Die Nachtluft war frisch und kühl, eine leichte Brise wehte ihr das lange Haar ins Gesicht. Schweigend ging sie eine abgelegene, dunkle Gasse entlang. Sie sah kaum ihre Hände vor Augen, denn die wenigen Straßenlaternen spendeten nur wenig Licht und in dieser Gegend befanden sich keinerlei Clubs, einzig eine Kneipe, die zu dieser Uhrzeit aber schon längst geschlossen hatte.
Es waren keinerlei besondere Geräusche zu hören, nur das leise Rauschen des Windes und ihre eigenen Schritte. Gelegentlich hörte man, wie der Motor eines naheliegenden Autos ansprang oder die Reifen quietschten. All diese Laute nahm sie für gewöhnlich kaum wahr, wenn sie durch die Stadt spazierte, doch diesmal wollte sie keinen Einzigen überhören. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich, als würde sie zu dieser Stadt gehören, ja, als wäre sie ein wichtiger Teil von ihr und nicht nur ein Mädchen unter vielen, das in ihr lebte. Woher diese Gefühle allerdings kamen, konnte sie sich nicht erklären.
Plötzlich wurde sie auf ein leises Knurren aufmerksam, das am Straßenrand ertönte. Als sie stehen blieb und sich in die Richtung drehte, aus der das Geräusch kam, entdeckte sie im Halbdunkeln eine Gestalt, die an einer Hauswand lehnte und deren dunkle Bekleidung sich stark von der hellen Wand abhob. Diese kam nun auf sie zu und trotz der mäßigen Lichtverhältnisse, konnte sie erkennen, dass die Gesichtszüge der Person deutlich verzerrt waren. Sofort merkte sie, welche Gefahr ihr drohte.
Sie sah nicht zum ersten Mal in ihrem Leben einen Vampir, schließlich konnte man nach Sonnenuntergang an allen erdenklichen Stellen welchen begegnen. Wie bei den letzten Gelegenheiten wollte sie auch jetzt die Beine in die Hand nehmen und die Flucht ergreifen, da sie nicht scharf auf einen Vampirbiss war, doch ein Instinkt hinderte sie daran. Angestrengt versuchte sie, ihre Beine zum Laufen zu zwingen, doch voller Panik bemerkte sie, dass sie sich nicht von der Stelle rührten.
Zeit um sich über diese seltsame Erfahrung zu wundern blieb ihr allerdings keine, da das Geschöpf nun in seinem vollen Glanz vor ihr zu stehen kam. „Hey Baby," sagte der Vampir und lächelte, falls man das, was er tat, als Lächeln bezeichnen konnte. Sein Gesicht war dem ihren sehr nahe und ein Schaudern breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Nun war es eindeutig zu spät für eine Flucht, also blieb ihr nur die Wahl der Verteidigung, bei der sie ihre Chancen jedoch auf relativ niedrig einschätzte.
„So spät noch unterwegs?", sprach die unschöne Kreatur sie wieder an, während sie sich einen Plan überlegte, wie sie aus dieser überaus gefährlichen Situation mit dem Leben davonkommen könnte.
„Angriff ist die beste Verteidigung.", erinnerte sie sich an die Worte, die ihr einmal jemand gesagt hatte und so schlug sie dem menschlichen Tier spontan ins Gesicht, in der Hoffnung, dass es ihr gelingen würde, ihm die Nase zu brechen.
Sie konnte ihr Glück kaum fassen, als die Antwort auf diese Frage positiv ausfiel und sie ein deutliches Knacken vernahm. Verwundert blickte sie ihre kleine Faust an, die bewirkt hatte, dass solch ein starkes Geschöpf sogar einige Meter zurückgeschleudert wurde. Sie hatte jedoch nicht viel Zeit, um sich zu freuen, denn er sprang sogleich wieder auf die Beine und stellte sich ihr entgegen. Sie musste sich also etwas Neues einfallen lassen.
Der Vampir knurrte sie unfreundlich an und holte nach ihr aus. Geschickt wehrte sie seinen Schlag ab und erteilte ihm weitere Fausthiebe, die sie nicht einmal sehr viel Kraft kosteten und ihren Gegner dennoch wirkungsvoll abwehrten. Obwohl der Vampir sie keineswegs verletzte, was an ihrer neuen, ebenso seltsamen und wie gewaltigen Körperkraft lag, dessen Herkunft ihr unbekannt war, musste sie sich allmählich die Frage stellen, wie sie dieses Geschöpf denn vernichten konnte? Die Antwort darauf kam unerwartet von selbst und ohne, dass sie weiterhin einen Gedanken daran verschwenden musste.
„Dir wird ich's zeigen, Jägerin," stieß er hervor, nachdem sie ihn wieder einmal zu Boden gebracht hatte.
Jägerin...
Dieses Wort ließ längst vergangene Geschehnisse wieder in ihr wach werden und sie dachte einen Augenblick nach. War das möglich? Konnte sie wirklich die Jägerin sein? Alle Anzeichen schienen dafür zu sprechen und schmerzvoll erinnerte sie sich daran, was eine ihr sehr wichtige Person einmal erklärt hatte: „Erst, wenn eine Jägerin stirbt, wird eine neue zu diesem Schicksal bestimmt."
,Nein!', dachte sie verzweifelt, wurde aber im nächstem Augenblick von dem Kerl abgelenkt, den sie, laut ihrer Bestimmung, auslöschen sollte. Denn sie war nun die große, starke Jägerin, die Person auf der Welt, die dafür zu sorgen hatte, dass der Teufel und seine Haustiere der Bevölkerung nicht auf die Pelle rückten.
„Die anderen Jägerinnen waren zwar gesprächiger und nicht so schrecklich langweilig wie du, Kleine," meinte der Vampir und sprach danach einen Satz aus, der für sie von sehr großem Nutzen war, „aber auch ihnen ist es nicht gelungen, mir einen Pflock durchs Herz zu jagen. Genauso wenig wie es dir gelingen wird."
Bei diesen Worten stieß sie einen erleichterten Seufzer aus und während sie weiterhin ihren Gegner attackierte, schaute sie sich auf der Straße, die sich nicht unbedingt als ordentlich und sauber bezeichnen konnte, um, in der Hoffnung einen spitzen Gegenstand zu finden. Dies erwies sich als nicht besonders schwierig, einige Meter von ihr entfernt lang eine kurze Metallstange.
Mit dieser gelang es ihr nun, dem blutrünstigen Tier zu vermitteln, dass seine letzte Stunde geschlagen hatte und als sie ihm den Gegenstand durch das Herz stach, wartete sie neugierig, was wohl mit ihm passieren würde. Würde er einfach tot umfallen? Oder in Flammen aufgehen? Ihre Augen wurden rund, als sie sah, dass er zu Staub zerfiel und sein Körper, das hässliche Gesicht nur noch in ihrer Erinnerung existierte. An diesen Anblick würde sie sich wohl gewöhnen müssen, schließlich würde sie ihn noch ziemlich oft zu sehen bekommen. Und am Ende würde sie sich wünschen, ihn gesehen zu haben.
TBC
