Kapitel 3

Bevor Bernadette die Zeit hatte, sich ins Schlafzimmer zurück zu ziehen um etwas Kraft und Selbstkontrolle zu gewinnen, läutete es an der Türe. Schnell wischte sich also die Tränen vom Gesicht und ging zur Wohnungstür, bereit diese zu öffnen und ihre besten Freunde willkommen zu heissen.

"Hey Mrs. Atwood, hier sind wir, wir haben's endlich geschafft!" ertönte Seth's laute Stimme, bevor Summer die Chance hatte, einen Kommentar über Bernadette's rote, geschwollene Augen abzugeben.

"Und rate mal? Nein, warte, tu's nicht, ich werde es dir lieber erzählen ... Wir haben eine Überraschung!" schwafelte Seth weiter, während er den warnenden Blick seiner Frau geflissentlich ignorierte und sie und Benjamin durch die Türe ins Foyer hineinschob.

Mit einem breiten Grinsen und ausgestreckten Armen verkündete er: "Wir haben meine Eltern eingeladen! Sie werden in einigen Minuten mit dem Essen hier sein."

"Ah, ein berühmtes order-in Menü von Kirsten" antwortete Bernadette, während sie sich zusammenriss und ein kleines Lächeln produzierte. Sie liess sich sofort wieder ganz in die Rolle als Gastgeber zurückfallen und begrüsste Seth und Summer mit einer Umarmung, wenigstens glücklich, dass sie den Abend nicht alleine mit Ryan und Marissa verbringen musste. Seth marschierte sofort wieder zur Türe hinaus um seinen Eltern mit den Taschen voller Essen zu helfen.

Bernadette nahm Benjamin von Summer's Armen und drückte seinen kleinen Körper ganz fest an sich, während sie mit ihrer Hand über seine Haare strich.

"Wie geht es meinem Patenkind heute?" fragte sie das Baby, streichelte ihm zärtlich über die Wangen und küsste ihn leicht auf die Stirn.

"Wie geht es dir heute?" fragte Summer mit einem besorgten Ausdruck im Gesicht.

"Mir… geht's gut... wirklich... erschöpft, das ist alles" antwortete Bernadette, während sie bereits wieder die Tränen zurückhalten musste, welche sich in ihren Augen sammelten.

"Hey, schon in Ordnung Kleines..." versuchte Summer sie zu beruhigen während sie die Arme um sie legte und ihre beste Freundin an sich drückte.

"Awww... meine zwei lieblings Schwiegertöchter" hörten sie plötzlich Sandy's Stimme und fühlten, wie sich zwei starke Arme um sie schlangen. Summer rettete sofort Benjamin aus Bernadette's Armen bevor etwas passieren konnte.

"Du siehst bleich aus Schatz, geht es dir gut?" fragte Kirsten, die direkt hinter Sandy durch die Türe trat, Bernadette besorgt.

"Hey Sandy, Kirsten, es ist schön euch heute Abend hier zu haben" antwortete Bernadette, nicht auf Kirsten's Frage eingehend.

"Hey, ich bin doch kein Lastenesel! Würdet ihr wohl pronto aus dem Weg gehen oder ein Unglück wird geschehen" brüllte Seth im Scherz, während er drei schwere Taschen hineinbrachte.

Bernadette leitete Seth in die Küche und half ihm, alles Essen auf der Bar aufzureihen. Danach wandte sie sich an Kirsten und Sandy, die ihnen in die Küche gefolgt waren:

"Die Mädchen sind oben in Alyssa's Zimmer, wollt ihr sie nicht begrüssen?"

Die Grosseltern nickten zustimmen und machten sich Arm in Arm auf die Suche nach ihren ältesten Enkelinnen.

"So, wo ist der Herr des Hauses, der ach-so berühmte Architekt Atwood, mein Kumpel Ryan?" fragte Seth sofort, im Versuch den Frauen zu entkommen, bevor ihm eine Aufgabe in der Küche zugeteilt werden konnte.

"Genau, Seth, ich wollte mit dir über Ryan sprechen..." begann Bernadette mit ruhiger Stimme.

"Ist alles ok?" unterbrach Seth sie, sofort ein ernster Ausdruck in seinem Gesicht. Als er realisierte, was er gerade gesagt hatte, relativierte er: "Ich meine.. ich weiss, dass nicht alles ok ist.. aber ist alles ok mit Ryan?"

"Ich hab's ihm gesagt..." flüsterte Bernadette erklärend.

"Oh" antworteten Seth und Summer im Einklang, während sie sich einen besorgten Blick zuwarfen.

"Ist er hier?" wollte Seth dann von Bernadette wissen.

"Er ist draussen... er wollte nicht darüber sprechen.. ich glaube er ist ziemlich aufgewühlt" antwortete sie, nicht mehr fähig, die Tränen zurückzuhalten.

Summer nahm sie wortlos in die Arme und gab Seth ein Zeichen, er solle sich um Ryan kümmern, während sie sich ihrer Schwägerin annahm.


"Hey Kumpel" begrüsste Seth seinen Adoptivbruder leise, während er sich neben ihn ins Gras setzte.

"Hey Mann..." antwortete Ryan, ohne ihn anzusehen.

"Harter Tag, was?"

"Hat sie's euch gesagt?"

"Eigentlich… wussten wir es schon..." gestand Seth, während er Ryan einen entschuldigenden Blick zuwarf.

"Ich wollte es dir wirklich erzählen... aber sie bestand darauf, ihrem Plan zu folgen..."

Sie sassen eine Weile schweigend nebeneinander, bevor Seth weiterfuhr:

"Und wie geht es dir?"

"Ich...ich weiss nicht Seth, ich weiss wirklich nicht wie ich mich fühle..." begann Ryan, wütend seine Fäuste ballend.

"Ich fühle mich verloren... Ich wollte sie festhalten, ihr sagen, dass alles gut wird… dass wir es zusammen schaffen können…" er stoppte und nahm einen tiefen Atemzug.

"Aber sie hat mich angelogen Seth... sie vertraut mir nicht genug um mir zu erzählen, dass sie stirbt... sie entscheidet über ihr Leben… oder ihren Tod... ohne mir ein Wort zu sagen! Und was noch schlimmer ist…. sie sucht eine Nachfolge Freundin/Frau was auch immer für mich aus... Denkst du nicht auch, dass das völlig krank ist? Hat sie jemals an meine Gefühle gedacht?"

Seth nickte langsam bevor er antwortete:

"Das hat sie, glaube mir... Als ich mit ihr darüber gesprochen habe, sie versucht habe zu überzeugen, dir alles zu erzählen, war sie verzweifelt. Sie war überzeugt, dass du sie dafür hassen würdest, dass sie dich verlassen muss… Also entstand dieser Marissa Plan. Ich habe ihr gesagt, dass es eine dumme Idee ist, aber sie hat mir nicht geglaubt. Immer und immer wieder hat sie uns gesagt, dass du immer noch Gefühle für Marissa hast... Sie hat Angst Ryan, Angst vor dem Sterben... Angst davor, dich mit den Kindern alleine zu lassen... Aber keine Sekunde lang hat sie eine Abtreibung in Betracht gezogen. Sie weiss, dass es ihr ein bisschen Zeit geben würde, nach Ansicht der Ärzte wenigstens…. aber Bernadette fühlt sich schuldig… schuldig weil sie dich verlassen wird, weil sie es nicht schafft, sich an dir und dem Leben festzuklammern…..Deshalb hat sie entschieden, dass euer Sohn, ihr letztes Geschenk an dich sein soll..."

Als Seth seinen Kopf zu Bruder drehte, bemerkte er sofort die Tränen in Ryan's Augen. Während Seth seinen Arm um Ryan legte, erinnerte er sich an das letzte Mal, als er seinen besten Freund weinen gesehen hatte.

Rückblick

"Ganz toll" murmelte Seth schläfrig, als das Klopfen an seiner Türe lauter wurde. Während er aus dem Bett kletterte und zur Tür schlurfte, verwünschte er wortlos die Person, die ihn Mitten in der Nacht aus seinem wohlverdienten Schlaf holte.

Er rieb sich die Augen und öffnete die Tür, nur um Ryan in seinem Chino Sweatshirt vorzufinden, seine Augen dunkel und verzweifelt.

"Hey Mann, was gibt's?" fragte Seth leise, da er wusste, dass seine Eltern noch am Schlafen waren.

"Können wir reden?"

Seth war überrascht über Ryan's zitternde, belegte Stimme.

"Klare, es ist" er warf einen Blick auf seine Uhr "3 Uhr Morgens, aber hey, wer braucht schon Schlaf?"

Er ging zur Seite, damit Ryan ins Zimmer treten konnte und schloss danach die Türe hinter sich, bevor er zurück zum Bett schlurfte und sich mit einem Seufzer wieder unter die Decken kuschelte.

Ryan hatte sich in der Zwischenzeit auf Seth's einzigen Stuhl gesetzt und seinen Kopf in seine Hände vergraben. Unsicher, was mit Ryan los war, entschied sich Seth, ihrm etwas Zeit zu geben.

"Sie ist weg" platzte Ryan plötzlich heraus.

"Wer ist weg?" antwortete Seth verwirrt.

"Marissa, Ich.. Wir hatten einen Streit... einen ziemlich schweren Streit... Ich habe sie verloren" stammelte Ryan.

"Ihr streitet euch doch oft! Ihr werdet euch beruhigen, darüber sprechen…"

"Nein!" unterbrach Ryan erregt, was zur Folge hatte, dass ein verstörten Ausdruck in Seth's Gesicht trat.

"Dieses Mal ist es anders…Sie…. sie hat mir gesagt, dass sie das College verlassen wird, dass sie als Model arbeiten kann... Ich habe sie gebeten aufzuhören, sich wie ein Kind zu benehmen und zuerst die Schule zu beenden…. Ich habe ein paar ziemlich schlimme Sachen gesagt……Ich… Ich konnte ihr doch nicht sagen, dass ich nicht will…. dass sie geht..."

Seth setzte sich in seinem Bett auf und dachte einige Sekunden darüber nach. Aber bevor er etwas entgegnen konnte, sprach Ryan weiter.

"Ich war wütend ...weil sie diese Entscheidung alleine getroffen hatte… ohne mich zu fragen…sie hat mir gesagt, dass sie selbst über ihr Leben entscheidet, niemand sonst... Da habe ich ihr gesagt, dass sie dann vielleicht auch keine anderen Menschen in ihrem Leben braucht... Daraufhin hat sie mir gesagt, ich solle aufhören sie zu beschützen, dass ich mein eigenes Leben leben soll und sie in Ruhe lassen soll….. wortwörtlich hat sie mir gesagt, dass ich nie mehr mit ihr sprechen soll… "

"Das... das ist wirklich ziemlich schlimm..." antwortete Seth schockiert, im Versuch die richtigen Worte zu finden.

"Und was wirst du jetzt tun?"

"Ich.. Ich weiss nicht... Ich denke ich muss ihr Zeit geben..." antwortete Ryan während er sich erhob und zu Seth's Bett ging, worauf er sich niederliess und endlich seinem besten Freund in die Augen sah.

"Ich liebe sie, weisst du... Ich liebe sie wirklich und ich kann mir gar nicht vorstellen wie es ohne sie in meinem Leben wäre… nie mehr mit ihr zu sprechen..." gestand er, endlich seinen Tränen freien Lauf lassend.

Seth war schockiert, er hatte Ryan noch nie zuvor weinen gesehen. Ryan was immer der härtere von ihnen gewesen, der "böse Junge", der nie seine Emotionen offen zeigte.

Ohne zu zögern legte er seinen Arm um seinen Bruder und drückte seine Schulter leicht.

"Alles wird gut werden..." flüsterte er.

Ende des Rückblicks