Der neue Geist

Sylvester rückte näher.

Den Vollmond brachten Remus und Sirius sehr erfolgreich hinter sich. Remus landete am Morgen danach neben Harry in der Krankenstation und sah ziemlich demoliert und glücklich aus. Er hatte einen Schmiss an der Lippe und ein paar ordentliche Kratzer an den Armen, die er stolz präsentierte, während er berichtete, dass er Sirius auch ein paar Mal erwischt hatte. Dieser setzte sich zu den beiden und erzählte, so eine Nacht hätte ihm richtig gefehlt.

Meta sah noch etwas besorgt aus, sagte aber nichts, sondern hielt still Remus´ Hand.

Zu Sylvester veranstalteten die Zwillinge ein Feuerwerk, das sich sehen lassen konnte, direkt vor dem Fenster des Krankenflügels, so dass Harry und Remus in ihren zurecht gerückten Betten alles genau sehen konnten.

Dann gab es noch ein leckeres Buffet und Bleigießen mit Professor Trelawney, die zurückgekehrt war, allerdings ohne nennenswerte Neuigkeiten. Sie versuchte sie alle zu schocken, indem sie den fürchterlichsten Kampf seit Menschengedenken voraussagte.

Remus, Sirius, Kingsley und Jakob betranken sich ordentlich mit Sekt und gaben ein paar Lieder zum Besten, die selbst die Darbietung der Hauselfen an Weihnachten toppte. Hermine, Ron, Ginny und Neville hatten sich auf zwei Betten zu Harrys Seiten verteilt und bewarfen sich gegenseitig mit Knallbonbons und Luftschlangen. Dumbledore ließ sich partout nicht dazu überreden, eine Ansprache zu halten, sondern schlürfte lieber mit Fred, George und Lee selbst gemachte, garantiert gefährliche Bowle. Mr. und Mrs. Weasley sorgten für Musik und tanzten durch die Krankenstation, was ihnen Charlie und Amber, River und Tonks und Bill und Professor Flitwick sofort nachtaten. Besonders die letzten beiden sorgten sehr für Erheiterung. McGonagall hatte ebenfalls etwas Sekt gekostet und zauberte ein paar hübsche Kleinigkeiten für sie: Papierhüte, Rasseln, Konfetti.

Irgendwann war es so weit, dass Sirius abenteuerliche Geschichte aus der Schulzeit erzählte; kräftig unterstützt von Remus. Natürlich wollte Jakob dem nicht nachstehen und auch Kingsley, der einige Jahre vor Sirius und Remus Hogwarts besucht hatte, ließ sich nicht zweimal bitten. Es stellte sich heraus, dass so ziemlich jede anwesende Generation einen geheimen Weg in die Küche kannte, vom Raum der Wünsche wusste und sich mindestens einmal mit diversen Hilfsmitteln heimlich nach Hogsmeade geschlichen hatte.

McGonagall und Mrs. Weasley waren erschüttert.

Für großen Jubel sorgte dann noch der Schwarm Eulen mit Neujahrsglückwünschen. Harry und seine Freunde empfingen zahlreiche Briefe von Luna, Dean, Seamus, den Parvati-Zwillingen, Lavender, Ernie MacMillan und Justin Finch-Fletchley, Susan Bones, einigen von Ginnys Freundinnen und von Hagrid, was dieser ganz besonders lustig fand, da er nur ein paar Meter von ihnen entfernt saß und große Becher mit heißem Met leerte.

Harry hatte sich im Laufe des Abends vom aufrechten Sitzen in die Waagerechte befördert und naschte von den Bonbons, die Dumbledore in unregelmäßigen Abständen über ihre Köpfe warf. Ginny, die mit Neville auf dem Nebenbett saß, lächelte ihn an und wurde leicht rot, als Harry zurücklächelte. Auf Nevilles Fingerzeig hin sahen die beiden zu Ron und Hermine, die auf dem Bett zu Harrys anderer Seite hockten und ganz unschuldig taten, während sie immer wieder einen Grund fanden, sich an den Händen zu fassen.

„Das geht was!" grinste Neville und rieb sich durchtrieben die Hände. Harry und Ginny grinsten.

„Na, ich werd dann mal!" sagte Neville und stand auf.

„Was ...?" begann Harry, sah dann aber, dass Meta Neville zum Tanzen aufgefordert hatte. Er sah Ginny an, die sich bemühte weg zu sehen.

„Hey, Ginny!"

„Hey!"

Harry überlegte fieberhaft, worüber er sich mit unterhalten könnte. Dummerweise fiel ihm nur ein, dass er ihr noch nichts über die Prophezeiung gesagt hatte und irgendwie würde das die Stimmung so ziemlich killen.

„Und geht´s dir wieder besser?" fragte Ginny freundlich.

„Ja, danke!"

„Du hast ganz schön was geleistet!" sagte Ginny und die große Anerkennung, die in ihrer Stimme schwang erinnerte Harry ein bisschen an das verschüchterte Mädchen, das er in seinem zweiten Jahr kennen gelernt und das so für ihn geschwärmt hatte.

„Hat es weh getan?" fragte Ginny zaghaft.

„Ja! Sogar sehr weh! Aber ich wusste, dass ich es machen musste! Eigentlich besteht mein Leben fast nur aus Sachen, die ich machen muss!" Harry war selbst etwas erstaunt, dass er so bitter klang. Ginny runzelte die Stirn, dann hellte sich ihr Gesicht auf: „Ich wüsste etwas, dass dir Spaß macht und das du aus ... naja, fast eigenem Antrieb machst!"

Harry musste lachen: „Fast eigener Antrieb ist gut: Ich liege immer noch flach!"

„Aber dir geht´s doch schon viel besser, oder?" fragte Ginny durchtrieben.

„Worauf willst du hinaus?"

„Folge mir einfach!" Ginny sprang vom Bett und zog Harrys Decke zur Seite. Glücklicherweise war es wegen des festlichen Anlasses normal gekleidet und saß so in Hose und Hemd vor ihr.

„Jetzt ist DIE Gelegenheit!" zischte Ginny. Tatsächlich kümmere sich gerade keiner um die beiden. Hermine und Ron tanzten, was ziemlich komisch aussah. Neville war von Sirius und Jakob in die Mitte genommen wurden, was für ihn und seine Gesundheit nichts Gutes bedeuten konnte. Alle Lehrer und die Eltern Weasley widmeten sich gerade dem dritten Buffet und Ginnys Brüder veranstalteten irgendein seltsames Trinkspiel.

Harry schlüpfte aus dem Bett und wankte zu Ginny herüber, die ihm unterhakte und flüsterte: „Alles klar? Dann geht´s los!"

Sie gingen möglichst unauffällig in Richtung Tür und bevor sie hinaus glitten fing Harry noch einen Blick von Remus auf, welcher ihm fröhlich zuzwinkerte. Gut, dass er getrunken hatte, sondern würde er die beiden sicherlich zurückholen.

„Wo willst du denn hin?" fragte Harry, der doch etwas Mühe hatte, hinter Ginny herzukommen.

„Ach, das siehst du dann! Wir machen nur etwas unheimlich Verbotenes!" lachte Ginny und zog Harry weiter quer durchs Schloss. Irgendwann standen sie vor dem Ravenclaw-Turm und Ginny öffnete das hiesige Portrait, das eine nette, englische Lady mit Teetasse zeigte, mit einem Passwort, das Harry nicht verstand.

„Woher ...?"

„Los, komm!"

Die beiden schlüpften hinein und Harry stand zum ersten Mal im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws.

„Wow!" entfuhr es ihm.

„Cool, oder?" lachte Ginny und ließ sich auf einen der riesigen Sessel fallen. Sie waren mit samtigem, dunkelblauem Stoff umspannt und um eine runde, umgitterte Feuerstelle gruppiert, die nach oben hin einen großen, bronzenen Abzug hatte. Diese bronzenen Farbtöne fanden sich in verschiedenen Tiefen in allen harten Gegenständen des Raumes wieder wie den Schreibtischen an den Wänden, den übervollen Bücherregalen und den hübsch verzierten Fensterläden. An den Wänden hingen Bilder, die Motive verschiedener Wasser abbildeten und so in blau, grau und weiß gehalten waren. Die Rahmen waren pechschwarz und hatten goldene Messingbeschläge an den Ecken. Harry bestaunte mehrere Wasserfälle, Meeresbuchten, Brandungen und Waldseen.

In zwei Ecken des Raumes waren Wasserspiele angebracht, die unaufhörlich plätscherten. Im hinteren Teil des Raumes führen zwei schmale Treppen mit ebenfalls bronzefarbenen Geländern nach oben zu den Schlafräumen. Der Teppich war blau und sehr weich und an den Enden schon ganz ausgefranst, was ihm ein romantisches Aussehen verlieh.

Harry sah sich immer noch mit geöffnetem Mund um, als Ginny ihn am Arm zupfte: „Hey, setz dich doch!"

Gehorsam ließ sich Harry auf einen Sessel fallen und sofort flackerte das Feuer im Kamin auf.

„Das ist ja wirklich der helle Wahnsinn hier! Wenn Hermine das sieht, wird sie superböse, dass sie nicht in Ravenclaw gelandet ist. Bei dem Wasserplätschern kann man bestimmt supergut lernen." Harry schüttelte lachend den Kopf.

Ginny seufzte: „Wie gut, dass ich genug Bekannte hier habe, die mir das Passwort verraten können!"

„Zum Beispiel Michael?" fragte Harry unwillig.

„Nein, mit dem rede ich nicht! Ich meinte Luna!"

„Ah!" Harry klang erleichtert und störte sich nicht wirklich daran, da das Flimmern des Feuers und das sanfte Geräusch des Wassers ihn langsam einlullten.

„Schläfst du, Harry?" fragte Ginny leicht belustigt.

„Nein." sagte Harry und dann richtete er sich auf, „Kann ich mit dir über was Wichtiges reden, Ginny?"

„Immer!"

Etwa eineinhalb Stunden später saßen die beiden wieder im Krankenflügel und es war gut, dass es dort schon recht schummrig war, sonst hätte man Ginnys blasses Gesicht und die Tränenspuren auf ihren Wangen gesehen. Sie setzte sich auf Harrys Bettkante und kaum, dass dieser lag, nahm sie seine Hand.

Harry zuckte zusammen, als Ginnys Finger seine berührten. Es fühlte sich an, als würde seine Haut von einer Sekunde auf die nächste Feuer fangen. Ginnys Zeigefinger streichelte ganz vorsichtig und zittrig über Harrys Handrücken, während er versuchte, ganz ruhig zu atmen.

Er hatte sich gerade etwas daran gewöhnt und es geschafft, Ginnys Finger etwas zu drücken, da traf ihn Sirius´ Blick und dieser grinste so breit, dass Harry ihn entrüstet ansah.

„So, dann sollten wir wohl langsam alle ins Bett!" rief Mrs. Weasley, die bis eben an der Schulter ihres Mannes ein Nickerchen gehalten hatte. Es war nach fünf Uhr und alle stimmten ihr zu.

Ron kam noch einmal an Harrys Bett und zischte: „Wo wart ihr beiden?"

„Lass sie, Ron!" sagte Hermine, doch Ron guckte Harry weiterhin böse an. Ginny sagte ihm gute Nacht und ging mit den anderen hinaus. Harry ärgerte sich ein bisschen, dass Ron aufgetaucht war. Vielleicht hätte Ginny ihm zum Abschied ...

„Hey, Harry!" Remus lag wieder im Bett neben ihm und grinste ihn an.

„Ah, lasst mich bloß alle in Ruhe, ihr ... bösen Kuppler!" maulte Harry und zog sich die Decke über den Kopf.

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Die ersten Tage des neuen Jahres verbrachten sie hauptsächlich mit ein paar Hausaufgaben und Herumgammeln. Sirius und Remus arbeiteten wie besessen an Sirius´ Rehabilitation und beinahe der gesamte Orden war durchgehend im Schloss unterwegs. Die Gefangenen wurden weggeschafft und die Schule auf Vordermann gebracht, da die Schüler in zwei Wochen kommen würden.

Glücklicherweise hatten die Hauselfen damit nichts zu tun, wie Ron erleichtert feststellte, denn sonst hätten sie nur Eintopf zu essen bekommen. Aber so saßen sie an ihrem kleinen Tisch in der Großen Halle und bekamen lauter Köstlichkeiten serviert.

Ron hatte sich wieder einigermaßen beruhigt, nachdem Harry ihm versichert hatte, dass er und Ginny nichts angestellt hatten. Und Ginny lächelte Harry noch häufiger an, seit sie die ganze Geschichte kannte. Sie war zwar darüber genauso außer sich gewesen wie anfangs Hermine, doch sie fing sich schnell und meinte, seine Chancen ständen ja schließlich nicht schlecht.

Bei einem ausgedehnten Mittagessen erzählten die vier auch Neville, der vergeblich versuchte, den Eindruck zu machen, als störte es ihn nicht, eine Art Außenseiter zu sein, die Geschichte und obwohl er ständig ungläubig den Kopf schüttelte, glaubte er ihnen natürlich.

Nach dem Essen beschlossen sie, nach draußen zu gehen und neben ein bisschen Quidditchtrainig den Professoren Flitwick und McGonagall zu helfen, die im Luftraum über dem Gelände einige neue Warnzauber ausprobierten. Sie wanderten durch die Gänge, ihre Besen in den Händen und scherzten so ausgelassen wie schon lange nicht mehr. Lachend bogen sie um eine Ecke und rannten ineinander, als Harry plötzlich wie angewurzelt stehen blieb.

„Was denn?" fragte Ron, doch Harry starrte stumm und fassungslos auf etwas Helles, Schwebendes vor sich.

„G ... Goyle?" stotterte er. Der Geist wirbelte herum, verlor dabei etwas die Orientierung und riss erschrocken die Augen auf: „Potter? Oh, oh! Das gibt Ärger!"

„Goyle, was machst du hier?" stieß Hermine hervor.

„Und warum bist du ein Geist, Mann?" fragte Ron tonlos.

Goyle verzog das blasse Gesicht: „Habt ihr Vincent gesehen?"

„Vin ...?" Hermine schlug die Hand vor den Mund und Neville flüsterte: „Vincent Crabbe?"

Goyle nickte: „Ich weiß nicht, wo er ist. Irgendwas ist schief gegangen. Er sollte hier bei mir sein. Ich glaube, er ist weitergegangen."

Harry starrte seinen toten Schulkameraden an. Es kümmerte ihn im Moment herzlich wenig, dass er Goyle gehasst hatte, wie man einen dummen, willenlosen, mitlaufenden Schlägertypen nur hassen kann. Jetzt war er tot und schwebte hier vor ihm. Ein verwirrter, allein gelassener Geist, der nach seinem Freund suchte.

„Wie lange bist du schon ... so hier, Goyle?" schaffte Harry zu fragen.

Goyle überlegte und antwortete mit weinerlicher Stimme: „Ich weiß nicht! Lange. Zu lange. Und Vincent sollte hier sein. Und Draco hatte uns versprochen, uns zu holen, wenn alles vorbei ist."

„Wenn was vorbei ist, Goyle?" fragte Hermine schwach.

Goyle zuckte mit den nebligen Schultern: „Der Plan. Wenn alles geklappt hat. Draco hat gesagt, er nimmt uns dann mit nach Hause."

„Goyle, du bist ein Geist!" sagte Hermine und Harry sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren und fauchte: „Ich glaube, das weiß er, Hermine!"

„Bist du dir sicher?" fragte Hermine und machte einen Schritt auf Goyle zu, „Weißt du das?" Goyle nickte unsicher.

„Weißt du, dass du tot bist und nie wieder ... zurückkommen kannst?"

Goyle schluckte: „Das gehört mit zum Plan."

„Sagst du uns, was für ein Plan das ist?"

„Nein, dann bekomme ich wahnsinnigen Ärger!" Er machte Anstalten, davon zu schweben.

„Halt!" rief Hermine und griff reflexartig nach ihm, zog die Hand aber sofort erschrocken zurück, als sie durch den grauen, dunstigen Körper der Jungengestalt hindurch glitt.

„Petrificus Totalus!" befahl Ginny mit gezücktem Zauberstab, doch Goyle waberte langsam weiter durch den Gang.

„Ich hole jemanden!" sagte Neville nervös, „Irgendjemanden. Dumbledore, McGonagall, Lupin." Er stürzte davon und Ron griff nach Harrys Arm: „Ich hole die Karte. Dann geht er uns auf keinen Fall verloren."

Harry nickte: „Ich versuche ihm zu folgen und mit ihm zu reden. Hilfst du mir, Hermine?" Hermine nickte grimmig und wandte sich an Ginny: „Kannst du den Fast Kopflosen Nick suchen? Er muss doch über die Geister hier im Schloss Bescheid wissen. Vielleicht kann er uns helfen."

Ginny nickte und flitzte davon. Harry und Hermine gingen der schwebenden, schwankenden Gestalt Goyles hinterher.

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„Professor ... Lupin ...!" Neville kam keuchend an Remus´ Tür an, riss sie auf und purzelte in den Raum.

„Neville! Was machst du denn hier?" Remus stand auf und reichte ihm eine Hand, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Sirius saß von einem Haufen Blättern umgeben auf dem Boden und sah Neville ins Gesicht. Dieser zuckte zurück und machte gleich darauf ein betretenes Gesicht: „Tschuldigung, ich muss mich noch an Sie gewöhnen!" Er stand auf und sah unverwandt auf Sirius, welcher milde lächelte.

„Was gibt es denn, Neville?" sagte Remus freundlich, „Wir arbeiten hier, auch wenn es nicht so aussieht, und ..."

„Goyle ist hier!" stieß Neville hervor.

„Goyle?" Remus runzelte die Stirn.

Neville nickte: „Gregory Goyle, dessen Vater ein Todesser ist. Er ... ähm ... ist ein Geist."

Einen Augenblick herrschte Stille. Dann lachte Remus leicht: „Neville, hast du irgendetwas getrunken?"

„Nein!" schrie Neville, „Wir haben ihn eben im Flur getroffen! Er ist hier in der Schule und er ist tot!"

„Der Abdruck, Remus. Den die Todesser hier hinterlassen haben, um an den Sicherheitszaubern der Schule vorbei zu kommen." sagte Sirius und stand auf.

„Schwachsinn!" schnaubte Remus, „Sie würden doch nicht ... Sie können doch nicht ... Er ist ein Kind! Kein Vater würde ..."

Sein Blick traf Sirius´ und er erstarrte: „Bei Merlin, das ist nicht zu fassen! Sirius, geh und sag Dumbledore Bescheid! Ich gehe mit Neville. Ihr müsstet uns auf der Karte finden können. Sie liegt oben in Harrys Zimmer."

Mit einem verstörten Gesichtsausdruck folgte Remus Neville und Sirius hastete in die entgegengesetzte Richtung davon. Er stieß, als er um die nächste Ecke bog, mit Ron zusammen, der die Karte schon bei sich hatte, und bedeutete ihm zu folgen.

Die beiden erreichten Dumbledores Büro und nachdem Ron das Passwort genannt hatte, schwangen sich die beiden auf die Treppe und rannten hinauf. Als Dumbledore auf ihr Klopfen hin öffnete, schlüpften sie hinein und Sirius rief sofort: „Albus, Gregory Goyle ist hier! Neville hat uns gerade Bescheid gesagt."

„Ist das wahr, Ron?" Ron nickte und hielt die Karte hoch: „Sehen Sie!"

Dumbledore fiel die Kinnlade herunter und sein erstaunter Blick wanderte auf der Karte herum: „Was ist denn das?"

Sirius wedelte mit den Händen: „Die Karte des Rumtreibers. James, Remus, Pettigrew und ich haben sie während unserer Schulzeit gemacht. Sie zeigt alle sich im Schloss befindlichen Personen."

Dumbledore sah ihn an: „Ach, das ist diese ominöse Karte. Sag mal, was habt ihr eigentlich noch alles angestellt, von dem ich nichts weiß?"

„Eine Menge. Aber jetzt müssen wir los, bevor uns der Geist irgendwie entwischt!"

Das Grinsen aus Dumbledores Gesicht verschwand: „Geist?"

„Goyle ist tot." sagte Ron und deutete auf den verschwommenen Punkt, der gerade die Gänge in der Nähe von Snapes Kerker auf und ab schwebte. Zwei Punkte mit Namen „Harry Potter" und „Hermine Granger" folgten ihm unablässig.

„Lasst uns sofort gehen!"

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In Harrys Kopf rasten die Gedanken unaufhaltsam durcheinander. Das konnte nicht wahr sein! Goyle hatte sich getötet oder töten lassen! Für diese elendigen Todesser! Für Voldemort! Er konnte es nicht fassen.

Hermine neben ihm war so blass wie schon lange nicht mehr und sie betrachtete den verwirrten, völlig desorientierten Geist mit Blicken voller Mitleid und Fassungslosigkeit.

Goyle war mit ihnen zur Schule gegangen. Er hatte wie sie jeden Tag Mittag in der großen Halle gesessen, hatte Binns furchtbar langweiligen Unterricht über sich ergehen lassen, hatte auf den Tribünen am Quidditchfeld gestanden und seinem Team zugejubelt.

Hermine wagte einen weiteren Vorstoß: „Gregory?" Harry hatte sie niemals seinen Vornamen aussprechen hören. Es klang ungewohnt und fast fehl am Platze. Der Geist reagierte auch nicht.

„Gregory, bitte! Sag mir, wann du gestorben bist!" bat Hermine mit zitternder Stimme.

„McGonagall hat uns verhört und uns war klar, dass wir gehen mussten." murmelte Goyle abwesend.

„Gehen mussten? Gehen von der Schule!" Hermine starrte ihn an, „Doch nur von der Schule!"

Goyle wackelte mit dem vernebelten Kopf und zog eine weitere Runde. Harry überlegte fieberhaft, was er Goyle fragen könnte, aber ihm fiel nichts ein. Hermines drängender Blick half da nicht wirklich. Was sollte er einem toten Klassenkameraden sagen, den er nicht gemocht hatte und der für seinen größten Feind zum Geist geworden war? Da sah Goyle sie an. Harry schauderte, als er in seine trüben, leblosen Augen blickte.

„Habt ihr Professor Snape gesehen?"

Hermine zuckte zusammen und wandte sich zu Harry um: „Das ist eine fantastische Idee!"

„Was? Snape?" fragte Harry verständnislos.

„Ja! Ich hole ihn. Er ist Goyles Hauslehrer. Mit ihm redet er vielleicht."

„Er wird hoffentlich auch mit mir reden, Hermine!" erklang Remus´ Stimme und zusammen mit Neville bog er keuchend um die Ecke, „Haben wir euch also doch gefunden!" Remus blieb stehen und seine Augen weiteten sich entsetzt. Doch er fasste sich schnell und ging betont langsam auf seinen ehemaligen Schüler zu: „Mr. Goyle, hören Sie mich?"

Der Geist wandte sich desinteressiert um. Als er Remus erkannte, wurde seine Haltung etwas gerader und er nickte.

„Können Sie mir sagen, was passiert ist?" sagte Remus freundlich. Goyle schüttelte den Kopf: „Ich habe es geschworen."

„Mr. Goyle, es bleibt Ihnen nichts anderes übrig. Im schlimmsten Fall muss ich Ihnen Veritaserum geben, denn ich MUSS erfahren, was Ihnen zugestoßen ist!"

Hermine öffnete den Mund, doch Harry und Neville traten ihr gleichzeitig auf den Fuß.

„AU! Was soll das?"

„Nichts sagen!" befahl Harry mit gepresster Stimme und beobachtete Remus, der sich dem Geist vorsichtig näherte. Dieser hatte die Schultern eingezogen und machte ein weinerliches Gesicht: „Aber, Professor Lupin, ich darf nicht! Sie werden ... schrecklich wütend!"

„Wer wird wütend, Mr. Goyle?" fragte Remus sanft nach.

„Mein Vater und Mr. Malfoy und ..." Erschrocken verstummte Goyle.

„Und Lord Voldemort, Mr. Goyle? Haben Sie das für ihn getan?"

Goyle wand sich: „Nicht richtig. Draco hat uns überre ... gefragt. Und sein Vater ... wir wollten eigentlich nur ..."

„Wen meinen Sie mit „wir", Mr. Goyle?"

„Vincent und mich."

Remus riss die Augen auf: „Wollen Sie damit sagen, dass Mr. Crabbe sich ebenfalls hier irgendwo an der Schule befindet?"

Goyle jaulte etwas und erinnerte Harry stark an die Maulende Myrthe: „Nein, ich glaube, er ist weg! Ich suche ihn schon so lange!"

„Wie lange?" brachte Remus hervor.

„Sehr lange. Zu lange. Er muss weitergegangen sein. Aus Versehen. Eigentlich sollte er hier bei mir sein. Und Draco hat sich auch noch nicht gemeldet. Ich glaube, irgendwas ist schief gegangen." Goyle schlenkerte um die Ecke. Da kamen Dumbledore, Ron und Sirius.

„Remus, wo ist er?" fragte der Direktor und Remus deutete um die Ecke.

„Ich werde Mr. Goyle mit in mein Büro nehmen und dort wird sich alles aufklären. Ich werde euch heute Abend unterrichten!" Dumbledore sah gehetzt und erschüttert aus.

„Kommt!" sagte Remus tonlos. Sirius, Harry, Ron, Hermine und Neville folgten den beiden. Vor Remus´ Büro trafen sie auf Ginny, den Fast Kopflosen Nick und den Blutigen Baron. Peeves schwebte über ihren Köpfen und Ginny machte ein ganz verzweifeltes Gesicht.

„Hilfe!" rief sie, als sie ihre Freunde auf sich zukommen sah und machte, dass sie ein paar Meter Abstand zwischen sich und die Geister brachte.

„Sir Nicolas, Baron von Darrington, begeben Sie sich bitte in Professor Dumbledores Büro. Er wird Ihnen erklären, worum es sich handelt." sagte Remus höflich und die beiden Geister entschwebten ohne ein Wort zu sagen durch die Wand.

„Peeves, verschwinde!"

„Von dir lass ich mir gar nichts sagen, Lusche!" kiekste Peeves und machte Anstalten, einen nassen Lappen auf Remus zu werfen. Remus stöhnte genervt und machte eine Handbewegung, die den aufdringlichen Geist quer durch die Wand hinaus in die eisige Winterluft schleuderte. Harry staunte.

„Bei Geistern wirkt doch Veritaserum gar nicht." sagte Hermine scheinbar ohne Zusammenhang und mit kraftloser Stimme.

„Das wissen wir, aber Goyle doch nicht!" meinte Harry und ging an Hermine vorbei zu Sirius, der auf Remus´ neuer Couch Platz genommen hatte.

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Harry ließ seine Gabel sinken, als Dumbledore sich räusperte. Hermine, Ron, Ginny und Neville hörten ebenfalls auf zu essen und starrten den Direktor erwartungsvoll an.

Dieser sah in die kleine Runde, die heute mit ihm zu Abend aß, und versuchte ein Lächeln: „Zumindest haben wir nun das Geheimnis gelöst, wie die Todesser es schafften, in unsere ach-so-geschützte Schule einzudringen."

Er schüttelte den Kopf und fuhr mit müder Stimme fort: „Nach dem Gespräch, das Professor McGonagall mit den, nun, sagen wir, verdächtigen Schülern geführt hat und in welchem sie unter anderem die Herren Malfoy, Crabbe und Goyle der Schule verwies, verließen diese ihr Büro. Sie sollten packen und sich am Abend vor dem Schlosstor einfinden, um ihren Heimweg anzutreten. Aber als sie zurück in ihren Turm gingen, war bereits alles vorbereitet. Die Todesser hatten darauf spekuliert, dass ihre Kinder von der Schule verwiesen würden und bereits am Anfang des Schuljahres einen perfekten Plan ausgearbeitet."

Dumbledore holte tief Luft. Alle sahen ihm an, wie schwer das für ihn war.

„In ihrem Zimmer im Slytherin-Turm hatten die betreffenden Schüler bereits ein Gift, das sie unmittelbar nach ihrer Rückkehr dorthin einnahmen. Die Wirkung setzte etwa eine halbe Stunde nach Einnahme ein. Vincent Crabbe und Gregory Doyle starben am Abend des zweiten Schultages in ihrem Schlafsaal. Einige andere, eingeweihte Schüler, genauer Draco Malfoy, Malcolm Baddock, Millicent Bulstrode und Pansy Parkinson, haben die leblosen Körper weggeschafft, bevor sie sich selbst mit zwei verhexten Umhängen, die sie als die verstorbenen Mitschüler ausgaben, auf den Weg zu den Kutschen machten. Sie sind abgereist. Mr. Goyle ist überzeugt davon, dass Mr. Malfoy ihn und Mr. Crabbe nach der Übernahme der Hogwarts-Schule durch die Todesser mit nach Hause nehmen wollte. Da der Plan offensichtlich fehlschlug, ist Goyle noch hier. Vincent Crabbe hingegen ist es nicht gelungen, als Geist hier zu verweilen."

An dieser Stelle trat oder vielmehr schwebte der Fast Kopflose Nick nach vorn und erklärte mit versteinerter Miene: „Nach dem Tod muss der Geist beziehungsweise die Seele, die den Körper verlässt, den starken Wunsch verspüren, weiterhin auf der Erde zu bleiben. Selbiges gelingt durch hartnäckiges Verweigern des nächsten Schrittes. Es kommt niemand, um einen abzuholen. Man geht nur einfach nicht." Er senkte leicht den Kopf und schwebte wieder hinter Dumbledore.

Harry hatte während Sir Nicolas sprach, zu Sirius gesehen, der neben Remus hockte und aufmerksam zuhörte. Seine Augen waren aufgerissen und auf den Geist gerichtet und Harry hätte wetten können, dass er über seinen eigenen Fast-Tod oder was es auch immer gewesen war nachdachte.

„Mr. Goyle verharrte also hier an der Schule, doch Mr. Crabbe gelang dies nicht. Er widerstand dem Drängen nicht und ging … wohin auch immer. So war Mr. Goyle allein und seitdem treibt er sich hier an der Schule herum. Keiner, bis auf den Baron von Darrington, hat bisher von seiner Existenz gewusst."

Um das aufkeimende Gemurmel zu ersticken, hob Dumbledore gleich die Arme: „Ich habe entsprechende Maßnahmen getroffen und den Baron gebannt."

„Gebannt?" flüsterte Harry fragend und Hermine machte ihre „Sei-ruhig!-Ich-erkläre-es-dir-später-Geste".

„Was ich noch von Mr. Goyle erfahren konnte, ist Folgendes: In den Sommerferien entwickelten die Todesser, allen voran Lucius Malfoy, diesen Plan und weihten die Kinder ein. Die treibende Kraft hinter der Entscheidung von Mr. Goyle und Mr. Crabbe dürfte Draco Malfoy gewesen sein, der ihnen am Ende der Sommerferien eröffnete, dass er offiziell in den Kreis um Voldemort aufgenommen wurde."

„Das heißt, er trägt das Mal!" sagte Harry tonlos und Ron nickte wie hypnotisiert.

„Es gibt einen Zauberspruch, mit dem man solche Abdrücke als Signale nutzen kann. Filius?"

Dumbledore trat zur Seite und Professor Flitwick hüpfte auf einen Tritt, um von allen gesehen zu werden: „Meine Herrschaften, der Enfluius-Zauber deckt versteckte Dinge auf. Man braucht an dem Ort, den man finden oder wieder finden möchte, einen Abdruck. Dieser kann alles Mögliche als Grundlage haben und eben auch die Geister eines verstorbenen Menschen. Man spricht eine Reihe von Formeln, die die Wirkung der bestehenden Sicherheitszauber aufheben und die bewirken, dass der Abdruck ein Signal aussendet, so dass der enttarnte Ort gefunden werden kann."

Flitwick räusperte sich noch einmal und machte dann Dumbledore Platz.

„Und genau das ist an dieser Schule geschehen. Bisher gab es den Fidelius-Zauber an dieser Schule noch nicht. Es wurde kein Geheimnis in einer lebenden Seele verborgen, sondern es wurden Gegebenheiten verhext und verändert. Doch unsere Zauber konnten mit Hilfe eines Geistes gebrochen werden, so dass ich beschlossen habe, Hogwarts unter den Schutz des Fidelius-Zaubers zu stellen. Um diesen Zauber zu brechen gibt es nur das Mittel des Verrats."

Es herrschte angespannte Stille und Harry fragte sich, ob sich allen der Gedanke aufdrängt, der ihn gerade erfasste. Zumindest und natürlich Remus und Sirius.

„Dies wird vielleicht auch einige Eltern überzeugen, ihre Schüler zurück zu schicken." fügte Dumbledore hinzu, bevor er sich setzte.

Harry musste daran denken, wie sehr es seinen Schulleiter treffen musste, wenn die Schüler seiner Schule wegblieben, da er sie nicht genug hatte schützen können und er empfand tiefes Mitleid.

Sie schwiegen noch immer und erst als Dumbledore nach seinem Glas griff, trauten sie sich weiter zu essen. Wenigstens einige aßen.

„Halt mich nicht für pietätlos oder so!" sagte Ron zu Harry, während er sich ein Brot schmierte, „Erstens kenne ich das Wort. Das sollte man mir hoch anrechnen. Und außerdem haben wir alle nichts davon, wenn mein Magen knurrt. Dann ist es nämlich auch nicht richtig."

Harry nickte benommen und kaute an seiner Birne herum. Sirius war offensichtlich der Appetit vergangen, denn er erhob sich bald und ging. Harry wartete nur noch auf Ron, Hermine und Ginny und ging dann mit ihnen in den Turm. Ärgerlicherweise gingen die Mädchen gleich ins Bett. Nur Sirius fläzte sich vor dem Kamin, alle pelzigen Viere in die Luft gestreckt und recht entspannt hechelnd. Als Harry und Ron hereinkamen, verwandelte er sich und setzte sich mit einem verlegenen Grinsen zu ihnen auf die Couch.

„Es ist immer ganz angenehm als Hund. Eine Art Flucht!" sagte er entschuldigend.

„Also, was sagen wir jetzt dazu?" wollte Harry wissen, der absolut keine Worte zu diesem Thema fand.

Ron zuckte mit den Schultern: „Ich bin fassungslos!"

Nach einer Weile beklemmendem Schweigen wandte sich Harry an Sirius: „Was meinte Dumbledore, als er sagte, er habe den Blutigen Baron gebannt? Wie geht das?"

„Das ist die einzige Art, Geister im Zaun zu halten. Wisst ihr, das Tragische ist, dass man einen Geist nicht los wird, es sei denn, es ist ein Poltergeist. Die Geschichte kennt ihr ja mit dem so lange Herumspuken, bis man seine Aufgabe erfüllt oder seine Sachen erledigt hat. Braucht meistens die Hilfe von Lebenden und so weiter. Aber richtige Geister wie der Baron oder Nick, die sind für immer und ewig hier, wenn sich nicht irgendeine Über-Macht dazu erbarmt, sie weg zu holen. Sie haben einmal den Schritt verweigert und haben so ihre einzige Chance vertan. Die einzige Möglichkeit, sie irgendwie zu bändigen, ist sie zu bannen und das funktioniert nach der altmodischen Flaschengeist-Methode."

„Was, echt?" fragte Ron, „Flasche auf, Geist rein, Korken drauf und Ende der Geschichte?"

„So ziemlich. Vielleicht hat Dumbledore ihn auch in irgendein anderes Gefäß gesperrt oder in ein Zimmer gebannt. Keine Ahnung."

„Na, " meinte Harry und stand auf, „Dann können wir morgen wenigstens vor Hermine angeben, dass wir wissen, wie das funktioniert. Immerhin etwas. Ich gehe jetzt schlafen!"

„Ich auch!" Ron stand auf und Sirius tat es ihm nach: „Ich schlafe in Deans Bett, O.K.?"

„Noch ist er nicht zurück und bei Hagrid hast du ja nur ein Körbchen!" sagte Harry zustimmend.

„Ja, und Remus sieht mich auch nicht mehr allzu gern in seinem Schlafzimmer!" Sirius seufzte theatralisch und hob die Arme, „Das war auch schon einmal anders!"

„Spinner!" sagten Harry und Ron freundlich und machten sich auf den Weg in den Schlafsaal, gefolgt von einem leise vor sich hinschimpfenden Sirius.