Der Unglückstag

Ich wusste, Van´s Lebenswille war sehr stark. Doch was nahm ihm seinen Mut? Ich verstand das nicht mehr. Als er sich unentwegt weigerte, mir zu folgen, ging ich zur Klippe. Ich stand dort und sah ins Tal. Dann sprang ich von der Klippe. Van schrie laut auf vor Angst. Takuya schrie nur: „Tamara. Nein!" Als ich weiter unten war, breitete ich meine Schwingen aus. Sie sahen mir erschrocken nach. Takuya wurde wütend. Dann ging er auf Van zu und wollte ausholen. Er hielt in seiner Bewegung inne und ließ die Hand sinken. Er dachte: Ich darf Van nicht verletzen. Er ist so sehr verletzt und todunglücklich. Er würde dann wohl nie mehr mit mir reden oder vielleicht würde es schlimmer kommen. Das könnte ich mir nicht verzeihen. Van ließ sich schluchzend auf die Knie fallen und weinte bitterlich. Hitomi blickte fassungslos ins Tal und schüttelte den Kopf. Takuya eilte zu seinem Bruder und sagte: „Van! Ist alles okay mit dir? Großer Bruder, was ist mit dir?" Van sah seinem Bruder in die Augen und erwiderte: „Jetzt haben wir ein Problem. Tamara ist weg. Sie wollte mir doch nur helfen. Ich bin so ein Trottel. Lass mich ihr folgen. Bitte." Takuya schüttelte den Kopf und meinte: „Nein! Ich folge Tamara. Du bist zum Fliegen zu schwach. Geh mit Hitomi zurück und ruh dich aus. Ich hole sie wieder zurück." Doch da breitete Van seine Schwingen aus und sprang von der Klippe. Takuya folgte ihm. Er konnte seinen Bruder nicht allein fliegen lassen. Hitomi war auch mitgeflogen. Auf einmal hörte ich nur einen lauten Schmerzensschrei. Und dann erkannte ich drei Stimmen. Die anderen suchten nach mir. Als ich in den Himmel aufstieg wurde ich von Takuya überwältigt und festgehalten. Ich wollte mich losreißen und dann sah ich in seine Augen. Takuya sah mich sehr traurig an. Ich blickte mich um und sah Van, der ebenfalls ziemlich traurig wirkte. Wütend schrie ich auf und wollte mich losreißen. Da kam Van dazu und nahm mich in seine Arme. Die sanfte Gewalt, die er auf mich ausübte, brachte mich zur Ruhe. Was sollte ich nur tun? Ich könnte nicht mehr fliehen, also blieb ich. Er drückte mich an sich und sagte: „Tamara, bleib bei mir. Ich will mich entschuldigen. Es tut mir so leid. Du wolltest mir doch nur helfen." Ein leises „schon okay" war alles, was ich raus brachte. Ich legte den Arm um seine Schultern und sah in seine Augen. Tränen rannen seine Wangen hinab und ich musste mich sehr beherrschen, um nicht zu weinen. Ich drückte ihn sanft an mich und sagte mit sanfter Stimme: „Van! Hör doch auf zu weinen. Ich hatte Angst und machte mir Sorgen. Ich musste nachdenken. Der Flug war notwendig, damit ich klar denken kann." „Nein! Ich kann nicht!", flüsterte er und dann fiel er mir aus den Armen. Ich legte die Schwingen an und ging in den Sturzflug. Als ich ihn aufgefangen hatte, breitete ich schlagartig meine Schwingen aus und flog zurück. Van hatte sich mit der Hand an meinem Shirt festgekrallt und zitterte wie Espenlaub. Ich merkte, wie er sich unruhig in meinen Armen bewegte und dann zu mir sah und traurig lächelte. Er fing auf einmal an zu husten und sank in meine Arme. Ich legte die Hand auf seine Stirn und schrie erschrocken zu Hitomi: „Van hat ja Fieber. Er ist krank. Hitomi, wir müssen ihm helfen." Hitomi rief: „Mach dich auf den Weg zurück. Ich komme mit Takuya nach." Ich flog zurück. Van sagte leise: „Ich bin mit meinen Kräften am Ende. Ich kann nicht mehr. Wenn du mir nicht helfen kannst, dann ist es vorbei." Wieder musste er husten. Ich drückte ihn an meine Brust und sprach: „Halte durch, bitte. Du bist nicht allein. Ich helfe dir so gut, ich kann." Erschöpft und kraftlos sank er noch weiter in meine Arme und schlief ein. Takuya und Hitomi hatten mich eingeholt. Hitomi hatte so langsam Angst. Sie strich sanft durch sein schwarzes Haar und küsste ihn auf die Stirn. Sie meinte: „Armer Van! Du musst soviel erleiden. Warum kann ich dir nicht helfen?" Ich tröstete sie und dann flogen wir zur Hütte.