Kapitel 8

"Summer, bitte, sag was" bat Marissa nach einigen Minuten kompletter Stille.

Summer schüttelte nur den Kopf, während sie immer noch auf das Bild in ihrer Hand starrte, auf welchem ein dunkelblonder Junge mit unglaublich blauen Augen zu sehen war.

"Das wird ihm den Rest geben..." flüsterte die Mutter von zwei Kindern schlussendlich mit zitternder Stimme.

"Also denkst du nicht, dass ich es ihm sagen sollte?" fragte Marissa schwach.

"Ganz sicher nicht jetzt… Gott, ich glaub es immer noch nicht..." Summer schien aus ihrem Trance-Zustand zu erwachen und schaute ihrer besten Freundin direkt in die Augen.

"Wie konntest du ihn so lange verstecken?" fragte sie dann erstaunt.

"Naja, nach meinem Streit mit Ryan konnte ich doch nicht einfach zurückkehren und ihm erzählen, dass ich sein Kind erwartete... Also ging ich zu meinem Vater und Haley, bis mein kleiner Engel geboren war. Ein paar Monate später, ging ich dann nach New York auf die Model Academy und liess ihn in der Obhut meines Vaters. Ich besuchte ihn, so oft ich konnte. Als meine Karriere durchstartete, begleitete er mich rund um die Welt. Später kaufte ich ein Apartment in New York und engagierte eine Nanny, die sich um ihn kümmerte, als die Schule begann. In New York hat er bis jetzt gelebt, die letzten paar Jahre... Aber jetzt will ich definitiv zurück nach Newport ziehen, ich will, dass er auf die Harbour geht..."

"Aber warum?" fragte Summer verwundert.

"Es ist… nicht so einfach zu erklären… es ist nur so… ich weiss nicht mehr weiter" gestand Marissa.

"Es war eine harte Zeit für ihn in New York. Die anderen Kinder machten sich über ihn lustig, weil seine Nanny zu all seinen Schulfestivals kam und keine „wahren" Eltern da waren. Ich hatte ein paar feste Freunde, aber er mochte keinen von ihnen und hat es ihnen auch gezeigt – glaube mir, er ist seinem Vater sehr ähnlich... Jetzt ist er kurz vor dem Teenager Alter und…. Wir streiten uns die ganze Zeit… Er stellt mir immer wieder Fragen über seinen Vater, warum er ihn verlassen hat, warum sein Vater nicht an ihm interessiert ist… er hat sogar meine Sachen durchsucht, um herauszufinden, wer sein Vater ist… ich habe Angst, dass er irgendwann etwas findet und selbst in Kontakt mit Ryan tritt, deshalb muss ich es Ryan erzählen, bevor etwas passiert…"

"Wow…" stammelte Summer, Bilder von einem aufgebrachten Ryan rasten durch ihren Kopf.

"Okay... Tut mir leid Marissa, aber ich brauche ein bisschen Zeit, um diese Neuigkeiten zu verarbeiten... und ich muss mit Seth darüber sprechen... wir machen uns im Moment sowieso grosse Sorgen um Ryan, deshalb darf er es im Moment unter keinen Umständen erfahren, er hat genug Probleme!"

"Selbstverständlich..." nickte Marissa verständnisvoll.


Marissa blieb nicht mehr länger, sondern verabschiedete sich von Summer. Ryan hatte am Morgen angerufen und ihre Verabredung zum Essen abgesagt, da er den ganzen Tag mit Arztterminen beschäftigt war. Sie verstand und drängte ihn zu nichts, sie wusste, dass er Zeit brauchte. Nach ihrem Besuch bei Summer ging sie nach Hause, um ihren Sohn für einen Tag am Strand abzuholen. Sie genoss es, endlich mehr Zeit mit ihm verbringen zu können, als Wiedergutmachung für all die Wochen, an denen sie nicht bei ihm sein konnte und hoffte, dass sie sich vielleicht wieder vertragen konnten. Aber es beschäftigte sie, dass sie ihm nicht sagen konnte, dass sie nahe bei seinem Vater waren, ohne ihn wirklich besuchen zu können.

Summer wanderte in der Zwischenzeit rastlos durch das Haus und versuchte, die soeben gehörten Neuigkeiten zu verarbeiten. Nachdem sie Benjamin's Windeln gewechselt hatte, legte sie ihn wieder zum Schlafen nieder und rief Seth an, in der Hoffnung, dass er wusste, was zu tun war. Sie sagte ihm, dass es wichtig sei und Seth war clever genug zu verstehen, dass sie es ernst meinte. Sie verabredeten, sich zum Mittagessen zu treffen.


Summer sass im Strandrestaurant bereits am Tisch, Benjamin auf ihrem Schoss, der glücklich spielte und plapperte, als Seth in der Türe erschien.

"Hey Schatz" begrüsste er seine Frau, gab ihr einen Kuss auf die Wange und fuhr kurz mit seiner Hand über Benjamin's Kopf, bevor er sich mit einem Seufzer hinsetzte und seinen Laptop unter dem Tisch platzierte.

"Ich habe den Nachmittag frei genommen, es ist solch ein schöner Tag und wir sollten zu den Atwood's rüber gehen und sehen, ob wir irgendetwas tun können, um ihnen zu helfen. Ryan ist heute sowieso zu Hause geblieben, ich habe heute Morgen im Büro angerufen."

"mmhh… Ich denke nicht, dass wir zu ihnen gehen sollten, sie haben Termine mit den verschiedenen Ärzten, gib ihnen etwas Zeit für sich Seth..." antwortete Summer und fügte leise "sie werden es brauchen" zu.

"Ok… also... über was wolltest du so dringend sprechen?" fragte Seth, während er seinen Sohn anlächelte, der glücklich in die Hände klatschte.

"Marissa hat einen 12 Jahre alten Sohn."

"Wow... das… das ist überraschend, für ein Model mit ihrer Figur" scherzte Seth, sein Blick immer noch auf Benjamin fixiert.

"Cohen!" antwortete Summer, während sie ihm einen strengen Blick zuwarf.

"Was! Dann hat sie ein Kind, sie hat ihr eigenes Leben gelebt, du kannst nicht erwarten, dass sie dir jede Woche eine Zusammenfassung ihres Tagebuches schickt!"

"Seth... er ist 12"

"Ja, ich hab's gehört. Wo lebt er denn? Vielleicht kann er sich mal mit Cassandra treffen, sie braucht unbedingt einen Freund. Ich will nicht, dass sie als Teenager wie ich wird… - obwohl – er ist Marissa's Sohn, ich weiss nicht, ob wir ihm vertrauen können."

Seth schwafelte weiter, sein Hirn zu dieser Tageszeit offenbar etwas langsamer als sonst.

"Vielleicht wenn wir den Vater kennen würden, dann könnten wir besser beurteilen, ob er für unsere kleine Prinzessin geeignet ist. Kennst du den Vater? – oh, warte, sag nichts, es war ein schwuler Designer, der nur mal experimentieren wollte, oder?"

Er kicherte über seinen eigenen Witz bevor er sich Summer wieder zuwandte, welche ihn wütend anstarrte.

"Ok, ich hör ja schon auf... also, ernsthaft, wer ist denn der -" Seth stoppte, als es ihm ein Licht aufging. Er blieb einige Sekunden ruhig, bis er fragte:

"12 Jahre alt?"

Summer nickte und wusste, dass er endlich auf dem richtigen Weg war.

"Unmöglich..." keuchte Seth, als er den ernsten Ausdruck auf Summer's Gesicht bemerkte, ihre Augen voller Sorge."

"Heiliger Moses" flüsterte er dann, als ihm die volle Bedeutung der Neuigkeit bewusst wurde.


Ryan und Bernadette sassen auf der Couch im Wohnzimmer, Ryan's Arm liebevoll um die Schultern seiner Frau gelegt, während sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte. Keiner von ihnen sprach, sie genossen einfach die Anwesenheit des anderen. Sie hatten einen anstrengenden Tag hinter sich. Nach dem Alyssa weggefahren war, hatten sie einige Ärzte besucht, um herauszufinden, was genau getan werden konnte.

Als Ryan das erste Mal aus dem Mund des Arztes hörte, dass es keine Hoffnung mehr gab, nicht einmal mit einer Abtreibung, fühlte er sich hilflos. Er versuchte, ruhig zu bleiben, stark zu sein für seine Frau, ihr alle nötige Unterstützung zu geben. Aber innerlich schrie er. Er war verwirrt, wütend und verletzt über den Gedanken, dass die Frau, die er liebte, ihn verlassen würde. Aber noch wütender war er über sich selber, weil er Marissa nicht vergessen konnte.

Klar, er hatte die Hand seiner Frau gehalten, mit den Ärzten gesprochen und ihren Ratschlägen zugehört. Aber seine Gedanken kreisten ständig um seine Ex-Freundin. Niemand wusste, dass er damals aus Trotz mit Bernadette ausgegangen war. Er musste sich selbst beweisen, dass es noch andere Fische im Meer gab. Leider hatte er dabei vergessen, dass die Gefühle einer anderen Person ebenfalls involviert waren und sehr wahrscheinlich würde diese Person verletzt werden. Er erinnerte sich noch ganz genau, wie er sichergestellt hatte, dass Summer Marissa erzählte, dass er wieder eine Freundin hatte. Es war seine letzte Chance zu sehen, ob sie wieder zu ihm zurückkam.

Als sie nicht auf die Neuigkeit reagierte, wusste er, dass er sie für immer verloren hatte. Auf der einen Seite war er dankbar für den sauberen Abschluss. Er wusste, er musste sein Leben weiterführen, sie würde nicht mehr zu ihm zurückkommen. Auf der anderen Seite schmerzte der Verlust – es schmerzte so stark, wie damals, als Dawn ihn für immer verlassen hatte.

Bernadette war eine grossartige Frau. Er hatte sie von Anfang an gemocht. Sie war loyal, einfühlsam und eine sehr gute Zuhörerin. Und es war offensichtlich, dass sie ihn liebte. Es war nicht schwer für Ryan zu verstehen, dass er lernen konnte, sie zu lieben.

Obwohl er sich so viele Male schuldig fühlte, wenn er sich vorstellte, Marissa stände am Herd wenn er nach Hause kam, oder kurz davor war, Bernadette mit dem Namen seiner Ex-Freundin anzusprechen, hatte er sich zusammengerissen und es fertig gebracht, das Leben eines glücklich verheirateten Mannes und liebenden Vaters zu führen, ohne das jemand ahnte, wie er sich innerlich fühlte.

Aber jetzt, da Bernadette sterben würde und Marissa zurück war, spürte er, wie sein sorgfältig aufgebautes Leben um ihn herum zusammenfiel. Natürlich schmerzte es ihn, dass Bernadette ihn verlassen musste. Er liebte sie auf eine spezielle Weise. Sie war immer seine beste Freundin gewesen, seine Partnerin für 11 Jahre und hatte ihm das Wertvollste geschenkt, dass er kannte – seine Tochter – wofür er ihr immer dankbar sein würde. Bernadette war immer loyal und eine grosse Unterstützung gewesen, sein Backup sozusagen, hatte in ihn geglaubt und ihm durch die schweren Zeiten geholfen, die auf die Übernahme der Newport Group folgten. Aber in all diesen Jahren hatte er sie nicht so sehr geliebt, wie sie es verdient hätte und wie er wusste, dass er immer noch Marissa liebte. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde für ihn, dass er einen Ausweg für diese Geschichte finden musste, und zwar alleine.

Als Bernadette neben ihm ein Gähnen unterdrückte, drückte er kurz ihre Schulter, bis sie ihn ansah. "Du solltest ins Bett gehen Liebling, es war ein langer Tag und du brauchst im Moment all deine Kraft" sagte er ihr leise, während er zärtlich mit seiner Hand über ihren Kopf strich, bevor er ihre Wange streichelte.

"Du hast recht… Ich sollte besser ins Bett gehen, kommst du mit?" antwortete seine Frau müde, ihre Arme streckend.

"Ich muss noch einiges erledigen, meine Assistentin hat mir heute Nachmittag noch Arbeit nach Hause gebracht, ich komme später nach, warte nicht auf mich, ok?"

"'kay…."

Ryan half ihr aufstehen, bevor er sie zärtlich küsste und ihr eine gute Nacht wünschte. Als sie gegangen war lief er in sein Büro, wo er nach seinen Trainings Kleidern griff und im Badezimmer verschwand. 10 Minuten später kehrte er umgezogen ins Wohnzimmer zurück, nahm seine Schlüssel von der Kommode und verliess das Haus, ohne zurückzublicken.