Kapitel 21

Als Ryan und Marissa im Erdgeschoss ankamen, überflogen sie kurz die Anwesenden und bemerkten, dass bereits einige Personen eingetroffen waren, die im Wohnzimmer standen, sich leise unterhielten und dabei Snacks assen und Wein tranken, den Summer und Seth servierten.

Um Probleme für die Atwood's zu vermeiden, liess Marissa sofort die Hand von Ryan los, als sie realisierte, dass Dawn nirgends zu sehen war und betete leise, dass der Rest von Newport nichts gesehen hatte und nicht über ihre Beziehung zu klatschen anfangen würde. Wenigstens nicht bevor die Beerdigung vorüber war.

Da Sandy's Stimme nicht mehr zu hören war, das Zerschlagen von Glas aufgehört hatte und Sandy, Kirsten und Dawn nicht im Raum waren, schätzte Ryan, dass die Situation unter Kontrolle war und entschied, sich später diesem Problem anzunehmen.

Er drehte sich kurz zu Marissa um und dankte ihr mit einem schwachen Lächeln, bevor er auf die wartenden Gäste zuging und ihnen für ihr Kommen dankte, während sie ihm kondolierten. Sein Kiefer verkrampfte sich als er die neugierigen Blicke sah, mit denen das Model, welches sich im Hintergrund hielt, inspiziert wurde und er mahnte sich selbst, ruhig zu bleiben. Letzten Endes war das Newport, und obwohl die Trauer über den Verlust eines Gemeindemitglieds, einer Freundin, gross war, war ein Wittwer trotzdem nichts anderes ein reicher, gut aussehender Junggeselle der wieder zur Jagd ausgeschrieben war.

Nachdem er die Runde beendet hatte waren bereits 30 Minuten vergangen und er hatte immer noch kein Wort von Sandy oder Dawn gehört. Ryan wollte gerade in sein Büro gehen um zu sehen, ob sie sich dort aufhielten, als Seth auf ihn zugewandert kam und ihm kurz auf die Schulter klopfte.

"Hast du eine Minute Ryan?"

Der Architekt war innerlich amüsiert über die Wortwahl seines Bruders. Seth nannte ihn normalerweise nie beim Namen, er gebrauchte entweder bro, Bruder, Kumpel, Mann oder ähnliches, weshalb es sich komisch anfühlte, plötzlich mit dem richtige Namen angesprochen zu werden, gestand er sich. Offensichtlich verkrampfte die Anwesenheit der Newpsies nicht nur ihn selbst.

"Sicher" antwortete her und folgte seinem Adoptivbruder nach draussen, vorbei an ein paar quasselnden Frauen, welche ihm einen mitleidigen Blick zuwarfen, bevor sie sich wieder dem Gerede über den neusten Skandal widmeten. Auf dem Weg zum pool house fragte Ryan Seth mit leiser Stimme:

"Was ist passiert?"

"Deine Mutter-"

"Dawn" unterbrach Ryan.

"Dawn" korrigierte sich Seth und warf seinem besten Freund einen entschuldigenden Blick zu, bevor er fortfuhrt

"Sie beschuldigte Mum und Dad und warf ihnen vor, dass sie dich von ihr fern hielten, sich gegen sie verschworen. Als Dad sie ein bisschen befragte fand er heraus, dass sie die Wohnung, welche du ihr bezahlst, vermietet hat und jetzt bei einem so genannten Freund lebt, sie hat aber bereits Pläne gemacht, bei dir einzuziehen. Und bevor du fragst weshalb sie so gesprächig war… sie hat bereits eine halbe Flasche Scotch geleert, das war es auch, was sie während eines Wutausbruchs zerschlagen hat…"

Ryan nickte nur, ballte wortlos seine Fäuste und versuchte die Wut, welche ihn ihm brodelte, hinunterzuschlucken.

Das pool house, welches der Architekt am Ende des Gartens errichtete hatte, war natürlich neben dem Pool platziert, aber der Eingang befand sich nicht gegen das Haus gerichtet. Er erinnerte sich noch gut wie mühsam es immer gewesen war, Marissa heimlich ins Haus zu schmuggeln, mit dem Fenster seiner Adoptiveltern gleich gegenüber dem Eingang.

Ausserhalb des kleinen Baus stand Sandy, der seine Arme um seine Frau geschlungen hatte, welche an ihn lehnte. Beide erfreuten sich still am Ausblick über das Meer.

Ryan genoss den friedlichen Anblick der Cohen's, während er mit Seth auf sie zu ging. Bei dem Paar angekommen klopft Ryan Sandy sanft auf die Schulter und sagte:

"Hi… danke dass ihr gekommen seid"

Die Eltern drehten gleichzeitig ihre Köpfe zu Ryan und begrüssten ihren Adoptivsohn mit einem traurigen Lächeln. Kirsten stiess sich leicht von Sandy weg und zog gleichzeitig Ryan in eine innige Umarmung während sie leicht seine Wange küsste.

"Wie geht es dir Sweetie?"

"Ging mir schon besser…." gestand er, aber seine Augen waren ausdruckslos und zeigten nicht, wie sehr er seine verstorbene Frau vermisste.

Der pensionierte Anwalt drückte sanft die Schulter seines Jungen, während Kirsten ihn festhielt. Tränen stiegen ihr in die Augen, aber sie brauchte seine tröstende Nähe genau so stark wie er die ihre.

"Dawn möchte alleine mit dir sprechen. Ich halte das aber für keine gute Idee…" erklärte seine Pflegemutter, während sie automatisch Ryan's Arm streichelte, was ihn offenbar beruhigte.

Ryan nickte und schenkte ihr ein schwaches Lächeln, während er versuchte herauszufinden, was seine Mutter dieses Mal von ihm wollte.

"Hör zu Sohn, wir wollten uns nur kurz entschuldigen… Wir hätten dir früher von Dawn und Bernadette's Plan erzählen sollen… Sie bedeutet definitiv unausstehlich viel Ärger – hey" rief Sandy, als seine Frau ihm einen harten Rippenstoss versetzte.

"Nein Kirsten, Sandy hat recht. Sie gehört heute nicht hier her, aber ich werde mich mit ihr befassen, wie ich es immer getan habe…" seufzte Ryan und warf einen Blick durch die Fenster ins Pool house, wo er seine Mutter auf dem Bett sitzend entdeckte. Offenbar versuchte sie, alle Personen ausserhalb des Gebäudes zu ignorieren.

"Ok, aber falls du dich heute nicht mit ihr befassen möchtest, werfe ich sie persönlich und mit Vergnügen aus deinem Hause" fuhr Sandy fort, offen seine Wut zeigend.

Ryan gab dem Anwalt einen überraschten Blick, Dawn musste ihn wirklich wahnsinnig gemacht haben, er hatte seinen Pflegevater schon lange nicht mehr so wütend und beschützerisch gesehen. Ryan bemerkte ausserdem die Emotionen auf den Gesichtern seiner Adoptiveltern. Traurigkeit, natürlich, aber auch Anspannung, Wut und vor allem, Sorge. Und etwas klickte ihn ihm. Sein Unterbewusstsein registrierte ihre Sorge und es war klar, dass sich etwas in ihm verändert hatte.

Der Architekt biss die Zähne zusammen, drehte sich zu seinem Bruder um und fragte:

"Seth, könntest du mir einen Gefallen tun und dich für eine Weile um die Gäste kümmern?"

Ryan sah, wie Seth nickte, bevor er mit leiser Stimme hinzufügte:

"Danke…und bitte schau zu, dass die Kinder bleiben, wo sie sind…."

Als Seth gegangen war trat Ryan ins Pool house und deutete Sandy und Kirsten an, ihm zu folgen. Drinnen inspizierte er den Raum, bevor er die Türe hinter sich schloss.

Dawn sass in einer Ecke des Bettes, ihre Hände zitterten und sie war Sandy und Kirsten wütende Blicke zu. Die Cohen's setzten sich auf zwei Stühle vor dem Bett und hielten sich an den Händen, als ob sie sich gegenseitig Kraft geben müssten. Ryan spürte sofort die Spannung, die den kleinen Raum füllte und seine Augen verzogen sich beim Anblick seiner Mutter, als er sich in seine Kindheit zurückversetzt sah. Er erinnerte sich noch genau an ihre Zusammenstösse wenn Dawn versuchte, nüchtern zu werden. Aber dieses Mal war es anders, er wollte, dass es anders war.

Nachdem er mitbekommen hatte, wie Kirsten die Rehab Zeit gemeistert, alle Rückfälle überwunden hatte und schliesslich trocken geworden war, wusste er, dass es nicht sein Fehler gewesen war, dass es Dawn nie geschafft hatte, vom Alkohol loszukommen. Es hätte überhaupt nichts geändert, wenn er nicht bei den Cohen's geblieben wäre, sondern einige Jahre weiter bei seiner Mutter gelebt hätte. Entweder wäre er im Gefängnis gelandet, genau wie der Rest der Familie oder er sie hätte ihn einfach wieder vor die Türe gesetzt, ohne jegliche Unterstützung. Er verstand jetzt, dass er nicht dafür verantwortlich war, dass sie trank und er war auch ganz sicher nicht der Grund, weshalb sie nicht aufhörte. Dawn hatte niemals auch nur an einen Entzug gedacht als er noch bei ihr lebte und sie hatte sich nie darum geschert, als er ihr später helfen wollte.

Alles, was sie je getan hatte, war ihn zu verurteilen, dafür, dass er sie verlassen hatte, sie aufgegeben hatte, obwohl er sich noch ganz genau erinnerte, dass es umgekehrt gewesen war. Bernadette hatte die alte Dawn nie gekannt, nie gesehen wie Ryan sich gefühlt hatte, als sie ihn für immer verlassen hatte, alle Verantwortung für ihren eigenen Sohn an eine zufällig getroffene Frau gegeben hatte, welche in ihren Augen einfach nur viel Geld besass.

Aber jetzt, mit Marissa wieder in seinem Leben, welche ihn immer wieder getröstete hatte, wenn er schweissgebadet neben ihr erwacht war, sich nutzlos und einsam gefühlt hatte, verlassen von seiner eigenen Mutter, war er sicher, dass er es mit ihrer Unterstützung tun konnte. Ryan fühlte sich endlich stark genug das zu tun, was er seiner Meinung nach bereits vor 15 Jahren hätte tun müssen. Er war fest entschloss, Dawn Atwood für immer aus seinem Leben zu verbannen.

Ryan ging zur Mini Bar hinüber, öffnete sie wortlos und nahm sich ein Bier, genoss die kühle Luft und das Gefühl der kalten Flasche in seiner Hand. Er warf Dawn ein Blick zu und fragte emotionslos:

"Wie ist dein Alkohol Level Dawn? Kannst du anständig mit uns sprechen oder brauchst du ein Bier um durchzuhalten?"

"Hör auf mich Dawn zu nennen, verdammt!" schrie seine Mutter frustriert, während sie ihre zitternden Hände verwarf.

"Ein Bier kommt sofort" murmelte Ryan leise, reagierte überhaupt nicht auf ihren Ausbruch, sondern drehte seinen Kopf zu den Cohen's und fragte sie mit einem seiner Blicke, ob sie etwas aus dem Kühlschrank haben wollten.

"Wir nehmen Orangensaft Sweetie" antwortete Kirsten für beide und schenkte ihrem Sohn ein dankbares Lächeln.

Ryan wanderte zurück zu den anderen und gab Sandy und Kirsten je eine Flasche Organsaft, bevor er Dawn ein Bier hinhielt, welches sie mit einem verlangenden Ausdruck nahm und es in einem Zug leerte.

Ryan war dankbar als Sandy zu sprechen begann, während er sich auf einem Stuhl neben dem Fenster niederliess und seine Gedanken sammelte.

"Also Dawn, Ryan ist jetzt hier, über was wolltest du sprechen?"

"Ich habe es euch bereits gesagt, ich spreche nur alleine mit meinem Sohn!"

"Ich verheimliche Kirsten und Sandy nichts" stiess Ryan hervor, sein Puls bereits steigend.

Dawn beobachtete ihn intensive, bevor sie realisierte, dass er es ernst meinte und sie seine Entscheidung nicht mehr umstimmen konnte. Sie warf den Cohen's einen weiteren, wütenden Blick zu bevor sie mit einem bedauernden Blick die leere Bierflasche anstarrte und durstig die Lippen befeuchtete.

"Ryan Schatz, ich glaube immer noch, dass es das beste für alle von uns war, als ich dich in die Obhut der Cohen's gegeben habe. Aber hätte ich gewusst, dass du dich gegen mich wenden würdest, hätte ich dich mit genommen…"

"Phew, als ob ich dir glauben würde…." brummte Ryan, seine Augen dunkel und gefährlich.

"Du glaubst mir besser, ich bin schliesslich deine Scheiss-Mutter, verdammt noch mal!"

"Hat dich früher auch nicht davon abgehalten die ganze verdammte Zeit zu lügen!" entgegnete er scharf, nicht sicher, wie er auf die Scheisse reagieren sollte, die seine Mutter ihm entgegen warf. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, alle Stricke abzureissen und sein Leben zusammen mit Alyssa, Colin und Marissa weiterzuleben, ohne die ganze Zeit von der Vergangenheit eingeholt zu werden.

"Was ist dein Problem, verwöhntes Balg! Bin ich verdammt noch mal nicht mehr gut genug für dich?" schrie die ältere Frau, während sie sich vom Bett erhob und zitternd auf ihren Sohn zu wankte.

Ryan stand auf bevor sie bei ihm angekommen war, griff nach ihren Armen und führte sie wieder zurück zum Bett, wo er sie zwang, sich hinzusetzen, bevor er zwei Schritte zurücktrat und Dawn anschaute, welche wütend und hilflos auf den Laken sass. Und wieder, beim Anblick der alten, verbrauchten Frau, klickte es. Plötzlich verschwanden alle Emotionen aus seinem Gesicht und seinen Augen. Er nahm einen tiefen Atemzug und sagte mit ausgeglichener Stimme:

"Du machst mich nicht mehr wütend…. Weil nichts von dem, was du sagst, noch Einfluss auf mich hat… Ja, du hast mich geboren, aber das ist alles… du hast alle deine Rechte gegenüber mir und meinem Leben schon lange verloren. Jesus, wie viele Male habe ich versucht die ganze verdammte Familie auf den richtigen Weg zu bringen, habe euch Chancen über Chancen gegeben zu zeigen, dass ihr es wert seid? Keiner von euch hat's auch nur versucht… Ja, es gab Zeiten als ich geglaubt habe, Familienmitglieder müssten sich einfach lieben… Aber ich habe jetzt verstanden, dass obwohl wir über das Blut verbunden sind, es mehr braucht, um meine Liebe zu verdienen…"

Ryan stoppte und warf Kirsten und Sandy einen Blick zu, während ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen spielte. Dawn war wieder sprachlos und starrte den Mann vor ihr, den sie als ihren Sohn gekannte hatte, nur mit offenem Mund an.

Ryan nahm einen weiteren, tiefen Atemzug und fuhr nach einigen Sekunden fort, während er langsam durch den Raum schritt.

"Als ich noch ein Kind war, dachte ich wirklich, dass du dir etwas aus mir machst… Dass du in den Momenten, in denen du nüchtern warst, eine Familie wolltest. Aber du hast es geschafft, alle noch so kleinen Hoffnungen von uns Kindern zu zerstören, hast uns immer weiter hinuntergezogen das nächste Mal wenn du betrunken warst. Ich habe in meinem Leben Fehler gemacht und nicht alles ist so herausgekommen, wie ich es gehofft habe, aber wenigstens habe ich meine Mitmenschen respektiert und dass ist mehr, als ich von dir behaupten kann… Wenn ich sehe, wie du mich wieder hinunterziehen willst, in einem Moment wie diesem, zeigt es, dass du keinen Respekt hast, weder vor mir, meinem Leben noch meiner Familie. Herrgott noch mal, meine Frau ist gerade gestorben und du hattest nicht einmal den Respekt, mir oder Alyssa dein Beileid auszudrücken!"

Ryan setzte sich auf die Armlehne von Kirsten's Stuhl und nahm die Hand seiner Adoptivmutter in die seine, drückte sie sanft.

Dann kehrte sein Blick wieder zu der Frau auf dem Bett zurück und mit leiser, sanfter Stimme sagte er:

"Dawn, ich will dass du gehst und nie wieder zurück kommst. Falls du je wieder in die Nähe von mir oder meiner Familie kommst, werde ich eine richterliche Verfügung erwirken. Scheisse, ich werde dich sogar persönlich ins Gefängnis bringen wenn's nötig ist. Wir werden jetzt gehen, aber wenn ich in einer Stunde zurück komme, will ich, dass du verschwunden bist. Ich habe mein bestes versucht, aber jetzt bin ich erschöpft. Ich bin nicht mehr für dich verantwortlich, war ich eigentlich nie. Es gibt nichts mehr für uns zu sagen…"

Ryan stand auf und drehte sich zu den zwei Menschen um, welche immer für ihn gesorgt hatten, die einen verlorenen Jungen vor so vielen Jahren aufgenommen und ihm gezeigt hatten, was eine wirkliche Familie und wahre Liebe ist. Er zweifelte keine Sekunde daran, dass es ihm nie möglich gewesen wäre, Marissa und Bernadette oder seine Kinder so aufopfernd zu lieben ohne Kirsten und Sandy als Vorbilder. Ihre Beziehung und die Art, wie sie ihre Kinder so ergeben liebten, hatte ihn zu dem Manne gemacht, der er heute war.

"Mum… Dad…. lasst uns gehen…." sagte er sanft, seine tief blauen Augen voller Angst und Nervosität, aber auch Hoffnung, dass er das Richtige tat.

Die Augen von Kirsten und Sandy weiteten sich sofort, aber sie wussten es besser, als diesen überaus speziellen Moment unter den Blicken von Dawn zu feiern. Sie standen wortlos auf und folgten Ryan nach draussen, ohne seine biologische Mutter mit einem Blick zu würdigen, während sie sich fragten, was passiert war, dass Ryan den letzten Schritt gemacht hatte, den einen Schritt, den sie bezweifelt hatten, dass er ihn jemals nehmen würde.