Eine Erklärung und neue Verbündete
Harry lag die ganze Nacht wach und grübelte darüber nach, was Remus so aufgebracht haben könnte. Ron hatte mit den Schultern gezuckt und Hermines harmloses „Keine Ahnung!" klang verdammt nach „Ich habe einen Verdacht, den ich dir aber nicht mitteile!".
Harry stöhnte frustriert. Sie hatten sich doch so gut verstanden. Es tat ihm richtig weh, zu wissen, dass er sich mit Remus zerstritten hatte.
Vielleicht würde er ja morgen wieder mit sich reden lassen, hoffte Harry.
Nach dem Frühstück gab es allerdings erst einmal Besuch. Kingsley hatte zu einer offiziellen Ordensversammlung geladen, bei der unter anderem neue Mitglieder aufgenommen werden sollten. Lee Jordan stand mit breitem Grinsen in der Eingangshalle: „Hey!"
„Nein! NEIN! Erwachsene Zauberer, die mit der Schule fertig sind, verdammt noch mal!" rief Ron, „Das hat Professor Lupin letztes Jahr gesagt!"
„Beruhige dich, Ronnie! Ich bin es nicht. Mein großer Bruder wird aufgenommen. Er hat bis jetzt in Deutschland gearbeitet. Die haben da echt krasse Fortschritte in der Fluchforschung gemacht."
„Kennen wir deinen Bruder? Und sind eure Eltern auch hier?"
„Er war mit Hogwarts fertig, bevor wir eingeschult wurden." sagte Jordan, „Unsere Eltern sind zu Hause geblieben. Und da ist er: Der Mann der Stunde!"
Ein großer, schwarzer Kerl mit ebenso wirrem Haar, wie das seines Bruders, das er allerdings sorgsam in einen Zopf gezwungen hatte, kam auf sie zu. Seine Augen leuchteten hellblau und seine weißen Zähne blitzten: „Hi! Lees kleine Freunde aus der Schule?"
„Ich werd dem gleich, „kleine Freunde"!" knurrte Ron und zwang sich zu einem Grinsen, „Hi!"
„Du bist eindeutig Ron. Na, von den Zwillingen unterscheidest du dich aber ganz schön. Ist aber nur gut für dich. Die beiden werden später sicher mal ordentlich an Gewicht zulegen!"
Rons Grinsen wurde echt und er schüttelte Lees Bruder kräftig die Hand: „Hast du ihnen das auch schon gesagt?"
Der junge Mann lachte: „Das hebe ich mir für eine besondere Gelegenheit auf. Du bist sicher Hermine Granger. Klügstes Mädchen der ganzen Schule, eindeutig auch das hübscheste, und Schulsprecherin."
„Ja." Hermine wurde tatsächlich etwas rot.
„River Jordan. Es begeistert mich, dich endlich kennen zu lernen!" Er küsste Hermines Hand und sie lächelte, „Und noch so eine Schönheit! Ginny Weasley!"
„Und wem sehe ich ähnlich?"
River lachte tief und kehlig: „Eindeutig nicht den Zwillingen, meine Liebe!" Auch Ginny bekam einen Handkuss.
„Und da ist ja auch Harry. Hi! Du siehst ziemlich normal aus!"
„Was?" Harry lachte, „Wieso sollte ich nicht normal aussehen?"
„Ich meine, für jemanden, von dem die ganze Welt spricht. Gut so!" River drückte seine Hand so fest, dass es wehtat.
„Remus, mein Freund!" River ging an ihnen vorbei zur Treppe, die Remus gerade herunterstieg. Er schlug ihm kräftig auf die Schulter, „Was macht das Tier?"
Remus verzog grimmig lächelnd die Lippen: „Dem geht es bestens, danke, River!"
„Lee! Endlich!" Die Zwillinge flogen im wahrsten Sinne des Wortes die Stufen herunter und landeten unsanft vor ihrem Freund. Sie erdrückten ihn beinahe in ihrer Umarmung und wandten sich dann River zu: „Nett, dich wieder zu sehen!"
„Die Teufelsbrut! Alles klar?"
„Klar!"
Harry hatte währenddessen Remus aufmerksam und herausfordernd angesehen. Doch er hatte nicht reagiert. Er hatte ihm ganz freundlich einen guten Morgen gewünscht, ihn aber seitdem nicht mehr angesehen.
„So, ihr vier!" Mrs. Weasley stapfte mit in die Hüften gestemmten Händen auf sie zu, „Ihr setzt euch jetzt an eure Hausaufgaben und wenn ihr mir hoch und heilig versprecht, dass ihr das Arbeitszimmer nicht verlasst, dann muss ich euch nicht mal einsperren! Ist damit alles klar zwischen uns?"
„Ja, Mum!"
„Ja, Mrs. Weasley!"
„Gut, dann viel Erfolg!"
Etwas mürrisch verzogen sie sich in eines der Arbeitszimmer und breiteten ihre Schulsachen auf den Tischen aus.
„Und, was habt ihr zu tun?"
„Wir haben unsere Kurswahlzettel mittlerweile abgeschickt und jetzt haben wir so Multiple-Choice-Tests für einige Kurse bekommen." Ron zeigte Ginny einen Zettel.
„Sieht fies aus."
„Was machst du, Ginny?" Harry beugte sich über ihre Notizen.
„Ach, eine Wiederholung in Verwandlung. Tiere in Gegenstände und wieder zurück."
„Ah, „Feraverto"!" lachte Ron, „Das vergesse ich nie!"
Sie arbeiteten eine Weile bis Hermine beschloss, sie bräuchten eine Pause. Dummerweise hatten sie nicht daran gedacht, sich etwas zu essen oder zu trinken mitzunehmen.
„Tja, wenn wir das Zimmer verlassen, jagt Mum uns in die Luft!"
„Wir müssten irgendwie auf uns aufmerksam machen!" überlegte Harry.
„Wir könnten irgendwas sprengen!" schlug Ginny breit grinsend vor und Ron strahlte: „Gute Idee! Wartet mal, ich hab letztens was von den Zwillingen bekommen." Er kramte in seiner Schultasche und förderte ein paar bunte, birnenförmige Dinger hervor, die in seiner Hand lagen wie schwere Steine.
„Was ist das?" fragte Hermine misstrauisch, während Harry eines davon genauer unter die Lupe nahm.
„Gehört zum Feuerwerk-Sortiment. So ähnlich wie diese Muggelknaller, aber lauter, bunter und sehr viel cooler! Wir schmeißen davon einfach ein paar auf den Boden. Hier!"
Er verteilte die Knaller. Gleichzeitig warfen sie sie auf den Boden. Harrys zersprang mit einem durchdringenden Heulton und versprühte grüne und gelbe Funken. Ginnys knatterte wie ein Lastkraftwagen und als er zerplatzte, hüllte er sich in hübsche, lilafarbene Wolken. Rons Knaller quietschte in unregelmäßigen Abständen und sorgte für einen undurchdringlichen blauen Dunst und Hermines knallte einmal laut und zerstob dann rote und orangene Schwaden.
Alle zusammen machten einen fürchterlichen Krach und das Zimmer war bald in Funkenflug und Nebelschwaden eingehüllt. Sie husteten und hielten sich die Ohren zu, da die Knaller nicht sofort verstummten. Und nur wenige Sekunden später flog die Tür auf: „Was ist hier los?"
„Hi, Mum!" Ron lächelte in ungefähre Richtung der Tür, da sie aufgrund des Qualms nicht wirklich etwas sehen konnten, und wedelte ein bisschen in der Luft.
„Was soll das? Seid ihr verletzt?"
„Nein, uns geht´s gut, aber wir haben Hunger!"
„WIE BITTE!" Nun, da sich der Rauch legte, konnten sie statt nur ihre verärgerte Stimme zu hören auch Mrs. Weasleys entrüstetes Gesicht sehen. Direkt neben dem ihres Mannes, Tonks´, Remus´ und Kingsleys.
Tonks grinste: „Cooler Effekt, Leute, aber warnt uns das nächste Mal vor! Wir dachten schon, ihr werdet angegriffen!" Sie, Kingsley und Mr. Weasley verzogen sich wieder. Remus sah sie tadelnd an, sagte aber nichts.
Mrs. Weasley schnappte nach Luft, fuchtelte mit den Armen, prustete und stampfte dann mit dem Fuß auf: „Einmal noch ... ein einziges Mal ... und ihr werdet euch wünschen, ihr wäret den ganzen Sommer über an der Schule geblieben und jetzt nicht in meiner Nähe! Wenn ihr das nächste Mal auch nur die allerkleinste Kleinigkeit anstellt, werdet ihr das bis an euer Lebensende bereuen, habe ich mich klar ausgedrückt!"
Betreten nickten sie und dann rauschte Mrs. Weasley davon.
„Na, toll! Jetzt bleibt allesan mir hängen!" stellte Remus fest und Ginny lächelte ihn an: „Machen Sie uns was zu Essen?"
„Folgt mir!"
Sie gingen in die Küche und Harry zermarterte sein Hirn nach Worten, die er, vorsichtig wohlgemerkt, an Remus richten könnte.
„So, sieht ein bisschen dürftig aus. Molly ist nicht zum Einkaufen gekommen. Ein bisschen Käse ... Brot ... Ananas. Wie wäre es mit Hawaii-Toast und einem Salat?"
„Klingt gut."
Ginny half bereitwillig, da sie sich ja mittlerweile mit Salat auskannte. Harry stellte sich zögerlich neben Remus: „Remus, könnten wir ..."
„Nein! Hier, nimm mal den Schinken!"
„Aber ..."
„Harry." Seine Lippen umspielte ein unechtes Lächeln und seine Stimme klang gefährlich ruhig, „Ich möchte mich nicht mit dir streiten. Ich bitte dich, die Sache auf sich beruhen zu lassen."
Harry machte den Mund noch einmal auf, doch dann sah er Remus Blick. Er war nicht abweisend, wie Harry erwartet hatte, sondern verletzt und geradezu flehend.
„O.K."
Nach den leckeren Toasts von Remus und dem etwas eigenwilligen Salat von Ginny gingen die vier zurück ins Arbeitszimmer.
„Hermine, hilfst du mir mal mit dem ...?"
„Später. Ich habe noch etwas vor. Jungs, kommt mal." Sie ging zu einem der Tische und nahm vorsichtig das dort liegende Tuch weg. Darunter stand das Denkarium.
„Sag mal, bist du noch ganz dicht! Du kannst doch nicht einfach an meine Sachen gehen!" rief Harry erbost aus. Hermine hob die Hände: „Tut mir Leid ... aber es war wichtig! Ich wollte nur helfen!"
„Wobei helfen? Was habe ich denn deiner Meinung nach schon wieder für ein Problem?"
Hermine zog den Kopf ein und Ron stand auf und trat neben Harry: „Hey, sie hat´s bestimmt nur gut gemeint!"
„Also, ich dachte ... es geht um Professor Lupin. Ich wollte wissen, warum er gestern so ausgerastet ist."
„Und da klaust du einfach mein Denkarium? Das Denkarium, das Sirius für mich gemacht hat? Allein für mich!" schrie Harry und sah aus, als wollte er auf Hermine losgehen, weswegen Ron ihn am Arm festhielt.
„Was ist denn ein Denkarium?" fragte Ginny dazwischen, wurde aber komplett ignoriert.
„Ach, Harry, Mann! Ich dachte, Professor Lupin wäre wichtig für dich und du würdest vielleicht gern den Grund erfahren, aus welchem er dich anschreit!" Hermine wurde nun ihrerseits etwas ärgerlich, „Manchmal muss man so etwas tun!"
„Was? Persönliche Sachen klauen?" fragte Ron zweifelnd.
„Ja!" sagte Hermine bestimmt, „Man muss das tun, was die Freunde brauchen, nicht das, was sie wollen! Und dass der arme Professor mal wieder völlig überfordert ist, ist ja wohl nicht zu übersehen!"
„Also, ich habe mir überlegt, dass ich vielleicht im Denkarium den Grund finde, der ihn so reagieren lässt. Ich habe ein wenig über Denkarien gelesen und herausgefunden, wie man sie benutzt."
„Wie benutzt? Man schaut doch nur rein und guckt, was kommt!" meinte Ron.
„Also", Hermine wurde eifrig, wie immer, wenn sie den Jungs etwas erklären wollte, „Also, man kann Denkarien durchaus steuern. Man kann, wenn man davor steht, die Schale berühren und sagen: Erinnerung mit den Rumtreibern und Snape auf dem Schulgelände bei der Peitschenden Weide. Und dann wird man vom Denkarium dorthin geschickt."
„Ja, die Erinnerung kannten wir aber schon. Wie hast du etwas gefunden, das du noch nicht kennst?" fragte Ron, woraufhin Hermine ihn anstrahlte: „Das ist genau der Punkt! Mehr oder weniger auf gut Glück. Ich habe gefragt, ob es etwas gibt, das Professor Lupins Verhalten erklärt, doch das war zu allgemein. Dann habe ich mir überlegt, dass es auf jeden Fall mit Sirius´ Misstrauen zu tun hat."
„Und das hat was gebracht?" brummte Harry und machte sich von Ron los.
„Der Spur bin ich nachgegangen und die eine Erinnerung mit Sirius, Professor Lupin und deinen Eltern erklärt eine ganze Menge. Und das wollte ich euch zeigen. Kommt ihr?"
„Leute, worum geht es?" Jetzt wollte sich Ginny nicht abwimmeln lassen.
„Ich glaube nicht, dass du mitdarfst!" meinte Ron unfreundlicher als er eigentlich beabsichtigt.
„Wann fängst du endlich an, mich ernst zu nehmen, verdammt noch mal!" brüllte Ginny, „Ich habe im meinem ersten Jahr verdammt viel durch gemacht und habe mich im zweiten und dritten genauso um Harry geängstigt wie ihr! Und letztes Jahr bin ich mit euch ins Ministerium geflogen und habe Qualen und Ängste ausgestanden und gekämpft und gelitten! Meinst du, ich hab das zum Spaß gemacht? Just for fun, weil ich nichts Besseres zu tun habe?"
„Hey, komm mal wieder runter! Es tut mir Leid!" murmelte Ron.
„Also, WENN wir jetzt ins Denkarium gehen, dann kann Ginny mitkommen! Gerne, sogar! Ich würde mich freuen!" sagte Harry warm und Ginny wurde rot.
„Harry, sei bitte nicht mehr böse auf mich und glaub mir: Das möchtest du wissen!" sagte Hermine. Harry raffte sich auf: „O.K., dann los!"
„Ähm, erklärt ihr mir erst mal, was das ist? Bitte?" Ginny sah etwas unsicher aus.
„Da drin sind Erinnerungen, Ginny! Erinnerungen von Sirius und teilweise auch von Professor Lupin. Sie haben sie für Harry aufgehoben und wenn man sich jetzt über die Schale beugt, dann wird man dort hinein gesogen. Es tut nicht weh und es ist auch überhaupt nicht gefährlich, denn da drin kann einem gar nichts passieren." erklärte Ron eifrig und versöhnlich.
„O.K., aber verlieren wir uns nicht darin?"
„Nicht, wenn wir uns an den Händen halten. Kommt!" Harry nahm die Mädchen an die Hände und Ron vervollständigte den Kreis.
„Halt dich ruhig an mir fest, wenn du Angst hast!" flüsterte Harry Ginny zu und stellte fest, dass es sich ziemlich schön anfühlte, ihre Hand zu halten.
„Ich übernehme die Führung." sagte Hermine und die anderen nickten angespannt. Sie lächelte kurz in die kleines Runde und sagte dann laut und deutlich: „Abendessen bei Lily und James Potter!" Harry drückte unwillkürlich ihre Hand. Da konnte er sich ja auf etwas gefasst machen. Sie lauschten noch einen Augenblick in die Stille und dann wurden sie in die Vergangenheit gesogen.
Sie landeten in einem Flur, der bis auf die drei Besen im Schirmständer und der braunen, dösenden Eule auf der Stange ziemlich normal aussah.
Natürlich bewegten sich die Bilder mit der Londoner Innenstadt, den englischen Landschaften und der Winkelgasse. Doch die Wände sahen eindeutig aus wie von Laienhand gestrichen; in fröhlicher Farbe in verschiedenen Farbtiefen mit einigen Nasen und Flecken. Der Teppich war ebenfalls selbst verlegt und zurechtgeschnitten und passte nicht wirklich zur Wandfarbe. An der Decke hing ein Lampenschirm, den Ron lachend mit „Naja, Moderne Kunst, nicht?" betitelte und der den ganzen Flur und die schmale Treppe, die sich an der rechten Wand hochzog, in ein grelles Licht tauchte. Die Tür auf der rechten Seite war geschlossen, doch die am Ende des Flures stand offen.
„Wo sind wir?" fragte Ginny, die vor lauter Staunen den Mund gar nicht mehr zubekam. Harry sah sich neugierig um, dann zuckte er erschrocken zusammen.
„Sirius Black! Wenn du noch einmal an meinen Kuchen gehst, dann hex ich dir einen Maulkorb an; ich schwör´s!" Eine wütende Frauenstimme durchzog die Stille. Es folgte ein Klappern und Sirius´ bellendes Lachen: „James hat mir letztens schon einen verpasst inklusive Hundezwinger. Er fand das tierisch witzig!"
Und im nächsten Moment kam Sirius aus der Küche und trug eine dampfende Schüssel in einen Raum, welcher links vom Flur abging. Er schnupperte genüsslich und grinste. Jemand schlich die Treppe herunter. Alle vier zuckten zusammen, als James Potter so unvermittelt an ihnen vorbei und dabei ein bisschen durch Ron durchging.
„Lil, er schläft jetzt! Tatze, sei mal ein bisschen leiser! Wenn er das nächste Mal schreit, darfst du nämlich hochgehen!" Er verschwand in der Küche und kurz darauf kam Lily in den Flur. Sie trug zwei große, gläserne Krüge mit orangefarbenen Saft und vielen Eiswürfeln.
Vorsichtig balancierte sie die Kannen, die recht schwer zu sein schienen, ebenfalls ins Wohnzimmer.
„So, haben wir alles?"
„Sieht ganz so aus! Setz dich, mein Schatz!" James küsste sich sacht auf die Wange und schob ihr einen Stuhl zurecht. Lily lächelte erfreut und Sirius ließ ein Räuspern hören, dass verdächtig nach „Kleiner Schleimer!" klang.
Harry und seine Freunde betraten nun die Stube, in der James, Lily und Sirius zu essen begannen. Der Esstisch war ein ausgezogener, an vielen Ecken angeschlagener Holztisch mit fröhlich bunter Tischdecke. An ihm standen fünf Stühle aus verschiedenen Garnituren, aber mit zur Tischdecke passenden Polstern. Die Wand dahinter zierte ein großer, wuchtiger Holzschrank. Die rechte Wand war zugekleistert mit Fotos.
Wenn sie links weiter ins Zimmer hineinblickten, sahen sie in der rechten Ecke einen großen schönen Kamin mit roten und schwarzen Steinen. Vor ihm standen Sessel und Couchen in dezentem Muster. An der linken Wand stand ein Regal, das sicher durch Magie festgehalten wurde, da es sonst wohl unter dem Gewicht der vielen Bücher zusammengekracht wäre. Schließlich gab es in der hinteren Wand noch ein Fenster, vor das hübsche Vorhänge gezogen waren.
Harry jagte es einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Das hier war das Haus seiner Eltern! Hier war er aufgewachsen! Naja, ein bisschen jedenfalls. Gerade eben lag er oben als Baby im Bett und schlief. Zu dumm, dass er nicht hochgehen und sich anschauen konnte.
Dann betrachteten sie sich die Bilder und Fotos. Es waren einige unbewegliche Muggelfotos zu sehen: Lily als kleines Mädchen mit Zöpfchen und Söckchen neben ihren Eltern, die stolz in die Kamera lachten; Lily auf einer Schaukel und ihr Vater gab ihr Anschwung (Ron fand es ziemlich verwirrend, dass Schaukel samt Mädchen einfach in der Luft hingen) und Lily umringt von Freundinnen vor einem pinkfarbenen Geburtstagskuchen.
Auf den Zaubererbildern war der kleine James abgebildet: mit Zahnlücke und wildestem Haarschopf; heulend und wütend tretend auf einem verzaubertem Schaukelpferd, welches genervt die Augen verdrehte; lachend und winkend mit seinem Eltern vor dem Hogwarts-Express.
James und Lily beim Kochen (ein Topf qualmte und wackelte bedenklich); die zwei, Remus und Peter bei einem Gesellschaftsspiel, das an „Mensch-ärger-dich-nicht" erinnerte; James mit Harry und Sirius, wie sie mit Schokofröschen spielten; James, Sirius, Peter und zwei ihm fremde junge Männer mit selbst gebastelten Angeln in den Händen und bis auf die Knochen durchnässt; Lily in einem wehenden Kleid im Garten, wie sie Harry in den Schlaf wiegte.
Harry schluckte und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. Es war unheimlich schön, sich selbst und seine Eltern so zu sehen. So glücklich. Ginny legte ihm eine Hand auf den Arm und Harry lächelte sie an.
Da knallte es plötzlich im Kamin und eine Staubwolke vernebelte den Raum.
„N´Abend, Peter!" rief Sirius hustend und wedelte mit den Armen.
„Hallo, Leute! Bin ich zu spät?"
„Du kommst gerade richtig, Peter! Setz dich und greif zu!" sagte Lily freundlich.
„Ich könnt ihm an die Kehle gehen! Oh, wenn ich es doch nur wirklich könnte!" presste Harry hervor, „Seht, wie sie ihn begrüßen und wie sie sich freuen und was tut er?" Er ballte die Fäuste und atmete schwer. Ron tätschelte ihm besänftigend den Arm und Hermine sah ihn mitleidig an.
„Ist das ...?" fragte Ginny leise und Harry nickte grimmig: „Der Verräter! Er hat meine Eltern verraten, Sirius nach Askaban gebracht, 12 Muggel in der Luft zerfetzt und er ist wieder zu Voldemort zurückgekehrt. Er hat sich für ihn die Hand abgehackt und er mich verletzt!"
Die anderen schwiegen betroffen, während am Tisch ein lockeres Gespräch dahinplätscherte. Lily fragte Peter nach seiner Arbeit und nach einem Mädchen namens Shelley; offensichtlich seine Freundin. Warum ist sie heute nicht mitgekommen? Geht es Peters Mutter wieder besser nach der schweren Grippe? Es war eine harmlose Unterhaltung unter Freunden. Währenddessen sahen Sirius und James ernster aus. Sirius redete heftig auf James ein und dieser schüttelte häufig den Kopf.
„Wurmschwanz, hör mal zu!" rief Sirius schließlich und ignorierte James, der ihn am Ellenbogen packte und deutlich „Nein!" zischte.
„Was gibt es, Tatze?" fragte Peter.
„Das frage ich dich! Was zum Henker ist mit Remus los? Du weißt doch was!" Sirius sah ihn angriffslustig an. Peter zögerte. Er überlegte offensichtlich, was er antworten sollte und Harry schwor sich, dass er überlegte, ob er etwas Fieses sagen sollte.
„Peter, es ist doch alles in Ordnung mit ihm, oder?" fragte Lily nun besorgt, „Ich meine, niemand hat es im Moment leicht und Remus hat keinen Job, aber er ist doch nicht Gefahr. Oder?"
Peter seufzte und lehnte sich in seinem Stuhl wie für einen dramatischen Auftritt zurück: „Kommt drauf an. Ich finde es ja schon länger merkwürdig, dass er darauf besteht, an Vollmond keine Hilfe mehr zu brauchen."
„Hör auf hier rumzuschwafeln!" sagte Sirius zornig, „Das finden wir selber merkwürdig!"
Peter schüttelte den Kopf und presste die Lippen aufeinander. Nun meldete sich James zu Wort: „Ich finde das nicht fair! Er ist nicht hier, um sich zu verteidigen!"
„Aber wenn er in Gefahr schwebt?" warf Lily ein, „Peter, wenn du etwas weißt, darfst du uns das auf keinen Fall verschweigen! Vielleicht brauchte er Hilfe!"
„Vielleicht brauchen wir die!" sagte Sirius düster, weswegen James ihn wütend anfunkelte: „Du hörst sofort auf, so von ihm zu sprechen oder ich werf dich raus!"
„Nur, weil du deine Augen so schön verschließen kannst, heißt das nicht ..." begann Sirius, doch James unterbrach ihn: „Von wegen! DU bist geradezu fanatisch bei der Suche nach irgendeinem Fehler, wo es verdammt noch mal keinen gibt und ..."
„Er geht in die Nokturngasse!" Auf Peters Einwurf hin verstummten er. Drei Köpfe richteten sich auf ihn und Sirius warf die Hände in die Luft: „Was habe ich gesagt?"
„Halt die Klappe!" fuhr James ihn an, „Woher weißt du das Peter?"
„Weil ich letztens in der Winkelgasse war und er dort den Eingang benutzt hat. Und ..."
„Und was?" rief Sirius.
„Ich glaube, ich habe auch deinen Bruder da gesehen!" Peters Worte hingen schwer in der Luft. Sirius stand der Mund offen. Dann sagte er bitter: „Na, klasse! Remus trifft sich mit Regulus! Das ist ... der Anfang vom Ende! Entweder, er gehört schon zu ihnen oder er tritt ihnen bald bei. Mein kleiner Bruder hat sich nämlich schon vor Monaten bekehren lassen!" Er stöhnte und legte die Hand über die Augen. Lily stützte den Kopf in die Hände und James sah Peter so aufgebracht an, dass dieser sich irgendwann zu winden begann: „Was, Krone? Glaubst du mir nicht?"
„Es liegt mir fern, so etwas zu behaupten!" sagte James diplomatisch, „Aber es ist kein Beweis für gar nichts! Wir werden mit ihm reden!"
„Wann denn? Er ist ja doch nie da!" polterte Sirius.
Da erhob Peter sich: „Tut mir Leid, ich muss gehen. Ich muss heute noch zu Dumbledore ..."
„Schon gut, Peter!" Lily stand auf und hantierte hilflos mit ihrer Serviette, „Nimmst du den Kamin?"
„Nein, ich bin gerade wieder sauber. Ich rufe die Springmaus!"
„Ich bring dich zur Tür!" Lily und Peter verschwanden im Flur. James verschränkte die Arme vor der Brust und sah Sirius an: „Wir sollten ihm schreiben und ihn fragen, was er in der Nokturngasse zu suchen hatte! Ich meine, Himmel noch mal, da muss man hin, wenn man Gelbschnitt und Weesweg kaufen will. Die gibt es nicht im Kräuterladen in der Winkelgasse und du kannst mir nicht erzählen, dass die gefährlich sind!"
Sirius zuckte wortlos mit den Schultern.
„Sirius, jetzt hör mir mal zu! So etwas werde ich nicht dulden! Jeder von uns hat Angst und wir sollten alle vorsichtig sein, aber jetzt jemandem Misstrauen entgegen zu bringen, der schon seit Jahren unser Freund ist, das geht zu weit! Du übertreibst es total! Ich werde nicht zulassen, dass du Remus derartig schlecht machst!"
Sirius sah ihn an: „Du tust so, als hätte ich Schuld. Aber du schließt die kleine, aber vorhandene Möglichkeit aus, dass mit Remus tatsächlich etwas nicht stimmt. Ich kann dir zwanzig Gründe aufzählen, warum wir ihm misstrauen sollten. Wir wissen, dass er uns anlügt, was seine Termine und Aufenthaltsorte angeht. Wir wissen, dass er an Vollmond nie gern alleine war. Wir wissen aus dem Ministerium, dass sich schon drei Werwölfe, die immer zuverlässig waren und sich regelmäßig gemeldet haben, plötzlich wie vom Erdboden verschwunden sind. Alles Gründe, die du wegredest, weil du Angst hast!"
„Ich bestreite nicht, dass ich Angst habe, aber ..."
„Wir diskutieren da nicht länger drüber!" sagte Lily scharf, als sie wieder hereinkam, „Lasst uns den Abwasch machen und schlafen gehen! Morgen versuchen wir mit Remus Kontakt aufzunehmen und bis wir das geschafft haben, wird keiner auch nur ein schlechtes Wort über ihn verlieren, habe ich mich klar ausgedrückt!" Sie sah die beiden Männer nachdrücklich an. James seufzte, nickte und stand auf, um ein paar Schüsseln in die Küche zu tragen. Sirius starrte Lily ungehalten an, sagte aber nicht. Da begann oben im Kinderzimmer Harry zu schreien.
„Ich geh schon!" Lily klang verschnupft und hatte es sehr eilig, nach oben zu kommen. Sirius stapelte schweigend die Teller aufeinander, als es an der Tür klingelte.
„Was denn? Jetzt noch?" James, sah auf die Uhr, stellte die Schüsseln ab und ging durch den Flur an die Tür.
Harry und seine Freunde hängten ihre Köpfe durch die Wand, um zu sehen, wer so spät abends noch ankam.
James öffnete die Tür und erstarrte. Es war Remus. Und er sah furchtbar aus. Er vermittelte den Eindruck, seit Wochen nicht mehr vernünftig geschlafen und gegessen zu haben. Das Wort „blass" wäre untertrieben, um seine Gesichtsfarbne zu beschreiben, er hatte dunkle Ringe unter den Augen und zitterte in seinem dünnen Mantel.
„Hey, James!" sagte er mit rauer Stimme und versuchte sich vergeblich an einem müden Lächeln, „Ich ... ich wusste nicht, wo ich hingehen sollte!"
James sah ihn noch ein paar Sekunden an wie eine Erscheinung, dann sprang er vor und riss Remus in seine Arme.
„James, wer ist denn da?" fragte Sirius aus der Stube, „Ist alles in ...?" Er trat in den Flur und blieb abrupt stehen: „Remus!"
James hatte Remus mittlerweile in den Flur gezogen, in aus seinem nassen Mantel geschält und schob ihn nun Richtung Wohnzimmer. „Du musst warm werden und was essen! Wir haben noch was vom Abendbrot übrig." redete er hastig und seine Stimme klang dabei sehr belegt.
Sirius sah Remus noch immer an, ohne eine Miene zu verziehen.
„Hallo, Sirius!" sagte Remus leise und sah ihn fast ängstlich an. Sirius drehte sich ohne Antwort um und ging in die Stube zurück. Remus zuckte zusammenund betrat erst ebenfalls das Zimmer, als James ihn anschubste und einen vollen, dampfenden Teller auf den Tisch stellte. Sirius hatte ein paar Schritte zum Kamin gemacht, war wieder umgekehrt, wieder zurückgegangen und rang offensichtlich um seine Fassung.
Harry beobachtete ihn erwartungsvoll. Tränen standen in seinen Augen und als Remus vor dem Tisch stand, kam Sirius eilig auf ihn zu und schloss ihn fest in die Arme. James atmete erleichtert aus und Remus schlang beide Arme um seinen Freund.
„Jetzt setz dich hin und iss was, Moony! Du siehst entsetzlich aus!" befahl Sirius heiser.
Remus nahm zwar Platz, begann aber nicht zu essen, sondern sah Sirius an: „Es tut mir Leid! Ich wollte nicht so einfach gehen!"
„Das hast du aber getan!" sagte Sirius und knete unruhig seine Finger, „Du hast mich ganz unrühmlich allein gelassen!"
Remus nickte stumm. Er brauchte etwas, um weiter sprechen zu können. Dann fragte er kaum hörbar: „Kann ich wieder zurückkommen?"
Sirius´ Kopf zuckte hoch. James, der an der Wand hinter Remus stand, sah zwischen den beiden hin und her. Irgendwann schaffte Remus es, Sirius anzusehen. Dieser sah etwas verblüfft aus, aber glücklicherweise nicht ablehnend. Tatsächlich nickte er heftig und sagte: „Natürlich! Deine Sachen stehen noch da! Sie ... sind noch da!"
Harry lächelte. Sirius konnte noch so sehr gegen Remus lamentieren. Sobald er vor ihm stand, schmolz sein Misstrauen auf ein Minimum. Außerdem war dieses Misstrauen, wie Harry wusste, unangebracht. Remus hatte sich nie den Todessern angeschlossen und würde das auch nie tun. Aber er konnte verstehen, dass seine Freunde unruhig wurden. Jetzt konnte er auch verstehen, dass Remus nicht gerne darüber reden mochte. Es ging ihm offensichtlich noch immer zu nahe.
Als Remus endlich anfing zu essen, wobei James und Sirius ihn nicht aus den Augen ließen, wurden Harry, Hermine, Ron und Ginny wieder in die Gegenwart gesogen.
Eine Weile standen sie schweigend im Kreis um das Denkarium herum und starrten Löcher in die Luft. Schließlich ergriff Hermine das Wort. Leise fragte sie: „Versteht ihr das jetzt ein bisschen besser? Ich meine, wenn jemand weiß, wie sehr sie befreundet waren und wie sehr sie aneinander hingen, dann wir. Und dann dieses Misstrauen und diese Ungewissheit! Stellt euch vor, wir müssten einander plötzlich misstrauen. Ich würde denken, dass Ginny irgendwelche Todesser trifft oder so. Das ist bis heute ein wunder Punkt geblieben bei Professor Lupin und das kann ich gut verstehen!"
„Ich auch!" sagte Harry und Ron meinte: „Das muss echt schlimm gewesen sein!"
„Meint ihr, ich sollte ihn darauf ansprechen? Die Erinnerung muss immerhin teilweise von Remus sein. Er hat sie ins Denkarium getan. Abgesehen davon, dass er sich damit selbst widersprach, als er sagte, ich dürfe eben nicht alles sehen und wissen, muss er doch etwas damit bezweckt haben." fragte Harry.
„Naja, so ein Denkarium ist verflixt kompliziert. Es ist durchaus möglich, dass er die Erinnerung erweitert hat, ohne es selbst zu wissen. Und wenn er später nicht noch einmal auf sie gestoßen ist, hatte er keine Chance, davon zu wissen."
„Meine Güte!" entfuhr es Ron, „So´n Ding macht ja echt höllisch Arbeit!"
Hermine nickte: „Wir können froh sein, dass Professor Lupin es geschafft hat, ein bisschen Grund rein zu bringen. Es muss ziemlich wirr am Anfang gewesen sein. Er hat ein bisschen aussortiert und zusammengeführt und getrennt. Es würde sich sonst sicher niemand darin zurecht finden."
„Hat sich schon mal jemand in einem Denkarium verirrt und nicht wieder raus gefunden?" fragte Ron und Hermine sah ihn erstaunt an: „Keine Ahnung, aber das ist eine interessante Frage! Das werde ich mal nachschlagen!"
„Gute Idee!" meinte Ginny matt. Sie setzte sich auf einen Stuhl, zog die Knie an und legte die Arme um sich.
„Geht´s dir gut?" fragte Harry sanft.
„Geht so! Mir ist kalt. Und ich habe so was noch nie gesehen. Das nimmt mich irgendwie ein bisschen mit."
„Verstehe ich gut!" sagte Hermine, tat zu ihr und rubbelte ihr ein bisschen die Arme.
Ron und Harry sahen sich an: „Also, machen wir weiter mit den Fragen?"
„Klar! Wenn wir bis zum Abendessen fertig sind, haben wir morgen frei!"
„Also, los!"
Lee und River blieben zum Abendessen und auf das stürmische Bitten der Zwillinge hin noch länger. Und nachdem Remus sich sehr dafür eingesetzt hatte, durften sie im verwilderten Garten des Grimauldplatzes mit ein paar verzauberten Tennisbällen Quidditch spielen.
Harry und Ron gingen grinsend nebeneinanderher, während Hermine ein paar Schritte Abstand hielt und immer wieder meinte: „Meine Güte, seid ihr dreckig!"
Ron lachte: „Dumm nur, dass es angefangen hat, zu regnen. Es war ein echt gutes Spiel!"
Sie hatten mit Ginny, Charlie, den Zwillingen und den Jordan-Brüdern ein kleines Match ausgetragen und hart gekämpft, bis es ärgerlicherweise angefangen hatte zu regnen und sie auf dem Boden weiter fechten mussten.
„Meine Güte! Meine Güte!"
„Ist ja gut, Hermine! Wir waschen uns gleich!" tröstete Ron und tat so, als wollte er einen Arm um sie legen.
„Lass es, Ronald Weasley, oder ich hexe dir diesen Drecksarm weg!" rief Hermine empört und die Jungen lachten.
Harry war froh, wieder einmal befreit lachen zu können, doch immer wenn er gerade fröhlich war, stellte sich der Gedanke ein, dass er diese Geschichte gern Sirius erzählen würde, das aber nicht könnte. Nie wieder. Es sei denn, es passierte bald etwas. Und das tat es tatsächlich. Allerdings nichts, was die Freunde irgendwie erwartet hätten. Als sie die Eingangshalle betraten, die Jungen noch immer tropfend und Hermine noch immer schaudernd, herrschte dort große Aufregung.
Professor McGonagall stand neben Mr. Weasley und begrüßte eine junge Frau und einen Mann, die offenbar gerade angekommen waren. Die Frau war in einen quietschgelben Regenmantel gehüllt und mit vielen Taschen und Tüten bepackt. Sie lachte gerade Mrs. Weasley an. Der Mann hielt einen tropfenden Hut in der einen, einen dunklen Koffer in der anderen Hand und nickte zu etwas, dass McGonagall ihm sagte.
„Wer ist das?" wollte Ron wissen, doch Hermine und Harry konnten nur mit den Schultern zucken.
„Seltsam! Jetzt lasst uns aber hoch und duschen! Ich find mich ja schon selbst eklig." Ron ging vor, Hermines feixendes Grinsen höflich ignorierend. Gewaschen und gekämmt gingen die Jungen wieder in die Eingangshalle, doch von den Ankömmlingen war nichts mehr zu sehen.
„Wo sind sie denn hin?" fragte Ron.
„Wer denn?" Ginny tauchte plötzlich hinter ihnen auf und grinste freundlich. Harry erwiderte ihr Lächeln.
„Na, die Leuten, die McGonagall hier begrüßt hat." meinte Ron.
„Die sitzen, soweit ich das mitbekommen habe, im Kaminzimmer, aber da haben wir gerade absolutes Rein-Komm-Verbot. Was wollt ihr denn von denen?"
„Nur wissen, wer sie sind. Wir sind von Natur aus neugierig."
Ginny lachte: „Willst du weiter mit meinem Bruder Detektiv spielen oder hast du Lust auf eine Runde Zauberschach, Harry?"
Harry grinste: „Gerne!" Es war toll, dass er mit Ginny so natürlich reden und Schach spielen konnte. Mit Cho war alles immer so verkrampft gewesen. Nach drei Partien Zauberschach, die alle in einem fairen Remis endete, lehnte Harry sich gemütlich zurück. Hermine und Ron hatten sich auf Hermines Bestreben an „Mühle" versucht, doch auch nur Ron ließ sich nur einmal abzocken, dann packte er das Spiel weg und schlug „Snape explodiert" vor.
„Wenn er rein kommt und das sieht, killt er uns!" warnte Ginny.
„Snape ist hier?"
„Der ganze Orden ist hier!"
„Oh, und wir sind weder eingesperrt noch verhext. Mum hat uns nicht mal bedroht. Sie scheint wirklich langsam Vertrauen zu uns zu entwickeln."
Sie lachten und spielten dann ein paar Runden. Irgendwann erhob sich Harry: „Ich geh mal gucken, ob sie fertig sind. Ich wollte noch mal nach Remus sehen. Übermorgen ist Vollmond." Er verließ das Zimmer und lief in der Eingangshalle Lee, River, Fred und George über den Weg.
„Hi! Ist die Versammlung schon zu Ende und wenn ja, wo ist Remus?"
„Ist ja süß, wie ihr beiden aneinander hängt!" meinte Lee und George zog ihm die flache Hand über den Kopf.
„Au, was?"
„Erklären wir dir später. Jetzt komm, du Trampel. Er ist in der Küche, Harry!"
„Danke, Fred!" Er ging in die Küche und fand Remus am Tisch sitzend vor. Harry runzelte die Stirn. Vor Remus stand eine große, bauchige Flasche, halbvoll, und er hielt ein Glas mit demselben Getränk in den Händen.
„Hi, Harry!" sagte er matt und setzte an.
„Du trinkst?"
„Zwischen trinken und trinken gibt es einen Unterschied." meinte Remus, nachdem er das halbe Glas geleert hatte. Harry fühlte sich schmerzlich an Sirius erinnert
„Kann ich dir helfen?"
„Wie bitte?" Remus sah ihn aus trüben Augen an. Harry stellte fest, dass er noch nicht so viel getrunken haben konnte. Er schien eher todmüde und erschöpft und resigniert.
„Ob ich dir helfen kann?"
„Nein, danke! Alles in Ordnung! Wie steht´s mit deinen Aufgaben?"
„Alle fertig!"
„Und die Schulformulare?"
„Alle ausgefüllt und abgeschickt!"
Remus lächelte: „Das ist gut! Das machst du wirklich gut, Harry. Schön, dass sich wenigstens einer von uns hält!" Er nahm einen tiefen Schluck, schauderte und stellte das Glas ab.
„Also, wenn du nicht willst, dass ich Kingsley hole, damit er dich nach oben trägt und damit deine Schande offenbart, dann komm jetzt mit mir mit, O.K.?"
„Harry, ich bin nicht ..."
„Ich weiß. Trotzdem." Er reichte Remus eine Hand und dieser ergriff sie und zog sich hoch. Sie verließen die Küche, stiegen die Treppe hoch und betraten Remus´ Zimmer. Er setzte sich sofort aufs Bett und sah Harry dann unsicher an: „Es tut mir Leid!"
„Was denn?" Harry setzte sich neben ihn.
„Ich führe mich grässlich auf. Ich wollte dich weder wegstoßen noch ... aber, weißt du, ich bin einfach nicht gut in so was. Ich ... ach, ich bin ein alter Trottel!" Frustriert richtete er den Blick auf den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Viel mehr an den Fleck, an dem ein Spiegel gehangen hatte, denn Remus hatte ihn, wie Harry feststellte, abgenommen.
Harry überlegte, was er sagen sollte, doch ihm fiel nichts ein. Stattdessen setzte er sich neben Remus und legte seinen Kopf auf dessen Schulter. Remus legte einen Arm um ihn.
Das Abendessen sollte im Kaminzimmer stattfinden. Mrs. Weasley hatte ein, wie sie es nannte „kleines Buffet", sprich wahre Massen an köstlichem Essen hergerichtet und jetzt mühten sich alle Weasleys, die beiden Jordans, Harry, Hermine und Tonks alles nach dem Gefallen der Großköchin aufzubauen.
Mr. Weasley unterhielt sich mit dem fremden Mann, der etwa Remus´ Alter hatte, wie sie nun feststellten, und freundlich lächelte. Er hatte eine ziemlich tiefe Stimme, dunkelbraunes Haar, das an den Schläfen schon leicht angraute und war Mr. Weasley offenbar sehr sympathisch, denn bald lachten die beiden über irgendetwas und Mr. Weasley klopfte ihm auf die Schulter. Beide hielten Gläser in den Händen, was bedeutete, dass nach der Versammlung schon ordentlich angestoßen wurde.
„Hagrid!" Hermine schrie auf und flog dem Wildhüter, der gerade eintrat, in die Arme.
„Na, das ist ´ne Überraschung, nich wahr! Hier, Harry, ich hab da auch noch was für dich! Nachträglich, verstehste?"
Harry nahm grinsend ein dickes Paket in die Hände: „Kann es beißen, Hagrid?"
„Nein, nein!" winkte Hagrid lachend ab und fügte dann, als er sah, dass sie ihm nicht so recht glaubten, ernsthaft hinzu: „Nein, wirklich nicht!".
Harry packte aus und grinste: „Danke, Hagrid! Schaut mal, Leute!" Er zeigte ihnen einen furchtbaren, wollig-haarigen Schal.
„Für´n Winter." griente Hagrid und drehte sich dann um: „Remus! Wie geht´s?"
Ginny amüsierte sich noch immer über Harrys neuen Schal, als Professor McGonagall mit Moody, Professor Sprout und noch einigen Leuten eintrat. Pflichtbewusst begrüßten Harry und seine Freunde ihre Hauslehrerin.
„Wenn ich um Aufmerksamkeit bitten dürfte! Danke!" Professor McGonagall lächelte die Anwesenden herzlich an, „Bevor wir essen, denke ich, ist es angebracht, dass unsere Hogwarts-Schüler unsere neuesten Mitstreiter kennen lernen." Ron nickte eifrig.
„Also, dies ist hier Jakob Schuhmann. Er kommt gerade aus Schweden und wird uns besonders bei der Fluchbekämpfung helfen!" Der Mann, der sich mit Mr. Weasley und Kingsley unterhalten hatte, kam zu ihnen und schüttelte ihnen die Hand. Er hatte einen festen Händedruck und er sah ihnen lange und ehrlich in die Augen.
„Und dies hier Meta Rosenstein. Wie ihr den Schulformularen entnehmen konntet, wird sie euch im nächsten Jahr unterrichten."
Die junge Frau hatte bis jetzt bei Professor Sprout in der Ecke gestanden und trat jetzt auf sie zu. Sie hatte hellblonde Haare, durchdringende, graue Augen und ein Lächelnd auf den Lippen, das die vier sofort einnahm. Harry schüttelte ihre Hand und sie zwinkerte ihm zu.
„Also, den Namen Harry Potter kenne ich, aber wer seid ihr?" fragte sie.
„Das sind meine Freunde Hermine und Ron! Sie gehen mit mir in eine Klasse und wir kennen uns seit unserem ersten Jahr." stellte Harry vor.
„Aber sie mochten mich nicht wirklich in unserem ersten Jahr!" bemerkte Hermine und schüttelte ebenfalls Metas Hand.
„Es reichte, um dir das Leben zu retten!" ließ Ron sich vernehmen und nickte Meta zu, „Nett, Sie kennen zu lernen!"
„Ihr könnt mich gerne duzen, wenn ich es bei euch genauso halten darf!" bot sie an und die drei nickten.
„Und das hier ist Ginny!" sagte Harry und schob sie nach vorn, „Rons Schwester!"
„Hallo, Ginny!"
„Hi, freut mich!"
„Und jetzt wird gegessen!" rief McGonagall gut gelaunt und alle stürmten das Buffet; allen voran Harry und Ron, die von den Mädchen leicht belächelt wurden.
Nach der Party, von der sich Meta Rosenstein und Jakob Schuhmann ziemlich früh verdrückt hatten, um sich auszuruhen, mussten auch Harry, Ron, Hermine und Ginny ins Bett. Immerhin war es schon nach Mitternacht. Remus ging mit, da er ebenfalls müde war. Doch noch auf der Treppe hielt McGonagall ihn kurz auf.
„Remus, haben Sie noch einen Augenblick für mich?"
„Sicher." sagte Remus lächelnd und Harry blieb unauffällig neben ihm stehen, um seinen Schuh zu binden.
„Ich möchte Sie um etwas bitten, Remus." sagte Professor McGonagall , „Ich habe mir überlegt, dass Sie unsere Neuankömmlinge morgen etwas einführen könnten. Die beiden haben drüben durchaus auch die Nachrichten von der Insel verfolgt, aber was die Organisation des Ordens angeht sind Sie noch völlig ahnungslos. Könnten Sie das übernehmen?"
„Aber natürlich!" sagte Remus freundlich, „Sehe ich die zwei morgen beim Frühstück?"
„Das nehme ich an. Vielen Dank und gute Nacht!" Sie räusperte sich noch einmal: „Und Ihnen auch, Mr. Potter! Und seien Sie in Zukunft nicht so neugierig!"
Sie ging wieder hinunter und Harry seufzte einmal theatralisch: „Und schon sind wir wieder beim „Sie"!"
Remus lachte: „Entsetzlich, wirklich! Aber jetzt ab ins Bett! Wollen wir doch morgen mal gucken, ob man was mit den Neuen anfangen kann."
„O.K., gute Nacht!"
„Gute Nacht!"
