Kapitel 4
Der offensichtliche Unterschied zwischen Boromir und seinen Männern war, dass er bei weitem nicht so stank, wie sie. Aylana wurde übel, als sich der nächste über sie beugte und musterte. Sie hatten sie geknebelt, so konnte sie nur durch die Nase atmen. Der Mann grinste sie mit seinen dreckigen Zähnen an und wollte sie auf die Lippen küssen, doch er wurde von einem anderen weggezerrt.
„Mach sie nicht schmutzig, bevor ich sie mir nicht einmal angesehen habe!"
Aylana zappelte, doch die unerbittlichen Griffe der Männer ließen sie nicht gehen.
„Ein hübsches Kind. Was meint ihr, wie sie unter diesen Fetzen aussieht, Männer?"
Sie lachten und johlten, während Aylana verzweifelt versuchte die Tränen zurückzuhalten.
Der Kerl vor ihr versuchte gerade, sich an den Resten ihrer Kleidung zu schaffen zu machen und Aylana schloss angewidert von seinem Gesichtsausdruck die Augen. Erneut versuchte sie sich unter seinen grabschenden Händen hindurchzuwinden, als sie auf einmal unerwartet zu Boden fiel.
Die Männer hatten sie plötzlich losgelassen und durch die Kraft ihres Befreiungsversuchs, war sie nach vorne gefallen. Aylana drehte sich auf den Rücken und versuchte die Ursache der plötzlichen Wende herauszufinden, als sie Boromirs kräftige Gestalt erblickte, der gerade dabei war, seine eigenen Soldaten zu verprügeln.
Nachdem er dem Rest der Männer mit erhobenem Schwert gedroht hatte, beugte er sich zu ihr hinunter und half ihr auf die Beine. Als Aylana bei dem Versuch zu gehen umknickte, nahm Boromir sie kurzerhand auf die Arme und verließ den Platz. In seinen Armen zu liegen, war Aylana zwar nicht gerade angenehm, doch es war ihr im Moment wesentlich lieber, als weiter in den Fängen der Soldaten zu sein. Ohne ein Wort trug Boromir sie durch dunkle und verlassene Gänge des Schlosses zurück in seine Gemächer.
Dort angekommen ließ Boromir sie vorsichtig runter. Aylana hatte den kurzen Moment zum Durchatmen genutzt und obwohl sie zugeben musste, dass sie Boromir für ihre Rettung sehr dankbar war, war sie jetzt jedoch noch lange nicht bereit, sich Boromir anzuvertrauen. Sie traute keinem von ihnen.
Sie zog sie zurück an die Wand und ließ sich erschöpft auf dem Boden nieder. Boromir betrachtete sie kurz und machte sich dann an einem Schränkchen zu schaffen. Aylana beobachtete jede seiner Bewegungen. Der Mann vor ihr war wieder so ruhig, wie bei ihrer ersten Begegnung. Er ähnelte so wenig den Soldaten im Hof, oder dem Menschen, der noch vor einigen Stunden kurz davor stand, sie umzubringen oder schlimmeres mit ihr zu tun.
Sie glaubte sogar ein wenig Sorge in seinen Augen zu erkennen, als er sich umwandte und mit einer Schale in den Händen zu ihr kam und sich vor ihr hinkniete. Er griff in die Schale, die mit Wasser gefüllt war und zog ein Stück Stoff hervor, dass er ihr hinhielt.
„Ich denke du willst, nicht, dass ich deinen Verletzungen versorge."
Aylana fiel auf, dass sie erst jetzt langsam begann Schmerzen zu spüren. Sie fühlte ihre Rippen und auch einige brennende Stellen an ihren Armen und im Gesicht. Vorsichtig und langsam nahm sie das nasse Tuch und fuhr sich damit über die Wange. Das kalte Wasser kühlte ihr heißes Gesicht.
Boromir ließ seine Augen nicht von ihr.
„Mein Vater... hat er... ?" es fiel ihm sichtlich schwer über die Schandtaten seines Vaters zu sprechen, so schüttelte Aylana den Kopf, bevor er gezwungen war näher ins Detail zu gehen.
„Und die Soldaten?"
Zorn und Demütigung kamen in ihr auf und ihre Gesichtszüge verhärteten sich.
„Deine Soldaten wissen doch nicht einmal, was man mit einer Frau macht!"
Die Aggressivität in ihrer Stimme erschreckte sie selbst ein wenig, doch sie nahm nichts von dem Gesagten zurück. Sie hatte es satt, die ganze Zeit Angst zu haben und vor ihrem Feind schwach zu erscheinen.
Doch entgegen ihrer Erwartung sah sie Boromir zum ersten Mal lächeln. Ein kleines amüsiertes Geräusch drang aus seiner Kehle und in Aylana löste sich etwas. Sie entspannte sich und ließ sich auf den Gedanken ein, dass der Sohn des feindlichen Königs wirklich anders war.
Ohne ein weiteres Wort griff er hinter sich und hielt ihr einen großen Teller mit Früchten, Brot und etwas Fleisch hin.
„Ich dachte mir, du hast vielleicht Hunger."
Aylana starb vor Hunger. Sie legte das Tuch beiseite und nahm den Teller dankbar an sich.
„Ich bin sofort wieder da. Lauf nicht weg!"
Sie ignorierte die letzte Bemerkung und begann zu essen.
