Kapitel 2

Miriel war unterwegs.

Das Wetter war so mies wie ihre Laune. Es regnete und man konnte seine Hand nicht vor Augen sehen. Sie trug schwarze Lederstiefelchen mit einem aufgestickten Blattmuster, eine olivgrüne Hose aus festen Elbenstoff und eine grüne Tunika über ihrem weißen Hemd. Sie hatte sich einen Bogen umgeschnallt und in einem Rückenhalfter versteckten sich zwei kleine säbelartige Schwerter. Ihre beiden Onkel hatten sie ihr angefertigt als sie das letzte Mal zu Besuch in Rivendell gewesen war.

Ein kleiner Trupp Elben begleitete sie. Sie waren auf der Jagd gewesen. Es wurde langsam Winter und die Vorratskammern mussten aufgefüllt.

Tagelang waren sie durch den Wald gestreift, in Richtung Esgaroth. Aber kein einziges Reh war ihnen vor die Bögen gekommen, nicht einmal ein Kaninchen. Dafür hatten sie eine unerfreuliche Begegnung mit einigen Spinnen gehabt.

Sie sah sich um.

„Wir müssen etwas rasten, Prinzessin"

„Ja, ich weiß. Er braucht etwas Ruhe. Aber er braucht auch schnell einen Arzt!"

Hin- und hergerissen raufte sie sich die Haare.

„Baut eine Bahre. Wir reiten weiter. Wir können nicht rasten. Nicht mit einem Verletzten!"

Seine Verletzungen waren sehr ernst. Die Spinne hatte ihn bei der Wache überrascht. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass eine einzelne Spinne ein Lager angreifen würde, aber das hatte sie getan. Sie hatte sich abgeseilt, ihm von hinten in den unteren Rückenbereich gestochen und so gleich angefangen ihn zu beißen.

Zu seinem großen Glück war einer der anderen wach geworden und hatte sofort Alarm geschlagen. Gemeinsam hatten sie die Spinne getötet und ihn so gleich versorgt, so gut es ging.

Miriel rieb sich den Nacken. Sie hatte ihre lange schwarzen Haare geflochten und in einem Kranz um den Kopf gewunden. So störten sie sie nicht allzu sehr.

„Eine so große Spinne habe ich noch nie gesehen" wiederholte einer der Elben sich sicherlich zum tausendsten Mal seit dem Angriff.

„Das wissen wir, Turilion!" seufzten die anderen. „Das wissen wir!"

Miriel sah sie alle an.

„Beeilt euch. Ich will am Abend im Palast sein!"

Der Regen wurde immer stärker. Sie sah hoch in den Himmel.

„Zu viele Wolken"

„Wir sind fertig!"

„Gut, dann los!"

Sie trieb ihr Pferd wieder an.

Sie kamen ohne weitere Zwischenfälle bis zum Palast. Ihre Pferde wurden sofort versorgt und der Verletzte wurde in ihre kleinen Häuser der Heilung gebracht.

Miriel eilte sofort zu ihrem Großvater.

Bei dämmrigem Kerzenschein saß der König unter Eiche und Buche in seinem Arbeitszimmer. Er trug ein weißes, knielanges Schlafgewand und warme Schuhe. Sein langes, tiefschwarzes Haar hing offen über seinen Rücken. Er hatte den ganzen Tag in der Bibliothek verbracht. Legolas war ein paar Mal bei seinem Vater gewesen. Sie hatten sich kurz unterhalten und ein jeder hatte danach für sich versucht eine Lösung zu finden.

„Großvater!"

Er sah auf.

„Ja!"

Sie berichtete ihm mal.

Legolas saß in seinem kleinen Arbeitszimmer in ihrem privaten Bereich des Palastes. Arwen hatte die Zwillinge gerade zu Bett gebracht und ihre Töchter zum Waschen geschickt.

Sie setzte sich neben ihn auf die Sessellehne und streichelte sanft durch sein Haar.

„Sie kommt nicht mehr zu mir"

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Sie hört mehr auf meinen Vater und redet mehr mit ihm als mit mir. Was hab ich nur falsch gemacht?"

Er stützte den Kopf in die Hände.

Arwen küsste sanft seine Schläfe. Es belastete sie auch, dass ihr Verhältnis zu Miriel so schlecht geworden war. Sie nahm sie nicht ernst, hielt sie nicht für reif und alt genug ihr Ratschläge zu geben.

Arwen versuchte sich das nicht anmerken zu lassen. Aber es verletzte sie sehr. Ihre Mutter hatte sie einmal gewarnt, dass das so kommen könnte, weil sie gerade mal 20 Jahre älter war als ihre Tochter. Sie hätte nur nicht im Traum daran geglaubt, dass das einmal passieren würde.

„Du hast gar nichts falsch gemacht, Liebster" flüsterte sie leise und streichelte liebevoll über seinen Rücken.

„Du bist ein wundervoller Vater. So geduldig und liebevoll. Du hast nichts falsch gemacht!"

Er sah sie an. Seine Augen standen voller Tränen. Es fiel ihr schwer nicht mit ihm mit zu weinen. Zärtlich schmiegte sie ihn an sich und streichelte über seinen Rücken.

„Sie ist doch mein kleines Juwel" flüsterte er erstickt in den Stoff ihres hellgrünen Kleides.

„Mein kleines Mädchen!"

Sie drückte ihn etwas fester an sich und küsste ihn auf die Stirn.

„Ich weiß. Ich weiß. Aber was sollen wir denn tun? Wir können sie doch nicht zwingen!"

Mit dem Hemdärmel rieb er sich über die Augen.

„Nein, das können wir nicht!"

Tief durchatmend, streckte er sich mal und sah sie an.

„Mein Vater glaubt nicht, dass es von Mordor ausgeht. Er möchte auch nicht zu einem Treffen mit den anderen Elben. Also kann ich es offiziell auch nicht tun!"

Arwen seufzte leise und setzte sich auf den Schreibtisch.

„Er ist so stur und eigensinnig. Die Zeichen sind so eindeutig. Ein jeder weiß es. Nur er weigert sich"

Sie band das lange, schwarze Haar zurück.

„Der Ring galt als verschollen. Aber Gerüchten zufolge ist er wieder aufgetaucht und mit ihm die Spinnen, Orcs und andere, finstere Gestalten. Wie kann er sich so versperren? Das könnte unser aller Untergang sein!"

„Das weiß ich, mein Stern. Das weiß ich."

Er raufte sich die Haare.

„Wir sollten deinen Vater besuchen!"

Sie sah ihn wieder an.

„Ja, das sollten wir vielleicht tun."

Eine Weile herrschte Stille.

„Vielleicht sollten wir eine Weile bei ihm bleiben!" sagten beide dann fast gleichzeitig.

Wieder herrschte eine Weile Schweigen.

Arwen stand auf.

„Es ist auf alle Fälle besser für die Kleinen. So …."

Thranduil kam ins Zimmer gestürmt.

„Eine Spinne hat ein Lager überfallen. Wir haben einen Schwerverletzten. Ich weiß nicht, ob er das überlebt!"

„Wir werden nach Rivendell reisen. Und wir werden eine Weile dort bleiben!" war Arwens Antwort.

Sie war käseweiß im Gesicht.

„Ihr könnt jetzt nicht einfach Urlaub machen!"

„Das ist ganz sicher kein Urlaub" fauchte sie ihren Schwiegervater an.

„Ich will meine Kleinen in Sicherheit wissen und das sind sie hier nicht!"

„Das ist doch nicht wahr" Er ging wie ein Tiger im Käfig im Zimmer auf und ab. Die Hände zu Fäusten geballt. Ein Äderchen an seiner Schläfe drückte sich hervor. Er musste sich schwer beherrschen.

„Doch. Das ist es. Du weigerst dich einzusehen, dass er es wirklich ist. Meine Kinder können hier nicht im Freien spielen, ohne dass ich Angst um sie haben muss. Das will ich nicht. Sie sollen draußen spielen. Wir werden nach Rivendell gehen, ob es dir passt oder nicht!"

Sie hatte knallrote Wangen bekommen und fuchtelte mit der Faust vor seiner Nase rum.

So hatte Legolas seine Frau noch nie gesehen. Wie eine kleine Furie und sie meinte es ernst. Sie meinte es verdammt ernst.

Sein Vater sah ihn an.

„Sag du auch mal was dazu!"

„Sie hat recht. Wir werden gleich packen. Wir werden die Adler rufen!"

Thranduil raufte sich die Haare und sah seinen Sohn an.

„Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen!"

„Tut mir leid, Adar"

„Es tut dir leid. Es tut dir leid. Dein Platz ist hier. Das hier ist auch dein Volk. Du kannst nicht einfach gehen, wenn es brenzlig wird!"

Das kleine Äderchen kam wieder zum Vorschein.

„Das werde ich aber tun"

Er sah seinen Vater lange an.

„Und das nicht nur wegen der Spinnen und meiner Kinder!"

Thranduil sah seinen Sohn an. Irgendwie war ihm gar nicht aufgefallen wie blass er um die Nase war.

„Sondern?"

Legolas verließ den Raum. Darüber wollte er mit seinem Vater nicht reden.

Thranduil sah Arwen fragend an.

„Ich kann es dir nicht sagen, so lange er es dir nicht selbst sagt" meinte sie leise.

„Aber es ist besser so. Für die Kinder und für ihn!"

„Gut….. ja …. Gut. Dann kommt gut an und heil wieder nach Hause"

Er verließ den Raum und ging zurück in seine Büro. Er brauchte etwas länger für den Weg als sonst. Er dachte zu viel nach, grübelte, was es sein könnte, was sein Sohn vor ihm verbarg. Aber seine Schwiegertochter hatte recht. Es würde nichts nutzen ihn zu fragen. Er würde sich nur noch mehr verschließen. Seine Stirn legte sich in Falten.

Das war alles nicht so einfach.

Schweren Herzens betrat er sein Büro und bemerkte sogleich einen neuen Stapel Berichte, die er sogleich zu studieren begann. Er hatte sich noch keine fünf Minuten damit beschäftigt als die Tür wieder geöffnet wurde und Miriel eintrat.

„Deine Eltern werden nach Rivendell reisen!"

Sagte er ruhig und sah sie an.

„Welche Eltern?" kam es trotzig zurück.

Thranduil sah seine Enkeltochter an und plötzlich dämmerte es ihm.