Willkommen zu Hause!
Etwas später lief der Zug in Hogsmeade ein.
„Erstklässler zu mir!" hörten sie Hagrid brüllen und während Ron lachte, traten Harry und Hermine Tränen in die Augen.
„Wie früher!" flüsterte Hermine Harry zu, als sie sich bei ihm unterhakte und auf die Kutschen zuging, was Ron ärgerlich die Stirn kraus ziehen ließ. Als sie die Kutschen erreicht hatten, stieß Ron einen verblüfften Schrei aus: „Meine Güte, sind die grausig!"
„Die Thestrale?" fragte Harry und Ron nickte schaudernd. Hermine zog eine Schnute: „Kannst du sie jetzt auch sehen?"
„Ja, wohl wegen des Gehirns, das mich erwürgen wollte!"
In Hermines Schnauben mischte sich eine andere Stimme: „Du wurdest von einem Gehirn erwürgt, Wiesel? Wie kommt denn ein Gehirn in die Nähe deines Kopfes?" Malfoy lachte dreckig und Crabbe, Goyle, Pansy und all die anderen Slytherin-Idioten fielen mit ein.
„Auch wie früher!" knurrte Ron.
„Er ist nicht ganz so gut wie früher!" meinte Hermine geringschätzig und stieg ein, während Ron einen letzten beunruhigten Blick auf die Thestrale warf. In der Kutsche sagte er nachdenklich: „Eines aber verstehe ich nicht, Harry: Jeder, der dem Tod ins Auge oder jemanden sterben gesehen hat, kann die Thestrale sehen. Jetzt mal ehrlich, Mann: Du müsstest die Viecher sehen können seit dem Tag, an dem Voldemort dich angegriffen hat! Dein Leben begann ja praktisch damit, dass dich jemand umbringen wollte. Und im ersten Schuljahr war es zumindest knapp und im zweiten warst du so gut wie tot, wenn Fawkes nicht gekommen wäre ... Wieso hast du sie erst letztes Jahr entdeckt?"
Harry zuckte langsam mit den Schultern. Er müsste lügen, wenn er sagen sollte, dass er sich darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatte, doch er war zu keiner logischen Antwort gelangt.
Hermine räusperte sich: „Im Gegensatz zu euch habe ich mich das nicht nur gefragt, ich habe es nachgeschlagen. Die Definition, die du genannt hast, Ron, ist doch eine sehr vereinfachende. Ich weiß! Ich selbst habe es so gesagt. Aber jetzt bin ich klüger. Die Fähigkeit, Thestrale sehen zu können, hängt sehr eng mit dem menschlichen Geist zusammen. Dieser wird ständig verändert; durch jedes Erlebnis, das wir haben und natürlich auch oder besonders durch den Tod, wenn wir ihm auf irgendeine Art und Weise begegnen. Man kann es sich vielleicht so vorstellen, dass eine solche Erfahrung so etwas wie ein Ventil öffnet, welches die Wahrnehmung des jeweiligen Menschen erweitert, so dass er Thestrale sehen kann. Nun liegt es aber an dem Menschen selbst, ob er diese Veränderung seines Geistes akzeptiert oder ob er sie abstößt und dadurch diese Fähigkeit wieder verliert. Man könnte sagen, dass nur die Menschen, die den Tod in ihrem Leben und die darauf folgende Veränderung ihrer Psyche nicht nur wahr-, sondern auch angenommen haben und als einen Teil von sich ansehen; dass nur diese Menschen Thestrale sehen können. Der Tod war so zu sagen nur der Auslöser; der Türöffner. Es liegt an dem Menschen, etwas aus dieser neuen Situation zu machen. Kurz gesagt: Harry war einfach noch nicht bereit dazu!"
Harry und Ron stand der Mund offen.
„Hervorragend, Hermine! Wirklich phantastisch! Ich hätte es nicht besser erklären können!" erklang eine Stimme und sie drehten sich zur Tür. Remus hielt sie offen und lächelte Hermine an: „Darf ich mich zu euch setzen?"
„Immer! Läufst du vor Meta weg?" Harry schob seine Tasche vom Sitz neben sich herunter und Remus nahm Platz: „Harry Potter, misch dich nicht in Sachen ein, die dich nichts angehen!" Er wandte sich wieder an Hermine, die sehr rot geworden war: „Ich glaube, du solltest Lehrerin werden, Hermine. Es wäre unverantwortlich, wenn dieses Talent, Dinge zu verstehen und zu erklären verkommen würde!"
Hermine strahlte noch mehr und fügte grinsend hinzu: „Und man denke an die Geduld, die ich für die beiden hier aufgebracht habe!"
Remus lachte schallend und die Jungen fielen zögernd und halbherzig mit ein. Harry wünschte für den Bruchteil einer Sekunde, Sirius hätte das hören können. Er hätte ebenfalls laut gelacht und sicher noch eine spannende Geschichte in petto gehabt, wie er und James mal einen Thestral getroffen hatten.
Während er versuchte, diesen trüben Gedanken ab zu schütteln, meinte Ron trocken und wie nebenbei: „Aber deswegen lieben wir dich auch so, Hermine!" Die Kutsche hielt mit einem Ruck und Ron war draußen, bevor Hermine zu Ende staunen konnte über dieses freimütige Geständnis.
Hogwarts lag im Dämmerlicht groß, majestätisch und unglaublich stark da. Sie betraten schließlich die Eingangshalle. Harry mochte kaum glauben, dass alles so beleuchtet und freundlich war.
„Dumbledore will uns noch einen schönen, ersten Tag machen, bevor morgen ..." sagte Hermine leise und deutete beinahe fassungslos auf die fröhliche Dekoration und den sternenstrahlenden Himmel über ihnen.
„ ... bevor morgen die Welt über unseren Köpfen zusammenbricht und wir in ausnahmslos allen Fächern nützliche Dinge zur Verteidigung unseres nackten Lebens lernen!" vollendete Ron düster und zog so ungewollt die gesamte Aufmerksamkeit des Gryffindor-Tisches auf sich. Harry und Hermine nickten mit finsteren Gesichtern und versuchten, ihre Aufmerksamkeit auf den Lehrertisch zu lenken, der in diesem Jahr doppelt so lang war wie sonst.
Dumbledore thronte in der Mitte; die alten Lehrer zu seiner Linken; die neuen an seiner Rechten. Moody starrte unfreundlich in die Halle und nippte an seinem Flachmann. Neben ihm zappelte Tonks ganz aufgeregt und Kingsley beobachtete sie amüsiert. Charlie und Bill grinsten um die Wette und wurden bereits jetzt von einigen jüngeren Schülerinnen angehimmelt. Neben ihnen saßen Remus, Meta und Jakob. Während Remus so glücklich aussah, wie schon lange nicht mehr, machte Meta ein etwas nervöses Gesicht und Jakob staunte offensichtlich über die lärmende Schülermasse. Dumbledore erhob sich und begrüßte die Schüler mit einer weit ausholenden Geste: „Herzlich Willkommen zurück!"
Die Schüler applaudierten und Dumbledore fuhr fort: „Herzlich Willkommen auch unseren Lehrern und Helfern! Ich denke, ich tue gut daran, sie NACH dem Essen vorzustellen. Zuvor sollten wir uns aber unsere Erstklässler anschauen. Professor McGonagall, würden Sie mit der Auswahl beginnen?"
McGonagall erhob sich und rief die neuen Schüler herein. Harry betrachtete sie. Sie wirkten irgendwie kleiner als er sich selbst in Erinnerung hatte. Sie waren allesamt blass und zittrig und starrten mit entsetzt aufgerissenen Augen zu Professor McGonagall und dem Hocker, auf dem ein großer, breitkrempiger Hut lag, der auch gleich einen Mund öffnete und sang, oder, wie Harry amüsierte fand, sogar rappte:
„Habt keine Angst, sagt der Hut.
Seid voll Zuversicht und Mut!
Ihr kommt in Zeiten, die sind schwer,
doch ängstigt euch nicht allzu sehr!
Ihr werdet hier schnell Freunde finden
und euer Leben an sie binden!
Ihr werdet nie alleine sein,
bringt ihr Vertrauen mit herein!
Wir werden schon gut für euch sorgen!
Vor allem heute und auch morgen!"
Der Hut verstummte kurz und die älteren Schüler amüsierten sich über die völlig perplexen Gesichter der Erstklässler.
Dann setzte der Hut wieder an: „Euch Alten sag ich nach der Pause
nur noch eins: WILLKOMMEN ZU HAUSE!"
Die Schüler johlten und klatschten begeistert. McGonagall trat vor, wischte sich eine kleine Träne aus dem Auge und wandte sich an die Kleinen: „Ich rufe euch jetzt der Reihe nach auf und der Hut verteilt euch auf eure Häuser. Es gibt Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherin. Also, fangen wir an: Aller, Nadine." Während ein schüchternes, kleines Mädchen auf den Stuhl zu stolperte, flüsterte Hermine gerührt: „Ist das nicht süß? Ich bin völlig hin und weg!"
„Ja, ich bin auch erleichtert, dass der Hut es kurz gemacht hat!" meinte Ron und Harry lachte.
„Ach, Ron!" Hermine sah ihn ärgerlich an. Da trat der erste neue Schüler für Gryffindor an ihren Tisch und alle begrüßten ihn überschwänglich.
„Jetzt habe ich seinen Namen nicht mitgekriegt und ich bin doch Schulsprecherin! Jetzt seid aber ruhig!"
Ron wollte protestieren als Hermine sich, die Augen verdrehend, abwandte, doch Harry tätschelte ihm beruhigend den Arm: „Lass gut sein! Ich weiß, dass sie angefangen hat!"
Ron knurrte ein bisschen und dann schenkten beide ihre Aufmerksamkeit dem Lehrertisch, wo Remus beinahe rührselig auf die Kleinen guckte. Er seufzte und fing sich gleich eine Bemerkung von Meta ein, über die er etwas verschämt lächelte. Meta selbst hatte allerdings auch schon schimmernde Augen. Ron schüttelte den Kopf und Harry grinste.
Dann beobachteten die beiden Hermine, die sich rüber zu den Erstklässler gesetzt hatte und von zwei Jungen schon völlig entsetzt angestarrt wurde, während drei Mädchen sie hingerissen und unendlich dankbar anschauten. Hermine redete eifrig auf sie ein, hielt vier Hände in beruhigender Geste und hatte ein so zuversichtliches, vertrauenswürdiges Gesicht aufgesetzt, dass Jordan sich zu einer Bemerkung hinüberbeugte: „Sie hat´s echt voll drauf, oder?"
Harry und Ron nickten und Ginny grinste: „Sie ist toll!" Dann schob sie sich zu Hermine und den Erstklässlern und stellte sich als Vertrauensschülerin vor.
Harry sah, wie Ron versuchte, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zu machen, aber er sagte nichts Mit „Zarking, Rudy" endete die Verteilung der Erstklässler. Dumbledore klatschte zweimal in die Hände, auf den Haustischen erschien das Essen und der Direktor rief laut: „Guten Appetit! Lasst es euch schmecken!"
„Na, endlich!" rief Ron und stürzte sich auf die Hähnchenflügel.
„Ron!" flüsterte Hermine, „Vorbildfunktion!" Ron winkte ab und antwortete mit vollem Mund: „Ich bin kein Vertrauensschüler mehr und ich bin lieber satt als ein Vorbild!" Eine kleine Erstklässlerin lachte und Harry wisperte Ron ins Ohr: „Die mag dich!"
Ron gab einen leichten Grunzton von sich: „Ich hab genug Probleme! Da brauche ich nicht noch einen Erstklässler, der mir hinterher läuft!" Als er aber sah, dass sie ihn noch immer anlachte, schickte er ihr ein Grinsen. Aus den Mundwinkeln flüstere er Harry zu: „Ginny hat auch mal für dich geschwärmt!"
„Ja, Betonung auf „mal"! Dem ist heute nicht mehr so!" gab Harry bitter zurück und Ron sah ihn erstaunt an: „Hört sich fast so an, als täte es dir Leid, mein Freund!"
„Tut es nicht!" sagte Harry viel zu schnell und guckte dann zum Lehrertisch, um abzulenken, „Was ist denn da los?"
„Schlechter Trick, Harry!" lachte Ron, doch Harry schüttelte den Kopf: „Nein, ernsthaft!" Rons Augen folgten seinem Blick und beide runzelten die Stirn.
Remus hatte sein Glas erhoben und war in der Bewegung erstarrt. Sein Blick haftete an dem Glas und selten hatte er dermaßen entsetzt ausgesehen. Seine Hand zitterte so sehr, dass sogar Harry und Ron es auf die Entfernung sehen konnten. Und auch Hermine, die den beiden zu zischte: „Was hat er denn?" Die Jungen zuckten mit den Schultern.
Remus starrte auf sein Glas.
„Was ist? Schmeckt dein Wein nicht?" fragte Meta lachend, doch als Remus nichts erwiderte, sah sie ihn besorgt an: „Was ist, Remus?"
Remus hob langsam und seine Hand mühsam ruhig haltend das Glas an seine Nase und roch daran. Er zuckte zusammen und stellte es so heftig ab, dass ein paar Tropfen über- schwappten.
„Das ist kein Wein!" sagte er mit gebrochener Stimme und sein Blick wanderte suchend durch die Halle.
„Was soll das sonst sein?" Meta nahm sein Glas und wollte einen Schluck probieren.
„Nicht! Um Himmels Willen!" Remus riss ihr das Glas weg, verschüttete noch mehr von der tiefroten, schweren Flüssigkeit und sagte schwer atmend: „Das ist Blut!"
„WAS!"
„Wie bitte?" Nun wandte auch Jakob ihnen seine Aufmerksamkeit zu, „Woher willst du das wissen?"
„Ich weiß, wie Blut riecht, glaub mir!" sagte Remus leise und Meta schüttelte den Kopf: „Aber warum ...?"
„Eher wer!" meinte Remus finster und Jakob verschluckte sich an seinem Wasser: „WER? Du meinst, jemand hier ... aber, Remus!"
„Es gibt genug Leute, die nicht begeistert davon sind, dass ich wieder hier bin. Jetzt lasst euch bloß nichts anmerken! Den Triumph will ich ihnen nicht gönnen!"
„Ihr Essen, Herr Schuhmann!" Eine kleine Hauselfe schob einen großen Teller auf den Tisch.
„Ihr Essen, Miss Rosenstein!" Ein weiterer Elf nahm die Glocke von seinem Teller und platzierte ihn vor Meta.
„Ihr Essen, Mr. Lupin!"
Remus schleuderte dem Elf die Hände entgegen: „Nein, nicht aufdecken!" Doch zu spät: Der Hauself nahm die Warmhalteglocke vom Teller und ließ einen spitzen Schrei ertönen. Der Teller fiel zu Boden und zersprang in tausend kleine Scherben, in denen Unmengen von dunklem Blut und ein pumpendes Herz lagen.
„Oh, mein ...!" Meta schlug die Hand vor den Mund und Jakob keuchte erschrocken. Remus schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen, dann zog er hastig den Zauberstab und fuhr über die Innereien: „Ratzeputz!" Sofort verschwanden sie, doch etliche Schüler hatten schon gesehen, was ihrem Lehrer da beinahe serviert worden war und waren erstarrt.
„Oh, Mr. Lupin! Oh, Professor Lupin! Ich weiß gar nicht, wie das passiert ... in der Küche war noch alles ... ich wollte wirklich nicht ..." stammelte der arme, verwirrte Elf und konnte den Blick nicht von den nun wieder sauberen Boden wenden.
„Was ist denn los?" fragte Dumbledore von der Mitte des Tisches. Anscheinend hatte er nicht alles mitbekommen.
„Alles in Ordnung, Albus. Guten Appetit weiterhin!" sagte Remus laut und strich sich mit zitternden Fingern das Haar aus der Stirn.
„Remus ..." flüsterte Meta, doch er winkte ab: „Lass gut sein! Ich nehme mir etwas Obst und damit hat sich die Sache! Und ihr macht, dass ihr wieder in eure Küche kommt! Keiner macht euch hier Vorwürfe!"
Die Elfen huschten davon und Remus griff nach einem Apfel. Meta schluckte und versuchte sich auf ihr Essen zu konzentrieren. Jakob beugte sich zu Remus und sagte leise: „Sieh dir mal die Schüler am rechten Tisch an! Die fünf in der Mitte an der rechten Seite!"
Remus´ Blick wanderte zum besagten Tisch; dem Slytherin-Tisch. Malfoy, Crabbe, Goyle und zwei weitere Jungen lachten heftig und machten Grimassen und taten, als läge sonst was Ekliges auf ihren Tellern.
„Danke, Jakob!" sagte Remus grimmig und Jakob nickte.
„Meine Güte, das war ... das war ..." Hermine versuchte verzweifelt, sich zu fassen; vor allem, da die Kleinen sie schon anstarrten. Harry kämpfte währenddessen mit einem Wutanfall. Er wollte nicht gleich am ersten Tag auf Malfoy losgehen, doch das kostete ihn unheimlich viel Kraft. Wie konnte er Remus nur so etwas antun? Und es war Malfoy gewesen; wie auch immer er das geschafft hatte. Harry hatte sein feixendes, zufriedenes Gesicht genau gesehen.
„Wenn ich den das nächste Mal sehe, dann nehme ich ihn eigenhändig auseinander und verfüttere ihn an eines von Hagrids Viechern!" knurrte Ron und ballte ebenfalls die Fäuste.
„Ron, bitte!" sagte Hermine schwach, doch nicht überzeugt mit einem Blick auf die Erstklässler, doch Ron ließ sich nicht beirren: „Hört gut zu, ihr Frischlinge: Hier in Gryffindor steht man für seine Freunde ein und wenn es sein muss, dann geht man auch einer ordentlichen Prügelei nicht aus dem Weg! Manche Dinge müssen getan werden, also versucht ja nicht, euch irgendwann vor irgendwas zu drücken!"
„Auch nicht vor den Strafarbeiten, die ihr für die eben genannten Prügeleien bekommt, denn ein Gryffindor lässt sich von so was nicht klein kriegen!" ließ sich Harry vernehmen, „Und merkt euch: Lieber eine Strafarbeit zu viel verrichten, als still daneben stehen, wenn einem eurer Freunde ein Leid angetan wird!"
Die Kleinen guckten beeindruckt und selbst Hermine widersprach nicht mehr, sondern versuchte nur noch, nicht allzu begeistert zu nicken. Mittlerweile himmelten zwei Mädchen am Ende des Tisches Harry ganz offensichtlich an, worüber Ron breit grinste: „Schau mal, mein Freund! So viel dazu!"
Harry winkte ab und sah noch einmal zu Remus, der gefangen zu haben schien. Er aß mit ausdruckslosem Gesicht einen Apfel und bemühte sich, niemanden anzusehen. Harry beschloss, am nächsten Morgen sofort mit ihm zu reden. Oder sich vielleicht nach dem Essen den Tarnumhang zu schnappen und zu ihm zu gehen; Sicherheitsvorkehrungen hin oder her. Er musste etwas grinsen bei dem Gedanken, wie er schon am ersten Abend mal wieder verbotene Pläne schmiedete.
Erst einmal aber stand Dumbledore auf und erreichte ein ehrfurchtsvolles Schweigen nur, indem er eine Hand hob: „Nun, ich hoffe, es hat euch geschmeckt! Ich stelle euch jetzt den Lehrkörper für dieses Jahr vor. Besonders die neuen Schüler möchte ich bitten, gut zu zu hören!"
„Aber das sind doch viel zu viele! Die können wir uns gar nicht merken! Ich sollte besser mitschreiben!" fiepte eine Erstklässlerin neben Ron und Harry grinste: „Guck mal, eine kleine Hermine!" Die große Hermine allerdings schockte alle drei, indem sie bestimmt sagte: „Steck den Stift weg und hör einfach zu!"
„Unser Lehrer für das Fach Zaubertränke und Hauslehrer des Hauses Slytherin Professor Severus Snape!"
Wenig begeisterter Applaus folgte.
„Er fängt mit Snape an, damit man nachher nicht merkt, wie bei ihm der Jubel beträchtlich abflaut!" wisperte Ron.
„Dafür merkt man aber jetzt, wie er nach ihm beträchtlich ansteigt!" gab Hermine zu bedenken.
„Ich habe nicht gesagt, dass seine Taktik gut ist!" meinte Ron schlagfertig und lachte.
„Unsere Lehrerin für das Fach Astronomie Professor Lydia Sinistra! Unser Lehrer für das Fach Zauberkunst und Hauslehrer des Hauses Ravenclaw Professor Filius Flitwick! Unsere Lehrerin für das Fach Wahrsagen Professor Sybill Trelawney! Unsere Lehrerin für das Fach Fliegen Madam Elenor Hooch! Unser Lehrer für das Fach Zaubereigeschichte und ein ehrenwerter Geist dieses Hauses Professor Egdar Binns!"
„Egdar? Na, dann!" murmelte Ginny und Harry lachte: „Darauf kommt es doch auch nicht mehr an, oder?" Ginny schüttelte den Kopf und lachte.
„Unsere Schulkrankenschwester und Lehrerin für das Fach Heilen Madam Poppy Pomfrey! Unsere Lehrerin für das Fach Mugglekunde Professor Sabrina Smythe! Unser Lehrer für das Fach Alte Runen Professor Marinus Green! Unsere Lehrerin für das Fach Arithmantik Professor Sasha Vektor! Unsere Lehrerin für das Fach Verwandlung, stellvertretende Schulleiterin und Hauslehrerin des Hauses Gryffindor Professor Minerva McGonagall!"
Der Gryffindor-Tisch tobte. Besonders die Kleinen jubelten ihrer neuen Lehrerin so nachhaltig zu, das Harry überlegte, ob sie sich entweder einschleimen wollten oder ob sie noch vollkommen eingeschüchtert waren.
„Unsere Lehrerin für das Fach Kräuterkunde und Hauslehrerin des Hauses Hufflepuff Professor Pomona Sprout! Unser Lehrer für das Fach Pflege Magischer Geschöpfe und Hüter der Schlüssel und Ländereien von Hogwarts Professor Rubeus Hagrid!"
„Oh, er ist so süß!" juchzte Hermine und schlug so fest die Hände zusammen, dass sie ihr schon wehtaten. Harry und Ron johlten, so laut sie konnten und die Schüler der siebten Klasse knallten ausnahmslos ihre leeren Becher auf den Tisch.
„Wieder zurück: Unser Lehrer für die Fächer Verteidigung gegen die dunklen Künste und Zaubereiforschung Professor Remus Lupin!"
Harry stand auf und ließ einen Begeisterungsruf los, der für einen kurzen Moment sogar seine Gryffindor-Mitschüler erstaunte. Dann taten sie es ihm nach und klatschten während ihrer standing-ovation wild für ihren Lieblingslehrer.
„Wow!" machte Meta, „Ich wusste ja, dass du gut bist und sie dich mögen, aber das? Alle Achtung!"
Remus lächelte schüchtern und obwohl ihm diese Reaktion und die ungeteilte Aufmerksamkeit beinahe unangenehm waren, freute er sich doch sehr darüber. Harry warf Malfoy, der an seinem Tisch saß und demonstrativ die Arme verschränkte, einen triumphierenden Blick zu.
„Soll er nur merken, dass wir hinter ihm stehen! Und das nächste Mal stopfe ich ihm seine Innereien in den hässlichen Hals!" fauchte Ron und begann mit den Füßen zu trampeln.
„Und weißt du was, Ron? Ich helf dir dabei!" verkündete Hermine grimmig und pfiff auf zwei Fingern, bevor sie sich ihren neuen Schützlingen zuwandte, „Lasst euch ja nie vom irgendjemandem einreden, Professor Lupin wäre etwas anderes als ein fantastischer Lehrer und ein guter Mensch! Wenn einer von euch mit irgendwelchen Flausen ankommt, dann wasche ich ihm den Kopf! Er ist nämlich einer der wundervollsten Menschen, die es gibt!"
„Ist er der ...?" brachte ein Junge schüchtern hervor.
„Ja!" sagte Harry gerade heraus und setzte sich wieder, da auch die anderen Platz nahmen, „Er ist ein Werwolf!"
Erschrockenes Quietschen und scharfes Luftholen fuhr durch die Erstklässler.
„Er ist ein Werwolf und der beste Mensch, den ich kenne!" Dass das der große Harry Potter sagte, den sie alle schon insgeheim mindesten einmal bewundernd angestarrt hatten, machte Eindruck. Sie sahen noch einmal zu Remus, der noch immer gerührt lächelnd da saß und beschlossen alle, ihn zumindest nicht von vorneherein abzustempeln.
„Kommen wir nun zu unseren neuen Lehrkräften, die uns in diesem Jahr, in diesen gefährlichen Zeiten unterstützen wollen. Unsere Lehrerin für das Fach Fremdverwandlung Aurorin Hestia Jones! Unsere Lehrerin für das Fach Trankforschung Aurorin Emmeline Vance!"
„Trankforschung! Guckt euch Snapes Gesicht an!"
„Unsere Lehrerin für das Fach Verteidigung gegen die dunklen Künste Fluchbrecherin Meta Rosenstein und ebenfalls Lehrer für dieses Fach Auror Alastor Moody!"
Harry und seine Freunde jubelten.
„Unser Lehrer für das Fach Kampfutensilien Auror Kingsley Shaklebolt! Unser Lehrer für das Fach Kampf gegen Magische Geschöpfe Charles Weasley!"
Wieder erhob sich der Gryffindor-Tisch und Ron und Ginny schrieen sich die Kehlen heiser.
„Unsere Lehrerin für das Fach Haushaltsutensilien Mrs. Minora Creevey!"
Colin und Dennis sprangen auf und jubelten ihrer Mum zu; kräftig unterstützt von den nachsichtig lächelnden Gryffindors.
„Unser Lehrer für das Fach Zaubereipolitik der Ministeriumsabgeordnete Benjamin Walter! Und schließlich noch drei unserer Helfer für die Crashkurse: Aurorin ..."
„Na, komm! Sag es!" lachte Ron.
„ ... Nymphadora Tonks ..."
„Ja!" Ron schlug sich mit den Händen auf die Oberschenkel und Hermine und Harry lachten mitleidig.
„ ... und die Fluchbrecher Jakob Schumann und William Weasley!"
Ein letztes Mal hüpften die Gryffindor-Schüler hoch und applaudierten heftig.
Dumbledore registrierte die Begeisterung gutmütig lächelnd: „Ich danke euch für diese warmherzige Begrüßung! Aber ich hatte von meinen Schülern auch nichts anderes erwartet! Ich bitte nun noch einmal um Applaus für unseren Hausmeister Argus Filch, der die Liste der verbotenen Gegenstände; übrigens auf 556 erhöht; an seiner Tür befestigt hat! Er bittet höflich darum, dass in den Gängen nur gerannt wird, wenn es gilt, das eigene oder ein anderes Leben zu retten!" Harry und Ron waren die einzigen, die lachten.
„Hinzufügen möchte ich noch, dass der Verbotene Wald, wie der Name schon sagt, für ausnahmslos alle Schüler verboten ist, ebenso wie das nahe Dorf Hogsmeade!"
„Das darf doch nicht wahr sein!" Entrüstete, enttäuschte Rufe ertönten und auch Harry ließ die Schultern sinken. Nicht einmal Hogsmeade?
„Das ist nur zu eurer Sicherheit, meine Lieben!" sagte Dumbledore scharf, „Außerdem darf kein Schüler das Schloss allein verlassen! Es gilt hier: Immer zu dritt! Wer mag mir einmal erklären, warum es drei Leute sein sollen?" Er sah ermutigend in die Halle.
Ein Erstklässler vom Gryffindor-Tisch winkte ihm heftig zu: „Einer verletzt sich, einer bleibt da, einer holt Hilfe!"
„Dankeschön!" Dumbledore musste ein Grinsen unterdrücken, „Alle Schüler dürfen sich ausschließlich auf dem Schulgelände aufhalten, welches vom Schloss bis zu Hagrids Hütte und bis zu den Ufern des Sees reicht. Alles darüber hinaus gehört nicht zum Schulgelände und wird von niemandem betreten! Jeder, der das Schloss, wohlgemerkt in einer Gruppe von mindestens drei Leuten, verlässt, findet sich innerhalb von drei Stunden dort auch wieder ein. Wer länger wegzubleiben gedenkt, meldet sich bei einem Lehrer mit einer wirklich guten Begründung ab. Wenn wir eine Suchaktion nach jemandem starten müssen, der unter einem Baum eingeschlafen ist, dann werde ich wirklich ärgerlich!"
„Drei Stunden, du liebes bisschen!" flüsterte Hermine und tätschelte die Hand des Mädchens neben ihr, das immer blasser wurde.
„Eure Eulen werden in der Eulerei gut überprüft und wenn befunden wird, dass sie für den sicheren, schnellen Transport von Briefen nicht geeignet sind, dann werdet ihr auch keinen Brief, keinen winzigen, lausigen Zettel mit ihnen verschicken! Sie können gerne hier bleiben, doch zum Verschicken von Post bedient ihr euch dann gefälligst der Schuleulen und der neuen Brieftauben!"
„Ein Glück, dass ich Pig habe und nicht mehr Errol benutzen muss!" wisperte Ron und Harry lachte: „Allerdings!"
„Ich bitte euch, euren Kontakt mit der Außenwelt auf das Nötigste zu beschränken, sprich: Eure Familie!"
Harry schluckte. Er hatte niemand, dem er schreiben konnte. Und er würde so gerne Sirius schreiben und sich über die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen beschweren. Sie würden beide ganz genau wissen, dass das richtig und notwendig war, doch sie würden trotzdem darüber schimpfen und dann lachen. Er schluckte diesen traurigen Gedanken herunter und hörte wieder Dumbledore zu: „Ihr wisst alle, warum ich euch darum bitte. Also, meckert ruhig darüber, aber haltet euch daran! Des Weiteren bitte ich euch inständig, euch sofort an einen Lehrer zu wenden, sollte euch irgendetwas, auch nur die allerkleinste Kleinigkeit auffallen oder etwas merkwürdig erscheinen! Unsere Lehrer haben schon so manchen anstrengenden Schüler erlebt und so kann ich euch versichern: Sie sind hart im Nehmen! Sie sind zu jeder Tages- und Nachtzeit für euch da und werden lieber einmal zu viel geweckt, als dass sich jemand zurück hält und dann etwas passiert!"
Die Lehrer lachten und machten gespielt empörte Gesichter. Aber während Remus ernst nickte, sah Snape eher aus, als würde er jeden in der Luft zerreißen, der es wagen sollte, ihn mitten in der Nacht zu wecken und sei es, weil die Schule in Flammen steht.
„Ich versichere euch: Hier seid ihr sicher! Haltet euch an die Regeln, seid vorsichtig, seid rücksichtsvoll, lernt, findet Freunde, habt Spaß, macht ein bisschen Unfug und vor allem wachst! Es klingt jetzt schlimmer, als es ist. Ihr gewöhnt euch auch an diesen Schulalltag und vielleicht sieht es im nächsten Jahr schon alles ganz anders aus. Besser! Sicherer! Ihr habt die Chance, an dieser Schule zu lernen, also solltet ihr sie wahrnehmen! Steht euch nicht selbst im Weg, indem ihr euch gegenseitig angreift, sondern helft einander! Wir haben den Rahmen gestaltet; jetzt liegt es an euch, eure Schulzeit zur schönsten Zeit eures Lebens zu machen!"
Eine Weile herrschte beeindrucktes, ergriffenes Schweigen, dann brach ein ohrenbetäubender Jubel los, der jeden bis dahin gewesenen Krach übertraf. Und ausnahmslos alle Schüler erhoben sich; nun, vielleicht einige vom Slytherin-Tisch nicht; und applaudierten ihrem Schulleiter und kaum einer machte es sich in dieser Minute nicht zum Vorsatz, so eifrig zu lernen und so viele Freunde zu finden und so umsichtig zu sein, wie ihm nur möglich war. Sie wollten Dumbledore nicht enttäuschen und vor allem wollten sie sich selbst nicht enttäuschen.
„Zum Schluss möchte ich euch noch die neuen Schulsprecher vorstellen! Wir dachten uns, dass die zwei Schulsprecher unserer siebten Klasse Mr. Dave Rosner aus Ravenclaw und Miss Elizabeth Harvey aus Hufflepuff etwas Unterstützung gebrauchen könnten und so haben wir noch einmal zwei Schulsprecher aus dem sechsten Jahrgang ernannt. Ich bitte euch, ihnen nach Kräften zu helfen!"
Hermine quietschte aufgeregt.
„Aus dem Haus Gryffindor Miss Hermine Granger und aus dem Haus Hufflepuff Mr. Ernest MacMillan!"
Ein letztes Mal spendeten die Schüler stürmisch Beifall und besonders Harry, Ron, Ginny und die kleinen Erstklässler klatschten für Hermine, die sich kurz erhob und versuchte, nicht allzu rot zu werden.
„Wir haben uns gar nicht gewundert, dass Hermine schon im sechsten Jahr Schulsprecherin wird!" stellte Harry stirnrunzelnd fest und Ron nickte nachdenklich: „Wahrscheinlich, weil uns bei Hermine schon gar nichts mehr wundert. Nächstes Jahr wird sie Zaubereiministerin und wir merken´s erst, wenn sie uns auf einen Kaffee in ihr Büro einlädt!" Harry lachte zustimmend. Nach diesem langen Abend gingen sie schließlich total erschöpft in ihre Türme.
„Folgt mir, folgt mir!" Hermine stand wie ein Dirigent auf dem Stuhl und wedelte mit den Armen, um die Erstklässler nicht zu verlieren. Sie schritt energisch voran und führte die Gryffindors zu ihrem Turm.
„Wie ist das neue Passwort, Schulsprecherin?" flüsterte Harry ihr ins Ohr und Hermine lachte ihn an: „Das neue Passwort ist „Hundertwasser"! Bitte gut merken! Und jetzt folgt mir in den wunderschönsten Turm dieser Burg!"
Der Gryffindor-Gemeinschaftsraum erschien allen tatsächlich als das Paradies auf Erden. Im Kamin prasselte ein lustiges Feuer, die vielen dunkelroten, weichen Sessel wurden von seinem flackernden Schein beleuchtet und die schweren Brockatvorhänge sperrten die mittlerweile recht düstere Regennacht aus. Schatten tanzten an den Wänden und es umhüllte sie eine warme, würzige Luft, als hätte sie nur darauf gewartet, sie willkommen zu heißen.
„Meine Lieben, hier endet auch schon unsere gemeinsame Reise. Die Jungen folgen bitte Harry und Ron; die werden euch sicher in eure Schlafräume bringen. Harry, Ron, das sind Lewis, Roger und Devon!"
„Hi, ihr drei! Folgt uns bitte unauffällig! Gute Nacht, Hermine! Ginny! Alle anderen!"
„Gute Nacht!"
„Ihr Mädchen folgt mir bitte! In den Schlafraum der Mädchen kommen die Jungen übrigens nicht herein, da ..."
Sie hörten nicht mehr Hermines Erklärung, denn sie verschwand in diesem Augenblick mit den Mädchen auf der Treppe. Ron grinste Harry noch einmal an: „Ich kann nur Dumbledores Worte wiederholen: Willkommen zu Hause!"
Harry nickte und sah sich noch einmal um: „Ja, willkommen zu Hause!"
