Hogwarts 4 – kleine Siege
„Diese Uhr schlägt nie die richtige Stunde! Ihr geht einfach durch und der Stier ist auf der anderen Seite." (der Schädel aus „Das letzte Einhorn")
Vor Gericht
Sie hatten jeden Tag Verteidigung gegen die Dunklen Künste. Irgendwann kam es Harry vor, als täte er den ganzen Tag nichts anderes, als Flüche abzuwehren, sich zu ducken und seine Mitschüler zu koordinieren. Meta hämmerte am Vormittag Fakten und Sprüche in ihre armen Köpfe hinein und am Nachmittag hetzte sie die Klassen über das Gelände. Jeden Tag landeten mindestens fünf Schüler bei Madam Pomfrey im Krankenflügel, da manche Zauber ihre Wirkung nicht verlieren wollten oder aufgrund einer falschen oder zu heftigen Anwendung für anhaltende Schmerzen sorgten. Früher hatte die Schulkrankenschwester immer mit ihnen geschimpft, doch jetzt stopfte sie ihre Patienten mit harten Medikamenten voll und schickte sie nach einer Nacht im Krankenflügel wieder in die Schule.
Der wechselnde Küchendienst, den die Schüler unter sich aufteilten, hatte zur Folge, dass es recht merkwürdiges, nicht immer genießbares Essen gab. Das und der Stress zehrten an den Nerven, doch keiner wollte einknicken und der Erste sein, der schrie.
Da mittlerweile keiner mehr einen Besen hatte und die Erlaubnis für das Freizeit-Zaubern für alle 16-jährigen wieder aufgehoben wurde, waren alle komplett aus dem Häuschen, als Seamus sie nach draußen auf den Rasen jagte und ihnen einen Muggelfußball vor die Nase setzte. Sie spielten, als ginge es um ihr Leben und das, obwohl keiner so recht die Regeln verstanden hatte. Abgesehen natürlich von den Muggelgeborenen und Ginny, die sich ganz fantastisch schlug. Neville holte sich mit Freuden eine blutige Nase, wenn er im Gegenzug dazu seine Wut an einem harmlosen Stück Leder auslassen konnte.
Madam Hooch beaufsichtigte sie und bei dieser Gelegenheit bekam Harry auch wieder einmal Remus zu Gesicht. Dieser war nun fast ununterbrochen in London, da er dem Orden wesentlich mehr helfen konnte als den Schülern an der Schule. Außerdem sorgte er tatsächlich besonders unter den jüngeren Schülern für Aufregung und ängstliches Zusammenzucken, weswegen Meta sie regelmäßig zusammenstauchte. Sie selbst pendelte ständig zwischen dem Grimauldplatz und Hogwarts hin und her und kümmerte sich in Remus´ Abwesenheit um Sirius, welcher nur noch in seiner Hundegestalt in ihrem Büro lag. Nach Hagrids Weggang gab es für seinen Hund keinen Grund mehr in der Schule herum zu laufen, doch Sirius konnte sich nicht überwinden zurück nach London zu gehen. Er hatte Harry gegenüber erwähnt, dass er zuviel Angst davor hatte, in einer Depression zu versinken und spontan zum Glas zu greifen, wenn Remus nicht in der Nähe war, um ihn zu beschäftigen.
Harry sah ihn, dafür, dass sie beide an der Schule waren, vergleichsweise selten, da sein Tagesablauf geradezu voll gestopft war. Wenn er keinen Unterricht hatte, trainierte er mit Jakob und mittlerweile hatten sich Hermine, Ron, Ginny und auch Neville großmütig und aufopfernd dazu bereit erklärt, seine Versuchskaninchen zu sein. Sie ließen sich von ihm herumscheuchen ohne zu widersprechen. Dumbledore, der anfangs eher dagegen gewesen war, gab, nachdem er einmal zugesehen hatte, schweren Herzens sein Einverständnis.
Wahrscheinlich hatte ihn auch Rons „Wir-müssen-alle-Opfer-bringen-Rede" während eines Abendessens überzeugt.
Es war, als wären Harry, Hermine, Ron und Ginny der absolute Mittelpunkt der Schule. Meta stellte einmal lachend fest, dass die vier mehr Autorität hätten als sie selbst, doch sie hatte damit tatsächlich Recht. Als die Haustische abgeschafft wurden, gruppierten sich alle automatisch um die vier Freunde herum und keiner der Schüler traute sich irgendetwas zu unternehmen, beispielsweise einen Besuch auf dem Astronomie-Turm oder eine kleine Teestunde bei Professor Trelawney, ohne nicht vorher Hermine gefragt zu haben. Diese setzte sich besonders für die Integration der verbleibenden Slytherinschüler ein, während Ron derjenige war, der sie alle ab und an auf den Boden der Tatsachen zurückholte, wenn jemand doch mal drohte, überzuschnappen. Ginny war die Trösterin vom Dienst und Harry wurde von allen ständig mit schlichten, dankbaren Blicken bedacht, als wüssten sie Bescheid. Er tat wenig im Vergleich zu seinen Freunden, hatte aber sofort die ungeteilte Aufmerksamkeit, wenn er bei Tisch einmal den Mund aufmachte.
Das Verhältnis von ihm und Ron zu ihren Zimmergenossen hatte sich noch mehr gefestigt und Harry fragte sich schon, wie er je hatte friedlich ins Bett gehen können, ohne einmal „Gute Nacht, Ron, Dean, Neville, Seamus!" zu rufen.
Er arbeitete hart und verbissen und Jakob, der ihn früher noch manchmal zurückgehalten und beruhigt hatte, trieb ihn nun an. Harry erreichte jeden Tag eine neue Grenze, die er am nächsten Tag gleich wieder überschritt und er war sich sicher, dass kein Mensch der Welt je so starke Kopfschmerzen verspürt hatte. Doch er hielt durch.
Alle hielten durch.
Es war, als hielten sich alle noch solange aufrecht, bis es endlich so weit war, doch da keiner wusste, WANN es so weit war, keimte ganz langsam eine leichte Verzweiflung auf. Diese wurde immer kräftig geschürt vom Tagespropheten, der praktisch nur mehr das Sprachrohr des Ministeriums war. Alle neuen Verordnungen, Warnungen und die offiziellen Verräterlisten wurden durch die Redaktion dieses Blattes bekannt gegeben. Auf den Listen fanden sich zahlreiche Namen, die die Schüler kannten, doch der Tag, an dem Draco Malfoys Name auf der Liste erschien, blieb allen als ein erschütternder und beinahe schmerzhafter in Erinnerung. Es gab extra Seiten für Nachrufe, die immer länger wurden. Auch Muggel wurden dort aufgeführt und Hermine stellte fest, dass sie Schwester ihres Vaters, die sich so stur geweigert hatte, zu fliehen, unter die Zahl der Opfer geriet. Sie weinte einen Abend um sie.
Für wesentlich mehr Aufruhr sorgten die Listen mit den verdächtigen Personen. Laut Dumbledore war es für manche Leute einfacher, zu hetzen und anzuklagen, statt sich mit sinnvoller Überwachung und Auslese zu befassen. Fudge war so jemand. Er hatte sich für die Taktik entschieden, jeden auffällig gewordenen Zauberer der Öffentlichkeit preiszugeben, was dazu führte, dass mehrere unschuldige Leute bedroht und angegriffen wurden. Selten kam es sogar zu Todesfällen. Ab jetzt hieß es „Angriff ist die beste Verteidigung!"
Es dauerte nicht lange und der Name „Remus Lupin" erschien auf der Liste der Verdächtigen, da er sich angeblich nicht oft genug beim Ministerium gemeldet hatte. Sie nannten ihn einen „gefährlichen Werwolf" und von dem Tag an sahen sie Remus gar nicht mehr an der Schule. Er befand sich in einer ähnlichen Situation wie Sirius und das führte die Freunde, die sich ebenfalls wenig gesehen hatten, wieder zusammen. Sie versteckten sich im Fuchsbau, der für die Welt völlig von der Landkarte verschwunden war.
Harry lebte manchmal nur für die kurze Stunde, die er von Dumbledores Büro aus in das Haus der Weasleys flohen konnte, um sich ein bisschen mit den beiden zu unterhalten.
Natürlich gab es auch gute Nachrichten: Snape war oft unterwegs und viele seiner Stunden fielen aus. Sie erfuhren, dass er Tränke in das St.-Mungo brachte, doch allzu lange dauerte sein sozialer Einsatz nicht. Bald war es wieder Tag und Nacht an der Schule und war mürrischer als je zuvor. Grund dafür war eine Erklärung des Ministeriums, dass jeder, der das Dunkle Mal trug, und wäre er auch inzwischen hundert Jahre wieder für die gute Seite tätig und hätte bereut und biete sich als Spion an, unverzüglich festzunehmen wäre. Fünf Hexen, zurzeit des ersten Krieges leicht beeinflussbare, orientierungslose Studenten, wurden am Tag darauf verhaftet und weggesperrt. Snape wickelte einen Verband um beide Unterarme, erfand die Geschichte, er habe sich die Haut weggeätzt und lehnte Dumbledores Angebot, sich ebenfalls im Fuchsbau zu verbergen, mit einem einzigen angewiderten Schnauben ab.
Zwischendurch gab es immer wieder größere Schrecken zu verzeichnen. An einem Dienstag im frühen Februar wurde das Geschäft von Fred und George praktisch aus der Winkelgasse gesprengt und das Dunkle Mal leuchtete drei Tage über dem Schutthaufen. Das war einer der Tage, an dem Harry wieder einmal weinte, was er in letzter Zeit selten tat, doch dieser Schock saß zu tief. Die Zwillinge waren mit leichten Verletzungen davon gekommen. Gemeinsam mit ihren Brüdern arbeiteten sie jetzt nur noch für den Orden und wohnten im Fuchsbau. Angelinas Schulabbruch und ihre Aufnahme in den Orden waren die Folgen dieser Angelegenheit.
McGonagall, die sich im Hintergrund gehalten und von der sie so gut wie gar nichts mitbekommen hatten, trat nun aus dem Schatten hervor und führte die Schule, als wäre es nie anders gewesen, da Dumbledore zu oft in London und sonst wo in der Welt unterwegs war. Sie war strenger und unnachgiebiger denn je, verlangte von ihnen, was sie früher als unmöglich erachtet hätten und gleichzeitig bot sie den Schülern eine eiserne Stütze.
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Es schien ein Tag wie so viele zu sein, als Harry Ende Februar mit seinen Freunden von Jakobs Büro zurück in den Gryffindor-Turm ging. Neville hatte noch nicht sein volles Sehvermögen wieder erlangt und ließ sich von Hermine und Ginny führen, während Harry und Ron sich verbissen über Legilimentik unterhielten. Harry hatte es heute geschafft, dass Neville ihren Feind in Form eines vergrößerten Gartengnoms angegriffen hatte, was einen gewaltigen Fortschritt für die Aktion „Harry Potter rettet die Welt" und fiese Kopfschmerzen und ein paar Stunden Blindheit für Neville bedeutete.
Sie standen gerade vor dem Portaitloch und wollten hineingehen, als Meta heran eilte. Harry sah erfreut auf, da dies nur bedeuten konnte, dass er für ein Stündchen in den Fuchsbau konnte. Lediglich aus diesem Grund suchte Meta ihn abends noch auf. Kam sie vormittags vorbei, egal, in welcher Klasse er sich gerade befand, wollte Dumbledore mit ihm sprechen. Kam sie mittags, wollte sie wissen, wie es ihm ging. Und nachmittags bedeuteten ihre Besuche immer, dass Jakob Zeit für ein weiteres Training hatte.
„Nicht ganz, dass, was du erwartest, Harry!" sagte sie mit merkwürdig angespannter Stimme. Meta war diejenige, die noch am besten mit der ganzen Situation klar kam. Genauer gesagt sah sie aus, als ließe sie das alles völlig kalt, was sie damit erklärte, dass sie beinahe doppelt so viel Zeit wie alle anderen hatte, nachzudenken und heimlich zu weinen. Sie jetzt so aufgewühlt zu sehen, alarmierte Harry sofort.
„Es ist nichts Schlimmes!" versicherte Meta, als hätte sie seine Gedanken gelesen, „Es ist … O.K., ganz ruhig! Wir sollen ins Ministerium! Wir alle! Sirius´ Verhandlung steht an!"
„Endlich!" stieß Hermine hervor. Meta nickte und knete ihre Finger: „Geht jetzt nicht zu den anderen. Die brauchen euch gar nicht zu sehen. Folgt mir!"
Sie hasteten hinter ihr her durch die Gänge zu Dumbledores Büro. Harry klebte praktisch an Metas Seite.
„Sie haben vor fünf Minuten Bescheid gegeben. Irgendein Termin ist ausgefallen und Fudge fühlt sich wohl endlich stark genug, das Ganze anzugehen. Dumbledore ist gerade bei ihm. Wir sollen in den Fuchsbau und Sirius und Remus holen."
„Wer wird verhört?" fragte Harry atemlos.
„Du, Sirius, Remus, Ron, Hermine, Dumbledore, Snape, wahrscheinlich Ginny und Molly Weasley. Ich vielleicht auch. Das wird alles ganz schön hässlich und nervenaufreibend!" Meta fuhr sich durch die Haare und atmete tief.
„Was ist mit mir?" erklang da eine unsichere Stimme hinter ihnen.
„Oh, Neville! Verdammt!" Meta wirbelte herum, „Ach, weißt du was? Du kommst mit! Du bist der Sohn von … naja, vielleicht freuen sie sich, dich zu sehen, diese kranken Bastarde! Entschuldigt! Aber vielleicht wollen sie ja noch jemanden befragen, der erst vor kurzem von den Ereignissen erfahren hat. Außerdem schadet es nicht, noch mehr positive Meinungen über Sirius zum Besten zu geben!"
„Oh, ich finde ihn ziemlich cool!" versicherte Neville.
„Bestens!" Meta nannte dem Wasserspeier das Passwort und scheuchte sie die Treppen hoch. Dumbledores Kamin war der Einzige, der noch in Betrieb war.
Sie flohten zum Fuchsbau und trafen Sirius, Remus, Fred, George und Angelina in der Küche bei einem schweigsamen Essen. Das einst so gemütliche Haus der Familie Weasley wirkte sehr düster und verstaubt. Mr. und Mrs. Weasley waren komplett in den Grimauldplatz umgezogen und hatten einiges an Möbeln und Küchengeräten mitgenommen, da die Sachen der Blacks manchmal noch recht bissig und angriffslustig reagierten. Hier war offensichtlich schon länger nicht mehr geputzt worden und alle Fenster waren vernagelt. Durch die Ritzen schimmerte fahles Licht, in dem Staubflocken tanzten.
Sirius sprang sofort auf und schloss Harry in die Arme.
„Es geht los!" sagte Meta und klang noch atemloser, als Harry sich fühlte, „Das Ministerium ist bereit, uns zu verhören! Dich, Sirius!" Sirius´ Arme fielen von Harrys Schultern: „Jetzt? Sofort?"
Auf Metas Nicken hin, stürmte Remus nach oben und Sirius folgte ihm in einem Anfall von Schüchternheit, nachdem er ihn bestimmt gerufen hatte.
„Kleiner Snack gefällig?" fragte George und verteilte Spießchen mit Würstchen, Käse und Weintrauben.
„Ich wünsche euch viel Glück!" sagte Angelina herzlich. Mittlerweile wusste sie über alles Bescheid. Harry konnte nur nicken. Sein Hals war wie zugeschnürt. Und plötzlich überkam ihn eine wahnsinnige Angst. Er wollte nach oben rennen und Sirius …versteinern oder unsichtbar zaubern und einsperren. Alles, um zu verhindern, dass er dieses Haus verließ. Was, wenn es nur eine Falle war? Was, wenn sie ihn töteten oder ihm Dementoren auf den Hals hetzten, sobald er das Gebäude betrat?
„Es ist keine Falle, Harry! Es findet endlich wirklich statt!" sagte jemand sanft in seinem Rücken. Dumbledore tat aus dem Kamin und legte eine Hand auf Harrys Schulter, „Seid ihr fertig?"
„Gleich!" kam es von oben und keine Minute später kamen Remus und Sirius die Stufen herunter gepoltert. Beide trugen ordentliche Umhänge im Gegensatz zu ihren vorherigen Hausanzügen. Sirius sah aus, als hätte Remus ihn einer brutalen Rasur und Frisurerneuerung unterzogen und er hielt ein dickes Notizbuch in der Händen.
„Bereit, Albus!" sagte er rau und sah aus, als meinte er es tatsächlich so.
„Wir feiern, wenn ihr zurück seid!" konnte Harry Fred noch rufen hören, bevor er im Wirbel des Flohfeuers davon flog.
Harry hätte nicht sagen können, wie er sich fühlte, wenn ihn jemand gefragt hätte. Neben Sirius in der Telefonzelle zu stehen und in das Zaubereiministerium hinab zu fahren war schlicht und ergreifend das Unbeschreiblichste, was ihm je passiert war und das bei allem, was ihm passiert war.
Sirius knetete unablässig seine Hände und bestätigte so Harrys Vermutung, dass er unglaublich nervös war. Remus war nicht mehr nur blass, sondern schneeweiß und Ron regelrecht grau im Gesicht. Neville sah recht interessiert aus und Snape wie immer genervt. Es ruckelte. Harry hielt sich an der Wand fest. Sein Blick wanderte über seine eigene und dann über Sirius´ Jacke.
„Harry Potter" beziehungsweise „Sirius Black" stand da auf den Plaketten und „Versuch der Rehabilitierung von Sirius Black, der verdammt noch mal absolut unschuldig in dieses verrottete Gefängnis gesteckt wurde". Dumbeldore und Sirius hatten sich hier unverkennbar zusammengetan. Harry musste lächeln.
Sirius räusperte sich und richtete einen vollkommen entnervten Blick zur Decke der Telefonzelle. Remus´ düsterer Blick war auf Sirius gerichtet, als würde er seinen Anblick in sich aufsaugen für den Fall, dass er ihn dort unten verlieren und nie mehr wieder sehen würde.
Endlich, nach Jahrhunderten wie es Harry schien, kam die Telefonzelle zum Stehen. Unten warteten Hermine, Meta, Ginny, Professor McGonagall und Mrs. Weasley. Ihre Plaketten waren offizieller formuliert, was Harry zu der Annahme brachte, dass sie von Hermine stammten. „Wiederaufnahme der Verhandlung gegen Sirius A. Black".
„Von wegen Wiederaufnahme!" brummte Sirius, „Ich hatte nie eine Verhandlung."
Sie stiegen nacheinander aus. Harry stellte sich leicht schwankend neben Hermine und Ginny. Ron trat zu ihnen und vervollständigte den Kreis.
Sirius trat aus der Telefonzelle und zog den Kopf ein, als erwartete er eine Katastrophe. Diese allerdings ereignete sich, als Remus einen Fuß in den Flur setzte. Sofort brach ein ohrenbetäubendes Jaulen und Kreischen los und wenn Harry und die anderen gehofft hatten, die Gerichtsräume in der Mysteriumsabteilung zu erreichen, ohne die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wurden sie jetzt enttäuscht.
Snape verzog das Gesicht und öffnete den Mund um, wie Harry glaubte, zu sagen, dass er ja gewusst hatte, dass der Werwolf Schwierigkeiten machen würde. Harry selbst sah eher Dumbledore aufgebracht an, da dieser versichert hatte, sie wären angekündigt. Beiden blieb jedes Wort ihm Hals stecken, als Remus in die Luft gehoben und mit einer kaum fassbaren, wohl gemerkt unsichtbaren Kraft an die nächstgelegene Wand geschleudert wurde.
Meta schrie auf. Sirius fluchte und Dumbledore hielt ihn mit eisernem Griff fest, damit er nicht zu seinem Freund rannte und damit Angriffe der Zauberer provozierte, die sich gerade in der Eingangshalle aufhielten und die nun ausnahmslos zu ihnen herüber starrten.
Der Lärm flaute ab.
Meta und Professor McGonagall hatten Remus schon fast erreicht und auch Harry konnte sich gerade wieder aus seiner Starre lösen, da erschien um Remus herum ein Käfig mit dicken, hellen Stangen. Remus, der gerade mitten in einer Bewegung zur Flucht war, prallte mit einem entsetzten Aufschrei zurück. Er drohte, das Gleichgewicht zu verlieren, doch er kämpfte verzweifelt darum, die Stäbe weder zu berühren, noch ihnen zu nahe zu kommen. Meta hatte den Käfig erreicht und umfasste automatisch die Gitterstäbe.
„Hol mich hier raus!" stieß Remus mit gepresster, panischer Stimme hervor, „Das ist Silber, verdammt!"
„WAS?"
Endlich war Harry heran: „Was soll das?"
„Der Werwolf-Alarm!" erscholl eine Stimme vom Empfang.
„Entschuldigt die dumme Frage!"
„Keiner bewegt sich!"
Remus lachte bitter auf: „Wie auch?"
„Wer ist da eben angekommen?"
„Albus Dumbledore mit einigen Freunden!" Dumbledore schob sich energisch und eindrucksvoll nach vorne, „Und jetzt lassen Sie meinen Lehrer frei!"
Keine Antwort. Dann kam eine Gruppe von schwarz gekleideten, großen, auf beängstigende Weise selbstsicher wirkenden Menschen auf sie zu.
Harry erschauderte. Er mochte sie gar nicht „Menschen" nennen. Viel eher waren es Wesen. Fremde Wesen, deren Grausamkeit und Kälte er meinte körperlich fühlen zu können, obwohl sie äußerlich einfach wunderschön und makellos aussahen.
„Wer sind die?" wisperte Ginny.
„Elben." sagte McGonagall grimmig und Harry und seine Freunde starrten sie an.
„Elben?" wiederholte Hermine, „Ich wusste gar nicht, dass die wiedergekommen sind!"
„Du, vielleicht waren die gar nicht weg!" sagte Ron mit merkwürdiger Stimme und als sie zu ihm sahen, machte er einen abwesenden, komplett verwirrten Eindruck. „Was?" fragte er gleich darauf und Harry wandte sich wieder den Elben zu: „Und was wollen die?"
Auch diese Frage Harrys erübrigte sich im nächsten Moment, als die Elben in vollkommen aufeinander abgestimmter Präzision ihre Waffen zogen. Sie richteten lange, geschwungene, schwarze Bögen in die sie dunkle, glänzende Pfeile spannten auf Harry und seine Freunde.
„Dumbledore?" ertönte da eine Stimme, „Sind Sie das?" Harry wollte es gar nicht zugeben, doch zum ersten Mal war er erleichtert Cornelius Fudge zu hören und ihn kurz darauf den Gang entlang watscheln zu sehen.
„Cornelius!" Dumbledore schritt ihm entgegen und mimte Freundlichkeit.
„Sie sind angemeldet! Schon gut!" fauchte Fudge den Elbenkriegern zu, wagte jedoch nicht, sich ihnen zu nähern. Diese ließen ihre Bögen angespannt, doch ihre Arme sanken.
Harry konnte einem von ihnen direkt in die Augen sehen, als er seinen Blick schweifen ließ. Seine Augen waren pechschwarz und sahen aus, wie der runde, schmale Eingang zu einer düsteren, tiefen Höhle. Harry konnte nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Genau gesagt, wusste er gar nicht, ob es das bei dieser Spezies überhaupt gab. Was ihn auch interessierte, war die Antwort auf die Frage, warum sie diese Wesen noch nie im Unterricht behandelt hatten.
Fudge sprach mit Dumbledore, Sirius tatsächlich mit Snape, obwohl keiner der beiden besonders glücklich darüber schien.
Harry sah zu Remus. Er stand kraftlos zitternd und mit verschränkten Armen in dem Käfig. Die Lippen hatte er fest aufeinander gepresst und Harry war sich sicher, dass er mühsam seine Tränen unterdrückte. Ihm selbst wurde ganz schlecht wegen dieser offenen Demütigung, die Remus erlitt.
McGonagall und Meta redeten auf ihn, wobei Meta wahrscheinlich keine große Hilfe war, da sie ziemlich doll heulte.
„Wo ist er?" fragte Fudge laut und atemlos. Dumbledore wies nach hinten und das war das Zeichen für Sirius, sich aus der Gruppe zu lösen. Er hatte den Kopf leicht gesenkt, doch sein Blick war fest auf Fudge gerichtet.
„Desillusionieren!" keuchte dieser, „Und dann folgen Sie mir!"
Snape machte einen Schritt nach vorne, desillusionierte Sirius mit einem Schwung seines Zauberstabes und schritt dann energisch hinter Dumbledore her.
Ginny, Hermine, Ron und Neville, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, folgten ihm unsicher. Harry sah wieder zu Remus. Dieser biss die Lippen noch fester zusammen und machte eine winkende Armbewegung in Harrys Richtung: „Beweg dich! Los! Ich komm nach … denke ich."
Meta schluchzte, wischte sich über die Augen und drehte sich zu Harry um: „Geh, Harry, und bring das in Ordnung, O.K.? Ich bleibe hier!"
„Aber Sie müssen ebenfalls in den Zeugenstand, Meta!" protestierte McGonagall.
„Holt mich, wenn es soweit ist!" sagte Meta kurz und wandte sich wieder Remus zu. McGonagall tätschelte ihre Schulter und ging dann zu Harry: „Kommen Sie, Potter!"
Harry ließ sich von ihr wegführen. Er hörte noch, wie in der Eingangshalle ein Tumult losbrach. Etliche Vergiss-michs rannten an ihnen vorbei, offenbar, um alle Erinnerungen an Sirius Blacks Erscheinen zu löschen. Die Elben waren verschwunden. Er musste Remus in diesem Käfig zurücklassen.
Harry kam in eine Art Vorraum, in dem auch Hermine, Ginny, Ron, Neville und Mrs. Weasley warteten. Letztere nahm Harrys erst einmal in den Arm, bevor sie ihn auf einen Stuhl drückte.
„Wo ist Sirius?" würgte Harry hervor.
„Im Gerichtssaal. Wieder sichtbar und Dumbledore ist immer an seiner Seite." sagte Hermine schnell. Harry nickte: „Und jetzt warten wir?"
„Ja, jetzt warten wir!"
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Stunden später betrat Harry den Gerichtssaal und hoffte, dass man ihm nicht ansehen würde, wie schlecht ihm war. Sein Blick suchte Sirius und fand ihn sofort.
Sein Pate saß von leuchtenden Ketten gehalten und von drei Elbenkriegern, die schmale Schwerter auf seinen Hals richteten, umringt auf einem Stuhl an der linken Seite. Er sah völlig fertig aus. Sein Blick war verschwommen und seine Lippen blutleer.
Harry riss sich zusammen und schritt möglichst aufrecht den Gang zwischen den alten morschen Bänken hindurch auf das Richterpult zu. Fudge hielt den Vorsitz.
Die Damen und Herren zu seinen Seiten kannte Harry nicht und er machte sich auch nicht die Mühe, die giftgrünen Namensschildchen auf ihren Pulten zu lesen.
Harry gab sich Mühe, Fudges misstrauischem Blick standzuhalten. Er wandte den Blick erst ab, als er Sirius´ Höhe erreicht hatte. Er sah ihn einmal warm lächelnd an, doch Sirius reagierte nicht. Einzig Dumbledore, der neben Sirius saß und den auf seinen Hals gerichteten Elbendolch höflich ignorierte, erwiderte Harrys Geste und zwinkerte ihm zu.
„Das wird schon! Du wirst es gut machen! Bleib einfach locker!" sagte er in Harrys Kopf und Harry nickte.
„Würden Sie das bitte unterlassen!" sagte einer der Herren, einer mit einem langen Pferdegesicht und ebensolchen Schneidezähnen, forsch und Harry erschrak etwas.
„Verzeihung! Natürlich!" sagte Dumbledore unbeschwert und lehnte sich gemütlich zurück. Harry nickte zum Gruß einmal und nahm, Fudges Aufforderung folgend, Platz.
„Nenne sie uns Ihren vollständigen Namen!"
Harry holte tief Luft. Dann konnte es also beginnen.
„Harry James Potter." Irrationaler Weise fragte er sich in diesem Moment, warum er eigentlich James´ Namen bekommen hatte. Das mutete doch irgendwie arrogant an. Er würde Sirius einmal danach fragen. Das hieß, wenn sie ihn gehen ließen.
„Geben Sie Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort und Ihren Wohnort an!"
„Mein Geburtstag ist der 31. Juli 1981 und ich wurde im St.-Mungo-Hospital in London geboren. Ich wohne an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei."
Fudge lächelte milde: „Ich meinte nicht den derzeitigen Aufenthaltsort, sondern Ihr … nun Zuhause."
„Das wäre Hogwarts."
„Wo wohnen Sie außerhalb der Schulzeit?" fragte Fudge strenger und offenbar nicht gewillt, sich mit Harry auf irgendwelche Diskussionen einzulassen.
„Bei Familie Dursley im Ligusterweg Nr.4 in Little Whinging, Surrey."
Fudge nickte zufrieden und fuhr dann in atemberaubender Geschwindigkeit mit der Befragung fort. Die Fragen prasselten wie Pistolenschüsse auf Harry nieder. Er hatte kaum Zeit, nachzudenken oder Luft zu holen.
„Sehen Sie den Angeklagten dort?" Er deutete ruckartig auf Sirius.
Harry nickte: „Ja."
„Erkennen Sie ihn als Sirius Black?"
„Ja!" Harry wurde leicht misstrauisch.
„Hatten Sie während der letzten drei Jahre regelmäßigen Kontakt zu dem Angeklagten?"
„Naja …"
„Also nein?"
„Nicht regelmäßig, aber …"
„Warum nicht?"
„Weil er sich verstecken musste. Weil er auf der Flucht war."
„Vor wem?"
„Vor Ihnen."
„Sie meinen vor dem Ministerium!"
„Ja."
„Aha!" Fuge notierte sich nickend etwas auf einem Zettel und Harry hatte das ungute Gefühl, etwas gesagt zu haben, das ihn zufrieden stellte und das hatte er doch um jeden Preis vermeiden wollen. Harry musste sich ordentlich zusammen reißen, um nicht nervös zu Dumbledore hinzusehen.
Da sah Fudge wieder zu ihm: „Was haben Sie vor drei Jahren, als dieser aus dem Gefängnis ausgebrochen war, über den Angeklagten erfahren?"
Harry überlegte.
„Sprechen Sie!" drängte Fudge.
„Ähm … man hatte mir gesagt, dass er ein gefährlicher Mörder wäre, der aus Askaban ausgebrochen ist, was zuvor noch niemandem gelungen ist."
„Haben Sie sich von ihm bedroht gefühlt?"
„Ein bisschen."
„Nur ein bisschen?"
„Im Hinblick auf die Tatsache, dass Lord Voldemort unerbittlich nach meinem Leben trachtet, habe ich mich damals vor Sirius lediglich ein bisschen gefürchtet."
Fudge starte Harry an, als hätte er seine Zunge verschluckt. Die gesamte Richterschaft zu seinen Seiten keuchte mehrmals erschrocken. Doch Fudge, ganz der verantwortliche Vorsitzende, sah sich schnell wieder in der Lage fortzufahren: „Sie mussten bald annehmen, dass der Angeklagte Sie umbringen will. Wie fühlten Sie sich bei diesem Gedanken?"
„Wütend. Ich wollte nicht vor ihm weglaufen, sondern …" Gerade, als Harry bemerkte, dass dies vielleicht gar nicht so hilfreich wäre, horchte Fugde auf: „Sondern was?"
„Man sagte mir, er hätte meine Eltern verraten und somit getötet. Folglich wollte ICH IHN töten!" Harry sagte das sehr sachlich, doch die ihm gegenüber Sitzenden waren geschockt.
„Wie … wie wirkte der Angeklagte damals auf Sie?" schaffte Fudge zu fragen.
„Verrückt." sagte Harry, „Und verzweifelt."
„Gefährlich?" hakte Fudge begierig nach und Harry antwortete scharf: „Natürlich gefährlich. Wir dachten, er wäre ein irrer Mörder. Er war dreckig und verfilzt. Wir waren allein und hilflos und ahnungslos. Natürlich hielt ich ihn für gefährlich. Aber ich musste bald feststellen, dass er alles andere als …"
„Es kam damals ein Lehrer zu Schaden!" schnitt ihm Fudge eilig das Wort ab und wedelt mit einem Blatt Pergament, „Professor Severus Snape. Hat der Angeklagte ihn angegriffen?"
„Nein, das waren wir." sagte Harry mit mühsam verstecktem Stolz in der Stimme.
„Hat der Angeklagte Sie dabei unterstützt beziehungsweise gesteuert?"
„Nein, er sagte sogar, wir hätten das nicht tun sollen!"
„Tatsächlich?"
„Tatsächlich!" Harry blieb fest und das erschütterte Fudge in seinem System der Einschüchterung und des „den-Schüler-so-unsicher-wie-möglich-Darstellens" ganz erheblich. Er wühlt beinahe ratlos in seinen Papieren.
„Äh … Ist es korrekt, dass der Angeklagte ein Portrait in Ihrer Schule nahezu zerstört und Ihren Freunde bedroht und später verletzt hat?"
„Was tut das denn zur Sache?" wollte Harry wissen. Langsam aber sicher verlor er die Geduld, doch noch gelang es ihm einigermaßen, dies zu verbergen.
„Diese Aspekte sind wichtig, um den Charakter des Angeklagten zu beleuchten!" verkündete Fudge tugendhaft, doch Harry wusste, wie er zurückschießen konnte: „Damit Sie sich ein Bild von seinem Charakter machen können, sollten Sie außerdem wissen, dass Sirius früher, als ich noch ein kleines Kind war, mit mir gespielt hat und mich nach dem Tod meiner Eltern aufziehen wollte; dass er all die Strapazen und Gefahren der Flucht nur auf sich genommen hat, um bei mir zu sein; dass er mir zu Weihnachten und zum Geburtstag liebevolle Geschenke macht; dass er mich über die Grenzen der Vernunft hinaus beschützt und liebt und …"
„Das reicht!" bellte Fudge, da Harrys absichtlich rührselig gewählte Worte tatsächlich durchaus bei einigen der Damen der Richterschaft wirkten.
„Das reicht nicht!" rief Harry zurück, „Das reicht noch lange nicht! Sie begreifen nicht, was für ein Mensch er war und was für ein Mensch er ist! Sie dürfen sich nicht auf diesen oberflächlichen Einruck stützen, den Sie hier herausgebildet haben! Sie müssen tiefer gehen, um ihn zu verstehen! Er ist ein guter Mensch! Er ist verlässlich und stark und treu und mutig! Er ist viel zu stark, um sich jemandem wie Voldemort anzuschließen und dessen Drecksarbeit zu erledigen! Seine Stärke und sein Stolz haben ihm vielleicht manchmal Scherereien eingebracht und sichern ihm nicht automatisch jegliche Sympathien, doch sie haben ihn sein Leben lang davon abgehalten, sich den Dunklen Mächten hinzugeben! Und es ist auch nicht so, als hätte es dafür an Gelegenheiten gefehlt, aber er konnte widerstehen! Er hat …"
„Schweigen Sie!" schrie Fudge. Harry brach ab und war versucht, zu sagen, wer schrie, hätte verloren. Er biss sich auf die Zunge. Dieser elende Trottel wollte ihn daran hindern die Wahrheit zu sagen, aber das würde er verdammt noch mal nicht schaffen. Immerhin ging es um Sirius. Aber erst einmal schwieg Harry und wartete ab.
Fudge fing sich wieder und setzte zu einer neuen Fragerunde an: „Ist es wahr, dass der Angeklagte bei Ihrer Begegnung in Ihrem dritten Schuljahr Ihren Freund Ronald Weasley erheblich verletzt hat?"
„Naja, es war nicht so schlimm."
„Ist es wahr, dass er Sie bedroht hat?"
„Nein, wir hatten eben Angst vor ihm, was ja angesichts der Situation nur verständlich ist."
„Hatte der Angeklagte einen Zauberstab bei sich?"
„Nein."
„Hat er sich einen der Ihren angeeignet?"
„Ja, Rons Zauberstab."
„Hat er Sie damit angegriffen?"
„… N-nein."
„Hat er also damit einen Zauber gegen Sie ausgeführt?"
„Ja, den Entwaffnungszauber."
„Wie lange hatte der Angeklagte Ihre Zauberstäbe, bevor Sie sie ihm wieder entwenden konnten?"
„Nicht lange. Ein paar Minuten vielleicht."
„Das heißt also, er hatte genug Zeit, um einen Vernebelungszauber über Sie zu sprechen?"
„Keine Ahnung. Er hat nichts dergleichen …"
„Manche dieser Zauber wirken auch ohne ausgesprochene Formeln. Es ist also möglich, dass Sie ab diesem Augenblick unter der Kontrolle des Angeklagten standen."
„Und das bis heute? Und nicht nur ich und meine Freunde, sondern auch sämtliche Lehrer unserer Schule, etliche andere Schüler und Professor Dumbledore?"
„Das ist möglich!"
„Das ist Schwachsinn!" Harry konnte es nicht verhindern laut zu werden, „Vielleicht konzentrieren wir uns jetzt mal auf das, was wirklich passiert ist und nicht auf das, was eventuell möglich gewesen sein könnte. Ich war nämlich dabei! Ich habe es erlebt und es mir tatsächlich bis heute gemerkt! Es ist gut möglich, dass vor drei Jahren eine Horde Gartengnome unter der Führung eines Grottenolms die Hütte besetzt und uns alle betrunken gemacht hat, aber das ist nicht wirklich passiert. Also lassen Sie mich jetzt endlich erzählen, wie es war!"
„Ich stelle hier sorgfältig ausgearbeitet Fragen!" schnaubte Fugde.
„Sie stellen absolut sinnlose Fragen! Und Sie manipulieren mich mit diesen Fragen. Sie filtern die Antworten heraus, die Sie hören wollen, aber das ist nicht Sinn der Sache! Ich antworte nicht mehr auf Ihre Fragen. Ich erzähle jetzt, was wirklich passiert ist. Mein Freund Ron hatte eine Ratte …"
„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen!"
„Durchaus nicht. Aber damit muss ich anfangen, um die Geschichte so darzustellen, wie ich sie erlebt habe."
Fudge schüttelte den Kopf und beugte sich auf seinem Tisch nach vorn: „Ist es korrekt, dass der Angeklagte wortwörtlich gesagt hat, er sei schuld am Tod Ihrer Eltern?"
Harry seufzte: „Ja, denn er fühlte sich schuldig. Er hat nichts getan, dass man ihm vorwerfen könnte! Nichts Ungesetzliches, doch er lebte schon viel zu lange mit dem Gefühl, dass er seine Freunde in den sicheren Tod geführt hat!"
„Der Angeklagte war der Geheimniswahrer Ihrer Eltern. Nur er allein wusste, wo sie sich versteckt hielten und so konnte auch nur er dieses Geheimnis preisgeben. Das ist allgemein bekannt." sagte Fudge.
Harry sah ihn eine Weile mit ausdruckslosem Gesicht an. Dann lehnte er sich seinerseits etwas nach vorn und machte eine Miene, als würde er zum Angriff übergehen, was auch der Wahrheit entsprach: „Allgemein bekannt? Erachten Sie es nicht auch als paradox, dass die Identität eines Geheimniswahrers allgemein bekannt ist? Widerspricht das nicht der Logik und dem Zweck dieser Praxis?"
„Nun", gab Fudge zu, „Es war aber klar, dass es der Angeklagte sein würde, dem Ihre Eltern sich anvertrauen würden."
„Woher meinen Sie das zu wissen?" fragte Harry gewollt lauernd und ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob es diese Satzkonstruktion überhaupt gab.
„Jeder wusste es! Es war eine Tatsache, fast ein Naturgesetz. Der Angeklagte und Ihr Vater waren so gute Freunde. Es gab gar keine andere Möglichkeit."
„Wenn Sie es also zu wissen glaubten und alle anderen auch, für wie wahrscheinlich halten Sie dann die Möglichkeit, dass sie es genau deswegen nicht so gemacht haben? Wäre es nicht möglich gewesen, dass Sirius in dem Wissen, dass alle Welt sofort auf ihn als Geheimniswahrer kommen würde, meinem Vater vorschlug, jemand anderen zu nehmen? Sie reden doch so gerne von Möglichkeiten, Minister! Für wie wahrscheinlich halten Sie diese?"
Fudge war ganz blass geworden und starrte Harry sprachlos an. Er realisierte, dass er von Harry ins Verhör genommen worden war und dass der Junge ihn tatsächlich hereingelegt hatte.
„Das wäre ja …" begann der Richter mit dem Pferdegesicht.
„… genial gewesen, oder?" vollendete Harry den Satz und lehnte sich entspannt in seinen Sessel zurück.
Fudge schnaubte. Er wollte nicht, dass sein Ministerium einen Fehler zugeben musste, ungeachtet der Tatsache, dass er persönlich damals nichts damit zu tun gehabt hatte. Er plante, die Geschichte kurz zu halten und unglaubwürdig erscheinen zu lassen, doch Harrys Auftreten hatte die anderen Richter verwirrt und neugierig gemacht. Sie hingen nun förmlich an seinen Lippen.
„Dann erzähle ich Ihnen doch mal, wie es gewesen ist und ich erzähle Ihnen die Geschichte, wie ich sie erfahren habe. Ich beginne noch einmal bei Rons Ratte Krätze …"
Und Harry erzählte die Geschichte von Krätze, der Ratte, die er kennen gelernt hatte, als er Ron Weasley traf und deren Entwicklung er über drei Jahre hinweg beobachtet hatte bis zu dem Zeitpunkt, an dem Sirius Black aus Askaban ausbrach. Er schilderte Krätzes scheinbaren Niedergang und Tod und wie sie ihn wieder gefunden hatten und was sie über ihn erfahren mussten.
Aus Krätze, der Ratte, wurde Wurmschwanz, der Verräter und der Gefangene von Askaban entpuppte sich als bester Freund von Harrys Vater.
Harry betonte, wie sehr er Sirius vertraute und wie wenig er sich ein Leben ohne ihn vorstellen konnte und alle schienen ihm zu glauben.
Harry kam eine Stunde später mit seinem Bericht zu Ende und nickte noch einmal nachdrücklich.
Dumbledore und Sirius sahen ihn von der Seite mit großen Augen und unglaublich bewegten Gesichtern an. Der Richterschaft vor Harry erging es ähnlich. Sie staunten, schüttelten die Köpfe, tuschelten und rieben ich über die feuchten Augen.
Fudge saß bewegungslos in seinem Stuhl, als hätte ihn der Schlag getroffen. Dann machte er den Mund auf: „Und wissen Sie auch, wo der Fehler in Ihrer hübschen, phantasievollen Geschichte liegt, Mr. Potter?"
Einen Augenblick wollte Harry sagen „Es gibt keine Hippogreife!" und sich dann vor Lachen ausschütten, so angespannt war er. Doch er wusste, was Fudge meinte und so antwortete er: „Pettigrew ist nicht hier, um den Beweis zu erbringen."
Fudge schlug so plötzlich mit beiden Fäusten auf den Tisch, dass alle erschraken.
„Haargenau!" brüllte er heiser, „So ist es! Pettigrew ist nicht hier! Weil Pettigrew tot ist! Und ich werde eine solche Verleumdung eines Mannes, der den Orden des Merlin erster Klasse erhalten hat und der Zeit seines Lebens ein guter, unbescholtener Bürger war, nicht länger hinnehmen!" Als er aufhörte zu schreien, breitete sich ein unangenehmes, beinahe schmerzhaftes Schweigen aus.
Dann sagte Harry mühsam beherrscht: „Sie sind ja so ein verdammter Idiot! Haben Sie überhaupt zugehört! Halten Sie das alles wirklich für so unwahrscheinlich?"
„Ja!" sagte Fudge aus tiefstem Herzen, wie sie dem inbrünstigen Klang seiner Stimme entnehmen konnten. Harry biss ich auf die Lippe und schwieg. Und jetzt?
„Pettigrew ist offiziell für tot erklärt worden!" sagte einer der Richter; ein großer fleischiger Mann mit einem Walrossschnauzbart.
„Peter Pettigrew ist nicht tot und er ist ebenso wenig ein rechtschaffener Mann wie ich ein Höhlentroll!" sagte Harry fast freundlich, „Verstehen Sie doch ..."
„Alles, was ich verstehe, ist, dass Sie die absolut hirnrissige Geschichte dieses entlaufenen Irren unterstützen! Kein Wunder, dass man sich in verschiedenen Zeitungsartikeln darüber ausgelassen hat, dass Sie nicht ganz richtig im Kopf sind!" tobte Fugde.
„Sie hören sofort damit auf, meinen ..." Weiter kam Sirius nicht, denn einer der Elben hob bedrohlich sein Schwert. Dumbledore stand auf: „Herr Minister, Sie haben sich dazu bereit erklärt, uns anzuhören!"
„Aber ich habe mich nicht dazu bereit erklärt, eine solche Verleumdung hinzunehmen!" schrie Fugde.
„Das ist keine Verleumdung! Jedenfalls nicht für Pettigrew! Ich erzähle Ihnen hier nur die Wahrheit! Ich erzähle das, was ich selbst gesehen und gehört habe in dieser Nacht! Ich rede niemandem nach dem Mund und die Zeitungen haben schon lange zurückgenommen, was sie über meine angebliche Schwachsinnigkeit zu wissen glaubten, da ich verdammt noch mal mit allem Recht hatte! Wollen Sie nicht zur Abwechslung mal auf mich hören, bevor es wie immer zu spät ist!" Harry war wieder laut geworden.
„Sie sind doch beeinflusst von diesem Mörder und Ihrem Schuldirektor! Die zwingen Sie doch oder bestechen Sie oder was weiß ich!" röhrte Fudge.
„Das können Sie nicht beweisen!" hielt Harry stur dagegen.
Dumbledore, der wieder Platz genommen hatte, sagte leise, aber bestimmt: „Sie selbst haben den Einsatz von Veritaserum abgelehnt, Herr Minister! Was glauben Sie, wie Sie dastehen, wenn das herauskommt? Natürlich zusammen mit der Tatsache, dass Sie einen Zeugen als Lügner darstellen. Jeder wird glauben, Sie hätten etwas zu vertuschen!"
„Wollen Sie mir etwa drohen?" spuckte Fugde und erinnerte Harry arg an Onkel Vernon.
„So etwas in der Art!" antwortete Dumbledore, „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir, wenn Sie sich weiterhin so unkooperativ verhalten, an die Öffentlichkeit gehen! Um diese Geschichte werden sich die Redaktionen reißen; egal, ob sie stimmt oder nicht. Und Sie werden furchtbar unrühmlich dabei wegkommen."
Fugde atmete so heftig, dass Harry fürchtete, er könnte gleich explodieren.
Die ihn umgebenden Richter waren allerdings mittlerweile in einer ganz anderen Stimmung als er. Während Harrys immer glühender werdenden Rede waren ihre Blicke zögernd zu Sirius gewandert, welcher wiederum Harry anstarrte. Es war mehr als offensichtlich, dass sie nicht damit gerechnet hatten, dass diese Geschichte, zu der Fudge sie geholt hatte, derartige Ausmaße annehmen würde. Sie hatten einen debilen Verbrecher erwartet, einen verblendeten Schuldirektor und einen Haufen verwirrter, übertreibender Teenager, die sie in einer halben Stunde abhandeln konnten, um dann Abend zu essen.
„Möchten Sie nicht fortfahren, Herr Minister?" fragte Dumbledore amüsiert schmunzelnd.
„Nein, ich höre mir diese ungeheuren Frechheiten nicht länger an! Ich werde diesen dreckigen Verbrecher jetzt umgehend in eine Zelle verfrachten lassen und mir heute Abend vor dem Schlafengehen überlegen, ob ich diesem unerhörten Jungen einen Prozess wegen Verleumdung ..."
„Himmel noch mal, seien Sie still, Minister! Hören Sie auf, diese Verhandlung zu boykottieren! Es sieht ganz so aus, als würden wir hier den größten Skandal in der Geschichte des Ministeriums aufdecken und Sie zicken herum!" Eine der Damen, eine recht dicke, rotgesichtige, war aufgesprungen und gestikulierte heftig vor Fudges Gesicht herum.
„Aber das ist doch alles kompletter Unsinn!" versuchte Fugde es noch einmal, doch der Mann mit dem Walrossbart deutete auf Sirius: „Beweisen Sie es! Black, verwandeln Sie sich in diesen Hund! Zumindest diesen Teil können wir überprüfen!" Er schwang seinen Zauberstab und Sirius´ Ketten verschwanden.
Sirius sprang mit einem Satz elegant über die Holzbrüstung und bewirkte damit ein erschrockenes Zurückweichen mancher Richter.
„Entschuldigen Sie bitte!" sagte Sirius charmant und baute sich vor dem Richtertisch auf, „Sehen Sie gut hin!" Er verwandelte sich und sah in seiner Hundegestalt hechelnd zu ihnen auf.
„Nicht zu glauben!" kreischte eine magere, uralte Dame mit unheimlich vielen, wirren, grauen Haaren, „Es stimmt!"
„Aber auch nur das!" rief Fudge, „Und dafür können wir Sie verdammt noch mal belangen, Black! Sie sind nicht gemeldet!"
Sirius verwandelte sich zurück, stand auf, klopfte sich mit einem sehr würdevollen Gesicht die Hose ab und sah Fudge verachtend an: „Damit machen Sie mir richtig Angst, Minister!" Fudge schnappte empört nach Luft.
„Setzten Sie sich wieder!" schnarrte der Walrossbart und legte Sirius die Ketten wieder an.
„So!" sagte der pferdegesichtige Mann sehr laut und sehr schrill, „Wir haben genug von Ihnen gehört, Mr. Potter. Vielen Dank! Ich bitte Sie jetzt, sich wieder in den Warteraum zu begeben, damit wir noch die anderen Zeugen befragen können."
Harry zögerte: „Wie lange wird das dauern? Kann ich nicht bleiben?"
„Nein, damit haben wir keine guten Erfahrungen gemacht." sagte die dicke Dame freundlich, „Zuviel Aufregung und Geschrei."
„Ich gehe nicht von Sirius weg!" Harry konnte seine Stimme nicht wirklich kontrollieren. Er hatte erwartet, dass sie nach der Enthüllung dieser Geschichte alles zurücknehmen und Sirius rehabilitieren würden. Er hatte gehofft, er könnte an Sirius´ Seite diesen Gerichtssaal stolz und frei verlassen. Jetzt bekam er eine unbeschreibliche Angst. Wenn sie Sirius wegbrachten, hätte er ihn jetzt das letzte Mal gesehen, das war sicher.
„Gehen Sie, junger Mann!" sagte die dicke Dame noch einmal und Harry erhob sich wie in Trance. Doch statt zur Tür ging er auf Sirius zu, lehnte sich über die Brüstung und warf die Arme um ihn. Glücklicherweise interessierte das die bewaffneten Krieger hinter ihm nicht sonderlich. Sirius drückte seinen Oberkörper an Harry, da er ihn wegen der Ketten nicht umarmen konnte.
„Nicht aufgeben!" wisperte er Harry zu, bevor dieser sich von ihm löste und allein den Gang zurück zur Tür ging.
Als Harry draußen stand, was ihm nach Heulen zumute. Das war es gewesen. Er hatte alles erzählt und alles gegeben und doch hatte er Angst. Er fühlte sich schmerzhaft leer. Dummerweise musste er zu den anderen in den Warteraum, sonst hätte er sich liebend gern eine Ecke gesucht, um sich auszuweinen.
Aber so beherrschte er sich, setzte eine neutrale bis beinahe zuversichtliche Miene auf und betrat den Raum.
„Harry!" Hermine und Ron flogen auf ihn zu, „Wie war es? Hat es geklappt? Wo ist Sirius? Haben sie euch geglaubt? Was ...?"
„Meine Lieben!" mahnte Mrs. Weasleys Stimme, „Lasst den armen Jungen in Frieden!" Sie zog Harry auf den Stuhl neben sich und drückte ihn an sich. Und Harry war einfach nur froh darüber.
„Ronald Weasley!" erklang eine Stimme und Ron zuckte zusammen.
„Na, denn geh ich wohl mal!" Er zitterte zur Tür, „Wünscht mir Glück!"
„Zeig´s ihnen!" rief Ginny und ballte die Fäuste. Hermine lächelte ihm zu. Ron schloss die Tür hinter sich fest zu.
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Stunden später saßen sie noch immer im Warteraum. Draußen musste bereits der Morgen dämmern. Ginny war mit dem Kopf auf dem Schoß ihrer Mutter eingeschlafen. Ron saß ausgestreckt auf einem Stuhl, den Kopf an die Wand gelehnt. Hermine schlief an seiner Schulter. Harry saß neben Remus, der ebenfalls schlief. Er war hereingetorkelt und auf einem Stuhl zusammengebrochen, nachdem er seine Aussage mehr schlecht als recht hinter sich gebracht hatte. Der Silberkäfig hatte ihm ordentlich zugesetzt und mittlerweile hatte er einige Anzeigen am Hals, da er verbotenerweise durch das Kaminnetzwerk gegangen war und das Ministerium betreten hatte. Er hatte Harry einmal kraftlos umarmt und war dann eingeschlafen. Harry beobachtete ihn betrübt.
Meta war als nächste gekommen und hatte so lange lamentiert, bis sie einen großen Krug Wasser für Remus bekommen hatte. Sie flößte ihm etwas zu Trinken ein, sprach Harry am laufenden Band Mut zu und sah dabei gleichzeitig sehr verbittert aus. Gerade war Snape im Gerichtssaal. Harry wollte sich gar nicht vorstellen, was er aussagte.
Da öffnete sich die Tür. Alle fuhren hoch, als Dumbledore, Snape und McGonagall mit einigen Gerichtsbediensteten eintraten. Harry wollte sie im ersten Augenblick anschreien, da sie Sirius allein gelassen hatten, doch da sah er ihn. Noch immer in Ketten wurde er von drei Elbenkriegern in den Flur geführt.
„Was ...?" würgte Harry hervor und machte einen Schritt nach vorn.
„Nicht, Potter!" sagte McGonagall schwach, „Es ist in Ordnung!" Doch das war es ganz und gar nicht, denn Sirius wurde weggeführt. Harry schrie auf: „Nein! NEIN! Was haben sie gesagt? Wo bringen sie ihn hin?"
„Er wird in Sicherheitsgewahrsam genommen, Harry!" sagte Dumbledore, „Sie glauben uns!"
„Aber sie bringen ihn weg!" Harry versuchte sich durch die ganzen Leute zu kämpfen, doch es gelang ihm nicht. „SIRIUS!"
„Mr. Potter, regen Sie sich ab! Black wird in Gewahrsam genommen, bis sich der Herr Direktor in der Lage sieht, uns Pettigrew zu präsentieren. Je schneller das vonstatten geht, desto eher haben wir das ganze Theater hinter uns. Black wird nichts geschehen." sagte der Walrossbart, der plötzlich vor ihm stand.
„Wer bewacht ihn?" keuchte Harry und wandte sich mit tränenschweren Augen um, als Sirius aus seinem Blickfeld verschwunden war.
„Die Elben."
„Keine Dementoren! Schwören Sie´s!"
„Dummer Junge! Wir haben keine Dementoren mehr unter unserer Kontrolle!" zeterte Fudge, der nun ebenfalls hinzutrat.
„Ach, Sie können mir viel erzählen!" rief Harry. Er spürte, wie ihn jemand am Arm packte. Da bahnte sich ein riesiger Mann mit glänzender Glatze und hervorstehenden, großen Glubschaugen den Weg durch die ganzen Richter, Gerichtsdiener und Zeugen: „So, wer soll noch mitkommen?"
„Ah, Derony!" sagte Fudge zufrieden, „Wir haben einen Werwolf, der mehrere Anordnungen missachtet hat und den Sie der Verantwortung unserer neuen Kerkerwachen übergeben sollen."
„Tatsächlich." Derony sah milde beeindruckt aus und ließ sich von Fudge ein Formular aushändigen. Seine buschigen Augenbrauen hoben sich interessiert in die Höhe, als er den Namen auf dem Blatt las. Wie Harry entsetzt feststellte, stand Remus bereits in der Tür, wobei er sich am Rahmen festklammern musste.
„Ah, Lupin! Wie nett Sie wieder zu sehen! Als ich Sie das letzte Mal getroffen habe, lagen Sie gerade in Ketten und waren auf dem Weg nach Askaban!" Derony klang fast erfreut, doch Remus biss stumm die Lippen aufeinander.
In Harrys Kopf drehte sich alles. Er wandte sich zu Remus um, der sich widerspruchslos von Derony bronzefarbene Handschellen anlegen ließ.
„Was?" fragte Harry schwach, doch Remus antwortete nicht. Er sah Harry mit trübem Blick an, als er an ihm vorbei ging. Harry streckte noch eine Hand aus, doch er erreichte ihn nicht mehr. Hinter ihm im Warteraum schrie Meta gerade, dass sie es nur wagen sollten, ihm irgendwie weh zu tun, doch Harry hatte das Gefühl, sie durch eine dicke Schicht Watte zu hören.
„Verlassen Sie nun das Gebäude, Dumbledore!" sagte Fudge gähnend, „Machen Sie einen neuen Termin für ..."
„Vergessen Sie es!" unterbrach Dumbledore ihn, „Ich komme mit Pettigrew, wenn ich es für angebracht halte und Sie können froh sein, wenn ich Sie eine halbe Stunde früher davon informiere!"
Fudge rieb sich die Augen und zuckte mit den Schultern: „Wie auch immer. Gute Nacht!" Er zockelte davon.
„Harry?" fragte eine zaghafte Stimme hinter ihm. Harry sah sich mit verschwommenem Blick um. Ihm war ganz kalt und er hatte das Gefühl, der ganze Schmerz und die Angst in ihm müssten aus ihm herausbrechen wie Lava aus einem Vulkan.
„Lass uns gehen!" Er wurde weggeführt. Irgendwann nach vielen Schritten spürte er kühlen Nieselregen auf seinem heißen Gesicht. Dann stand er plötzlich wieder im Trockenen. Irgendjemand zog ihm die Jacke aus, schob ihn eine Treppe hoch und bugsierte ihn auf ein Bett.
„Ziehst du dich bitte um und legst dich hin?" fragte die zaghafte Stimme wieder.
Harry brauchte nach seinen Schätzungen eine halbe Stunde, um sich aus seinen Klamotten zu schälen und unter die schwere Decke zu legen. Irgendwo ging ein Licht an. Draußen polterte es.
Harry befand sich immer noch irgendwo jenseits eines Schleiers, der die gesamte Welt um ihn herum dämpfte, ihre Farben verdunkelte und ihre Laute verschluckte.
„Harry, kannst du schlafen?"
Er blinzelte, als würde er Tränen wegblinzeln, um wieder besser sehen zu können und ihm war, als erkannte er Ginny auf dem Rand seines Bettes. Er hatte das Gefühl, zu nicken, aber er war sich nicht sicher. Da strich ihm eine kühle Hand über seine brennende Stirn und Harry ergriff diese.
„Bleibst du bitte hier?" flüsterte er, bevor er wegdämmerte.
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Harry erwachte mit einem schmerzenden, trockenen Hals und einem fiesen, tauben Gefühl auf beiden Ohren. Es dauerte, bis er wusste wo er war.
Er lag in einem Schlafzeug, das, wie er aufgrund der geschmacklosen Farben vermutete, einst einem der Zwillinge gehört haben musste, in seinem Bett am Grimauldplatz. Doch das Bett über ihm war leer; das erkannte er daran, dass die Beule fehlte, die Ron normalerweise in die Matratze drückte, wenn er oben schlief. Dafür lag neben ihm jemand, der ruhig und entspannt atmete.
Harry musste geschlagene fünf Minuten hinsehen, bis er Ginny erkannte. Sie trug ein langes, kuscheliges Nachthemd, hatte sich in eine Wolldecke gewickelt und hielt seltsamerweise Harrys Hand. Harry lag nur da und betrachtete sie, bis es leise klopfte: „Hallo? Ist schon jemand wach da drinnen?"
Harry erkannte Bills Stimme und schaffte es tatsächlich, ihm mit einem „Ja." zu antworten. Bill öffnete die Tür, trat ein und blieb überrascht stehen: „Oh!"
Harry zuckte kraftlos die Schultern.
„Naja, Mum weiß ja von nichts, das heißt, du hast gute Chancen, das hier zu überleben!" grinste Bill, „Wollt ihr aufstehen und was essen kommen?"
„O.K." meinte Harry und wand sich behutsam aus der Decke, um Ginny nicht zu schubsen.
„Lass sie noch ein bisschen schlafen. Ron ist schon im Bad. Hermine pennt auch noch." erzählte Bill und zwirbelte nervös eine Haarsträhne. Ganz offensichtlich traute er sich nicht, Harry zu fragen, wie es ihm ging.
„O.K." sagte Harry noch einmal, hüpfte mehr oder weniger ungeschickt, doch immerhin ohne sie zu wecken über Ginny und ging mit Bill hinaus. Er betrat das Badezimmer und blieb wie angewurzelt stehen.
Ron stand am Waschbecken und schrubbte sich mit grimmiger Energie die Zähne. Er steckte in einem Schlafanzug, dessen Hosen und Ärmel ihm etwas zu kurz waren und den ein grün-pinkes Dinosauriermuster sowie ein dickes „F" zierten. Harry sah an sich herunter. Sein Schlafanzug war ihm ein kleines Stück zu lang. Er war geschmückt mit gelb-blauen Dinomotiven und ein dickes „G" prangte auf seiner Brust.
Ron drehte sich um, die Zahnbürste noch immer im Mundwinkel, sah Harry an und prustete dann los. Harry sah Ron an und lachte so doll, dass er meinte, sein Bauch müsste platzen. Die beiden lachten, bis sie keine Luft mehr bekamen und hilflos japsend zu Boden glitten.
Mrs. Weasley hatte ihnen Frühstück bereitet und plapperte munter drauflos. Harry wäre froh gewesen, wenn sie den Mund halten würde. Er wollte seine Gedanken sortieren und vor allem überlegen, was er jetzt tun sollte. Für Rons Mutter allerdings schien das fest zu stehen: „So, jetzt esst mal schön auf, damit ihr gleich zurück nach Hogwarts könnt. Ihr nehmt den Kamin hier in der Küche und kommt vielleicht noch rechtzeitig zur dritten Stunde."
Harry und Ron sahen sie fassungslos an: „Wie bitte?"
„Ich gehe nicht zurück zur Schule!"
„Aber natürlich gehst du, Harry!" sagte Mrs. Weasley und schenkte ihm Kakao nach.
„Wo ist Dumbledore?"
„Hogwarts."
Harry stand auf: „Gut, dann gehe ich sofort." Er trat in den Kamin und stand eine Flohpulverreise später in Dumbledores Büro.
„Hallo, Harry. Ich habe schon auf dich gewartet." Dumbledore bedeutete ihm, ebenfalls an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, „Also? Irgendwelche Vorschläge?" Harry nickte: „Allerdings. Wir flohen sofort mit Pettigrew ins Ministerium und zwingen Fugde uns zu empfangen!"
„Es gibt nur ein kleines Problem, Harry. Pettigrew redet nicht."
„Ve-ri-ta-se-rum!" sagte Harry sehr betont und sehr unfreundlich. Dumbledore lächelte leicht: „Ich hoffe nur, dass Fudge das akzeptiert."
„Das ist mir herzlich egal! Da saßen noch andere Richter. Die haben wir so gut wie überzeugt. Und was sollte an dem Serum so falsch sein." Harry sah seinen Direktor aufgebracht an, „Was haben die anderen eigentlich ausgesagt? Und haben sie uns endlich alles geglaubt? Was hat Snape gesagt? Der hat doch garantiert alles verpatzt! Und was sollte das mit diesem Kerkertyp, der Remus mitgenommen hat? War Remus auch in Askaban und wie lange und wieso?"
Dumbledore machte beschwichtigende Gesten, doch Harry wollte sich nicht beruhigen.
„Ich denke, das wird er dir alles erzählen, wenn ..."
„Oder auch nicht!" schnappte Harry, „Wir müssen jetzt sofort los! Wir dürfen keine Zeit verlieren! Wer weiß, was sie mit den beiden anstellen!"
„Sie haben uns versprochen ..." begann Dumbledore, doch wieder unterbrach Harry ihn: „Die haben was versprochen! Das allein klingt ja schon wie ein schlechter Scherz!"
Dumbledore ah aus, als würde er ernsthaft überlegen und Harry verlegte sich ein bisschen auf´s Flehen: „Was interessiert uns die Gesundheit von diesem Ding? Er soll nur mitkommen; er muss nicht einmal einen Ton sagen! Es geht um Sirius und Remus!"
Dumbledore seufzte und Harry wusste, dass er gewonnen hatte.
„Gut, dann geh jetzt erst mal in deinen Turm. Ron, Hermine und Ginny werden wohl auch bald ankommen. Ich schicke sie dir nach. Haltet euch bedeckt und kommt nach dem Abendessen zu mir. Dann würde ich vorschlagen, wir sprechen mit Moody und gehen gemeinsam ins Ministerium. Wenn wir den hohen Richterherrschaften keine 24 Stunden Pause lassen, sind sie wahrscheinlich sehr missgelaunt." Dumbledore zwinkerte Harry zu und dieser nickte ergeben: „O.K.!"
Moody war geradezu begeistert davon, Pettigrew loszuwerden. Er führte Dumbledore und Harry in den Raum, in dem der Verräter saß.
Pettigrew sah; Harry staunte, dass das möglich war; noch schlechter aus, als er ihn in Erinnerung hatte. Er war mager und grau und sah furchtbar krank und kraftlos aus. Seine offen stehenden Augen hatten jeden Ausdruck verloren. Die blutleeren Lippen standen leicht offen und etwas heller Speichel lief bis an das schmale Kinn.
„Nun, wir gehen schließlich nicht zu einem Schönheitswettbewerb!" meinte Dumbledore und Harry sah seinen Direktor verwirrt an.
„Kommen Sie, Pettigrew! Es wird Zeit!" Dumbledore zauberte Pettigrew in ein paar Seile und zog ihn hoch. Da kam Leben in die apathische Gestalt, doch dem harten Griff der Taue konnte sie sich nicht widersetzen.
„Harry, was ist mit Ron und den Mädchen?" fragte Dumbledore, als sie mit Pettigrew auf dem Weg zum Kamin waren und in einem Ton, als machten sie einen gemütlichen Spaziergang.
„Die wollen mit!" sagte Harry, „Zur Unterstützung. Aber sagen Sie es nicht Molly Weasley!" Dumbledore lachte leise: „Werde ich nicht!"
Schweigend legten sie den Weg zurück und trafen Ron, Hermine und Ginny vor Dumbledores Büro.
„Hallo, ihr drei! Folgt mir unauffällig!"
„Albus!" Ein atemloser Ruf ließ sie herumfahren. Meta kam den Flur entlang gekeucht: „Also, wenn ich noch die Kraft hätte, würde ich dir jetzt ein kleben, weil du ohne mich gehen wolltest!"
„Ich dachte ..."
„Es ist mir egal, was du denkst! Ich komme mit!" Sie funkelte Dumbledore ärgerlich an und stiefelte dann hocherhobenen Hauptes vor ihnen die Wendeltreppe hinauf.
