Nächtliche Aktivitäten

Auch den nächsten Vollmond Anfang November überstand Remus gut. Er hatte wieder eingewilligt, dass Bill und Charlie ihn von der Hütte abholten. Einen Tag später sah Remus allerdings noch sehr blass aus und zu allem Überfluss trafen zwei vom Ministerium geschickte Beamte ein. Professor Walter unterhielt sich mit ihnen und auch Remus machte den Eindruck, als wären sie bereits miteinander bekannt. Sie verabredeten sich für den Abend mit ihm.

Harry erholte sich gerade von seinem Okklumentikunterricht mit Jakob, als sie klopften.

„Guten Abend, Mr. Lupin!" Der Erste, der eintrat, war ein junger, überaus schlanker, sorgfältig gekleideter Mann und er grüßte freundlich. Sein älterer Kollege sah wesentlich finsterer aus und sein Umhang müffelte, wie Harry fand. Er zog die Beine an und beäugte sie misstrauisch.

„Wollen Sie den Schüler nicht raus schicken?" brummte der Zweite.

Remus schüttelte den Kopf: „Nein, er kann bleiben. Möchten Sie sich nicht setzen und etwas trinken?"

„Danke! Ein Wasser wäre nett!" Der Schlanke war sehr erfreut, während sein Kollege beinahe empört ablehnte. Remus reichte dem Herren ein Wasser.

„Darf ich Ihnen Harry Potter vorstellen? Harry, das sind Mr. Strasser und Mr. Lloyd vom Werwolfregistrierungsbüro."

Harry bemühte sich, nicht allzu sehr zu starren und reichte den beiden halbherzig die Hand.

Lloyd nahm sein Wasser entgegen, trank durstig und nahm seufzend Platz: „Ach, tut gut! Vielen Dank noch mal! Wir haben arg viel zu tun in letzter Zeit!"

„Das kann ich mir vorstellen!" sagte Remus geflissentlich und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Strasser begann, sich übertrieben gründlich in Remus´ Büro umzusehen und nahm jedes Teil, das ihm verdächtig vorkam, genauestens unter die Lupe.

„So, Mr. Lupin, dann kommen wir mal zur Sache!" Lloyd kramte umständlich in seiner prall gefüllten Aktentasche und förderte ein Formular zutage. Harry versuchte, unauffällig einen Blick darauf zu erhaschen, was ihm wiederum ein strenges Räuspern von Strasser einbrachte.

„Personalien haben wir. Neuer Arbeitsplatz ist ordnungsgemäß angemeldet; neue Adresse ebenfalls. Und, fühlen Sie sich nicht wohl hier?"

„Sehr."

Lloyd lächelte breit und nickte: „Ja, ja. Der Mensch braucht sein Zuhause! Und der Werwolf ja schließlich auch, nicht?" Er lachte, als hätte er einen guten Scherz gemacht. Harry und Remus tauschten entsprechende Blicke aus. Lloyd wandte sich wieder Remus zu: „Hat sich bei Ihrem Einkommen etwas geändert?"

„Nein."

„Nehmen Sie noch den Wolfsbanntrank ein?"

„Ja."

„Regelmäßig?"

„Ja."

Remus´ Gesicht war undurchdringlich, aber Harry fand, dass er ja nicht log. Er nahm das Zeug. Ob es noch wirkte, wollte der Typ ja gar nicht wissen.

„Nehmen Sie irgendwelche anderen Medikamente?"

„Nein."

„Drogen?" bellte Strasser dazwischen.

„Nein."

Harry atmete beherrscht aus. Er wunderte sich, wie Remus so ruhig bleiben konnte. Aber wahrscheinlich kannte er diese Prozedur und die beiden Herren schon.

„Haben Sie in letzter Zeit nennenswerte Krankheiten oder Verletzungen gehabt?"

„Nein."

Lloyd hakte eifrig auf seinem Bogen ab und sah recht zufrieden aus.

„Allergien, Mangelerscheinungen?"

„Nein."

„Flöhe?" Lloyd schüttelte sich vor Lachen, doch Remus verzog nicht einmal das Gesicht.

„Tschuldigen Sie." Er wischte sich über das Gesicht, „Sie sehen recht blass aus."

„Letzte Nacht war Vollmond!" knurrte Strasser und hantierte ungeschickt mit Remus´ Feindgläsern herum; auf der Suche nach Drogen, wie Harry vermutete.

„Ach, tatsächlich?" Lloyd sah überrascht aus, „Naja, und gut überstanden?"

Remus nickte: „Ja, danke!"

„Schön! Also, wo waren wir? Ah, Sie haben vor kurzem bei der Gringotts-Bank Geld abgehoben, aber nicht von Ihrem Konto." Er sah Remus erwartungsvoll an.

„Ja, das ist richtig."

„Wessen Konto war es? Ihren Angaben zufolge haben Sie keine Verwandten mehr; jedenfalls nicht in der Zaubererwelt."

Remus zögerte und als hätte Strasser dies gerochen, wirbelte er herum und starrte ihn an. Harry zog den Kopf ein. Wahrscheinlich war es Sirius´ Konto gewesen, aber wie sollte Remus das erklären?

„Es ist das Konto einer Bekannten." Harry horchte auf.

„Einer Bekannten?" Lloyd verzog das Gesicht, als wollte er sagen „Das muss doch jetzt nicht sein!"

„Ja, einer Bekannten. Miss Meta Rosenstein. Wie Sie sicher wissen, unterrichtet sie seit Anfang dieses Jahres hier und vor einiger Zeit bat sie mich, ein wenig Geld von ihrem Konto abzuheben, da ich mich gerade in London aufhielt. Ich besorgte einige Kupferkäfige für die Mantelwichte, die ich in meinem Unterricht einsetze."

„Ach, Mantelwichte!" grollte Strasser und warf das Windtuch achtlos zurück in sein Kästchen, „Was heben Sie Geld ab für wildfremde Leute?"

„Miss Rosenstein ist mir nicht wildfremd." sagte Remus höflich.

„Nein, wohl nicht. Aber Sie verstehen schon, dass wir nachfragen müssen, wenn Sie so etwas tun!" fragte Lloyd nervös.

„ „So etwas"? Geld abheben?" Remus sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Geld für eine Bekannte abheben!" sagte Strasser finster und betonte das Wort „Bekannte" auf eine Art, die es schrecklich anzüglich machte. Remus runzelte für den Bruchteil eines Sekunde die Stirn, sagte aber nichts. Lloyd kam langsam ins Schwitzen: „Na, Sie kennen doch die Gesetze, Mr. Lupin!"

„Verzeihen Sie, ich habe Geld für sie abgehoben und ihr keinen Heiratsantrag gemacht!" sagte Remus scharf und Strasser sprang sofort darauf an: „Und das dürften Sie auch gar nicht!"

Harry sah Remus verwundert an, doch dieser wich seinem Blick aus.

„Ach ... ach ... ." Lloyd betupfte seine feuchte Stirn mit einem geblümten Taschentuch, „Mr. Lupin, Sie machen uns doch keinen Ärger, oder? Haben Sie doch nie! Wir werden einige Kollegen zu Ihrer Beziehung zu Miss Rosenstein befragen müssen; das wissen Sie!"

„Tun Sie, was Sie nicht lassen können!"

„Das werden wir!" knurrte Strasser.

„Nun ... also ... mit Ihrem Konto bei Gringotts ist alles in Ordnung. Haben Sie in letzter Zeit aus anderer Quelle Geld eingenommen als von der Hogwarts-Schule oder haben Sie eine Erbschaft gemacht?"

„Nein."

„Haben Sie Schenkungen erhalten? Grundstücke, Bauwerke?"

Ja, das Haus der Todesserfamilie Black!´ dachte Harry wütend und verknotete seine Finger, um sich abzureagieren.

„Nein."

„Sie haben bei „Flourish & Blotts" anschreiben lassen und diese Rechnung noch nicht beglichen."

„Der Inhaber des Geschäfts ist darüber informiert. Es kommt häufiger vor, dass ich bei ihm anschreiben lasse, da ich sehr viele Bücher für meinen Unterricht erwerbe. Und er weiß auch, dass er den ausstehenden Betrag erhält, sobald ich Ende des Monats mein Gehalt von der Hogwarts-Schule ausgezahlt bekomme."

„Gut! Klingt ja, als hätten Sie alles im Griff, Mr. Lupin! Schön! Vorbildlich!" Lloyd packte das Formular weg und wedelte mit seinem Taschentuch, „Wir werden morgen noch einmal wieder kommen, um einige Kollegen zu befragen. Wir brauchen ein paar objektive Aussagen über Sie; Sie kennen das ja!"

Remus nickte und bot Lloyd stumm noch etwas Wasser an.

„Danke! Danke! Sehr freundlich!" Er kippte zwei Gläser hinunter. Strasser schien allerdings noch nicht zufrieden und er baute sich vor Remus auf, was Harry außerordentlich lächerlich fand, denn wäre Remus aufgestanden, hätte er dem schnaubenden Mann mit der ungesunden Gesichtsfarbe auf den fast kahlen Kopf spucken können.

„Wir werden auch ihre Bekannte befragen!" drohte er.

„Tun Sie das." entgegnete Remus höflich.

„Vielleicht möchten Sie uns jetzt noch lieber sagen, welche Beziehung Sie zu ihr haben, bevor es peinlich werden könnte!"

„Sie ist eine Kollegin und eine sehr nette, hilfsbereite dazu."

„Nett? Hilfsbereit? Und Sie erledigen kleine Gänge und Arbeiten füreinander. Sie halten zusammen Unterrichtsstunden ab, habe ich gehört!"

„Ja, den Kurs Verteidigungstaktiken in der sechsten und siebten Klasse."

„Dann müssen Sie sich doch sicher viel besprechen!" Strasser klang so auffällig lauernd, dass Harry sich darüber ärgerte. Er hielt Remus anscheinend für richtig dumm.

„Nicht mehr und nicht weniger, als wir uns auch mit anderen Kollegen besprechen." Remus ließ sich noch immer nicht aus der Ruhe bringen.

„Oh, man sitzt doch oft noch bis abends über irgendwelchen Büchern. Wie viel Zeit, würden Sie schätzen, verbringen Sie durchschnittlich am Tag mit ihr?"

„Ein paar Stunden. Nicht viel."

„Treffen Sie sich privat?"

„Nein."

„Gehen Sie mit ihr ins Bett?"

Harry keuchte auf und auch Remus schnappte nach Luft. Lloyd wiegte bedächtig den Kopf ob dieser Formulierung, doch Strasser taxierte Remus weiterhin mit durchdringenden Blicken.

„Das geht Sie ... !" begann Remus, doch Strasser schnitt ihm sofort das Wort ab: „Das geht uns sehr wohl etwas an, Lupin! All Ihre Aktivitäten müssen vom Ministerium überwacht werden! ALLE! Nichts, was Sie treiben, ist für uns unwichtig oder uninteressant, haben Sie mich verstanden! Und jetzt antworten Sie!"

Remus schluckte und sagte leise und mit mühsam beherrschter Stimme: „Nein."

„Na, also!" Strasser schlug mit seiner Pranke auf den Tisch, „Wäre auch schlecht für Sie! Wissen Sie, Lupin, Sie wären nicht der erste Werwolf, den wir in diesen Zeiten abholen, weil er meint, er kann sich plötzlich über Gesetze hinwegsetzen! Wir haben verdammt viel zu tun mit diesem ganzen Todesser-Kram, aber für Leute wie Sie nehmen wir uns gerne ein bisschen Zeit!"

„Na, na! Nun ist aber gut, Herr Kollege!" warf Lloyd halbherzig ein, „Mr. Lupin hat sich immer als höflich und kooperativ erwiesen. Wir haben noch keinen negativen Eintrag in seiner Akte vermerken müssen und ich bin sicher, Mr. Lupin tut alles dafür, dass das auch so bleibt!"

„Nicht SIE haben entsprechende Einträge vermerkt, sondern Ihr Vorgänger und ich!" knurrte Strasser, „Ich merke sofort, wenn einer aufmucken will und Sie, Lupin, sind kein Unschuldslamm! ICH weiß das und nur weil gewisse inkompetente Kollegen sich von ihrer ach-so-freundlichen Art einlullen lassen, sollten Sie sich noch lange nicht in Sicherheit wiegen! ICH habe ein Auge auf Sie, weil ich weiß, was Sie verbockt haben!"

„Jetzt ist es aber gut!" Lloyd fühlte sich beleidigt, „Jeder tut, was er kann! Und Mr. Lupin hat die Verhaftung einiger Todesser bewirkt; haben Sie das vergessen, Kollege?"

„Nein!" grollte Strasser, „Aber ich habe auch so einige andere Sachen nicht vergessen!"

Er stellte sich noch etwas gerader hin und sah auf Remus herunter, der auf seinem Stuhl saß und mittlerweile sichtlich um Fassung rang: „Kommen Sie mir blöd, Lupin, und ich fahr Sie eigenhändig nach Askaban zu all ihren Werwolffreunden!" Damit drehte er sich um und stiefelte aus dem Büro.

Lloyd stand noch etwas bedröppelt da und wedelte mit den Armen: „Mr. Lupin, entschuldigen Sie! Das hätte nicht sein müssen! Wissen Sie, er ist mit mir nicht so recht einverstanden. Ich bin ja noch nicht lange dabei; das wissen Sie ja. Er macht das seit Jahren und ... naja. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend! Wir machen den nächsten Termin dann morgen! Auf Wieder- ... Gute Nacht!" Er taperte aus der offenen Tür und Harry sprang auf und warf sie zu. Dann trat er zu Remus an den Schreibtisch, schenkte ihm ein großes Glas Wasser ein und reichte es ihm.

„Danke!" krächzte Remus. Er sah Harry entschuldigend an: „Es ist immer etwas anstrengend."

„Anstrengend? Der Typ ist doch nicht ganz dicht! Der ist total unverschämt gewesen!" Harry atmete tief ein und aus, um nicht auszurasten.

„Wenn es nach Lloyd ginge, liefe das ganze Theater auch friedlicher ab. Aber sein Kollege ist ein kleiner Fanatiker. Er sieht, wie die Welt von den Werwölfen eingenommen wird und stellt sich todesmutig dagegen!"

„So ein Schwachsinn!" stieß Harry hervor.

„Du sagst es! Willst du auch ein Glas Wasser?"

„Danke, nein! Darf ich dich was fragen?"

„Damit habe ich gerechnet. Weißt du, ich dachte mir, es wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee, wenn du bleibst. Erstens siehst du dann mal, wie das Ministerium arbeitet und zweitens ... naja, ich hatte gehofft, dann reißt sich Strasser etwas zusammen, aber da lag ich wohl falsch." Er lachte bitter.

„Strasser hat dich auf dem Kieker. Wieso?"

„Nichts Weltbewegendes, Harry! Die alte Sache: Ich bin ein Werwolf und Sirius Black war mein bester Freund. Er wäre mich damals auch gern losgeworden, aber ich bin mit einem blauen Auge davon gekommen. Er hat das nie verwunden!"

„Aber du hast nichts getan!" ereiferte sich Harry.

„Genau wie Sirius nichts getan hat, aber das haben sie auch nicht gemerkt." erinnerte ihn Remus und einen Augenblick schwiegen beide wütend und enttäuscht.

„Wieso ... haben sie so viel gefragt, ... was Meta angeht?" fragte Harry vorsichtig, doch Remus schien wieder gefasst; wie üblich.

„Es sind eine Menge Gesetze für Werwölfe erlassen worden zum Schutze der restlichen, ungefährlichen Zaubererschaft. Es sind ein paar scharfe Regelungen zum Thema Ehe, Familie und so. Sie beziehen sich auch auf Kredite und bestimmtes Eigentum. Eigentlich darf ein Werwolf kein Geschäft führen, kein Buch veröffentlichen und keine Reden halten."

Nach einer Weile fragte Harry ahnend:„Keine Kinder und nicht heiraten?"

Remus schüttelte den Kopf, doch als er sah, wie betroffen Harry guckte, legte er eine Hand auf dessen Arm: „Halb so schlimm, Harry. Mittlerweile bin ich zu alt für Kinder. Ich bin glücklich damit, sie zu unterrichten. Und ich hatte nie vor, zu heiraten."

„Aber ... ." Harry schluckte schwer.

„Es gibt durchaus Möglichkeiten, die immer noch im Rahmen dieser Gesetze liegen. Man kann so etwas wie eine Partnerschaft eintragen lassen. Das bedeutet eine Menge Stress, aber es ist machbar."

„O.K., mal abgesehen davon: Wenn du keine Reden halten darfst, warum darfst du dann unterrichten?"

„Weil Dumbledore sich seit Jahren für mich einsetzt und weil mein Unterricht überprüft wird. In unregelmäßigen Abständen und ohne mein Wissen werden meine Stunden aufgenommen und ins Ministerium geschickt. Sollte denen irgendetwas nicht in den Kram passen, fliege ich sofort raus. Vor drei Jahren hätte es erst einmal eine Verwarnung gegeben und es wäre jemand zum Überprüfen gekommen, aber jetzt ist zu viel zu tun."

„Für Werwölfe nimmt Strasser sich immer Zeit!" murmelte Harry, „Kontrollieren die dich oft?"

„Alle drei Monate." Remus schenkte sich noch ein Glas Wasser ein und sah dann seufzend zu seinem Regal, „Dieser Affe hat alles durcheinander gebracht." Er stand auf und begann aufzuräumen. Harry beobachtete ihn von seinem Stuhl aus.

„Was wäre, wenn du doch mal heiraten willst? Oder eben nur eine richtige Beziehung haben möchtest?" fragte er schnell und Remus hielt in seinen Bewegungen inne, „Was wäre, wenn du jetzt endlich merkst, dass du dich in Meta verknallt hast und mal den Mut aufbringst, einen Schritt auf sie zuzumachen? Dann kommt Strasser und sperrt dich weg, nachdem er aufgehört hat, dreckig zu lachen?" Harry redete sich in Rage und konnte förmlich spüren, wie diese Worte auf Remus wirkten. Langsam drehte er sich um.

Harry schrumpfte unter seinem Blick, wollte aber nicht so schnell aufgeben: „Denk doch mal nach! Das ist doch nicht fair! Würdest du nicht was dagegen sagen wollen? Ich meine, wenn es sich wirklich lohnen würde!"

Remus´ Blick wurde tatsächlich noch dunkler, doch er schwieg beharrlich. Vielleicht wusste er nicht, was er darauf antworten sollte oder vielleicht wollte er nicht mit Harry darüber reden. Harry wartete. Nach zehn endlos langen Minuten flüsterte er im Aufstehen: „Ich dachte ja nur ..." Er ließ Remus in seinem Büro zurück und machte sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum in einer Geschwindigkeit und Stimmung, als wäre er auf dem Weg zu seiner eigenen Hinrichtung.

Hermine und Ron arbeiteten an einem Text für Zaubereiforschung, was viel mehr hieß, dass Hermine arbeitete und Ron seiner Meinung nach lustige Kommentare dazwischen warf, die seine Freundin auf die Palme zu bringen drohten. Sie war sichtlich erleichtert, als Harry hereinkam, machte aber sofort ein erschrockenes Gesicht: „Was ist denn?"

„War es so mies mit Jakob?" fragte Ron und bot Harry Schokolade an, die dieser ablehnte.

„Ich muss mal in Ruhe mit euch reden!" sagte Harry und mit einem lauten Knall schloss Hermine ihre Bücher: „Folgt mir unauffällig. Mein Schlafsaal ist frei!"

Harry und Ron verharrten mitten in der Bewegung, aufzustehen und starrten Hermines Rücken an: „Wie bitte?"

„Jetzt macht schon! Euch sieht schon keiner! Die sind alle viel zu beschäftigt!"

„Hermine, wir können da nicht hoch!" wandte Ron ein, doch Hermine winkte ab: „Der Zauber funktioniert nicht mehr seit Ginnys Treffen mit Dean. Sie hat ihn aufgehoben."

„Ganz allein?" fragte Harry misstrauisch und Hermine grinste: „Naja ..."

Ron zog beeindruckt die Augenbrauen hoch und Harry lachte: „Du hast den Erstklässlern was anderes erzählt!"
„Ja, natürlich! Jetzt kommt aber endlich!" Sie stiegen tatsächlich unbemerkt die Treppe hoch und Ron war sichtlich enttäuscht, dass sie so unspektakulär normal aussah. Als sie dann Hermines Schlafsaal betraten, staunten sie doch ein bisschen.

„Mann, ich hätte nicht gedacht, dass es bei euch so unordentlich ist!" meinte Harry trocken und sah sich um. Man konnte vor lauter Klamotten, Zeitschriften, Pergamentblättern und Kleinigkeiten wie Haarspangen, Halstüchern und Süßigkeiten kaum die Betten beziehungsweise die Nachttische erkennen.

„Lavender und Parvati!" meinte Hermine achselzuckend.

„Welches ist dein Bett?" fragte Harry. Hermine grinste: „Ron sitzt schon drauf!"

„Na, ich kenn doch meine Hermine ... ich meine, ... ich kenne Hermine ... ." Ron wurde rot, deutete hilflos auf den Vorleger vor dem Bett und stotterte: „Naja, hier liegen die meisten Bücher und das Kissen ist voller Tintenflecke."

Harry lachte und Hermine wurde auch etwas verlegen. Dann ließen sich die beiden neben Ron fallen und Harry beeindruckte sie, indem er einen Hexenring um den Raum legte: „Hab ich mir von Kingsley abgeguckt."

„Worum geht´s denn?" fragte Hermine und kuschelte sich in ihr Kissen.

„Um Remus." Harry holte tief Luft, um die Geschichte möglichst lückenlos zu erzählen. Ron hörte mit grimmigem Gesicht zu und Hermine drückte sich immer tiefer in ihr Kissen.

„Das ist doch nicht wahr, oder?" hakte Ron nach. Doch Harry nickte und seufzte: „Er sagt, das wäre nicht so wild, aber er hat geguckt, als wäre das ein Weltuntergang! Ehrlich! Es macht ihm was aus, aber er versucht das wegzudenken."

„Typisch!" meinte Ron.

„Irgendwas müssen wir machen können! Da ich jetzt weiß, wo ich gucken muss, kann ich mich informieren und dann finde ich bestimmt ein Schlupfloch!" meinte Hermine kampfeslustig.

„Meinst du?"

„Klar! Die Werwolfgesetze sind ziemlich alt. Newt Scamander hat 1947 das Register angelegt und dann kamen in einem sehr kurzen Zeitraum ein Haufen Gesetze, die bis heute nicht geändert wurden. Ich denke mal, das Verbot, eigene Kinder zu bekommen, beruht auf der Vorstellung, dass die Fähigkeit, sich in einen Werwolf zu verwandeln, erblich ist. Allerdings untersuchen verschiedene Forschungslabore das bis heute ohne eine Bestätigung erhalten zu haben! Wahrscheinlich müder Aberglaube! Das Problem ist aber, dass immer noch keine richtige Trennung vorgenommen wird zwischen dem Werwolf als Raubtier und dem Zauberer als Mensch. Zu viele glauben noch, dass Betroffene tatsächlich eine gewalttätige Mentalität haben und einen entsprechenden Lebensstil pflegen; davon hast du doch gelesen, Ron!"

Ron nickte, doch sein Blick war leicht verwirrt. Hermine sprang vom Bett und lief im Zimmer auf und ab. Harry und Ron stützten sich auf die Ellenbogen, um ihrem wilden Hin-und-Hergelaufe folgen zu können.

„Wenn man mal einen Werwolf länger beobachten würde und nicht immer nur diese halbherzigen Kontrollen veranstalten würde, dann könnte man ganz schnell feststellen, dass das ganz normale Menschen sind! Menschen, denen die Meinungsäußerung ebenso zusteht wie allen anderen und die ein Recht auf Kinder haben und Häuser und Kündigungsschutz!"

Hermine sah sie erhitzt an und die Jungen nickten etwas eingeschüchtert.

„Das verdammte Ministerium müsste ... !"

„Ich traue meinen Augen nicht!" Alle drei fuhren zusammen, als Professor McGonagall eintrat: „Ich traute schon meinen Ohren nicht, als Miss Patil und Miss Brown sich beschwerten, Sie könnten nicht in Ihren Schlafsaal, aber jetzt bin ich wirklich VOLLKOMMEN FASSUNGSLOS!" Ihre Augen funkelten bedrohlich und ihr Mund war so schmal zusammengepresst, dass er nur noch eine feine Linie war. Harry und Ron hüpften hastig von Hermines Bett und stellten sich gerade hin.

„Haben Sie eine Erklärung dafür, Miss Granger? IRGENDEINE?"

Hermine schien um ein Drittel ihrer eigentlichen Größe geschrumpft.

„Wir haben etwas ausprobiert." sagte Harry und bemerkte im nächsten Moment, da McGonagall zusammenzuckte, als hätte er sie in den Bauch geboxt, dass das nicht wirklich der richtige Ausdruck gewesen war.

„WAS?" fiepte die Lehrerin.

„Den Hexenring. Professor Lupin hat uns aufgetragen, so viel wie möglich auch außerhalb des Unterrichts zu üben." fiel Ron ein.

„Hier oben?" schoss McGonagall, „Und wie haben Sie meinen Sperrzauber überwunden?"

„ „Finite" in Verbindung mit einem Wurzelweingemisch." flüsterte Hermine verschüchtert.

„Auch eine Aufgabe von Professor Lupin?" zischte McGonagall.

„N-nein, von Professor Rosenstein." sagte Harry leise und unsicher.

„Folgen Sie mir!" Professor McGonagall drehte auf dem Absatz um und stob die Treppe herunter. Hermine machte ein ganz verzweifeltes Gesicht und die Jungen hofften fieberhaft, sie würde ihnen diese Geschichte abkaufen. Sie schlichen hinter der Lehrerin zu dessen Büro und vor ihren Kamin, in den sie eine Handvoll Flohpulver warf: „Remus, sind Sie noch wach?"

Die Antwort kam sofort: „Ja."

„Tun Sie mir den Gefallen und kommen Sie her!" Einen Moment später krabbelte Remus aus dem Kamin und sah sich erstaunt um: „Was ist denn hier los?"

„Das möchte ich von Ihnen wissen, aber noch eine Sekunde Geduld. Miss Rosenstein?" Mit einer weiteren Prise Pulver rief sie Meta.

„Ja?"

„Könnten Sie kurz in mein Büro kommen?"

„O.K."

Sie schauten vergeblich in den Kamin. Drei Minuten später klopfte es an der Tür: „Hallo?"

„Warum kommen Sie durch die Tür?"

„Entschuldigen Sie, es ist nach zehn! Ich habe wenig Lust, heute Abend noch zu duschen. Ich bin grad so schön sauber!" Meta lachte und strich sich über ihren dunklen Hausumhang, doch da niemand sonst ihren Scherz witzig zu finden schien, fragte sie: „Um was geht es also?"

„Um diese drei Schüler, die ich gerade eben im Schlafsaal meiner Mädchen der sechsten Klasse gefunden habe!" Professor McGonagall schnaubte entrüstet und Meta und Remus schickten erstaunte Blicke zu Harry, Ron und Hermine. Meta sah aus, als müsste sie sich das Lachen und ein paar anzügliche Fragen verkneifen und Remus schwankte sichtlich zwischen Empörung und so etwas Ähnlichem wie Achtung.

„Was hattet ihr da zu suchen?" schaffte er Harry zu fragen und Harry erzählte noch einmal die fadenscheinige Geschichte mit den Aufgaben außerhalb des Unterrichts.

„Nun, wir haben die Schüler tatsächlich gebeten, so viel wie möglich zu üben." sagte Meta unbestimmt.

„Aber nicht so, meine Liebe! NICHT SO!" Professor McGonagall fuchtelte mit ihrem Zauberstab herum, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.

„Nein, natürlich nicht so!" sagte Remus fest und sah die drei an, „Abgesehen davon, dass es bemerkenswert ist, dass ihr den Sperrzauber einer Lehrerin durchbrochen und einen Hexenring geschaffen habt, den selbst Professor McGonagall nur schwer überwinden konnte, habt ihr eine Schulregel verletzt und euch ... moralisch unkorrekt verhalten!"

Meta sog zischend die Luft ein und Harry konnte ihr ansehen, dass diese Formulierung beinahe einen Lachanfall bei ihr ausgelöst hätte. Professor McGonagall hingegen nickte eifrig.

„Ich gehe richtig in der Annahme, dass Professor Rosenstein und ich uns um die Angelegenheit kümmern sollen?" fragte Remus an McGonagall gewandt.

„Ich bitte darum! Ich habe genug zu tun! Sie glauben nicht, was mir Severus eben für eine Nachricht zukommen ließ. Die siebte Klasse ... ich kann mir noch immer nicht erklären, wie es einige meiner Schüler in die Räumlichkeiten des Slytherin-Turmes geschafft haben, aber dass das nicht ohne die Verletzung von Schulregeln abgelaufen sein kann, steht ja wohl fest! Ich muss mich umgehend darum kümmern!"

„Gehen Sie nur, Minerva! Wir übernehmen ab hier!" sagte Meta heroisch und ertrug Remus´ tadelnden Blick ungerührt.

„Vielen Dank!" Professor McGonagall rauschte aus ihrem Büro und ließ die fünf zurück.

Endlich konnte Meta lachen: „Oh, Leute! Ihr seid doch nicht mehr ganz schussecht!"

Remus schüttelte den Kopf und versuchte, ernst zu bleiben: „Harry, Ron! Ehrlich, ihr hattet da nichts zu suchen! Warum macht ihr solchen Ärger?"

„Wir brauchten nur ein bisschen Ruhe und Raum für uns!" verteidigte sich Harry und Remus und Meta rissen die Augen auf: „BITTE?"

„Ach, Mann! Nicht so! Jetzt kriegt euch endlich wieder ein! Was glaubt ihr denn, haben wir da oben gemacht? Eine Orgie gefeiert?" ärgerte sich Harry und Hermine schloss die Augen. Das war doch etwas zu viel für ihre Nerven. Ron war leicht rot geworden, doch er kam bei weitem nicht an die Gesichtsfärbung ihrer beiden völlig fassungslosen Lehrer heran.

„Aber ... ihr könnt euch im Gemeinschaftsraum unterhalten! Oder ihr geht morgen ein bisschen spazieren!" sagte Meta.

„Wir mussten gleich reden!" widersprach Harry leise und Remus stöhnte auf.

„Wegen dir?" fragte Meta halb interessiert, halb spöttisch.

„Ah, Harry! Du schaffst mich! Macht, dass ihr ins Bett kommt und zwar jeder in sein eigenes. Morgen Abend nach dem Essen kommt ihr in mein Büro und holt euch eure Strafarbeit ab. Ich denke mir was für euch aus!"

„Was denn?" fragte Hermine zitternd. Sie kämpfte seit einigen Minuten mit der quälenden Erkenntnis, dass sie sich einer Schulsprecherin nicht gerade angemessen verhalten hatte.

„Nichts, was euch öffentlich demütigt!"

„Nicht?" fragte Meta enttäuscht und grinste Remus an, „Na, gut. Jetzt raus mit euch! Und haltet die Finger still! Ihr seid auf Bewährung!"

Die drei verschwanden eilig und Remus und Meta verschlossen sorgfältig Professor McGonagalls Bürotür, bevor sie nebeneinander den Flur herunter wanderten. Sie schwiegen ein bisschen, dann rang sich Remus dazu durch, zu fragen: „Kommst du noch kurz mit rein?"

„Gerne!" Meta huschte vor ihm in sein Büro und blieb überrascht stehen: „Wie sieht es denn hier aus?"

„Ich habe aufgeräumt und bin nicht ganz fertig geworden. Gehen wir in mein ... ." Er brach erschrocken ab und Meta musste lachen: „Schlafzimmer? Hab dich nicht so! Die Räumlichkeiten sind hier alle gleich und meines sieht wahrscheinlich haargenau so aus: Bett, Schrank, Nachttisch. Nichts Besonderes, hab ich Recht?"

Einen Moment flackerte in Remus´ Blick etwas auf, dass sie stutzig machte. Für einen kleinen Moment sah er fast so aus, als wollte er ganz durchtrieben fragen, wie sie sich so sicher sein könnte, dass er nichts in seinem Schlafzimmer hatte, das sie schocken würde. Meta konnte es förmlich in seinen Augen lesen. Doch dann war der Moment vorbei, sein Blick war wieder normal und Remus schüttelte lächelnd den Kopf: „Du hast Recht!"

Sie gingen durch die Seitentür in Remus´ Zimmer und nahmen auf dem sorgfältig gemachten Bett Platz.

„Noch mehr Bücher! Nicht zu fassen!" staunte Meta und ließ ihren Blick über die Regale wandern, die vom leichten Lichtschein, der aus dem Büro herein schimmerte, beleuchtet wurden.

„Ich muss dich vorwarnen!" begann Remus ohne Umschweife, um ja keine weitere Situation wie eben aufkommen zu lassen, „Morgen werden dich die zwei netten Herren vom Ministerium einer Befragung unterziehen."

„Wieso? Ich habe gar nichts gemacht ... glaube ich!" Sie sah ihn fragend an.

„Es geht auch eher um mich und um unsere Beziehung zueinander. Das heißt ...ähm ... sie glauben, wir hätten eine und das passt ihnen nicht."

„Und ich soll ihnen sagen, dass alles in Ordnung ist und du nicht im Begriff bist, ihre kostbaren Gesetze zu brechen?"

„Ja!"

„Das Wissen um die Tatsache, dass wir gerade allein mitten in der Nacht ohne Licht auf deinem Bett sitzen wird mich nicht gerade glaubwürdig erscheinen lassen!"

Remus fluchte innerlich und klatschte einmal, um das Licht einzuschalten.

„Das rettet deinen Hals auch nicht mehr!" lachte Meta und stand auf, um ein Buch aus einem der Regale zu ziehen, „Ich hätte nie gedacht, dass du diesen Schwachsinn liest!"

Remus sah auf das Deckblatt, von welchem ihm Gilderoy Lockhart entgegenlachte; einen erlegten kornischen Wichtel in der Hand haltend.

„Nun, ich habe diesen Schwachsinn geschrieben!"

„Wie bitte?" Meta machte ein ungläubiges Gesicht. Remus lächelte und nahm das Buch zur Hand: „Da es Werwölfen nicht erlaubt ist, eigene Bücher zu schreiben und dieser Idiot Lockhart tatsächlich gar keine Ahnung hat, habe ich ein paar meiner Forschungsergebnisse an ihn verkauft. Als er merkte, dass meine Arbeit ziemlich gut ist, hat er angefragt, ob ich nicht einige Dinge für ihn recherchieren und verfassen könnte. Da ich in der Gesellschaft nicht angesehen bin und somit die Angelegenheit nicht an die große Glocke gehängt habe, konnte er als Held dastehen und ich hatte ein bisschen was zu tun. Er mag zwar ein absoluter Trottel sein, aber er war immer fair zu mir und hat mich ordentlich bezahlt. Das ist nicht selbstverständlich für jemanden wie mich, der für andere Leute die Arbeit macht."

Meta stand noch immer der Mund offen. Dann holte sie sich das Buch wieder und schlug es auf. Sie überflog einige Sätze des Kapitels. Dann blieb ihr Blick an der ersten Seite hängen: „Hier steht eine Widmung. Für John."

„Gilderoy fand das witzig und ich muss schon sagen, dass ich mich noch immer sehr geschmeichelt fühle." grinste Remus. Meta schüttelte den Kopf: „Ich bin noch immer etwas geschockt."

„Das geht vorbei!" meinte Remus gutmütig und schlüpfte aus seinen Puschen. Erst jetzt fiel Meta sein Aufzug auf und sie betrachtete ihn in seinem langen, grauen Pyjama und seinem blauen Bademantel, der ihm eindeutig zu groß war. Sie musste grinsen und Remus tat es ihr gleich, bis sie ihn lachend darauf hinwies.

„Er hat Sirius gehört, aber mir war nachts oft so kalt, dass ich ihn schließlich genommen habe!" sagte er und versuchte, nicht allzu niedergeschmettert zu klingen. Meta stellte das Buch wieder weg; ganz sorgfältig, schließlich kannte sie Remus´ Ordnungsfimmel; und setzte sich neben ihn. Remus sah sie an und sie erschrak furchtbar, als sie die Tränen sah, die in seinen Augen schimmerten.

„Entschuldige, es ist kurz nach Vollmond und ich habe schon seit drei Nächten nicht mehr richtig geschlafen. Ich bin ein Nervenbündel." sagte er heiser und schluckte schwer.

„Verkraftet es unsere nicht vorhandene Beziehung, wenn ich einen Arm um dich lege?" fragte Meta und Remus lachte kurz, schüttelte den Kopf, lachte wieder und nickte dann. Meta schlang ihren linken Arm um seinen schmalen Rücken und legte ihren Kopf an seine rechte Schulter. Remus bettete seinen Kopf auf ihre weichen Haare und schloss die müden, brennenden Augen.

Nach etlichen Minuten flüsterte er: „Ich vermisse ihn immer noch so sehr! Jeden Tag und jede Nacht, wenn ich aufwache und mir sofort der Gedanke kommt, dass er weg ist ... für immer weg ist! Besonders bei Vollmond fehlt er mir! Wie oft bin ich früher aufgewacht und habe neben Sirius gelegen? Ich bin praktisch in seinen Armen aufgewacht und so unangenehm mir das anfangs war, es tat doch so gut, einen Freund wie ihn zu haben! Er hat mir in meinen schwersten Stunden zur Seite gestanden und hat ... er war einfach da; ohne Kompromisse und ohne etwas dafür zu verlangen! Er hat sich um mich gekümmert und ich habe mich so gut es ging revanchiert, doch ... manchmal habe ich den Eindruck, er hat es nicht gewusst! Einfach nicht gewusst, wie viel er für mich war!"

Er brach ab, als seine Stimme versagte und legte beide Hände vors Gesicht. Meta richtete sich auf und legte beide Arme um seinen Körper, der vom stillen Weinen geschüttelt wurde.

„Es war einfach nicht fair, dass er jetzt gehen musste! Es war nicht richtig! Er hat sich nie etwas zu Schulden kommen lassen! Er hat es verdient, dass alles gut wird, verstehst du? Wenn es jemand verdient hat, dann Sirius! Er hat so viel von seinem Leben nicht gehabt; hat so viel Zeit in diesem verdammten Gefängnis verbracht, die er hätte glücklich sein müssen und jetzt ... wo ich ihn doch endlich wieder hatte ... wenigstens jetzt hätte es doch in Ordnung kommen können für ihn! Er hat seit seinem 23. Lebensjahr nur gelitten ... Irgendwann hätte es doch gut sein müssen! Gerade Sirius! Gerade er!"

Meta bekam langsam, aber sicher das Gefühl, dass Remus mit sich haderte; mit sich und vor allem mit der Tatsache, dass er noch hier war und Sirius nicht, obwohl der es doch so verdient hatte. Tatsächlich waren seine nächsten schwach geflüsterten Worte: „Ich würde liebend gern mit ihm tauschen! Ich hätte gehen können ... an seiner Stelle! Das wäre nicht so schlimm gewesen!"

Meta schluckte und nahm sein Gesicht in beide Hände. Mit sanfter, doch bestimmter Gewalt hob sie seinen Kopf, so dass er ihr in die Augen sehen musste: „Sagst du so etwas bitte nicht! Niemand kann den Platz eines anderen einnehmen oder beeinflussen, wann es Zeit ist! Abgesehen davon, dass wir das nicht in der Hand haben, gibt es noch jemanden, der es verdammt noch mal verdient hat, glücklich zu sein und das bist du!"

Remus sah sie zweifelnd an.

„Glaub mir! Du hast darauf ebenso ein Recht, wie Sirius es gehabt hat. Doch er ist jetzt nicht mehr hier, um es in Anspruch zu nehmen! Du bist noch hier und auch wenn es abgedroschen klingt: Sirius hätte gewollt, dass du dich zusammen reißt und dein Leben genießt!"

„Aber das macht es nicht einfacher; zu wissen, was er gewollt hätte!" sagte Remus leise und machte sich aus ihrem Griff los. Er wischte sich über das nasse Gesicht und rückte ein Stückchen von Meta weg.

„Das nicht, aber vielleicht die Tatsache, dass dich eine Menge Leute hier vermisst hätten?" fragte Meta und Remus sah sie zweifelnd an: „Ich weiß nicht."

„Ach, jetzt komm schon!" Meta musste sich arg zusammen reißen, um nicht wütend zu werden, „Wie hat Harry dich eben angesehen? Zu wem kommt er, wenn er Sorgen hat? Wer gibt ihm Halt und hilft ihm? Das bist doch wohl du!"

„Ja, weil er Sirius nicht mehr hat!" sagte Remus und meinte es tatsächlich so.

Meta dachte, dass das vielleicht nicht ganz falsch war. Dafür wusste sie zu wenig über die Beziehung zwischen Harry und seinem Paten. Sie versuchte es weiter: „Das mag ja stimmen, aber weißt du, ich glaube, dass er trotzdem dich gebraucht hätte bei manchen Angelegenheiten. Wenn Sirius noch da wäre, würdet ihr vielleicht so eine Art Aufgabenteilung betreiben."

Remus musste lächeln: „Das wäre schön, wenn es so wäre, oder?"

„Ja, das wäre sehr schön! Aber da es nun mal leider nicht so ist, solltest du nehmen, was du kriegen kannst und versuchen, damit glücklich zu sein!" sagte Meta mit Nachdruck, „Du hast jetzt einen wichtigen Platz in Harrys Leben und du hast einen guten Job und eine Menge Freunde. Jeder hier an der Schule hier mag dich ... O.K., Snape hasst dich, aber was wäre das Leben ohne seinen Ekel vor dir? Dumbledore vertraut dir und die Schüler sind ganz begeistert von dir! Ich würde sagen, du hast es ziemlich gut getroffen!"

Remus sah sie dankbar an: „Du hast Recht!"

„Ich weiß!"

„Es tut mir leid, dass ich mich so habe gehen lassen!"

Meta winkte ab und stand auf: „Ich bin froh, dass du es getan hast! Ich meine, dich gehen lassen!"

Remus lächelte leicht und unterdrückte das Bedürfnis, zu widersprechen, als Meta sein Kopfkissen aufschüttelte und auffordernd darauf deutete. Er schälte sich aus dem Bademantel und legte sich erschöpft nieder.

„Kannst du schlafen?" fragte sie leise, nachdem er sich umständlich zugedeckt hatte und sie zur Tür trat.

„Ich denke schon!" Remus sah vom Kissen aus zu ihr hoch.

„O.K." Meta ging zur Tür. Sie verharrte einen Moment dort, löschte durch nochmaliges Klatschen das Licht und drehte sich noch einmal zu ihm: „Schlaf gut! Und denk nicht mehr daran, dass du mich wach gehalten hast!"

„Haha!" Remus verzog das Gesicht.

Meta grinste: „Gute Nacht also!"

„Gute Nacht!"

Sie schloss die Tür hinter sich und atmete tief durch.

Harry, Hermine und Ron schlichen wie geprügelte Hunde zurück zu ihrem Turm und jeder war in seine eigenen ziemlich trüben Gedanken versunken.

„Mich interessiert mal, ob sie schon einmal einen Schulsprecher seines Amtes enthoben haben und warum!" sagte Hermine unglücklich, bevor sie sich gute Nacht wünschten und in ihre Schlafsäle gingen.

„Ich bin nicht müde!" sagte Ron leicht quengelig.

„Ich auch nicht. Wollen wir ein bisschen spionieren?" Harry fischte die Karte des Rumtreibers aus seinem Bett, „Vielleicht ist heute Nacht ja noch was los!"

„Auf geht´s!" meinte Ron grinsend, setzte sich neben Harry aufs Bett und aktivierte die Karte, „Mann, heute Nacht ist echt was los!" staunte er und deutete auf die etlichen, sich bewegenden Punkte.

Professor McGonagall wanderte gerade in Begleitung von Professor Snape in Richtung Dumbledores Büro. Dieser hüpfte, wie es den Anschein machte, um seinen Schreibtisch herum. Harry und Ron grinsten.

Ein paar Ecken weiter schlichen Lee Jordan, Mick Phifer, Ellen Barrs und Taylor Steinberg durch die Gänge auf der Flucht vor Filch und Mrs. Norris, die offenbar hin und her gerissen waren zwischen den beiden Optionen, die sich ihnen boten: Gryffindor-Schüler verfolgen oder Peeves in den Kellern bei den Zaubertrankklassenzimmern vom Zerstören des Inventars abhalten. Schließlich trennten sich.

Auch Professor Flitwick war noch auf den Beinen. In seinem Schlafzimmer neben seinem Büro schien eine kleine Party statt zu finden, denn die Professoren Green, Smythe, Walter und Sinistra tummelten sich dort. Flitwick selbst huschte gerade zur Tür, um Hagrid herein zu lassen, der in Begleitung von Professor Sprout erschienen war.

Über einer dichten Ansammlung von Punkten direkt vor dem Portrait der Fetten Dame standen etliche Namen von Mädchen der ersten Klasse.

„Haben die das Passwort vergessen oder lässt die Fette Dame sie wieder nicht rein? Hast du das Theater letztens mitgekriegt?" wollte Ron wissen.

Harry schüttelte den Kopf.

„Sie hat sie einfach stehen lassen und ist zu ihrer Freundin Violet gegangen, weil sie die Kleinen nicht mag. McGonagall musste höchstpersönlich kommen und sie zurückholen." Ron grinste schadenfroh.

„Lass uns noch ein wenig gucken. Wenn sie in einer Viertelstunde da noch stehen, können wir sie ja retten!" schlug Harry vor und sah dann wieder angestrengt auf die Karte. Dann musste er plötzlich lachen.

„Was? Habe ich etwas an mir?" fragte Ron irritiert.

„Nein, ich musste nur denken, wie schön es ist, wieder nachts irgendetwas Heimliches auszuhecken! Wie früher, als die Welt noch in Ordnung war!"

Ron klopfte ihm gutmütig auf die Schulter, dann wurde sein Blick von etwas gefangen genommen. Er deutete auf zwei Punkte: „Vielleicht kommt die Welt ja auch wieder in Ordnung! Schau mal!"

Harry lächelte, als er die Namen Remus Lupin und Meta Rosenstein in Remus´ Schlafzimmer las.

„Im Schlafzimmer? Und so dicht beieinander? Und da machen die uns an; ist ja nicht zu fassen!" schimpfte Ron.

„Sieh mal, noch mehr von der Sorte!"

Nahe der Statue der buckligen Hexe standen Dean Thomas und Padma Patil zusammen.

„Der Kerl hat es faustdick hinter den Ohren!" war Rons leicht abfälliger Kommentar, „Wie gut, dass unsere Mädchen in ihren Betten liegen, wie es sich gehört!" Er zeigte auf die Mädchenschlafsäle, wo die Punkte Ginny Weasley und Hermine Granger ganz still hielten. Harry sah Ron verwundert an, sagte aber nichts. Die Erstklässler waren mittlerweile in den Turm gelangt und tummelten sich im Gemeinschaftsraum.

„Wenn Hermine das wüsste!" meinte Ron, „Die würde sie einen Kopf kürzer machen!"

„Sie gehen schon!" sagte Harry und verfolgte dann einen anderen Punkt, „Wen haben wir denn da?"

Jakob wanderte gerade unbehelligt von dem ganzen Treiben in der Burg einen Flur entlang und betrat ein Büro.

„Ist das nicht Metas Büro?" fragte Ron misstrauisch. Harry nickte: „Was will der denn immer von ihr? Tonks und Remus hängen auch nicht dauernd zusammen rum!"

„Die würden sich auch an den Hals gehen! Wenn da mal nicht noch was läuft!" unkte Ron, „Wie war denn die letzte Session mit ihm?"

„Gut! Sie sind immer gut! Er sagt, ich mache Fortschritte und er ist immer nett und höflich. Remus versteht sich auch gut mit ihm." Harry zuckte mit den Schultern.

„Ist er nicht auffällig unauffällig?" fragte Ron mit erhobenem Zeigefinger und Harry lachte leise: „Ja, wahrscheinlich!"

„Schau mal, jetzt gehen Dumbledore, McGonagall und Snape auf Schülerfang. Hoffentlich erwischen sie Lee nicht!"

„Werden sie nicht! Er ist gleich im Turm!" Sie beobachteten, wie Lee und seine Freunde in den Gryffindor-Turm hetzten und in ihre Betten eilten.

„Sieh mal!" Harry hatte etwas Interessantes in Snapes Kerkern entdeckt. Professor Vance huschte dort in einem kleinen Tranklabor von einer Wand zur anderen wie ein Tennisball.

„Na, also!" Ron klang sehr zufrieden, „Bleibt ja doch nicht alles an uns hängen!"

„Remus sagte letztens, dass sie gut vorankommt!" meinte Harry.

„Das will ich ihr auch nur geraten haben!" knurrte Ron und deutete grinsend auf ihre beiden Punkte, „Wenn jetzt noch einer so eine Karte hätte, würde der sich aber auch fragen, was wir hier veranstalten!"

Harry lachte. Die Punkte Harry Potter und Ron Weasley verharrten auf der Karte so dicht beieinander, dass sie sich beinahe überlagerten.

„Jetzt geht Meta! Zu schade! Von mir aus hätte sie die ganze Nacht dort bleiben können!"

Meta wanderte die Korridore entlang und begegnete den Professoren Dumbledore, McGonagall und Snape.

„Kleiner Plausch unter Lehrern!" meinte Ron und begann zu kommentieren: „Wie geht es Ihnen, Meta? - Bestens! - Wo kommen Sie denn um diese Uhrzeit her? - Ähm ... ähm ... - Aha!" Er imitierte Dumbledores tiefes Lachen und Harry stieg mit ein: „Kollege Severus, haben Sie heute Nacht schon jemanden festnehmen und einkerkern können? - Nein, aber ich würde nur zu gerne bei Ihnen anfangen! - Aber, aber! Wir arbeiten doch zusammen! - Wir essen zusammen, mehr auch nicht!"

„Was?" Ron wischte sich eine Lachträne aus dem Auge, „Wir essen zusammen? Du spinnst!"

„Danke!" Harry grinste geschmeichelt.

„Meta trifft Jakob in ihrem Büro. Sieht aus, als hätte sie ihn erwartet. Na, wenigstens halten sie Abstand zueinander."

„Flitwicks Party ist zu Ende. Hagrid wankt nach draußen. Meine Güte, er wankt wirklich! Man kann es richtig sehen!" Harry schüttelte den Kopf, „Gut, dass er Grawp nicht mitgenommen hat! Ich wage zu bezweifeln, dass er schon gesellschaftsfähig ist!"

Ron schnaubte: „Klein-Grawpy mit Lätzchen und Löffelchen an Flitwicks Winztisch!" Sie prusteten möglichst gedämpft bei der Vorstellung.

„So langsam gehen alle ins Bett! Jetzt bin ich aber auch müde." Ron gähnte und kuschelte sich in die Decke.

„Das hier ist mein Bett! Verschwinde, Weasley!"

„Du bist vielleicht ein Freund!" schimpfte Ron und ließ sich von Harry aus dessen Bett schieben. Er plumpste auf den Boden und quälte sich rüber in sein Bett: „Herzlos, ohne jedes Mitleid, gefühllos ... !"

„Gute Nacht, Ron!"

„Ja!"

Obwohl Harry todmüde war, konnte er nur knapp eine Stunde wirklich schlafen. Dann lag er wach im Bett, fühlte seine schweren Glieder und ärgerte sich, dass er nicht wieder einschlafen konnte. Nach einer durchwachten halben Stunde kroch er aus dem Bett. Er taperte zu seinem Schrank und holte das Denkarium heraus. Er wollte die Gelegenheit nutzen, da er ganz offensichtlich der einzige, arme, bedauernswerte Mensch war, der wach war. Von Meta mal abgesehen, die, wie Harry gerade noch mal auf der Karte gesehen hatte, einen Rundgang durch die Bücherei machte.

Harry stellte sie Schale andächtig vor sich auf den Boden und vergewisserte sich mit einem Blick, dass tatsächlich alle schliefen. Dann beugte er sich über das Denkarium.

Er fand sich auf dem Bahngleis 9 ¾ wieder, der voller Menschen war. Es herrschte ein furchtbares Durcheinander; offensichtlich war der erste Schultag nach den großen Ferien. Harry drückte sich an eine nahe Wand, da Dutzende Menschen durch ihn durch hasteten und das empfand er, wenn er es auch nicht körperlich fühlen konnte, als recht unangenehm.

Neben ihm stand ein Junge in seinem Alter. Seine Haare waren kurz geschnitten, regelrecht geschoren, und seine Augen waren fest auf den Zug gerichtet. Er hatte ein blasses, angespanntes Gesicht und einen verkniffenen Zug um den Mund.

Harry hätte Sirius beinahe nicht erkannt, wie er so finster da stand, in einen schwarzen Umhang gekleidet und ohne das fröhliche Lächeln auf den Lippen und das unheilvolle, lebhafte Glitzern in den Augen. An Sirius´ Seite standen ein Mann und ein Junge, die Harry noch nie gesehen hatte und die er neugierig näher betrachtete.

Der Junge war fast einen Kopf kleiner als Sirius, schlank und ebenfalls dunkelhaarig. Er allerdings sah sich mit wachem Blick um und hob ab und zu leicht lächelnd die Hand, wenn er einen Vorübergehenden erkannte. Er musste jünger sein als Sirius, doch er strahlte eine Überheblichkeit und Selbstsicherheit aus, dass man meinen könnte, er wäre uralt und ebenso weise. Und während Sirius sich anscheinend mittlerweile abgewöhnt hatte, arrogant zu wirken, so tat es dieser Junge mit sichtlichem Genuss.

Der Mann an seiner Seite war groß, doch Sirius reichte beinahe an ihn heran. Er erinnerte Harry spontan an Lucius Malfoy, obwohl er pechschwarze Haare hatte. Aber er bewegte sich ähnlich: auf die gleiche Art und Weise elegant und einschüchternd. Er hatte sich seinen dunklen Mantel um die Schultern und die gepflegten Hände besitzergreifend auf die Lenkstange des Trollis gelegt. Neben dem Kofferwagen stand tatsächlich ein Hauself in einem entsetzlich dreckigen Geschirrtuch. Er trug ein kleines Täschchen und äugte ängstlich umher.

„Sirius, es wäre nett, wenn du zur Abwechslung mal ein anderes Gesicht aufsetzen könntest!" sagte der Mann leise und schneidend, „Die Leute müssen ja denken, du hättest die Ferien in einer Strafanstalt verbracht anstatt bei deiner Familie!"

Harry sah Sirius am Gesicht an, dass er am liebsten erwidert hätte, dass es ihm auch so vorkam, doch er biss sich auf die Lippen und schwieg. Der Mann wandte sich dem kleineren Jungen zu: „Vielleicht solltest du zu deinen Freunden gehen, Regulus! Sie scheinen zu warten. Sirius und ich haben noch eine Kleinigkeit zu klären!"

„Ja, Vater!" Regulus hängte sich seinen Mantel über den Arm, fauchte den Hauselfen an, er solle ihm sein Gepäck nachbringen und schritt würdevoll davon. Seufzend drehte sich Mr. Black zu seinem älteren Sohn: „Sirius?"

Als dieser nicht reagierte, packte er ihn grob am Arm und zischte, dass nur Sirius und Harry es hören konnten: „Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir spreche!"

Widerwillig blickte Sirius ihm in die Augen. Harry konnte puren Hass darin erkennen und er erschrak.

„Keine Sorge, ich werde dir keine Predigten darüber halten, was ich von dir erwarte! Ich habe mir abgewöhnt, etwas von dir zu erwarten!"

Harry keuchte, doch Sirius verzog keine Miene.

„Alles, was ich verlange, ist, dass du mich dieses eine Mal ernst nimmst! Ich habe diese Gespräche nicht zum Spaß mit dir geführt … !"

„Wirklich?" Sirius klang beinahe gelangweilt, „Ich hatte den Eindruck, es macht dir tierischen Spaß, mich anzuschreien!"

Mr. Blacks Augen verengten sich zu Schlitzen, die gefährlich funkelten: „Du weißt eben nichts über mich, mein Sohn! Ebenso wenig wie du etwas über den Status deiner Familie weißt und deswegen weißt du sie auch nicht zu schätzen!"

Sirius verdrehte die Augen, doch Mr. Blacks Griff um seinen Arm wurde so fest, dass er sich wieder auf ihn konzentrieren musste.

„Nimm dich zusammen und halte dich von diesem Gesindel fern! Du gibst dich mit Leuten ab, die weniger wert sind als dieser dreckige Elf da!"

Sirius zuckte zusammen.

„Du hast dir redliche Mühe gegeben, dich von deinem Bruder und deinen Kusinen zu entfernen, obwohl sie den besten Einfluss auf dich hatten! Du behandelst mich und deine Mutter nicht einmal annähernd so respektvoll, wie es uns gebührt und du hast uns beim letzten Besuch unserer Freunde schlichtweg lächerlich gemacht! Wenn ich jetzt also von dir verlange, dass du dich zurückhältst und dafür sorgst, dass mir keine Klagen mehr über dich zu Ohren kommen; sei es von Lehrern oder von deinem Bruder; dann solltest du das verdammt ernst nehmen! Ich akzeptiere es nicht, dass jemand unsere Familie dermaßen entehrt und ich lasse mich nicht mehr länger davon besänftigen, dass du mein Sohn bist! Ich habe noch einen anderen Sohn, auf den ich große Stücke halte! Für mich bist du absolut entbehrlich, Sirius! Hast du mich verstanden!"

Sirius sah ihm in die Augen. Der Ausdruck seines Blickes wechselte von Entsetzen über Angst bis zu trotziger Verachtung. Er hob den Kopf und reckte das Kinn vor: „Ich hasse dich!"

Er hatte ruhig und klar gesprochen, doch in seinen Augen loderte ein Feuer, das er nur schwer unter Kontrolle zu halten wusste. Mr. Black ließ den Arm, der Sirius´ bisher gehalten hatte, sinken und fragte verständnislos: „Was hast du gesagt?"

„Ich Hasse Dich!" wiederholte Sirius deutlich und ging einen Schritt zurück. Im selben Augenblick zog er den Zauberstab und richtete ihn gegen seinen Vater. Dessen Gesicht spiegelte absolute Fassungslosigkeit wider und erst im nächsten Moment fand er seine Sprache wieder: „Und was hast du jetzt vor, kleiner Junge?"

Sirius´ Stimme bebte: „Ich werde dir so viele Schmerzen zufügen, wie ich nur kann! Du warst ein guter Lehrer, denn das habe ich von dir gelernt!"

„Sie sperren dich ein, wenn du diesen Fluch anwendest!" zischte Mr. Black und sah sich um, da immer mehr Leute ihre Aufmerksamkeit auf die beiden richteten.

„Dich haben sie auch nicht eingesperrt!" widersprach Sirius und seine Augen wurden dunkel.

Harry hatte erschrocken die Luft angehalten und wartete erstarrt, was als nächstes passieren würde. Sirius hob den Zauberstab etwas höher, doch seine Hand zitterte. Er holte ruckartig Luft und erst jetzt bemerkte Harry, dass sein linker Fuß offensichtlich verletzt war, denn er hielt das Bein etwas angewinkelt.

Mr. Black verzog die Lippen zu einem gehässigen Grinsen. Leise flüsterte er: „Zu schwach, Sirius. Wie immer."

„ICH BIN NICHT SCHWACH!" Sirius explodierte und schrie seinen Vater aus Leibeskräften an, „ICH HASSE DICH UND ICH WERDE MICH WEHREN!"

„Fragt sich nur wann, Kleiner!" lachte Mr. Black und versuchte, sein Erstaunen zu verbergen, als Sirius den Stab auf seine Brust richtete. Um sie herum war es still geworden. Alle sahen aus, als fühlten sie sich unangenehm berührt, doch keiner machte Anstalten, dazwischen zu gehen.

„Ich möchte dich töten!" sagte Sirius leise, „Ich möchte dich töten und sobald ich dazu imstande bin, werde ich es tun! Verlass dich darauf! Bis dahin will ich mich damit zufrieden geben: Cr …!"

Da sprang ihm jemand in den Arm, dass er strauchelte und Harry erkannte überwältigt James, der aus der Menge gebrochen war und seinem Freund zu Hilfe eilte.

„Steck den Zauberstab weg!" wisperte James und drückte Sirius´ Hand mühsam herunter.

Sirius machte den Eindruck, als hätte ihn jemand aus einem bösen Traum geweckt und sah überrascht und fast ärgerlich aus. Mr. Black schnaubte spöttisch: „Potter, nicht zu fassen! Du bist auch an Dreistigkeit nicht zu überbieten! Mischst du dich grundsätzlich in Angelegenheiten, die dich nicht das Geringste angehen?"

James drehte sich um und trat einen Schritt vor. Er stand jetzt direkt zwischen Sirius und seinem Vater und war so in größter Gefahr, wie Harry fand, denn weder hatte Sirius seinen Zauberstab weggelegt noch hatte Mr. Black den seinen, den er schon seit Minuten in der Hosentasche umklammert hielt, losgelassen.

„Das hier geht mich etwas an, Mr. Black! Sirius ist mein Freund und ich möchte ihn vor einem Fehler bewahren!"

„Du misst dir wie immer zuviel Bedeutung bei, Bursche!" sagte Mr. Black und in seiner Stimme schwang so viel Abscheu, dass es Harry kalt den Rücken herunter lief.

James sah zu Sirius: „Lass uns gehen!"

Sirius schüttelte den Kopf und presste die Finger fester um den Zauberstab. Da zückte Mr. Black seinen Stab und hielt ihn unter seinem weiten Mantel verborgen auf die beiden Jungen gerichtet: „Ihr solltet wirklich gehen, mein Sohn! Wer weiß, was sonst noch passieren mag und du glaubst doch nicht wirklich, dass mir etwas an diesem kleinen Bastard liegt!"

Im selben Augenblick, in dem James verwundert und misstrauisch zu Mr. Black sah, stürzte Sirius vor: „Wenn du ihm irgendetwas … !"

„Wie rührend!" stichelte Mr. Black und hob den Stab ein kleines bisschen. Sirius setzte erneut an und erneut griff James seinen Arm mit beiden Händen: „Nein! Komm weg! Lass uns gehen! Die anderen warten im Zug auf uns!"

Er schaffte es, Sirius ein Stück wegzuziehen und drehte sich im letzten Augenblick, bevor die beiden in der Menge verschwanden, zu Mr. Black um: „Halten Sie mich nicht für blöd und stecken Sie Ihren verdammten Zauberstab weg! Ich sagte, ich wollte meinen Freund vor einem Fehler bewahren; das heißt aber nicht, dass ich keine mache! Wenn Sie ihm auch nur noch einmal wehtun, dann werden Sie sich wünschen, Sie hätten ihn nie angerührt!"

Mr. Black blieb für einen Augenblick der Mund offen stehen und James zerrte Sirius mühsam zum Zug. Die Leuten gafften, doch noch immer sagte niemand etwas.

James schob seinen Freund die Stufen hoch und schubste ihn in den Gang: „Sei nicht so ein Idiot, Sirius! Mitten auf dem Bahnsteig … meine Güte!" James strich sich durch sein wirres Haar und Harry, der den beiden hastig gefolgt war, sah kleine Schweißperlen auf seiner Stirn glitzern.

„Das hättest du nicht tun sollen!" sagte Sirius leise, „Ich hätte ihm nur zu gerne heimgezahlt, was er … !"

„Schwachsinn!" James riss Sirius den Zauberstab aus der Hand, stopfte ihn zu seinem in seine Jackentasche und packte Sirius an der Schulter, „Du sollst so etwas aber nicht tun! Schlechte Menschen tun so etwas! Menschen ohne Gewissen und ohne logischen Verstand! Du hättest wahnsinnigen Ärger bekommen! Er hätte nur noch mehr über dich gelacht, wenn du das jetzt durchgezogen hättest!"

„Nein, er hätte mich getötet!" sagte Sirius leise und James flüsterte: „Wie bitte?"

Endlich hob Sirius den Kopf und sah ihn an, nachdem er bis jetzt seinem forschenden Blick ausgewichen war: „Ich habe es kaum noch ausgehalten, James! Fast wäre ich … ich wusste, ich würde … !" Sirius´ Stimme brach und er strauchelte, „Ich bin so froh, dass ich wieder bei dir bin!" Dann sackte er gegen James´ Brust und dieser schloss fest die Arme um ihn. Sirius klammerte sich an seinem Freund fest, als hinge sein Leben davon ab und versuchte, krampfhaft, nicht zu weinen.

Harry biss die Lippen aufeinander und schluckte schwer. Er begriff endlich, was zumindest James für Sirius bedeutet hatte und warum es diesen aufgebracht hatte, dass Harry meinte, sein Vater wäre ein oberflächlicher Dummkopf gewesen.

Da trat ein Mädchen neben Harry und sah ebenfalls zu den beiden Jungen. Sie zwirbelte nervös eine rote Haarsträhne zwischen ihre Fingern.

„Was gibt es zu glotzen!" fuhr James herum und verstummte, als er Lily erkannte.

„Ich wollte …ob ich vielleicht helfen kann?" stotterte Lily und Sirius machte sich beim Klang ihrer Stimme mit einer fahrigen Bewegung von James los. Ihm war das Ganze wahnsinnig unangenehm und er ließ sich bereitwillig von James in das nächste Abteil schieben.

„Nein, kannst du nicht! Tut mir Leid, dass ich dich so angeranzt habe, aber das kriegen wir schon hin!" James versuchte zu retten, was zu retten war, aber er konnte sich im Moment einfach nicht darauf konzentrieren. Doch Lily war versöhnlich: „Ist schon O.K.! Falls ich etwas tun kann, kannst du mir immer Bescheid sagen, ja?"

„In Ordnung!" James versuchte ein Lächeln, „Danke, Lily!" Er folgte Sirius in das Abteil und schloss die Tür.

Harry sah seiner Mutter einen Augenblick nach, dann schlüpfte er durch die dünne Wand des Abteils und setzte sich schräg gegenüber von Sirius auf die Bank.

James war vor seinem Freund in die Knie gegangen, nahm dessen Hände, die unruhig auf dem Sitz herum fuhren und sagte leise: „Ist gut, Sirius! Jetzt bist du ja wieder hier!"

Sirius zitterte und in seinen Augen bildeten sich Tränen. Stotternd wisperte er: „Ich will nie wieder dahin zurück! NIE WIEDER!"

Sein Kopf sank auf James´ Schulter und James zog ihn in seine Arme. Er schwieg; Harry konnte an seinem Gesicht sehen, dass er Sirius am liebsten versprochen hätte, dass er nicht mehr zurück müsste, aber er hatte Angst, dass dies nicht zu verwirklichen war.

„Naja, zumindest verbringst du den Großteil der Ferien bei uns. Das ist doch immerhin schon etwas!"

„Ich hab dich vermisst!" flüsterte Sirius, ohne auf James´ Worte einzugehen, und James grinste: „Ich dich auch!"

Sirius machte sich los und sah James argwöhnisch an: „Wieso?"

„Was wieso?" James legte den Kopf schief.

„Ich meine, was hast du schon von mir? Ich bin ein Nervenbündel. Ich bin kaum was wert." Seine Stimme wurde rau und sein Blick abwesend, während er weiter sprach, als würde ihn etwas von innen her antreiben. James war noch ein Stück zurück gerückt und starrte Sirius ungläubig an.

„Ich frage mich, was du eigentlich von mir willst! Du brauchst mich nicht! Nicht so, wie ich dich brauche!" Sirius sprach so leise, dass Harry ihn fast nicht mehr verstanden hätte.

James schüttelte den Kopf. Er hatte die Stirn gerunzelt und den Mund leicht geöffnet: „Das meinst du nicht ernst, oder? Sirius?"

Er legte wieder beide Hände an Sirius´ Wangen und zwang ihn, hoch zu sehen. In Sirius´ Blick lag so viel Verwirrung und Angst und Trauer, dass James erschrocken scharf Luft holte, bevor er fragen konnte: „Denkst du das wirklich, Sirius? Dass ich dich nicht brauche?"

Sirius zuckte mit den Schultern, doch sein Blick flehte seinen Freund an, ihm zu widersprechen.

„Also ...", James richtete sich auf, ging ein paar Schritte, gestikulierte unbestimmt umher und ließ sich schließlich neben Sirius fallen, „Du bist doch ein Trottel! Wir sind Freunde! Mein Leben wäre todlangweilig ohne dich! Mehr als die Hälfte aller Abenteuer hätte ich ohne dich nie erlebt! Du gibst mir Tipps, wie ich die Sache mit Lily anfangen soll ... auch, wenn die meist nicht funktionieren!" Er lächelte, doch Sirius ließ sich davon nicht beirren: „Du bist auf jemanden wie mich nicht angewiesen! Du bist stark und ... ."

„Ja, was meinst du denn, warum!" fuhr James auf, „Was glaubst du, warum ich stark bin? Weil ich weiß, dass du immer hinter mir stehst! Ohne dich wäre ich ... nicht ich! Ich wäre nichts wert! Und ich wäre verdammt noch mal nicht glücklich und jetzt hör auf mit diesem Blödsinn! Das liegt nur daran, dass du für zwei Wochen zu deiner Familie musstest! Dann bist du immer so!" Er sah Sirius an und dieser erwiderte zögernd seinen Blick.

James seufzte: „Ich brauche dich, auch, wenn du das im Moment nicht glauben willst! Vor allem aber brauche ich dich fit und ausgeglichen und ... nicht hier herumheulend!" Er lachte und wischte Sirius ein paar Tränen vom Gesicht. Sirius konnte nicht umhin, leicht zu lächeln.

„Mit einem hast du Recht: Du bist ein Nervenbündel, aber ich kriege dich schon wieder hin! WIR kriegen dich schon wieder hin! Wir beide und Remus und Peter! Das sind nämlich noch zwei Leute, die dich brauchen!"

Sirius zog die Augenbrauen hoch und schniefte einmal: „Tatsächlich?"

„Tatsächlich!" James grinste, doch dann runzelte er die Stirn und fuhr mit der Hand über Sirius´ geschorenen Kopf, „Was haben die mit deinen Haaren gemacht?"

Sirius schluckte: „Meine Mutter fand lange Haare unpassend und da hat sie sie mir abgeschnitten!"

James zog den Kopf ein und Sirius wischte sich grob über die geröteten Augen, um nicht wieder zu weinen.

„Naja, Moony macht das schon!" Wie auf Kommando hörten sie eine ärgerliche Stimme auf dem Flur: „Jetzt stell es schon hier ab und sieh zu, dass du Land gewinnst!"

James grinste und auch Sirius schaffte ein Lächeln, als er Remus erkannte. Die Tür öffnete sich und ihr Freund trat ein mit Sirius´ Gepäck in den Händen und dem Hauselfen im Schlepptau: „Sirius, schick das Vieh weg! Es nervt!"

Sirius richtete sich auf und redete mit dem aufgeregten Hauself, während James Remus half, die Koffer zu verstauen. Dann ließen sich die drei Jungen auf die Sitze fallen und Remus sah Sirius durchdringend an, während dieser angestrengt aus dem Fenster blickte.

„Wo ist Peter?" erkundigte sich James.

„Kauft Süßigkeiten für uns!" antwortete Remus kurz und fuhr fort, Sirius zu beobachten. Schließlich sagte er: „Ich hoffe für dich, in den Ferien ist etwas passiert, dass das Theater da draußen auf dem Bahnsteig rechtfertigt!"

Sirius schoss ihm einen Blick zu, von dem Harry meinte, er müsste Remus auf der Stelle töten, doch dieser erwiderte ihn ungerührt.

„Die letzten zwei Wochen waren die reinste Hölle!" stieß Sirius hervor.

„Und meine Ferien waren ein Zuckerschlecken!" entgegnete Remus und einen Augenblick starrten die beiden sich finster an. Dann wurde Remus´ Blick weich, er lehnte sich zu Sirius hinüber und legte eine Hand auf seine Schulter: „Willkommen zu Hause, Sirius! Willkommen zurück in einer Welt, in der es Menschen gibt, die die leiden mögen!" Er umarmte Sirius und dieser legte ergeben beide Arme um ihn.

Da platzte Peter hinein, verlor etwa die Hälfte seines Kuchens und keuchte, kaum, dass er die Tür mit dem Fuß hinter sich zugeschoben hatte: „Sirius ... tut mir Leid! Waren ... sie ... so schlimm? Naja ... jetzt bist du ... ja wieder ... da!" Er plumpste ungeschickt auf einen Sitz, grinste Sirius an und reichte ihm ein Stück Kesselkuchen: „Herzlich Willkommen zurück!"

„Danke!" Sirius fühlte sich sichtlich wohler und nahm den Kuchen an.

„Moony, was meinst du? Kriegen wir seine Haare wieder hin?" fragte James und begutachtete Sirius´ geschorenen Schädel.

„Keine Frage, Krone! Aber erstmal kümmere ich mich um diesen verstauchten Knöchel!"

Remus übersah die erstaunten Blicke geflissentlich und kniete sich nieder. Er krempelte vorsichtig Sirius´ Hose bis zum Knie hoch und öffnete mit einem Wink seines Zauberstabes die Schnürsenkel seines steifen, schwarzen Lederschuhs. Sirius biss die Zähne zusammen und James runzelte die Stirn: „Du trägst echt immer unmögliche Klamotten, wenn du wiederkommst!"

Remus entfernte den Schuh und den dunklen Socken und machte ein bedenkliches Gesicht, als er die blau-schwarz gefärbte Schwellung sah: „Ah, das sieht schlecht aus! Dein Knochen scheint an einer Stelle abgesplittert zu sein. Da muss Madam Pomfrey ran. Alles, was ich machen kann, ist ihn ruhig stellen und dafür sorgen, dass er nicht mehr weh tut!"

„Würdest du das tun?" Sirius wurde etwas blass um die Nase, als er darüber nachdachte, wie weh sein Knöchel eigentlich wirklich tat. Peter pfiff durch die Zähne: „Das sieht ja abenteuerlich aus! Wie ist das passiert?"

„Mein Vater!" sagte Sirius leise und keiner mochte sofort nachfragen. Remus vereiste den Fuß und verband ihn und zog Sirius einen großen, hässlichen Strumpf an, den er aus seinen Koffer friemelte. Dann richtete er sich auf und sah auf Sirius´ Kopf: „Wann wurden deine Haare geschnitten?"

„Vor einer Woche ungefähr."

„Dann könnte es gehen. Wie lang waren sie?"

„Schulterlang!" sagte James und setzte sich in eine Position, in der er bessere Sicht hatte, „Jetzt bin ich mal gespannt!"

Remus grinste und gab Peter seinen Zauberstab: „Halt mal!" Er legte seine Hände vorsichtig auf Sirius´ Kopf und murmelte etwas. Als er seine Finger weg nahm, wuchsen Sirius´ Haare langsam und kringelnd bis auf Kinnlänge.

„Naja, wenigstens etwas!" Remus zuckte entschuldigend mit den Schultern, während seinen Freunden der Mund offen stand.

„Z-zaubern ohne Zauberstab?" brachte schließlich Peter völlig perplex hervor.

„Wie hast du das geschafft?" James starrte abwechselnd Sirius´ Haare und Remus´ Hände an.

Remus lächelte zurückhaltend: „Ich habe eine Menge darüber gelesen und es gehört nicht viel dazu. Man muss nur üben und ... ."

„Verdammt noch mal, Moony!" stieß Sirius hervor und strich sich fassungslos über die seidigen Haare, „Lesen und üben – so ein Schwachsinn! Du bist ein Genie!"

„Ein richtig großer Zauberer!" wisperte Peter und streckte seine Hand aus, „Darf ich mal anfassen?" Er und James zogen an Sirius´ Haaren. Remus nahm wieder Platz und faltete die Hände im Schoß: „Quatsch, das könntet ihr auch!"

„Wir probieren´s mal aus!" murmelte James und wuschelte durch Sirius´ Schopf, „Echt unschlagbar!"

„Jetzt lasst mich mal bitte in Ruhe!" Sirius wehrte die Hände seiner Freunde ab und stöberte in seinem Koffer nach seiner Bürste. Peter sah aus dem Fenster und sprang plötzlich aufgeregt hoch: „Da ist Shelley! Ich geh ihr schnell entgegen!" Und mit einem Satz war er auf dem Flur. Seine Freunde sahen ihm milde lächelnd nach.

„Ich geh mal eben gucken, ob Steve, Mils und Alan schon angekommen sind; die können sich zu uns setzen!" James stand auf und schob sich zur Tür, „Bis gleich!"

„Bis gleich!" Remus zog die Knie an die Brust und lugte aus dem Fenster.

Sirius sah ihn an: „Danke!"

Remus lächelte: „Passt schon! Ich freu mich, dass ich dir was Gutes tun konnte!" Er zögerte etwas, dann fragte er leise: „Es war sehr schlimm, oder?" Sirius biss sich auf die Lippen und nickte.

„Erzählst du uns davon?"

„Wie immer." Sirius schnaubte, „Aber gib mir ein paar Tage, ja?"

„Wie immer." sagte Remus gutmütig.

„Wie war Vollmond ohne uns?" fragte Sirius und Remus zuckte kurz zusammen.

„Furchtbar!" Er versuchte, nicht so erschüttert auszusehen, wie er sich ganz offensichtlich fühlte, „Ich wundere mich immer wieder, wie schnell man in seine alten Verhaltensmuster zurückfallen kann." Er klang bitter und Sirius stupste ihn gegen das Knie: „Naja, jetzt sind wir ja wieder da! Bedeutet weniger Stress und mehr Spaß!"

„Klingt gut!" Remus lächelte.

Die beiden saßen sich nun ein einvernehmlichem, gemütlichem Schweigen gegenüber; beide froh, wieder im Zug und auf dem Weg zur Schule zu sein. Harry fühlte sich ganz ergriffen von der ganzen Situation und bedauerte, dass er plötzlich das bekannte Ziehen spürte, das ihn zurück in die Wirklichkeit holte.

Fröstelnd kam er auf dem Boden im Schlafsaal an. Er zog seine Decke vom Bett und wickelte sich darin ein. Dann schloss er die Augen und versuchte, sich so viele Eindrücke wie möglich zurück ins Gedächtnis zu holen. Er spürte noch immer die Stimmung, die im Zugabteil vorgeherrscht hatte; diese warme, freundschaftliche, starke Atmosphäre.

Harry blinzelte ein Träne aus seinem Auge. Wie dankbar war er Sirius für dieses Geschenk, das ihm gezeigt hatte, wie die Freunde damals gewesen waren und sie viel sie einander bedeuteten!

Nach einer Weile lehnte sich Harry wieder zum Denkarium. Er wollt noch ein bisschen die Stille der Nacht ausnutzen.

Er fand sich in einem Zimmer wieder, in dem er bisher noch nie gewesen war. Es musste am Grimauldplatz sein, denn Seidenschnabel lag in einer Ecke auf frischem Stroh und räkelte sich, wobei er krächzende Laute von sich gab. Im Zimmer standen neben einem großen Wassernapf auch ein paar Gartenstühle, die abgeblättert und verwittert waren. Harry nahm Platz und wartete.

Die Tür ging auf und Sirius trat ein. Er sah übernächtigt aus und hatte eine Fahne, die bis zu Harry hinüber wehte. Harry verzog das Gesicht. Langsam verbeugte sich Sirius vor Seidenschnabel und als dieser die höfliche Geste beinahe gelangweilt erwiderte, trat Sirius näher: „Na, mein Alter! Hast du Hunger?"

Seidenschnabel fiepte und Sirius fischte aus einem blutigen Sack in der Ecke einen toten, schlaffen Marder. Er warf ihn Seidenschnabel zu und setzte sich ächzend auf den Boden neben das Tier. Knochen knackten und der Hippogreif begann gierig zu malmen und zu schlucken.

„Mach langsam! Ich hab genug!" sagte Sirius abwesend und spielte mit einem losen Strohhalm herum. Er sah auf und schob Seidenschnabel den Wassertrog zu: „Hier. Essen ohne Trinken ist ungesund!"

Seidenschnabel legte den Kopf schief und nickte dann röhrend zu dem Sack in der Ecke.

Sirius lachte bitter: „Jetzt versuche ich schon, einen Hippogreif zu erziehen! Mein Leben ist echt erbärmlich!"

Seidenschnabel krächzte und Sirius nickte ungeduldig: „Ja, ja! Ich weiß! Ich soll mich nicht beschweren! Aber es fällt mir schwer, verstehst du? Zum Unterhalten hab ich ja auch nur noch dich und ohne dich beleidigen zu wollen: Das ist wirklich einseitig!"

Er schob Seidenschnabel einen weiteren Marder zu und kratzte sich am Kopf: „Wenn Remus nur mal wieder her kommen würde. Aber Dumbledore schickt ihn was weiß ich wohin! Wirklich nett von ihm!" Sirius seufzte und schabte auf dem staubigen Boden herum, „Er fehlt mir, weißt du? Und Harry fehlt mir auch! Diese dämlichen Eulen ab und zu mal ... das ist doch nicht genug! Ich wünschte so, er wäre hier! Ich möchte ihm so viel erzählen! Das kann ich nicht schreiben!" Er schlug einmal mit der Faust auf die Holzplanke und Seidenschnabel und Harry zuckten zusammen.

„Tschuldigung! Zuviel ungenutzte Energie!" Sirius griff noch einmal in den Sack und förderte eine fette Ratte hervor, „Lass es dir schmecken!"

Seidenschnabel biss zu und verschlang das Tier. Eine Weile war nicht zu hören außer seinem Schlucken und Knurpsen. Harry betrachtete Sirius genauer. Er sah nicht nur müde und erschöpft aus, sondern richtiggehend ausgelaugt und am Ende jeglicher Kräfte und jeglichen Lebenswillens. Es tat ihm weh, ihn so zu sehen. Aber war es nicht besser, als ihn gar nicht mehr zu sehen? Harry wusste es nicht.

Sirius zog stöhnend die Beine an. Dann steckte er die Hand in die Tasche seiner ausgeblichenen Strickjacke, die wirkte wie ein Stück aus Remus´ Kleiderschrank, und förderte einen kleinen, in blaues Metall eingefassten Handspiegel hervor.

Harry zuckte zusammen und begann, leise und unbewusst zu wimmern: „Nein .. nein, bitte ... nein!"

Sirius hob ihn hoch und sah hinein. Das kühle, saubere Glas zeigte nur sein graues, unzufriedenes Gesicht.

„Na, was meinst du? Soll ich noch einen Versuch wagen? Einen noch?" Als Seidenschnabel nicht antwortete, seufzte Sirius und sah fest in den Spiegel: „Harry Potter!" Er wartete.

Und Harry schloss die Augen. Er wusste, dass er nicht im Spiegel erscheinen würde und er wollte Sirius´ Reaktion gar nicht sehen.

„Harry Potter!" versuchte er es noch einmal, doch natürlich tat sich nichts.

Harry konnte nicht anders. Er musste hinsehen.

Sirius legte den Spiegel zur Seite ohne eine Miene zu verziehen und griff mechanisch in den Beutel. Er warf Seidenschnabel eine weitere Ratte zu, verschloss den Sack sorgfältig und legte ihn in die Ecke. Dann stand er auf. Als er sich zur Tür wandte, konnte Harry unendlichen großen Schmerz und Enttäuschung in seinem Blick sehen. Sirius wischte sich die Tränen weg.

„Ist schon O.K.!" flüsterte er rau, die Hand kraftlos auf die Klinke gelegt; „Wenn er dich nicht braucht, ist das ein gutes Zeichen!" Er brach ab und lehnte den Kopf gegen die Tür: „Verdammt, James! Wie soll ich auf ihn aufpassen, wenn er sich nicht meldet!"

Harry schluchzte trocken auf und sah, wie die Szene langsam verschwamm. Als letztes hörte er Sirius die Tür schließen, bevor er hinweggewirbelt wurde.

Er schlug hart auf dem Boden auf und ihm war so übel, dass er sich sofort in den glücklicherweise in Reichweite stehenden Mülleimer übergab. Keuchend saß er am Boden, schluchzte hektisch, hatte dafür kaum genug Luft und spürte, wie sich sein Bauch in unnachgiebigen Schmerzen zusammenkrampfte. Schweiß stand ihm auf der Stirn und er bekam Schluckauf. Wieder wurde ihm übel und er spuckte.

„Hallo?" Eine verwirrte, verschlafene Stimme war zu hören. Harry versuchte, leise zu sein, doch die Erschütterung und der Schreck bahnten sich ihren Weg durch seinen kalten, erschöpften Körper und drangen in wildem Weinen nach außen.

„Harry?" Er erkannte Ron. Dieser schwang sich aus dem Bett und tapste auf Harry zu: „Was ist los?"

Harry konnte nicht antworten. Er griff mit zitternden Fingern nach einer Taschentuchpackung, die aus Seamus´ Schrank gefallen war und zog ein Tuch heraus, um sich über das Gesicht zu wischen. Neben ihm ging Ron in die Knie: „Ist dir schlecht?"

„Ein bisschen."

Ron stand wieder auf, ging zu seinem Bett zurück und kam mit seinem Zauberstab in der Hand wieder.

„Ratzeputz!" Er deutete auf den Mülleimer.

„Danke!" schniefte Harry und ließ sich von Ron hochziehen. Sein Körper was verschwitzt und kühlte so schnell ab, dass Harry zu zittern begann. Ron führte ihn zu seinem Bett zurück und drückte ihn darauf. Dann zog er Harry das durchgeschwitzte Hemd über den Kopf und reichte ihm ein neues: „Zieh das an!"

Harry gehorchte und ließ sich dann von Ron auf den Rücken schubsen. Dann wurde er fest in seine Decke eingewickelt und noch etwas an die Seite geschoben. Ron holte seine Decke und legte sich neben Harry aufs Bett: „Geht´s wieder?"

„Hm."

„Was hast du denn gemacht?"

„Denkarium!" Harrys Stimme machte nicht so recht mit. Ron seufzte und schob seinen rechten Arm unter Harrys Nacken. Harry legte seinen schweren Kopf auf Rons Schulter ab und schloss die brennenden Augen.

„Schlaf jetzt, O.K.? Du kannst morgen davon erzählen, wenn du willst!"

„O.K.!" murmelte Harry schläfrig, „Danke!"

„Geht klar!" Ron bettete seinen Kopf auf Harrys Haare und schlief ein.