Wie schlimm wird es werden?

Erst hier im Fuchsbau wurde Harry ein weiterer Blick auf alles möglich, denn bei den Dursleys hatte er sich nicht darum geschert, was in der restlichen Zaubererwelt vor sich ging. Hier bei den Weasleys lag der Tagesprophet herum, der von vergangene und aktuellen Schreckenstaten berichtete. Vor allem die Erinnerung an die früheren Attentate von Lord Voldemort und seinen Todessern versetzten die Menschen in Panik. Doch noch gab es keine großen Angriffe zu verzeichnen. Es waren kleine Grausamkeiten gegen einzelne Geschäfte und Wohnhäuser von Muggelgeborenen, die die Nerven langsam, aber sicher zermürben sollten.

Dazu kamen die eher beunruhigenden Erklärungen des Ministeriums, dessen Arbeit an einem Ausbau der Aurorenabteilung, einem Zentrum für Selbstverteidigung und eines Netzes von Fluchtorganisationen sich furchtbar hinzog.

Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit Aufräumen, Putzen und Reparieren. Ron bestand darauf, dass sie, wie geplant, sein Zimmer neu strichen. Er, Harry und Dean hüllten sich fast gänzlich in alte Zeitungen und bewaffneten sich mit Pinseln, Klebeband und einer terpentinähnlichen Tinktur, die entsetzlich stank. Sie hatten alle Möbel auf dem Flur geschoben und begannen, nachdem sie die Ecken und Kanten halbherzig abgeklebt hatten, fröhlich zu malen. Ginny, die herein kam und ihnen Saft brachte, meinte, es sähe schrecklich amateurhaft aus, weswegen Ron sie raus warf.

Hermine beratschlagte sich in der Zwischenzeit mit Mrs. Weasley und Amber, wo sie ihre Eltern für eine Nacht unterbringen konnten, da die schlechte Zuganbindung des Dorfes sie hier eine Nacht festhalten würde. Außerdem würde Professor Lupin für die Zeit bis zum Schulanfang bei ihnen wohnen und Mad-Eye Moody bräuchte wohl auch für zumindest eine Nacht ein Bett, da er ihn bringen und einmal nach dem Rechten sehen wollte.

Als die Jungen am Nachmittag aus Rons Zimmer kamen, verkrustet und verschmiert, doch wahnsinnig stolz auf sich und ihr Werk, saßen Hermine und Ginny draußen in der Sonne und diskutierten Ginnys Stundenplan. Die Schüler des fünften Jahres würden ebenfalls die Crashkurse absolvieren. Daneben gab es die üblichen Pflichtfächer und einige Nebenfächer zur Auswahl. Ginny ärgerte sich darüber, dass die Älteren eine sehr viel breitere Auswahl besonders in Verteidigung gegen die dunklen Künste hatten.

„Ginny, das hat garantiert keinen Einfluss auf eure Ausbildung!" versicherte Hermine ihr bereits zum dritten Mal, „Professor Lupin wird euch unterrichten; das sagt ja wohl alles! Wir müssen doch auf unsere Berufswahl achten! Das heißt aber nicht, dass ihr vernachlässigt werdet! Gerade jetzt. Ihr werdet gut vorbereitet sein ... auf was auch immer da auf uns zukommt!"

Ginnys Blick verschleierte sich etwas und Hermine räusperte sich und wechselte das Thema: „Und, fährt Dean morgen wieder?"

Ginny nickte: „Er hat noch eine Hausaufgabe für Zaubertränke, die er fertig stellen muss und nachdem er genügend Tipps von dir bekommen hat, fühlt er sich imstande, den Rest selbst zu verfassen. Außerdem kommen seine Großeltern noch zu Besuch und würden ihn gerne sehen."

„Klar!"

„Hey, Mädels!" Ron, Harry und Dean ließen sich neben die beiden fallen.

„Hey!" kam die Antwort etwas lahm.

„Warum seid ihr so trübsinnig?" wollte Dean wissen und Ron sah Hermine, die im Schneidersitz saß und ihren Blick weit schweifen ließ, prüfend an.

„Wir denken ein bisschen darüber nach, wie es wohl werden wird." sagte Ginny unbestimmt.

„Was?"

„Das nächste Schuljahr."

„Oh."

„Ich meine, wer kommt wohl alles wieder und wer bleibt weg? Was werden die anderen Schüler erzählen und was werden sie erst fragen?" Ginny schauderte ein bisschen und Dean legte fürsorglich einen Arm um sie.

Harry beobachtete sie interessiert. Er hatte sich bisher noch nicht wirklich viele Gedanken darüber gemacht, wie Ginny die Ereignisse im Ministerium verarbeitet hatte. Dass Luna das alles so ziemlich kalt gelassen hatte, dachte er sich. Von Neville wusste er, dass er noch manchmal schlimme Träume hatte. Hermine meinte, es würde ihr immer besser gehen, nur ab und an täte die Rippe noch etwas weh. Meist bei schlechtem Wetter; wie Rheuma bei einer alten Frau, hatte sie geschimpft. Ron war in einer Nacht keuchend aufgewacht und hatte Harry angsterfüllt gefragt, ob das Gehirn unter´s Bett gehuscht wäre. Harry hatte nein gesagt und ihn wieder zugedeckt. Es tat ihm beinahe körperlich weh, dass er nicht mehr Mitleid für seine Freunde empfinden konnte. Nicht, dass es ihn gar nicht kümmerte, aber er hatte das starke Gefühl, dass es ihm nicht so Leid tat, wie es ihm hätte tun müssen.

Ginny lehnte sich gegen Dean und seufzte.
Hermine machte ein trauriges Gesicht: „Vielleicht kommen etliche gar nicht wieder. Vielleicht misstrauen sie Dumbledore und fürchten, dass sie in Hogwarts nicht sicher sind."

Harry dachte, dass sie gar nicht so Unrecht damit hätten, Dumbledore zu misstrauen. Einem alten Mann, der zu viel nachdachte und darüber die falschen Dinge tat und sagte. Einem alten Mann, der es „Liebe" nannte, wenn er lebenswichtige Dinge verschwieg und Tatsachen verbog, so dass sie ihm gelegen schienen. Harry presste die Faust gegen die Stirn. Alle sahen ihn an, doch er reagierte nicht.

Dann meinte Ron: „Vielleicht bleibt Malfoy mit seinem hirnlosen Gefolge weg! Das wäre doch ein Grund zur Freude!"

Hermine lächelte leicht und Dean nickte begeistert: „Das wäre es allerdings!"

„Was es wohl mit all diesen Schutzzaubern auf sich hat?" fragte Ginny halblaut, „Ob wieder Dementoren aufs Schulgelände kommen oder irgendwelche anderen bodyguardähnlichen Viecher?" Alle schauderten und Harrys Magen krampfte sich bei der Erinnerung an die grausamen Dementoren zusammen.

„Also, die werden ganz sicher nicht wieder kommen! Dad sagt, sie haben Askaban verlassen und stehen momentan nicht unter der Kontrolle des Ministeriums!"

„Dann ist es nur eine Frage der Zeit, dass sie sich Voldemort anschließen!"

„Harry!" Hermine klang furchtbar erschrocken, „Meinst du das ernst?"

„Natürlich! Er schart dunkle Geschöpfe um sich und was könnte finsterer sein als so ein verdammter Dementor?"

„Ich frage mich, wie der Unterricht aussehen wird!" sagte Hermine nach einer Weile, „Werden sie uns ermahnen, wenn wir zu laut sind oder sagen sie einfach: „Leute, wenn ihr nicht zuhört, kostet euch das höchstwahrscheinlich einmal das Leben!" Das wäre grausam!"

„Das wäre es, aber wahrscheinlich ist es tatsächlich so! Snape wird es auf jeden Fall genießen, uns einschüchtern zu können!"

„Er müsste mittlerweile über so etwas hinweg sein!" meinte Hermine, doch Harry lachte kurz freudlos auf: „Wir wissen, dass er es nicht ist, Hermine! Er ist weder über mich noch über meinen Vater und seine Freunde hinweg und das ist schon 20 Jahre her!" Dean und Ginny sahen ihn verständnislos an, doch Ron nickte langsam: „Die Sache mit seinem Denkarium und dem Unterricht für dich erklärt einiges!"

„Was ist eigentlich mit dem Okklumentik-Unterricht?" hakte Hermine sofort nach.

„Dumbledore kümmert sich darum!" sagte Harry und während er es sarkastisch meinte, wirkte Hermine beruhigt und erleichtert, „Aber er hat ..." Harry brach ab. Er hatte sagen wollen, dass sogar Dumbledore zugegeben hatte, Snape zuviel zugetraut zu haben. Kompetenz und Sachlichkeit und Größe, die dieser nicht gehabt hatte; nie haben würde. Er schüttelte den Kopf und rupfte ein paar Grashalme aus.

Ron stöhnte frustriert und Hermine sah Harry so fest an, dass man meinen könnte, sie wolle die Worte mit Gewalt aus ihm heraus ziehen.

„Was ist mit den Muggelleuten?" fragte Ginny in die Stille und alle sahen sie einigermaßen verschreckt an, „Wir wissen, dass Voldemort für eine reinblütige Zaubererschaft ist. Ob er versuchen wird, Muggelgeborene und ihre Familien anzugreifen?"
Hermine keuchte auf.

„Ich wollte euch keine Angst machen, aber das ging mir gerade durch den Kopf!" sagte Ginny schnell, der es schon Leid tat, ihren Gedanken laut ausgesprochen zu haben. Harry sah sie an. Er sah sie einfach nur an, doch unter seinem ruhenden, nicht einmal unfreundlichen Blick fühlte Ginny sich sichtlich unwohl und wand sich etwas.

„Es werden Vorbereitungen getroffen werden, falls es so weit kommen sollte!" sagte Ron bestimmt und ließ Hermine wieder los, „Mein Dad regelt das mit dem Büro für muggelgerechte Entschuldigung und dem für Magisches Recht. Er sagte erst letztens, dass sie darüber nachdenken, was sie für Muggelfamilien mit magischem Nachwuchs legal tun können und welche Gesetze sie umschreiben oder gegebenenfalls brechen müssen."

Hermine nickte wie in Trance und wischte sich eine verirrte Träne von der Wange: „Übermorgen kommen meine Eltern erst mal her und dann überlegen wir noch mal, ja? Ich übersteh´s nicht, wenn ihnen was passiert!"
Ihre Stimme war immer leiser geworden und Ron legte den Arm um sie. Er legte sein Kinn auf Hermines wirre Haare und schloss für eine Sekunde die Augen. Harry sah das und begriff. Er begriff, wonach ihn Ron letztens fragte und was er zuerst nicht verstanden hatte. Er begriff, warum Ron so dermaßen komisch und bald schon aggressiv reagierte, wenn Hermine ihm irgendwie zu nahe kam. Und er begriff, warum Ron jetzt mit einem unbeschreiblichen Blick sich von Hermine löste.

„Was wird ... Voldemort wohl als nächstes unternehmen?" fragte Dean leise und zögerlich und sah in die Runde.

„Keine Ahnung!" sagte Harry, als hätte Dean ihn direkt gefragt. Prompt hefteten sich alle Blicke an ihn. Als hätte er sich nicht mehr wirklich unter Kontrolle sagte Harry tonlos: „Ich weiß, ich müsste es wissen, aber ich weiß es nicht. Er hat sich lange nicht mehr gemeldet. Aber ich denke, wir werden es bald herausfinden!" Er sah auf und runzelte verärgert die Stirn, da ihn noch immer alle anstarrten.

„Harry, was wirst du damit zu tun haben?" kam es von Hermine in einem unsagbar ängstlichen Tonfall, „Was, glaubst du, wird es mit dir zu tun haben?"

„Wie schlimm wird es diesmal werden?" fügte sie kaum hörbar und furchtbar heiser hinzu.

Harry atmete schwer aus: „Ich weiß es nicht!"

„Worüber hast du mit Dumbledore gesprochen, nachdem ...? fragte Ron und Harry starrte ihn wutentbrannt an, um ihn zum Schweigen zu bringen, bevor er ihn anschreien würde.

„Hat er dir irgendetwas gesagt, wie ...?"

„NEIN! Hat er nicht und jetzt lasst mich damit in Ruhe! Ihr habt ja alle so was von keine Ahnung!"

„Und wir werden auch nie eine haben, wenn du uns ständig so stehen lässt!" brüllte Ron und Harry sprang auf. Er drehte sich abrupt weg und schlug den Weg zum Bach ein. Innerhalb von zwei Sekunden war Ron auf den Füßen und machte Anstalten, ihm zu folgen und oder ihm hinterher zu schreien. Hermine schossen Tränen in die Augen und Ron ballte wütend die Fäuste.

Sie waren übereingekommen, dass sie es alle versuchen und ihr Bestes geben wollten, doch nachdem Harry den ganzen Vormittag beim Streichen gerade mal einmal gelächelt und exakt fünf Sätze gesprochen hatte, war Ron fassungslos und verärgert. Wie konnte Harry sich nur so dermaßen verschließen?

„Ich geh rein!"

Hermine sah Ron nach, wie sie eben Harry nachgesehen hatte und war nahe daran, in Tränen auszubrechen ob der Tatsache, dass die beiden Freunde sich auf diese Weise voneinander entfernten. Plötzlich wünschte sie sich stark, dass Professor Lupin endlich kommen würde. Hermine war sich sicher, dass er Harry helfen konnte. Mrs. Weasley versuchte, Harry so oft wie möglich in den Arm zu nehmen, doch er wich ihr aus. Mr. Weasley hatte versucht, ernst mit Harry zu reden, doch Harry hatte ihm versichert, keine Hilfe zu brauchen. Und nachdem er sich ihr und Ron so hartnäckig verschloss, war Lupin wohl ihre letzte Chance.

Harry hockte sich an das kleine Ufer, wippte leicht und biss sich auf den rechten Handrücken. Seine Augen brannten, doch es wollten keine Tränen fließen. Er war der Einzige! Der, auf den es ankam. Er würde töten oder selbst getötet werden. Und er konnte es keinem sagen!

Was hielt Voldemort eigentlich davon ab, ihn jetzt aufzuspüren und zu erledigen, während er sich im Fuchsbau mit so elementaren Dingen wie Zimmer streichen und Briefe lesen beschäftigte? Warum kam er nicht einfach an und richtete den Zauberstab auf ihn? Oder noch besser: Wieso schleuste er sich nicht in Harrys Geist ein und ließ ihn irgendwelche verqueren Dinge tun, die damit endeten, dass jemand starb; das hatte doch letztes Mal so gut funktioniert.

Seit den ersten Wochen in den Ferien hatte er die Bücher über Okklumentik und Legilimentik nicht mehr angefasst. Sie wirkten manchmal arg albern.

Harry schniefte und schloss die Augen. Er fühlte sich mittlerweile im Fuchsbau wie in einem Wartezimmer. Es war, als würde er jeden Moment raus gerufen werden mit den geduldig-gelangweilten Worten: „Kommen Sie, Mr. Potter, Sie wissen doch, dass Sie hier nicht hingehören und das wesentlich wichtigere Dinge auf sie warten!"

Es konnte jeden Augenblick vorbei sein! Jetzt! Gleich!

Sollte er da nicht wenigstens versuchen, mit Ron und Hermine zusammen zu sein, wie sie es früher waren? Einigermaßen glücklich und vergnügt? Er wusste, dass er verdammt unfair zu ihnen war. Wenn er allein herumsaß, spürte er dies umso mehr. Doch sobald er wieder vor ihnen stand, fiel es ihm zu schwer, das zu erklären, sich zu entschuldigen oder schlicht und ergreifend auszusprechen, was ihm auf dem Herzen lag.

Aber was lag dort? War es nicht viel zu viel? Viel zu viel für ein einziges Herz; für einen einzigen Menschen? Viel zu viel, um es laut zu sagen; um es in sinngebende Worte zu fassen?
Oder beschwerte es ihn mehr, all dies in sich zu behalten?

Harry stöhnte und wischte sich über die Augen, die immer noch nicht weinen wollten. Er hatte das Gefühl, zerplatzen zu müssen. Oder laut zu schreien, bis in seinem Inneren endlich wieder Platz und Luft wäre für andere Dinge.

Platz für Ron und Hermine. Die erste Träne floss.

Weg mit all den vorwurfsvollen Fragen.

Weg mit der Trauer um Sirius.

Weg mit der lähmenden Angst wegen der Prophezeiung.

Weg mit den Sorgen, die das nächste Schuljahr mit sich bringen würde.

Wer kam zurück und wer blieb weg?

Harry wusste nur, er und Ron und Hermine würden wieder da sein. Wie immer. Und irgendeine Katastrophe würde passieren. Auch wie immer. Nur, dieses Mal war es gar nicht so sicher, dass sie es alle überlebten. Schließlich hatte es schon Cedric nicht überlebt.

Die nächste Träne suchte sich den Weg über Harrys blasse Wange.

Sirius hatte es nicht überlebt.

Harry vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte.

Endlich! Wenigstens weinen!

„Ron?" fragte Hermine vorsichtig, als sie ins Wohnzimmer kam. Ron saß in einem der Sessel vor dem Kamin und starrte wütend in die kalte Asche.

„Wir wollen mit den Gnomen anfangen. Kommst du auch raus?"

„Hm."

„Nimm es dir nicht so zu Herzen, Ron! Ich glaube ..."

„Es mir nicht zu Herzen nehmen! Sag mal, spinnst du?" fuhr Ron auf, so dass Hermine zurück zuckte, „Mein bester Freund schleicht hier seit Tagen rum und leidet und spricht kaum und weint jede verdammt Nacht im Schlaf, obwohl er davon überzeugt ist, nichts zu träumen! Er hat den Menschen verloren, an den er sich total geklammert hat, in der Hoffnung, er könnte für ihn der Vater sein, den er nie hatte; mit dem er eine Familie sein wollte! Ich weiß, wie schlecht es ihm geht, aber ich kann ihm nicht helfen und da sagst du, ICH SOLL ES MIR NICHT ZU HERZEN NEHMEN?" Ron war aufgesprungen und funkelte Hermine wütend an. Sie war zwei Schritte von ihm weggewichen und biss die Lippen fest aufeinander.

Dann sagte sie gepresst: „Aber du hilfst ihm doch; merkst du das denn nicht? Du bist da! Und du beruhigst ihn, wenn er träumt und du fragst, wie es ihm geht. Du beschäftigst ihn und du redest mit ihm. Damit hilfst du! Aber du hilfst ihm nicht, wenn du ihm Vorwürfe machst und ihn anzickst, nur weil du nicht begreifst, dass das, was du tust, ihm genügt!"

„Es genügt ihm eben nicht, Hermine, und das ist das, was du entweder nicht einsehen willst oder nicht einsehen kannst!" sagte Ron in einem leicht traurigen Tonfall und dann wandte er sich ab.

„Aber ... er wäre allein ohne uns und ..."

„ER IST ALLEIN! Er verschanzt sich in seinem Kopf und lässt nichts raus von dem, was er fühlt! Er hat panische Angst vor einer Sache, die er mir nicht erzählt! Wenigstens hat er einmal nachts mit mir gesprochen, aber einmal ist verdammt noch mal noch lange nicht genug! Wenn er mich dann aber später so anfährt, dann ..." - Er hob die Arme und ließ sie kraftlos fallen. - „ ... dann kann ich nichts machen!"

„Er wird mit dir reden! Wenn er soweit ist. Vielleicht muss er sich die Worte erst zurecht legen. Es ist nicht leicht, so etwas zu sagen! Wir können ihm nur immer wieder anbieten, mit uns zu reden, aber wir sollten ihn nicht so bedrängen!" sagte Hermine verteidigend und in einem für Ron in diesem Moment zu vernünftigen Tonfall.

„Das kann dich doch gar nicht so kalt lassen, verflucht noch mal!" schrie Ron Hermine mitten ins Gesicht.

Harry, der sich hereingeschlichen hatte, hörte diesen letzten Satz und war mit einem Schritt von der Küche ins Wohnzimmer gesprungen: „Ron, Hermine, streitet nicht wegen mir!"

Beide sahen ihn total fassungslos an. Dann brach Hermine in Tränen aus und rannte an Harry vorbei durch die Küche ins Freie. Ron starrte ihn an. Hasserfüllt? Traurig?
Harry konnte es nicht ausmachen.

Ron öffnete den Mund, um etwas zu sagen, entschied sich dann aber, es nicht zu tun. Offensichtlich, da er es bereuen würde. Er ging ebenfalls an Harry vorbei die Treppe hoch.

Etwas später im Garten: „Harry, würdest du bitte diesen armen Gnom loslassen und mir mal zuhören?" Entnervt drehte Harry sich zu Bill um: „Was?"

„Ihr könnt euch doch nicht zoffen! Nicht, bei all dem, was hier sonst schon abgeht! Jetzt reißt euch gefälligst alle zusammen! Weißt du, dass ich es nicht einsehe, dich zu bemitleiden?"

Erstaunt ließ Harry den Gnom, den er gerade über die Hecke hatte schleudern wollen, fallen. Zum Dank biss ihn dieser ins Bein und huschte dann meckernd lachend davon.

„Tatsächlich?"

„Du könntest es hier fast gut haben, wenn du nicht alle vor den Kopf stoßen würdest!"

Harry schnaubte und drehte sich wieder weg: „Und ich dachte schon, jetzt kommt mal was Neues!"

Bill zuckte etwas zusammen, versuchte es aber weiter: „Ron gibt sich solche Mühe und was machst du?"

„Leiden, Bill! Sieht man das nicht!"

„Aber es wäre alles halb so schlimm, wenn du es mit jemandem teilen würdest! Es täte nicht ganz so weh; da bin ich mir hundertprozentig sicher!"

„Ich will aber gar nicht, dass es nur halb so weh tut!" sagte Harry in einem gefährlich ruhigen Tonfall, „Ich will, dass es so doll schmerzt, wie es nur kann, damit ich merke, dass ich noch am Leben bin! Das ist mittlerweile alles, was ich noch habe! Schmerz und Angst, weil ..."
Er brach ab.
„Weil was?" fragte Bill, der nun doch wegen dieser heftigen Reaktion, mit der er nicht gerechnet hatte, verunsichert war.

Harry schüttelte den Kopf: „Siehst du, Bill? Du weißt ungefähr ein Fünftel von dem, was mich bedrückt!" Und damit ließ er ihn stehen.

Vor Rons Zimmer: „Ronnie, jetzt mach mal auf! Mum sagt, wir sollen uns um dich kümmern, sonst wirft sie uns raus!"
Fred und George versuchten jetzt schon seit geschlagenen 20 Minuten, an Ron heran zu kommen, welcher sich in seinem frisch gestrichenen Zimmer vergraben hatte.

„Sie meint es ernst, also könntest du vielleicht etwas brüderlichen Kameradschaftsgeist zeigen und uns reinlassen!"

„Nein!"

„Guck mal, Ron. Du machst grad genau das, was du Harry immer vorwirfst! Du verkriechst dich!" sagte George berechnend und sein Zwillingsbruder schaute ihn bewundernd an. George reckte einen Daumen in die Luft und dann horchten beide, wie Ron die Tür aufschloss: „Und was habt ihr Weltbewegendes zu sagen?"

„Eine ganze Menge!" Die beiden traten ein und schmissen sich aufs Bett.

Im Wohnzimmer: „Hermine?"

„Ja, Mr. Weasley?"

„Schaust du mich bitte einmal an? ... Ach, ich wusste es doch! Du hast geweint! Willst du mir sagen, worum es geht?"

„Naja, Harry, worum sonst?" hauchte Hermine und nahm dankbar das Taschentuch, das Mr. Weasley ihr reichte.

„Ich kann dir da kaum etwas sagen, Hermine! Du weißt, was mit ihm los ist und ..."

„Ron sagt, ich weiß es nicht und mich würde das kalt lassen!"

„Nun, die Tatsache, dass du hier sitzt und weinst, entkräftet zumindest den letzten Vorwurf!"

Hermine lächelte leicht.

„Und selbst wenn du nicht weißt, was los ist, du tust dein Bestes, hab ich nicht Recht?"

Hermine nickte: „Ich glaube, wenn wir ihm nur genug Zeit lassen; so viel er braucht; dann kommt er zu uns und redet mit uns! Er muss jetzt erst mal für sich allein trauern und dann, wenn er weiß, was er sagen soll, spricht er mit uns! Und ich denke, je mehr wir ihn jetzt bedrängen, desto mehr nerven wir ihn!"

„Das ist gut möglich, Hermine!"

Wieder bei Ron: „Ron, weißt du, du solltest Hermine nicht so anbrüllen! Das arme Mädel kann doch auch nichts dafür, dass wir hier alle in einer solch bescheuerten Situation sind!"

„Und sie macht auch nur, was sie für richtig hält; genau wie du!"

„Aber sie hat Unrecht!" widersprach Ron und zuckte beim Klang seiner eigenen Worte zusammen. Noch nie war es ihm in den Sinn gekommen, dass Hermine bei einer Sache einmal nicht das Richtige tat. Er war überzeugt davon, dass Harry nicht von sich aus auf sie zukommen würde. Sie mussten ihn nerven, um an ihn heran zu kommen.

„Meinst du?" Fred zweifelte doch stark daran, dass Ron etwas besser wissen wollte als Hermine.

Ron hörte das am Tonfall und wutentbrannt sprang er auf. „Ihr haltet mich auch für einen kompletten Idioten, oder? Ich bin der Dumme, der nie Recht hat; der alles falsch macht; der nur Fehler macht! Ich bin ein kleines Anhängsel, dass sich von der allwissenden Hermine die Hausaufgaben machen lässt und dem heldenhaften Harry Potter hinterherdackelt, wenn er sich entscheidet, Auror zu werden!"

„Hä? Ich glaub, du verlierst den Faden, Ronnie!"

Doch Ron war nicht zu bremsen: „Ich bin nur dabei, damit etwas schief gegen kann! Ich bin überflüssig und tollpatschig und unwissend und unselbstständig und unfähig, meinem Freund zu helfen! Alle Welt erwartet nie etwas von mir und gleichzeitig so viel Selbstverständliches! Ich falle nie auf; ich steche nie heraus, weil ich etwa besonders gut gemacht habe, aber ich stehe im Mittelpunkt, sobald ich etwas verbocke! Ich habe das alles so verdammt satt!" Damit stürmte Ron aus dem Zimmer, schmiss die Tür zu und ließ die Zwillinge einigermaßen verwirrt zurück.

Das Abendessen hätte grässlicher nicht sein können. Amber hatte sich eine Schnupfen eingefangen und war so angegriffen, dass sie nicht einen einzigen Versuch startete, die Gesellschaft etwas aufzuheitern.

Die Eltern Weasley sahen in die trübe Runde und waren ratlos. Sie hatten wahrlich schon schlimme Dinge durch gestanden, doch mittlerweile fehlte es ihnen an Ideen und Kraft, um dies hier zumindest glimpflich ausgehen zu lassen. Mrs. Weasley war damit beschäftigt, das Haus herzurichten und für genügend Essen zu sorgen. Mr. Weasley reiste, ohne, dass die Kinder es mitbekamen, ausnahmslos jede Nacht durch den Kamin zum Grimauldplatz und kam morgens übernächtigt und erschöpft zum Fuchsbau zurück, um dort ein, zwei Stunden zu schlafen und sich dann beim Ministerium zu melden. Sie hatten kaum Kraft, um mehr zu tun, als sie versuchten.

Hermine hatte überlegt, gar nicht zum Essen zu gehen, doch sie musste sich eingestehen, dass sie Hunger hatte. Das ärgerte sie maßlos, denn eigentlich hatten Menschen mit Kummer und Problemen keinen Hunger, aber ihr Magen knurrte verlässlich. Trotzdem schmeckte das Essen nicht. Hermine nahm ein paar Bissen und spülte hastig Kürbissaft hinterher. Sie mied es, irgendjemanden anzusehen.

Harry und Ron starrten ebenfalls nur auf ihre Teller und schoben das Gemüse und die Kartoffeln darauf hin und her.

Dean überlegte missmutig, wie die Nacht mit den beiden wohl werden würde. Sie taten ihm zwar Leid, aber er war doch irgendwie froh, dass er morgen abreisen konnte. Er hielt diese Stimmung hier nicht aus. Vor allem, weil er von allen am wenigstens wusste und sich niemand die Mühe machte, ihm mehr zu erzählen.

Charlie schließlich besah sich diese traurige, hilflose, teils wütende, teils verzweifelte Runde und nahm sich vor, nach dem Essen ein paar Eulen los zu schicken. Er ging nach dem Abwasch nach draußen und ließ Pig, Ambers Eule Snappers und seinen Kauz Winston los.

Ein Brief zu Dumbledore mit der dringenden Bitte, sie schnell nach London zu holen, da sie es hier alle nicht mehr lange aushielten.

Einen zu Remus Lupin, dass er sich beeilen und herkommen sollte, um die Situation zu entschärfen und sich um Harry zu kümmern, da er der letzte Mensch sein, der dies jetzt noch könnte.

Und einen an seinen Bruder Percy. Einen sehr langen, bei dem Charlie sogar ein paar Tränen vergossen hatte. Er hoffte, dass Percy darauf reagieren würde. Er hoffte es inständig.