Miriel stolperte über einen Stein. Ihre Handgelenke schmerzten. Brannten schon fast. Ein pochender Schmerz in ihrem Kopf machte ihr deutlich, dass jeglicher Versuch zu denken kläglich scheitern würde. Irgendwas musste sie auf den Kopf bekommen haben. Sie hatte Mühe nicht zu fallen. Ihre Füße machten nicht wirklich, was ihr Kopf ihnen zu sagen versuchte.
Um sie herum war alles verschwommen. Es fiel ihr schwer sich zu erinnern, was überhaupt passiert war.
„Wo…?"
Ein derber Stoß machte ihr deutlich klar, dass sie die Klappe zu halten hatte. Und ihr wurde klar, dass sie hier nicht unter Freunden war.
Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Man hatte sie sicherlich schon Stunden durch den Wald geschubst und sie waren beinahe am Fluss angekommen. Ihre Schulter brannte und der Schmerz breitete sich immer weiter aus, hüllte ihre Sinne ein und machte es ihr unmöglich darüber nachzudenken, was geschehen war und wo sie sein könnte.
Ihr Hemd war nass. Es schien also immer noch zu regnen, nur dass sie die Tropfen nicht fühlen konnte.
Jemand zog sie an den Haaren und warf sie grob zu Boden.
„Sie quietscht wie ein Schwein" lachte jemand.
„Vielleicht schmeckt sie auch wie ein Schwein"
„Sie ist nicht zum Essen!" donnerte der erste wieder.
„Ach und warum nicht?"
„Darum nicht"
„Warum nicht?"
„Weil er sie will. Er will wissen!"
„Was ist mit ihren Beinen? Die braucht sie nicht!"
„Ja, genau. Die braucht sie nicht"
„Sie ist nicht zum Essen" donnerte der erste wieder.
Ein Riesenstreit brach los. Miriel wurde ohnmächtig.
Kurz nach Thranduils mehr oder weniger heimlicher Abreise, kehrten zwei von Rens Spähern in den Palast zurück.
„Wir müssen sofort zum König!"
„Er ist nicht mehr hier" Hieromir war vorgetreten.
„Nicht mehr hier?"
„Er ist nach Rivendell aufgebrochen. Er möchte mit seinem Sohn reden!"
Sie senkten die Häupter.
„Miriel ist entführt worden. Wir haben Spuren eines Kampfes entdeckt. Es war eine Horde Orks!"
Hieromir sah ihn entsetzt an.
„Wir müssen ihn finden!" meinte er. „Er ist auf dem Weg nach Bruchtal. Er wird sicher nicht den normalen Weg nehmen. Er wird die Straße meiden. Beeilt euch!"
Die beiden nickten und eilten sogleich wieder los. Nun war allerhöchste Eile geboten.
In der Zwischenzeit hatte sich Ren alleine schon auf die Suche gemacht. Er versuchte in dem vom Regen vollkommen durchnässten Boden noch irgendwelche Spuren zu finden. Leider erfolglos.
Seine einzige Hoffnung bestand nun darin, dass sie ihm vielleicht irgendwelche Hinweise hinterlassen hatte. An Bäumen oder Büschen. Oder dass sie etwas hatte fallen lassen um ihm zu zeigen, wo sie sich befand. Aber nichts dergleichen war aufzufinden.
Verzweifelt sank er zu Boden und stützte den Kopf in die Hände. Er machte sie Vorwürfe. Er hätte ihr ihren Sturkopf nicht durchgehen lassen dürfen. Er hätte sie einfach mit ins Lager schleppen müssen. Auch, wenn sie dann auf ewig mit ihm sauer gewesen wäre.
Wenn ihr jetzt etwas passierte, dann war das einzig und allein seine Schuld.
Wütend trat er gegen einen Stein.
„Auuu!"
Erschrocken fuhr er zusammen, sprang hoch und griff nach einem seiner Schwerter.
„Wer ist da?"
Suchend schweiften seine Augen umher.
„Ren?"
Er fuhr herum. Die Stimme kannte er.
„Mein König?"
Eine schlanke ,hochgewachsene Gestalt trat hinter einem Baum hervor.
„Was tust du hier? Alleine?"
Ren legte den Kopf schief und musterte ihn. Er sah nicht aus wie sein König. Eher wie ein Landstreicher. Aber er kannte die Stimme und die Augen. Und als er in selbige schaute, wusste er, dass sein König vor ihm stand. Er verneigte sich leicht.
„Ich suche nach Eurer Enkeltochter. Haben meine Boten Euch im Palast erreicht?"
„Boten? Meine Enkeltochter? Was ist geschehen?"
Ren atmete tief durch und begann mit seinem Bericht.
„Und danach habe ich Euch sofort Boten geschickt" seufzte er schwermütig.
„Ich hätte sie sofort zu uns holen müssen. Ich hätte ihr einmal ihren Sturkopf nicht durchgehen lassen dürfen!"
Thranduil saß still neben ihm, tief in Gedanken.
„Mein König?" fragte Ren unsicher. „Zürnt Ihr mir?"
Der König sah auf.
„Was? Nein… nein, Ren. Das ist alles meine Schuld. Ich habe einen großen Fehler gemacht!"
Ren sah ihn eine Weile stumm an. Er wagte nicht nachzufragen, was sein König damit meinte. Wenn er es sagen wollte, würde er es sagen. Es hatten ja alle mitbekommen, dass der Prinz mit seiner Frau und den kleinen Kindern abgereist war. Und eigentlich waren sich alle sicher, dass der Grund nicht nur darin lag, dass die Prinzessin ihre Eltern besuchen wollte.
„Wir müssen sie finden" unterbrach Thranduil die Stille und stand auf. „Schnell!"
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Sie hetzten die ganze Nacht durch den Wald. In der Nähe des Lagers hatte Thranduil noch einige Spuren entdeckt, denen sie gefolgt waren. Gegen Morgen erreichten sie den Fluß und dort verlor sich jede Spur. Verzweifelt sank Thranduil auf den Boden.
„Wir müssen einen Boten senden" meinte er leise. „Nach Lorien und Rivendell. Mein Sohn muss das wissen!"
Ren nickte und seufzte leise. Sein Gesicht war voller Sorgenfalten. Er fürchtete um Miriels Leben.
Er pfiff nach seinem Falken und schickte ihn mit einer Botschaft los. Er würde schneller in Rivendell ankommen als irgendein Bote zu Fuß oder zu Pferd.
Während sie noch darum knobelten wer von ihnen nun nach Lorien aufbrach und wer dem Flusslauf gen Norden folgte, teilte sich hinter ihnen das Gebüsch und eine kleine Schar Waldelben stieß zu ihnen. Es waren größtenteils Rens Männer, die von Hieromir los geschickt worden waren, ihrem König zu folgen.
Sie verneigten sich. „Hieromir hat uns geschickt, Herr. Wir sollen Euch helfen!"
Thranduil seufzte erleichtert auf.
„Ihr zwei, ihr reitet nach Lorien und bittet um Hilfe" meinte er. „Der Rest folgt mir mit Ren gen Norden, dem Fluss nach!"
Die Boten brachen nun auch sofort auf und die kleine Schar König Thranduils folgte dem Flusslauf gen Norden. Der König hoffte sehr, dass sich seine Befürchtungen nicht bewahrheiten würden, aber eigentlich sprach alles dafür.
