Kapitel 2
Aylana war gerade in einen schlummernden Zustand gefallen, als sie ein lautes Poltern weckte. Sie richtete sich augenblicklich auf und sah gerade noch, wie jemand mit schweren Schritten an ihr vorbei stapfte.
Boromir war zurückgekommen und lief laut fluchend und mit geballten Fäusten durch das Zimmer. Er schnaubte hörbar vor Wut und Aylana drückte sich verunsichert in die Ecke des Zimmers. So war er, wie sie die Menschen aus Gondor kannte. Laut, zornig und brutal. War dies derselbe Mann, der sie noch vor einigen Stunden befreit hatte und ihren Widerstand nicht sofort im Keim erstickt hatte?
Mit einem Mal drehte er sich zu ihr und seine grünen Augen funkelten Aylana böse an.
„So viele Männer. So viele Väter und Söhne sterben. Alle sterben sie,...", er griff nach einem Becher der auf einem kleinen Tisch stand und warf ihn in die Ecke, „nur wegen euch!"
Aylana entkam ein kleiner Schrei vor Schreck, als der Becher nur einige Zentimeter neben ihrem Kopf an die Wand prallte und zu Boden fiel. Ihre Verwirrung war komplette und die alte Angst meldete sich wieder. Boromir gab ebenfalls einen Wutschrei von sich und stürmte auf Aylana zu. Sie hielt schützend ihre Arme vor ihr Gesicht, als er sie an den Schultern packte und auf sie einbrüllte.
„Wegen Menschen wie dir müssen so viele gute Männer sterben, nur weil ihr uns keine Ruhe lasst und unsere Kinder entführt. Wieso ich dich längst noch nicht umgebracht habe ist mir selbst en Rätsel."
Aylana konnte die Tränen nicht zurückhalten und versuchte die kräftigen Hände des Mannes abzuschütteln. Doch ihre Gegenwehr machte ihn nur noch rasender und er hob sie hoch und warf sie auf das Bett, das in der Mitte des Raumes stand.
„Ich könnte mit dir genau dasselbe tun, was dein Volk mit unseren Frauen macht. Jetzt hier und auf der Stelle könnte ich dir zeigen was Grausamkeit ist, Mädchen."
Aylana erschien dies alles so unreal. Hatte sie etwas nur geträumt, von diesem Mann, der nicht gleich auf sie losgegangen war und sie nicht wie Dreck behandelt hatte? Bewies er nun, dass er nicht anders war, als die Menschen, die damals ihre Heimatstadt geplündert und ihre Familie ausgelöscht hatten?
Sie hatte sie Augen geschlossen und erwartete mit Schrecken was kommen musste. Sie würde es ertragen, gegen jemanden mit Boromirs Statur hatte sie keine Chance. Ihr Verlobter würde sie rächen, wenn er es jemals herausfände. Oder sie würde sich zuerst umbringen, bevor sie Schande es tat.
Doch es geschah nichts. Aylana bemerkte die plötzliche Stille und wagte kurz die Augen zu öffnen. Boromir hielt immer ihre Schultern in das Bett gedrückt, rührte sich jedoch nicht. Sein Atem wurde langsam ruhiger und er blickte beinahe so erschrocken auf Aylana herunter, wie sie selbst. Aylana hielt seinem Blick so lange stand, bis er schließlich von ihr abließ und sich kraftlos neben das Bett fallen ließ.
Aylana nutzte ihre Chance und kroch verängstigt zurück in die Ecke. Sie zog die Knie an, legte ihre Arme darum und versuchte ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen. Boromir saß immer noch neben dem Bett und starrte ungläubig vor sich hin. Als er nach einer Weile sprach, hatte seine Stimme jede Kraft verloren und war beinahe nur ein schwaches Flüstern.
„Es tut mir leid, wenn ich dir wehgetan habe."
Aylana verstand was er sagte, regte sich jedoch nicht. Der Schock in ihren Gliedern saß zu tief, als dass sie jetzt fähig gewesen wäre, sich mit ihrem Feind über ihren körperlichen und seelischen Zustand zu unterhalten.
Sie spürte seinen Blick auf sich und legte ihr Gesicht starr auf ihre Knie. Sie blickte ihm nicht hinterher, als Boromir aufstand und das Zimmer verließ. Auch diesmal machte der Schlüssel kein Geräusch.
