Ron saß immer noch im Zug. Dass ihm seine Gefühle für Hermine genau jetzt so stark ins Bewusstsein drangen, wunderte ihn, da er sonst immer in Momenten ohne ihre Gegenwart daran dachte und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, wenn sie dabei war. Doch jetzt wo seine Augen zur Abteiltür wanderten, in der sie sich, leicht durch ihn selbst verdeckt, spiegelte konnte er nichts anderes tun als rot zu werden. In diesem Moment wünschte sich Ron eins ihrer Bücher zu sein, die sie egal wie schlecht es ihr ging immer zum Strahlen brachten. Er schaute schnell wieder auf seine Füße, um zu vermeiden, dass Hannah und Ernie, die Vertrauensschülerin und der neu gewählte Schulsprecher aus Hufflepuff, die auch im Abteil saßen etwas bemerkten. Ron fühlte sich bedrängt. Durch Ernie, Hannah und Hermine, weil sie einfach nur da waren, wo er doch allein sein wollte, vor allem aber durch die Zeit, die das Schuljahr immer schneller, immer näher rücken ließ. Er hatte noch nie Zeitdruck gefühlt, aber jetzt nach vier Jahren merkte er, dass ihm nur noch ein Jahr blieb um es ihr zu sagen. Egal wie feige er es die ganze vorherige Schulzeit über versteckt hatte, er war sich sicher, dass er nach Hogwarts keine Gelegenheit dazu haben würde und das war es, was ihm so zu schaffen machte.
Wenn Fred und George früher Mist gebaut hatten, hatten sie davon gesprochen auf den richtigen Moment zu warten es ihrer Mutter zu erzählen. Ron hatte immer geglaubt es sei eine Ausrede, was ja in gewisser Weise auch stimmte, aber nun konnte er es nachvollziehen. Vier Jahre kein richtiger Moment, dagegen erschien das eine Jahr was ihm noch blieb lächerlich kurz. Und jetzt da sie im Zug so neben ihm saß, das Schulsprecher-Abzeichen an den Umhang gesteckt und wissbegierig lesend, glaubte er nicht, dass die Chance sie nach Hogwarts wieder zu sehen überhaupt bestand.
Der Rest der Fahrt verlief genauso wie ihr Anfang. Ron versuchte angestrengt an etwas anderes zu denken und war froh als der Zug hielt und sie etwas später in die große Halle traten, wo er durch das Getümmel und die Lautstärke weiterhin abgelenkt wurde.
Er setzte sich gemeinsam mit Harry und Hermine zu Ginny, die sie etwas abseits von den Leuten aus ihrem Jahrgang bei Seamus und Dean fanden. Sie begrüßten sich, aber redeten nicht viel während des Essens. Nur Ginny war total aufgedreht, es störte sie kein bisschen, dass ihr niemand großartig etwas erwiderte, aber sie machte zwischendurch merkwürdige Pausen in denen sie länger als nötig Luft holte und von Dean zu Harry und wieder zurück blickte. Diese Tatsache viel zu Ginnys Glück nur Hermine auf, die Ginny inzwischen fast so gut kannte wie Ron und Harry. Hermine war auch die einzige, die den tieferen Sinn dieser Blicke verstand, aber beim sechsten oder siebten Mal trat sie ihr schließlich vors Schienbein. Ginny konnte ihren Schmerzensschrei gerade noch in ein Räuspern retten und beendete ihren letzten Satz etwas unbeholfen mit: „…aber ist ja ganz egal, nicht?", sie hoffte inständig, dass es so klingen würde, als hätte sie den Fanden verloren und sagte die ganze Zeit nichts mehr.
Erst
jetzt fiel Hermine auf wie sehr sie sich alle anschwiegen, Ron der
sich mit sichtlichem Vergnügen bereits seinem dritten Teller
Pastete zuwand, hatte zwar den Mund voll, aber das hinderte ihn ja
sonst auch nicht am Sprechen, stellte sie schmunzelnd fest. Auch
Harry brachte kein Wort heraus, nur mit dem Unterschied, das er fast
gar nichts aß.
Keine fünf Minuten später waren
ihre Teller wieder blank geputzt, Dumbledore hatte seine Rede
gehalten und nun brach ein großes Stühlerücken los.
Harry, Ron und Hermine verließen gerade die Halle, als Hermine
von einem großen, blonden Jungen zurückgerufen wurde.
Ernie bat sie nur kurz um ein Wort „über ihre neue Position
und so…", also gingen Harry und Ron allein hoch zum
Gemeinschaftsraum. Hermine folgte etwa eine halbe Stunde später
und musste sich deshalb von Ginny einige scherzhafte Bemerkungen über
ihr „auffallend großes Pflichtbewusstsein gegenüber
Ernie" anhören. Doch sie konterte, zwar nicht minder
scherzhaft, aber gekonnt, indem sie das Thema auf Harry und Dean
lenkte.
Harry selbst lag bäuchlings auf seinem Bett und
betrachtete gedankenverloren einen Zeitungsausschnitt. Ron hatte ihn
ihm vor Jahren geschenkt. Das Bild zeigte die Weasleys in Ägypten,
es war schon veraltet, aber sie hatten sich alle nicht sonderlich
verändert. Fred, George, Ron und Ginny waren zwar noch
gewachsen, doch andere äußerliche Veränderungen waren
kaum auszumachen. Er betrachtete Ginny eingehend, Ron hatte einen Arm
um sie gelegt und es war deutlich zu erkennen, dass diese Geste wie
ein Schutz für sie war. Harry war das früher nie
aufgefallen, tatsächlich aber schien Ginny sich doch stärker
verändert zu haben als der Rest. Sie war viel selbstbewusster
geworden, bei sechs Brüdern kaum verwunderlich, trotzdem fand
Harry ihr jetziges Auftreten irgendwie anziehend und anders als
vorher. Er drehte sich auf den Rücken und blickte nun mit einem
zunehmend verträumten Ausdruck auf das Foto in seinen Händen.
Er
hatte nichts gegen Dean, im Gegenteil, und genau das war sein
Problem, außerdem stimmte es ihn traurig, dass sich Ginny mehr
für Dean interessierte als für ihn. Seufzend legte er den
Artikel wieder in seinen Nachttisch und spähte noch einmal durch
die Vorhänge um Ron Gute Nacht zu wünschen, doch der schien
auch nicht gerade in Höchststimmung zu sein, denn er beließ
es bei einem gebrummten: „Mmh"
Harry war ganz froh darüber,
denn er war auch nicht in Stimmung groß zu Quatschen. Außerdem
hatte er sich gerade, mittels ewigen Anstarrens Ginnys Bild
eingeprägt und wäre nicht glücklich gewesen es durch
eine Unterhaltung wieder verblassen zu lassen.
Er schloss die
Augen und stellte sich vor, er würde sie so von hinten umarmen.
Für diesen Moment vergas er Dean und schlief ein.
Am
nächsten Morgen war Ron immer noch nicht viel gesprächiger,
er vergrub sich beim Frühstück hinter einem Teil, den er
sich von Hermines Zeitung geliehen hatte , aber Harry merkte, dass
seine Augen die ganze zeit über auf denselben Punkt starrten und
er gar nicht las. „Und, steht was interessantes drin?", fragte
er, so als würde das Ron zum lesen bringen.
Ron zuckte
zusammen und warf einen kurzen Blick auf das Titelblatt „Sie
schreiben, dass die Preise im ‚Tropfenden Kessel' steigen",
sagte er gleichgültig. Harry musste sich ein Lachen verkneifen,
als er einen Blick auf Rons Stück Zeitung warf, die
Titel-Überschrift lautete nicht anders als ‚Preise im
Tropfenden Kessel steigen' „Ist irgendwas?", hakte er
vorsichtig nach, doch in diesem Moment kam Professor McGonagall mit
einem Stapel Stundenplänen zu ihnen und da sie jetzt alle die
Nasen in die Pläne steckten, blieb Ron ihm die Antwort schuldig.
Harry beschloss ihn nach dem Unterricht zu fragen, doch er hatten
so unglaublich viele Hausaufgaben zu erledigen, sodass er es völlig
vergas. Als es ihm dann abends wieder einfiel war Ron schon zu Bett
gegangen.
So zog sich die ganze erste Woche hin und immer noch
schwirrten Harry tausend andere Dinge durch den Kopf, die ihn im
entscheidenden Moment Ron vergessen ließen. Am Sonntagabend,
als er gerade wieder eine Gelegenheit verpasst hatte und wütend
auf sich selbst ins Feuer starrte, bemerkte er plötzlich, dass
auch Hermine noch nicht mit Ron über sein komisches Verhalten
gesprochen hatte. Sonst war sie eigentlich die Erste die bemerkte,
dass etwas nicht stimmte. Sie hat wohl auch ziemlich viel um die
Ohren, dachte Harry bei sich.
Aber es stimmte schon, Hermines
Schulsprecherpflichten spannten sie ganz schön ein, ständig
musste sie zu Treffen um dies oder jenes zu Besprechen oder ihr Okay
zu etwas zu geben.
Trotzdem hatte sie es an ihrem vierten Tag
geschafft mit Ginny über Ron zu sprechen. Ginny hatte
versprochen ihm auf den Zahn zu fühlen, doch seitdem hatten sie
und Hermine sich nicht wieder allein gesehen und Hermine wollte auf
keinen Fall in Harrys Gegenwart darüber reden, damit es nicht so
klang als würde sie Ron aushorchen.
Sie traf Ginny beim
Abendessen. Harry und Ron hatten Quidditchtraining, also brauchte sie
vor neun nicht mit ihnen zu rechnen.
Ginny saß etwas abseits
am Gryffindortisch, schrieb mit der rechten Hand einen Brief und
versuchte mehr oder wenige hoffnungslos mit der Linken ihre
Bratkartoffeln zu Essen.
„Wem schreibst du?", fragte Hermine
und setzte sich
„Dean.", murmelte Ginny und ließ den
Brief verschwinden
„Wärs nicht unkomplizierter, wenn ihr
einfach miteinander redet?"
Ginny musterte sie empört „Tut
mir Leid das zu sagen, aber du hast einfach keine Ahnung was die
Liebe betrifft."
Hermine versuchte beleidigt zu gucken, einen
Moment lang starrten sie sich an und prusteten dann beide los.
„Es
ist wunderbar wie schrecklich direkt du doch sein kannst", sagte
Hermine und schenkte sich Kürbissaft ein
Ginny grinste
„Immer wieder gerne!"
„Ich freu mich doch wirklich für
euch. Aber jetzt mal ernsthaft", sie tat sich nun auch
Bratkartoffeln auf „was ist mit Ron los?", es klang echt
besorgt.
Ginny seufzte.
„Er sagt es sei nichts und er habe
bloß zu wenig geschlafen. Ich konnte mir das eigentlich nicht
vorstellen, also hab ich weiter gefragt, aber er hat mich gleich
angefahren, von wegen nicht einmischen und so."
Hermine
runzelte die Stirn „Merkwürdig."
„Der kriegt sich schon
wieder ein, glaub mir. Das klärt sich bestimmt
bald."
„Hoffentlich, Harry benimmt sich ja auch irgendwie so
merkwürdig."
"Öhm", machte Ginny nur und
schob sich um die peinliche Stille zu überbrücken ihren
letzten Rest Kartoffeln in den Mund, dann zog sie den Brief an Dean
wieder aus der Tasche „Ich muss kurz hoch in die Eulerei.", sie
wedelte mit dem Pergament „bis später dann!"
„Ja,
mach's gut! Und sag mir Bescheid, wenn du was Neues weißt…",
einige Schüler sahen sie verwundert an „du weißt schon
was ich meine!" Ginny lächelte „Alles klar!", sie lief
davon.
Hermine holte jetzt, da sie ohne Gesellschaft war ein
Buch aus ihrer Tasche und versuchte ihre Seite wieder zu finden.
Gerade hatte sie den Absatz entdeckt, da stellte ihr sich jemand ins
Licht. „Oh, hi Ernie!" Er blickte auf das aufgeklappte
‚Arithmantik für Fortgeschrittene' „kann ich mich setzen
oder bist du grad beschäftigt." „Quatsch, setzt dich.",
sie räumte ihr Buch wieder weg
Eine Weile betrachtete er sie
stumm beim Essen, dann sah er sich in der Halle um, er schien
nachzudenken.
„Was gibt's denn nun?", fragte Hermine und
legte ihr Besteck zur Seite
„Ähm, na ja…", anscheinend
hatte er einen Entschluss gefasst „wolln wir nicht lieber
rausgehen? Hier ist es so laut."
„Okay.", sagte Hermine
munter, sie ließ sich nichts anmerken. Es war überhaupt
nicht laut, sie saßen abseits von den anderen und niemand hätte
sie reden gehört. Trotzdem griff sie sich ihre Tasche und folgte
Ernie stirnrunzelnd aus der Halle.
