Disclaimer: Die Charaktere dieser Geschichte gehören zum (größten Teil) Joanne K. Rowling und ich veröffentliche das hier definitiv nicht, um damit Geld zu verdienen.
Das Herrenhaus
Es war bereits dunkel, als Lily wieder die Augen öffnete. Sie setzte sich
im Bett auf. Jemand hatte ihr die Schuhe ausgezogen und sie mit einer
Wolldecke zugedeckt. Es musste wohl ihre Mutter gewesen sein, denn auf dem
Schreibtisch stand ein Tablett mit dem Mittagessen. Lily blickte sich in
der Dunkelheit nach ihrem Wecker um. Es war kurz nach 21 Uhr. Vielleicht
sollte sie sich einfach ihr Nachthemd anziehen und weiter schlafen.
Nur schade, dass sie sich überhaupt nicht mehr müde fühlte.
Aus dem Erdgeschoß konnte Lily die Stimmen ihrer Eltern hören. Plötzlich
neugierig geworden, schlich sie sich zur Tür und öffnete sie einen Spalt
breit.
Die Stimmen waren immer noch zu undeutlich, deshalb trat Lily auf den Gang
und ging auf die Treppe zu. Das Haus der Evans war zwar hübsch, aber schon
ziemlich alt, daher war es schwierig bis an die Treppe zu gelangen, ohne
dass eine Diele knarrte. Doch es gelang ihr.
Lily blieb am Treppenabsatz stehen.
"...es mach ihr wirklich zu schaffen, Billie! Wir sollten es ihr endlich
sagen", konnte Lily ihre Mutter sagen hören.
"Es sind doch nur noch wenige Wochen, bis sie weg geht, Caron. Der Brief
kann doch jetzt jeden Tag eintreffen..."
"Umso wichtiger, dass sie die Zeit hat, sich an den Gedanken zu gewöhnen."
Lilys Vater sagte irgend etwas, doch sie verstand ihn nicht. Sie war sich
nur zu bewusst, dass über sie gesprochen wurde.
In dem Verlangen das ganze Gespräch zu hören trat Lily auf die oberste
Stufe der Treppe. "Knack."
Lily zuckte zusammen und hastete in ihr Zimmer zurück. So leise wie möglich
schloss sie die Tür und hechtete ins Bett. Sie hatte sich gerade zugedeckt,
als ein Lichtstrahl auf ihr Bett fiel.
Lilys Herz klopfte und sie hatte Mühe ihren Atem gleichmäßig klingen zu
lassen.
Erst, als die Tür wieder geschlossen wurde und Schritte auf der Treppe zu
hören waren, atmete Lily auf. Im nu war sie wieder aus dem Bett und trat
ans Fenster. Eine warme Brise wehte in ihr Gesicht.
"Was ist nur mit mir?", sagte Lily laut in die Nacht hinein.
Sie stützte ihr Gesicht in die Hände und dachte nach.
Wollten ihre Eltern sie etwa fortschicken? Vielleicht dachten auch sie,
dass Lily Schuld an all diesen Vorfällen hatte. Eigentlich hatten sie
bislang nie so gewirkt. Lilys Vater schien sich sogar köstlich über manche
Ereignisse zu amüsieren...
Himmel, die beiden dachten doch nicht etwa, das sie verrückt war.
Vielleicht wollten sie sie in eine Klinik für verrückte Kinder schicken und
warteten nur noch auf die Einweisungspapiere!!! (Aisling hatte ihr mal
etwas von einer Schule namens St.Brutus für unheilbar kriminelle Kinder
erzählt! )
Lily umklammerte das Fensterbrett und starrte in die Ferne.
Von ihrem Fenster aus konnte sie das in Mondlicht getauchte Herrenhaus
sehen. Lily beobachtete einen großen Vogel, der um den Turm kreiste. Das
war nicht weiter ungewöhnlich, der Turm wurde sogar oft von ganzen
Vogelscharren umschwärmt.
Doch dann geschah etwas, dass sonst nie geschah. In einem der Turmfenster
wurde ein Licht entfacht.
Lily stockte der Atem. Es war jemand im Herrenhaus. Sie beugte sich aus dem
Fenster um mehr sehen zu können.
Der große Vogel umkreiste den Turm nochmals, eher er verschwand. Es schien,
als wäre er durch das erleuchtete Fenster in das Innere des Hauses gelangt.
Lily zögerte nicht länger. Sie wollte heraus finden, was da drüben vor sich
ging.
Innerhalb weniger Minuten hatte sie ihren Schulrock und ihre zerknitterte
Bluse gegen Latzhose und T-Shirt getauscht. Sie griff nach ihren
ausgelatschten Turnschuhen und öffnete dann erneut die Tür zum Gang. Sie
hielt den Atem an, während sie vorsichtig durch den Flur schlich. Lily
erreichte die Treppe ohne ein einziges Geräusch von sich zu geben,
übersprang die oberste Stufe und stieg dann leise die restlichen hinunter.
Sie verließ das Haus durch den Haupteingang, da sich ihre Eltern in der
Küche befanden.
Lily ließ die Tür angelehnt, weil es zu viel Lärm verursacht hätte sie zu
schließen, außerdem würde sie so später auch wieder ins Haus kommen.
Sobald sie vor dem Haus stand streifte sie sich die Turnschuhe über und
rannte so schnell sie konnte die kurze Strecke bis zum Tor des sonst
verlassenen Grundstücks. Lily presste ihr Gesicht an die Stäbe und spähte
in den dunklen Garten. Es war nichts auffälliges zu sehen, aber Lily
zweifelte nicht daran, dass sich noch jemand im Haus befand. Mit einem
Seufzer trat sie einen Schritt zurück und ließ ihren Blick über die Mauer
gleiten.
Wie sollte sie nur allein dort hinüber komme?
Lily wandt sich vom Tor ab und wollte gerade die Gebüsche vor dem Gemäuer
prüfen, als hinter ihr ein leises Klicken zu hören war. Erschrocken zuckte
sie zusammen. Langsam drehte sie sich zum Tor zurück und stellte erstaunt
fest, dass es sich einen Spalt breit geöffnet hatte. Einen Moment dachte
sie daran, einfach wieder zu verschwinden, doch dann siegte ihre Neugierde.
Lily stieß das Gitter leicht an und beobachtete mit angehaltenem Atem, wie
es weiter aufschwang. Vorsichtig trat sie einige Schritte auf das Gelände.
Nebel waberte um ihre Füße und die Bäume der Allee rauschten im Wind.
Eigentlich hatte sie vor zum Haupteingang zu laufen, doch dann dachte sie
sich: Und was dann? Anklopfen? Wohl kaum. Es war bestimmt besser um das
Haus herum zu gehen und nach einem offenen Fenster oder einer Hintertür
Ausschau zu halten.
Es war faszinierend endlich das ganze Grundstück von innen zu sehen und
nicht nur die lange Einfahrt.
Der Rasen war lange nicht mehr gemäht worden und wo der Nebel nicht zu
dicht war, konnte Lily wild wuchernde Blumen entdecken. Der ganze Garten
wirkte wie ein wildes, buntes Durcheinander aus Gräsern, Bäumen, Büschen
und Blumen. Als Lily die Rückseite des Hauses erreichte, entdeckte sie den
dunklen Schatten eines weiteren Gebäudes. Sie ging näher heran und erkannte
schließlich, dass es sich um ein Gewächshaus handelte. Lily hätte sich das
ganze gerne näher angesehen, die Tür war jedoch verschlossen und sie konnte
sich nicht lange damit aufhalten, wenn sie den Hausbewohner, Räuber,
Landstreicher oder was auch immer noch erwischen wollte. Vom Gewächshaus
führte ein Weg aus großen Steinplatten zum Haus hin. Er war links und
rechts von Rosenhecken umgeben, die lange Zeit nicht geschnitten worden
waren. Lily musste aufpassen, dass sie nirgendwo mit ihren Klamotten oder
Haaren hängen blieb.
Der Weg endete direkt am Haus an einer dunklen Holztür mit rostigem
Türknauf. Lily streckte gerade die Hand danach aus, als die Tür sich wie
von Geisterhand öffnete. Erschrocken schnappte Lily nach Luft und wieder
einmal kam ihr der kurze Gedanke an Flucht.
Das kommt gar nicht in Frage, wo ich so kurz vor dem Ziel bin!
Lily atmete einmal tief durch, dann betrat sie das Haus.
Sie befand sich in einer riesigen Küche.
Obwohl es ziemlich dunkel war, konnte Lily deutlich die massiven
Arbeitsflächen, Herdplatten und einen riesigen offenen Kamin erkennen. Ihre
Schritte klangen laut auf dem Steinboden, als sie an den Regalen und
Schränken vorbeiging.
In den Küchenregalen, befanden sich noch immer Flaschen, Gläser und
verschiedene Tiegel mit unbestimmbarem Inhalt und auch Töpfe und Pfannen
waren noch vorhanden.
Würde man das nicht alles mitnehmen, wenn man umzieht, überlegte Lily.
Kopfschüttelnd sah sie sich um und entdeckte schließlich zwei weitere
Türen. Eine davon war nur angelehnt. Sie beschloss es mit dieser zu
versuchen.
Im Vorbeigehen strich sie mit einer Hand über einen großen Kindertisch mit
kleinen Stühlen. Er sah aus wie aus dem Esssaal eines Kindergartens,
allerdings wirkte er unheimlich grob und stabil.
Hinter der Tür war es stockdunkel, doch als Lily den ersten Fuß auf den
staubigen Boden setzte, flammte plötzlich Licht auf. Lily blinzelte vor der
Helligkeit und erschrak. Hatte man sie erwischt!?
Da war niemand außer ihr. Lily konnte keine Lichtquelle ausmachen, jedoch
erstrahlte alles in ihrem unmittelbaren Umkreis in goldenem Licht, wie von
einer Fackel. Als sich ihr Herzschlag etwas beruhigt hatte, stellte sie
fest, dass sie in einem langen, schmalen Korridor stand, von dem viele
rotbraune Holztüren abführten.
Was jetzt, wie willst du in diesem riesigen Haus, ausgerechnet das Zimmer
finden, wo du das Licht gesehen hast?
Lily wandte sich nach links und nach rechts auf der Suche nach einem
Hinweis.
„Verdammt, hier muss es ja irgendwo eine Treppe nach oben..." Lily
verstummte. Auf dem Fußboden hatte sie einige verwischte Spuren entdeckt,
sie führten nach rechts.
Ohne weiter zu zögern ging sie ihnen nach. Sie blickte so konzentriert nach
vorne, dass sie kaum bemerkte, dass das Licht mit ihr ging und hinter ihr
nur Dunkelheit zurückblieb.
Sie erreichte eine schmale, steinerne Spiraltreppe. Als sie nach oben
spähte, bemerkte sie das kurze aufblitzen eines Lichts. So schnell und
leise, wie sie nur konnte hastete sie die Stufen hinauf.
Es waren so viele, dass ihr das Atmen immer schwerer fiel. Einmal hielt sie
inne und schaute hinunter um festzustellen, wie viel sie schon geschafft
hatte. Doch es war zu dunkel um Genaueres sagen zu können.
Schließlich ging Lily dazu über stur auf die Stufen zu schauen und jeden
Schritt mitzuzählen, bis sie beinah mit dem Kopf gegen eine Tür gerannt
wäre.
Unter der großen verzierten Mahagonitür drang Licht hervor und Lily war
sich sehr unsicher, was sie jetzt tun sollte. Wenn sie einfach reinplatzte
und es sich um den Besitzer des Hauses handelte, dann würde sie bestimmt
Ärger bekommen, schließlich war sie quasi ein Einbrecher. (Na ja, mal davon
abgesehen, dass alle Türen offen waren.)
Wenn es jedoch ein richtiger Einbrecher war, dann würde er bestimmt nicht
minder wütend sein und sie vielleicht kidnappen oder sonst was.
Während sie noch dastand und grübelte, schwang auch diese Tür auf und zwar
speerangelweit.
Lily hatte freie Sicht auf einen riesigen Kamin, in dem ein kleines Feuer
warmes Licht verstrahlte. Unmittelbar vor dem Kamin standen zwei riesige
Ohrensessel und dazu passende kleine Mahagonitischchen. Auf einem der
Tische stand ein Glas mit einer hellbraunen Flüssigkeit, daneben lagen ein
aufgeschlagenes Buch und ein alter brauner Filzhut. Ein leisen Knarren war
zu hören, dass Lily zusammenfahren ließ.
„Willst du denn nicht reinkommen, nachdem du dich schon die ganze Treppe
hochgequält hast?!"
Die Stimme klang freundlich, ja sogar amüsiert. Das machte Lily Mut. Sie
trat mit einem großen Schritt ins Zimmer.
Das Gesicht eines alten Mannes tauchte hinter dem Polster des linken
Sessels hervor.
„Na also... ich dachte schon, du willst die ganze Nacht vor meiner Tür
herum stehen", mit einem Schmunzeln griff der Mann nach seinem Glas und
nahm einen kleinen Schluck, ehe er sich wieder in seinen Sessel zurück
sinken ließ.
Lily blieb mit offenem Mund stehen.
„Komm und setzt dich doch...", lud der Mann Lily ein.
Lily hatte praktisch keine andere Wahl, ihre Neugierde schien sie geradezu
auf den anderen Sessel zu ziehen.
Der Mann beobachtete aus braunen Augen, wie sie es sich bequem machte. Lily
vermied es zunächst ihn anzusehen und konzentrierte sich auf das Zimmer.
Es war groß und rund. Die Wände waren fast komplett mit dunkeln
Bücherregalen verkleidet, die so vollgestopft waren, dass man inzwischen
dazu übergegangen war die Bücher auf dem Boden aufzustapeln.
Es gab zwei spitzzulaufende Fenster aus orange-gelbem Buntglas, von denen
eines nach Westen und eines nach Osten zeigte. Die Fensterläden waren fest
verschlossen. Links neben der Tür, durch die Lily gekommen war, führte
eine weiter, sehr schmale, freistehende Spiraltreppe in ein höheres
Stockwerk, vermutlich direkt unter das Dach.
Lily war so fasziniert von diesem Raum, dass sie einige Minuten brauchte,
ehe sie sich an den Mann ihr gegenüber erinnerte.
Der Mann schien sie beobachtet zu haben. Er blinzelte ihr fröhlich zu, als
sie ihn nun genauer betrachtete. Sein schmales Gesicht war sonnengebräunt
und leicht faltig. Sein Haar war schneeweiß und zerzaust, vermutlich hatte
er sich nicht gekämmt, nachdem er den Filzhut vom Kopf genommen hatte.
Er trug braune Arbeitskleider und eine grüne Schürze.
„Sind Sie ein Gärtner?", Lily war die Frage einfach so herausgerutscht und
legte nun erschrocken die Hand auf den Mund.
Der Mann lachte.
„So was in der Art", er kratze sein stoppeliges Kinn.
„Ich züchte Vögel. Eulen, um genau zu sein."
Lily glaubte ihm kein Wort, beschloss aber mitzuspielen, sie wollte den
Mann schließlich nicht provozieren.
„Eulen? Tatsächlich?...", irgendwie fiel ihr nichts geistreiches dazu ein.
Wozu um Himmelswillen sollte jemand Eulen züchten? Lily wusste, dass viele
Eulen unter Naturschutz standen und auf keinen Fall aus ihrem Wald entfernt
werden durften. Es gab so wenige davon, dass ihr die Geschichte mit dem
Züchten doch sehr unglaubwürdig vorkam.
Also beschloss sie das Thema zu wechseln.
„Gehört Ihnen das Haus?"
Oh... das war keine gute Idee gewesen, was wenn er nun doch ein Einbrecher
war?!
Der Mann schien sich wirklich gut zu unterhalten.
„Ja, es ist meins, aber ich war schon lange nicht mehr hier. Es ist ein
viel zu großes Haus für eine Person."
„Ich würde trotzdem hier leben, wenn es meins wäre. Es ist viel zu schön,
um leer zu bleiben."
Der Mann blickte sich ein wenig überrascht um.
„Vielleicht hast du Recht. Du hast schon öfter versucht hier reinzukommen,
oder?"
Lily lief rot an. Woher wusste er das?
„Oh, ich bekomme so einiges mit."
Der Mann lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fixierte Lily mit
neugierigem Blick.
„Es überrascht mich, dass ein junges Mädchen wie du, so viel Energie darauf
verwendet, mein Grundstück zu betreten,...", er stockte, „Wie heißt du
eigentlich?"
Lily rutschte unruhig auf ihrem Sessel herum. Will er meinen Namen
erfahren, damit er mich anzeigen kann, überlegte sie. Er machte nicht den
Eindruck, aber man konnte ja nie wissen...
„Lily", wieder mal schien es ihr einfach rausgerutscht zu sein.
Es war merkwürdig, aber sie schien dem alten, weißhaarigen Kauz tatsächlich
zu vertrauen.
„Ein sehr hübscher Name. Er bedeutet Reinheit, nicht wahr?", er blickte
Lily nachdenklich an und hob dann sein Glas erneut an die Lippen.
Er schaffte es jedoch nicht etwas davon zu trinken.
„Herrje, wo hab ich den meine Manieren, möchtest du vielleicht etwas
trinken? Die Treppen sind ziemlich anstrengend und ich kann mir wirklich
vorstellen, dass man nach dem Aufstieg ziemlich durstig ist. Was möchtest
du? Limonade, Saft, Wasser?"
Lily war wirklich durstig und schon allein der Gedanke an etwas zum Trinken
ließ sie schlucken..
„Limonade, wäre super."
Gleich nachdem sie ihre Antwort gegeben hatte, begann sie sich zu fragen,
warum der Mann nicht wusste, wie anstrengend es war die Treppen
hinaufzusteigen.
Doch noch ehe sie fragen konnte, schwebte etwas großes, graues von der
Decke herab und landete mit einem leisen „Shuhu" auf der Armlehne ihres
Sessels.
Es war eine wunderschöne silbergraue Eule, mit nachtschwarzen Augen.
„Ah, May scheint dich zu mögen"
Der Mann klang kaum verblüfft, als er sich vorbeugte und damit begann auf
dem Boden unter seinem Sessel herumzutasten.
Lily war so fasziniert von dem schönen Tier, dass sie nicht wirklich darauf
achtete.
„Beißt sie?"
Die Eule legte den Kopf schräg und blinzelte.
„Nur, wenn sie es will, aber du gefällst ihr."
Der Mann ächzte und lehnte sich noch weiter nach vorne.
Lily streckte jetzt vorsichtig die Hand aus und legte sie auf Mays Kopf.
Ihre Federn waren sehr weich.
Als May ein leisen Fiepen ausstieß, begann Lily ganz automatisch ihren Kopf
zu streicheln.
May schloss die Augen und tapste auf der Lehne etwas näher an Lily heran.
„Ah... da ist er ja!!!", die Stimme des Mannes drang gedämpft unter dem
Polster hervor.
„Ich sollte wirklich besser darauf aufpassen", als der Mann unter dem Stuhl
auftauchte, hielt er einen langen hellbraunen Stab in der Hand.
„Limonade wolltest du, nicht wahr?"
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab.
Er machte eine rasche Bewegung, mit der Hand, in der er den Stab hielt und
eine Sekunde später stand ein Glas Limonade neben Lily auf dem
Mahagonitischchen.
Lily sprang vor Schreck vom Stuhl und May flatterte aufgebracht davon.
Den Mann schien das jedoch nicht zu kümmern, er legte den Stab neben sich
zwischen Hut und Glas auf den Tisch.
Lily konnte nicht wirklich fassen, was sie da gerade gesehen hatte.
Träumte sie?! Lily fuhr sich mit den Händen über die Augen, doch es blieb
alles beim Alten.
Sie stand immer noch in einem Turmzimmer und starrte einen alten Mann an.
„Wie... was...?", Lily hatte Schwierigkeiten ihre Gedanken zu ordnen.
„Setz dich doch und trink einen Schluck", der Mann sprach sehr ruhig, als
müsse er jemand durchgedrehtes beruhigen.
Vielleicht bin ich ja durchgedreht, überlegte Lily.
„Was ist an einem Glas Limonade denn schlimmer als an Windpocken?"
Jetzt war Lily total Baff, sie ließ sich in den Sessel fallen.
„Woher wissen sie das?", Lilys Gedanken überschlugen sich.
„Ich sagte doch bereits, dass ich so einiges mitbekomme. Allerdings hätte
ich nicht gedacht, dass du es noch nicht weißt. Aber wenn ich mir dein
Gesicht so ansehe...", er studierte Lily aufmerksam, während er sich am
Hinterkopf kratzte.
Als er nach einigen Sekunden immer noch nicht weiter sprach, hielt Lily es
nicht mehr aus.
„Was weiß ich noch nicht?!"
Der Mann zögerte.
„Na, dass du eine Hexe bist."
Lily blieb die Luft weg.
„Eine was?!", Lily war entsetzt, noch vor wenigen Stunden hatte Petty sie
genauso genannt und es schien ihr unglaublich, dass dieser Mann nun
dasselbe behauptete.
„Du bist eine Hexe, ich bin ein Zauberer. Was soll´s? Daran ist doch
wirklich nichts schlimmes."
Der Mann beugte sich vor und versuchte Lily ihr Limonadenglas in die Hand
zu drücken.
„Trink etwas, danach geht es dir bestimmt besser."
Lily gehorchte und tatsächlich fühlte sie sich danach etwas wohler.
Benutz deinen Verstand... so etwas wie Hexen oder Zauberer gibt es doch gar
nicht.
Andererseits...Es gab keine logischen Erklärungen für die Vorfälle in
Lilys Leben.
„Ich weiß was du jetzt denkst", der Mann studierte Lily sehr aufmerksam.
„Du versuchst dich davon zu überzeugen, dass es nicht stimmt, aber es ist
wahr. Ich wusste das sofort, deshalb habe ich dir ja auch erlaubt hier
hereinzukommen."
Lily wusste wirklich nicht mehr was sie von alldem halten sollte, sie hatte
das Gefühl, als würde sie demnächst in Ohnmacht fallen.
„Pass auf,"der Mann sah Lily ernst an, „ich liege doch richtig, wenn ich
sage, dass du schon immer etwas an dir hattest, was dich von anderen
Kindern aus der Schule oder Nachbarschaft unterschied. Diese Windpocken-
Geschichte war doch kein Einzelfall? Es sind doch noch mehr Dinge passiert,
besonders, wenn du wütend warst, oder verängstigt, nicht wahr?"
Lily nickte, sie konnte das nicht abstreiten.
„Na siehst du. Und eben diese Vorfälle sind absolut typisch für einen
Zaubererkind. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass du eine Hexe
bist, und wenn du genau darüber nachdenkst, wirst du auch nicht länger
daran zweifeln."
Der Mann lehnte sich zurück, als sei alles gesagt.
In Lilys Kopf schwirrte alles durcheinander.
Konnte es wirklich stimmen? Es würde einiges erklären, allerdings war die
Geschichte von den Hexen und Zauberern, doch ziemlich verrückt, vielleicht
hatte der Mann sie auch nur mit einem Trick reingelegt.
Aber gab es denn eine andere Erklärung für all die seltsamen Phänomene in
Lilys Leben? Es stimmte schon, dass meistens etwas passierte, wenn sie
wütend war. Was Angst anging konnte sie es nicht wirklich sagen, sie hatte
noch nicht so oft... Doch! Als sie noch etwas jünger gewesen war, hatte sie
eines nachts furchtbare Angst in ihrem dunklen Zimmer bekommen, als wie von
selbst das Licht angegangen war.
„Vielleicht möchtest du es einfach mal ausprobieren?"
Der Mann schien langsam ungeduldig zu werden und daher nach einem Ausweg
aus dem Schlamassel zu suchen.
„Wie soll das gehen, ich bin gerade weder wütend noch verängstigt."
„Na, mit meinem Zauberstab. Natürlich bekommt jeder Zauberer einen eigenen,
wenn man in die Schule kommt...", der Mann nahm den hellen Holzstab erneut
zur Hand.
„Schule? Es gibt eine Schule für Zauberer?", sie klang ein wenig abwesend,
die Sache mit dem Stab war ihr irgendwie nicht ganz geheuer.
„Oh ja, natürlich, die meisten Zaubererkinder in Großbritannien gehen nach
Hogwarts. Zumindest, wenn sie Grips haben.."
Auffordernd hielt er Lily den Zauberstab unter die Nase. Etwas zögernd
griff sie danach. Sie hielt zwischen Daumen und Zeigefinger, so als könne
sie sich die Finger verbrennen, wenn sie nicht gut aufpasste.
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Du musst ihn richtig in die Hand nehmen und dann schwing ihn umher."
Lily räusperte sich und tat dann genau das.
Sie hatte mit der Spitze auf das Feuer im Kamin gezeigt, als sie mit dem
Stab durch die Luft wedelte.
Es dauerte nicht mal eine Sekunde, da stieg eine enorme Stichflamme daraus
hervor, die Lily heftig zusammenfahren ließ.
Der Mann kicherte.
„Gar nicht übel. Versuch es ruhig noch mal."
Er nahm sein Glas zur Hand und beobachtet Lily bei ihrem Experiment.
Lily musste den Stab an die zehnmal geschwungen haben, ehe sie ihn mit
einer raschen Bewegung neben sich auf den Tisch legen wollte.
„Vorsichtig!!!", schrie der Mann entsetzt und griff sich and den Kopf.
„Der Stab ist nicht 100%ig für dich geeignet und eine ungeübte Hexe wie du,
könnte damit einigen Schaden anrichten."
Lily nickte verlegen, als sie den Stab mit aller Vorsicht ablegte.
Sie hatte mit dem Ding wirklich das Feuer beeinflusst, sie hatte wirklich
gezaubert und das verrückte daran war, dass es sich jedes mal besser
angefühlt hatte, ganz so, als hätte sie das schon immer tun sollen. Jetzt
konnte sie es kaum mehr erwarten noch mal zu zaubern und das bereitete ihr
echte Sorge. Bisher hatte sie es immer erschreckend gefunden, wenn sie
gezaubert hatte, also, wenn etwas merkwürdiges passierte.
Doch jetzt machte es ihr doch tatsächlich Freude. Vielleicht war es gar
nicht mal so schlimm eine Hexe zu sein.
„Und? Habe ich dich überzeugt?", der Mann lächelte über den Rand seines
Glases hinweg.
Nachdem Lily einmal akzeptiert hatte, dass der Alte die Wahrheit sprach,
fing sie an ihn mit Fragen zu löchern.
„Gibt es viele Hexen und Zauberer? Wie leben sie? Wie meldet man sich denn
überhaupt auf einer Zaubererschule an? Und wie kommt es, dass manche
Menschen Zauberer sind und andere nicht?"
Lily redete ohne Luft zu holen, bis der Alte die Hand hob, um sie zu
stoppen.
„Ja, es gibt viele - Das mit dem Leben würde zu lange dauern, weil es die
Zauberer damit genauso unterschiedlich halten wie Muggel -"
Lily öffnete erneut den Mund.
„Was ist ein M..."
Der Alte wurde lauter und Schnitt ihr so das Wort ab.
„...Man bekommt die Anmeldung für Hogwarts automatisch zugeschickt, wenn
man geeignet ist - Niemand weiß genau warum manche Leute zaubern können und
andere nicht - UND wir Zauberer nennen nichtmagische Menschen Muggel."
Nach diesen Erklärunen herrschte einen Augenblick Schweigen.
Lily war sich nicht sicher was sie als nächstes tun sollte.
Als sie zur Decke aufblickte, entdeckte sie May, die auf einem Balken sa
und blinzelnd auf die Leute unter ihr starrte.
Bei Mays Anblick kam Lily ein Gedanke.
„Wer sind Sie überhaupt?"
In Gedanken schüttelte Lily den Kopf, sie saß hier und unterhielt sich mit
einem Mann, dessen Namen sie noch nicht mal kannte.
Der Mann grinste.
„Ich hab mich schon gefragt, wann du dich von dem Schock so weit erholt
hast, dass du danach fragst."
Langsam erhob er sich aus seinem Sesseln und griff nach seinem Hut.
„Nenn mich einfach nur Brown...und du kannst ruhig mit dem „Sie"
aufhören..."
Er setzte den Hut auf seinen weißen Schopf und blickte Lily dann
auffordernd an.
„Ich denke es wird Zeit, dass ich dich nach Hause bringe. Es bereits nach
Mitternacht."
Brown nahm seinen Zauberstab vom Tisch und verstaute ihn in seiner Jacke.
Lily zögerte, sie wollte jetzt noch nicht gehen, sie hatte gerade erfahren,
dass sie eine Hexe war und sie hatte nur diese eine Person, mit der sie
darüber reden konnte.
„Nun komm schon, du willst doch deine Eltern nicht damit erschrecken, dass
du am Morgen nicht in deinem Bett bist."
Seufzend erhob sich Lily und lief an Brown vorbei.
Er legte eine Hand auf ihre Schulter und schob sie sanft vor sich her.
Als sie aus dem Zimmer traten flog May über sie hinweg und verschwand mit
einem Sturzflug im Treppenhaus.
Als Lily und Brown die Treppe erreicht hatten, begann er zu sprechen.
„Placo", sagte er beinah heiter und gab Lily im nächsten Moment einen
Schubs.
Erschrocken stellte Lily fest, dass die Treppe nun keine Treppe mehr war.
Die Stufen waren verschwunden und vor ihr erstreckte sich eine lange,
glatte „Rutschbahn".
Lily konnte gerade noch ein überraschten Aufschrei von sich geben, ehe sie
auf den Hintern plumpsten und mit einem Affenzahn die Spirale hinunter
sauste.
„Wir sehn uns unten!", rief Brown ihr hinterher.
Als Lily unten ankam, war ihr ganz schummrig und als sie sich aufrichtete
schwankte sie leicht..
Sie warf einen kurzen Blick zurück und stellte fest, dass die Stufen wieder
da waren.
Peng
Lily zuckte kurz zusammen, als Brown direkt vor ihr auftauchte.
„Huch", Lily blinzelte erstaunt.
„Wow. Kein Wunder, dass Sie...du nicht weißt wie anstrengend es ist die
Treppe hochzusteigen."
Brown grinste.
„Oh ich weiß das schon. Früher musste ich auch zu Fuß hinaufklettern, aber
das ist schon lange her..."
Brown wandte sich ab und lief den Gang entlang.
„Na komm schon. Sorgen wir dafür, dass du ins Bett kommst."
Sie gingen den gleichen Weg zurück, den Lily zuvor gekommen war.
(Diesmal fiel Lily sogar auf, dass das Licht ihnen folgt, aber nach der
Treppe kümmerte es sie kaum.)
Sie liefen den Gang entlang, durch die Küche, hinaus in den Garten.
Von da dauerte es nicht mehr lange, bis sie das Haupttor erreicht hatten.
May saß auf dem Tor und blickte hinaus auf die Straße.
Lily zögerte.Sie hatte nur wenig Lust wieder hinaus in ihre bisherige Welt
zu gehen, wo sie von den meisten Leuten als abnormal angesehen wurde. Sie
blickte starr auf ihre Füße und überlegte sich, was er wohl tun würde, wenn
sie sich weigern würde zu gehen.
Schätzungsweise, wird er Mittel und Wege kennen mich auch so hier raus zu
befördern.
„Da wären wir."
Lily spürte Browns Blick auf sich ruhen und nickte daher leicht.
„Hör zu, bevor du gehst, sollte ich dir noch etwas sagen", er beugte sich
zu Lily herab, „Die Zaubererwelt hat einige strenge Regeln und die
wichtigste davon ist, dass so wenig Muggel wie möglich von uns wissen
sollen. Deshalb darfst du niemandem davon erzählen, dass ich hier lebe oder
dass hier überhaupt jemand lebt. Und du solltest auch niemanden erzählen,
dass du eine Hexe bist, hast du verstanden?"
Brown hatte sehr ernst gesprochen und Lily überlegte erschrocken, wem sie
denn dann ihre neue Erkenntnis anvertrauen konnte.
„Was ist mit meinen Eltern und meiner besten Freundin?", fragte Lily
unsicher.
„Deine Eltern werden es auf jeden Fall erfahren, wenn ihr einen Brief aus
Hogwarts bekommt, aber was deine Freundin angeht, so bin ich mir wirklich
nicht sicher...es wäre wohl besser, du lässt es bleiben."
Brown nickte nachdrücklich.
Das würde wirklich schwierig werden. Sie hatte noch nie Heimlichkeiten vor
Aisling gehabt.
Doch sie fragte sich auch besorgt, was Aisling wohl von ihr denken würde,
wenn sie erführe, dass Lily eine Hexe war. Eigentlich glaubte sie nicht,
dass es ihr etwas ausmachen würde oder dass sie es anderen verraten würde,
aber ein winziger Teil von Lily hatte doch Angst, dass Aisling entsetzt
wäre.
Lily seufzte.
„Na gut, ich werde es vorerst niemandem sagen, nicht mal meinen Eltern."
In diesem Moment ließ May ein leisen Ruf von sich und landete auf Browns
linker Schulter.
„Die Luft ist rein, du kannst jetzt hinaus gehen", sagte er mit einem
aufmunternden Lächeln.
Lily nickte etwas niedergeschlagen und ging auf das Tor zu. Als sie die
Hand auf der Klinke hatte, drehte sie sich nochmals um.
„Kann ich dich denn wieder mal besuchen kommen?"
Brown grinste und kratze sich den Stoppelbart.
„Ich erwarte das sogar von dir!"
Er zog den Stab aus der Jacke und deutete damit auf das Tor. Lily hörte ihn
etwas murmeln, ehe ein kurzes Glimmen von seinem Stab ausging.
„Du kannst jetzt jeder Zeit vorbeikommen. Das Tor wird sich von dir öffnen
lassen. Aber sei vorsichtig und benutze nicht den Haupteingang. Man könnte
dich sehen."
Lily lächelte.
„Das werde ich. Ich freue mich jetzt schon darauf mehr von deinem Haus zu
sehen."
„Das kann ich mir vorstellen."
Lily winkte Brown kurz zu, als sie durch das Tor schlüpfte und die Straße
hinunter rannte.
