Kapitel 6: Ruhe vor dem Sturm

Die Fahrt zur Winkelgasse verlief im Grunde genommen reicht ereignisslos und schon fast langweilig. Das Ministerium hatte wieder einen speziellen Wagen und einen Fahrer bestellt, außerdem waren noch zwei Auroren dabei. Harry unterhielt sich hinten mit Ron und Hermine, während Mrs.Weasley und Ginny schwiegen. Mr.Weasley unterhielt sich vorne mit einem der Auroren vom Ministerium, welcher ihn kannte, schließlich waren sie Kollegen.

„Das meinst du doch nicht im Ernst, oder?" fragte Mr.Weasley ihn ungläubig. „Unser Gehalt hat er nicht erhöht. Oh, dieser…" Er schlug mit einer Faust in die Andere, während der Auror sich rasch zu ihm umdrehte. „Beruhig dich, Arthur", versuchte er zu sagen, „Wir wissen doch alle, dass, wenn jemand eine Gehaltserhöhung verdient hat, du bist. Scrimgeour weiß das. Glaub mir, du machst deine Arbeit gut." Eine Weile sagte niemand etwas. Sie fuhren die Straßen entlang, die Fenster waren verdunkelt, doch kurz bevor sie da waren, drehte sich der Auror, mit dem Mr.Weasley geredet hatte, zu Harry und Ron um.

„Es tut mir Leid", sagte er, „Ich weiß, es muss euch nerven, wenn wir immer an eurer Seite sind, aber es ist nur zu eurem Schutz. Besonders du musst geschützt werden", er deutete mit dem Finger auf Harry. „Ja, das muss er", rief Mr.Weasley fröhlich, „Aber ich denke, es ist besser, als man auf dem ersten Blick meint. Es hätte schlimmer kommen können. Wir hätten gar nicht mehr in die Winkelgasse gehen können." „Die Winkelgasse ist besser geschützt als jemals zuvor", sagte der Auror zu Mr.Weasley, „Und wir tun unser Bestes. Wenn man die Auroren einfach nicht beachtet, ist es eigentlich wie immer." Er lächelte verständnisvoll, doch nun rief der Fahrer von vorne:

„Wir sind da!" Sie hielten an und als Harry nach rechts sah, erkannte er die dunkle schlichte Tür des Tropfenden Kessels, durch die er schon vor ein paar Wochen mit Mr.Weasley gegangen war. „Mach Platz, Cuthbert, du blockierst die Tür", rief der Fahrer von vorne. Der Auror stieg aus, ebenso wie der Auror auf dem Beifahrer-Sitz. Harry, Hermine und die Weasleys folgten ihnen. Der Fahrer zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück, während die Anderen alle in den Tropfenden Kessel marschierten. Hinter dem Tresen stand der zahnlose Wirt Tom, der ein dreckiges Glas abwusch, und erfreut auflachte, als er den kleinen Trupp hereinkommen sah.

„Schuleinkäufe?" rief er ihnen zu und sie alle nickten. Sie gingen an ihm vorbei, hinaus auf den Hinterhof, wo Mr.Weasley einen bestimmten Stein mit seinem Zauberstab antippte, woraufhin die gewundene Winkelgasse zum Vorschein kam, mit ihren zahlreichen Geschäften und der prachtvollen Zaubererbank Gringotts im Hintergrund. Harry fiel sofort der bunte Schriftzug des Weasley-Ladens ins Auge, die knallige rote Schrift auf dem quietschgelben Hintergrund; vor der Tür standen Fred und George, die riesige schürzenartige Anzüge trugen, auf denen vorne Abstellplatten angebracht waren, auf denen all mögliches Zeug lag. Fred winkte sofort, als er die Gruppe auf sich zukommen sah.

„Eine Runde Traumdeutung gefällig?" rief er ihnen entgegen. Sie hielten gemeinsam an und Harry musterte die Sachen, die auf der kleinen Plattform lagen, die an Freds Schürze befestigt war. Der Laden selber war leer, das Geschäft boomte lediglich auf der Straße. „Was ist das?" wollte Ron wissen, und nahm eine kleine Praline in die Hand, die nicht größer so groß wie eine Mandarine war, „Was meinst du mit Traumdeutung?" Er blickte zu Fred. „Du könntest sie essen", schlug Fred vor, „Aber du wärst der Erste. Träumerische Trüffelpralinen!" Fred lächelte stolz und deutete auf die Ladentür. Dort hingen etwa ein Dutzend Plakate, alle mit Beschreibungen von Fred und Georges Produkten, und mit Bildern verziert. Harry schaute auf das Plakat, auf das Fred zeigte.

Träumerische Trüffelpralinen

Erlaubt Ihnen, eine Welt zu betreten, die niemand außer ihnen sehen, fühlen, hören oder sonst etwas kann. Dieses Produkt basiert auf der Fantasie des Essenden. Im Gegensatz zum Tagtraum-Zauber erleben sie die Welt bewusst, in die sie eindringen. Handeln sie, wie sie es wollen. Dringen Sie in Ihre eigene Fantasie ein, besuchen Sie Ihre Träume und tun und lassen Sie, was Sie wollen.

Nur zwölf Galleonen das Stück

„Ihr habt sie ja wohl nicht mehr alle", schrie Ron entsetzt und starrte seine Brüder an, „Zwölf Galleonen für so ein komisches Teil. Funktioniert das überhaupt?" „Nun ja, wir hoffen es", erklärte Fred augenzwinkernd, „Um ehrlich zu sein, es gab noch niemanden, der sie getestet hat. Sind den Leuten zu teuer und selbst wenn sie günstiger wären, hätten sie wahrscheinlich Angst vor der Wirkung." „Habt Ihr sie selbst nicht getestet?" „Nein, haben wir nicht", antwortete Fred, „Aber wir haben ordentlich was zusammengemischt, damit es funktioniert, u.a. Zentaurenmilch und Elfenzucker. Will es jemand ausprobieren?"

Niemand antwortete. Mrs.Weasley starrte misstrauisch auf die Trüffelpraline, die ihr Sohn ihr vor die Nase hielt und schüttelte nur den Kopf. Von den ganzen Leuten, die um sie herumstanden, nahm niemand Freds Angebot an. „Ich nehme eine", sagte Harry schließlich und trat vor. Er kramte in seiner Tasche und fand gerade so sieben Galleonen. Er musste bald wieder nach Gringotts, um sich neues Geld zu besorgen, aber Fred schien es nicht so eng zu sehen. „Du kannst mir den Rest später zahlen, Harry, dir vertrauen wir doch." Er zwinkerte Harry verschwörerisch zu und grinste. „Ohne dich würde es die Dinger gar nicht geben."

„Du bist wahnsinnig geworden", entfuhr es Ron, als sie zwanzig Minuten später aus Flourrish&Blotts herauskamen. „Wieso hast du es gekauft? Willst du es denn überhaupt benutzen?" „Ich denke nicht", antwortete Harry ruhig, „Aber es ist nur für den Fall. Ich denke, es…es könnte nützlich sein". Er starrte auf die Trüffelpraline und wusste selbst nicht, wieso er so dachte. Aber er war sich sicher, dass dieser Einkauf nicht umsonst war. „Hey, da ist…oh nein."

Harry starrte nach vorne. Vorne, vor der Magischen Menagierie, stand eine große schlanke Frau mit weißblonden Haaren, stechend blauen Augen und hübschen Gesichtszügen. Als sie aus der Tür kam, fiel ihr Blick auf Harry und die Weasleys. „Oh", hauchte sie leise, „Harry Potter und die Weasleys. Freut mich, zu sehen, wie Sie als Familie zusammenleben. Man könnte glatt neidisch werden." Sie lächelte höhnisch und Harry spürte, wie Wut in ihm aufstieg und wie er das Verlangen spürte, ihr an den Hals zu springen. „Lassen Sie uns in Ruhe, Narcissa", sagte Mrs.Weasley, ohne Narcissa anzusehen, „Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten." Sie ging an ihr vorbei und überquerte die Straße, doch Narcissa lächelte weiterhin.

„Harry Potter", flüsterte Narcissa, als Harry Mrs.Weasley folgen wollte. „Wie reizend. Wahrscheinlich wundert es dich, mich hier zu sehen." „Allerdings", gab Harry zurück. „Ich hätte nicht erwartet, dass Sie sich noch in die Öffentlichkeit wagen, nachdem sich Ihr Sohn als Todesser erwiesen hat. Letztes Jahr Ihr Mann, nun Ihr Sohn. Was passiert diesmal, werden Sie persönlich entlarvt?" Narcissas Augen verengten sich zu gefährlichen Schlitzen und wenn Blicke irgendwelchen Schaden anrichten könnten, wäre Harry jetzt nicht mehr vorhanden. Mr.Weasley versuchte Harry weiterzuziehen, aber Narcissa rief ihnen noch hinterher.

„An deiner Stelle wäre ich vorsichtig, Potter. Wer weiß, ob nicht hinter der nächsten Ecke dein Ende lauert…immer schön auf der Hut bleiben. Wir wollen doch nicht, dass wir diese schöne Narbe und die runde Brille in Zukunft nicht mehr sehen werden." „Einfach ignorieren", murmelte Mr.Weasley, als Narcissa außer Reichweite war. „Die will dir doch nur Angst machen, mehr nicht. Aber auch ich hätte nicht gedacht, dass sie trotz allem so mir nichts, dir nichts durch die Winkelgasse marschiert." „Hey!" Harry schaute nach rechts. Ein rundgesichtiger pummeliger Junge kam auf sie zugelaufen, die Wangen gerötet und das Gesicht vor Freude erstrahlend.

„Hey Neville", sagte Ron. „Bist du mit deiner Oma hier?" fragte Harry. „Ja", antwortete Neville und stöhnte kurz auf. „Wir müssen in die Magische Menagerie, Trevor geht es ganz und gar nicht gut. Aber sie meint, dass sie das mit Sicherheit hinbekommen werden." Harry erinnerte sich an eine Begebenheit vor vier Jahren. Damals sind sie in die Magische Menagerie gegangen, um ein Rattentonikum für Rons Ratte Krätze zu besorgen, welches selbstverständlich nicht gewirkt hat, aufgrund der Tatsache, dass das Ratentonikum an einen Mann namens Peter Pettigrew verabreicht wurde. Wo Peter heutzutage wohl war…

Peter Pettigrew und ein Mann mit einer dunklen Kapuze und einem langen Umhang gingen schnellen Schrittes durch die dunklen Muggelgassen von London, während ihre Schritte laut von den Steinwänden widerhallten und sich ihre Schatten bedrohlich groß auf den Mauern widerspiegelten. Der Mann mit der Kapuze ging ein wenig schneller, sodass Peter fast rennen musste, um mitzuhalten, doch als sie um zwei weitere Ecken gebogen waren, wandte er sich an Peter.

„Es wird alles sehr schnell gehen", sagte er leise, „Zu aller erst müssen wir um einen Auftrag bitten. Dafür habe ich bereits eine Idee. Wir werden dem Dunklen Lord erzählen, dass es einen Todesser-Angriff mit Auroren-Eingriff mitten in London gibt. Er wird nicht genug Zeit haben, um das zu überprüfen, das wird er erst später tun. Und dann können wir sagen, es wäre falscher Alarm gewesen. Am besten werde ich das übernehmen, du beherrscht die Okklumentik nicht so gut, oder?" Peter nickte rasch. „Uns wird er befehlen, einzugreifen", fuhr der Kapuzenmann fort, „Wir werden offiziell als Verstärkung eintreffen, als Verstärkung, die zu einem Ort kommt, an dem überhaupt nichts los ist. Noch nicht." „Wie locken wir Snape dorthin?"

„Da müssen wir zu Snape gehen, aber alleine. Der Dunkle Lord darf auf keinen Fall dabei sein, er würde es nicht gutheißen, Snape in die Öffentlichkeit zu schicken, wo das Ministerium ihn doch sucht. Wir werden Snape von der Dringlichkeit dieses Auftrags überzeugen müssen, und da kommst du ins Spiel, mein Freund. Er beherrscht die Legilimentik nicht annähernd so gut wie Okklumentik, also werden deine Okklumentik-Fähigkeiten ausreichen, um ihn zu belügen. Du wirst ihm das gleiche erzählen, was ich dem Dunklen Lord erzähle, nur mit einer einzigen Änderung. Du wirst ihm sagen, dass auch der Orden des Phönix und Harry Potter dabei sind. Glaub mir, er wird mitkommen. Es wird ihn sicherlich reizen, Potter zu fangen und ihn dem Dunklen Lord zu übergeben, aber wahrscheinlich wird er auch einfach verhindern wollen, dass ein anderer Todesser Potter tötet. Hast du von Melvin gehört? Er wollte Potter töten, kurz nachdem Snape Dumbledore ermordet hat, aber Snape hat ihn abgehalten. Im Gegensatz zu den meisten anderen Todessern legt er sehr viel Wert darauf, dass Potter vom Dunklen Lord getötet wird."

„Wo werden wir ihn denn hinlocken?" „Runter an den Magischen Hafen, am Rande von London." Er schaute Peter von der Seite her an und grinste, „Dort wo der Magische Bottich steht." Peter blieb auf einmal stehen. Der Mund klappte ihm auf und seine Augen weiteten sich vor Schreck. „Bist du vollkommen verrückt geworden? Du willst ihn in den Magischen Bottich schmeißen?" „Hast du eine bessere Idee? Das ist genial. Seine Leiche wird danach keine Schwierigkeiten machen, für den Dunklen Lord wird er einfach nur von der Bildfläche verschwinden, mehr nicht." „Denk doch mal nach", flüsterte Peter hastig, „Der Magische Bottich ist nicht dafür gedacht, Menschen hineinzuwerfen. Wenn du das tust, dann…." „…wird er sterben?", vervollständigte der Kapuzenmann den Satz, „Ist es denn nicht genau das, was wir wollen? Ich weiß, dass im Magischen Bottich Magie gesammelt wird. Aber warum lassen wir es nicht auf einen Versuch ankommen, und schmeißen den ersten Menschen dort hinein, der jemals dort hineingefallen ist."

„Wie wollen wir das machen?" rief Peter, „Der Bottich ist gigantisch. Hast du da auch eine Idee?" „Allerdings", sagte der Mann mit der Kapuze, „Du weißt doch, was ein paar Meter vom Bottich entfernt steht? Der Kran, oder? Wir werden ihn von da oben hineinwerfen." Erneut blieb Peter stehen. „Willst du mich verkohlen, oder was?" quiekte er, „Das schaffen wir nie. Wie sollen wir Snape denn auf den Kran bekommen und wie sollen wir es hinbekommen, dass er im Bottich landet?" „Das überlass mir", murmelte die dunkle Gestalt, „Aber jetzt das wichtige und das musst du dir merken: wir müssen ihn vorher schon töten. Wenn wir Pech haben, überlebt er den Magischen Bottich, wir können es nicht wissen. Aber wenn wir ihn vorher schon töten, ist der Rest ein Klacks."

„Aber verrat mir eines." Peter starrte die vermummte Gestalt eindringlich an, „Wozu der ganze Aufwand? Warum töten wir ihn nicht einfach und lassen seine Leiche verschwinden? Versenken, verbrennen oder einfach nur verwandeln. Wozu das alles, wenn es auch einfacher geht?" „Weil ich meine Morde nur mit Stil begehe".

Es war Freitag, der dreizehnte Januar 1995, als Quentin Chartrand abends noch einmal in sein Büro huschte und das tat, wozu er am Tage nicht in der Lage war. Er kramte in seinen Schubladen, riss sie heraus, und zog nach minutenlangem Suchen schließlich ein in rotes Leder gebundenes Buch hervor. Nachdem er es geöffnet hatte, kam eine Aushüllung zum Vorschein, in der er mehrere zusammengefaltete Blätter liegen hatte. Er ging die Blätter durch und fand schließlich das, wonach er gesucht hatte: das Blatt mit der Überschrift ‚Mysteriumsabteilung'. Raschen Schrittes verließ er das Büro, und hielt den Plan für die Mysteriumsabteilung nah an seinem Körper, damit er sie schnell verstecken konnte, sollte doch noch jemand hier sein.

Mit einem Kling erschien der Fahrstuhl, kurz nachdem er den Knopf gedrückt hatte. Bevor er in diesen hineinstieg, vergewisserte er sich noch, ob nicht doch noch jemand in der Halle war, doch er konnte niemanden entdecken. Als sich die Tür des Fahrstuhls geschlossen hatte und er sich in Bewegung setzte, starrte Chartrand nach links, wo ein Spiegel an der Wand hing. Er war ein etwa 1,75m großer, schlanker Mann, mit schulterlangem stumpfen hellbraunen Haar und einer riesigen Hornbrille. Langsam ging er auf den Spiegel zu und schaute sich genau an. Er war Anfang dreißig, aber trotz der kleinen Falten, die er um seinen Mundwinkel und auf seiner Stirn hatte, sah er nicht sehr alt aus. Er wusste, dass Frauen ihn normalerweise abstoßend fanden; wahrscheinlich kam dies durch die Hornbrille oder durch seine verrückte Art, und erst gestern lief er knallrot an, als ihn Margret Ross von der Kobold-Aufsichts-Behörde nach der Uhrzeit gefragt hatte, woraufhin sein Chef, Mr. Carter Morrington, ihn ausgelacht und verspottet hatte. Er würde es ihm irgendwann heimzahlen, das war für ihn klar. Aber er hatte vorher wichtiges zu tun, als seine in letzter Zeit recht häufigen Mordgedanken weiter auszuführen. Gerüchte kursierten rund um die Welt. Der, dessen Name nicht genannt werden darf, ist angeblich zurückgekehrt und wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte, war dieser an der Mysteriumsabteilung des Zaubereiministeriums interessiert, der Abteilung, in die Chartrand gerade wollte.

KLING! „Mysteriumsabteilung!" Der Fahrstuhl war unten angekommen, und nachdem Chartrand nachgeschaut hatte, ob der Gang leer war, verließ er ihn und ging so schnell wie möglich auf die schwarze Tür zu, die am Ende des Ganges war und bedrohlich hoch wirkte. Als er näher trat, hatte er diesen Eindruck jedoch nicht mehr. Nach kurzem Zögern öffnete die Tür, und fand sich in einem Raum mit schwarzen Wänden und Boden wieder, der kreisrund war und in dem man zwölf Türen finden konnte, die zwölfte Tür war die Tür, durch die der Ministeriumsangestellte gerade gekommen war. Er holte seinen Plan heraus, ließ die Tür offen stehen und schaute nach, durch welche Tür er musste. Zwei Türen rechts von ihm, das war sie; durch sie musste er gehen. Er rüttelte am Türknopf, doch sie war verschlossen, genauso wie immer. Er hatte damit gerechnet, aber man konnte es schließlich versuchen. Niemand im Ministerium hatte eine Ahnung davon, was in diesem Raum war, außer die Unsäglichen, die es nicht wagten, etwas darüber zu erzählen. Sein Pech, dass er in der Abteilung für Magisches Recht arbeitete, und nicht hier unten. Aber das war nur ein Grund, kein Hindernis.

„Alohomora!" Er versuchte sie erneut zu öffnen, aber sie blieb zu. Das Geheimnis über diese Tür musste in einem der anderen Räume liegen. Der Schlüssel zu dieser Tür war nicht hier; er musste ihn suchen. Genau das hatte er bereits getan. Seit einer Woche schlich er fast jeden Abend hier unten herum und durchsuchte die Räume; er hatte bereits die Todeskammer, den Raum der Zeit, den Gehirnraum, und den Raum des Universums durchsucht, ist aber nicht weitergekommen. Und das bei seinem Talent: was nur wenige wussten, war, dass Chartrand schon seit seiner Kindheit mit einer besonderen Menge an Intelligenz ausgestattet war. Also schaute er auf seiner Karte nach und suchte nach einem Raum, den er noch nicht angekreuzt hatte. Er hatte zwölf verschiedene Skizzen, eine für jedes Verlassen eines Raumes, damit er die Ausgangstür und die anderen Türen wieder fand. Er hatte sie sich bei seinem ersten Besuch in dieser Abteilung aufgezeichnet. Zudem, falls die Karten mal verloren gingen, verzauberte er die Ausgangstür so, dass man nur nach dem Ausgang fragen musste, damit sie sich von alleine öffnete und somit offenbarte. Von den Unsäglichen hatte bisher niemand etwas davon bemerkt.

Also ging er ein paar Türen weiter, in den Raum der Prophezeiung. Sekunden später stand er in einem kirchenähnlichen Raum, mit hunderten von Regalen und Kristallen an der Decke. Gerade durchstreifte Chartrand den ersten Gang, als er jemanden fluchen hörte. Er erstarrte, bekam sich aber schnell wieder ein und schaute die Halle entlang. Der wütende Aufschrei war von den hinteren Reihen gekommen. Schleichend bewegte er sich nun fort, und langsam kam etwas in Sicht. Er schaute auf die Reihe, aus der die Bewegungen kamen und stellte fest, dass es Nummer siebenundzeunzig war. Kaum hatte er um die Ecke geschaut, als ein markerschütternder Schrei, gefolgt von einem lauten Poltern, erschien. Mit weit aufgerissenen Augen und offen stehendem Mund erkannte er Broderick Bode, der sich nun auf dem Boden wand, und offenbar Todesqualen durchlitt.

Ihm war klar, dass er sich offenbaren musste, er konnte Bode nicht einfach hier liegen lassen und verschwinden. „Mr. Bode!" Schnell lief er auf den Unsäglichen zu, der die Augen zusammengekniffen und die Zähne gefletscht hatte. Er schrie so laut, dass Chartrand sich sicher war, dass es jeder im Ministerium hören musste, der noch hier war, und hilfesuchend blickte er sich um, doch er entdeckte nichts. Bode war nicht verletzt, körperlich schien es ihm eigentlich gut zu gehen, abgesehen von den Schmerzen. Und als Chartrand ihm auf die Beine helfen wollte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und eine gedehnte Stimme hinter seinem Rücken. „Chartrand? Sind Sie es?"

Chartrand drehte sich blitzschnell um. Er hatte den Mann bereits erkannt, bevor er ihm ins Gesicht blickte. Es war Lucius Malfoy, ein ständiger Besucher des Ministeriums und guter Freund des Zaubereiministers Fudge. „Mr. Malfoy! Sie müssen mir helfen", flüsterte er hektisch, lief puterrot wie immer an, wenn ihn jemand ansprach, und versuchte immer noch, Bode auf die Beine zu hieven. „Kommen Sie. Helfen Sie mir, er ist zu schwer." „Interessant", murmelte Malfoy und schien mehr mit sich selbst zu sprechen als mit Chartrand, „Sehr interessant. Jemand Außenstehendes kann sie nicht berühren…was tun Sie hier unten, Chartrand?" „Ich habe einen Schrei gehört", antwortete Chartrand blitzschnell, „Da bin ich runtergekommen."

„Einen Schrei?" wiederholte Malfoy leise, „Was tun Sie um diese Zeit überhaupt noch hier? So weit ich weiß, haben Sie bereits Feierabend, oder? Carter Morrington sagte mir, er sei der Letzte, der täglich das Büro für Magisches Recht verlässt. Aber er ist schon weg. Wie kommt das?" „Das tut doch jetzt nichts zur Sache", schrie Chartrand aufgeregt, „Jetzt helfen Sie mir, er stirbt sonst!" „Er wird nicht sterben", flüsterte Malfoy, „Er nicht. Wann sind Sie gekommen?" „Eben gerade. Ich hab Ihnen doch gesagt, dass ich ihn schreien gehört habe." „Dann verschwinden Sie." Malfoy sah sich um, und schaute auf das Regal, an dem Bode anscheinend zugange war und ging wohl fälschlicherweise davon aus, dass Chartrand nicht bemerkt hatte, was Bode vorher tat. „Ich werde mich um ihn kümmern." „Aber…"

„Kein Aber, Chartrand, Sie verschwinden jetzt von hier!" Malfoy hörte sich nun ungeduldig und wütend an. „Oder ich werde den Sicherheitsbeauftragten rufen und Sie verlieren Ihren Job. Das wollen Sie doch nicht, oder?" „Natürlich nicht". Chartrand hievte Bode in Malfoys Arme und verließ die Halle der Prophezeiungen schnell. Über die Prophezeiungen wusste er bescheid, im Gegensatz zu Malfoy. Man konnte sie nicht berühren, wenn sie jemand anderen meinte. Und ganz offenbar wollte Bode eine Prophezeiung stehlen, das war sicher.

Ein fahlgesichtiger hakennasiger Mann mit schwarzen fettigen Haaren saß im Wohnzimmer seiner neuen Bleibe und las ruhig ein Buch, während hinter ihm der Kamin knisterte und er seine Lippen beim Lesen bewegte. Draußen vor dem Fenster wütete ein Unwetter, es war mitten in der Nacht, und dementsprechend überrascht war er dann natürlich, als es laut an der Tür klopfte. „Ich bin es, Wurmschwanz, bitte mach auf!" rief eine laute quiekende Stimme. Der hakennasige Mann eilte zur Tür, öffnete sie und ließ seinen klitschenassen Gast hinein, mit leicht geöffnetem Mund und geweiteten Augen.

„Ist etwas passiert?" rief er schnell und schloss die Tür hinter sich. Wurmschwanz rang nach Luft und brauchte einige Sekunden, um sprechen zu können. Seine Augen waren vor Schreck aufgerissen. „Snape, es ist Potter", schrie er aufgeregt, „Es geht um Potter! Chartrand und de l'Epinard haben ihn angegriffen. Es sind etwa zwei Dutzend da. Vor ein paar Minuten traf der Phönixorden ein und Auroren kamen hinzu, um unsere Leute in Beschlag zu nehmen. Du musst mitkommen, Severus." Er packte Snape am Kragen und kam beunruhigend nah an sein Gesicht, „Chartrand will Potter töten." „Was!" rief Snape entrüstet, „Potter gehört dem Dunklen Lord. Nur er wird Potter töten." „Erzähl das Chartrand", erwiderte Wurmschwanz. Er war nun nicht mehr hektisch und panisch, sondern ruhig und starrte Snape bedacht und angestrengt an. „Er denkt, dass der Dunkle Lord ihn mehr ehren wird als jemand anderen. Sogar mehr als dich, Severus."

Snape blinzelte und starrte Wurmschwanz einige Sekunden lang an. Sein Mund wurde sehr schmal und seine Zunge berührte kurz seine Oberlippe und verschwand anschließend wieder. „Komm mit!" sagte er schließlich, riss die Tür auf und verschwand aus dem Haus. Mit einem triumphierenden Grinsen folgte ihm die Ratte.

Auf dem Ziffernblatt des Kalenders auf seinem Schreibtisch stand eine große 27, und heute hatte Quentin Chartrands erster Arbeitstag nach seinem anstrengenden November-Wochenende begonnen. Mit einem Blick zur Seite starrte er in den Spiegel und stellte fest, dass er genauso aussah wie immer: lange hellbraune Haare, klein, dünn, Hornbrille, schweißnasses Gesicht.

Draußen in der Zaubererwelt war es schlimmer denn je, und umso hektischer war es dann natürlich auch hier im Zaubereiministerium. Die Gerüchte stimmten, Der, dessen Name nicht genannt werden darf, war zurückgekehrt und wieder an der Macht. Mit seiner Vermutung bezüglich Broderick Bode hatte er Recht gehabt; die Todesser, Anhänger des Unnennbaren, wollten eine Prophezeiung stehen, aber mit einer Sache hatte er nicht gerechnet: Lucius Malfoy wurde gefasst. Er wusste, dass Malfoy kein angenehmer Zeitgenosse war, oder einfach jemand, dem man gerne mitten in der Nacht in der dunklen Mysteriumsabteilung begegnen wollte, aber er hatte nicht mit so etwas gerechnet. Vielleicht bestach Malfoy verschiedene Leute, vielleicht erpresste er Menschen, die er verachtete, aber nachdem Chartrand den Bericht im Klitterer gelesen hatte, in dem Harry Potter Lucius Malfoy als Todesser beschuldigte, wurde er nachdenklich.

Mittlerweile hatte er nun einen neuen Chef, Rufus Scrimgeour, der Fudge abgelöst hatte. Sein Abteilungsleiter jedoch blieb der gleiche: der ekelerregende, widerliche und fiese Carter Morrington. Und als hätte man Chartrands Gedanken gelesen, kam Carter in diesem Augenblick in das Büro hinein, las einen Bericht durch und würdigte Chartrand keines Blickes. „Mr. Morrington?" Carter ließ ein „Mmmh" hören, blickte aber nicht auf, als er sich hinter seinen Schreibtisch setzte und weiterhin seinen Bericht las. Zum Lesen hatte er eine feine Lesebrille aufgesetzt. „Mr. Morrington, es ist folgendes." Chartrand zögerte und lief rot an, weshalb es ihn doch ein wenig freute, dass Carter nicht aufblickte. „Ich habe eine Frage." Nun sah Carter doch auf, mit leicht hochgezogenen Augenbrauen und interessiertem Blick. Erneut zögerte Chartrand und wusste nicht, was er sagen sollte.

„Professor Dumbledore, von der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei, war heute früh hier und hat nach ihnen gefragt", sagte er schnell, „Ich habe gefragt, ob ich Ihnen was ausrichten könnte." „Und was wollte er?" fragte Carter, seinen unhöflichen Unterton immer noch in der Stimme, sodass Chartrand das Verlangen spürte, eines der Geräte von Carters Schreibtisch zu nehmen und ihm damit den Kopf einzuschlagen. „Ich – genau weiß ich es nicht, Sir, aber…" Carter starrte ihn immer noch wartend und schweigend an. „…aber es schien wirklich wichtig zu sein. Er hat gesagt, dass Sie ihn mit einer Eule kontaktieren sollen." „Und Sie konnten ihn nicht fragen, was genau er wollte?" fragte Carter bissig. „Oder haben Sie sich das mal wieder nicht getraut. Menschenscheu ist nichts schlimmes, Chartrand, ich bin sicher, Dumbledore würde es verstehen."

Chartrand wurde noch röter und wollte nun nicht mehr eines der Geräte als Schlagwerkzeug nehmen, sondern Carter höchstpersönlich erwürgen. In diesem Moment jedoch ging die Tür auf und ein kleiner dicker Mann mit Halbglatze kam ins Büro geschritten. „Morrington, Scrimgeour möchte Sie sprechen", sagte er mit tiefer und rauer Stimme. „Danke, Laurnent". Hiermit stand Carter auf, warf Chartrand noch einen verächtlichen Blick zu und verließ das Büro. Der Mann namens Laurnent kam auf Chartrand zu. „Ich hab gehört, was er zu Ihnen gesagt hat", sagte er leise, „Behandelt er Sie immer so, Chartrand?"

„Mich stört es nicht", gab Chartrand lügend von sich. „Ich an Ihrer Stelle würde vor Wut rasen. Aber Sie müssen wissen…er war nie ein angenehmer Typ. Manche Leute hier im Ministerium glauben, er hat Kontakte zu Todessern." Chartrand schwieg einige Sekunden, bevor er wieder das Wort ergriff, „Zu Todessern?" Laurnent nickte. „Ganz genau. Aber warum sind Sie so schockiert? Sind die Todesser denn wirklich so schlimm?" Er kam nun ganz nah an Chartrand heran und auf Chartrands Stirn bildeten sich Schweißtropfen, die rasch seine Nase hinunterliefen. „W-was wollen Sie damit sagen?"

„Mein lieber Quentin, stört es Sie denn eigentlich nicht, dass Ihr Abteilungsleiter solche Aufmerksamkeit bekommt und Sie hingegen sind für die meisten Leute hier drin nicht einmal anwesend? Würden Sie selbst gerne derjenige sein, über den man überall reden würde?" Chartrand wusste, dass er genau dies wollte, aber er würde es Laurnent nicht einfach so auf die Nase binden. Was in seinem Kopf vorging, ging niemanden etwas an, schon gar nicht irgendwelche fremden Leute wie Laurnent. „Ich bin mir sicher, dass Sie das wollen", fuhr Laurnent vor, als Chartrand nicht auf seine Frage antwortete, „Ich habe Möglichkeiten, Sie aufsteigen zu lassen, Chartrand. Ich kann Sie zu einem Menschen machen, dem mehr Respekt und Furcht zugezollt wird wie jetzt, viel mehr."

Chartrand hatte keine Ahnung, wovon Laurnent redete und eigentlich war es ihm auch egal, wenn Laurnent sich nur nicht so furchtbar glaubhaft angehört hätte. „Aber wenn Sie nicht wollen…" Laurnent drehte sich um und marschierte zur Tür. Chartrand starrte ihm hinterher und Laurnent war schon fast draußen, als… „Warten Sie!"

In der Gegenwart wartete die vermummte Person, die einen Plan mit Peter Pettigrew hatte, in seiner dunklen Wohnung und starrte ungeduldig auf die Uhr. Er ging im Zimmer hin und her und hatte dabei immer das Fenster im Blick, um sein Zeichen abzuwarten, dass Peter ihm schicken würde, sobald er mit Snape am Hafen angekommen war. Und das war gut so, er hatte es mit Peter genauestens abgesprochen. Am Hafen fand gerade eine große Feier statt, mit allem drum und dran. Und in ein paar Minuten würde dort ein Feuerwerk stattfinden, sodass die Nachricht, die Peter ihm schicken würde, nicht auffällt.

Danach würde er seine Kräfte in Bewegung setzen und den eigentlichen Plan durchführen. Mord. Er würde heute Nacht einen Mord begehen, und wenn er an das Gesicht von Snape dachte, juckte es ihm schon in den Fingern. Und er war sich sicher, dass Peter es schaffen würde. Seine Aufgabe war schließlich nicht schwer, und er hatte alles bedacht, sodass Snape Peter einfach folgen musste. Etwas anderes wäre idiotisch; Snape würde die Todesser Potter nicht töten lassen, er würde sie zurückhalten und Potter dem Dunklen Lord überbringen.

Gerade als er daran dachte, wie er aufsteigen würde, wenn Snape und somit sein größtes Hindernis nicht mehr am Leben war, sah er es: Zwischen dem orangefarbenen Feuerwerk, das losbrach, und den gelben und roten Raketen und Lichtern, sah er die grünen Funken, auf die er gewartet hatte. Mit festen Händen packte er seinen Zauberstab und grinste in sich hinein, während sein Herz mitten im Adrenalin aufgeregt zu rasen anfing. „Es geht los!"