Neue Schwerpunkte

Die Schüler des sechsten Jahres hatten sich am nächsten Morgen pünktlich um halb neun in der Großen Halle versammelt. Die Einführung, die Professor McGonagall gab, beschränkte sich auf eine kurze Erklärung der Inhalte aller Kurse und dem Verteilen der Themen für die Hausarbeiten in Zaubereigeschichte. Dann rief sie die Schüler einzeln zu sich, um zu klären, welche Grundkurse sie weiterhin zu besuchen hatten. Hermine stand schon startklar neben ihrem Tisch, während Harry und Ron erst einmal in Ruhe ihr Hausarbeitsthema erörterten.

„Die Seite des Bösen, Schwerpunkt: Dunkle Magier dieses Jahrhunderts. Widerstands- bewegungen und Politik der Vorbeugung, Aufklärung und Verteidigung." Ron legte den Zettel hin und sah Harry groß an: „Na, dann gute Nacht! Das wird ziemlich haarig!"

„Ach!" Harry winkte ab, „Wir fragen Hermine, ob sie uns am Anfang hilft und dann durchstöbern wir die Bücher. Bei allem, was wir nicht verstehen, können wir Remus fragen. Außerdem laufen hier so viele Mitglieder des Ordens rum, an die wir uns wenden können; da kann ja gar nichts schief gehen."

„Harry, der Orden ist geheim!" flüsterte Ron.

„Ja, jetzt! Aber dass er früher einmal existierte, ist allgemeinhin bekannt. Ich habe es letztens in einem Buch gelesen. Und Mr. Walter kann uns sicherlich helfen, was die Rolle des Ministeriums zu der Zeit betrifft."

Harry sah sehr motiviert aus. Das war einmal eine Arbeit nach seinem Geschmack.

„Mr. Potter?" rief Professor McGonagall und Harry eilte zu ihrem Tisch: „Ja."

„So, Mr. Potter!" Sie kramte in ihren Unterlagen, „Ich denke nicht, dass Sie meinen Grundkurs weiterhin besuchen müssen. Sie haben sich dort gut gemacht. Sollte ich allerdings den Eindruck bekommen, dass Sie in meinem Eigenverwandlungskurs nicht immer voll und ganz bei der Sache sind, sitzen Sie schneller wieder im Grundkurs, als uns beiden lieb ist. Dasselbige passiert ebenfalls, wenn mir Professor Jones aus ihrem Fremdverwandlungskurs Schlechtes über sie berichtet. Haben wir uns da verstanden?"

„Ja!" Harry nickte.

„Gut! Den Grundkurs in Zaubertränke brauchen Sie ebenfalls nicht ..."

„JA!"

„Mr. Potter, ich darf doch sehr bitten!" Sie konnte nicht verhindern, dass ein kleines Lächeln ihre Lippen umspielten. Dann aber wurde sie wieder sehr ernst: „Hören Sie: Den Kurs bei Professor Snape besuchen Sie nicht, weil Professor Dumbledore und ich es kurz gesagt für aussichtslos halten. Sie kommen mit Ihrem Lehrer nicht zurecht und er nicht mit Ihnen. Das gibt zwar normalerweise nicht den Ausschlag für eine solche Entscheidung, doch wir alle wissen die Folgen, die dieses Problem in der Vergangenheit mit sich brachte, sehr wohl zu berücksichtigen."

Harrys Blick wurde dunkel. Die Folgen dieses Problems in der Vergangenheit! Sie hätte auch sagen können, dass allein, weil Harry und Snape nicht sinnvoll hatten zusammen arbeiten können, Sirius jetzt tot war. Er atmete schwer.

„Wollen Sie sich setzen?" fragte Professor McGonagall etwas erschrocken, doch Harry schüttelte den Kopf.

„Halten Sie durch, Potter! Wir versuchen alles, um zu helfen und dass wir einmal zu spät gekommen sind, sollte uns nicht zu Boden werfen! Nur nicht unterkriegen lassen! Mir tut es auch Leid, aber wir müssen weitermachen! Also, die Schwierigkeit ist hier, dass Sie Ihre Zaubertrankprüfung nicht bestanden haben. Sie müssen also ein wenig Nachhilfe nehmen, um eine Nachprüfung schreiben zu können. Ich denke, dass vielleicht sechs Stunden bei Professor Vance genügen, um Sie fit zu machen. Sind Sie damit einverstanden?"

Harry nickte und dann fiel ihm etwas ein: „Was ist mit Ron?"

„Ich kann Ihnen wirklich keine Auskünfte über Mr. Weasleys ..." wollte Professor McGonagall abwehren, doch Harry sagte fest: „Ich nehme mit ihm zusammen die Nachhilfe bei Professor Vance! Erzählen Sie meinetwegen herum, Sie wollten Professor Snape entlasten; das ist mir egal."

Professor McGonagall zögerte, dann jedoch willigte sie ein: „Also, gut! Weil Sie es sind! Aber wenn wir noch mehr Ausnahmen bei Ihnen machen, können wir für Sie auch gleich eine eigene Klasse aufmachen!"

Harry grinste leicht: „Solange Ron und Hermine die mit mir besuchen, habe ich nichts dagegen!"

Professor McGonagall schnaubte: „Ihre Anhänglichkeit in allen Ehren, aber so weit wird es nicht kommen! Nicht, solange ich noch ein Wörtchen mit zu reden habe! Also, Nachhilfe bei Professor Vance. Sie haben den ersten Unterricht bei ihr nächste Woche Montag. Machen Sie einen Termin mit ihr! So, Verteidigung gegen die dunklen Künste. Professor Lupin meint, Sie brauchen den Grundkurs nicht besuchen, er lässt aber anfragen, ob Sie ihm vielleicht in den Kursen der unteren Klassen behilflich sein wollen, wenn es um die Anwendung des Patronuszaubers geht. Und ich möchte sagen, dass ich das sehr lobenswert finde! Entscheiden Sie sich dafür, Potter, das wird Ihnen und uns nur Gutes tun! Sie besprechen sich hier mit Professor Lupin! Haben Sie die Themen für ihre Hausarbeit in Zaubereigeschichte verstanden?"

„Ja, aber ich habe dazu eine kleine Frage! Wie viel ist über den Orden bekannt und wie viel darf bekannt werden?"

Professor McGonagall zuckte zusammen, murmelte etwas von wegen „Ich wusste ja, dass das abenteuerlich wird!" und sah dann Harry direkt an: „Sie und Mr. Weasley werden sich hierzu mit Professor Dumbledore besprechen! Der Termin wird Ihnen eulenwendend zugeschickt. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?"

„Nein."

„Gut, Mr. Potter! Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen! Und der nächste ... das wäre ..."

Harry entfernte sich grübelnd und setzte sich zu Ron und Hermine. Diese zeigte ihm ihren Hausarbeitsbogen: „Schau mal: Geschichte der Zaubererschulen mit Schwerpunkt auf Hogwarts. Methoden der Forschung im Wandel. Herausragende Forscher dieses Jahrhunderts. Das wird superinteressant! Und, hat alles geklappt mit deinen Kursen? Musst du weiterhin zu Snape?"

Harry grinste und schüttelte den Kopf: „Nein!"

„Weißt du was von mir?" fragte Ron zaghaft, doch Harry schüttelte den Kopf: „Das hör dir mal schön selbst an!"

Ron grummelte. Als er schließlich zu Professor McGonagall an den Tisch trat, beobachteten Hermine und Harry ihn neugierig. Ron hörte ihr eine Weile zu und stieß dann einen Jubelschrei aus. Harry lachte und Hermine schüttelte zumindest grinsend den Kopf. Ron stob auf sie zu und hängte sich um Harrys Hals: „Danke! Danke! Danke! Ich liebe dich, Mann! Das ist das absolut Beste!"

Harry klopfte seinen Rücken und sagte gönnerhaft: „Es schien mir angebracht!"

Hermine war leicht verwirrt: „Worum geht es hier genau?"

„Das erzählen wir dir beim Essen, ja? Jetzt lasst uns noch mal kurz an die frische Luft!"

Sie verließen die Halle; Ron noch immer juchzend und Harry ab und an umarmend.

Nach dem Mittagessen eilten Harry, Ron, Hermine, Neville, Dean, Seamus, Parvati und Lavender gemeinsam zu ihrem Klassenraum zu ihrer ersten Stunde Verteidigungstaktiken in diesem Jahr. Alle waren ausnahmslos gespannt und versuchten, möglichst weit vorn Plätze zu bekommen.

„Na, klasse! Malfoy!" Harry zog einen Flunsch, als einige Slytherin-Schüler in den hinteren Reihen Platz nahmen und sich genervt umblickten.

„Hi! Können wir uns dazu setzen?" Susan Bones und zwei ihrer Freundinnen aus Hufflepuff traten an den Tisch, „Wir wollen nicht bei den Holzköpfen sitzen!"

Ron grinste: „Setzt euch!"

Schließlich traten Meta und Remus ein.

„Hallo, alle zusammen! Herzlichen Willkommen zu unserer ersten Unterrichtsstunde! Wenn ihr mir bitte folgen würdet ... . Oh, da fällt mir ein: Professor McGonagall hat darauf hingewiesen, dass alle Schüler ab der sechsten Klasse gesiezt werden sollten. Wollen wir es so halten oder ist es in Ordnung, wenn wir beim „du" bleiben?" Remus sah in die Runde.

„Ist O.K.!" Die Schüler begannen, ihre Sachen wieder einzusammeln und erhoben sich.

„Nun, ihr kennt mittlerweile alle Professor Rosenstein?"

Zustimmendes Gemurmel erhob sich und Meta grinste: „Gut, dann können wir ja loslegen. Raus mit euch!" Sie wanderten hinaus aufs Gelände. Hermine runzelte die Stirn: „Was wird das? Warum gehen wir raus?"

„Das passt dir nicht, was?" Ron fand das ziemlich lustig, „Dir fehlt eindeutig Spontaneität!"

Hermine grummelte ein bisschen.

„Also, wir werden euch jetzt einen simplen Abwehrzauber vorführen, der die meisten Zauber von euch fernhält. Passt gut auf; ihr sollt es gleich selbst probieren!" Meta schüttelte ihre Arme aus und hielt den Zauberstab locker zwischen ihren Fingern. Mit einem Funkeln in den Augen sah sie Remus an: „Bereit?" Remus sah sie fest an und nickte.

Sie standen sich gegenüber und hielten sich mit Blicken aneinander fest. Dann trat Meta einen Schritt vor, den Zauberstab auf Remus gerichtet und sagte laut: „Impedimenta!"

Remus riss blitzschnell den Arm hoch und rief: „Protego!"

Der schlingernde, dünne Luftstrahl, der aus Metas Stab auf ihn zu geflogen war, wurde kurz vor seinem Körper abgeblockt. Remus ließ den Stab wieder sinken: „Also, welchen Zauber habe ich angewendet?"

Hermine meldete sich und antwortete, als Meta ihr zunickte: „Protego; den Beschützer. Er hält aggressive Zauber fern."

„So ist es. Jetzt tut euch bitte zu kleinen Gruppen zusammen und versucht es selbst. Es ist allein der Lähmzauber sowie „Petrificus Totalus", „Rictusempra" und „Tarantallegra" für die Angriffe erlaubt! Wer einen anderen Zauber anwendet, fliegt aus dem Kurs; haben wir uns verstanden?" Sie nickten; die Slytherins sichtlich widerwillig.

„Na, dann mal los!" sagte Ron mit zusammen gebissenen Zähnen und hielt Harry seinen Zauberstab vor die Nase, „Hey! Aufwachen!"

Harry schüttelte seinen Kopf wie ein nasser Hund und sah Ron an.

„Das können wir, schon vergessen?" fragte er hitzig und Hermine zuckte zusammen.

„Alles klar bei euch?" Remus trat zu ihnen. Harry starrte ihn wütend an: „Ich mach das nicht! Ich brauch diesen Müll nicht!" Damit drehte er sich um und schritt auf das Schulgebäude zu. Remus runzelte die Stirn. Dann wandte er sich an Ron und Hermine: „Übt mit Neville. Ich komme gleich wieder!" Dann folgte er Harry mit langen Schritten. Als er ihn eingeholt hatte, fasste er ihn fest am Arm: „Du kannst nicht einfach aus dem Unterricht rennen!"

Harry fuhr herum, riss sich los und blitzte ihn aus zornigen Augen an: „Wieso nicht? Du weißt genau, warum!"

Remus verschränkte ebenfalls mit ärgerlichem Gesicht die Arme vor der Brust: „Weiß ich das?"

Harry stöhnte: „Mach so was nicht mit mir. Das ist gemein!"

Für einen Moment lockerte sich Remus´ Haltung, doch dann schüttelte er energisch den Kopf: „Du gehst trotzdem zurück! Es ist offizieller Unterricht und ..."

„Sag mal, macht dir das Spaß!"

„Harry, nimm dich ein bisschen zusammen! Du solltest nicht davonlaufen; das würde alles noch schlimmer machen! Verdammt vieles wird dich an ihn erinnern oder an den Kampf, den du ausstehen musstest, aber es wird nicht weniger wehtun, wenn du dem aus dem Weg gehst, glaube mir!"

„Das weißt du nicht!"

„Ach?"

Harry erzitterte unter seinem harten, spöttischen Blick. Er fühlte, wie seine Wut abnahm und er stattdessen traurig wurde. Leise sagte er: „Aber ich vermisse ihn und ... es passiert einfach nichts." Allmählich wurde Remus´ Blick weich und er ließ die Arme locker sinken: „Was hast du denn erwartet?"

„Keine Ahnung! Irgendetwas!"

Remus seufzte, sah kurz zurück zu den anderen Schülern, die bemüht waren, zu ignorieren, dass er und Harry abseits standen und sich gegenseitig anfauchten und blickte dann wieder zu Harry: „Du hast damals gesagt, dass du hoffst ... glaubst, dass er wiederkommt."

Harry schluckte und sah von unten zu ihm auf: „Ja, aber er ist nicht wieder gekommen."

„Nein, und ich denke auch nicht, dass das geschehen wird. Alles, was wir tun können, ist weitermachen!"

„Ich WILL aber nicht weitermachen! Ich habe Angst und obwohl wir alle so tun, als wäre alles in Ordnung, ist es das nicht!" rief Harry und ballte die Fäuste. Er wunderte sich, wie schnell alles über seinem Kopf zusammen stürzen konnte. Eben war er tatsächlich noch gut gelaunt gewesen; jetzt hatte er das Gefühl, in einem Haufen Scherben zu stehen und das nur wegen eines simplen Zauberspruchs.

Remus sagte einen Augenblick nichts. Dann holte er tief Luft: „Kommst du jetzt mit mir zurück?"

Harry sah auf; sah ihn mit verzweifeltem, fragendem, empörtem Blick an: „Kannst du nicht ... etwas sagen, damit es besser wird?"

Remus lachte freudlos: „Nein, leider nicht! Vielleicht nur, dass ich glaube, wir sollten uns nicht gehen lasen sollten! Immer weiter kämpfen!"

„Und schon wieder kämpfen!" sagte Harry trotzig.

„Ja, aber das darfst du nicht ausschließlich auf den tatsächlichen Kampf mit Voldemort beschränken, der uns unweigerlich bevorsteht! Leben heißt Kämpfen!"

Harry ließ das einen Augenblick wirken und dann schlich sich ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht: „Also doch ein weiser Spruch!"

„Oh, du ..." Remus machte eine Geste, als wollte er Harry den Kopf waschen, doch dann schüttelte er nur den Kopf und machte einen Schritt auf die Klasse zu: „Kommst du jetzt bitte? Wir befinden uns mitten im Unterricht!"

Harry setzte langsam einen Fuß vor den anderen. Er wäre liebend gern davon gestürmt und säße jetzt in irgendeiner Ecke und hätte seine Ruhe. Sirius hätte ihn laufen lassen, damit er erst mal seine Wut loswerden und einen klaren Kopf kriegen konnte. Aber Sirius war jetzt nicht da. Remus war da und hatte ihn überzeugt, zurück zu gehen. Harry fragte sich, was tatsächlich besser für ihn war.

„Rictusempra!" donnerte Ron und Harry sah überrascht auf. Er erwartete, dass sich Neville sofort lachend auf den Boden werfen würde, doch Neville trat lässig einen Schritt zur Seite und wehrte den Spruch mit einem lockeren „Protego!", das er wie nebenbei aus seinem Zauberstab schwenkte, ab. Hermine jubelte und ging dann in Position, um Ron anzugreifen.

„Petrificus Totalus!" rief sie und Ron konnte zwar rechtzeitig die Arme hochreißen, aber der Spruch kam nicht schnell genug. Er kippte steif nach hinten um. Sofort richtete Neville seinen Stab auf Hermine: „Impedimenta!"

„Protego!" keuchte Hermine und wehrte den Zauber ab.

„Hey, Harry!" keuchte Neville, „Wir kriegen Hermine nicht klein!"

„Das werden wir ja sehen!" sagte Harry und zückte mit einem unheilvollen Grinsen seinen Zauberstab, „Bereit, Hermine?"

„Immer!" Sie klang noch etwas außer Atem, aber fest entschlossen. Langsam umkreisten die drei sich wie lauernde Raubtiere und ab und an machte einer einen Schritt nach vorn, woraufhin die anderen zusammen zuckten und die Stäbe hochhielten.

Harry beobachtete Hermine und Neville aus seinen Augenwinkeln und schätzte jede Bewegung ein, die ihre nächste sein könnte. Als Hermine den Anschein machte, tiefer Luft zu holen, als normal, richtete er den Zauberstab auf sie und schaffte es so, ihren Kitzelfluch mit einem kurzatmigen „Protego!" abzuwehren.

Neville ließ sich nicht viel Zeit, ihn zu bewundern, sondern schleuderte sofort einen Lähmzauber auf Hermine, die in die Knie ging und ihm nur knapp entwich. Harry fluchte und hopste stolpernd zur Seite, als Neville frustriert gleich noch einen Zauber auf ihn hetzte.

Hermine lachte auf: „HA, ihr kriegt mich nicht, Jungs!"

„Petrificus Totalus!" schrie da eine Stimme und Hermine wurde in den Rücken getroffen. Sie schleuderte nach vorn und Harry fing sie hastig auf, damit sie nicht aufs Gesicht fiel.

Hinter Hermine stand Ron, der gerade seine Ganzkörperklammer losgeworden war und die Gelegenheit beim Schopf gepackt hatte. Er grinste übers ganze Gesicht und steckte den Zauberstab wie einen Revolver in die Hosentasche. Harry grinste zurück und legte Hermine behutsam ins Gras. Neville ließ ebenfalls den Zauberstab sinken: „O.K., Pause! Ich finde, wir machen uns ganz gut!"

„Ihr macht euch ganz fantastisch, Neville!" lobte Meta und Neville wurde rot. Meta lächelte ihm zu und ging neben Hermine in die Knie: „Finite!"

Hermine blinzelte und guckte sich verdutzt um. Dann fuhr sie hoch: „Ron, das war nicht fair!"

Ron reichte ihr lachend die Hand und zog sie hoch: „Die Welt ist nicht fair, Hermine! Am besten, du lernst das jetzt schon!"

Die beiden standen sich nun gegenüber; etwa zehn Zentimeter trennten sie voneinander. Hermine funkelte wütend zu Ron hoch, welcher einen amüsierten Gesichtsausdruck zeigte. Seine rechte Hand hielt noch immer Hermines linke.

„So, und jetzt noch zur Wiederholung ein bisschen entwaffnen!" rief Remus laut und Hermine sprang wie gestochen einen Schritt von Ron weg. Dieser schaute noch immer gelassen lächelnd als wollte er sagen „Nur keine Panik!".

Harry grinste. Langsam schien es sich für Ron ja doch ganz gut zu entwickeln.

„Krieg dich wieder ein und greif mich an!" wisperte Neville ihm zu.

„Häh?" machte Harry und bemerkte erstaunt, dass ihn alle ansahen, „Oh!"

„Ein bisschen mehr Konzentration, bitte!" meinte Remus unbeeindruckt, „Und jetzt greif einmal Neville an, damit er dich entwaffnen kann!"

Harry zuckte mit den Schultern: „O.K. Impedimen- !" Er stieß den Zauberstab in Nevilles Richtung und dieser hielt sofort seinen dagegen: „Expelliarmus!"

Harrys Zauberstab flog aus seiner Hand und landete einige Meter entfernt im Gras. Seine Hand brannte, doch er nahm sich zusammen, um Neville respektvoll zu zu nicken. Als er seinen Stab suchte, trat Neville neben ihn: „War ein bisschen doll, oder?"

„Allerdings! Du warst etwas übereifrig!"

„Tut mir leid! Eigentlich wollte ich ihn auffangen!"

Harry hob verwundert den Kopf: „Kannst du das?"

Neville wurde verlegen: „Ich hab´s in den Ferien mal hingekriegt!"

„Stark! Dann versuchen wir das doch gleich noch mal. Ron und Hermine können ja miteinander üben!" Harry hob seinen Stab auf und richtete ihn auf Neville: „Also, los! Petrificus ...!"

„Expelliarmus!"

Und Harrys Stab wutschte aus seiner Hand und flog direkt auf Neville zu. Dieser griff ihn geschickt auf und strahlte Harry an.

„Fantastisch, Neville!" Remus trat neben sie und sah Neville beeindruckt an, „Das habe ich nicht erwartet!"

„Danke!" Neville wurde tiefrot und gab Harry seinen Stab zurück.

„So, setzt euch; am besten im Halbkreis, damit jeder uns hören kann! Erst einmal ein dickes Lob für eure Zauber! Das funktioniert ja wirklich gut! Diese Zauber solltet ihr im Schlaf können! Wir möchten nicht davon ausgehen, dass ihr hier an der Schule oder in den Ferien bei euren Eltern angegriffen werdet und es besteht auch keinerlei Anlass dazu, doch es kann in Zeiten wie dieser nicht schaden. Deswegen bitte ich euch, jede Gelegenheit wahrzunehmen, ein bisschen zu üben. Wenn man angegriffen wird, ist man schließlich selten darauf vorbereitet. Der Angriff kommt plötzlich und meist von hinten und auch darauf müsst ihr reagieren können. Wenn ihr also das nächste Mal beim Zähneputzen oder beim abendlichen Herumsitzen etwas Langweile habt, dann testet euch doch mal gegenseitig. Ihr solltet allerdings peinlich darauf achten, dass ihr niemandem ernsthaften Schaden zufügt; auch das will gelernt sein!"

Die Schüler nickten zu Remus´ Worten.

„Ihr solltet nicht versuchen, euch bloß zu stellen oder zu ärgern, sondern euch trainieren! Ihr seid schließlich ein Team! Ihr steht auf derselben Seite und alles, was ihr aneinander übt, soll euch nicht schwächen, sondern stärken!" Remus sah in Richtung der Slytherin-Schüler, auf deren Gesichtern sich eben unheilvolles Grinsen gebildet hatte. Malfoy zog abschätzig die Augenbrauen hoch.

„So!" Meta, die etwas im Hintergrund gestanden hatte, meldete sich zu Wort, „Nachdem wir uns jetzt durch die Gegend gescheucht haben, habe ich noch ein paar einfache Fragen. Zählt mir doch mal einige Angriffszauber auf, die ihr kennt!"

Nach anfänglichem Zögern antworteten sie: „Impedimenta!"

„Rictusempra!"

„Tarantallegra!"

„Petrificus Totalus und Partiellus!"

„Stupor!"

Harry zuckte zusammen und biss sich auf die Zunge, um die Erinnerung abzuschütteln, bevor sie sich ausbreiten konnte.

„Relaschio!"

„Cr ... Crucio?" Hermine sah Meta unsicher an, während alle erschrockene Blicke auf sie richteten. Meta allerdings rieb sich erfreut die Hände: „Crucio! Warum?"

„Es soll jemandem schaden?" fragte Hermine und Meta nickte: „Allerdings. Crucio, der Schmerzensfluch, gehört zu den Angriffszaubern. Wo lag jetzt aber der Widerspruch?"

Sie sahen verwirrt aus, doch dann fiel Ron etwas ein: „Ja, was denn jetzt: Zauber oder Fluch?"

„Sehr gut, Ron! Zauber oder Fluch? Worin besteht überhaupt der Unterschied?"

Sie zuckten die Schultern. Meta winkte ab: „Na, macht nichts. Dafür sitzt ihr ja hier. Es ist in der Tat schwer, zwischen Zauber und Fluch zu unterscheiden. Ihr habt sicherlich schon einmal gehört, dass der Cruciatusfluch, der Imperiusfluch und Avada Kedavra die Unverzeihlichen Flüchen genannt werden. Tatsächlich ist nach einer Definition, die von Willer und Brown aufgestellt wurde, nur einer dieser Sprüche ein Fluch. Wollen wir einmal herausfinden, welcher. Beschreibt mir bitte die Wirkung der Flüche oder eben Zauber!"

Harry hob zitternd seinen Arm.

„Ja?" Meta sah ihn ermutigend und warm an.

„Der Cruciatusfluch bewirkt, dass das Opfer ... verdammt starke Schmerzen verspürt."

„Wie lange verspürt das Opfer diese Schmerzen?"

Harry schluckte. In seinem Kopf drehte sich alles und er fühlte sich auf einen Friedhof zurück versetzt, auf dem er vor fast zwei Jahren gewesen war. Voldemort stand vor ihm, richtete den Stab auf ihn und seine kalte Stimme sagte „Crucio!". Harry zuckte bei der Erinnerung an diesen furchtbaren Schmerz zusammen, doch da er sich bewusst war, dass alle ihn anstarrten, beherrschte er sich mühsam: „Die Schmerzen halten an, solange der Zauberstab des Angreifers auf das Opfer gerichtet ist." Seine Stimme klang tonlos und er war blass geworden.

„Gut!" Meta räusperte sich, „Die Wirkung des Imperiusfluches?"

Ron meldete sich; den Blick noch immer auf Harry gerichtet: „Beim Imperiusfluch wird der Geist des Opfers beherrscht. Es tut nur noch, was der Angreifer will."

„Wie lange hält er an?" fragte Meta.

„Keine Ahnung. Länger, würde ich sagen. Ich glaube, es ist nicht nötig, den Zauberstab auf die Person gerichtet zu halten. Wenn ich jemandem befehle, mir ein Eis zu kaufen, muss er ja loslaufen und es mir holen und da laufe ich nicht mit dem Stab hinterher. Dann könnt ich ja auch selbst gehen!" Diese Erklärung ließ einige leicht lachen und auch Meta und Remus mussten grinsen. Harry sah Ron verwirrt an. Dieser zuckte mit den Schultern.

„Sehr gutes Beispiel, Ron! Es geht zwar weniger ums Eiskaufen, aber das Prinzip ist richtig. Wie wirkt nun noch der Avada-Kedavra-Fluch?"

„Tod!" sagte Malfoy kalt und alle zuckten zusammen, als hätte er einen Anschlag auf sie verübt. Meta machte den Eindruck, als wäre er ihr gerade erst aufgefallen und sie durchbohrte ihn mit einem Blick, der ihn eigentlich hätte töten müssen. Dann riss sie sich zusammen und von seinem Anblick los: „Sehr richtig! Avada Kedavra tötet. Versteht schon jemand, worauf ich hinaus will?"

Wie zu erwarten war, hob Hermine als einzige die Hand: „Also, Avada Kedavra wirkt sofort. Crucio auch und zwar nur solange, wie der Kontakt erhalten bleibt. Imperius hält länger und zwar ohne, dass der Zauberstab auf das Opfer gerichtet werden muss. Die Definition, die Sie angesprochen haben, könnte also folgende Differenzierung vorgenommen haben: Zauber wirken sofort und Flüche entfalten ihre Wirkung erst später und halten sehr viel länger vor. Demnach wäre nur der Imperiusfluch ein Fluch."

Meta nickte: „Sehr gut, Hermine! Ich denke, für diese Antwort kann ich eurem Haus ein paar Punkte gut schreiben. Das ist eine Definition. Eine andere, diesmal von Robertson, lautet: Einen Zauber kann man abwehren; einen Fluch nicht. Wie müsste man nun unterscheiden?"

„Dann ist Avada Kedavra ein Fluch und die anderen beiden sind Zauber!" sagte Harry.

„Wie kann man denn den Imperiusfluch und den Cruciatusfluch abwehren?"

„Cruciatus mit dem ganz normalen Protego und Imperius, indem man seinen Geist dem Feind verschließt!" meldete sich Malfoy wieder zu Wort und wieder machten alle unwillige Gesichter. Meta sah ihn aufgebracht an und Harry beobachtete, wie ihr Blick glasig wurde. Remus stand sofort bereit, drückte sie sanft etwas nach hinten und fuhr fort: „So ist es. Wenn die Definition lauten würde, ein Fluch entfaltet seine Wirkung erst nach Tagen oder Wochen, wie wäre dann eine Klassifizierung vorzunehmen?"

„Dann ist keiner ein Fluch!" sagte Ron schlicht und Remus nickte: „Wie ihr seht, haben sich verschiedene Leute zu diesem Thema Gedanken gemacht und sind logischerweise zu verschiedenen Ergebnissen gekommen. Fakt ist aber: Crucio wehrt man durch Protego ab, Imperius durch innere, geistige Abwehr und Avada Kedavra gar nicht oder mit verdammt viel Glück!"

Harry grinste bitter.

„Haltet bitte als Hausaufgabe schriftlich die Erkenntnisse der heutigen Stunde fest. Ich werde nichts kontrollieren; es ist nur für euch und eure Gewissen. Gibt es noch Fragen?" Keiner meldete sich.

„Damit wäre unsere heutige Stunde beendet. Denkt an eure Aufgaben und übt den Abwehrzauber. Das nächste Mal werden wir das wiederholen und mit einfachen Schutzschilden anfangen!" schaltete sich Remus ein und die Schüler waren entlassen.

Harry, Hermine und Ron erhoben sich als Letzte. Meta tigerte plötzlich aufgebracht hin und her und schleuderte ihre Hände: „Dieses kleine, miese, hässliche ... ich wünschte, ich könnte ..." Sie machte zornige, krampfige Handbewegungen.
„Was hat sie gegen Malfoy?" fragte Hermine, „Ich meine, irgendwas stimmt doch nicht."

Remus zuckte mit den Schultern und sah sie vorsichtig an: „Josepha?"

„WAS?"

„Es sind noch Schüler anwesend!"

„Ach, die!" Josepha machte eine wegwerfende Handbewegung, „Die werden sich wohl kaum daran stören. Aber diese Ratte! Diese hässliche, kleine Kröte! Wenn sie nur mal den Mumm hätte, was zu sagen! Aber nein! Sie verkriecht sich wieder und jetzt bin ich schon mal hier und er ist weg!"

Harry, Ron und Hermine beobachteten sie verwirrt.

„Jetzt ist gut!" sagte Remus fest, „Über Malfoy sollte man sich grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten ärgern!" Josepha reagierte mit einem Schnauben.

„Das klingt gut!" meinte Ron, „Das merke ich mir!"

„Habt ihr keinen Unterricht?" fragte Remus, doch Hermine schüttelte den Kopf: „Eigen- verwandlung fällt heute einmal aus, weil Professor McGonagall und Professor Dumbledore Gespräche mit Slytherin-Schülern führen."

„Wozu das?" wollte Harry wissen und Hermine machte ein erschrockenes Gesicht, da sie offensichtlich zu viel gesagt hatte. Remus kam ihr zu Hilfe: „Es lässt sich nicht leugnen, dass einige Zauberer sich zu anderen Kreisen hinorientiert haben und nun will die Schulleitung natürlich herausfinden, wie die jeweiligen Kindern dazu stehen."

Ron stieß einen Pfiff aus und Harry nickte: „Na, dann tut sich ja was!"

Remus nickte und wandte sich wieder Josepha zu, die noch immer wild hin und her stiefelte: „Möchtest du reingehen?"

„Lass mich in Ruhe, Lupin! Von dir lass ich mich nicht durch die Gegend schicken!" fauchte sie und stapfte davon.

„Wärt ihr so nett, Jakob Bescheid zu sagen?" fragte Remus Harry nach einem gleichgültigen Schulterzucken, „Sie geht vielleicht auf irgendjemanden los!"

„Machen wir. Kommst du nicht mit rein?"

„Ich würde gern noch etwas spazieren gehen. Meinen nächsten Unterricht habe ich erst heute Abend!"

„Ja, Zaubereiforschung!" Hermine strahlte, „Und wir treffen uns in der Bücherei!"

Ron schüttelte lachend den Kopf und fiepte ironisch: „Das klingt ja super!" Hermine guckte ihn böse an.

Der weitere Unterricht gestaltete sich ebenfalls anders als in den Schuljahren davor. Alle Lehrer waren mit einem grimmigen Ernst bei der Sache und verbrachten nicht mehr viel Zeit damit, laute Schüler zu ermahnen oder sie raffiniert zu überzeugen, warum sie dieses oder jenes lernen sollten. Nach Dumbledores Rede am ersten Abend war nun ja auch der letzte Schüler vollkommen im Bilde und so brauchten die Lehrer nur einmal kurz zu sagen: „Davon könnte eines Tages Ihr Leben abhängen!" und er kehrte die gewünschte Ruhe und Disziplin ein; ganz, wie Hermine es in den Ferien befürchtet hatte.

Professor Binns, blasser als für einen Geist üblich, schilderte in einer Sonderveranstaltung für alle Schüler stammelnd und unsicher den Werdegang von Tom Vorlost Riddle zu Lord Voldemort und verhaspelte sich ganz entsetzlich, wenn er dessen Namen sagen musste. Er erzählte von all den Gräueltaten und den Morden und der Folter an so vielen Zauberern.

Professor Snape, mürrisch wie eh und je, doch dieses Jahr sichtlich bemüht, ließ sie Gifte und Gegengifte brauen, Tränke, die erstarren ließen, ihre Opfer verbrannten oder zu Staub zerfallen ließen. Sie schauderten, doch sie arbeiteten unermüdlich. Hermine, die den Grundkurs Neville zuliebe weiterhin besuchte, erzählte Harry und Ron nach jeder Stunde die neuesten Grausamkeiten.

Remus hielt in seiner ersten Stunde in den unteren Klassen und in seinem Grundkurs einen ausführlichen Vortrag über alle Geschöpfe, die Lord Voldemort je um sich gescharrt hatte: Vampire, Dementoren, Werwölfe ... Er sprach tapfer weiter und reagierte nicht auf den einen oder anderen Blick.

In den neuen Fächern, die Harry und Ron belegt hatten, fand sich schnell ein Rhythmus und sie gewöhnten sich schnell wieder an Moodys Hektik. Sie lernten bei ihm eine Menge Angriffszauber und veranstalteten regelrechte Hetzjagden über das Gelände, während der sie sich gegenseitig verfolgten und gefangen zu nehmen versuchten.

Professor Jones erwies sich in Fremdverwandlung als eine geduldige Lehrerin, die nicht einmal dadurch aus der Ruhe zu bringen war, dass Ron sich hartnäckig weigerte, seine Spinne, die er zuvor in ein langes Messer verwandelt hatte, zurück zu verwandeln und eine Viertelstunde mit ihr diskutierte. Sie hielt sich nicht lange mit Theorie auf, da die Schüler durch jahrelangen Unterricht bei Professor McGonagall gründlich vorbereitet waren. Sie ließ sie möglichst viel üben und ausprobieren, eigene Taktiken entwickeln und dann ausführliche Aufsätze darüber schreiben, wieso es nicht funktioniert hatte.

In Eigenverwandlung lernten sie erst einmal eine Menge über Animagi, Metamorphmagi, Vampire, Werwölfe , Wendigos und alle anderen Typen, die ihre äußere Gestalt auf verschiedenste Art und Weise verwandeln konnten. Wer keine vererbte Begabung hatte; und das traf bei keinem von ihnen zu; der musste auf komplizierte Tränke und lange Sprüche zurückgreifen, um ein wenig kleiner und dicker zu werden und die Haarfarbe zu ändern. Heiltränke bei Madam Pomfrey war wenig spektakulär. Sie saßen in einem kleineren Zimmer neben der Krankenstation und ließen Kräuter in bestimmter Reihenfolge in brodelnde Kessel fallen. Doch Neville war mit Feuereifer dabei und schaffte es meistens, Harry und Ron ebenfalls zu motivieren.

Kampfutensilien bei Kingsley bestand häufig aus Lesen und Nachschlagen. Harry und Ron saßen in der Bücherei und murrten, doch sie mussten gegen ihren Willen feststellen, dass es tatsächlich interessant war, heraus zu finden, dass ein Spickoskop ursprünglich dazu entwickelt worden war, um die Petersilie aus der Suppe herauszufischen oder ein Feindglas anfangs nur ein kaputter Spiegel war, mit dem ein paar Kinder herumgespielt hatten. Kingsley versprach ihnen, dass sie verschieden Geräte auch noch würden anwenden können, doch vorher wollte er sie gut darüber informiert wissen.

Madam Hooch kommandierte sie in diesem Jahr wenig herum, sondern verließ sich darauf, dass sich die Schüler gegenseitig halfen. Sie verteilte Abbildungen mit verschiedenen Flugmanövern, die sie erproben konnten. Harry und Ron nahmen Hermine unter ihre Fittiche und flogen mit ihr zuerst einmal vor allem hoch, damit sie ihre Scheu verlor. Sie schlingerte manchmal noch ganz schrecklich und öfters mussten die beiden sie sacht herunterschweben lassen, um einen Absturz zu verhindern. Harry beobachtete die beiden genau. Einmal, als Hermine sich besonders zickig weigerte, ihren Besen wieder zu besteigen, setzte Ron sie kurzerhand vor sich auf seinen Besen und hob mit ihr ab. Tatsächlich hörte Hermine sehr bald auf zu protestieren und lehnte sich zögernd gegen Rons Brust. Harry fühlte sich durch diesen Anblick an zwei andere Gryffindor-Schüler erinnert, von denen er einmal gehört hatte, und er grinste breit.

Die Zaubertranknachhilfe bei Professor Vance gestaltete sich sehr angenehm. Sie war eine ruhige, schlagkräftige Person und wiederholte zuerst einmal alle Rezepte, an denen sie in der Prüfung gescheitert waren. Zusammen fanden sie heraus, was schief gelaufen war und machten diese Fehler beim Brauen nicht noch einmal. Sie setzte darauf, dass Harry und Ron wirklich verstanden, was sie da eigentlich taten, so dass sie mögliche Fehlerquellen schon von vorneherein umgingen, indem sie im Geiste durchspielten, was passieren würde. In den paar Stunden bei ihr hatten beide das Gefühl, mehr gelernt zu haben als in all den Jahren bei Snape. Sie bekamen richtiggehend ein Gespür dafür, wie welches Kraut in ihrem Trank wirken würde und bestanden ihre Nachprüfung mit einem glatten E.

Kampf gegen Magische Geschöpfe bei Rons Bruder war wahnsinnig interessant und ebenso anstrengend, denn Charlie hatte sich mit Hagrids Hilfe alle möglichen bissigen, stachelschwänzigen, zaghaft feuerspuckenden und schleimversprühenden Viecher geholt, die er, nach kurzer Einführung, auf die Schüler losließ. Mit viel Fantasie, Glück und den zuvor besprochenen Zaubersprüchen gelang es Harry und Ron die Tiere los zu werden; sprich sie zu lähmen, zu fesseln, ihnen die Zähne ausfallen zu lassen oder sie solange mit Wasser zu bespritzen, bis sie sich gurgelnd auf den Rücken legten. Wenn sie dann alle nass geschwitzt und keuchend im Kreis saßen, erläuterte Charlie, welche Fehler sie gemacht und welche Erfolge sie errungen hatten. Und da diese Stunden vor dem Mittagessen stattfanden, kamen Harry und Ron nur allzu oft mit angesengten Umhängen, verkrusteten Haare und abenteuerlich aussehenden Kratzern an den Tisch. Aber sie grinsten breit und erzählten übertrieben von den Gegnern, die sie heute erledigt hatten. Sie machten auch eine theoretische Einheit über Werwölfe, Wendigos und Vampire und wie man töten konnte.

Für ihre Hausaufgaben saßen Harry, Ron, Hermine und Ginny in der Bücherei zusammen.

Hermine wühlte sich parallel durch drei Aufsätze, die Remus ihr geliehen hatte und die so abschreckende Titel trugen wie „Die historischen Ursprünge der antrokrolyptischen Forschungsansätze und die Folgen der durch sie entwickelten Firlhäusermethode für die Taktologie". Sie machte sich eifrig Notizen und schlug jedes zweite Wort in einem dicken Lexikon nach.

Ginny brachte ihre Ergebnisse zu der Frage „Wann man Eisenhut in einem Regenerationstrank verwenden sollte und wann besser nicht" zu Papier und schimpfte zwischendurch über Snape.

Harry und Ron blätterten jeder in einem Buch über Werwölfe; Harry hatte sich ein aktuelles Exemplar geschnappt und Ron durchstöberte einen alten Schinken.

„Silberkugeln, Silbermesser, einen Stoß direkt ins Herz oder mindestens drei in den Körper insgesamt. Aber man kann auch Weihwasser oder das Blut unschuldiger Menschen über seine Füße laufen lassen. Ih! Ich glaube, es hat sich nicht wesentlich etwas geändert in den Jahren, oder?" Harry blickte von seinem Buch auf und runzelte die Stirn, als er Rons finsteres Gesicht sah, „Was ist denn?"

Ron knallte das Buch aufgeschlagen auf den Tisch, so dass die Mädchen zusammenzuckten und rief: „Das ist doch wirklich abartig!"

Aus Madam Pinces Richtung kam ein entrüstetes Räuspern und Ron senkte seine Stimme etwas: „Hört euch mal diesen Müll an! „Der Werwolf ist nie ein Mensch, doch immer ein Wolf. Der aggressive Charakter sticht immer hervor und lässt sich nie unterdrücken. Der Werwolf trachtet stetig danach, den Menschen, die um ihn herum sind, Schaden zu zu fügen, um sich an ihrem Unglück zu laben, wie er sich in den Vollmondnächten an Blut und Fleisch labt." Das ist doch nicht zu fassen! Es ist ja schon schlimm genug, dass so ein Schwachsinn tatsächlich aufgeschrieben wurde, aber dass so etwas auch noch in unserer Bücherei steht und noch nicht einmal mit dem Hinweis „Achtung, veraltet und totaler Mist"!" Ron schlug auf die vergilbten, angefransten Seiten und erntete neben einem weiteren Räuspern einen strengen Blick von der Bibliothekarin. Hermine schüttelte den Kopf: „Das ist echt schlimm, dass das damals auch wirklich alle Leute geglaubt haben!"

„Überlegt euch mal: Professor Lupin ist so ein zurückhaltender, freundlicher Mensch! Er ist noch nie böse oder laut geworden!" meinte Ginny und kratze sich mit ihrer Feder am Kopf. Hermine nickte mit zusammengebissenen Lippen.

Harry schwieg. Er dachte darüber nach, dass er schon mal das Gefühl gehabt hatte, dass Remus durchaus wütend werden konnte, das aber bemerkenswert unter Kontrolle hielt.

Er hatte dieses Buch garantiert auch gelesen. Das musste ihn früher bestimmt mitgenommen haben.

„Also!" Harry schlug das Buch zu und sah Ron an, „Haben wir noch was Neues über die Werwölfe oder machen wir mit den Vampiren weiter?" Rons schaute verdutzt, nickte aber dann: „O.K., Vampire."

Harry wurschtelte aus einem Stapel Papiere ein paar Zettel hervor und begann zu lesen: „Schreibst du mit? Knoblauch, Kreuze, Pfahl ins Herz, Weihwasser, Sonnenlicht, Feuer, köpfen, fließendes Wasser, Rosen ... ."

„Wasser und Rosen?" Ron zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. Harry nickte: „Wenn jemand gebissen wurde und man seinen Sarg mit Knoblauch und Rosenknospen auslegt und diesen kopfüber in ein fließendes Gewässer stellt, kann man verhindern, dass der Gebissene ebenfalls zum Vampir wird. Oh, und er braucht noch Knoblauch im Mund."

„Siehste mal!" Ron notierte das eilig, „Und wie verhindert man so was bei Werwölfen?"

„Wenn der Werwolf, der jemanden gebissen hat, vor dem nächsten Vollmond getötet wird, dann wird das Opfer davor bewahrt, dieses Schicksal ebenfalls zu erleiden." erklärte eine Stimme hinter ihnen und alle vier drehten sich um: „Hallo, Professor Lupin!"

Er setzte sich mit einem leichten Lächeln und sah auf den Tisch mit all den Büchern und Zetteln und als er das alte Buch entdeckte, legte er den Kopf schief: „Wer hätte gedacht, dass es noch immer hier wohnt!" Er nahm es in die Hände und blätterte es durch.

„Das ist ein Schwachsinnsbuch!" wetterte Ron und Remus lachte: „Danke, Ron! Es freut mich, dass ihr das erkannt habt! Kommt ihr gut voran?"

„Ach ..." sagte Ginny unglücklich und verzog leidend das Gesicht, „Ich habe so wahnsinnig viel zu tun; das kann so gar nicht stimmen! Ich muss nach diesem Aufsatz noch einen für Verwandlung machen, einen für Zauberkunst, einen für Pflege Magischer Geschöpfe ... ."

„Hagrid gibt Aufsätze auf?" fragte Harry ungläubig und Ginny schüttelte den Kopf: „Firenze. Und er sagt, er wird sie tatsächlich lesen!"

„Armes Ding!" Harry klopfte ihr auf die Schulter und Ginny schielte zu ihm hoch.

„Ich komme mit den Aufsätzen hier ganz gut klar, aber die von Professor Walter sind todlangweilig und Professor McGonagall macht ziemlich viel Theorie in Zaubereischule. Das macht müde!" sagte Hermine.

„Das hier ist die dritte Aufgabe von sechs, die Harry und ich noch erledigen müssen!" beklagte sich Ron und sah Remus anklagend an. Dieser schüttelte mitleidig den Kopf: „Tut mir Leid, aber ihr wisst wenigstens, wofür ihr das alles tut!"

„Also, ich verliere das langsam etwas aus den Augen!" murrte Harry.

„Dann macht doch eine kleine Pause!" schlug Remus vor, „Lauft euch draußen einmal tüchtig aus, lasst euch den Wind um die Ohren wehen und dann seid ihr gleich viel frischer." Sie brummten noch etwas, befolgten aber seinen Rat und tatsächlich fühlte sie sich ein klein wenig besser, als sie sich wieder in die Bücherei setzten, um ihre Arbeiten fertig zu kriegen.

In den Stunden, nachdem sie die Schutzschilde behandelt hatten, ließen Meta und Remus die Schüler den Patronuszauber üben. Mit Harrys tatkräftiger Unterstützung erklärte Remus und verbesserte, lobte und führte vor. Sein Patronus war ein riesiger, wilder Wolf.

„Verquer, oder?" fragte er Harry lächelnd.

Meta schaffte einen Nebel, der so ähnlich aussah, wie eine Schildkröte oder, wenn man Ron glauben wollte, wie eine umgekippte Salatschüssel auf Beinen, worauf Meta schrecklich stolz war. Hermines Otter war so agil und lebhaft wie vor den Ferien und in der zweiten Stunde bekam Rons glitzernder Nebel eine erkennbare Gestalt. Es war ein Bär; struppig, tollpatschig und furchtbar aufgeregt. Hermine lachte herzlich über den tapsigen Bären und Ron war sichtlich stolz auf sein Werk. Der Otter ringelte sich um den Hals des Bären und irritierte ihn so noch mehr. Harry entspannte sich und murmelte die Formel. Eine Sekunde später galoppierte sein majestätischer Hirsch heran und umrundete die beiden. Natürlich zog das die gesamte Aufmerksamkeit auf sich.

Eines Nachts lagen Harry und Ron wach und definitiv nicht aufgelastet in ihren Betten. Kurzerhand beschlossen sie, mit dem Tarnumhang Bill und Charlie besuchen zu gehen, die beim Abendessen erzählt hatten, dass sie irgendwelchen verqueren Kram von den Zwillingen geschickt bekommen hatten. Es war gerade elf durch; die beiden würden noch wach sein.

Allerdings kamen Harry und Ron gerade mal bis zu ersten Ecke außerhalb des Turms. Sie erschraken, als sie Schritte hörten. Der Gewohnheit nachgebend huschten sie in eine Nische und warteten mit klopfenden Herzen, was passieren würde.

Jemand ging den Flur entlang. Sie konnten im schwachen Licht einer entfernten Fackel eine dunkle Silhouette ausmachen. Es schien die Gestalt einer Frau zu sein und sie bewegte sich langsam und sicher. Sie machte nicht den Eindruck, als ob sie schleichen würde, sondern eher, als wäre sie es gewohnt, leise zu gehen. Ganz gemächlich, als hätte sie Zeit, glitt sie über den Flur, verharrte ab und an bei einem Gemälde und schien doch tatsächlich mit ihnen zu sprechen. Ein kurzer Wortwechsel, ein beinahe lautloser Scherz und dann ging sie weiter, wie jemand, der auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit seine Nachbarn grüßt. Sie kam an ihnen vorbei und ging weiter. Sie bemerkte die beiden nicht.

Seltsamerweise war Harry sich fast todsicher, dass von der Frau keine Gefahr ausging. Sie strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, als gehört sie hier hin. Als sie um die nächste Ecke bog, atmeten die zwei wieder.

„Ron, denk mal an die, die am Grimauldplatz rumgeschlichen ist! Das hier muss dieselbe sein!"

Ron nickte: „Habe ich mir auch schon überlegt!"

„Folgen wir ihr?" Harry war schon wieder auf dem Flur und hatte die entsprechende Richtung eingeschlagen, als Ron zögerte: „Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache!"

„Quatsch! Die ist nicht gefährlich!" winkte Harry ab. Im nächsten Augenblick hörten sie Stimmen im Flur und erkannten entsetzte Snape und Mr. Filch.

„Dein Umhang in allen Ehren, Harry, aber Snape vermutet was und wenn der nur einen Mucks hört, verpetzt er uns!" zischte Ron, „Und alle wissen, dass wir durchaus noch unterwegs gewesen sein können! Erinnerst du dich an Lupins Strafpredigt, die er uns im dritten Jahr gehalten hat? Der Typ kann einem dermaßen ein schlechtes Gewissen einreden! Da kann ich heut Nacht echt drauf verzichten!"

„Wo du Recht hast!" stimmte Harry zu, „Machen wir, dass wir wieder ins Bett kommen!"