Ausflug in die Winkelgasse
Am nächsten Morgen brachen sie früh auf. Mit Flohpulver reisten sie in den Tropfenden Kessel und teilten sich dann in kleinere Grüppchen auf. Die älteren Weasley-Brüder machten sich auf den Weg zu „Weasleys Zauberhaften Zauberscherzen". Die Eltern Weasley, Kingsley und Jakob wollten einige Dinge für den Orden erledigen.
Remus, Meta und Tonks zogen mit Harry, Ron, Hermine und Ginny durch die Buch- und Klamottenläden. Ron brauchte schon wieder längere Umhänge, weswegen es bereits am Frühstückstisch heiße Diskussionen mit seiner Mutter gegeben hatte. Schließlich war Harry ganz mutig aufgestanden und hatte mit fester Stimme gesagt, dieses Jahr würde er alles kaufen, was Ron und Ginny für ihr neues Schuljahr brauchten als Dankeschön, dass sie sich alle so um ihn gekümmert hatten und wenn sie diese Geste nicht annehmen würde, wäre er ihnen verdammt böse. Mrs. Weasley hatte für einen ziemlich langen Moment nur gestarrt. Mr. Weasley hatte die Stirn gerunzelt und Ron und Ginny hatten die Münder nicht mehr zubekommen.
Schließlich endetet es einigermaßen glücklich damit, dass Harry seinen Kopf durchsetzte und für den Rest des Tages mit der müßigen Aufgabe beschäftigt war, Ron und Ginny klar zu machen, dass sie sich nicht zurück zu halten brauchten, was beiden natürlich entsetzlich schwer fiel. Sie konnten bei den vielen Büchern, die benötigt wurden, zwar schlecht ablehnen, doch beide bestanden darauf, ihre Umhänge wären noch ganz O.K.
Gerade schüttelte Ron wieder den Kopf und Harry musste sich arg beherrschen, um nicht laut aufzustöhnen. Bemüht ruhig sagte er: „Ron, dein Umhang ist dir eindeutig zu kurz und wenn du so weiter wächst, was ich doch stark annehme, wird er dir Weihnachten nur noch bis an die Knie gehen! Ich will mir Malfoys Gesicht gar nicht vorstellen, wenn er dich auf dem Flur trifft! Ich weiß, dass es dir unangenehm ist, aber weißt du was? Ich habe dieses dämliche Geld nun mal. Aber es bedeutet mir nichts! Ich weiß nicht mal genau, woher es kommt! Du bedeutest mir etwas, also lass dir jetzt bitte von mir diesen Umhang kaufen!"
Ron öffnete den Mund, um zu protestieren, da mischte sich Remus lachend ein: „Hey, Ron! Wenn ich dir sage, dass James und Lily dieses Geld aus einem Banküberfall hatten und wir es schnell ausgeben müssen, damit endlich alle Spuren verwischt sind, nimmst du es dann an?"
Ron knurrte etwas und ließ sich dann dazu überreden, den Umhang zumindest einmal anzuprobieren.
„Du kommst gleich dran!" sagte Harryund Remus winkte ab: „Nein, ich ..."
„Vergiss es, Remus! Du hast gerade gestern einen Umhang zerfetzt und eine Hose ruiniert und ich habe keine Lust, mich mit dir sehen zu lassen, wenn du weiterhin dieses Lumpending trägst! Sobald wir mit Ron fertig sind, kommst du an die Reihe. Du kannst dir ja mit Tonks und Meta schon mal was Hübsches aussuchen!"
„Ich habe noch einen guten Umhang, den ich noch nicht oft getragen habe!"
„Ach, und warum nicht?"
„Sirius hat ihn mir gekauft! Mit so ziemlich demselben Wortlaut, den du eben von dir gegeben hast!"
Harry biss sich auf die Zunge, lächelte dann grimmig und sagte: „Schön! Dann kriegst du jetzt eben noch einen guten Umhang und den wirst du gefälligst anziehen!"
Zum Mittagessen trafen sich alle bei „Florean Fortescue" und Kingsley lud zum Eisessen ein.
„Noch jemand mit einem Banküberfall, wie?" neckte Meta Remus. Dieser stand kurz vom Tisch auf, um die Tüten mit den Einkäufen Mr. Weasley mitzugeben, da er zurück zum Grimauldplatz wollte. Da kam auch schon die Kellnerin. Als alle fertig bestellt hatten, sah Harry sich ratlos um: „Und was sollen wir für Remus nehmen?"
„Haselnuss, Walnuss, irgendwas mit Nuss!" kam es von Tonks, die ihre Nase erst aus der Speisekarte hob, als sie alle fragend und teilweise sehr belustigt anstarrten.
„Hat er mal erwähnt!" grummelte sie und vergrub sich wieder in der Karte.
„Also, Haselnuss, bitte!" sagte Harry zur Kellnerin und bemühte sich, Tonks nicht allzu aufgebracht an zu sehen. Als Remus endlich zurückkam, standen die prächtigen Eisbecher schon auf dem Tisch.
„Ah, klasse! Haselnuss! Danke!" Er begann zufrieden sein Eis zu löffeln. Dann: „Was ? Habe ich etwas an mir?" Die versammelte Runde schüttelte den Kopf. Unsicher aß Remus weiter.
Nach dem Eisessen mussten die Hogwarts-Schüler noch einmal zu „Flourish & Blotts", da sie nicht daran gedacht hatten, ihre Bücherlisten umzudrehen. Folglich fehlten allen die Bücher, die auf der Rückseite aufgelistet waren.
„Mann, das wird echt ein Hammer!" stöhnte Ron, als sich die vier mit Tonks und Meta auf den Weg zum Buchladen machten. Harry bemühte sich, dem Gespräch der beiden jungen Frauen hinter sich unauffällig zu zu hören.
„ Und seit wann kennst du ihn?"
„Seit beinahe elf Jahren! Er ist damals von Deutschland nach Schweden gekommen, um ein Heilmittel für einen Freund zu suchen!"
Es schien um Jakob zu gehen. Harry spitzte die Ohren. Nachdem Remus ihm, wie Harry fand, eindeutig missmutig und eher unfreiwillig erzählt hatte, dass sich dieser mit Meta ein Schlafzimmer teilte, hatte Harry beschlossen, ihn nicht zu mögen. Vielleicht ließ sich etwas aus seiner Geschichte ja dazu verwenden.
„Und ihr zwei seid ...?"
„Nein, sind wir nicht! Wir sind Freunde!"
Harry hätte beinahe aufgelacht.
„Entschuldige, es sah so aus!"
Meta winkte lachend ab und fragte in einem beiläufigen Tonfall: „Und du und Remus?"
„Ich bin mir gar nicht mal so sicher, ob wir Freunde sind! Er ist ziemlich schwierig! Und er trauert noch immer sehr. Nicht, dass es mir nicht an die Nieren geht! Sirius war ein Cousin meiner Mutter."
„Das tut mir Leid! Das wusste ich gar nicht!"
„Naja ... ist ja auch nicht ... ich meine, mir tat´s auch ziemlich weh, aber ich hab mich irgendwie dran gewöhnt! Ich wünsche mir nur, dass Remus mal jemanden an sich heran lässt!"
„Er hat Harry, wie mir scheint!"
„Ja, aber ob das reicht? Aber jetzt bist du ja hier, nicht?" Tonks klang ziemlich durchtrieben.
„Und du versprichst dir etwas davon?" Meta lachte unsicher, was Harry mal als ein gutes Zeichen deuten wollte.
Am Ende des Tages fanden sich alle vor „Weasleys Zauberhaften Zauberscherzen" ein. Harry, Ron, Hermine und Ginny, die das Geschäft, vor dem sich eine lange, ungeduldige Schlange gebildet hatte, noch nie gesehen hatten, staunten nicht schlecht.
„Hey, Weasleys und Co!" brüllte Lee Jordan über all die Köpfe hinweg und winkte ihnen heftig zu, „Die Zwillinge sind drinnen! So, wer ist denn als nächster dran? Meine Damen und Herren, wer schubst, den schick ich gleich in die Wüste! Sie dürfen mir ruhig glauben, wenn ich sage, dass „Weasleys Zauberhafte Zauberscherze" heute bis Mitternacht geöffnet haben! Also, hören Sie endlich auf zu drängeln!"
Ron grinste: „Na, der hat ja alle Hände voll zu tun! Ich hoffe, er lässt es sich gut bezahlen!"
„Hallo, ihr vier!" Sie drehten sich um und sahen in Rivers grinsendes Gesicht: „Hi!"
„Wenn ihr mir unauffällig folgt, schleuse ich euch durch die Hintertür, dann könnt ihr wenigstens mal einen Blick in den Laden werfen!"
„Cool, danke!"
„Riv, es gibt keine Hintertür!" zischte Jordan ihm zu und sein Bruder lachte: „Noch nicht!"
Drinnen war es tatsächlich noch voller als draußen auf der Straße. Fred und George standen hinter einem niedrigen Ladentisch und waren eifrig am Geldwechseln.
„Hey, Leute! Haben leider keine Zeit für euch! Aber schön, dass ihr mal rein guckt!"
„Klar!" Ron drehte sich einmal um die eigene Achse und bestaunte das reichhaltige Sortiment an Scherzartikeln, das sich auf Regalen, Ausstellungstischen, in Kisten und Körben stapelte und sich bereits beträchtlich leerte.
„Sollen wir nachfüllen oder sonst irgendwie helfen?" fragen Harry begierig. Er hoffte, dass sie noch etwas bleiben und den Trubel genießen könnten. Doch Hermine schüttelte unnachgiebig den Kopf: „Wir müssen zurück! Mrs. Weasley hat gesagt, dass wir vor der Dämmerung wieder zu Hause sein müssen!"
„Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie mit uns macht, wenn wir später kommen!" sagte Ginny schaudernd und so traten die vier etwas enttäuscht den Rückweg an. Jordan und River winkten ihnen zum Abschied und draußen trafen sie Meta, Remus, Kingsley und Tonks wieder, die bereits eine abenteuerliche Suchaktion geplant hatten, da sie befürchteten, die vier verloren zu haben. So bekamen sie nur ein paar scharfe Kommentare zu hören und gingen zurück zum Tropfenden Kessel.
Mit einer weiteren Portion Ein-Weg-Flohpulver flohten sie erst zum Fuchsbau und von dort aus zum Grimauldplatz, um keine verräterischen Spuren zu hinterlassen.
Einige Tage später. „Wo ist Remus?"
„Arbeitet irgendwo mit Meta. Sie müssen ihren Unterricht vorbereiten. Wieso?"
„Nur so!" Harry ließ Charlie in der Eingangshalle stehen und suchte weiter. In einem der Arbeitszimmer wurde er schließlich fündig. Er blieb still in der Tür stehen und beobachtete die beiden.
„Und das hier ist ein Buch, das aus Dänemark kommt. Übersetzt heißt es etwa „Durchbrechung der Schranken". Ist sehr theoretisch, aber gut und einfach erklärt. Ich dachte, dass wir das in den drei oberen Klassen mal zum Einsatz bringen. Es geht mehr um Grundlagen, aber Beispiele kann ich selbst genug anführen."
„Ist es denn mal übersetzt worden?"
„Nein, ich habe die Passagen übersetzt, von denen ich glaube, dass ich sie verwenden kann."
„Du kannst Dänisch?"
„Dänisch, Deutsch und Schwedisch. Zwangsläufig. Die einschlägige Fachliteratur kommt vor allem aus Skandinavien und die neuesten Errungenschaften wurden und werden im Norden gemacht."
Remus zog beeindruckt die Augenbrauen hoch und nahm in einer beinahe ehrfürchtigen Geste das dicke Buch zur Hand. Er blätterte ein wenig darin.
„Hey, Leute!" Harry trat ein und sah belustigt, wie beide zusammen zuckten.
„Hi! Was schleichst du denn hier herum?"
„Nur so! Was arbeitet ihr?"
„Unterrichtsvorbereitungen." Remus war ziemlich kurz angebunden. Harry überlegte sich, ob seine Nacht so mies gewesen war oder ob es vielleicht an seiner Gesellschaft lag, die ihn in letzter Zeit irgendwie nervös zu machen schien. Sie grinste Harry jedenfalls an: „Deswegen werfe ich dich jetzt auch wieder raus! Ich will nicht, dass du irgendetwas über meine pädagogischen Taktiken ausplauderst!"
Harry lachte: „Das klingt aber abenteuerlich!"
Meta nickte und Harry nahm sich die Freiheit heraus, sie noch ein wenig zu betrachten.
Sie war in den letzten Tagen völlig normal gewesen und hatte keine komischen Ausfälle gehabt, die eine andere Persönlichkeit zum Vorschein brachten. Allerdings konnte das durch den Stress an der Schule anders werden und Harry fragte sich fast erfreut, wie die Slytherins reagieren würden, wenn sie mal von einem Lehrer so richtig zusammen gestaucht würden.
„Harry!"
„Hm?" Er sah auf und bemerkte, dass Remus ihn stirnrunzelnd anblickte: „Das ist unhöflich!"
Meta lachte laut: „Remus, du musst den Jungen nicht erziehen! Er ist 16!"
„Und trotzdem starrt er wie ein kleines Kind!" Langsam begann Remus zu lächeln und Harry grinste ihn breit an: „Ich geh schon! Lasst euch nicht weiter stören!"
Remus schnaubte und widmete sich dann wieder seinem Buch. Draußen vor der Tür zog Harry ein Langziehohr aus seiner Hosentasche und setzte sich neben die Tür. Er presste das Ohr an das Holz und lauschte. Erst einmal herrschte drinnen Stille. Dann war Remus´ Stimme zu hören, die zwischen Ärger und Belustigung schwankte: „Jetzt starrst du!"
„Allerdings!"
„Darf ich erfahren, wieso? Du weißt, wie ich aussehe; du willst mich doch sicher nur ärgern!"
Meta lachte darauf ohne zu antworten und dann vertieften sie sich anscheinend wieder in ihre Bücher, denn sie schwiegen, woraufhin Harry beschloss, seine Freunde zu suchen. Ron traf er gleich oben auf dem Treppenabsatz, wo dieser saß, ein Sandwich mümmelte und den Mädchen amüsiert dabei zusah, wie sie gegen wütend gegen einen Schuhschrank kämpften, der offenbar ihre Hauspuschen geschluckt hatte. Harry setzte sich zu Ron auf die oberste Stufe: „Hey!"
„Hi! Sieh mal, das geht schon seit einer Dreiviertelstunde so. Willst du wetten, wer gewinnt?"
„Wieso hilfst du ihnen nicht?"
„Sie haben meine Hilfe abgelehnt!" meinte Ron schulterzuckend und biss von seinem Sandwich ab.
„Ich finde Meta echt nett." sagte Harry auf einmal und Ron nickte: „Ja, sie ist ganz cool. Wenn sie keine Aussetzer hat und so."
„Ich glaube, Remus mag sie auch!"
„Und ich glaube, du hättest es ganz gerne, dass Professor Lupin sich in sie verguckt!" verkündete Hermine keuchend, als sie sich neben die beiden fallen ließ.
„Wäre nicht das Schlechteste." meinte Ginny, die ihr folgte, „Er kann eine kleine Romanze gebrauchen!" Sie grinste Harry durchtrieben an, was ihn irgendwie nervös machte, worüber er sich ärgerte. Seit wann hatte Rons kleine Schwester, die früher so kindlich für ihn geschwärmt hatte, so eine Wirkung auf ihn?
Nachts lagen Harry und Ron wach, ohne einschlafen zu können, was ohne Frage an der Cola lag, die Tonks mitgebracht und den Freunden begeistert ausgeschenkt hatte. Das Koffein nicht gewöhnt, lagen sie wach und starrten an die Decke. Schließlich beschloss Ron, dass sie genauso gut das Schachspiel zu Ende spielen könnten, das sie am Abend im Kaminzimmer begonnen hatten. Sie stahlen sich lautlos bis zur Treppe und erstarrten, als jemand durch die Eingangshalle schlich.
„Wer ist das?" fragte Harry.
„Keine Ahnung, aber ich würde sagen, das sieht verdächtig aus. Lass uns mal nachsehen!" erwiderte Ron.
„Oder ihr geht wieder ins Bett; wie wäre es damit!" Mrs. Weasleys Stimme klang scharf und verärgert und sie streckte ihren Kopf aus ihrem Schlafzimmer oben auf der Galerie.
„Klar, Mum!" Ron war blass geworden und er und Harry schlüpften eilig in ihr Zimmer.
„Das war knapp! Sie hat gar keine Zeit zum Ausholen gehabt!"
„Wir gehen später nachschauen, wer sich hier herumschleicht!" sagte Harry, „Das ist mir doch zu seltsam. Vielleicht ist es auch Snape."
„Wie kommst du darauf?"
„Keine Ahnung!"
„Ruhe da drinnen!"
„Ja, Mum! Gute Nacht!"
Ungefähr eine Stunde später schlichen Harry und Ron auf Zehenspitzen die Treppe hinunter und sahen sich um. Harry deutete stumm auf die Tür vom Kaminzimmer, unter der ein schwacher Lichtstrahl schimmerte. Ron nickte. Sie gingen nebeneinander vor der Tür in die Knie und spähten abwechselnd durch das Schlüsselloch.
„Also, irgendwer sitzt da am Tisch, glaub ich." wisperte Ron.
„Kannst du erkennen, wer?" flüsterte Harry zurück.
„Nein. Eine Frau, glaube ich."
Eine Weile versuchten sie noch, einen besseren Blick zu erhaschen, doch es war unmöglich, einfach die Tür zu öffnen und hineinzuspähen. Etwas enttäuscht zuckten die beiden mit den Schultern und gingen wieder in Bett.
