Kapitel 11
Aylana hatte nicht lange geschlafen, als sich auf dem Gang laute Stimmen erhoben. Sie setzte sich auf und spürte wie sich ihre Glieder versteiften, als sie die Stimme des Königs vernahm. Sie zog die Knie an und hoffte, dass er sie diesmal in Ruhe lassen würde, doch sie hatte sich getäuscht. Die Tür flog mit einem lauten Krachen auf und der König stapfte hinein.
„Steh auf!", brüllte er, griff ihren Arm und zog sie mit sich hinaus aus der Zelle. Bei der kräftigen Berührung des alten Mannes verkrampfte sich jeder Muskel und sie war unfähig zu sprechen. Was hatte er mit ihr vor?
Er zerrte sie den Gang entlang und stoppte an einem der Verliese. Der König umklammerte Aylana mit seinem Arm an ihrer Kehle und zog ihre Hände schmerzhaft auf den Rücken. Erst jetzt erkannte Aylana die Szene in der Zelle in die sie blickte.
Atanir lag blutend auf dem Boden und sah mit schmerzverzerrtem Gesicht zu ihr auf. Sein Oberköper war nackt und vereinzelt zeichneten blutige Striemen und dunkle Flecken seine Haut. Um ihn herum standen vier Wachen, die verächtlich auf den jungen Mann herunterblickte. Der König fauchte ihn an.
„Sieh her! Sieh sie dir an! Willst du wirklich das Leben dieses schönen Geschöpfs aufs Spiel setzten? Willst du sie jetzt vor deinen Augen sterben sehen? Nichts leichter als das!"
Mit seinen letzten Worten zog er ein Messer hervor und presste es anstelle seines Armes an ihren Hals. Der Knoten in ihrem Hals löste sich und Aylana entfuhr ein Schreckenslaut. Sie begann vor Angst zu zittern. Atanirs Augen weiteten sich.
„Nicht!"
Der König hielt inne. Dann sprach er leise und forschend weiter.
„Nicht? Nun, dann musst du dich entscheiden. Entweder du sprichst, oder sie stirbt."
Aylana stand der Angstschweiß auf der Stirn. Diese Situation war zuviel für ihre gezehrten Nerven. Sie betrachtete ihren Verlobte, der sichtlich mit seinen Gefühlen rang. Aylana hatte keine Ahnung worum es hier ging, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass er irgendetwas über ihr Leben stellte. Schließlich liebte er sie. Bei dem Gedanken musste Aylana schlucken. Sie fragte sich, ob Atanir etwas ähnliches widerfahren war, wie ihr. Dass seine Liebe für sie auf die Probe gestellt worden und verloren gegangen war.
Nachdem Atanir einige Zeit geschwiegen hatte, sprach der König erneut. Sein Mund war so nah an Aylanas Ohr, dass sie glaubte er drohte ihr.
„Mir ist noch etwas besseres eingefallen. Wenn ich deinen Willen du seinen Stolz nicht brechen kann, werde ich ihren brechen. Jetzt. Hier. Vor deinen Augen werde ich sie zerstören!"
Dann senkte er die Stimme und blickte Aylana von der Seite an.
„Wie das letzt Mal..."
Aylana fühlte Tränen ihre Wange hinunter laufen. Für einen kurzen Moment spürte sie wieder den schweren Körper des Königs auf dem ihren, seine groben Hände, die Verletzungen, die er ihrem Körper und ihrer Seele zugefügt hatte.
Das Aufflackern in Atanirs Augen riss sie aus ihren Erinnerungen und sie erkannte, was er als nächstes tun würde.
Atanir sprang mit einem unheimlichen Schrei auf und warf sich dem alten Mann entgegen. Die Wachen in der Zelle hatten keine Chance ihn rechtzeitig zu packen und riefen ihm fluchend etwas hinterher. Der König schnappte nach Luft und schleuderte Aylana zur Seite auf den Boden. Dabei glitt das Messer an ihrer Schulter durch die Haut und hinterließ einen tiefen Schnitt in ihrem Fleisch.
Atanir hatte den König gegen die Wand geworfen und schlug unbändig auf ihn ein. Der alte Mann war sichtlich überrascht und versuchte sich zu verteidigen. Aylana versuchte ihre Benommenheit von dem Sturz abzuschütteln und sah dem Kampf fassungslos zu. Die Wachen zerrten Atanir von dem König weg und hielten ihn in unerbittlichen Griff fest. Atanir zischte ihm entgegen.
„Wenn du sie noch einmal anrührst, alter Mann, dann breche ich dir jeden einzelnen Knochen. Lass deine dreckigen Finger von ihr!"
Der König rückte seine Kleider zurecht und legte plötzlich eine spöttische Mine auf.
„Welchen Knochen möchtest du zuerst?"
Er grinste ihn an, hielt das Messer vor sich und rammte es Atanir in den Bauch. Das Keuchen des jungen Mannes vermischte sich mit Aylanas Schreien und dem lauten Lachen des Königs. Die Wachen fielen in sein Gelächter ein und ließen Atanir auf den Boden sinken.
Aylana kroch zu ihrem Verlobten und beugte sich über seine gekrümmte Gestalt.
„Atanir! Sag etwas. Du darfst nicht..."
Der Spott der Männer über ihr war verstummt, doch Aylana achtete nicht darauf. Sie nahm Atanirs Gesicht in ihre Hände und strich ihm über die Stirn. Immer wieder flüsterte sie seinen Namen, bis er schließlich ein letztes Mal die Augen öffnete. Seine Mundwinkel verzogen sich schwach zu einem verzweifelten Lächeln. Dann schlossen sich seine Augen und sein letzter Atem versiegte.
„Das hat er nun davon.", murmelte einer der Soldaten. Aylana blickte ihn ungläubig an und er verstummte augenblicklich. Das Mädchen erlebte die nächsten Minuten wie in Trance. Während der König sie am Arm auf die Füße und zurück in ihre Zelle zog, konnte sie die Augen nicht von ihrem toten Verlobten abwenden, der blutüberströmt auf dem Steinboden lag.
Völlig abwesend ertrug sie, wie der König sie auf den Boden warf, ihr die Kleider vom Leib riss du sie benutzte. Sie wehrte sich nicht gegen seine Zugriffe, die dieses Mal grausamer waren als das letzte Mal. Sie schützte sich nicht vor seinen Schlägen, die so lange auf sie niederprasselten, bis sie den Schmerz kaum mehr spürte.
Nachdem er sie verlassen und erneut eingeschlossen hatte, blieb Aylana regungslos liegen, immer mit dem Bild ihres ehemaligen Geliebten vor Augen. Mit der Zeit veränderte sich sein Gesicht und sie blickte in die sanften Augen Boromirs. Erst jetzt überwältigten sie ihre Gefühle und sie begann zu weinen.
