Kapitel 5

Kurz nachdem Aylana den Teller komplett leer gegessen hatte, kam Boromir zur Tür herein. Über seinem Arm lag ein langes grünes Kleid, aus schlichtem Leinen gefertigt. Er legte es auf das Bett und lief zum Fenster.

„Zieh das an. Deine Kleider kannst du nicht mehr gebrauchen."

Als sie unschuldig an sich herunter sah, musste sie ihm zustimmen. Mühevoll stand sie auf und sprach leise.

„Du darfst dich nicht umdrehen."

Erneut glaubte sie dieses leise Lachen von ihm zu hören.

„Ich werde mich nicht rühren."

Aylana nahm das Kleid in die Hand und betrachtete es. Es musste ungefähr ihre Größe sein.

„Von wem ist es?"

Boromir zögerte bevor er antwortete.

„Das ist nicht wichtig."

Aylana runzelte die Stirn, entschloss sich jedoch nicht weiter zu bohren.

Ohne den Blick von Boromirs Rücken zu lassen, zog sie ihr altes schmutziges Kleid aus und schlüpfte in das Grüne. Es passte ihr wie angegossen und Aylana bewunderte zuerst die komplizierte Stickerei auf dem weichen Stoff und sah sich dann aus reiner Gewohnheit nach einem Spiegel um. Als sie ihn entdeckte, begegnete sie Boromirs Augen, die sie direkt anblickten.

Er hatte sie beobachtet. Und doch hatte er Wort gehalten und sich nicht umgedreht. Der Gedanke, dass der Mann sie nackte gesehen hatte, jagte ihr einen Schauer über den Rücken, der wie sie feststellte, nicht unangenehm war. Sie beschloss nichts zu sagen, sondern betrachtete sich im Spiegel.

„Es ist ein wenig zu lang, doch ich denke es ist besser als das alte."

Murmelte Boromir über ihre Schulter. Aylana sah im Spiegel, dass er nun sehr nah hinter ihr stand und sie von oben her ansah. Sein Blick machte sie zugleich nervös und verlegen und sie beschloss sich nicht umzudrehen.

„Es ist schön."

Als sie mit den Händen über den Stoff an ihren Armen strich spürte sie Boromirs Finger, die kaum spürbar ihre Arme streichelten. Aylana hielt kurz den Atem an. Seine Berührung fühlte sich tröstlich an, als wäre er der Einzige, der ihr an diesem einsamen Ort etwas Halt geben konnte. Unbewusst kam ihr der Gedanke an ihren Verlobten in den Kopf.

„Ich werde morgen früh wieder hinausziehen und dich hier alleine lassen müssen. Ich möchte dich nicht gerne hier oben festhalten, doch ich traue meinem Vater nicht. Er wird die Gelegenheit ausnutzen, wenn er dich in die Finger bekommt. Was schlägst du vor, Aylana?"

Boromir, der große Heerführer Gondors fragte sie nach Rat. Doch Aylana stellte eine Gegenfrage.

„Wieso lässt du mich nicht einfach frei?"

Erneut erschien dieses kleine Lächeln auf seinem Gesicht, dass Aylana ein flaues Gefühl im Magen schenkte. Sanft griff er sie an den Schultern und drehte sie zu sich um. Aylanas Nasenspitze berührte nun knapp seine Brust und sein Geruch hüllte ihre Sinne ein.

Boromir war ein Gondorianer, also ihr Feind, so hatte man es ihr von klein auf beigebracht. Nun begann jener Feind sie zu faszinieren und gab ihr das Gefühl, nicht mehr so verloren zu sein. Beinahe wagte sie zu glauben, dass sie sich verliebt hatte.

„Ich würde es. Doch wenn ich dich nun laufen lasse, bemerken es die Späher, die überall verteilt sind. Sobald ich dich verlassen würde, würdest du in schlimmere Hände fallen, als in meine."

Er hob ihr Kinn mit seiner Hand an um ihr direkt in die Augen sehen zu können.

„Oder wären die andere lieber?"

Aylanas Herz begann zu rasen, als er seinen Kopf nach unten beugte und behutsam ihre Lippen mit den seinen berührte. Als er den Kuss vertiefte, spürte sie wie ihre Knie weich wurde. Sie schmolz unter ihm hinweg und er legte seine Arme um ihre Hüfte, um sie näher an sich zu drücken. Aylana schmiegte sich an seinen muskulösen, warmen Körper. Als er wieder von ihr abließ, brauchte Aylana einige Zeit um ihre Worte wieder zu finden.

„Dann komm mit mir. Hinaus aus Gondor. Weg von deinem Vater. Weg von diesem Krieg."

Boromir entfuhr ein kleines Lachen. Seine Finger spielten mit einer Strähne ihres langen dunklen Haares und er blickte nachdenklich darauf.

„Ich kann nicht."

„Wieso nicht? Was hält dich hier, Boromir?"

Nach kurzem Zögern küsste er sie erneut, ohne zu antworten. Ohne Mühe hob er ihren zierlichen Körper vom Boden und legte sie auf dem Bett nieder. Er selbst legte sich neben sie und küsste ihren Nacken.

„Genug der Fragen."

Als er seine Hände über ihren Körper wandern ließ, stimmte Aylana ihm zu. Es war nicht der rechte Augenblick um Fragen zu stellen.