Durch dein Leben und mein Leben
Harry fand sich auf einer rauen, unbequemen Couch wieder. Der Raum um ihn her drehte sich und er setzte sich langsam und vorsichtig auf. Verschwommen sah er Schränke und ein Fenster. Er tastete nach seiner Brille, fand sie direkt neben sich und setzte sie auf. Endlich wurde das Bild klarer. Er befand sich in einem Büro, das dem von Kingsley nicht unähnlich war, nur dass ihn hier nicht von allen Wänden Sirius entgegenblickte.
Nicht Sirius, sondern Bellatrix Lestrange und das machte das Ganze nicht wirklich besser.
Harry verließ das Zimmer mit zitternden Knien und ohne noch einen Blick auf Bellatrix zu werfen. Draußen auf dem Flur herrschte das Chaos. Dutzende Leute rannten hin und her, alle schrieen und keiner nahm Notiz von Harry. Eine junge Frau brüllte etwas in ein Gemälde hinein und erhielt nur zögerlich Antworten. Und wie es den Eindruck machte nicht die, die sie hören wollte. Ein Mann in einem leuchtend grünen Kittel kam seiner Meinung nach auf dem Boden nicht schnell genug voran und katapultierte sich kurzerhand an die Decke, an der er in Windeseile entlang kroch.
„Wir müssen St. Mungo Bescheid sagen! Die müssen bereit sein, wenn die Verletzten von der Schule kommen!"
„Wo sind die Auroren? Was, WO? Du liebes bisschen! Und kennt jemand Moodys Adresse?"
„Fudge? Wo ist Fudge? Die halbe Abteilung für Magische Strafverfolgung ist abgehauen ohne ausdrückliche Anweisung! Wenn ich Shaklebolt das nächste Mal sehe, fliegt er raus!"
„Weasley! Eilige Post für Weasley! Warum zum Henker ist Weasley nicht in seinem Büro!"
„Hat jemand Miss Tonks gesehen? Sie hat einen Termine versäumt, der ... WAS? Die Hogwarts-Schule wird angegriffen?"
„Ja, was meinen Sie denn, warum wir hier alle so aufgescheucht durch die Gegend rennen? Kaltes Buffet in der Mysteriumsabteilung, oder was?"
Harry presste sich die Hände auf die Ohren und bahnte sich mühsam und viele Schläge und Tritte einsteckend einen Weg durch die Menschenmasse. Die Mysteriumsabteilung. Jetzt oder nie! Wenn er sowieso fest saß, seinen Freunden nicht zu Hilfe kommen konnte und hier so konsequent ignoriert wurde, dann konnte er es jetzt versuchen!
„Ungenehmigte Portschlüssel in Sektor 7, 7b und 18 ½! Was treiben die denn da?"
„Die Kamine! Schnell zu den Kaminen! Da sind gerade eben Schüler von Hogwarts angekommen!"
„Da tut sich irgendwas in Hogsmeade! Wir erreichen unser Gemälde nicht! Schicken Sie Tonks da hin!"
„Tonks ist nicht da?"
„Warum nicht, zum Henker! Da ist das letzte Mal, dass sie fehlt! Wenn sie das nächste Mal herkommt, dann nur, um ihre Entlassungspapiere abzuholen!"
„Der Weg nach Hogsmeade ist gesperrt! Und die Kamine in Hogwarts auch! Ebenso die Gemälde!"
„Wo ist Dumbledore? Eben saß er doch noch bei Fudge im Büro!"
„Sind die Auroren endlich unterwegs?"
Harry sprang mit einem kraftlosen Satz in den überfüllten Fahrstuhl und wurde gegen eine sehr dicke, sehr weiche Frau gedrückt.
„Wohin?"
„Mysteriumsabteilung!"
„Wusste gar nicht, dass die Unsäglichen schon wieder einen Neuen haben!" war der einzige Kommentar. Tatsächlich interessierte es die Leute einen feuchten Käse, wer Harry war, wo er hinwollte, was er vorhatte und dass sie vielleicht ein bisschen auf ihn aufpassen sollten. Unbehelligt, doch ziemlich geschafft kam Harry in der Mysteriumsabteilung an. Er wanderte den langen Korridor entlang wie er es vor etwa fünf Monaten schon einmal getan hatte, doch diesmal hatte er keine Freunde bei sich, die ihm halfen, Mut machten und den Rücken stärkten. Allerdings musste er jetzt auch nicht wie damals befürchten, von Todessern und oder Voldemort persönlich angegriffen zu werden. Er wünschte sich trotzdem sehnlichst, dass wenigstens Ron hier wäre. Oder Hermine mit einem guten Einfall. Oder Ginny, deren bloßer Anblick ihn schon beruhigt hätte.
Tapfer und tief atmend ging er weiter bis er wieder an der Tür stand. Er schritt hindurch, verschloss sie dieses Mal aber nicht. Es war keine Menschenseele zu sehen oder zu hören. Wahrscheinlich rannten sie alle total wütend über irgendwelche ungenehmigten Portschlüssel durch die oberen Abteilungen, dachte Harry und verachtete sie alle ein bisschen. Er konnte sich wenigstens mit dem Gedanken trösten, dass Dumbledore und die Mitglieder des Ordens unterwegs zur Schule waren. Dass es Verletzte gab, hieß nicht, dass es auch Tote gab.
Und schließlich hatten sie schon einige Crashkurse hinter sich. Sie konnten fliehen, kämpfen, heilen und glorreiche Ideen haben, die ihnen den Hals retteten.
Harry sah sich in dem runden Raum um. Die vielen Türen schienen ihn zu verhöhnen.
´Sieh, wer da wieder ankommt! Wieder ankommt um noch einen großartigen Fehler zu begehen!´
„Nein!" schrie Harry und ballte die Fäuste, „Um verdammt noch mal einen Fehler wieder gut zu machen!" Er keuchte und zückte dann den Zauberstab.
„Bitte, bitte!" flüsterte er, „Jetzt keine weiteren Abenteuer! Lass mich einfach zu diesem verfluchten Vorhang!" Er öffnete willkürlich eine Tür und blieb erschüttert stehen, als er tatsächlich in eine Art Amphitheater blickte.
„Das gibt es doch nicht!" murmelte Harry und ging vorsichtigen Schrittes hinein, „Na, endlich hast du auch mal ein bisschen Glück!" Er stieg die Stufen hinunter und als er unten angekommen war, war ihm nach Zusammenbrechen zumute.
Dieselben steinernen Stufen, derselbe bröckelige Steinbogen in dem der schwarze Vorhang flatterte, obwohl sich kein Lüftchen regte. Er schaukelte gemütlich vor sich hin; nicht ahnend, dass Harry gekommen war, ihm einen Schatz zu entreißen.
Harry wurde abwechselnd heiß und kalt. Des Öfteren sah er sich gehetzt um, da er meinte, aus den Augenwinkeln jemanden laufen zu sehen. Es war jedoch niemand da. Er lauscht angespannt in die Stille, ob er etwas hörte. Irgendetwas.
Schreie, Schritte, Stimmen.
Doch es war gar nichts zu hören, bis auf das leichte Rascheln des Stoffes.
Sicherheitshalber legte Harry trotzdem einen Hexenring um den Raum. Dann wandte sich mit einer kribbelnden, nicht ganz unangenehmen Gänsehaut dem Vorhang zu.
Harry schwang sacht den Zauberstab und befahl: „Culter!" Sofort erschien in seiner Hand ein kleines, aber spitzes Messer.
„Candela dreizehn!" Da Harry nicht alle tragen konnte, fielen die Talgkerzen dumpf auf den Boden. Harry nahm sich immer ein paar Stück und stellte sie in einem sorgfältigen Kreis um den Vorhang herum auf. Er ging so oft, bis alle Kerzen standen und bis sie seiner Meinung nach auch ordentlich standen.
Dann steckte Harry sich den Zauberstab in die hintere Hosentasche, dachte einmal beinahe liebevoll an Moodys Warnung und begann dann den Kreis abzuschreiten.
Er hob das Messer und schnitt sich damit in den Arm. Einmal quer; er hatte schließlich nicht vor, hier zu verbluten. Nicht, wenn noch Hoffnung bestand und noch war nichts Gegenteiliges bewiesen. Außerdem übte Harry sich gerade in unerschütterlichen Optimismus und biss er die Zähne zusammen, als das blanke Messer seine empfindliche Haut ritzte und ließ das Blut ungehindert auf den Boden tropfen. Neben jeder Kerze kniete er sich nieder und murmelte einmal, den Zauberstab wieder gezückt: „Incendio!"
Er richtete sich wieder auf und ging weiter. Das Blut tropfte und als er versehentlich noch einmal mit dem Zauberstab hart an die offene Wunde kam, begann das Blut zu fließen. Doch Harry hatte weder Zeit noch Lust noch Kraft sich jetzt darum zu sorgen. Ein fieberhaftes Gefühl hatte ihn ergriffen, das ihn unerschütterlich vorantrieb. Plötzlich verstand er, wie es sein musste, wenn die Leute von jemandem sagten, er wäre besessen. Harry fühlte sich so.
Er führte Bewegungen aus, obwohl sein Kopf aufgehört hatte, die Befehle dafür zu geben. Stattdessen dröhnte und rauschte sein Schädel, so dass er es nicht einmal gehört hätte, wenn ein Quidditchspiel neben ihm ausgetragen werden würde. Oder ein Kampf. Mit zusammen gebissenen Zähnen, leicht hervorquellenden Augen und verschwitztem Haarschopf arbeitete sich Harry Kerze um Kerze voran.
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Remus lag zusammengekrümmt und blutig zerschrammt auf einer improvisierten Liege in Professor Vance´ Büro neben der Krankenstation.
Vor einer halben Stunde waren alle in die Schule zurückgekehrt. Fred und George waren mit ihrem Vater und River nach Hogsmeade zurück geflogen, um die Schüler abzuholen. Währenddessen waren Kingsley und Tonks oben in der Eulerei und schickten alle verfügbaren Eulen und Tauben mit Nachrichten an das Ministerium und die Eltern los.
Es war beschlossen worden, dass die Kinder, die unverletzt und somit transportfähig waren, am nächsten Tag in den Hogwarts-Express gesetzt und heimgeschickt werden sollten. Alle verletzten Schüler wurden gerade im Krankenzimmer versorgt. Sie hatten es noch nicht geschafft, Madam Pomfrey zu erreichen, doch sie hatten einen Kamin schon einmal wieder für das Ministerium geöffnet.
Professor McGonagall, die arg blass aussah, aber darauf bestand, völlig belastbar zu sein, hatte ihr Lager also im Gryffindor-Gemeinschaftsraum aufgeschlagen und koordinierte von dort aus die Botengänge ins Ministerium und wieder zurück.
Der Kamin direkt in Madam Pomfreys Büro wurde für den Grimauldplatz geöffnet und es dauerte keine zwei Sekunde, bis Molly Weasley in Hogwarts erschien, um alle ihre Kinder schluchzend in die Arme zu schließen.
Meta besah sich das Gewühl und stahl sich schließlich in Remus´ Kammer, in der er wie immer in selbst gewählter Isolation vor sich hin brütete. Er hatte sich in seine Decken gewickelt und starrte mit schimmernden Augen an die Decke. Meta schloss die Tür hinter sich und ging langsam auf ihn zu. Remus schaute auf: „Wer auch immer du gerade bist, ich wäre gern allein! Ich komme allein zurecht! Ich brauche niemanden!"
„Vielen Dank auch!" schnappte Meta und ließ sich auf seiner Bettkante nieder, „Und jetzt spar dir bitte dein ... Pseudo-Helden-Gequatsche und lass dir von mir helfen!"
Er stöhnte: „Ich will dich aber nicht damit belasten!" Er deutete hilflos mit dem Arm in Richtung Tür: „Geh!"
Meta schüttelte den Kopf: „Vergiss es!"
„Aber ..." Remus sah sie gequält an.
„Nein! Ich ... ich werde dich nicht aufgeben! Nie im Leben! Du bist mir viel zu wichtig!"
Meta spürte, wie ihre Nerven endgültig ihren Dienst versagen wollten. Remus´ Gesichtszüge wurden weicher. Langsam stahl sich ein vorsichtiges, trauriges Lächeln auf seine Lippen: „Tatsächlich?"
Meta schlenkerte mit den Armen: „Ja, du Idiot! Und jetzt lass dich endlich von mir verarzten!"
Ihre Finger zitterten etwas, als sie zaghaft begann, Remus´ Hemd aufzuknöpfen. Er versuchte ganz offensichtlich, ein schadenfrohes Grinsen zu unterdrücken, was Meta empörte. Als sie allerdings seinen zerfetzten Arm mit einer kühlenden Salbe bestrich, war nichts mehr von einem Lächeln zu merken und Remus verzog gequält das Gesicht: „Könntest du mir nicht irgendwas geben? Ich fürchte, das ist nicht die einzige Verletzung und so übersteh ich das nicht!"
Meta nickte: „Ich hole einen Betäubungstrank. Professor Jones verteilt die da draußen recht großzügig."
Sie verließ kurz den Raum und kehrte mit einem Becher zurück: „Alles austrinken!"
Remus nickte und nahm ihr mit zitternden Händen das Gefäß ab.
„Schmeckt nicht so schlecht wie Wolfsbann!" sagte Meta mild und stellte sich ein paar Wasserschüsseln, Binden und Salbentöpfe zurecht, „Ich glaube, das wird abenteuerlich! Aber keine Panik! Vertrau mir, ich mach das schon!"
Remus, der langsam in einen leichten Schlaf wegdämmerte, flüsterte: „Ich vertraue dir!"
Meta schluckte und beruhigte sich selbst durch gutes Zureden. Die Wunde an seinem Arm war die schlimmste. Das Silber hatte seinen Körper vergiftet und Madam Pomfrey würde einige Heiltränke für ihn bauen müssen, die auch den letzten Rest aus ihm herausziehen konnten. Die Salbe half schon etwas und heilte das verwundete Fleisch und die versengte Haut. Dann betrachtete Meta seinen Oberkörper, der einige tiefe Risse aufwies, die von seiner Verwandlung herrührten und wieder aufgeplatzt waren, als der Cruciatusfluch auf ihm lag.
Vorsichtig betupfte Meta eine blutige Schramme, die sich quer über Remus´ Brust zog, mit der Salbe. Remus murmelte etwas Unverständliches und zuckte ein paar Mal mit der Nase.
Meta lächelte. Und langsam, ohne lange nachzudenken, beugte sie sich vor und hauchte einen Kuss auf die bereits verblassenden Linie auf Remus´ Brust. Seine Augen öffneten sich flatternd. Verwundert sah er sie an und Meta, bevor sie das letzte bisschen Mut verlor, küsste ihn leicht auf den Mund. Der Augenblick war zu flüchtig und Remus einfach zu erschöpft, als dass er ihre zärtliche Geste hätte erwidern können, doch er lächelte, bevor er wieder einschlief.
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Hermine hatte ein Bett auf der Krankenstation bekommen und schlief, nachdem Flitwick sie durchgecheckt und mit etlichen Heiltränken versorgt hatte. Ron und Ginny hatten fleißig bei der Versorgung der Verletzten geholfen, was viel mehr bedeutete, sie hatten Verbandszeug und Tränke durch die Gegend geschleppt. Als sie schließlich ziemlich fertig waren und unschlüssig herumstanden, rief eine Stimme sie zu sich.
„Nun, Kinder? Wie sieht es aus?"
„Professor Dumbledore? Was machen sie denn da drin?" fragte Ron völlig entgeistert und trat ganz dicht an das Bild heran, während Ginny, schon halb schlafend, weitergegangen war.
„Warten, mein Junge! Willst du gar nicht wissen, wo Harry ist?"
„Professor Sprout hat uns vorhin erzählt, dass er im Ministerium und in Sicherheit ist! Klingt zwar widersprüchlich, aber ich glaube es gern!" Im selben Augenblick, wie Ron diese Worte aussprach, fiel ihm siedendheiß wieder ein, womit Harry wahrscheinlich genau in diesem Augenblick im Ministerium beschäftigt war.
„Professor Dumbledore, wann haben Sie das letzte Mal was von Harry gehört?"
„Von ihm selbst gar nichts, seit ich ihn in Fudges Büro zurück gelassen habe. Aber keine Sorge, Ron, er kann das Ministerium nicht verlassen! Ich habe gerade eben auch seine Sperre aufgehoben, so dass er zurück kommen kann."
Ron rief: „Harry kann sich auch innerhalb des Ministeriums in Gefahr begeben! Er wird den Vorhang suchen und Sirius zurückholen wollen!"
Etwa fünf Sekunde lang reagierte Dumbledore überhaupt nicht, dann schaffte er es, zu fragen: „Meinst du das ernst?"
„Ja, und die Chancen stehen nicht schlecht! Er, Hermine und ich haben in der letzten Zeit viel über diesen Vorhang von Flamel rausgefunden und ..." setzte Ron an.
„Flamel? Schande, wieso habe ich daran nicht gedacht!"
„Keine Ahnung!"
„Ich werde sofort nach ihm sehen!"
Er starrte noch auf das Gemälde, als Dumbledore verschwunden war. Und traute seinen Augen nicht, als er in dem für ihn winzigen, blütenweißen Bett blutverschmiert und offensichtlich schlafend Professor Snape erkennen konnte.
„Tja, Ginny, er ist doch nicht tot!" flüsterte Ron und machte dann, dass er Ginny einholte.
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Harry lag am Boden und keuchte. Von ihm weg führte eine dünne Spur dunklen Blutes, die einen unregelmäßigen Kreis um den Vorhang beschrieb. Er zitterte wegen des Blutverlustes und schaffte es kaum, die Hand mit dem Zauberstab auszustrecken, um die letzte Kerze anzuzünden. Mit dem Aufleuchten des letzten Lichtes erschien die Schrift in der Luft wie ein brennender Flammenzug, der eine lähmende Kälte ausstrahlte.
„Durch Blut und Schweiß und Liebe und Hoffnung ..." las Harry stöhnend. Ein scharfer Wind durchfuhr den Raum. Der Vorhang flatterte, die kalten Stufen bebten. Und es schien, als schrieen Tausende Stimmen in Harrys Kopf auf, so dass er sich kaum konzentrieren konnte.
„Durch Kraft und Mut und Schmerz und Geduld ... Geduld ..."
Er würde es nicht schaffen. Sein Kopf dröhnte, als würde er gleich explodieren. Die Stimmen kreischten und Harrys Augen verengten sich, als blickten sie in gleißendes Licht, vor dem sie sich schützen wollten. Harry presste die Hände auf die schmerzenden Ohren, riss die Augen auf und starrte krampfhaft auf die Worte in der Luft.
„Durch Verstand und Wissen und Tränen und Angst ..."
Ein dumpfes Dröhnen erhob sich und schwoll so sehr an, dass Harry glaubte, jeder Zauberer im Ministerium und jeder Muggel über der Erde müsste dies hören und herbeigelaufen kommen. Es war, als wehrte sich die Luft in diesem Raum gegen sein Vorhaben. Die Luft und die Wände und der steinerne Boden und natürlich der flatternde Vorhang, aus dem die Stimmen schrieen. Er wollte sein Opfer nicht preisgeben.
„Durch dein Leben und mein Leben ... ich habe gegeben, was ich konnte ... jetzt ... KOMM ZURÜCK ZU MIR!"
Er brüllte die letzten Worte mit dem bisschen Kraft, das noch übrig war, heraus. Dann erschlaffte sein Körper und sein Kopf prallte schwer auf den Boden. In dem Augenblick, in dem Harry das Bewusstsein verlor, leuchtete der Vorhang rot auf. Er schien einen Moment lang selbst zu schreien und zu bluten. Wie ein Taschentuch wurde er von dem Wind aufgewirbelt. Dann verebbte langsam das Geschrei wie auch das Dröhnen und das Licht und eine schwere Ruhe kehrte ein.
In der Mitte des Raumes stand ein Mann. Tiefschwarz hob sich seine Silhouette gegen das verblassende Licht ab, in den letzten schwachen Lüftchen bewegten sich seine Haare und er atmete schwer und unregelmäßig.
Sirius hob den Kopf und sah sich blinzelnd um. Seine Augen weiteten sich, als er erkannte, wo er sich befand. Hektisch fuhren beide Hände an seine Brust, in die er getroffen wurde und er spürte durchaus einen leichten Schmerz, doch gleichzeitig pumpte sein Herz und sein Atem ging schnell und er spürte das Blut in seinen Ohren rauschen. Er war am Leben!
Er schüttelte den Kopf und wischte sich über die matten Augen. Dann erst gewahrte er Harry, welcher blass und leblos in einer immer größer werdenden Blutlache auf dem Boden lag.
„HARRY!" Sirius stürzte auf ihn zu und griff den blutenden Arm. Mit einem Ruck hatte er den Ärmel seines Umhangs abgerissen. Fest schlang er ihn um die Wunde. Mit zitternden Fingern nahm er Harrys Zauberstab an sich, richtete ihn auf den verletzten Arm und murmelte einen Spruch, um die Blutung zu stillen.
Dann sah er sich panisch um. Noch war kein Mensch zu sehen, doch die Zauberer des Ministeriums mussten jeden Augenblick kommen. Da bemerkte er den bläulich schimmernden Ring, der diesen Raum umspannte und der sich nun mit einem letzten Aufleuchten auflöste. Harry war es gelungen, einen schützenden Hexenring um das gesamte Zimmer zu legen. Es hatte keiner etwas mitbekommen.
Sirius´ Blick wanderte bewundernd zu seinem Patensohn. Doch dann überfiel ihn Angst. Wie sollte er es schaffen hier rauszukommen? Harry war offensichtlich allein. In der Nähe lag kein Besen und auch nichts, was nach einem Portschlüssel aussah. Da sah Sirius ein Beutelchen in Harrys Hosentasche.
„Flohpulver."
Nur dumm, dass die Kamine alle ein Stockwerk höher im Atrium lagen, in dem sich zur Zeit Dutzende Zauberer aufhielten, die sicherlich nicht erfreut wären, gerade ihn hier zu sehen. Das heißt, vielleicht waren sie doch erfreut, bekamen sie doch endlich die Möglichkeit, ihn umzubringen.
Sirius schüttelte den Kopf. Er hatte keine andere Wahl. Er hob Harry vom Boden auf, in der einen Hand den Zauberstab, in der anderen die Tüte mit dem Flohpulver, und ging schweren Schrittes und mit zusammengebissenen Zähnen, denn Harry wog doch ziemlich schwer, zur Tür. Irgendwie fand er den Weg in den Flur und zu den Fahrstühlen. Gerade kam ein Aufzug an und Sirius betrat ihn, ohne auf die zuerst einmal nur verwunderten Blicke dreier Ministeriumsabgeordneter zu achten. Sie fuhren ein Stockwerk höher und Sirius stieg aus. Fast augenblicklich kehrte Stille im Atrium ein. Alle starrten auf den dunklen, zerzausten Mann, der einen ohnmächtigen Jungen auf den Armen trug und keuchend auf einen freien Kamin zusteuerte. Es dauerte zwei Sekunden, bis jemand die Situation erkannte.
„Sirius Black!" brüllte ein Mann am Brunnen und andere nahmen den Ruf auf. Sirius fuhr herum und starrte wild in die Runde: „Eine Bewegung von euch und der Junge ist tot!"
„Na, und?" rief doch tatsächlich eine Frau.
„Das müssen wir in Kauf nehmen!" kreischte eine andere.
„Erkennt ihr ihn nicht?" fragte Sirius gefährlich und leise. Und nach noch einmal zwei Sekunden flüsterte jemand: „Harry Potter."
Den Zauberern stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Sirius lachte grausam: „Dumbledore wird das gesamte Ministerium in die Luft jagen, wenn ihr seinen Lieblingsschüler verrecken lasst!"
„Was hast du vor mit ihm?" schrie ein Mann, doch Sirius reagierte nicht darauf. Er drehte sich um und ging zu einem leeren Kamin.
„Wenn mir auch nur einer von euch folgt, bringe ich ihn auf der Stelle um!"
Als er im Kamin stand, warf er einen letzten Blick auf die erstarrten Leute. Dann ließ er die Tüte mit dem Flohpulver fallen. Sie zerplatzte, das Pulver zerstob leuchtend und Sirius sagte ohne lange nachzudenken klar und deutlich: „Hogwarts. Gemeinschaftsraum Gryffindor."
Und in der nächsten Sekunde waren beide verschwunden.
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Ron war mit Ginny in den Gryffindor-Turm zurückgegangen und dabei fast im Gehen eingeschlafen. Er hätte sich am liebsten einmal kräftig ausgeheult, doch wie er es geahnt hatte, war seine halbe Familie noch wach und wartete auf ihn. George döste auf einem Sessel und in einer Ecke saßen Fred und Angelina zusammen und redeten heftig aufeinander ein, wobei sie sich ständig gegenseitig an den Händen fassten und sich gelegentlich küssten. Ron runzelte die Stirn: „Na, George, dann hast du das andere Mädel jetzt wohl für dich alleine!"
„Das hat sich eh vor Kurzem erledigt." sagte George, „Willst du dich zu uns setzen oder ins Bett?"
„Ron geht ins Bett! Er ist völlig fertig!" sagte Ginny bestimmt und setzte sich selbst in einen der Sessel.
„Was ist mit dir?"
„McGonagall hat mich gebeten, auf den Kamin zu achten!" sagte Ginny mit merkwürdiger Stimme und Ron zog die Augenbrauen hoch: „Du sollst auf Harry warten, oder?" Ginny zuckte auffällig gleichgültig mit den Schultern und George grinste.
„Also, holt mich, wenn was Wichtiges ist, ja!" sagte Ron bestimmt und Ginny und George nickten. Dann ging er die Treppe hoch.
„Wir gehen auch ins Bett!" verkündete Fred und zog Angelina vom Sessel hoch.
„Jeder bitte in seinen eigenen Schlafsaal!" sagte Ginny ohne rechte Überzeugung. Fred beachte sie mit einem belustigten Lachen und verschwand mit Angelina in Richtung von Rons Schlafsaal.
„Leistest du mir noch etwas Gesellschaft?" Ginny sah George.
„Klar! Mal sehen, ob irgendwas Spannendes passiert!"
„Ich glaube nicht, dass sich heute Nacht noch irgendetwas tut!" stellte Ginny betrübt fest, „Harry übernachtet bestimmt im Ministerium ..." Sie biss sich auf die Zunge und versuchte verzweifelt zu ignorieren, dass George sich mit einem ungeheuer breiten Grinsen zu ihr umdrehte: „Ach? Wollen wir also doch etwas von ihm? Immer noch oder schon wieder?"
Giny schnaufte: „Weder noch, George Weasley, und ich möchte ..."
Doch weiter kam sie nicht, denn der Kamin im Aufenthaltsraum begann etwas zu zittern, dann stoben Staub und Funken umher und schließlich nahm nach einem Knall der Rauch eine menschliche Gestalt an. Es war eine Gestalt, die etwas auf den Armen trug.
„Wer ist denn das jetzt noch? Kann es sein, dass ...?" George brach ab und starrte auf den Mann in dem sich lichtenden Staub. Ginny schrie hell auf, keuchte und wand sich auf ihrem Sessel.
Sirius zog den Kopf ein und kletterte vorsichtig, um Harry nirgendwo anzustoßen, aus dem Kamin. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und dann fiel ein Blick auf Ginny und George. Ginny schrie noch einmal und George donnerte: „Leg ihn ab! Los, leg ihn hin! Meine Güte, Ginny, er blutet!"
Sirius ging langsam und trotzdem strauchelnd in die Knie, legte Harry behutsam auf dem wichen Teppich ab und musste sich dann mit beiden Händen abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
„Sirius! Wie ... wie! Oh, Harry? Was ist denn mit ihm?" Wie in Trance hatte sich Ginny erhoben und machte ein paar zaghafte Schritte auf die beiden zu. Sirius konnte vor Erschöpfung nicht sprechen. Dafür hob George die Stimme: „Ginny, geh weg da!"
Diese wandte sich zu ihm um und sah erstaunt, dass George seinen Zauberstab gezückt hatte. Er rief: „Incarcerus!" und mit einer kurzen Handbewegung schleuderte er dicke Seile auf Sirius, die sich fest um seine Hände und Füße schlossen.
„Accio Zauberstab!" befahl er mit zitternder Stimme und Harrys Zauberstab flog aus Sirius´ Hand in seine.
„George, was ...?"
„Das ist nicht Sirius! Das ist niemals Sirius Black! Sirius ist vor euren Augen gestorben! Das ist irgendein elender Trick dieser verdammten Todesser!" sagte George heiser.
„Nein, George, warte!" bat Sirius, doch George brüllte: „Halt die Klappe!" Er sah Ginny an: „Du musst Harry sofort in den Krankenflügel bringen und Professor McGonagall holen! Ihr müsst euch sofort darum kümmern, dass dieser Kamin hier geschlossen wird! Irgendwas ist verdammt schiefgegangen im Ministerium! Beeil dich!"
Ginny starrte George an, nickte, schüttelte den Kopf und machte schließlich einen Schritt auf Harry zu, welcher noch immer leblos am Boden lag.
„Geh nicht an ihn ran, Ginny! Lass Harry zu dir rüberschweben! Wer weiß, was der Kerl noch vorhat!"
„Aber George ..."
„Silencio!" sagte George kalt und Sirius blieb das Wort im Hals stecken.
„Beeil dich, Ginny! Ich versuche, ihn in Schacht zu halten. Du musst schnell mit McGonagall zurückkommen!"
„Ja!" Ginny schien sich etwas zu fassen, „Mobil corpus!" Sie ließ Harry neben sich herschweben.
„Beeil dich!" flüsterte George kaum hörbar, als sie den Raum verlassen hatten und versuchte, den Anflug von Panik zu unterdrücken. George glaubte nicht, dass diese einfachen Sprüche von einem jungen Spund wie ihm einen echten Todesser lange würden aufhalten können. Er atmete tief durch, setzte sich gerade hin und richtete beide Zauberstäbe auf Sirius, welcher gefesselt am Boden lag und ihn aus dunklen Augen anstarrte.
Währenddessen lief Ginny so schnell es ging mit Harry zum Krankenflügel. Dieser war kreidebleich und so beweglich wie eine Puppe. Ginny warf panische Blicke auf ihn. Er sah aus, als wäre er tot!
Professor McGonagall besprach sich gerade mit Professor Vance und Madam Pomfrey, als Ginny samt dem schwebenden Harry durch die Tür des Krankenflügels brach.
„Miss Weasley, was …?"
„Professor McGonagall, Sie müssen ganz schnell mitkommen! Madam Pomfrey, versorgen Sie Harry; er ... ich glaube, er hat sehr viel Blut verloren!"
„Was ist denn mit ihm geschehen?" Die zwei Frauen beugten sich über Harry und erschraken.
„Das kann ich nicht erklären, aber Sie müssen unbedingt jetzt mitkommen, Professor McGonagall! Sirius ist wieder da!"
„Wie, wieder da? Er ist tot!"
„Das weiß ich auch!" schrie Ginny und fackelte jetzt nicht lange. Sie zog Professor McGonagall am Arm durch die Gänge, „Er steht aber trotzdem bei uns im Gemeinschaftsraum! Besser gesagt, er liegt! George hat ihn gefesselt! Vielleicht ist es ein verwandelter Todesser! Und Sie müssen den Kamin verschließen! Jetzt kommen Sie schon! Schnell!"
Als die beiden den Aufenthaltsraum erreichten standen George und auch Sirius mittlerweile die Schweißperlen auf der Stirn. George hatte noch mehr Seile heraufbeschworen, so dass Sirius fast komplett eingewickelt war. Die Zauberstäbe in Georges Hand zitterte etwas, doch er hielt sie mit entschlossener Miene weiterhin auf Sirius gerichtet. Professor McGonagall stieß wie zuvor Ginny einen spitzen Schrei aus: „Sirius Black! Das ist vollkommen unmöglich!"
Sirius wand sich etwas und wie aus einem Mund feuerten George und Professor McGonagall einen leichten Schockzauber auf ihn ab, so dass er keuchend in sich zusammensackte und still lag.
Professor McGonagall drehte sich zu Ginny um, die in der Tür stand und lautlos weinte: „Gehen Sie zurück in den Krankenflügel, Miss Weasley! Sie können Madam Pomfrey helfen!"
Ginny flüchtete beinahe aus dem Raum und Professor McGonagall trat mit großen Schritten an den Kamin: „Implodiere!"
Mit einem lauten Knall zerplatzten die einzelnen Ziegelsteine des Kamins und er krachte in sich zusammen. Als sich der Staub wieder gelegt hatte, streckte Professor McGonagall die freie Hand aus: „Accio Veritaserum!" Und durch die Tür, die Ginny offen gelassen hatte, flog mit bahnbrechender Geschwindigkeit eine große Flasche des Wahrheitsgetränks herbei.
„Wie geht es Ihnen, Mr. Weasley?"
George wiegte leicht den Kopf.
„Gut genug, um mir hier etwas Gesellschaft zu leisten? Gut! In was für einer Situation befinden wir uns also? Wir stehen hier vor einer Person, die offiziell als tot gilt. Nun hat das in der Zaubererwelt manchmal tatsächlich nicht allzu viel zu sagen. Wir können beide nicht leugnen, dass diese Person aussieht wie Sirius Black. Jetzt liegt es an uns heraus zu finden, wer sie wirklich ist!"
Professor McGonagall ging mit zittrigen Schritten auf Sirius zu: „Ich gebe Ihnen jetzt Veritaserum! Wenn Sie sich wehren oder schreien, sobald ich den Schweigezauber gelöst habe, wird der Junge hinter mir Sie erledigen, haben Sie mich verstanden?"
Sirius nickte. Professor McGonagall sprach einen Spruch zur Aufhebung des Zaubers und flößte Sirius fast die ganze Flasche Veritaserum ein. Dann trat sie von ihm zurück und richtete den Zauberstab auf ihn: „Nennen Sie uns Ihren vollen Namen!"
„Sirius Alexander Black." Seine Stimme war kratzig und seine Augen schienen unter einem leichten Schimmer zu liegen.
„Wo sind Sie zur Schule gegangen?"
„Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei."
„Kennen Sie einen gewissen James Potter?"
Sirius schien leicht zusammen zu zucken: „J-ja."
„Wie stehen Sie zu ihm?"
„Wir ... waren Freunde."
„Wieso „waren"?"
„Er ist tot!"
George lief es kalt den Rücken herunter. Sirius´ Gesicht drückte tiefe Verzweiflung und Schmerz aus. Doch Professor McGonagall fragte weiter: „Haben Sie etwas mit seinem Tod zu tun gehabt?"
Sirius stöhnte, doch wegen der sich verstärkenden Wirkung des Serums musste er weitersprechen: „Ich sollte sein Geheimniswahrer sein, doch schlug vor, einen anderen Freund zu nehmen, da man sofort auf mich gekommen wäre. Dieser andere Freund hat James und seine Frau verraten und ihren Tod herbeigeführt."
„Wer hat James und seine Frau getötet?"
„Lord Voldemort."
„Haben Sie damals oder heute für Lord Voldemort gearbeitet? Teilten Sie jemals seine Überzeugungen? Haben Sie für ihn spioniert?"
„Nein!"
„Haben Sie gegen Lord Voldemort gekämpft?"
„Ja, so weit ich das konnte und durfte."
Professor McGonagall sah ziemlich blass aus, als sie George zuflüsterte: „Er gibt die richtigen Antworten!"
„Heißt das jetzt also ...?"
Sie machte ein hilfloses Gesicht und wandte sich wieder Sirius zu: „Erinnern Sie sich an einen Kampf mit Voldemorts Todessern im Ministerium?"
Sirius nickte und seine Augen wurden leer.
„Erzählen Sie davon!"
Es war, als würden sich die Worte ihren eigenen Weg durch Sirius´ Körper suchen; als würgten sie aus ihm hervor, ohne, dass er selbst es wollte: „Harry war in Gefahr! Mein Patensohn! Der Sohn meines besten Freundes! Ich musste ihm helfen! Wir sind ins Zaubereiministerium geflogen, denn dort haben mehrere Todesser die Kinder angegriffen. Ich ... habe mich duelliert ... mit meiner Kusine Bellatrix. Eine der treuesten Dienerinnen Voldemorts. Sie hat mich getroffen! In die Brust. Mit einem Schockzauber. Ich ... ich bin gefallen. Und ... es tat furchtbar weh. Ich habe Harry schreien hören, doch dann war alles still. Und plötzlich brauste und stürmte es. Und ... kaum eine Minute später stand ich wieder im Raum, nur ... es waren alle weg. Fast alle. Es war aufgeräumt und kein Blut und keine Todesser zu sehen. Nur Harry lag am Boden."
Georges Augen weiteten sich vor Entsetzen und auch Professor McGonagall schauderte: „Sie meinen, Sie sind gefallen und standen praktisch gleich darauf wieder auf beiden Füßen?"
Sirius nickte.
„Sieht man Ihre Wunde?" fragte Professor McGonagall und wieder nickte er schwach.
Langsam trat sie vor, schob ein paar Seile zur Seite und öffnete zwei Knöpfe des Hemdes, das Sirius trug. Tatsächlich war auf seiner Brust ein dunkler Abdruck zu sehen, der aussah, als wäre er ins Fleisch gestempelt worden. Die Wunde war frisch und schien leicht zu pulsieren.
Professor McGonagall wich zurück. Kaum hörbar fragte sie: „Wie sind Sie hergekommen?"
„Harry hatte Flohpulver dabei. Ich habe ihn hochgehoben und bin mit ihm in den Fahrstuhl gestiegen. Wir sind ins Atrium gefahren und ..."
„Hat euch denn keiner gesehen?" rief George fassungslos, „Du wirst gesucht und zwar von der gesamten Zaubererwelt! Sie halten dich für einen Mörder!"
Sirius stöhnte: „Sie haben uns gesehen! Und nachdem sie uns erkannt hatten, habe ich gedroht, Harry umzubringen, wenn sie mich angreifen würden!"
Professor McGonagall ließ ihren Zauberstab fallen und George lachte entgeistert: „Das ist nicht dein Ernst!"
„Haben sie gehört, wo ihr hinwollt?" stieß Professor McGonagall hervor und hob ihren Stab auf. Sirius nickte.
„Das heißt, dass gerade in dieser Sekunde die Auroren des Ministeriums auf dem Weg nach Hogwarts sind, wahrscheinlich mit Dementoren und was-weiß-ich welchen Waffen, um Sie hier festzunehmen?"
„Ich denke schon."
„Ich muss Dumbledore erreichen! Weasley, kümmern Sie sich um Black! Ich muss in die Eulerei ... nein, ich muss sofort ins Ministerium ..." Gehetzt verließ Professor McGonagall den Raum. George und Sirius starrten einander an, dann bat Sirius: „Nimmst du mir bitte die Fesseln ab, George?"
George wedelte einmal kurz mit dem Stab und die Schnüre verschwanden. Sirius erhob sich keuchend und rieb sich die Handgelenke. Zögernd ging er auf George zu, welcher matt im Sessel hing.
„Wie geht es dir?" fragte Sirius.
„Verdammt schlecht!" George sah ihm zu, wie er auf einem Sessel Platz nahm.
„Bist du verletzt? Kann ich irgendetwas tun?"
„Nein, danke." George kam sich so komisch vor, wie noch nie in seinem Leben. Er beobachtete Sirius aufmerksam und stellte fest, dass er, abgesehen davon, dass er total erschöpft war, ziemlich normal aussah. Nach einer Weile sagte er: „Du bist also wieder da."
Sirius sah ihn an: „Ich weiß ja, dass euch das geschockt hat und ich selbst bin mir eben auch nicht sicher, was genau passiert ist. Also, könntest du ..."
„Du warst tot, Mann!" brüllte George und ihm stiegen ein paar Tränen in die Augen, „Tot! Du bist im Ministerium von dieser Lestrange getötet worden! Und Harry hat wahnsinnig um dich getrauert! Und Lupin! Und meine Mum hat geheult!"
„Aber ... ich bin doch gleich wieder ..."
„Nein, bist du nicht! Du warst ein halbes Jahr weg ... tot! Es ist ein halbes Jahr her, dass ihr im Ministerium gekämpft habt!"
„Das kann doch gar nicht sein, George!"
„Sieh auf den Kalender!" George deutete auf den großen Kalender, der neben dem Kamin hing. Alle Zahlen leuchteten rot, doch der heutige Tag war golden.
„4. Dezember." las Sirius und schüttelte den Kopf, „Das ist nicht ... das kann nicht ..."
George sagte mit leiser Stimme: „Harry wäre beinahe durchgedreht. Nachdem du durch diesen Vorhang gefallen bist, ist er Bellatrix hinterher und wollte sie umbringen, hat Ron gesagt! Dann kam Voldemort und hätte Harry fast getötet! Dumbledore hat alle gerettet! Aber Harry war so verzweifelt wie noch nie in seinem Leben! Er war am Ende!"
Sirius schluckt schwer und legte die Hände vors Gesicht.
„Gut, dass er Remus Lupin hatte. Der hat sich um ihn gekümmert. Er war zwar selbst völlig fertig, aber er war immer für Harry da. Er hat uns vom Fuchsbau besucht und ist mit den anderen zur Schule gefahren; er hat Harry getröstet und beruhigt. Er ..."
„Er ist wieder hier an der Schule?" fragte Sirius gedämpft hinter seinen Händen.
„Ja, er unterrichtet wieder. Und er musste wieder in die Heulende Hütte, weil Snape ihm diesen Trank nicht brauen wollte und Bill und Charlie haben ihm geholfen."
Sirius´ Schultern zitterten bedenklich. Er ließ seine Hände sinken. George sah Tränenspuren auf seinen Wangen. Er war offensichtlich nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen.
„Wir haben dich ziemlich vermisst, aber mittlerweile haben wir uns, glaube ich, abgefunden ... ein bisschen. Und dann tauchst du plötzlich im Kamin auf mit Harry auf deinen Armen ..."
Sirius sprang auf: „HARRY! Ich muss zu ihm!"
„Du gehst nirgendwo hin! Was, wenn die Auroren hier auftauchen?"
„Was, meinst du denn, hält sie gerade vom Gemeinschaftsraum fern?" fauchte Sirius und machte Anstalten zur Tür zu gehen, als sich diese öffnete. Ginny, Professor McGonagall, Kingsley und Hagrid traten ein.
„Liebes bisschen! Das ist ja nicht wahr!" donnerte Hagrid und packte Sirius, der ihm gegenüber recht schmächtig und zwergenhaft wirkte, bei den Schultern, „Bist du das wirklich?"
Sirius nickte und Hagrid schlug die Arme um ihn, dass Sirius´ Rippen krachten. Kingsley starrte die beiden eine Zeitlang fassungslos an, dann fing er sich mühsam: „Wir müssen dich hier raus bringen! Das Schloss ist voller Auroren! Ich desillusioniere dich jetzt und dann bringen Hagrid und ich dich zu seiner Hütte! Und hau uns nicht unterwegs ab! Dann können wir dich nicht beschützen!"
„Die Hütte steht nicht mehr!" ließ sich George ungewohnt schüchtern vernehmen.
„Ach, die hatten wir ja schneller wieder aufgerichtet, als du „Riesenaufstand" sagen kannst! Komm, Sirius!"
Sirius nickte betäubt und ließ sich ohne Widerworte von Kingsley auf den Kopf schlagen. Augenblicklich passte sich sein Äußeres der Umgebung an und als er komplett desillusioniert war, marschierten Hagrid und Kingsley hinaus.
„Professor, was erzählen wir den Auroren?" fragte George schwach.
„Das soll nicht Ihre Sorge sein, Mr. Weasley! Sie gehen jetzt ins Bett! Sie auch, Miss Weasley! Und wagen Sie es nicht, hier heute Nacht noch umherzuschleichen!" Professor McGonagall sah die beiden streng an. Als sie Ginnys völlig verzweifeltes Gesicht gewahrte, wurde ihr Blick sanfter: „Keine Angst, Miss Weasley! Es kommt alles in Ordnung!"
„Ja, aber ... aber er ist es, oder? George?" Ginny schluchzte verhalten. George nickte: „Ja, Ginny, er ist wieder da!"
Ginny wischte sich über die Augen und nickte: „O.K.!"
„Gehen Sie jetzt ins Bett!"
„Wie geht es Harry?"
„Es geht ihm den Umständen entsprechend, Mr. Weasley. Er hat jetzt ein Bett neben Miss Granger und als ich eben ging, war Professor Rosenstein bei ihm!"
George sah einigermaßen zufrieden aus und stand endlich auf, um Ginny bei der Hand zu nehmen und sie zur Treppe zu ziehen: „Gute Nacht, Ginny! Versuch, zu schlafen, ja?"
„O.K., gute Nacht!"
Ginny schlich in ihren Schlafsaal und George nickte Professor McGonagall noch einmal zu, bevor er in Rons Schlafsaal ging. Hier standen zwei zusätzliche Betten für ihn und Fred, obwohl Harrys Bett leer war. Aber Ron hätte wohl jeden geköpft, der es wagen würde, es in Beschlag zu nehmen.
„George?" Rons verwuschelter Kopf kam unter seinem Kissen zum Vorschein, „War was?"
Er klang total verschlafen und heiser. George setzte sich kurz zu ihm ans Bett: „Harry ist wieder da und es geht ihm ganz gut. Er ist jetzt auf der Krankenstation." Gerade, als George beschloss, seinem Bruder nichts von Sirius´ Rückkehr zu erzählen, fragt Ron: „Und, hat er es geschafft?"
„Was geschafft?" George klang alarmiert.
„Sirius!" flüsterte Ron und sein Bruder sprang auf: „Woher ... ach, schon klar! Also, ich weiß nicht genau, was du meinst, aber ich denke, er hat es geschafft! Jedenfalls ist Sirius wieder da!"
Ron lächelte glücklich und schloss müde die Augen: „Das ist doch wunderbar, oder?"
Bevor George etwas erwidern konnte, war Ron wieder eingeschlafen.
