Kapitel 1 Im Jahre 2509 DZ

Viele Jahre waren vergangen. Viele Dinge waren geschehen. Gute und auch weniger gute. Und die weniger guten häuften sich immer mehr. Eine namenlose Dunkelheit begann sich über Mittelerde zu legen und versetzte viele Menschen, Elben, Hobbits und alle anderen Bewohner in Angst und Schrecken.

Immer häufiger wurden Orks gesichtet und immer häufiger wagten sie sich auf belebte Straßen vor, überfielen Händler und Reisende. Von Ortschaften hatten sie sich bisher fern gehalten. Aber niemand fühlte sich mehr richtig sicher.

Lose Bündnisse wurden geschlossen. Aber keines dieser Bündnisse war wirklich fest genug und so war eigentlich ein jeder auf sich allein gestellt.

Die Elben in Rivendell hatten sich mit den Dunedain zusammengeschlossen. Schon vor vielen Jahren. Eines der festeren Bündnisse.

Einzig und allein die Tatsache, dass die Prinzessin des Großen Grünwaldes die Tochter des Lords von Rivendell war, hielt die Elben zusammen. Die Beziehungen zu den Elben in Lorien waren kompliziert aufgrund des gestörten Verhältnisses von Celebrian und ihrer Mutter Galadriel. Ihr Vater Celeborn besuchte sie sehr häufig in Rivendell. Aber ansonsten gingen alle ihre eigenen Wege.

Es war Herbst geworden. Aber nicht wie in den Jahren davor. Alles war anders. Die Blätter waren von den Bäumen gefallen noch ehe sie sich rot gefärbt hatten. Die Vögel waren verschwunden. Zumindest eine Großzahl. Nur einige wenige nisteten noch in den Gartenanlagen im Grünwald. Allerlei Schmarotzerpflanzen hatten begonnen sich um die Stämme der größeren Bäume zu winden und nahmen den kleinen Bodenpflänzchen jedes Licht zum Wachsen, raubten ihnen das Wasser und ließen sie verdorren.

Dunkelheit senkte sich über den Wald und König Thranduils Haupt neigte sich immer tiefer, schwer hatte er zu tragen an seinen Sorgen.

Noch lachten die jüngeren Elben in den Gärten und im Palast, noch tanzten sie. Aber die Zahl der Geburten war in diesem Jahr wieder zurück gegangen. Immer weniger Elben kamen hier in Mittelerde zur Welt und viele Pärchen, die sich eigene Kinder wünschten, verließen Mittelerde um ihr Glück in den fernen Landen zu versuchen.

Er war ratlos und sein Sohn hatte von seiner letzten Reise nach Rivendell nicht viele Neuigkeiten mitgebracht. Nur vage Andeutungen und Vermutungen, die ihn nicht sehr viel weiter brachten und er weigerte sich zu glauben, dass der dunkle Lord zurückkehren würde. Es musste etwas anderes sein. Es musste einfach etwas anderes sein.

Er war in seinem Arbeitszimmer auf und ab gelaufen und setzte sich wieder an den schweren Eichentisch. Die große Halle neben seinem Arbeitszimmer war noch leer. Für gewöhnlich trafen sich die Elben dort am Abend um gemeinsam zu speisen und miteinander Lieder zu singen.

In letzter Zeit geschah das immer seltener. Zu schwer wurden die Zeiten hier oben im Wald. Zu schwer lastete die Angst auf den Seelen seines Volkes. Viele erinnerten sich nur noch zu gut an die großen Verluste, die sie bei der Schlacht auf der Dagorlad erlitten hatten und keiner von ihnen wollte es wahr haben, dass der dunkle Herrscher zurückgekehrt sein könnte oder im Begriff war, das zu tun. Am wenigsten Thranduil. Der Verlust seines Vaters reichte vollkommen aus. Der dunkle Herrscher würde nicht mehr zurückkehren und noch einen geliebten Verwandten mit sich nehmen. Das war einfach unmöglich.

Wie viele Jahre waren jetzt vergangen seit sein Sohn mit der bildhübschen Prinzessin zurückgekehrt war? Mehr als 1000 Jahre sicherlich. Er erinnerte sich nicht mehr so genau daran. Ein süßes Baby war sie gewesen, seine erste Enkeltochter. Wunderschön und ein sehr kluges Mädchen noch dazu. Mittlerweile hatte er nun schon fünf Enkelkinder. Die beiden Jüngsten, ein Zwillingspärchen, waren gerade drei Wochen alt und seine ersten Enkelsöhne.

Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Die Kinder machten ihm sehr viel Freude und hatten das Lächeln zurück in sein Leben gebracht. Er musste seinem Sohn dankbar sein. Sehr, sehr dankbar.

Er seufzte wieder tief auf. Er musste seinen Wald schützen, sein Volk schützen und vor allem seine Enkelkinder. Ja, vor allem seine Enkelkinder. Sein eigen Fleisch und Blut.

Er nahm sich die Berichte wieder vor und las sie zum Hundersten Mal wieder durch.

„Es sind schon mehr als 2000 Jahre her"

„Definitiv mehr als 2000 Jahre"

Er las die Berichte noch mal und sah auf.

„Was für eine lange Zeit!"

Weiter unten, auf der untersten Ebene des Palastes, eine ziemlich weite Strecke entfernt von der großen Halle und dem Arbeitszimmer des Königs unter Eiche und Buche, noch vorbei an den Ausgucken und den Waffenkammern, in den Gemächern der königlichen Familie war es laut geworden. Die beiden neugeborenen Söhne des Prinzen waren so eben aufgewacht und verlangten lautstark nach einer Mahlzeit.

Arwen stand auf. Sie hatte sich in einen der schweren, mit grünem Samt überzogenen Sessel gesetzt und etwas gelesen. Sie genoss die Minuten, in denen sie schlafen oder einfach nur ausruhen konnte. Die beiden Kleinen waren sehr anstrengend, vor allem, weil es eine Doppelbelastung war.

Sie hatte Legolas vorhin mit den Mädchen rausgescheucht. Nach Miriel waren nun mehr als 2200 Jahre vergangen ehe sie ein weiteres Kind bekommen hatte, die kleine Eirien. Sie war jetzt 10 Jahre alt. Kurz nach ihr war Gweneth auf die Welt gekommen, eine hübsche, kleine, rothaarige Prinzessin von 6 Jahren und jetzt die beiden Buben, Gelion und Galwion.

Leise summend betrat sie das Kinderzimmer. Es war hell ausgeleuchtet und die beiden lagen in einer Wiege, die aussah als sei sie aus einem Blatt geformt. Das ganze Zimmer war in warmen Erdtönen gehalten. Eine beruhigende Atmosphäre. Arwen hatte gelernt die Vorzüge eines unterirdischen Palastes zu schätzen und zu lieben.

Sanft nahm sie ihre Söhne auf den Arm und setzte sich in den Sessel mit ihnen.

„Shh, meine kleinen Blättchen. Ihr bekommt gleich etwas von eurer Mama!"

Sie öffnete ihr Kleid und schob es von den Schultern.

„So" lächelte sie und legte die beiden an ihre Brüste.

Ein leises Aufseufzen war die Antwort und dann zogen sie beide sanft, aber kräftig, legten ihre kleinen Händchen auf ihre Brüste. Sie zogen ihre Beinchen an und seufzten leise auf.

Ein liebevolles Lächeln legte sich auf ihr Gesicht. Die beiden trugen selbstgestrickte Söckchen. Gelion gelbe und Galwion grüne. Sie hatten beide zartrosa Bäckchen, lange Fingerchen und schwarze Löckchen. Sie sahen aus wie Miniaturausgaben ihres Vaters.

Wärme durchflutete den Raum.

Legolas stand eine ganze Weile im Türrahmen und sah ihr zu. Die Kinder hatte er draußen gelassen. Sie spielten mit den Kindern des Hauptmanns und der achtete auf sie.

Er lächelte voller Liebe. Seine wunderschöne Frau. Er liebte es ihr so zuzusehen, wenn sie ihre Kinder stillte. Für ihn gab es keinen schöneren Anblick. So hätte man sie malen müssen.

Das schwarze Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern, eine kleine verwirrte Strähne war ihr ins Gesicht gefallen, umspielte ihre Nase, verdeckte einen Teil ihrer wunderschönen, vollen, rosigen Lippen, die er so gerne küsste. Die beiden kleinen Prinzen hatten sich an ihre Mutter geschmiegt und tranken sich ordentlich satt. Ihr leises Schmatzen war Musik in seinen Ohren. Das schönste Lied, das jemals erfunden worden war. Er wagte es nicht, sich bemerkbar zu machen um diesen Moment, so friedlich und voller Liebe, nicht zu zerstören.

Gweneth kam ins Zimmer gestürzt.

„Nana, Nana"

Arwen sah auf und die beiden kleinen Prinzlein stoppten einen Moment, tranken dann aber weiter.

„Ja, mein Liebes?"

„Nana"

Sie kam angerannt.

„Schau, Nana. Ich hab dir Blümchen gepflückt!"

Arwen lächelte sanft und bewunderte das dürftige, kleine Sträußchen. Es waren nur ein paar wenige Grashalme und eine halbverdorrte Blüte. Aber für ihre kleine Tochter war es ein Schatz. Ein unschätzbar teurer Schatz. Wertvoll und unbezahlbar.

„Wunderschön, mein kleiner Liebling"

Legolas lächelte sanft. Seine Kinder waren wirklich wundervoll. Etwas, das er niemals würde missen wollen. Etwas, was er in Sicherheit wissen wollte.

Arwen sah auf.

„Holst du eine Vase?"

Lächelnd nickte er und brachte ihr eine kleine Kristallvase für das Sträußchen.

Voller Stolz stellte Gweneth ihre Blümchen in die Vase und stellte sie auf Mamas Tischlein. Es war schön, das kleine Elbenmädchen so strahlen zu sehen. Sie hatte langes, dunkelbraunes, glattes Haar, strahlend blaue Augen und trug ein zartrosa Kleidchen und keine Schuhe.

„Da siehst du sie immer, Nana!"

„Ja, da sehe ich sie immer!"

Sanft streichelte sie ihre Wange und küsste sie auf die Stirn.

Eirien betrat den Raum. Leise und still. So wie immer. Sie stellte sich in eine Ecke des Raumes und beobachtete. Ihre kurzen, roten Löckchen umspielten ihr sommersprossiges Gesichtchen. Ihre sanften grünen Augen ruhten auf ihren Geschwisterchen.

Gelion und Galwion waren nun auch satt und bekundeten dies mit einem lauten Bäuerchen.

Helles Kinderlachen hallte durch die untere Ebene und für einen Moment waren alle Sorgen vergessen.