Vollmond und Geheimnisse

„Hallo, Harry!"

Harry zuckte zusammen und sah schuldbewusst hoch, als Jakob sich am Morgen beim Frühstück zu ihnen setzte. Er sah allerdings recht freundlich: „Na, hast du dich eingelebt?"

Harry nickte und kaute sein Müsli.

„Können wir uns dann demnächst mal treffen? Wie wäre mit heute Abend in Remus´ Büro? Er sagt, er wäre gerne dabei."

„Ja, gern!" sagte Harry.

„Ich erwarte dich dann dort. Einen schönen Tag noch!" Jakob erhob sich und winkte ihnen zu, bevor er zum Lehrertisch ging.

„Was macht er eigentlich den ganzen Tag?" fragte Ron.

„Ich habe keine Ahnung! Aber gut, dass Remus auch da ist. Ich habe wenig Lust, mich von Jakob terrorisieren zu lassen!" Harry tauchte seinen Löffel wieder in die Schüssel.

„Morgen Nacht ist Vollmond!" sagte Hermine plötzlich und Rons Hand, die das Brötchen hielt, blieb auf halbem Weg zum Mund stehen, während Harry sich prompt verschluckte: „Ja?"

Hermine nickte: „Und was ist mit dem Trank?"

„Ich werde Remus fragen!" sagte Harry und angelte nach seiner Serviette. Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, da ein paar Plätze weiter Ginny und Dean sich offensichtlich stritten. Sie diskutierten heftig und Seamus erhob sich gerade eilig, um sich aus der Affäre zu ziehen.

„Was ist denn da los?" fragte Harry wie nebenbei und Ron zuckte mit den Schultern: „Vielleicht schießt sie ihn ab. Wird ja auch Zeit!"

„Ron! Du bist echt fies!" ärgerte sich Hermine und stand auf.

„Gehst du schon?"

„Wie du siehst!"

Harry stöhnte und sah zu Ron, welcher seinerseits Hermine hinterher sah: „Und warum zickt ihr euch schon wieder an?"

Ron schnaubte: „Was weiß ich? Isst du dein Müsli noch?"

„Bitte!" Harry schob seine Schüssel zu Ron und legte die Arme auf den Tisch und den Kopf auf die Arme. Unauffällig schielte er zum Lehrertisch, wo Meta gerade wild auf Remus einredete. Dieser schüttelte unablässig den Kopf und schaffte es, durch offensichtlich scharfe Bemerkungen, Meta für fünf Sekunden zum Schweigen zu bringen. Dann allerdings legte sie wieder los und wurde richtig sauer, als Jakob sich kurz einmischte und etwas sagte, dass ihr nicht zu gefallen schien. Beinahe übergangslos tauschte sie mit Josepha, wie Harry beobachten konnte, denn Meta konnte nicht lange ärgerlich sein, ohne sofort ihrem aggressiven Alter Ego Platz zu machen. Remus zeigte sich davon allerdings gänzlich unbeeindruckt und erhob sich. Er sagte noch ein, zwei Sätze zu Jakob und verließ dann die große Halle. Josepha saß noch etliche Minuten mit verschränkten Armen am Tisch, fauchte irgendetwas zu Jakob und stand dann ebenfalls auf. Jakob sah ihr nach und begann dann ein Gespräch mit Bill und Charlie.

Harry zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Er würde schon herausfinden, worum es ging. Er konnte es sich schon beinahe denken.

Nach dem Abendessen ging er mit Remus und Jakob gemeinsam zu Remus´ Büro und wurde ein klein bisschen nervös, da er nun ja schon seit längerem kein Okklumentik gehabt hatte.

„Keine Panik!" meinte Jakob freundlich. Harry stellte sich neben Remus: „Und, was ist so los bei dir?"

„Moment!" schaltete sich Jakob ein, „Ich würde vorschlagen, wir konzentrieren uns zuerst auf die Okklumentik, Harry. Wenn ihr euch erst einmal unterhalten habt, ist dein Kopf sicher zu voll, als dass wir noch sinnvoll arbeiten könnten."

„O.K.!" Harry ließ die Arme hängen und sah, wie Remus hinter seinem Schreibtisch Platz nahm: „Lasst euch nicht stören!"

Jakob wandte sich Harry zu: „So, mal sehen, wie viel du noch kannst!" Er schloss die Augen und Harry tat es ihm automatisch gleich. Plötzlich blitzte ein helles Licht in seinem Kopf auf und er zuckte zusammen, ohne die Augen wieder öffnen zu können. Er sah Jakobs Gesicht vor sich und dann kamen die Bilder in einer solchen Flut, dass Harry keuchend die Hände vors Gesicht hielt.

Ron und Hermine flogen auf Rons Besen.

Grawp kämpfte im Wald mit den Zentauren.

Tausende von Schlüsseln flogen wild umher und nur einer von ihnen war der richtige.

Seidenschnabel stand hinter Hagrids Hütte und wollte nicht verstehen, warum Harry und Hermine ihn fort zu ziehen versuchten.

Ein großer, schwarzer Hund, der sich von Harry das Ohr kraulen ließ und dabei irgendwie verschlagen aussah.

Josepha und Remus stritten sich am Lehrertisch und sahen ausgesprochen wütend aus.

„Ah! Du merkst aber wirklich alles, Harry!" Jakobs Stimme. Harry öffnete die Augen: „Es hat überhaupt nicht funktioniert."

„Du hast ja auch gar nichts probiert!"

„Du warst viel zu schnell in meinem Kopf drin! Und du hast nicht mal was gesagt!"

„Voldemort warnt dich garantiert auch nicht vor! Wollen wir noch einen Versuch starten?"

Harry nickte und in ihm keimte ein grimmiger Ernst auf. Er ballte die Fäuste und versuchte sich auf das Lied zu konzentrieren, das Seamus letztens im Schlafsaal gesungen hatte.

Wieder zuckte es.

Sirius´ Kopf erschien im Kamin.

Pettigrew schnitt Harry in den Arm und fing sein Blut auf, ohne eine Miene zu verziehen.

Harry umkreiste den Ungarischen Hornschwanz auf seinem.

Er, Hermine und Ron saßen im Zug und sahen misstrauisch zu dem schlafenden Professor Lupin hinüber.

Sirius und Snape standen sich in der Küche am Grimauldplatz gegenüber und taxierten sich mit wilden Blicken und Zauberstäben.

Remus, James und Sirius standen in der Heulenden Hüte beieinander und lachten, obwohl sie ziemlich mitgenommen aussahen.

Hermine küsste Harry zum Abschied auf die Wange.

Ron schaute ganz verdutzt auf sein Vertrauensschülerabzeichen.

Dann standen Remus und Sirius da. Sie lächelten, hatten die Arme vor der Brust verschränkt und bewegten sich keinen Zentimeter von der Stelle.

Kein Bild erschien. Nur die beiden standen. Langsam verblassten sie.

Harry hörte Jakob lachen und öffnete die Augen.

„Gute Idee, Harry!" sagte er und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge. Er wandte sich an Remus: „Er benutzt euch jetzt als Türsteher!"

Remus runzelte fragend die Stirn und verzog den Mund zu einem verwunderten Lächeln.

Harry grinste breit: „Reicht das für heute? Wir können ja gerne morgen weitermachen, aber jetzt wollte ich noch ein bisschen mit Remus reden, bevor er mich ins Bett schickt."

„Geht in Ordnung!" Jakob klopfte ihm auf die Schulter, „Morgen Abend, selbe Zeit, hier?"

„Ja!"

„Gut, dann eine gute Nacht euch beiden!"

„Gute Nacht!"

Eine Weile schwiegen sie, dann richtete Harry das Wort an Remus: „Was war heute beim Essen los? Worüber hast du dich mit Meta gestritten?" Remus machte ein ärgerliches Gesicht: „Du siehst auch alles, oder?"

„Vieles!" Harry guckte überlegen, „Es ging um morgen Nacht, nicht?" Remus nickte.

„Hast du den Trank genommen?"

„Nein, er bringt ja nichts!" sagte Remus hart und Harry schrak auf: „Aber ... wenigstens ein bisschen, oder?"

Remus winkte ab: „Emmeline hatte keine Zeit, um den Trank zu brauen."

„Ja, aber was ist mit Snape?" Harry ahnte schon etwas, er wollte es aber von Remus selbst hören.

„Er ... hat genug anderes zu tun ..."

„Schwachsinn! Er hat dich im Stich gelassen! Er hat dich tatsächlich hängen lassen! Das ist doch nicht wahr!" Harry schlug mit den Fäusten auf die Tischplatte. Dann sah er leicht verzweifelt zu Remus hin: „Was willst du stattdessen tun?"

„Ich werde wieder in die Heulende Hütte gehen!" sagte Remus und ein unbeschreiblicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht. Harry war zusammengezuckt: „Deswegen habt ihr euch gestritten, oder? Meta will dich begleiten und das willst du nicht!"

„Ja!"

„Aber ... du kannst doch nicht ganz allein dort hingehen! Du kommst ... vielleicht ... nicht wieder!"

„Natürlich komme ich wieder!" Remus klang ungeduldig, „So schlimm wird es schon nicht werden!"

Harry nagelte ihn mit einem durchdringenden Blick fest: „Könntest du bitte aufhören, das runter zu spielen! Du hast selbst gesagt, dass du dich vor einige Zeit so doll verletzt hast, dass du nicht allein für dich sorgen konntest!"

Remus machte eine abwehrende Handbewegung: „Aber ..."

„Nichts aber!" unterbrach Harry ihn laut und stand auf, „Du kannst allein hingehen, bitteschön! Aber wir werden dich abholen und da kannst du rein gar nichts gegen machen!"

Remus sprang auf: „Harry, NEIN! Das wirst du schön bleiben lassen! Du hast das noch nie gesehen und ich bin auch nicht wirklich scharf darauf, dass du mich so zu sehen bekommst!"

„Das ist mir total egal!" brüllte Harry, da auch Remus laut geworden war, „Ich lass dich da nicht verrecken!" Damit war er zur Tür gesprungen, hinausgestürmt und hatte die Tür ins Schloss geschmettert. Er hastete zum Aufenthaltsraum und traf dort Ron und Hermine, die, wieder friedlich, über eine Hausaufgabe von Ron saßen. Hermine fand sie so gut, dass sie an Rons Aussage zweifelte, er habe dies allein geschrieben, was Ron natürlich empörend fand.

„Hi! Ron, hast du die Karte des Rumtreibers oder ist sie bei mir?"

„Äh, bei dir. Wieso?"

„Erkläre ich euch gleich!" Harry polterte die Treppe hoch. Als er wieder runterkam, ließ er sich neben Ron und Hermine vor den Kamin fallen und breitete die Karte aus: „Ich will mal raus finden, wo Meta ihr Büro hat oder weißt du das, Hermine?"

„Naja, ihr Büro ist in Remus´ Flur; zwei Türen weiter, aber ich weiß nicht, wo sie schläft."

„Remus hat sein Zimmer gleich neben seinem Büro; das wird bei ihr genau so sein. Mal gucken, ob sie da ist. Ich muss was mit ihr besprechen!" Harry legte seinen Zauberstab auf die Karte und wisperte: „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin!"

Sofort erschienen feine Linien auf der Karte und bald konnten sie ausmachen, wo Meta sich gerade befand, nämlich tatsächlich in ihrem Büro. Sie stiefelte unruhig auf und ab.

„Na, dann los!" Harry stand auf, „Löscht ihr bitte die Karte? Ich nehme den Umhang und bin in einer halben Stunde wieder da!" Er verschwand noch einmal nach oben, kam aber nicht wieder herunter. Jedenfalls nicht sichtbar.

Unter dem Tarnumhang verborgen schlich Harry durch die düsteren Gänge. Nach guten zehn Minuten hatte er Metas Büro erreicht und klopfte sacht an. Meta öffnete fast augenblicklich und starrte verwundert auf den leeren Flur: „Hallo?"

„Ich bin´s, Harry!" flüsterte Harry und schob sich an ihr vorbei. Meta war vor Schreck ganz steif geworden und hatte den Zauberstab gezückt, als Harry den Umhang von sich warf.

„Du liebes bisschen, HARRY! Ach, dieser unselige Umhang! Den hatte ich ja total vergessen! Schande! Du hast mich echt erschreckt!" Sie atmete schwer und steckte den Zauberstab weg. Sie schloss die Tür und sah ihn dann streng an: „Was machst du hier? Ich hoffe für dich, es ist wichtig!"

„Das ist es! Es geht um Remus!"

Meta hielt in der Bewegung, ihm einen Stuhl hinzuschieben inne und starrte ihn an: „Ja?"

„Also!" Harry nahm Platz und faltete den Umhang sorgfältig auf seinem Knie, „Er geht morgen Abend zur Hütte und ich habe beschlossen, dass wir ihn abholen!"

Meta lachte freudlos und setzte sich ebenfalls: „Auf die Idee bin ich auch schon gekommen, aber der Sturkopf will ja nicht!"

„Es interessiert mich einen Dreck, was er will! Ich tue das, was gut für ihn ist!" sagte Harry bestimmt, „Kommst du mit uns?"

„Du willst deine Freunde mitnehmen?"

„Natürlich!"

Meta schüttelte den Kopf: „Nein, nein, Harry! Das werdet ihr nicht tun! Freundschaft hin oder her; ich möchte nicht, dass du dich so über Remus´ Willen hinweg setzt. Er ist euer Lehrer und ihr solltet ihn nicht nach einer Vollmondnacht erleben!"

Harry lachte kurz auf: „Hey, ich habe gegen eine Riesenschlange gekämpft, gegen einen Drachen und gegen Voldemort höchstpersönlich! Was kann mir da ein Werwolf anhaben! Ron und ich haben die Riesenspinnen erlebt und Hermine und ich die Dementoren. Wir sind hart im Nehmen!"

„Ja, aber wie wird es für euch, wenn ihr euren Lehrer völlig fertig und zerschunden am Boden liegen seht!" Meta sah ihn so durchdringend und streng an, dass Harry zögerte.

„Versteh mich nicht falsch! Ich finde es rührend, dass du dich so um ihn sorgst, aber ich denke, dass du ihm so nicht hilfst, sondern im Gegenteil ihm noch mehr schadest."

Harry seufzte: „Aber irgendwer muss nach ihm sehen!"

„Ich rede mal mit Bill und Charlie Weasley. Remus köpft mich zwar, sobald er wieder zu Kräften gekommen ist, aber damit werde ich wohl zu leben wissen!" versprach Meta düster und Harry stand auf: „Na, dann habt ihr doch wenigstens wieder ein Gesprächsthema!" Er fing den Umhang auf, der von seinen Beinen rutschen sollte. Meta runzelte die Stirn: „Meinst du, wir brauchen eines?"

Harry zuckte unschuldig mit den Schultern: „Das weiß ich nicht! Ich mache mich wieder auf den Weg!"

„Harry? Versprich mir, dass du am Morgen nach Vollmond im Schloss bleibst! Wenn du mir das nicht ins Gesicht versprechen kannst, dann werde ich dafür sorgen, dass du eine Strafarbeit bei McGonagall abzusitzen hast und zwar ab Sonnenaufgang für unbestimmte Zeit!" Meta verschränkte die Arme vor der Brust, was Harry etwas verstimmte.

„Ich verspreche es! Aber ich will ihn so schnell wie möglich im Krankenflügel besuchen!"

Meta streckte ihm die Hand entgegen: „Abgemacht!" Harry ergriff ihre Hand und schüttelte sie.

„Und jetzt mach, dass du ins Bett kommst! Ich werde mich um alles kümmern!"

„O.K., gute Nacht!" Und er verschwand unter dem Umhang.

„Faszinierend!" murmelte Meta noch und schloss die Tür.

Am nächsten Abend saßen Harry, Ron und Hermine im Gryffindor-Aufenthaltsraum zusammen. Hermine hockte wie immer inmitten aufgeschlagener Bücher, las, schimpfte und kritzelte wild auf einem Zettel herum. Harry und Ron packten gerade ihre Hausaufgaben für Eigenverwandlungen weg (Stichwörter zu einem Text über die schlimmsten Folgen bei Eigenverwandlung) und halfen dann Hermine unaufgefordert. Ron stöberte ein dickes Buch über die verschiedenen Arten der Zähmung von Werwölfen durch und Harry besah sich ihre Aufzeichnungen und machte sie auf einen Flüchtigkeitsfehler aufmerksam. Als sie gerade bis über die Köpfe in Arbeit steckten, kam Remus herein; blass, wie üblich, mit dunklen Ringen unter den Augen. Er setzte sich zu ihnen. Seine Bewegungen waren langsam und vorsichtig. Natürlich fiel sein müder Blick sofort auf die vielen Bücher und seine Augen weiteten sich: „Was ... was ist das denn?"

Hermine wurde etwas verlegen und Ron meinte schlicht: „Wir müssen es doch wenigstens versuchen! Wenn Professor Vance doch keine Zeit hat und Snape sich quer stellt!"

Remus keuchte überrascht und sagte mit rauer Stimme: „Vielen Dank! Aber ich glaube nicht, dass ..."

„Das ist ja keine Glaubenfrage!" meinte Ron und wedelte mit den Händen. Harry besah sich Remus´ erschöpftes Gesicht. Er hatte sich bemerkenswert gehalten. Wohl vor allem, da die ganze Schule unterrichtet war und er keinen Anlass zu neuen Getuschel geben wollte; weder mitleidigem noch gehässigem. Doch seit heute Morgen sah er eindeutig so krank aus, wie er sich fühlte.

Nach einem kurzen, unangenehmen Schweigen sagte Remus: „Ich muss mir einmal die Karte des Rumtreibers ansehen, Harry. Hast du sie noch?"

„Klar!" Harry ging, um sie zu holen. Als er mit dem leeren Pergament zurückkam, saß Remus vorgebeugt und hatte den Kopf in die Hände gelegt. Er sah auf, als Harry sich setzte. Beunruhigt reichte Harry ihm die Karte: „Eigentlich gehört sie ja dir ..."

Remus winkte ab und fügte erklärend hinzu: „Wisst ihr, manche Schüler sind auf den Geschmack gekommen. Sie haben in ihre Mondtabellen geschaut und wissen, dass heute Vollmond ist. Ich muss mal sehen, ob ich nicht einen Weg finde, der noch nicht völlig belagert ist."

„Es ist Malfoy, oder?" fragte Hermine direkt.

„Auch." meinte Remus ausweichend, zückte seinen Zauberstab, tippte damit auf das Papier und murmelte: „Ich schwöre feierlich, dass ich ein Tunichtgut bin!" Sofort erschienen auf dem Pergament die feinen Linien, die die Flure und Räume Hogwarts anzeigten. Über einigen Punkten standen Namen: Harry Potter, Ronald Weasley, Hermine Granger, Remus Lupin, Severus Snape, Peeves, Argus Filch, Mrs. Norris und über einer großen Ansammlung etliche Namen von Slytherin-Schülern, angeführt von Draco Malfoy, Vincent Crabbe, Gregory Goyle und Pansy Parkinson.

Hermine verknotete beunruhigt ihre Finger: „Professor Lupin, beeilen Sie sich! Es wird schon dunkel!"

Remus erhob sich: „Ich bin schon weg! Harry, denk daran, was wir besprochen haben! Ich möchte nicht, dass du morgen früh in der Hütte auftauchst, ist das klar?"

„Das ist klar!"

Remus nickte und verließ den Gemeinschaftsraum.

„Jetzt lasst uns das hier zu Ende bringen. Ron, Neville und ich besprechen uns übermorgen mit Madam Pomfrey und du gehst noch mal zu Professor Vance. Irgendwas müssen wir doch reißen können, was diesen dämlichen Trank angeht!" sagte Harry, sah noch auf die Karte und verfolgte Remus´ Weg weg von den neugierigen Schülern zum Geheimgang unter der Peitschenden Weide. Als er darin verschwunden war, legte er seufzend den Zauberstab auf die Karte und sagte: „Unheil angerichtet!"

Die Linien verschwanden.

Am nächsten Morgen wäre Harry am liebsten sofort in den Krankenflügel gegangen, doch Hermine schleifte ihn unnachgiebig zum Frühstück.

„Wer auch immer ihn holt, sollte erst einmal die Chance haben, ihn bei Madam Pomfrey abzuliefern, damit er ein bisschen verarztet werden kann!" sagte sie und auch in Harrys Ohren klang das vernünftig.

„Unsere erste Stunde ist Kampfutensilien. Kingsley versteht das, wenn wir später kommen!" sagte Ron zu Harry und stand ebenfalls auf, „Außerdem habe ich Hunger!"

„Gut, dann lasst uns was essen gehen!"

Nach einem leckeren Frühstück, das Harry nicht hundertprozentig genießen konnte, machten sie sich auf den Weg zur Krankenstation. Vor der Tür trafen sie Charlie.

„Na, ihr? Mit euch habe ich jetzt ja gar nicht gerechnet!" scherzte er.
„Wie geht es Remus?" fragte Harry sofort.

„Den Umständen entsprechend. Ihr dürft kurz nach ihm sehen, dann verschwindet ihr aber ab in euren Unterricht!" Sie nickten und öffneten leise die Tür. Harry schob sich vor, betrat das Zimmer und sein Blick fiel sofort auf Remus´ Bett. Er schlief fest und offensichtlich ganz friedlich. Er hatte keine schwerwiegenden Verletzungen im Gesicht, atmete ruhig und gleichmäßig. Harry lächelte erleichtert. Auf einem Stuhl neben Remus´ Bett saß Meta und begrüßte sie freundlich, als sie ihr Buch beiseite legte: „Guten Morgen!"

„Morgen!" erwiderte Harry und trat neben sie, „War´s schlimm?"

„Ach, fast gar nicht!" winkte Meta so übertrieben ab, dass Harry ihr nicht so ganz glaubte.

„Konntest du heute Nacht überhaupt schlafen?"

Meta sah ihn irgendwie alarmiert an: „Wieso?"

„Na, du hast dir doch bestimmt Sorgen gemacht."

„Es ging." Sie nahm wieder ihr Buch, „Und, was habt ihr jetzt?"

„Kampfutensilien und Zaubereischule." antwortete Hermine und erschrak, „Oh, McGonagall nimmt mich auseinander!"

„Das glaube ich nicht, Hermine! Dann geht jetzt mal. Ihr könnt ja nach dem Mittagessen wiederkommen!" sagte Meta und schlug demonstrativ ihr Buch auf.

„O.K., wir sind weg! Hab ein Auge auf ihn!" sagte Harry.

„Werde ich!"

Professor McGonagall nahm Hermine nicht auseinander, da sie ihr erklärte, aus welchem Grund sie zu spät kam. Kingsley hatte nicht einmal bemerkt, dass Harry und Ron unpünktlich waren, da der Kurs heute seine Fesselflieger ausprobierte und somit die Hälfte der Teilnehmer schon zusammengeschnürt am Boden lag, als die beiden ankamen.

An einem Mittagessen nur wenige Tage später sah Harry irritiert zum Slytherin-Tisch, an dem ungewöhnlich wenig Schüler saßen. Auch Malfoy war nicht zu entdecken und in Harry keimte eine Ahnung auf, die ihn breit grinsen ließ.

„Wo ist Malfoy?" zischte er und Hermine und Ron sahen sich suchend um.

„Oh !" Ron rieb sich die Hände und lachte, während Hermine zwischen übermäßiger Freude und taktvoller Zurückhaltung schwankte. Nach dem Essen belagerten sie Remus und nervten ihn, bis er mit der Sprache raus rückte: „Einige Slytherin-Schüler, darunter auch Mr. Malfoy, haben die Schule auf Anraten des Direktors verlassen!" Harry jubelte und Ron klatschte begeistert.

„Und sie kommen nicht wieder?" fragte Hermine lächelnd.

„Nein und jetzt lasst mich bitte gehen; ich habe Unterricht!" So streng Remus im Moment auch wirken wollte, Harry konnte sehen, wie er ein zufriedenes Schmunzeln unterdrücken musste.

Kein Malfoy mehr an der Schule! Harry strahlte.

Ewas später saßen Ron und Harry in der Bibliothek zusammen. „Sag mal, hast du Jakob schon mal zaubern sehen?"

Harry sah auf und direkt in Rons Gesicht: „Wie meinst du das?"

„Na, wie soll ich das schon meinen? Ich habe ihn noch nie mit einem Zauberstab in der Hand gesehen." stellte Ron fest und klappte das Buch zu, das er gerade für Heiltränke durchbüffelte.

Harry wurde nachdenklich: „Er kann Legilimentik und Okklumentik. Das ist auch Zaubern, nur halt ohne Stab!"

„Ja." sagte Ron und sah dabei irgendwie vieldeutig aus.

„Wir könnten ihn fragen." meinte Harry unsicher.

„Besser wir fragen Meta." schlug Ron vor und jetzt war es an Harry ein kritisches Gesicht zu machen.

„Was denn?"

„Ich habe mich in letzter Zeit oft und lange mit der Karte des Rumtreibers beschäftigt und immer, wenn ich sie aktiviert habe; wirklich immer; zu jeder Tages- und Nachtzeit war sie unterwegs." erzählte Harry.

„Willst du damit sagen, sie schläft nicht?" fragte Ron belustigt und auch Harry musste grinsen: „Wenn du sagst, Jakob zaubert nicht." Die beiden lachten und brachen erschrocken ab, als an ihrem Tisch in der Bücherei zwei Stühle weggerückt wurden. Meta und Jakob setzten sich.

„So, ihr Lieben!" sagte Meta und Harry fand, dass sie wirkte, als wäre ihr das Herz sehr schwer, „Dann seid ihr also hinter unsere kleinen Geheimnisse gekommen."

Harry sah sie verdutzt an und Ron sperrte den Mund auf. Jakob setzte sich gemütlich auf seinen Stuhl und sah die beiden fast erfreut an.

„Du kannst also nicht zaubern?" schaffte Harry zu fragen. Jakob schüttelte den Kopf.

„Ein Muggel?" fragte Ron fast lautlos, doch Jakob schüttelte den Kopf: „Nicht direkt. Ich konnte einmal zaubern, aber das ist schon etwas her."

„Was ist passiert? Hat dich jemand verflucht oder was?" schoss Ron ins Blaue.

„Mich nicht, aber Meta." sagte Jakob sanft und Harrys und Rons Köpfe zuckten zu Meta.

„Tja, das ist ebenfalls lange her. Das passierte, als das erste Mal Todesser durch unsere Gesellschaft wanderten. Dummerweise hat es mich erwischt."

„Hast du deswegen … naja, zwei Persönlichkeiten?" fragte Harry unbehaglich.

„Mehr oder weniger. Ich habe seit …lass mich kurz nachrechnen …15 Jahren nicht mehr geschlafen und da ich somit zu viel Zeit hatte und außerdem sehr einsam war, habe ich eine zweite Persönlichkeit entwickelt, die mit dem Ganzen ein bisschen besser umgehen konnte. Sie ist härter im Nehmen als ich. Sie schafft es, nachts wach herum zu sitzen ohne zu weinen." Harry starrte sie fassungslos an.

„Du schläfst gar nicht?" fragte Ron leise, „Nie?"

„Nie." bestätigte Meta, „Aber so bescheuert das klingt: Man gewöhnt sich an alles. Und so etwas gibt es ja auch bei den Muggeln. Das ist eine fast normale Krankheit."

Harry biss sich auf die Unterlippe und sah von Meta, die nie schlief, zu Jakob, der nicht mehr zaubern konnte.

„Was machst du denn die ganze Nacht?" fragte Ron vorsichtig.

„Lesen." meinte Meta, „Rumwandern. Hogwarts ist ziemlich cool in der Nacht. Die Portraits sind echt nett und Professor Flitwick ist oft bis spät in die Nacht auf und arbeitet irgendwas. Dann helfe ich ihm oder ich gehe in die Küche und schnacke mit den Hauselfen." Sie erzählte das ganz ruhig und fast locker, fand Harry. Und sie grinste breit, als sie sagte: „Und wenn ich ganz großes Glück habe, laufen ein paar Schülern herum, die ich ins Bett schicken kann. Das ist auch immer sehr spaßig!"

„Bist du oft traurig darüber?" wollte Ron wissen. Harry bewunderte ihn, dass er so einfach Fragen stellen konnte.

Meta schüttelte den Kopf und zuckte gleichzeitig mit den Schultern: „Geht so. Es gibt manchmal schlechte Nächte, in denen ich genervt bin und sehr mit meinem Leben hadere. Das sind Nächte, in denen ich komplett allein bin und in denen es vielleicht stürmt oder so. Dann übernimmt Josepha. Das ist zwar auch manchmal nicht so toll, weil sie trinkt, aber ein Kater am Morgen ist mir lieber als eine depressive Nacht. Die schlägt noch härter aufs Gemüt." Harry und Ron nickten langsam. Dann wandte sich Harry an Jakob.

„Warum kannst du nicht mehr zaubern, Jakob?" fragte er, doch Jakob schüttelte den Kopf: „Das möchte ich dir nicht erzählen, Harry! Das ist auch nicht wichtig für dich! Wichtig ist, dass du weißt, dass ich zu deiner Unterstützung hier bin!" Er erhob sich, lächelte ihnen zu und ging.

„Und ich bin eigentlich hier, um euch ins Bett zu schicken. Ihr seid spät dran. Und tut mir einen Gefallen: Erzählt es nicht jedem! Ich weiß, so etwas tut ihr nicht, da ihr sehr feinfühlig seid, aber ich möchte es trotzdem noch einmal betonen!" Meta sah Harry und Ron an, die noch völlig perplex und sprachlos waren. Sie schafften es, zu nicken, standen auf und verließen die Bücherei.

„Das ist krass!" sagte Ron auf halbem Weg zum Turm.

„Das Krasseste ist, dass ich tatsächlich nicht herausfinden will, was dahinter steckt. Bei Jakob, meine ich." sagte Harry.

„Ich auch nicht."

„Er hat uns in den Kopf gesetzt, dass wir das nicht wissen müssen und es scheint in Ordnung so." stellte Harry fest, „Er ist so gut in Legilimentik, dass er so was leicht schafft." Dann sah er Ron an: „Erzählen wir es den Mädchen?"

„Auf jeden Fall!"