auch deshalb, weil Voldemort auch ihr Blut wollte?« fragte Harry ungläubig.

»Du hast es doch verstanden«, meinte Dumbledore und lächelte kurz.

»Der Trank, den Voldemort braut, ist weit komplexer und noch gefährlicher, als bisher von uns angenommen. Inzwischen haben wir weitere Seiten mit Zutaten in unseren Händen, und darunter war auch eine äußerst wichtige Notiz. Wir glauben inzwischen, daß Voldemort einen Trank braut, der ihn vor jeglicher Art von Magie schützen soll, und dafür braucht er das Blut all der entführten Zauberer.

Ich weiß nicht, wie vertraut du mit Stammbäumen von Zaubererfamilien bist, doch gibt es in ganz Europa nur ungefähr zweihundertachtzig gänzlich voneinander getrennte Blutslinien, und über einhundert von ihnen hat er schon in Osteuropa aufgespürt. Wenn man jetzt nur England betrachtet, sieht man, daß es nur etwa fünfundvierzig gänzlich verschiedene Blutslinien in der Zauberergemeinschaft gibt, welche von Bedeutung sind. Wenn er so weitermacht wie bisher, wird er bald von fast keinem Zauberer in Europa mehr verletzt werden können.«

Langsam setzte sich diese Information auch in Harrys Gehirn durch. »Es können doch nicht nur so wenige sein, das kann doch nicht sein.«

»Doch, leider ist es so. Natürlich gibt es noch einige weitere Blutslinien, doch sind diese praktisch bedeutungslos, weil niemand von denen gegen ihn kämpft. Also wird Voldemort mit den Entführungen weitermachen, bis er alle für ihn benötigten Blutproben zusammenhat.«

»Warum hat er nicht hier mit den Entführungen angefangen?«

»Weil er das Blut seiner Todesser hat und hatte. Es gibt nur wenige Blutslinien, die nicht auch unter seinen Todessern vertreten waren. Zu denen, die er noch dringend benötigt, gehört auch die der Weasleys. Zudem fehlt ihm das Blut von Albus, und meines ebenso. Falls er aber auch diese ihm noch fehlenden Blutproben dem Trank hinzugeben könnte, wird er beinahe unverwundbar sein. Aber nicht nur er selbst; er braut solche Mengen von dem Trank, daß er damit eine ganze Armee schützen könnte – seine ganze Armee!«

Für einen unerträglich langen Augenblick war es im Raum so still, daß Harry kaum zu atmen wagte.

»Doch uns bleiben genug Trümpfe«, sagte Harry plötzlich. Remus schien dadurch verwirrt zu sein, da er zu Dumbledore blickte. Dieser schien aber auch nicht ganz zu begreifen, worauf Harry genau hinauswollte. »Ich meine zum Beispiel Zauberer und Hexen wie Hermine; Voldemort würde zu ihnen Schlammblüter sagen! Vor ihnen wird er sich nicht schützen, und dann bin auch immer noch ich da. Allerdings darf er niemals Petunia Dursley in seine Finger bekommen. Professor Dumbledore sollte dringend seinen Bruder schützen. Zudem müssen wir weitere Zauberer und Hexen auf unsere Seite ziehen und sie für den Kampf ausbilden. Selbst wenn er sich vor vielen von uns schützen kann, es gibt genug andere, vor denen er sich nicht schützen kann oder will.«

»Das nutzt uns nur nicht viel, da es von den Muggelgeborenen viel zu wenige gibt, die an unserem Kampf teilnehmen könnten«, gab Remus zu bedenken.

»Es muß nicht sehr viele von ihnen geben; wenige können genügen. Wir müssen es nur schlau genug anstellen«, entgegnete Harry, und Dumbledore nickte unmerklich bei seinen Worten. »Vielleicht bekommen wir auch noch die Chance, den Trank zu sabotieren. Wir haben acht Monate lang Zeit, sein Versteck zu finden. Vielleicht könnten wir von ihm benötigte Zutaten irgendwie markieren, um ihn dadurch aufzuspüren.«

»Zumindest sollten wir es wirklich versuchen«, bemerkte Dumbledore ernst und blickte Harry lange in die Augen. »Dann kommen wir noch kurz auf Viktor Krum zu sprechen.« Sofort horchte Harry merklich auf. »Viktor Krums Eltern gehören auch zu Voldemorts Opfern. Sie wurden vor etwa zwei Wochen überfallen, und Voldemort bekam von seinen Handlangern die Nachricht, daß man fündig geworden sei. Diese Nachricht interpretierten wir dahingehend falsch, daß wir glaubten, sie hätten deine Verwandten gefunden, doch fanden sie in Wahrheit etwas anderes.

Es waren Briefe, die Hermine im letzten Jahr an Viktor Krum geschrieben hatte, kurz bevor Krum nach Italien gegangen war, um dort Quidditch zu spielen. Voldemort hat natürlich sofort die Chance ergriffen und ist nach Italien gereist. Dort hat er Krum aufgesucht und davon überzeugt, sich zu holen, was ihm zusteht. Dieser war von Hermine besessen, und Voldemort brauchte nicht einmal sehr viel Überzeugungskraft zu verwenden. Daß ihr beiden ein Paar geworden wart, wußte Voldemort natürlich, und so sollte Krum dich töten, um dadurch Hermine bekommen zu können.

Pansy Parkinson wurde von Peter angewiesen, Krum dabei zu helfen, was sie nur zu gern tat. Krum schrieb einen Brief und kam her. Sein Ziel bist von Anfang an zuerst du gewesen. Hermine war nur sein Sekundärziel.« Harry mußte schlucken. »Im Moment war das alles. Wenn du möchtest, kannst du dich noch ein wenig hinlegen.«

Dumbledore reichte Remus schon die Hand, welche dieser ergriff. »Sobald es etwas Neues gibt, melde ich mich«, sagte dieser und stand auf. »Wiedersehen, Harry.« Mit diesen kurzen Worten griff er einen Portschlüssel, mit dem er nur Augenblicke später verschwunden war, noch bevor sich Harry richtig verabschieden konnte.

»Wie lief denn eigentlich die restliche Vorführung?« erkundigte sich Harry.

»Ich denke, es lief ganz hervorragend. Hermine hat alles zu einem guten Abschluß gebracht und eine weitere Vorführung mit Sonnenbrillen durchgeführt. So wurde niemand geblendet, und jeder konnte genau verfolgen, wie der Fluch unschädlich gemacht wurde. Anschließend hat sie den Schülern zur Aufgabe gemacht, Gruppen zu bilden, mit denen sie kompatible Zauberstäbe erzeugen möchten. Beim nächsten DA-Treffen werdet ihr Listen bekommen und könnt anfangen, die Zauberstäbe zu mischen.«

Harry schüttelte den Kopf. »Ich habe mir überlegt, daß wir damit erst im nächsten Schuljahr beginnen sollten. Dieses Jahr werde ich vorerst andere Prioritäten setzen. Zuerst soll jeder wenigstens einmal einen Weltum-Schild erschaffen, der einen Unverzeihlichen Fluch abhalten kann.«

»Diese Entscheidung werde ich respektieren. Im Ministerium wird man jetzt übrigens endlich verstärkt selbst Forschung betreiben, und Kenneth Foster wird sich persönlich dieser Aufgabe widmen. Es ist ihm zu peinlich gewesen, daß man in seiner Abteilung keine Fortschritte gemacht hatte, während du sogar noch weitere bedeutende Verbesserungen erzielen konntest. Die letzte Vorführung von Hermine muß ihn völlig überzeugt haben, daß andere Projekte im Moment zurückstehen müssen«, sagte Dumbledore mit einem Lächeln, welches nicht wirklich überzeugend war.

»Sir, wir finden schon noch heraus, welches der dritte Fluch war, der sie getroffen hat«, warf Harry plötzlich ein, und Dumbledores Augen waren sofort hellwach.

»Woher wußtest du, daß ich daran gedacht habe?«

»Sir, ich weiß es nicht«, beteuerte Harry, und er wußte es wirklich nicht. Es war nur ein Gedanke gewesen, und bevor er ihn zu Ende gedacht hatte, war er schon ausgesprochen.

»Erst tauchst du genau in dem Moment hier auf, als ich dich holen wollte, und dann weißt du nur einen Moment später, woran ich dachte?« Er sank nachdenklich ein wenig tiefer in seinen Stuhl.

»Wie meinen Sie das, Sir?« fragte Harry und klang dabei ein wenig unsicher.

»Das bedeutet sehr wahrscheinlich, daß ich meine Gedanken nicht mehr völlig von der Außenwelt abschirmen kann. Ich werde mit jemandem darüber sprechen müssen.« Der alte Mann stand auf. »Zu niemandem darüber ein Wort. Sollte diese Informationen in die falschen Hände gelangen, konnte es fatale Folgen haben. Sprich mich auch nicht auf dieses Thema an, bevor ich nicht selbst davon erzähle. Du wirst es dann verstehen.« Er kam zu Harry gelaufen. »Bitte gehe jetzt, ich habe eine dringende Angelegenheit zu klären.« Seine große Hand landete sanft auf Harrys Schulter.

»Gut, Sir, wenn Sie es so wollen«, erwiderte Harry und ging in Richtung Tür. Hinter sich hörte Harry plötzlich Fawkes auftauchen, drehte sich aber nicht um, sondern ging hinaus.

Auf dem Weg zurück zum Krankenflügel, sah er Peeves, den Poltergeist, der seit der Schlacht auf dem Friedhof nicht mehr derselbe war. Er schien seitdem lustlos und ausgebrannt und spielte kaum noch jemandem Streiche. Er hockte mit dem blutigen Baron in einer Ecke, und dieser versuchte wohl, ihn aufzumuntern, was nicht zu gelingen schien.

Harry setzte den Weg zum Krankenflügel fort und stand einige Minuten später vor der Tür, welche er leise öffnete, um niemanden zu wecken. Vorsichtig schlich er hinein und fand Hermine am Fenster vor. Langsam ging er zu ihr und umarmte sie sanft.

»Kaum warst du weg, bin ich aufgewacht. Wo warst du?« fragte sie in besorgtem Ton, doch Harry war jetzt nicht nach Reden. »Komm wieder schlafen, ich erzähle es dir später«, antwortete er und führte sie zurück. Sie legten sich ins Bett und einander gegenüber. Einige Minuten sahen sie sich noch in die Augen und küßten sich, ehe beide erneut einschliefen.

Morgens wurden sie von Madam Pomfrey geweckt, die Harry kurz durchcheckte und dann entließ. Auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum erzählte er Hermine noch nicht soviel; erst als sie mit Ron und den anderen beim Frühstück saßen, teilte er allen die Ereignisse der Nacht mit. Ron schien bei dem Gedanken nervös zu werden, daß Voldemort auch das Blut seiner Familie brauchte, doch nachdem Harry alles erzählt hatte - auch über Dumbledore -, verwandelte sich seine Nervosität in eine kleinere Panik. Über zehn Minuten brauchte Luna, um ihn zu beruhigen, doch selbst danach wirkte er noch ein wenig durch den Wind.

Der Unterricht hielt für Harry keine Überraschungen bereit, und so fand er sich schließlich mit vielen der anderen Schüler bei Williams Beisetzung wieder, die für achtzehn Uhr angesetzt war. Cho war ebenfalls anwesend, ganz in Schwarz gekleidet, und wurde von einigen Ordensmitgliedern begleitet. Auch Katie war da, doch fand Harry keinen geeigneten Augenblick, auch mit ihr zu sprechen. Obwohl Harry für William mehr empfand, als er für Professor McNally empfunden hatte, war diese Bestattung für ihn weniger schlimm. Vielleicht lag es daran, daß niemand aus Williams Familie anwesend war, nachdem er sich früh von ihnen distanziert hatte und später dann sogar der DA beigetreten war. Zwar waren Williams Eltern keine Todesser, zumindest soweit Gregory wußte, doch Williams eigener Aussage zufolge standen sie auch nicht gegen Voldemort, da sie viele seiner Ideen für überaus lobenswert hielten.

Als Harry nach dem Abendessen mit vielen anderen im Gemeinschaftsraum lernte, kam das Gespräch noch einmal auf William zurück, und ein jeder erzählte ein paar interessante Geschichten über ihn. Es waren einige lustige Sachen darunter, aber auch einige eher traurige Geschichten, doch war absolut klar, daß William eine große Lücke hinterlassen hatte, die nicht so leicht zu füllen war.

Die nächsten beiden Tage vergingen für Harry viel zu schnell. Die Prüfungen kamen mit riesigen Schritten näher, weshalb er sein Lerntempo wieder deutlich erhöht hatte und mit Hermine, Ron und Neville gut vorankam. Inzwischen waren sie den kompletten Wiederholungsstoff noch einmal durchgegangen und kümmerten sich um einige etwas abseits stehende Themen, die ebenfalls prüfungsrelevant sein könnten. Kurz vor zwölf ging Harry mit Ron und Neville nach oben in den Schlafsaal, und auf dem Fenstersims zu Harrys Fenster wartete schon eine Eule auf ihn.

»Von wem die wohl ist?« fragte sich Ron, der sich umzog.

Harry ließ die Eule herein. »Werden wir gleich wissen.« Er löste den Brief vom Fuß der Eule. Der Umschlag wurde von ihm geöffnet und der Brief herausgezogen.

»Nun lies schon vor«, drängelte Neville ungeduldig.

Die Eule sprang aus dem Fenster und glitt davon, während ihr Harry einen Augenblick hinterhersah. Für einen Moment überflog er den Brief und legte die Stirn dabei in Falten. »Glaubt es oder nicht … der ist von Pansy Parkinson«, sagte er schließlich und blickte in das ungläubige Gesicht von Ron.

»Was will die denn?«

Sofort begann Harry den Brief vorzulesen. »Elender Potter! Nicht nur, daß Du mir die Liebe meines Lebens geraubt hast, Du hast mir auch die Rache dafür verbaut. Nun bin ich der Schule verwiesen, und mein Stab wurde vernichtet, doch glaube nicht, daß ich damit auf ewig aus Deinem Leben bin. Ich werde zu meiner Liebe zurückkehren, auch wenn er nun ein anderer ist, und mein Leben darauf verwenden, Dir das Deine zur Hölle zu machen. Wir werden uns wiedersehen, und es wird Dir nicht gefallen! Das ist ein Versprechen! P.P.« Mit der Hand durch sein Haar fahrend, setzte er sich auf sein Bett.

»Frauen sind echt rachsüchtig«, meinte Ron.

»Ich hätte sie doch erledigen sollen«, murmelte Harry leise.

»Wie erledigen?« fragte Neville, doch Harry wollte auf diese Frage nicht eingehen. Er zog sich um und legte sich ins Bett.

»Mir graut wirklich vor morgen. Prüfungsangst ist echt kraß«, sagte Ron leise, der nun ebenfalls unter die Bettdecke schlüpfte.

»Mach dir wegen der Prüfungen keine Sorgen. Du bist bestens vorbereitet, nicht so wie in den Jahren zuvor. Wir haben wirklich gut gearbeitet dieses Jahr. Wenn wir nicht fast überall Bestnoten bekommen, will ich nicht mehr Harry Potter heißen.« Er drehte sich auf die Seite und schloß dabei seine Augen.

»Das ist doch einer deiner ältesten Wünsche … nicht Harry Potter zu heißen, meine ich«, erwiderte Ron, und Harry konnte ihn dabei grinsen hören, während er es sich selbst auch nicht verkneifen konnte.

»Okay, dann eben anders: Wenn wir die Prüfung nicht locker bestehen, will ich keine blitzförmige Narbe auf der Stirn haben!« Harry fing leise an zu kichern. Ein Kissen traf ihn am Kopf, und nur einen Augenblick später bekam Ron es schon ins Gesicht.

Sofort entbrannte unter den dreien eine wilde Kissenschlacht, die erst kurz unterbrochen wurde, als Dean ins Zimmer kam, und sofort mit ihm als Ziel weiterging. Erschöpft fiel Harry zehn Minuten später ins Bett und war froh über diese kurze Ablenkung, die auch seine eigene Anspannung vermindert hatte. Einige Minuten konzentrierte er sich noch auf seine Okklumentikübungen und schlief dann schnell ein.

Obwohl es Harry unwirklich vorkam, begannen schon am nächsten Morgen tatsächlich die Prüfungen, die auch über das kommende Wochenende hinaus andauern würden. Es begann für ihn mit einer schriftlichen Prüfung in Pflege Magischer Geschöpfe, wo er nur bei zwei Fragen etwas unsicher war und den Rest ohne Probleme beantworten konnte. Die praktische Prüfung war nicht viel schwerer, und so ging er mit einem sehr guten Gefühl in den Gemeinschaftsraum zum Essen, da in der Großen Halle noch die UTZ-Prüfungen für die verbliebenen Siebtkläßler stattfanden. Beim Mittagessen war er schon viel lockerer als noch beim Frühstück, und selbst Hermine machte irgendwie einen entspannten Eindruck, zumindest wenn Harry in ihrer Nähe war.

Der Nachmittag war für Harry nicht viel schwerer zu bewältigen. Die schriftliche Arbeit für Verwandlung war beinahe zu einfach, und die praktische Prüfung schloß er ziemlich sicher mit über einhundert Prozent ab, da er weit mehr Verwandlungen in Perfektion vorführte, als er hätte müssen. Anschließend war noch die theoretische Prüfung in Zaubertränke angesetzt, wo er sich schon ein wenig schwerer tat, was aber vor allem daran lag, daß unglaublich viel zu schreiben war und die Zeit dafür eigentlich ein wenig knapp bemessen war. Beim Abendessen hatte er auch wieder Zeit, mit seinen Freunden zu reden, und selbst Ron war gut gelaunt.

»Mum wird wirklich stolz sein. Ich glaube, dieses Jahr bin ich wirklich gut. Selbst Percy war sicher nicht besser«, strahlte Ron, doch kaum hatte er es ausgesprochen, gedachte er wohl seines toten Bruders, und das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht.

Auch Neville schien sehr zufrieden zu sein, während Hermine nur vor sich hinstrahlte. »Ich glaube, ich könnte dieses Jahr wirklich perfekt sein«, sagte sie mit einer Begeisterung, die Harry beinahe ein wenig Angst machen konnte.

Luna und Ginny sahen ebenfalls wohlgelaunt aus, und beide waren sich ziemlich sicher, eine Menge ZAGs erhalten zu können.

An diesem Abend ging Harry früh schlafen, und verzichtete auch darauf, noch irgend etwas zu lernen, während die anderen ziemlich lange im Gemeinschaftsraum blieben, um doch noch einiges in ihr Gehirn zu pflanzen, wie es Neville ausgedrückt hatte.

Der nächste Tag verlief für Harry so gut, daß er beim Abendessen ein wenig unsicher war, ob er diesen Tag nicht nur geträumt hatte. Die praktische Prüfung in Zaubertränke geriet beinahe zu einer Lehrstunde für die Prüfer, als Harry mit absoluter Präzision und unglaublicher Selbstsicherheit einen Trank braute, der die geforderte Wirkstärke bei weitem übertraf. Selbst Snape, der ebenfalls in der Prüfungskommission saß, da jeder nur irgendwie verfügbare Professor dieses Jahr daran beteiligt war, konnte nicht die kleinste Kleinigkeit am Trank aussetzen.

Der Nachmittag lief nicht schlechter, was bei einer theoretischen und praktischen Prüfung in Verteidigung gegen die dunklen Künste auch nicht anders zu erwarten war. Am Ende präsentierte er noch den Weltum-Schild, und als er damit auch noch einen Unverzeihlichen Fluch abwehrte, was eine der Prüferinnen vor Aufregung ohnmächtig werden ließ, war klar, daß er es nicht mehr hätte besser machen können. Mad-Eye, der einer der Prüfer war, zeigte ihm mit der flachen Hand die Hundertprozentmarke an und deutete dann mit der anderen Hand einen halben Meter darüber, was wohl nichts anderes bedeutete, als daß er die erforderliche Leistung locker erbracht hatte.

Beim Abendessen fand er auch endlich wieder Zeit, mit Hermine zu reden, die ebenfalls überaus zufrieden mit ihren Leistungen war, während Neville in Zaubertränke gepatzt hatte, da er sich in alter Angewohnheit von Snape hatte nervös machen lassen. Auch Ron fand seine Leistung tadellos, und er haute beim Abendessen rein, als ob es nie wieder etwas geben würde.

Auch die nächsten beiden Tage und Prüfungen liefen für Harry beinahe entspannt ab, da er so gut vorbereitet war, wie er es sich niemals vorher erträumt hätte. Auf jede Frage wußte er die richtige Antwort, und selbst in Geschichte der Zauberei konnte er sich an Namen und Daten erinnern, als ob man nach denen seiner Freunde gefragt hätte.

Am letzten Tag der Prüfungen der Sechstkläßler war von den vieren nur noch Hermine im Einsatz, und Harry verbrachte mit Ron einen entspannten Tag in der Bücherei.

Die beiden bereiten einiges für das nächsten DA-Treffen vor und begannen bereits damit, sich die Themen des nächsten Jahres anzusehen. Schon vor einigen Tagen hatte Harry beschlossen, die Sommerferien intensiv zum Lernen zu benutzen, um im nächsten Jahr genug Zeit für die DA und seine anderen außerschulischen Aktivitäten zu haben. Von Hermine bekam er für diese Entscheidung einen dicken Kuß, während Ron ihn zuerst leicht verstört anblickte, sich dann aber in Erinnerung seines wahrscheinlich überaus guten Abschneidens bei den diesjährigen Prüfungen ebenfalls dazu entschloß. Neville war natürlich ebenfalls dabei, und auch Ginny und Luna wollten dem in nichts nachstehen. Die einstimmige Meinung war, daß man genug Zeit für Ferien haben würde, wenn Voldemort endlich erledigt wäre, und so würden zumindest alle DA-Mitglieder ebenfalls die Sommerferien durchlernen. Alle wollten sich höchstens zwei oder drei Wochen Erholung gönnen, die auch Harry dringend nötig hatte.

Als er mit Hermine nach dem Abendessen im Gemeinschaftsraum kuschelte, unterhielten sie sich nicht nur über die überstandenen Prüfungen, sondern auch über ihre allgemeinen Ferienpläne. Für Harry stand fest, daß er zu den Dursleys zurückkehren würde, während Hermine wahrscheinlich mit ihren Eltern verreisen wollte. Beim Gedanken an die bald bevorstehende Trennung ging es Harry sofort schlechter, was auch Hermine nicht entgangen war. Trotz aller Versuche – und davon gab es einige – konnte sie Harry an diesem Abend nicht mehr wirklich aufheitern, und so ging er früh zu Bett.

Als er gegen ein Uhr noch immer wach lag, während seine vier Zimmergenossen gerade schnarchten, als rodeten sie den ganzen Verbotenen Wald, beschloß er, Hermine einen Brief zu schreiben, den er ihr bei der Rückfahrt im Hogwarts-Expreß übergeben wollte. Sie sollte ihn aber erst nach ihrer Trennung öffnen, da es ihm sonst irgendwie unangenehm gewesen wäre.

Zwei Stunden später hatte er sich alles von der Seele geschrieben, all seine Gefühle, seine Wünsche für die Zukunft, und verstaute den Brief sicher in seinem Koffer. Erschöpft ging er zurück ins Bett, wo er innerhalb von Minuten in einen alptraumfreien Schlaf fiel.

Auch die nächsten beiden Tage waren noch von den Prüfungen geprägt, da sie bei den Siebtkläßlern erheblich umfangreicher waren, als sie es bei Harry gewesen waren, und so wurde zumindest das Mittagessen noch immer im Gemeinschaftsraum gereicht. Zudem wuchs in der Schülerschaft die Anspannung in freudiger Erwartung ihrer Ergebnisse, die diesmal nicht bis in die Ferien auf sich warten lassen würden, sondern schon am sechsten Juli verkündet werden sollten. Langsam wuchs auch bei Harry die Nervosität, obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gab.

Als er am Abend des fünften Juli von Professor McGonagall zu Dumbledore ins Büro gerufen wurde, glaubte er schon, es ginge um die Prüfungen, doch wollte dieser ihn aus einem ganz anderen Grunde sprechen.

»Voldemort hat mit dem Trank begonnen«, begann Dumbledore unvermittelt, bevor sich Harry überhaupt setzen konnte.

»Also noch acht Monate Zeit, um ihn zu stoppen«, erwiderte Harry, als er sich vom ersten Schreck erholt hatte.

»Noch ist der Ort geheim, doch haben wir die Hoffnung nicht aufgegeben, noch den entscheidenden Hinweis von den Vampiren bekommen zu können. Remus tut alles in seiner Macht Stehende, und zudem haben wir noch ein weiteres Eisen im Feuer, welches ich aber zunächst noch nicht erwähnen möchte – es sei denn, du bestehst darauf.«

»Mich würden andere Dinge mehr interessieren, doch baten Sie mich, nicht danach zu fragen.«

»Da ich über dieses Thema selbst noch nicht genug weiß, würde ich sehr gern darauf verzichten, meine Vermutungen mit dir zu teilen, denn mehr als Vermutungen sind es nicht.«

Harry nickte still und schwieg einige Sekunden. »Was ist mit Voldemorts Körpertausch. Gibt es endlich etwas Neues? Es ist ein halbes Jahr vergangen, es muß doch etwas Neues geben.«

»Es gibt einige neue Informationen. Zwar wissen wir noch immer nicht, wie er es genau gemacht hat, aber wir haben immerhin eine Möglichkeit gefunden, es beim nächstenmal zu verhindern.«

»Warum haben Sie mir nicht früher davon erzählt?« fragte Harry ein wenig aufgebracht.

»Weil ich es selbst erst seit kurzem weiß und es auch noch keine endgültigen Gewißheiten sind. Wir wissen inzwischen, daß Voldemort mit Hilfe eines Zaubertrankes die Möglichkeit gewonnen hat, für einen kurzen Zeitraum seinen Körper zu verlassen. Dieser Zeitraum ist sehr limitiert; es ist praktisch weniger als eine Sekunde, allerdings gibt es dabei einen seltsamen Effekt auf den Ablauf der Zeit. Für die meisten Umstehenden läuft sie ganz normal ab, doch für einige besonders empfindliche Zauberer und Hexen ist sie stark verlangsamt. Deswegen hattest du eine erheblich andere Wahrnehmung von dem ganzen Vorgang als ich; selbst ich habe damals von alldem nichts gesehen. Auch Arthur hat diesen Effekt erst wahrgenommen, als Voldemort seinen Körper übernehmen wollte.«

»Was ist mit Mad-Eye?«

»Alastor hatte von dem Vorgang eine ähnliche Wahrnehmung wie du.«

»Warum?«

»Sehr wahrscheinlich hängt es auch mit seinem speziellem Auge zusammen«, sagte Dumbledore und lehnte sich weiter in seinem Stuhl zurück.

»Wie können wir es beim nächsten Mal verhindern?«

»Mit einem Zauberspruch. Dieser befindet sich momentan in der Entwicklung.«

»Sie entwickeln einen Zauber dagegen?« fragte Harry verblüfft.

»Dafür gibt es eine Abteilung im Ministerium, welche dir gut bekannt sein sollte«, lächelte Dumbledore, und in seinen Augen funkelte es.

»Verstehe!« erwiderte Harry sofort, und tatsächlich wußte er genau, welche Abteilung sein Schulleiter gemeint hatte.

Einige Minuten saßen sie danach einfach nur ruhig da, bis Harry die Augen schloß. Er sah etwas vor sich, doch es waren nicht seine Erinnerungen. Er sah die Nacht in London, als Dumbledore von den Flüchen der Todesser vergiftet worden war, doch sah er sie nicht so, wie er sie kannte. Irgend etwas war anders, doch er wußte nicht genau, was. Die Perspektive stimmt nicht, dachte er und beobachtete weiter dieses merkwürdige Szenario. Warum kommen die Flüche auf mich zu? Wo ist Dumbledore? Harry schreckte hoch, als Dumbledore plötzlich die Hand auf seine Schulter legte.

»Was hast du gesehen, Harry?« fragte dieser, und er erzählte es ihm.

»Das bestätigt meine Vermutungen. Vielleicht sollte ich dir doch davon erzählen.«

»Sir, stimmt mit mir etwas nicht?« fragte Harry und blickte ein wenig verängstigt drein. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut und wollte unter keinen Umständen weitere Probleme bekommen.

»Da kann ich dich beruhigen. Es hat nur insofern etwas mit dir zu tun, da zwischen uns eine wesentlich engere Beziehung besteht, als dir vielleicht bewußt ist. Als du in der Nacht hier vor meinem Büro erschienst, obwohl dich niemand bewußt gerufen hatte, hielt ich es noch für einen Zufall, doch nun läßt es sich nicht mehr verleugnen. Mein Geist ist es, der schwächer wird und seine Gedanken nicht mehr vollständig verbergen kann. Dies scheint eine weitere Wirkung der Flüche zu sein, auf die es nun ebenfalls Rücksicht zu nehmen gilt«, erklärte er mit leiser Stimme, während sich Harry immer unsicherer fühlte. Einige Sekunden sahen sie sich noch schweigend an, ehe Dumbledore die Stille durchbrach: »Geh nun zurück zu deiner Liebsten und freue dich auf morgen!« Bei diesen Worten klang er wieder so stark und frisch wie in Harrys erstem Jahr in Hogwarts.

Auf dem Weg zurück zum Gemeinschaftsraum dachte Harry über einiges nach. Sein Schulleiter war noch immer in Gefahr, und vielleicht konnte nur er ihm helfen. Er mußte sich an die Nacht erinnern, doch wußte er nicht, wie er es anstellen sollte. Er dachte auch über Dumbledores letzten Satz nach und fand diesen merkwürdig. Auf morgen sollte er sich freuen, doch warum? Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, als er begriff, daß Dumbledore nur auf die Prüfungsergebnisse angespielt haben konnte, was seine Stimmung tatsächlich wieder hob.

Als er Hermine schließlich in die Arme schloß, war er für einen Augenblick beinahe glücklich, ehe ihm wieder der nahende Abschied bewußt wurde. Diesmal aber wollte er sich den Abend nicht davon verderben lassen und beschloß, mit Hermine noch auf den Astronomieturm zu gehen. Eine halbe Stunde saßen sie dort zusammen und starrten in die Sterne, in ihre eigene ungewisse Zukunft, bis Hermine Harry zu küssen begann.

»Wofür habe ich dich verdient?« fragte er leise, nachdem sie sich voneinander gelöst hatten.

»Dafür, daß du mich mehr als alles andere liebst«, war ihre Antwort, und sie küßten sich erneut.

Obwohl die Stimmung gut war und es normalerweise zu mehr geführt hätte, saßen sie noch über eine Stunde, Rücken an Rücken, und dachten über die Zukunft nach, während sie still vor sich hin träumten. Mit jedem anderen wäre ihm diese lange Stille unangenehm gewesen, doch bei Hermine fühlte er sich frei von Zwängen, etwas sagen zu müssen.

»Glaubst du, wir werden mal ein normales Leben führen können?« fragte er plötzlich leise.

»Die Frage ist doch, was für dich ein normales Leben ist und ob du es überhaupt willst?« erwiderte sie nach einem kurzem Moment ebenso leise.

Harry begann darüber nachzudenken. »Ich glaube … ich möchte eigentlich nur mit dir zusammensein. Das ist absolut alles, was für mich wirklich wichtig ist.« Dann drehte er sich um und umarmte sie von hinten, während er begann, ihren Nacken zu küssen.

»Irgendwann möchte ich Kinder«, sagte sie plötzlich, und Harry schreckte ein wenig hoch. Sie drehte sich zu ihm um, und er verlor sich für einen Moment in ihren herrlich braunen Augen, die im Mondlicht noch verführerischer funkelten.

»Über so was hab' ich noch nie nachgedacht«, flüsterte er ehrlich.

»Ich bis heute auch nicht«, meinte sie und begann zu lächeln.

Dieses Lächeln macht mich verrückt, dachte er und sah sich schon in Gedanken zusammen mit Hermine und einer großen Familie. »Das könnte mir gefallen«, seufzte er leise.

»Was?«

»Kinder mit dir … aber nicht jetzt … nicht, bevor Voldemort tot ist. Ich möchte keine Kinder in die Welt setzen, solange mein Leben oder das deine so gefährdet ist.«

»Das verstehe ich, weil ich es auch nicht möchte. Unsere Kinder sollen keine Waisen werde«, erwiderte sie kaum hörbar und küßte ihn sanft auf seine Stirn.

»Laß uns zu den anderen gehen«, sagte Harry und griff ihre Hand.

Gemeinsam mit ihren Freunden lachten, spielten und unterhielten sie sich noch bis spät in die Nacht und gingen erst gegen zwei Uhr ins Bett. Seltsam glücklich schlief Harry ein.

Erst durch Rons Geschrei wachte er am nächsten Morgen auf. »Ich glaub's nicht, ich glaub's nicht«, brüllte dieser ununterbrochen und wurde nur Augenblicke später von Neville mit einem Kissen am Kopf getroffen.

»Was ist denn so unglaublich?« hörte man Deans schlaftrunkene Stimme.

Ron warf sich zu Dean ins Bett und hielt ihm einen Brief unter die Nase. »Lies vor«, jubelte Ron euphorisch.

»Wahnsinn!« war alles, was Dean herausbekam, gab Ron den Brief zurück und schnappte sich sofort seinen eigenen vom Nachttisch.

»Was ist denn jetzt los?« fragte Harry verwirrt.

Nur einen Augenblick später stand Ron bei ihm. »Hier«, preßte dieser hervor und hielt ihm den Brief entgegen.

Er überflog ihn nur kurz und begann anerkennend zu nicken. »Nicht schlecht, Ron, da wäre wohl sogar Percy neidisch gewesen.«

Guter Laune öffnete er nun seinen eigenen Brief. Mit jeder Zeile, die er las, hellte sich seine Miene weiter auf, und als er ihn überaus zufrieden zurück in den Umschlag steckte, strahlte er beinahe wie eine frisch geprägte Galleone. Schneller als je zuvor zog er sich an und lief hinunter in den Gemeinschaftsraum, um Hermine seine Ergebnisse zu zeigen. Obwohl es ihm ein wenig lächerlich vorkam, wollte er sie tatsächlich beeindrucken.

Sie saß bereits unten und wartete auf ihn, ebenfalls mit ihrem Brief in der Hand. Sie sah so unglaublich süß ... so niedlich aus, wie sie so dasaß und ihn anstrahlte, daß Harrys Herz beinahe zu glühen begann. Liebevoll schloß er sie in seine Arme, und keiner von beiden brauchte etwas zu sagen. Ohne die Ergebnisse des anderen zu kennen, waren sie unglaublich stolz aufeinander und küßten sich immer wieder, bis sie schließlich ihre Briefe tauschten und sich kuschelnd auf eine Couch zurückzogen, um sie dort zu lesen.

»Du bist fast so gut wie ich«, meinte sie nach einem kurzen Moment der Ruhe anerkennend und küßte ihn.

»Ja, aber du bist perfekt. Überall die volle Punktzahl. Unglaublich … und dabei hast du fast zwei Monate verpaßt und auch noch mehr Kurse als ich.« Er genoß einen weiteren Kuß von ihr, bei dem er leise zu stöhnen anfing.

»Was ist denn hier los?« riß Ginnys Stimme sie aus ihren Träumen.

Harry sah sofort auf. »Prüfungsergebnisse. Hast du keinen Brief bekommen?«

Sie schüttelte, wohl ein wenig enttäuscht, ihren hübschen Kopf.

»Bei den ZAG- und UTZ-Klassen dauert die Auswertung bestimmt länger«, meinte Hermine.

Alle bekamen dies beim Frühstück von Dumbledore bestätigt. »Eure Ergebnisse bekommt ihr am Morgen des elften Juli, also euerm letzten Tag in Hogwarts, entweder nur für dieses Schuljahr oder für immer«, verkündete Dumbledore mit einem Augenzwinkern und eröffnete das Frühstück.

Unterricht fand praktisch nicht mehr statt, und die Lehrer beschränkten sich darauf, einige der Prüfungsaufgaben zu beantworten, bei denen die Schüler vermeintlich weniger gut abgeschnitten hatten. Von den DA-Mitgliedern hatte kaum jemand Fragen, da fast alle überaus erfolgreich gewesen waren. Hermine war die Jahrgangsbeste geworden, aber Harry lag schon an zweiter Stelle, nur äußerst knapp dahinter. Ron war erstaunlicherweise Sechstbester, während Neville Achtbester des ganzen Jahrgangs geworden war. Dies war um so bemerkenswerter, da das Niveau dieser sechsten Klasse so hoch wie nie zuvor gewesen war, soweit sich Dumbledore daran erinnern konnte.

Die wenigen Tage bis zum zehnten Juli, dem letzten Abend in Hogwarts, vergingen für Harry wie im Flug. Er genoß die Zeit mit Hermine noch einmal in vollen Zügen, stets in dem Bewußtsein, sie für eine unerträglich lange Zeit nicht sehen zu können. Zum letztenmal würde er den Anfang der Sommerferien bei den Dursleys verbringen und wie in den meisten Jahren zuvor nach einen Monat in den Grimmauldplatz einziehen.

Hermine hatte ihm beim Frühstück eine kleine Überraschung versprochen, die er nach dem Abendessen erhalten würde, und tatsächlich freute er sich wie ein kleines Kind darauf. Am letzten Tag verbrachte Harry auch noch mal ein paar Stunden bei Hagrid und den Riesen, und er verabschiedete sich schweren Herzens von ihnen. Seine großen Freunde waren ihm im Laufe der Zeit immer mehr ans Herz gewachsen, und das nicht nur deshalb, weil sie bedingungslos ihr Leben riskiert hatten, um Hogwarts gegen Voldemort zu schützen.

Am Nachmittag beschloß er, mit Ron und einigen anderen noch einmal fliegen zu gehen, und er bat Hermine mitzukommen. Unbedingt wollte er noch einmal den Rausch der Geschwindigkeit spüren, auch wenn er damit nach der Schlacht um Hogwarts nicht mehr nur gute Erinnerungen verband. Hermine saß derweil auf der Wiese des Quidditch-Feldes und betrachtete den wolkenlosen Himmel, an dem die Liebe ihres Lebens mit seinen besten Freunden umherdüste. Wieder ertappte sie sich bei dem Gedanken, eine große Familie mit ihm haben zu wollen. Inständig hoffte sie, daß er nach Voldemorts Vernichtung überhaupt noch frei und unbeschwert mit ihr würde leben können. Die Sonne blendete ein wenig, und sie schloß ihre braunen Augen, während sie sich ihren Träumen und Hoffnungen hingab. Dies war Harry nicht entgangen. Langsam flog er ein wenig tiefer und versuchte sich an seine Liebste anzuschleichen. Mühelos näherte er sich auf wenige Meter an, ohne daß sie es zu bemerken schien. Immer näher schwebte er heran, bis sein Schatten ihr Gesicht bedeckte und sie überrascht die Augen öffnete.

»Was ist?« fragte sie lächelnd, als sie ihn erkannte.

»Möchtest du mit mir fliegen?« fragte er leise und erwiderte ihr Lächeln so zärtlich, daß ihr Herz beinahe dahingeschmolzen wäre.

»Nichts, was ich lieber täte«, sagte sie überraschend und war so schnell auf seinem Besen, daß er sich doch tatsächlich für einen Moment fast überrumpelt fühlte.

Eng umschlang er sie mit seinen Armen und hielt sie so fest, daß sie sich so vollkommen sicher fühlte wie nie zuvor. Langsam gewannen sie an Höhe und Tempo. Immer schneller flogen sie dahin, und der Rausch der Geschwindigkeit packte sie zum erstenmal in ihrem Leben. Natürlich war sie schon allein und auch sehr schnell geflogen, doch es war immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Einfach nur so zum Spaß hatte sie es nie getan, und sie wußte in diesem Augenblick, daß sie etwas verpaßt hatte.

Ron schien diese Idee begeistert zu haben, denn nur einige Minuten später saß Luna auf seinem Besen, und auch sie genoß es sehr. Während er Loopings flog, jauchzte sie vor Vergnügen.

Das Abendessen war für alle verbindlich um neunzehn Uhr angesetzt, und es war die vorletzte Mahlzeit für dieses Schuljahr. Noch vor dem Essen wurden Briefe an die Fünftkläßler ausgeteilt, in denen nur die ZAG-Ergebnisse stecken konnten. Ungeduldig rissen Ginny und Luna ihre Umschläge auf und sahen sich ihre Prüfungsergebnisse an, so wie es auch die anderen in der Großen Halle taten. Schnell war auf beiden Gesichtern ein breites Grinsen zu sehen, und Harry verspürte nicht mehr das geringste Bedürfnis, nach den Noten zu fragen. Dieses Grinsen war so breit, daß Ron und Neville Mühe hatten, ihren Freundinnen einen Belohnungskuß aufzudrücken.

»Sie hat so viele ZAGs, wie ich hatte«, sagte Hermine leise zu Harry, als sie Ginnys Brief gelesen hatte und reichte ihn an Harry, der nur mit einem Lächeln abwinkte.

»Wenn sie mit ihrer Leitung zufrieden ist und auch du von dieser Leistung beeindruckt bist, dann reicht mir das«, sagte er und reichte Ginnys Brief zu Ron, der noch immer auf den von Luna starrte und Harry deshalb kaum beachtete.

Nachdem alle die letzte warme Mahlzeit genossen hatten, aber noch bevor der Nachtisch gereicht wurde, erhob sich Dumbledore von seinem Stuhl, um mit seiner Abschlußrede zu beginnen. In nur wenigen Sekunden war es mucksmäuschenstill, und alle starrten ihn gebannt an.

»Dieses war nicht nur für euch, sondern für uns alle ein ereignisreiches Jahr. Wir haben gemeinsam für den Erhalt der Schule und gegen die Mächte, die sie und uns bedrohten, gekämpft und erfolgreich Widerstand geleistet. Einige eurer Kameraden und auch viele andere ließen dabei ihr Leben, und wir sollten nichts unversucht lassen, damit ihre Opfer nicht umsonst waren. Das nächste Jahr wird für uns alle nicht leichter werden, das kann ich euch versichern, doch werden wir unsere Bemühungen verdoppeln, um am Ende siegreich zu sein und die Feinde unserer geliebten Welt zu besiegen. Wenn man nur die guten Seiten betrachtet, war dieses ein sehr erfolgreiches und auch sehr befriedigendes Jahr für die meisten von euch, aber ich hoffe, auch mit den schlechten Seiten war es für viele von euch ein Jahr, welches ihr nicht vergessen wollt. Viele von euch waren sehr erfolgreich, was die Leistungen in der Schule betraf, und es fanden sich Freunde, wo vorher Mißtrauen herrschte. Viele von euch fanden die Liebe, während einige nur den Tod fanden. Haltet sie alle in Ehren und vergeßt niemals diejenigen, welche auch für euer Glück ihr Leben ließen.«

Er machte eine lange Pause. Harry nutzte diese Zeit, um Hermine noch einen langen und zärtlichen Kuß zu geben, den sie sich seiner Meinung nach verdient hatte.

»Kommen wir nun zu etwas Erfreulicherem. Den Hauspokal gewinnt dieses Jahr … Ravenclaw, mit neunzehn Punkten vor Gryffindor, zweiundvierzig Punkten vor Hufflepuff und hundertzwanzig Punkten vor Slytherin. Selten war es so spannend zwischen den Häusern gewesen, und selten zuvor war die Gesamtpunktzahl so groß wie in diesem Jahr.« Sofort wurde Dumbledore durch den aufbrandenden Jubel in seiner Rede unterbrochen.

Alle vier Tische tobten, was daran lag, daß die Ravenclaws recht gleichmäßig über alle vier verteilt waren, aber auch daran, daß sich mit einer winzigen Ausnahme, wirklich alle Schüler darüber freuten. Nur eine kleine Gruppe von Slytherins schien dies nicht zu gefallen, und der Grund dafür blieb Harry nicht verborgen. Angus Murtaghur starrte ihn grimmig an, doch er hielt dessen Blick stand. Dumbledore sagte noch einige Worte und lobte ein paar der Schüler namentlich, die in diesem Jahr herausragende Leistungen erbracht hatten. Ausgesprochen erleichtert war Harry, daß sein Name nicht fiel, während unter anderen auch Hermine, Ron, Luna, Ginny und Neville mit Lob beinahe überschüttet wurden. Am Ende sah Dumbledore Harry lange an, wohl um zu erfahren, wie er sich dabei fühlte, nicht auch Erwähnung gefunden zu haben. Als Harry ihn jedoch freundlich anlächelte, zwinkerte der Schulleiter ihm mit einem verschmitzten Lächeln zu und setzte sich wieder.

Harry wußte nicht, warum er plötzlich das Bedürfnis hatte, etwas zu sagen, doch ohne es wirklich steuern zu können, stand er auf und warf Dumbledore einen Blick zu. Er hatte diese Rede weder geplant, noch hatte er sich überhaupt Gedanken darüber gemacht, was er jetzt sagen wollte, doch schien das bedeutungslos. Überraschenderweise nickte Dumbledore nur, und Harry galt nur einen Moment später die Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

»Ich denke, ich möchte auch noch ein paar Worte sagen. Zuerst einmal bin ich sehr stolz, daß wir auch dieses Jahr überlebt haben, auch wenn wir schmerzliche Verluste zu erleiden hatten. Viele von uns verloren Freunde, andere sogar Familie, doch sitzen wir heute hier und sind noch immer vollen Mutes, uns unseren Feinden in den Weg zu stellen und sie zu besiegen. Die Häuser sind sich viel näher gekommen, und ich schäme mich heute nicht mehr zu sagen, daß ich ohne einen Slytherin vielleicht nicht mehr am Leben wäre.

Hätte man mir vor zwei Jahren gesagt, daß ich mit Slytherins Seite an Seite kämpfen würde, hätte ich denjenigen wahrscheinlich ausgelacht. Dennoch ist es Wirklichkeit geworden. In jedem der vier Häuser habe ich inzwischen gute Freunde, und jedem von ihnen habe ich mein Leben anvertraut, während sie mir das ihre anvertrauten. Laßt uns zurückdenken an den letzten September, als der Sprechende Hut seine Worte sprach. Er sprach von der Einigkeit, die es geben müsse, und ich denke, wir sind einig geworden. Der Widerstand wurde und wird stetig kleiner, und im nächsten Jahr wird es nur noch sehr wenige geben, die sich nicht daran beteiligen.« Dabei konnte er sich einen Seitenblick auf Murtaghur nicht verkneifen, der ihn immer zorniger ansah. »Die Idee des Hutes ist richtig, doch sie geht mir nicht weit genug. Es sollten nicht die Häuser in Einigkeit miteinander stehen, sie sollten sich vereinigen. Die Häusergrenzen sollten gesprengt und die Häuser gänzlich abgeschafft werden!«

Ein lautes Gemurmel setzte ein, sogar am Tisch der Lehrer. Einige wenige begannen zu applaudieren, darunter waren aber fast nur seine engsten Freunde. Irgendwie schien sich die Idee noch nicht so wirklich durchsetzen zu wollen. Harry bat erneuert um Ruhe, und tatsächlich wurde es schnell wieder still. »Der Jahrgang sollte entscheidend sein, und man könnte die Schlafräume vierteljährlich mischen. Die Quidditch-Mannschaften sollten sich jedes Jahr neu bilden, und man könnte auch ein paar mehr Teams bilden. Die Gemeinschaftsräume sollten jedem offenstehen …«

»Ich schlafe nicht mit Schlammblut im gleichen Raum!« wurde Harry von Angus Murtaghur ziemlich laut unterbrochen.

»Du bist nächstes Jahr nicht mehr da, dich betrifft es nicht mehr!« entgegnete Harry ungerührt.

»Aber ich werde hiersein! Kein echter Slytherin teilt ein Zimmer mit einem dreckigen Schlammblut!« rief Blaise Zabini erbost, der plötzlich aufgesprungen war.

»Niemand zwingt dich hierzusein«, entgegnete Hermine, die aber lieber sitzen blieb.

Dumbledore stand plötzlich auf, und die ganze Schule drehte sich zu ihm. »Es reicht, Mr. Zabini und Mr. Murtaghur. Ich habe die Macht und die Fähigkeiten eines … Schlammblutes, wie Sie sie nennen würden, gesehen, und sie übertraf Sie beide bei weitem. Im Gegensatz zu Ihnen beiden hat diese Hexe noch niemals Schande über die Zaubererschaft gebracht und wird es auch niemals tun. Ich bin stolz, sie zu kennen und zu meinen Verbündeten zu zählen.

Doch ich muß auch sagen: Obwohl dies ein kühner Vorschlag ist und solche prinzipiell leichter bei mir Anklang finden, gibt es doch noch andere Widerstände zu beachten, die sehr schwer wiegen können. Eine tausend Jahre alte Tradition ist nicht so einfach über den Haufen zu werfen, und dies ist nur einer der Gründe, die dagegen sprechen.« Der alte Mann setzte sich.

»Professor, ist es nicht so, daß schon immer mit Traditionen gebrochen wurde, um auf dessen Trümmern neue und bessere entstehen zu lassen?« fragte Harry. »Waren die Häuser nicht lange genug getrennt? Tausend Jahre voll Rivalität, was haben sie uns gebracht? Wären tausend Jahre voll Einigkeit nicht besser gewesen?«

Nun setzte sich ebenfalls, nachdem er einem längeren Moment dafür genutzt hatte, sich in der Menge umzusehen. Er hatte alles gesagt, was er wirklich loswerden wollte, und nun war er gespannt, was die Zukunft bringen würde.

»Ich werde darüber nachdenken und mich mit den Lehrern und dem Schulrat beraten«, versicherte Dumbledore noch, während Harry in Snapes Gesicht blickte und völlige Unschlüssigkeit zu entdecken glaubte. Beinahe schien es, als wäre er von Harrys Vorschlag verwirrt worden.

»Ein wirklich schöne Idee«, flüsterte Hermine ihm leise zu, während Harry noch einige skeptische Blicke auffing.

»Wen, glaubt ihr, meinte Dumbledore?« fragte Ron mit hochgezogenen Augenbrauen.

Harry fing sofort an zu grinsen. Für ihn war klar, daß er Hermine gemeint haben mußte, und auch alle anderen in seiner Nähe dachten das wohl. Dafür sprach vor allen Dingen, daß jeder Hermine nach Dumbledores Worten angestarrte hatte, bis sie peinlich berührt ihren Teller mit Nachtisch angeblickt hatte, der im gleichen Augenblick erschienen war. Die Mousse au Chocolat schmeckte einfach göttlich, und selbst aus Murtaghurs Blick verschwand für einen Moment all der Zorn.

Kaum hatten sie das Essen beendet, erhob sich Dumbledore erneut und bat alle bis auf die Siebkläßler hinaus, die nun die UTZ-Ergebnisse und ihr Diplom bekommen würden und anschließend noch eine kleine Feier haben würden.

Auf dem Weg nach draußen fragte Ron plötzlich, was sie an diesem letzten Abend machen wollten.

»Harry hat keine Zeit für dich«, warf Hermine sofort ein.

»Was hast du denn vor?« fragte Ron mit einem Augenzwinkern, obwohl er gemerkt haben mußte, daß Harry die Antwort gar nicht kannte.

»Ich … weiß nicht. Hermine sagte nur was von einer Überraschung«, erwiderte er und wurde tatsächlich rot, was er genau spürte, ohne es sehen zu müssen.

»Dann viel Spaß«, wünschte sein bester Freund und beschleunigte seine Schritte, bis er neben Luna war. Zärtlich griff er deren Hand und küßte sie, während sie weiter die Treppen hinaufstiegen. Auch wenn Harry es im letzten Jahr für unmöglich gehalten hatte, gaben die beiden doch ein wirklich schönes Paar ab.

»Was hast du denn mit mir vor?« fragte er, doch bekam er keine Antwort. Sie wurde nur ein wenig rot, während sie offenbar krampfhaft versuchte, geradeaus zu starren, um seinem Blick zu entgehen.

Sie betraten den Gemeinschaftsraum, in dem sich sofort kleinere Gruppen bildeten und mit verschiedenen Aktivitäten begannen. Harry sah so viele Hufflepuffs, Ravenclaws und auch ein paar Slytherins, daß es ihm mit einemmal beinahe unnötig schien, die Häuser tatsächlich abzuschaffen, da die Grenzen längst überwunden waren. Hermine verschwand kurz in ihrem Schlafsaal und bat Harry, derweil zu warten. Nur Augenblicke danach war sie wieder da, und ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Komm«, sagte sie knapp und griff seine Hand. Zusammen ließen sie den vollen Gemeinschaftsraum hinter sich und gingen einen Weg, der Harry aus dem viertem Jahr ziemlich vertraut war, bis sie plötzlich vor der Tür zum Vertrauensschülerbad der Mädchen standen, welches dem der Jungen gegenüber lag.

»Da rein?« fragte er unsicher und erntete einen unschuldigen Blick seiner Freundin.

»Ich habe schon vor Monaten reserviert«, sagte sie schließlich und küßte ihn auf die Nasenspitze, wofür sie sich ein wenig auf die Zehenspitzen stellen mußte, da er einen viertel Kopf größer war.

»Eine schöne Idee, doch ich hab' keine Badesachen drunter«, bemerkte er, als sie schon die Tür geöffnet hatte.

»Ich auch nicht«, antwortete sie lächelnd und verschwand im Bad. Sofort folgte er ihr hinein und schloß die Tür.

»Weißt du, daß Myrte sich hier manchmal herumtreibt?« fragte er, während sie einige der Wasserhähne aufdrehte.

»Heute wird sie nicht kommen«, erklärte Hermine mit Bestimmtheit und kam wieder zu ihm herüber. Sie küßten sich innig, und ein angenehmer Schauer lief Harrys Rücken hinunter.

»Warum warst du noch in deinem Schlafsaal?« fragte er und küßte sie erneut.

»Ich wollte nur sichergehen und hab' meine kleine Statue noch mal berührt«, erwiderte sie mit einem gierigen Blick.

Ganz langsam, zärtlich und behutsam begannen sie sich gegenseitig auszuziehen, was auf ihn beinahe so wirkte, als ob es für sie das erste Mal sei. Nackt standen sie sich Minuten später gegenüber, bevor es für beide der schönstmögliche Abschluß dieses Schuljahres wurde.

Als Harry viele Stunden später mit Hermine im Gemeinschaftsraum auf einer Couch lag, fühlte er sich wirklich glücklich. Sie war bereits eingeschlafen, während er noch immer zufrieden lächelnd an die Decke starrte. Es gab noch einige weitere Pärchen, die sich nicht so recht trennen konnten, zu denen auch Ron und Luna zählten. Die beiden saßen, nicht weit von Harry entfernt, auf einer Couch und erzählten von ihren Plänen für den Sommer. Luna hatte Ron schon vor Ewigkeiten versprochen, einen Teil der Ferien bei ihm zu wohnen, was auch kein Problem war, da sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt lebten. Aus unerfindlichen Gründen jedoch zierte er sich davor, ihr das Versprechen zu geben, in der anderen Ferienhälfte bei ihr zu wohnen.

Ursprünglich hatte Harry vorgehabt, schon an diesem Abend zu packen, doch hatte er nicht die geringste Lust, Hermines Nähe zu verlassen. Völlig entspannt schloß er die Augen und schlief nur Minuten später ein.

Am nächsten Morgen erwachte Harry noch recht früh, da Neville ihn zaghaft an der Schulter schüttelte.

»Harry, du mußt packen. Nur eine Stunde bis zum Frühstück«, rief dieser ihm zu, als Harry kaum die Augen offen hatte. Hermine lag nicht mehr in seinen Armen, und er fragte sich ernsthaft, wie sie es geschafft hatte, ihm zu entkommen, ohne ihn dabei aufzuwecken.

Nur zwei Minuten später war Harry müde in seinem Schlafsaal und begann zu packen. Es kam ihm unwirklich vor, noch ein letztes Mal zu den Dursleys zurückkehren zu müssen, bevor er auf ewig von ihrer Gegenwart verschont bleiben würde. Ron hatte ebenfalls gerade erst angefangen zu packen und schien dies weit hektischer tun zu müssen als Harry.

»Was ist los, Ron?« fragte er, doch erntete er zuerst nur leicht wütende Blicke.

»Ich find' mein Zeug nicht, das ist los«, murrte Ron schließlich, als er mit seinem Kopf schon unter seinem Bett hing.

»Ich meinte was anderes.«

»Drück dich klarer aus. Du weißt, ich habe das Begriffsvermögen eines Trolls.«

»Warum willst du nicht in der zweiten Ferienhälfte zu Luna?« fragte er, während er gerade einen Umhang zusammenlegte.

»Zwei Gründe.«

»Sag schon.«

»Einmal wegen dir!« sagte Ron und blickte Harry vorsichtig an.

»Warum wegen mir?« fragte Harry und sah ein wenig verlegen aus.

»Weil du mich dann nicht besuchen könntest, wenn du es bei den Dursleys nicht mehr aushältst«, erklärte er und wartete gespannt auf Harrys Reaktion.

»Ich kann es über die Ferien auch mal ohne dich aushalten, glaub mir. Außerdem könnt ihr ja später auch in den Grimmauldplatz kommen.«

»Das stimmt. Na ja, bleibt noch der zweite Grund.« Ron kam nun ganz nah; offenbar wollte er es Harry ins Ohr flüstern, damit Dean, Seamus oder Neville nichts mitbekommen konnten. Zögernd hielt er Harry eine Hand ans Ohr, wohl unsicher, ob er es ihm sagen sollte, doch dann konnte Harry seine flüsternde Stimme hören. »Ich hab' ein bißchen Angst vor ihrem Vater. Der weiß, daß wir miteinander schlafen.«

Kaum hatte er es ausgesprochen, entfernte er sich eilig von Harry und machte sich ein wenig peinlich berührt wieder ans Packen. So genau hatte er es zwar eigentlich doch nicht wissen wollen, doch ehrte ihn das Vertrauen, welches sein Kumpel in ihn steckte.

»Das verstehe ich, Ron, doch denke ich, er hätte dir deswegen längst einen Brief geschrieben wenn es ihm nicht gepaßt hätte. Denk auch an dein Weihnachtsgeschenk. Seine Finger waren da auch im Spiel, und zudem kannst du ihm ja nicht ewig aus dem Weg gehen.«

Harry bemerkte, daß Ron mit jedem seiner Worte nachdenklicher geworden war, und nahm den nächsten Umhang vom Bett. Dieser sah dann aber doch ein bißchen zu abgetragen aus, und er beschloß, ihn nicht mehr mitzunehmen. In weitem Bogen flog er in den Mülleimer und hätte ihn beinahe dabei umgeworfen. Fast als letztes schrumpfte er Hedwigs Käfig und verstaute ihn sicher in seinem Koffer. Als Harry endlich gepackt hatte, war er keine Minute zu früh fertig. Das Frühstück würde gleich beginnen, und so ging er mit Ron in den Gemeinschaftsraum, wo Hermine schon auf ihn wartete.

»Warum hast du mich nicht geweckt?« fragte er mit leicht vorwurfsvoller Stimme, konnte sich aber ihrem Lächeln nicht entziehen, welches mit jeder Sekunde strahlender wurde.

»Du sahst so friedlich aus, außerdem hat dich doch Neville noch rechtzeitig geweckt.«

»Nichts gegen Neville, doch mit einem schönen Kuß geweckt zu werden ist tausendmal schöner«, erwiderte er und holte sich den Kuß, den er schon den ganzen Morgen gebraucht hatte.

»Hat dich Neville nicht mit einem Kuß geweckt?« fragte sie grinsend.

»Doch, aber sein Bart piekst mehr als deiner, was den Kuß weniger schön macht«, erwiderte Harry, und beide mußten lachen.

»Worüber lacht ihr?« fragte Neville, der mit Ginny im Arm dazukam. Sofort wurde das Lachen lauter, und Neville sah noch ein bißchen verwirrter aus.

»Nur über deinen Bart … der beim Küssen stört«, brachte Harry unter größten Schwierigkeiten heraus und verwirrte Neville damit völlig.

»Es stimmt, der Bart kitzelt, aber ich find' es schön«, meinte Ginny, die auch völlig ahnungslos schien, worüber sie tatsächlich lachten.

»Ich erkläre es euch nachher im Zug«, erklärte Harry und beruhigte sich langsam wieder. Dies fiel ihm bei der Erwähnung des Zuges fast zu leicht, und er erinnerte sich wieder an seinen Brief; der durfte unter keinen Umständen in seinem Koffer bleiben. »Eine Sekunde, bin gleich wieder da«, sagte er und stürmte schon die Treppe nach oben. Nur Augenblicke später stand er wieder neben seinen Freunden, den Brief sicher in seinem Umhang verwahrt.

Beim Frühstück wurde Harry überraschend von einigen Schülern angesprochen, denen seine Idee ganz gut gefallen hatte. Dies munterte ihn ein bißchen auf. Trotzdem war er immer noch ein wenig mürrisch gelaunt und kriegte kaum mehr als eine halbe Schüssel mit Cornflakes herunter. Kaum hatte er sein Essen weggeschoben, spürte er das dringende Bedürfnis, sich von seinen Lehrern zu verabschieden. Besonders Hagrid und McGonagall würden ihm fehlen, doch auch Dumbledore, dem er inzwischen wieder bedingungslos vertrauen konnte, wurde von ihm herzlich verabschiedet. Für Snape hatte er nur ein Nicken übrig, doch insgeheim wußte er, daß es dem Tränkemeister so am liebsten war. Auch von Professor McNally hätte er sich sehr gern verabschiedet, um ihn dann im nächsten Jahr erneut begrüßen zu können, doch war es ihm nicht vergönnt gewesen, auch nur ein Schuljahr durchzustehen, geschweige denn, in ein zweites zu gehen.

Keine Stunde später waren sie schon im Zug, und er unterhielt sich mit Hermine über die Thestrale, welche sie gerade zum erstenmal gesehen hatte. Auch viele der anderen hatten sie jetzt sehen können, und Harry war darüber zwar einerseits merkwürdig erleichtert gewesen, doch andererseits lastete es ihm auch schwer auf der Seele.

Die ersten zwei Stunden der Zugfahrt vergingen für ihn wie im Flug, obwohl er sie – oder vielleicht: gerade weil er sie – nur mit Hermine im Arm verbrachte, ohne sich groß zu unterhalten oder etwas zu spielen. Er wollte jede Sekunde mit ihr voll auskosten, bevor er sie unerträglich lange Wochen nicht würde sehen können. Gerade der knisternde Körperkontakt war es, der eine solch merkwürdige Wirkung auf ihn hatte, daß es ihm unglaublich kurzweilig vorgekommen war. Die meiste Zeit streichelte er gedankenverloren über ihren Körper, ohne dabei zu intim zu werden. Auch die beiden anderen Paare im Abteil hielten es ähnlich, obwohl Ron inzwischen mit Luna verabredet hatte, daß er die zweite Ferienhälfte bei ihr verbringen würde, während sie jetzt gleich mit zu ihm kommen würde. Zwar hatten sich Ginny und Neville noch nicht so festgelegt, doch auch sie wollten sich häufiger besuchen.

Diese Zugfahrt war für Harry aber auch aus einem anderen Grund die bisher angenehmste gewesen. Kein nervender Slytherin war weit und breit zu sehen, denn selbst Angus Murtaghur und Blaise Zabini kamen ihm nicht in die Quere. Trotzdem konnte sich Harry wegen der bevorstehenden Trennung nur schwer zusammenreißen, denn immer, wenn Hermine kurz mit Ron verschwand, um ihren Pflichten als Vertrauensschülerin nachzukommen, fühlte er sich unglaublich allein.

Dennoch wollte er Hermine keinesfalls bitten, mit ihm zu den Dursleys zu kommen, zu denen er dringend wegen der Auffrischung des Blutschutzes mußte. Dies war vor allem deshalb nötig, weil er im letzten Sommer eigentlich viel zu kurz bei ihnen gewesen war, was glücklicherweise keine negativen Auswirkungen gehabt hatte.

Zwar hatte Harry flüchtig darüber nachgedacht, zumindest einen Teil der Ferien wieder bei Hermines Eltern zu verbringen, da diese Hermine ja nur in den Sommerferien wirklich sehen konnten, doch wollte er sie nicht unnötig in Gefahr bringen. Er überlegte eine Zeitlang, sie ebenfalls in den Grimmauldplatz einzuladen, doch wußte er nicht so recht, ob das eine gute Idee wäre. Obwohl auch Hogwarts für Harry eine Option gewesen wäre, würde es in diesem Jahr unmöglich sein, da jeder Lehrer die Schule über die Sommerferien verlassen würde, um leichter an den diversen Aktivitäten des Ordens beteiligt werden zu können.

Immer schneller verging für ihn die Zeit, und der würzige Kesselkuchen der Hexe mit dem Imbißwagen war daran nicht ganz unschuldig gewesen. Obwohl Harry nur wenig Hunger gehabt hatte, kaufte er aus Tradition jede Menge bei ihr und verteilte es großzügig an seine Freunde. Während sie so freudig aßen und er an seinem kleinen Stück nagte, kam jedoch sein Appetit zurück, so daß auch er sich den Bauch vollschlug und es schon Minuten später bereute, als er seinen Gürtel ein Loch weiter schnallen mußte. Zu seiner eigenen Überraschung wurde Hermine dabei ein bißchen rot im Gesicht, was ihm leider nur ein verlegenes Grinsen entlockte, obwohl er zu gern einen kessen Kommentar abgegeben hätte.

Später konnte ihn Ron noch zu einer Partie Schach überreden, die er hoffnungslos klar verlor, und auch ein altbekanntes Kartenspiel kam noch einmal zu einem letzten Einsatz, wo er sich für die Schachniederlage kräftig revanchierte. Als es nur noch ein halbe Stunde bis zum Bahnhof von King's Cross war, befand Harry es für den richtigen Moment, Hermine seinen Brief zu übergeben.

»Bitte öffne ihn erst, wenn sich unsere Wege getrennt haben. Ich weiß zwar nicht warum, aber es wäre mir irgendwie unangenehm, wenn du es vorher tun würdest.« Irgendwie hatte er Probleme, ihr bei seinen Worten in ihre wunderschönen Augen zu sehen.

»Harry James Potter, wehe, du machst mit mir Schluß«, sagte sie in gespielt ernstem Ton und konnte sich ein leises und unglaublich süßes Lachen nicht verkneifen. Sie steckte den Brief ein und begann eine länger andauernde Umarmung. »Du mußt mir keine Briefe schreiben. Du kannst mir wirklich alles sagen, das weißt du doch, oder?« Sie blickte ihn unvermittelt tief in die Augen.

»Ich weiß.« Er küßte sie.

»Wenn du das weißt, warum tust du es dann trotzdem?« fragte sie und erwiderte den Kuß so innig, daß Harry glaubte, für einen kurzen Moment das Bewußtsein zu verlieren.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte er, nach Atem ringend, und küßte sie erneut.

»Bitte laß ihn mich jetzt gleich öffnen. Ich möchte noch Zeit haben, darauf zu reagieren«, hauchte sie ihm entgegen, und tatsächlich begann er zu zweifeln. »Wie kann ich dich überzeugen?« legte sie nach und lächelte ihn so verliebt an, wie er es sich schöner nicht hätte vorstellen konnte.

Er fühlte sich geliebter, als er es sich in den ersten Jahren seines Lebens je erträumt, und glücklicher, als er es je für möglich gehalten hatte. Immer stärker wurde sein Verlangen, ihre Reaktion auf seinen Brief zu sehen, und schließlich gab er ihr doch die Erlaubnis. Freudig holte sie ihn hervor, zog ihn aus dem Umschlag und begann zu lesen. Mit jeder Zeile erhellte sich ihr Gesicht, bis es vor Glück förmlich zu platzen schien. Obwohl er deswegen sehr unsicher gewesen war, schienen seine literarischen Ergüsse ausgezeichnet angekommen zu sein, da sie ihm überglücklich um den Hals fiel und anfing, ihn wild zu küssen. Ron und Neville fingen dabei laut an zu johlen, und Harry nahm sie erst dadurch überhaupt wieder wahr, obwohl sie das Abteil seit über einer Stunde nicht verlassen hatten. Für ihren Übermut fingen sich die beiden einige böse Blicke ihrer Freundinnen ein, bis schließlich alle anfingen zu lachen.

Ron bat, den Brief lesen zu dürfen, doch Hermine wollte ihn nicht mehr hergeben, nicht für eine einzige Sekunde. Als er anbot, daß sie ihm den Brief auch vorlesen könnte, fiel ihr zwar keine passende Antwort ein, doch auch dies verweigerte sie ihm energisch, was Harry ein Grinsen entlockte. Als Ron daraufhin anfing, Harry zuzuzwinkern, in der Hoffnung er würde ihm den Inhalt erzählen, begann Harry nur kopfschüttelnd zu lachen, so daß sich Ron für einen Moment schmollend in die Ecke setzte.

Immer langsamer wurde die Fahrt des Zuges, und schließlich hielt die dampfende Lok mit einem letzten lauten Aufkeuchen an. Ron blickte hinaus auf den Gang und begann damit, Gepäckstücke nach draußen zu schieben. Harry bekam davon kaum etwas mit. Bei jedem Gedanken an den Abschied zitterte er leicht und fühlte sich fiebrig. Wie sie es geschafft hatten, aus dem Zug zu kommen, wußte er nicht mehr, doch sah er gerade noch, wie der Fahrkartenkontrolleur ihnen allen ein Zeichen gegeben hatte, daß sie die magische Absperrung zwischen den Bahnsteigen neun und zehn passieren konnten.

Kaum waren sie auf der anderen Seite, wurden sie schon von den Wartenden in den Arm genommen. Molly konnte sich kaum zurückhalten und umarmte nach Ron auch Harry so stürmisch, daß ihm die Luft wegblieb. Über ihre Schulter sah er, wie Hermine ihre Eltern begrüßte und von ihnen sanft in den Arm genommen wurde. Obwohl er sie als liebenswürdige Menschen in Erinnerung hatte, wuchs in seinem Inneren eine merkwürdige Abneigung gegen sie. Noch im gleichen Augenblick erkannte er den Grund dafür: sie würden ihm jetzt seine liebste wegnehmen und einfach mit ihr fortgehen. Unerträglich fand er es, doch zwang er sich, lächelnd zu ihnen zu gehen, nachdem auch Arthur ihn gedrückt hatte, während Mad-Eye ihm nur zuzwinkerte.

Er streckte den Grangers die Hand hin und wurde noch im gleichen Augenblick von Hermines Mutter beinahe so herzlich umarmt, wie Molly es schon seit Jahren tat. Sein Groll verflog schneller, als er gekommen war, und er erkannte glücklich, daß sie ihn noch immer mochten, obwohl ihre Tochter seinetwegen in höchster Gefahr gewesen war, seinetwegen fast gestorben war – schon wieder. Herzlich begrüßte auch ihr Vater ihn und sagte doch tatsächlich, daß er sich freute, ihn wiederzusehen. Auch Harry begrüßte die beiden begeistert, bis er einige Minuten später die Dursleys sah.

Wieder einmal waren sie widerwillig hier erschienen, um ihn mit sich zu nehmen und bei sich wohnen zu lassen. Obwohl es Harry in all den Jahren so sehr gehaßt hatte, war es irgendwie aber auch immer eine Konstante in seinem Leben gewesen, die er heute nicht mehr würde missen wollen, was ihm reichlich schwachsinnig vorkam.

Zögernd ging er auf sie zu und grüßte Vernon Dursley mit einem Nicken seines Kopfes, welches dieser mit einem undeutlichen Grunzlaut beantwortete. Dudley sah schon wieder größer aus und war sicher noch stärker worden. Zwar war er noch immer ein wenig speckig; doch wußte Harry, daß nur knapp unter dem Speck einige Muskelschichten verborgen waren, gegen die er nur ungern ankämpfen wollte. Sein Cousin war offenbar auch noch ein bißchen selbstbewußter geworden, versteckte er sich doch nicht hinter seinen Eltern, sondern stand einen Meter abseits. Vielleicht hatte er ja die Erfahrung mit den Dementoren verdaut, dachte Harry und sah zu seiner Tante. Petunia Dursley sah am Anfang leicht verängstigt aus, doch schien sie die Abwesenheit eines größeren Bedrohungskommandos – wenn man einmal von Mad-Eye und Arthur absah, die aber keine Anstalten machten herüberzukommen – zu beruhigen.

»Ich verabschiede mich noch, dann können wir los«, sagte Harry und bekam von Onkel Vernon ein Kopfnicken als Antwort.

Er ging zurück zu seinen Freunden und deren Eltern. Herzlich verabschiedete er sich von Ron, Neville, Ginny und Luna, aber auch von einigen der DA-Mitglieder, die gerade in seiner Nähe waren. Im Hintergrund konnte er Lunas Vater warten sehen, aber auch ein herzergreifendes Wiedersehen miterleben, als Parvati von ihren Eltern in den Arm genommen wurde und alle drei anfingen zu weinen. Colin stand in ihrer Nähe und sah immer wieder schüchtern herüber; so schüchtern, wie Harry ihn niemals erlebt hatte. Nach einem Wink ging er zu ihnen, und anscheinend stellte Parvati ihn ihren Eltern vor. Daß die beiden zusammen waren, merkte Harry erst, als sie seine Hand griff und er leicht rot wurde.

»An was denkst du?« fragte ihn jemand, und erst als er sich umdrehte, sah er, daß es Hermine gewesen war.

»Ich habe mich gerade für Colin und Parvati gefreut. Seit wann sind die beiden denn ein Paar?«

Hermine zuckte mit den Achseln. »Ich glaub' … so seit zwei Wochen. Der Krieg treibt die Menschen einander in die Arme. Allein hält es wohl fast keiner sehr lange aus. Jeder sucht jemandem, der einem hilft, all den Schrecken zu überstehen, und dem man auch selber dabei helfen kann«, antwortete sie leise und küßte ihn.

»Wollen wir dann los?« fragte sie und griff seine Hand.

»Ja, ich glaub', die Dursleys wollen, so schnell es geht, nach Hause«, sagte er und küßte sie noch einmal. »Ich habe alles in dem Brief so gemeint, wie ich es geschrieben habe, meine Süße. Ich werde dich unendlich vermissen. Ich werde dir jeden Tag schreiben! Versprochen! Ich liebe dich!« Er strahlte sie dabei an und hielt mühsam seine Tränen zurück, was ihm gerade noch so gelang.

»Dann wird sich Hedwig nicht sehr freuen«, antwortete Hermine und lächelte ihn fast spöttisch an.

»Wie meinst du das denn?« fragte er, während sie zu den Dursleys gingen.

»Na ja, wenn ich drei Meter neben dir stehe, ist der Weg für sie doch viel zu kurz, als daß es überhaupt Sinn machte.« Sie umarmte ihn.

»Was?«

»Ich komme mit dir, Harry James Potter!«

»Das kann ich dir nicht zumuten«, sagte er verwirrt, doch sie lächelte schon wieder.

»Die zweite Ferienhälfte sind wir bei meinen Eltern. Der Orden muß erst noch unser Haus vorbereiten. Ich habe alles mit ihnen und Dumbledore geklärt, und sie sind einverstanden«, erwiderte sie, als sie schon bei den Dursleys standen. Er konnte sein Glück kaum fassen, und er blickte langsam vom strahlenden Antlitz seiner Freundin in das grimmig dreinschauende Gesicht von Vernon Dursley, was seine brillante Stimmung nicht im mindesten beeinträchtigte.

»Ihr kennt ja Hermine. Wir sind jetzt zusammen, und ich liebe sie. Wenn ihr nichts dagegen habt, wird sie mit uns kommen und ein paar Wochen bleiben, bis wir zusammen zu ihren Eltern fahren«, verkündete Harry, und seine Stimme schien keinen Widerspruch zu dulden.

Vernon grunzte leise und schien sich in seiner Haut sehr unwohl zu fühlen. »Von mir aus. Hauptsache, der da hinten bleibt mir vom Leib.« Dabei warf er wohl einen Blick zu Mad-Eye, den Harry nur eine Sekunde später ansah. Der Ex-Auror lächelte Harry so warm an, wie er es dem griesgrämigen, alten Magier kaum zugetraut hatte.

Noch einmal sprach er kurz mit Hermines Eltern, die inzwischen zu ihnen herübergekommen waren, und versuchte es ihnen halbherzig auszureden. Diese Opfer wollte er nicht einfach akzeptieren, doch mußte er sich der Übermacht geschlagen geben, als die drei ihn nötigten, dieses Arrangement zu akzeptieren. Er bedankte sich auf das herzlichste bei ihnen und konnte ihnen doch nicht genug dafür danken, daß sie darauf verzichteten, kostbare Zeit mit ihrer einzigen Tochter zu verbringen, damit sich ihr Freund nicht vor Einsamkeit zu Tode langweilen würde. Einen letzten Blick warf er noch auf seine Freunde und lächelte ihnen winkend zu, wie auch Hermine es tat. »Bis bald! Diesmal braucht ihr euch nicht um mich zu sorgen!«

»Mach's gut, Kumpel«, riefen Ron und Neville noch, während ihm alle anderen zuwinkten und er sich mit Hermine im Arm – die ebenfalls freudig gewinkt hatte – aufmachte, Onkel Vernon zu folgen.

Kurz darauf verließen sie den Bahnhof und wurden von warmen Sonnenstrahlen begrüßt, die Harry einen Moment lang blendeten, ehe er sich daran gewöhnte und nun hinter seinem Cousin herging, der Hermine immer wieder staunende Blicke zuwarf. Harry war sich sicher, daß Dudley noch keine Freundin gehabt hatte, und sein offensichtlicher Neid machte den Beginn der Ferien noch schöner. Wenn Voldemort sich so bedeckt halten würde, wie der Orden es von ihm erwartete, würden es die schönsten Sommerferien aller Zeiten werden, dessen war er sich so sicher, wie er sich sicher war, daß er Hermine glücklich in seinen Armen hielt.

ENDE