Vielen Dank für die zahlreichen Kommentare und vielen Dank für die Geduld! Hier ist das nächste Kapitel und Antworten auf die bange Frage: Wer hat das Ganze eigentlich überlebt und wieviel Schaden trug wer davon?
Rückkehrer
Ginny schlägt im Kaminzimmer die Augen auf. Hermine hat ihren Kopf auf ein Kissen gebettet. Ron kniet an ihrer Seite und fragt augenblicklich: „Was ist passiert, Ginny? Geht es dir gut? Was ist mit Harry?"
Doch anstatt zu antworten, richtet sich Ginny stumm auf. Mit vor Tränen blassen Augen sieht sie zu Harry, der noch immer ohne Bewusstsein auf der Liege ruht. Ginny steht schwankend auf und geht auf ihn zu. Lächelnd sieht sie in sein entspanntes Gesicht. Seine Augen sind noch immer geschlossen. Durch den leicht geöffneten Mund atmet er ruhig.
Ohne lange zu überlegen, beugt Ginny sich über ihn und haucht einen Kuss auf seine kühlen Lippen. Sie berührt sie kaum. Augenblicklich schlägt Harry die Augen auf.
Da durchfährt eine mächtige Hitzewelle sie. Ein seltsamer Wind rast durch geschlossene Türen und Wände, welcher sie alle schwanken ließ. Die alte Standuhr begann zu schlagen, denn ihre Zeiger waren auf Punkt acht Uhr weiter gesprungen.
Harry sah sich um und zuckte dann zusammen. Seine Stirn brannte. Die blitzförmige Narbe leuchtete, schmerzte ein letztes Mal …und verschwand.
Mrs. Weasley schlug die Hände auf die Brust: „Oh, Harry! Du hast es geschafft! Es ist überstanden!"
Harry setzte sich ungelenk auf und Hermine und Ron fielen ihm um den Hals. Beide weinten. Remus nahm die schluchzende Mrs. Weasley in den Arm und lächelte ungläubig. Ginny stand neben ihnen und sagte nichts.
„Jetzt müssen wir uns aber auf die Rückkehr der anderen vorbereiten!" rief Mrs. Weasley, nachdem sie Harry umarmt und geküsst hatte. Harry setzte die Füße auf den Boden, während sich Ron, Hermine und Ginny von Mrs. Weasley in die Küche scheuchen ließen.
„Hey, Harry!" Remus setzte sich neben ihn und stupste ihn sacht an, „Ich bin wirklich stolz auf sich!"
„Danke!" sagte Harry rau, „Jetzt wollen wir nur hoffen, dass alle unbeschadet zurückkommen!"
„Ja, das wollen wir!" sagte Remus und schloss ihn fest in die Arme. Dann machten sich auch die beide auf in die Küche.
Dort saß Mundungus, tränenüberströmt und zerlumpter als je zuvor und sprang sofort auf, als er Harry entdeckte. Er hüpfte auf seinem verbliebenen Bein auf ihn zu und schlug ihm so kräftig auf die Schulter, dass er selbst, der er nicht den festesten Stand hatte, und Harry, dessen Kreislauf sozusagen noch immer auf Sparflamme lief, ins Straucheln gerieten.
„Verdammt gut gemacht, Potter!" schniefte er und wurde dann von Mrs. Weasley zurück auf seinen Stuhl gesetzt.
Dann begannen sie zu zaubern. Mrs. Weasley stellte mir ihrer Hilfe Unmengen von Essen her; vorzugsweise deftige, stärkende Hühnerbrühen und Tomatensuppen, Kaffee, Tee und Feuerwhiskey, Butter- und Schmalzbrote, kräftige Salami und Zwieback.
Madam Pomfrey war die Erste, die zurückkehrte. Sie hielt sich nicht mit Glückwünschen für Harry auf, sondern transportierte die Verletzten, mit denen sie gekommen war, Elphias Doge und Dädalus Diggel, in eines der umliegenden Zimmer. Dann machte sie sich mit Remus daran die Räume zu Krankenzimmern umzufunktionieren.
Sie selbst sah unverletzt aus, aber ihre weiße Schürze war voller Blut. Harry starrte das Kleidungsstück an, wie es da, nachdem die Schulkrankenschwester es abgelegt hatte, auf der Anrichte lag. Es schnürte ihm die Kehle zu. Wenn es doch nur jetzt und hier vorbei sein könnte. Aber das war es nicht und das Wissen darum schmerzte.
Er erinnerte sich an Jakob und wie er sich von ihm verabschiedet hat. Er hatte wahrscheinlich von Schweden ausgekämpft, das hieß, er war noch einmal dort, wo er zu Hause gewesen ist. Aber wo war er jetzt?
Harry schluckte an seinen Tränen und versuchte, seinen heftigen Atem unter Kontrolle zu bekommen. Er mühte sich ab, seine Konzentration der weiteren Herstellung von Traubenzucker, Apfelsinen und Schokolade zu widmen, doch als es im Flur knallte, war er der Erste, der aufsprang.
Remus hatte eine Extra-Zone zum Apparieren eingerichtet. Vier Quadratmeter an der Wand, an der einst das Portrait von Mrs. Black gehangen hatte, leuchteten blau.
Als Harry aus der Küche stürzte, war gerade Tonks angekommen.
„Tonks!" schrie Harry. Sie taumelte auf ihn zu: „Harry … Kleiner ... ich gratuliere!"
Harry umarmte sie heftig und bemerke dann erst, dass ihr aus beiden Ohren Blut floss.
„Ich höre nichts mehr, Harry. Ist aber halb so schlimm!" sagte Tonks mit fremder Stimme. Sie verlor die mühsam aufrecht erhaltene Fassung, als sie Mrs. Weasley sah.
„Oh, Molly!" Tonks hielt ihr die zitternden Arme entgegen und Mrs. Weasley fing die schluchzende, junge Frau auf.
Harry biss sich auf die Unterlippe und spürte, wie sich alles in ihm verkrampfte. Er trat etwas zurück. Ron, Hermine und Ginny stellten sich neben ihn. Irgendwie schafften sie es, sich alle gegenseitig an Händen und Armen zu halten.
„Schwerverletzte zu mir!" schrie Madam Pomfrey aus einem der Zimmer, „Leichtverletzte zu Remus! Emmeline Vance kommt jeden Augenblick zur Verstärkung!"
Es knallte wieder.
Harry zuckte zusammen und er meinte, das Herz müsste ihm stehen bleiben, als er Bill sah, wie er mühsam aufgerichtet Percys leblosen Körper auf den Armen trug. Von Ron und Ginny kam gleichzeitig ein gequältes Stöhnen und hinter ihnen schrie ihre Mutter auf. Bill machte die Zone frei und legte Percy vorsichtig auf dem Boden ab.
Nach mehrmaligem Knallen erschienen Emmeline Vance, Hestia Jones und Professor Snape. Alle schienen unverletzt und ließen sich von Madam Pomfreys durchdringender Stimme sofort zur Krankenpflege einteilen.
Snape blieb kurz vor Harry stehen und entblößte seinen rechten Unterarm: „Es ist weg! Es ist gerade eben verschwunden. Alle Achtung, Potter!" Dann ging er schweren Schrittes zu Bill hinüber. Harry konnte sehen, wie abgekämpft und müde Snape war.
„Kommen Sie, Weasley! Ich helfe Ihnen, Ihren Bruder dort rüber zu tragen!" Sie nahmen Percys Leichnam hoch und trugen ihn in das nächste Arbeitszimmer. Mrs. Weasley taumelte weinend hinterher.
„Oh, Percy!" flüsterte Ginny mit erstickter Stimme und Harry drückte ihre Hand.
Wieder knallte es.
Endlich!
„Sirius!" schrie Harry und sprang auf ihn zu, warf beide Arme um ihn und presste sein Gesicht an Sirius´ Brust.
„Hi, Harry!" sagte Sirius matt und erwidert den Druck der Umarmung so gut es ihm möglich war. Harry fühlte, wie Tränen seine Wangen hinunterliefen. Er sah zu Sirius hoch und erstarrte: „Was ist mit deinen Augen?"
Sirius lächelte zu ihm herunter, doch er lächelte leicht an ihm vorbei. Beide Augen waren geschlossen, die Lider blutverkrustet.
„Das wird schon wieder, Harry!"
„Ich bring dich rüber. Du musst verarztet werden! Remus kümmert sich um dich." sagte Harry und zog ihn vorsichtig am Arm mit. Remus kam ihnen entgegen. Sein Gesichtsausdruck zeigte Erschütterung und Erleichterung zugleich.
„Hallo, alter Freund!" sagte er rau, als er Sirius umarmte, „Ich führe dich!"
Sirius nickte, legte seinen Kopf auf Remus´ Schulter ab und ließ sich von ihm in ein Krankenzimmer leiten.
Als es erneut knallte, wirbelte Harry herum.
River war angekommen. Auch er war erschöpft und verschwitzt, doch er sah unverletzt aus.
„Ist …Sind Fred und …schon angekommen?" fragte er keuchend.
„Nein." antwortete Hermine leise.
„Wo soll ich hingehen?"
„Tonks ist dort drüben." Hermine wies ihm einen Raum und er setzte sich in Bewegung.
Harry eilte wieder zu seinen Freunden. Ginny liefen Tränen über das Gesicht und Ron war ganz blass und zittrig.
„Ich halte das nicht aus!" flüsterte er. Mrs. Weasleys Schluchzen drang bis zu ihnen.
Das nächste, der apparierte, war Charlie. Er hatte beide Arme um seinen Vater geschlungen, der schlapp an ihm hing.
„Nein!" stieß Ron aus und Ginny schluchzte auf.
„Er lebt!" keuchte Charlie, „Ron, hilf mir!"
Harry stürzte Ron und Charlie zu Hilfe, um den schwerverletzten Mrs. Weasley zu Madam Pomfrey zu schaffen.
„Er ist zäh! Er ist zäh!" murmelte Charlie unablässig, während sie ihn trugen. Sie legten ihn auf einem sauberen Bett ab und wurden von Madam Pomfrey sofort zur Seite geschoben.
„Sind sie verletzt, Charles?" fragte sie, während sie Mr. Weasley mit dem Zauberstab durchleuchtete.
„Nein." sagte Charlie. Harry sah an ihm herunter: „Charlie, dein Bein!"
Charlies rechtes Bein bestand praktisch nur noch aus Fetzen. Verwundert sah er erst die Wunde und dann Harry an: „Oh."
„Setz dich da rüber!" sagte Harry, „Ron, die Zauberstäbe!"
„Die Stäbe, natürlich!" sagte Ron, als hätte er völlig vergessen, dass er so etwas besaß, was wahrscheinlich wirklich zutraf. Sie beiden säuberten die Wunde sorgfältig und verbanden sie. Charlie hatte die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelehnt.
In der Eingangshalle knallte es mehrmals.
Als Harry wieder aus dem Zimmer trat, sah er als erstes Meta. Sie kniete am Boden und hatte ihren Kopf auf Jakobs Brust abgelegt. Jakobs Augen waren offen. Sie bewegten sich nicht. Seine Lippen lächelten leicht.
„Oh, nein! Bitte nicht!" flüsterte Harry, während er langsam auf sie zuging.
Auch Professor Flitwick war jetzt da. Er stützte Professor McGonagall, welche Harry mit grimmig geballter Faust zuwinkte. Neben ihnen stand Professor Sprout, die Madam Hooch neben sich schweben ließ. Sie bewegte sich nicht.
Als sie zur Seite traten, bot sich Harry und Ron, der ihm gefolgt war, ein verstörender Anblick. Ron sackte neben Harry zusammen, der sofort seinen Freund bei den Armen packte, um ihn zu halten. Hermine und Ginny standen wie versteinert da und starrte auf die Szene.
In der Apparierzone kniete einer der Zwillinge. Sein Haar war zerzaust, seine Unterlippe blutete, Schluchzend hielt er seinen Bruder in den Armen und dessen Gesichtsausdruck war völlig zerstört. Alles Leben schien aus ihm gewichen, doch er atmete und blinzelte.
Ihre Ähnlichkeit war Harry noch nie so bewusst gewesen wie jetzt. Sie sahen aus wie ein zerstörter Spiegel.
„Wer …?" wisperte Ron ton- und atemlos. Harry führte ihn langsam näher.
Ginny war neben ihren Brüdern in die Knie gegangen und sah dem Sitzenden in die Augen: „Fred?" Er nickte und schaffte es, den Kopf zu heben.
„Ein Dementor." sagte er und lachte und schluchzte dann gleichzeitig.
Hermine löste sich aus ihrer Erstarrung: „Komm. Wir bringen euch zu Madam Pomfrey."
Als die Mädchen den Zwillingen aufgeholfen hatten und sie an Harry und Ron vorbeiführten, sagte Hermine: „Ron, deine Mutter muss nach deinem Vater sehen! Sag ihr nichts von George!"
Ron nickte und Harry setzte ihn auf einer Treppenstufe ab, um selbst Mrs. Weasley Bescheid zu geben. Sie folgte ihm immer noch bitterlich weinend zu ihrem Mann, wo Harry sie Charlie überlassen konnte.
Bill stand jetzt hilflos vor Meta, die begonnen hatte zu schreien.
„Du nimmst sofort deine Drecksfinger von ihm weg! Himmel, Schuhmann, jetzt wach wieder auf! … bitte …" Sie schluchzte und schüttelte seinen schwachen Körper durch.
„Josepha, bitte! Lass ihn doch … ich nehme ihn." sagte Bill leise, doch Josepha funkelte ihn wütend an: „Nein! Ich muss auf ihn aufpassen! Dieser dämliche Idiot! Wieso hat er … er war doch immer da! Er war immer da! Der Einzige, der immer da war!" Sie ließ den Kopf hängen, als sie heiser schluchzte: „Was machen wir denn ohne ihn?"
Harry trat näher und fing Bills Blick auf. Leise sagte er: „Er hat sich von mir verabschiedet."
„DU!" brauste Josepha auf, sprang auf die Füße und ging auf Harry los, „Nur wegen dir ist das passiert, du böses, übles, Unglück bringendes Geschöpf! Nur wegen dir sind wir hier gelandet! Und jetzt sieh ihn dir an! Sieh, was du ihm angetan hast!" Sie packte Harry so fest am Arm, dass es wehtat.
„Josepha?" Endlich war Remus da, nachdem sie nun schon lange genug schrie.
„Hau ab, Werwolf! Wenn du nicht wärst, wären wir schon lange wieder zu Hause! Wenn du ihr nicht den Kopf verdreht hättest, hätten wir Jakob überreden können und dann wären wir jetzt glücklich und in Sicherheit! Ihr habt ihm auf dem Gewissen!" Sie verlor völlig die Kontrolle über ihre Stimme. Sie sah Remus so verachtend an, dass Harry meinte, es müsste diesem körperlichen Schaden zufügen.
„Bitte, Josepha, vergiss einmal, dass du mich nicht leiden kannst und lass dir von mir helfen!" bat Remus leise.
„Niemand kann uns helfen! Wir sind jetzt komplett alleine! Nur Jakob war immer da! Nur er! Immer nur er!" Josepha fiel schluchzend wieder neben Jakobs totem Körper auf den Boden. Sie schlang ihre Arme um ihn und sah noch einmal zu ihnen auf, bevor sie tief Luft holte: „SIE ist jetzt weg und glaubt ja nicht, dass sie wieder zurückkommt! Ich werde ihr erzählen, dass allein ihr Schuld seid an Jakobs Tod und dann wird sie froh sein, mich zu haben!"
Harry machte genau wie Remus einen Schritt nach vorn, als sie es ahnten, doch sie waren zu spät. Josepha apparierte mit Jakobs Leiche und sie wussten nicht, wohin.
Remus verharrte wie versteinert in seiner Bewegung und starrte auf den Fleck, an dem sie eben noch gesessen hatte. Harry was vollkommen fassungslos.
„Remus …" sagte Bill, doch auch er wusste nicht weiter.
Remus schüttelte kaum merklich den Kopf, wandte sich dann um und schlug hastig den Weg zu Sirius´ Zimmer ein. Bill folgte ihm und Harry drehte sich zu Ron um. Er saß auf der Treppe, den Kopf in den Armen vergraben und weinte. Harry hatte das sichere Gefühl, dass er nicht wusste, wohin er gehen und was er tun sollte. Er setzte sich neben ihn, legte beide Arme um ihn und bettet seinen Kopf auf den bebenden Schultern seines Freundes. Er beobachtete die Apparierzone.
Dumbledore fehlte noch.
Als es knallte, erschienen aber erst einmal Kingsley, Amber und Moody. Letzterer rief heiser: „Das hast du wirklich gut hingekriegt, Potter!"
Harry schaffte es, zu nicken. Dann brachten die beiden Männer Amber in eines der Krankenzimmer. Sie sah leichenblass aus und hielt ihren rechten, blutenden Arm angewinkelt.
Hermine und Ginny waren noch nicht zurück.
Als es wieder knallte, sah Harry Lee und Angelina. Sie sahen beide gehetzt und ängstlich aus.
„Es ist vorbei, oder? Dumbledore sagte, wir dürfen herkommen."
„Wo ist Dumbledore?" fragte Harry.
„Bei den Schülern. Er bringt sie nach Hause." berichtete Lee mit angespannter Stimme.
„Wo wart ihr?"
„Versteckt. Irgendwo unter der Erde." Angelina schlang die Arme um den zitternden Körper, „Wo sind …?"
Harry seufzte: „Sie sind dort hinten. Erschreckt nicht!" Er wusste nicht, wie er es sonst sagen sollte. Beide verzogen schlagartig die Gesichter, dann gingen sie.
„Harry!" rief Lee ihm noch nach, „Herzlichen Glückwunsch!"
Harry lachte einmal freudlos.
Beim nächsten Knall waren es Hagrid und Madame Maxime, die in der Halle ankamen. Anscheinend wusste die Französin, wie man apparierte.
Hagrid nahm Harry, den er von der Treppe zog, erst einmal fest in die Arme: „Kann gar nich sagen, wie stolz ich auf dich bin! Und wie froh!" brummte er und widmete sich dann Ron.
Der nächste, der erschien, war endlich Dumbledore.
„Harry!" Der Direktor breitete die Arme aus und lächelte ihn an. Seine Augen strahlten, sein ganzes Gesicht schien zu leuchten.
„Professor Dumbledore!" Harry lief zu ihm und sah zu ihm auf.
„Endlich! ENDLICH!" Dumbledore lachte, schlug Harry kräftig auf die Schulter und sah sich dann in der Halle um. Nachdenklich rieb er sich über den Nasenrücken.
„Schlafen." meinte er, „Ich denke, du solltest jetzt schlafen. Und Ron auch. Ich werde nach dem Rechten sehen!"
Harry hätte beinahe aufgelacht. Das waren genau die Worte, die er von seinem Schuldirektor hören wollte. Er nickte und folgte Dumbledore zu Ron auf der Treppe.
„Ron? Komm, steh auf!" sagte Dumbledore, „Geht nach oben ins Bett!"
„Ich kann jetzt nicht schlafen!" fuhr Ron schluchzend auf und wischte sich über das tränennasse Gesicht.
„Doch, das kannst du, mein Junge!" Dumbledore strich ihm einmal mit dem Daumen quer über die Stirn und Rons Blick wurde augenblicklich glasig.
„Äh, ich geh freiwillig, O.K.?" sagte Harry schnell, packte Ron bei den Armen und zog ihn hoch.
„In Ordnung, Harry! Bring Ron ins Bett. Ich schicke die anderen gleich hinterher."
Harry nickte und schaffte Ron irgendwie die Treppe hoch. Er schob ihn in ihr Zimmer, schälte ihn aus seinen Klamotten und schubste ihn auf das untere Bett. Nachdem er ihn in die Decke eingewickelt hatte, kippte Rons Kopf sofort zur Seite und er begann leise zu schnarchen. Harry sah ihn eine Weile an.
Dann ging er langsam ins Badezimmer, nahm aus dem Spiegelschrank seine Zahnbürste, den Zahnputzbecher und die Zahnpasta und drehte das Wasser auf. Er starrte geschlagene fünf Minuten hinein, bis er daran dachte, seinen Becher zu füllen, die Zahncreme auf der Bürste zu verteilen und sich mit Letzterer tatsächlich die Zähne zu putzen. Gedankenverloren; er hatte sie tatsächlich alle irgendwo verloren; stand er am Becken und schrubbte seine Zähne.
„Harry, bist du da drin?" erklang Lees Stimme von der Tür.
Harry gurgelte ein ja.
„Ich …ähm …schlaf auch bei euch. Ich leg mich schon mal hin."
Harry nickte, obwohl Lee es nicht sehen konnte, spülte sich dann den schaumigen Mund aus und sah in den Spiegel, wobei er sich fragte, wie er aussah.
Wie jemand, der sich gerade Zähne geputzt hatte; das stand fest.
Harry trat näher und heftete seinen Blick an seine Stirn. Sie war ganz glatt. Keine Narbe, nicht mal eine kleine Knautschfalte. Mit zitternden Fingern strich er darüber. Irgendwie kam es ihm vor, als hätte er nicht nur seine Gedanken verloren, sondern auch seine Identität. Wer war er jetzt?
Der Junge, der lebt?
Der Junge, der gewonnen hat?
Der Junge ohne Narbe?
Harry trank ein paar Schlucke kaltes Wasser und machte sich dann mit einem irgendwie schweren Herzen in der Brust auf den Weg zu seinem Bett.
Lee schlief auf einer Liege, so dass Harry das obere Bett in Beschlag nehmen konnte. Er kletterte hinauf, legte sich unter die Decke und wurde von dem Gefühl überschwemmt, dass sich noch nie eine Bettdecke so wunderbar weich und warm und kuschelig angefühlt hatte. Es schien ihm die perfekte Decke zu sein. Und auch das Kissen, das seinen Kopf geradezu freudig empfangen hatte, was perfekt. Das Zimmer war abgedunkelt (Nicht dunkel!) und die Luft war angenehm. Sie war weder zu warm noch zu kalt.
Und dann stellte sich das Wissen ein. Das Wissen darum, dass ER nicht mehr da draußen war. Dass er diesmal wirklich verschwunden war.
Harry spürte im nächsten Moment verwirrt, das seine Augen brannten und er blinzelte. Kühle Tränen flossen an seinen Schläfen herab und er musste sie wegwischen, damit sie ihm nicht in die Ohren kullerten. Er legte sich auf die Seite, zog Arme und Beine an sich heran und holte tief Luft.
Er konnte weinen. Und dann würde er schlafen können.
000
Der Morgen weckte Harry mit den unterschiedlichsten Geräuschen. Aus der Küche drang das bekannte Klappern von Tellern, Tassen und Pfannen. Mrs. Weasley musste das Frühstück vorbereiten. Doch dann fiel Harry ein, dass Mrs. Weasley vielleicht eher an einem Krankenbett saß. An welchem wusste er nicht.
Als es in der Küche klirrte, schlussfolgerte Harry, dass Tonks sich am Frühstück versuchte und war relativ froh, dass sie wieder einigermaßen wohlauf war.
Unten im Flur war es ziemlich ruhig. Nur ab und an waren Schritte zu hören und wenn jemand sprach, tat er dies im Flüsterton.
In einem Zimmer, das sich schräg unter Harry befinden musste, ging es allerdings hektisch zu. Madam Pomfreys Stimme war zu hören, immer wieder klapperte und klirrte irgendetwas und mindestens drei Leute rannten hin und her. Harry versuchte, dort nicht hinzuhören, doch das nächste, was ihm zu Ohren kam, war auch nicht besser. Ron war aufgewacht und nach einigen Minuten des Überlegens begann er leise zu weinen.
Harry schwang sich aus dem Bett und klettere hinunter zu Ron.
„Hey."
Ron wühlte sich aus der Decke ans Licht und sah Harry völlig verzweifelt an: „Harry, ich kann da nicht runtergehen! Was, wenn … jemand tot ist?" Er vergrub sich wieder in der Decke und Harry biss sich ratlos auf die Unterlippe. Auf der Liege setzte sich Lee auf.
„Was war gestern Abend noch los?" fragte Harry ihn angespannt.
Lee schüttelte den Kopf: „Dumbledore hat mich sofort nach oben geschickt. Ich weiß nicht mehr als du, Mann!"
Harry seufzte und stand auf: „Dann gehe ich jetzt runter. Bleib du hier bei Ron, ja? Ich komm bald wieder hoch."
Lee nickte und Harry schlüpfte durch die Tür. Nachdem er sie sorgfältig geschlossen hatte, mühte er seinen schweren Beinen ein paar Schritte ab. Im Gehen zauberte er sich frische Klamotten an und kämmte sich mit den Fingern durch die Haare. Sein erster Gang führte ihn in die Küche. Tatsächlich stand Tonks am Herd. River stand neben ihr und beide rührten in einer Pfanne Eier. Am Tisch saßen Bill und Kingsley und sahen aneinander vorbei.
„Hallo." sagte Harry vorsichtig. Er konnte sich gerade noch davon abhalten, einen guten Morgen zu wünschen, „Ron und Lee sind noch oben. Ähm …gibt es irgendwas, dass ich …wir wissen sollten?"
Er räusperte sich. Dann stand Bill auf, ging auf ihn zu und legte ihm einen Arm um die Schulter: „Magst du dich einen Augenblick setzen?" Harry nickte.
„Kaffee?" fragte Kingsley mit müder Stimme und als Harry, der noch nie in seinem Leben Kaffee getrunken hatte, wieder nickte, goss er ihm einen Becher ein.
Bill legte die zitternden Hände in den Schoß, auf den Tisch, wieder in den Schoß und setzte sich schließlich darauf. Er sah Harry ernst an: „Es ist also so."
Harry fand, dass sie an diesem morgen irgendwie alle Probleme hatten, die richtigen Worte zu finden.
„Dad hat es überstanden. Er hatte eine schlimme Nacht, aber er ist heute wieder bei Bewusstsein. Wie …es weiter geht mit ihm, weiß keiner. Er …redet nicht und …ich kann es dir nicht genau beschreiben, aber er lebt!"
Harry nickte und hatte das Gefühl, als würde ihm das Atmen etwas leichter fallen.
„Dein Dad lebt, Ron! Es schafft es!" dachte er nach oben zu seinem Freund.
„Die Zwillinge …" Bill brach ab und legte beide Hände vors Gesicht. Kingsley tätschelte ihm den rechten Arm und sah Harry an: „Fred und George haben sich mehreren Dementoren gestellt, aber sie haben sie nicht vertreiben können. Ein Dementor hat … George wurde …"
„Der Kuss." flüsterte Harry und diese Worte schnürten ihm die Kehle zu. Kingsley nickte langsam: „Ich kam zu spät. Ich weiß nicht, wie viel … ob er irgendwann wieder … ich weiß es nicht."
Harry fühlte sich ebenfalls nicken, obwohl er nicht genau wusste, was er damit ausdrücken wollte.
„Um George steht es schlecht, Ron. Ein Dementor hat ihn geküsst. Du weißt, was das heißt."
„Walter Benjamin ist tot. Elenore Hooch und Elphias Doge auch. Wir haben sie zum Glück hierher bringen können." berichtete Kingsley weiter und seine Stimme bekam einen mechanischen Klang. Harry dachte, dass er als Auror vielleicht schon öfter über solche Dinge informiert hatte.
„Tonks´ Gehör ist wieder in Ordnung. Sie wird in den nächsten Tagen lediglich noch etwas schwerhörig sein, aber sie wird keine bleibenden Schäden davon tragen. Im Gegensatz zu Amber Dorothy. Ihr Arm ist gelähmt. Er wird sich nie wieder erholen."
„Was ist mit Sirius? Kann er wieder sehen?" schaffte Harry zu fragen.
„Zumindest das rechte Auge wird wohl wieder vollständig geheilt werden können."
Harry nickte wieder sinnlos und dachte alle Informationen nach oben zu Ron, der kerzengerade im Bett saß und von Lee angestarrt wurde.
„Dädalus Diggel ist schwer verletzt. Wir wissen nicht, ob er durch kommt." sagte Kingsley.
„Habt ihr etwas von Meta gehört? Irgendwas?"
Kingsley schüttelte betrübt den Kopf.
„Und …hm …"
„Ich weiß nicht, was Remus jetzt macht, Harry. Du kannst gleich zu ihm gehen und ihn fragen. Er ist bei Sirius." Kingsley wies in Richtung Tür, als könnte Harry vergessen habe, wo sich der Ausgang der Küche befand.
„Wollt ihr etwas essen?" fragte River und stellte die Pfanne mit dem Rührei auf den Tisch.
Bill, der sich wieder einigermaßen gefangen zu haben schien, griff tatsächlich nach einem Teller und füllte sich auf. Harry hörte ihn so etwas wie „Ist ja auch egal!" murmeln.
„Geht es dir gut, Harry?" wandte sich River an ihn.
„Danke, ja, geht so. Wie geht es dir?"
„Geht es mir gut?" entgegnete River und verzog das Gesicht. Harry sah ihn stirnrunzelnd an.
„River hat einen Fluch abbekommen, den nicht einmal Snape kennt. Er hat bewirkt, dass er sich nur noch in Fragen äußern kann. Wir hoffen nicht auf Besserung." sagte Kingsley und Harry zuckte zusammen.
„Ist das nicht so schlimm, Harry?" fragte River, schüttelte den traurig den Kopf und ging zurück zum Herd, wo Tonks ihn tröstend in den Arm nahm.
„Ein schwarzer Fluch hat auch Diggel erwischt. Seine rechte Hand muss immerzu schnipsen und sie scheint vergiftet. Madam Pomfrey ist gerade dabei, sie abzunehmen. Dabei ist es seine Zauberstabhand." fuhr Kingsley fort. Harry konnte es nicht fassen.
„Ach, wir haben auch eine witzige Nachricht." meinte Kingsley und trank einen Schluck Kaffee.
„Witzig?" fragte Harry aggressiv.
„Witziger als alles andere. Ironisch. Völlig sinnlos." fuhr Kingsley weiter aus und Harry bemerkte, dass er fast noch genauso mitgenommen war wie letzte Nacht.
„Der kleine Malfoy ist hier."
„WIE BITTE?"
„Ja, Snape hat ihn mitgenommen. Ist das nicht einfach …?" Kingsley musste lachen. Es war ein trockenes, keineswegs frohes Lachern.
„Was sagt Dumbledore dazu?" wollte Harry wissen.
„Noch nichts. Er hat ihn angeguckt und nichts gesagt!"
„Er ist ein Todesser. Er hat sogar gegen uns gekämpft!" fuhr Bill auf.
„Hat er das?" Harry hatte das Gefühl, als würde sein Kopf irgendwie abdriften.
„Snape will ihn nicht aufgeben." meinte Kingsley. Harry schnaubte.
„Und du sollst ihn übrigens in Ruhe lassen."
„Ich hatte nicht vor, ihn zu besuchen und ihm Blumen zu bringen!" rief Harry erzürnt.
„Nein, aber vielleicht hast du vor, ihn zu besuchen und ihm den Kopf wegpusten; deshalb!" sagte Kingsley scharf und Harry stand auf: „Ich gehe jetzt zu Sirius."
Er ging zur Tür, ging dann wieder zum Tisch zurück, um sein Tasse, die er vergessen und aus der er nicht getrunken hatte, abzustellen und verschwand dann im Flur. Ron taperte gerade die Treppe hinunter.
„Ich geh zu Dad. Kommst du mit?" Harry nickte sofort.
Mr. Weasley lag in einem Bett, die Decke bis ans Kinn gezogen und die Augen geschlossen. Er sah nicht blass, sondern kreideweiß aus und schräg über sein Gesicht zog sich eine so feine Schramme, dass sie sie beinahe nicht gesehen hätten. Mrs. Weasley saß auf einem Sessel und schlief. Sie sah erschöpft aus. Ron schnappte sich eine Wolldecke und deckte sie zu.
„Hier ist anscheinend nichts zu tun." sagte Ron leise und dann gingen Harry und er zum nächsten Zimmer. Angelina stand davor. Sie hatte beide Fäuste und den Kopf an die Tür gelegt und zitterte.
„Angelina?" fragte Harry vorsichtig.
„Er lässt mich nicht rein! Er lässt hier seit Stunden niemanden mehr rein!" sagte sie kaum hörbar und als Harry schon glaubte, sie würde anfangen zu toben und zu schluchzen, drehte sich langsam den Kopf zur Seite, sah ihn an und lächelte: „Wollt ihr es einmal versuchen?" Harry nickte.
Angelina trat zur Seite. Sie lehnte sich an die Wand, rutschte an ihr herunter und blieb dort sitzen, als könnte sie nichts in der Welt wieder vom Fleck bewegen.
Ron biss die Lippen fest zusammen und gemeinsam mit Harry versuchte er sich mit einem „Alohomora!" an der Tür. Nichts passierte.
Ron räusperte sich: „Fred? Lässt du Harry und mich rein?"
Ein paar Minuten kam keine Antwort, dann fragte eine Stimme, die einfach furchtbar klang, kraftlos und unheilbar krank: „Ronnie?"
„Ja, ich bin´s. Und Harry. Wir wollen nach euch sehen!" Diesmal klang Ron etwas bestimmter.
Die Tür öffnete sich einen Spalt und Harry und Ron schlüpften hinein. Sofort verschloss sich die Tür wieder. Drinnen war es düster. Der Raum wirkte fast neblig und roch muckelig, als wäre er seit Tagen nicht mehr gelüftet worden.
In dem schwachen Licht versuchte Harry etwas zu erkennen. Die Umrisse einer Couch zeichneten sich ab. Über ihren Lehnen hingen leichte Decken, die Kissen waren auf den Boden geworfen worden. Die umstehenden, staubigen Truhe und Kommoden interessierten Harry und Ron nicht. Sie sahen nur zu dem Sofa, auf dem Fred saß. Er hatte seinen Bruder zwischen seine ausgestreckten Beine gesetzt, so dass dessen Rücken an seiner Brust lehnte. Er hatte beide Arme um ihn geschlungen und den Kopf auf seiner Schulter abgelegt. Beide bewegten sich nicht.
Georges Augen waren auf einen Punkt gerichtet, den es eigentlich gar nicht gab. Seine Arme lagen schlapp zu seinen Seiten.
Ron gab sich offensichtlich größte Mühe, ein Schluchzen zu unterdrücken und trat näher. Harry folgte ihm und sah, wie sein Freund die Hand nach seinen Brüdern ausstreckte.
„Fred? Siehst du mich mal an?"
Langsam, ganz langsam hob Fred den schweren Kopf. Er sah schrecklich aus. Getrocknetes Blut klebte an seinen Lippen, sein rechtes Auge war blau und zugeschwollen und sein graues Gesicht von Tränenspuren gezeichnet.
„Möchtest du etwas trinken, Fred?" war Rons nächste Frage und mit dem Wink seines Zauberstabes hielt er ein großes Glas kühlen Eistee, Pfirsichgeschmack, Freds Liebslingsmuggelgetränk in der Hand. Fred zögerte. Er leckte sich mit der Zunge einmal über die trockenen, aufgesprungenen Lippen, doch dann drückte er nur wieder George an sich und schüttelte den Kopf.
„Fred, du wirst jetzt etwas trinken!" sagte Ron bestimmt und liebevoll zugleich und stellte sich direkt neben die zwei. Harry ging zur anderen Seite.
„Sieh mal, Harry ist hier. Ich werde dir jetzt etwas zu trinken geben und Harry passt so lange auf George auf." sagte Ron und Harry zuckte leicht zusammen.
„Nein!" krächzte Fred, „Ich lass ihn nie wieder los! Ich muss auf ihn aufpassen. Immer. Die ganze Zeit."
„Es wird ihm hier nichts passieren." sagte Ron, doch Fred hielt dagegen: „Das weißt du nicht."
„Doch, Fred! Das wissen wir." sagte jetzt Harry. Er bemühte sich um einen ruhigen, freundlichen Tonfall, aber er zitterte, als er sagte: „Es ist jetzt vorbei. Alles vorbei. Es gibt keinen Kampf mehr und keine Bösen. Sie sind weg!"
Fred wandte den Kopf zu ihm und sah ihn an. Sein Blick erschien Harry vorwurfsvoll, doch im Gegensatz dazu flüsterte Fred: „Versprichst du´s?"
„Ich schwöre es dir! Ich habe sie selbst besiegt!" sagte Harry. Fred verfiel wieder in Schweigen und rührte sich nicht, bis Ron langsam eine Hand nach ihm ausstreckte: „Du wolltest etwas trinken."
„Ja?" fragte Fred verwundert.
Ron schluckte und nickte. Seine Hand näherte sich dem völlig verstörten Jungen und Harry machte sich bereit, Fred festzuhalten, falls er bei einem totalen Kurzschluss im Gehirn auf Ron losgehen wollte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass so etwas gut möglich war. Fred war so angespannt und verwirrt, dass er in Ohnmacht fallen oder komplett durchdrehen konnte und Harry war nicht im Stande zu sagen oder auch nur zu schätzen, was wahrscheinlicher war.
Rons Hand berührte Fred an der Schulter: „Rück ein Stück zu mir. Lass Harry auf George aufpassen. Er kann das gut. Er passt schon seit Jahren auf mich auf!"
Harry musste wegen dieser Formulierung lächeln und fragte sich, ob es nicht vielleicht eher umgekehrt war. Vielleicht passten sie aber auch auf einander auf und deswegen funktionierte es so gut.
Fred nickte tatsächlich und ließ sich von Ron ein Stückchen zu dessen Seite ziehen.
Harry trat einen Schritt näher und schlang beide Arme um Georges Brust, um ihn ein wenig von Fred wegzuziehen. Ron verhinderte, dass Fred sich sofort wieder zurückzog, indem er ihn einfach festhielt und das Glas an seinen Lippen drückte. Fred trank gierig.
Harry setzte sich auf die Sofalehne, so dass Georges Körper sich an ihn lehnen konnte. Er war merkwürdig warm und schwer. Harry sah in sein Gesicht und schauderte, als er in seine Augen blickte. Sie waren tot. Sie sagten nichts mehr, drückten nichts mehr aus.
Harry wischte die Gedanken weg, die sich ihm aufdrängen wollten und in denen es um unvorstellbare seelische Schmerzen ging und zauberte sich ein Glas mit Zitroneneistee. Den mochte George am liebsten. Er versuchte es einfach mal, indem er dem Jungen das Glas an die Lippen setzte und tatsächlich schaffte George ein paar Schluckte, auch wenn ihm das meiste am Kinn herunter lief. Harry wischte den Eistee mit dem Ärmel weg und klopfte George leicht auf den Rücken: „Gut gemacht!"
Dann sah er, dass Ron und Fred ihn beobachteten.
„Er hatte auch Durst … dachte ich." sagte Harry unsicher und sah beruhigt, dass Ron lächelte und auch Fred sich langsam entspannte.
„Sieh mal, wie gut das klappt!" sagte Ron leise und Fred nickte. In seinen Augen standen Tränen und plötzlich knurrte sein Magen.
„Hast du Hunger, Fred? Das ist fantastisch! Ich hole was ganz Leckeres!" sagte Ron und checkte kurz mit Blicken ab, ob er Harry kurz mit den beiden allein lassen konnte. Harry nickte ihm zu.
„Hast du heute Nacht ein bisschen geschlafen, Fred?" fragte Harry vorsichtig und ließ zu, dass Fred so nah an sie rückte, dass er zumindest Georges Arme nehmen konnte.
„Nein, ich musste auf George aufpassen!"
„Klar, und das hat du auch super hingekriegt!" sagte Harry und als er schon glaubte, etwas wirklich Dämliches gesagt zu haben, lächelte Fred ihn fragend an: „Ja, meinst du?"
Harry nickte fest.
„Das ist gut. Das werde ich jetzt nämlich mein Leben lang tun, weißt du? Ich passe ab jetzt auf George auf. Ich werde ihm zu trinken geben und zu essen und alles."
„O.K." sagte Harry.
Da kam Ron wieder herein. Er trug ein großes Tablett, auf dem mehrere Schüsseln und Teller standen.
„So, wir haben hier viele leckere Sachen. River hat Rührei gemacht und dazu gibt es Brot und Schinken. Ich habe Croissants und Honig. Na, wie klingt das?"
„Gut." sagte Fred und musste husten.
„Hast du was dagegen, wenn ich es hier mal ein bisschen heller mache?" fragte Ron und ohne Freds Kopfschütteln abzuwarten, zog er die schweren, staubigen Vorhänge auf, so dass weiches Licht ins Zimmer fiel. Harry fand, dass Fred jetzt einen noch schlimmeren Anblick bot, doch er sagte nichts, sondern half Ron die Köstlichkeiten auf die zwei Teller zu verteilen.
„Das hier ist für dich, Fred! Kannst du allein essen oder hast du irgendwelche Handschmerzen?" wollte Ron wissen und obwohl es etwas albern klang, lächelte Fred ein wenig und schüttelte den Kopf.
„Gut, dann iss! Und Harry und ich kümmern uns darum, dass George etwas isst, in Ordnung?" Fred sah ihn kritisch an.
„Das passt schon!" sagte Harry und breitete ein Tischtuch über George aus, als wollt er ihn verkleiden, „Wir haben schon ein Lätzchen."
Ron lachte kurz auf, wobei Harry nicht wusste, ob er das ernst meinte oder nur für Fred tat. Dieser nickte jedenfalls und widmete sich dann seinem Frühstück. Er behielt sie allerdings im Auge.
Harry machte ein Brötchen mit Schinken zurecht und begann vorsichtig, George zu füttern. Es klappte einigermaßen, stellte sich aber als wesentlich schwieriger heraus, als das Trinken, da George nicht von allein kauen wollte. Ron sah ihm eine Weile zu, dann ging er rüber zu Fred und untersuchte ihn auf Verletzungen, von denen noch niemand etwas mitbekommen hatte. Wie ihm Kingsley eben in der Küche gesagt hatte, hatte sich Fred am Abend mit seinem Bruder eingeschlossen und seitdem hatte es keiner geschafft, zu den beiden hineinzukommen. Aufgrund der anderen Verletzten hatten sie die Versuche irgendwann aufgegeben und auf so eine Aktion, die Harry und Ron jetzt vollbrachten, praktisch gewartet.
Fred hatte aufgeschlagene Knie, einen verknacksten Knöchel, eine schon wieder fast verheilte Stichwunde an der Hüfte und ein paar Schrammen auf dem Rücken. Ron konnte sich um alles einigermaßen kümmern.
Als Fred fertig gegessen hatte, setzte er sich neben seinen Bruder, nahm Harry den Löffel aus der Hand und fütterte George selbst mit etwas Müsli. Es schien ihm leichter von der Hand zu gehen. Erst dachte Harry, es könnte daran liegen, dass Fred kleine Geschwister hatte, die er früher vielleicht schon hatte füttern müssen. Als nächstes kam ihm der Gedanke, dass er Georges Zwilling war und das erklärte es irgendwie. George aß halbwegs vernünftig und Fred nickte zufrieden.
Ron und Harry machten sich daran, auch George nach Verletzungen abzusuchen, doch auch bei ihm war nicht Gravierenderes als ein paar Beulen und Kratzer festzustellen.
Harry richtete sich stöhnend auf und streckte den Rücken durch.
„Willst du nach Sirius sehen?" fragte Ron und da zeigte Fred zum ersten Mal Interesse an den anderen und fragte: „Wie geht es Sirius?"
„Ganz gut, soweit ich weiß."
„Geh zu ihm, Harry! Ich werde hier bleiben und auf George aufpassen." sagte Fred und sah wieder zu seinem Bruder, der ganz schlapp in seinen Armen hing.
„Fred, Angelina würde gerne mal nach euch sehen." sagte Ron vorsichtig.
„Hol sie rein." meinte Fred und Ron sprang sofort zur Tür, bevor er es sich noch anders überlegte.
„Bis später, Fred!" sagte Harry und auf einen merkwürdigen Blick Freds hin, „Bis später, George!"
Er ging an Ron und Angelina vorbei in den Flur. Hinter ihm schloss sich die Tür wieder von alleine und Harry ging ins Zimmer, wo er Sirius gestern abgelegt hatte. Sirius saß in einem Bett mit einem dicken Kissen im Rücken. Remus saß auf einem Stuhl daneben, hatte Kopf und Arme auf der Matratze abgelegt und schlief tief und fest. Als Harry hereinkam, wandte Sirius den Kopf. Beide Augen waren mit dicken, weißen Pflastern beklebt.
„Hey, Harry?""
„Ja, hi, wie geht´s dir?"
Sirius grinste: „Mir geht´s gut, im Gegensatz zu Moony hier. Der Ärmste musste sich die ganze Nacht von Snape durch die Gegend schicken lassen, um irgendwelche Kräuter für Heiltränke zu besorgen. Ich wette, er hat ihn noch welche schnippeln lassen."
Harry lächelt mild und umarmte Sirius kurz.
„Wieso liegst du dann im Bett und nicht Remus?"
„Ich wollte ja mit ihm tauschen, aber er meint, ich wäre der Verletzte, der die Schlacht geschlagen hat und so. Du hättest ihn gestern mal hören müssen. Er war völlig durch den Wind, als er wieder bei mir ankam."
„Hat er dir erzählt, dass Meta weg ist?" fragte Harry und zog sich einen Stuhl neben Remus und das möglichst leise, um ihn nicht zu wecken.
„Jap." sagte Sirius und hob einmal die Arme, um seine Ratlosigkeit zu demonstrieren, „Das war echt hart. Er weiß selbst nicht, was er denken soll."
„Es war Malfoy, oder?" fragte Harry und Sirius sog einmal scharf die Luft ein, „Es war Malfoy, der sie damals verflucht hat?"
„Ja. Sie hat es uns eines Abends erzählt." antwortete Sirius mit rauer Stimme, „Aber das ist jetzt auch egal. Wir haben ihn erledigen, Snape und ich. Wir haben ihn erledigt."
„Erledigt." fragte Harry müde.
„Wir haben Dracos Dad umgebracht." sagte Sirius, „Aber es sind etliche Todesser entkommen. Einige erzählen jetzt schon wieder diesen ganzen Mist von wegen Imperius-Fluch und Erpressung. Es steht uns noch ein Menge Arbeit bevor, aber nicht dir! Du hast deinen Teil der Arbeit getan und brauchst dich um nichts mehr zu kümmern und das wirst du auch gefälligst nicht! Du sollst anfangen, ein schönes Leben zu haben!"
Nach diesen festen Worten Sirius´ schwiegen sie eine Weile, dann erzählte Harry ein bisschen stolz, dass sie Fred und George heute Morgen schon hatten helfen können.
„Das ist fantastisch, Harry!" sagte Sirius, „Wir haben uns arg Sorgen um die beiden gemacht."
„Hast du eigentlich noch irgendwelche anderen Verletzungen abbekommen?" wollte Harry wissen.
„Ich habe die fiesen Flüche gekriegt; die, die erst spät ihre Wirkung entfalten. Mein linker Arm ist total taub und mein linkes Bein tut höllisch weh. Madam Pomfrey hat es eingegipst, stell dir das mal vor! So was machen Muggel! Wenn Molly nur hier gewesen wäre, um sie davon abzuhalten. Aber sie sagte, dass nichts meinem Bein so sehr helfen könnte, wie Ruhe. Ich glaub noch nicht dran."
Harry schlug die Decke etwas zurück und betrachtete interessiert Sirius´ Gipsbein.
„Hattest du so was auch schon mal?"
„Nein, die Dursleys hätten mich nicht einmal mit einem gebrochenen Bein zum Arzt gebracht." meinte Harry. Sirius klopfte prüfend auf den Gips, wovon Remus wach wurde.
Er setzte sich ruckartig auf und sagte: „Ja, Severus, ich bin sofort bei dir!"
Harry starrte ihn sprachlos an, Sirius hielt seinen Kopf sprachlos in Remus´ Richtung, bevor beide laut lachen mussten.
„Was?" Remus rieb sich verwirrt die Augen und sah sie böse an.
„Herrje, so möchte ich nie in meinem Leben aufwachen! Und so einen Satz möchte ich nie wieder von dir hören, Remus!" rief Sirius, was Remus noch mehr verwirrte.
„Ärgere ihn nicht!" sagte Harry streng und lächelte Remus zu, „Hast du schon Frühstück gehabt?" Remus schüttelte den Kopf.
„Dann hol ich euch mal was. Und dann wollt ich mal gucken, was hier noch so los ist. Vielleicht ist Mrs. Weasley ja jetzt wach." Remus ließ einen schweren Seufzer hören, als Harry hinausging.
„Guten Morgen, Mr. Potter! Auch schon wach?" grüßte Professor Flitwick ihn.
„Ja, Professor. Wie geht es Ihnen?"
„Oh, ich bin unbeschadet aus der Sache herausgekommen. Tatsächlich!" Der kleine Lehrer schüttelt verwundert den Kopf, „Wer weiß, warum! Haben sie schon gefrühstückt?"
„Äh, nein, ich bin eher unterwegs, um allen anderen ihr Frühstück zu holen."
„Nun, aber vergessen Sie nicht, dass Sie auch etwas essen müssen. Hier wird wohl bald einiges los sein!"
Harry runzelte die Stirn: „Wieso?"
Flitwick seufzte und kratzte sich am Hinterkopf: „Jetzt kommen sie ja bald alle wieder aus ihren Verstecken. Das Ministerium muss Ordnung schaffen und es wird nicht lange dauern, bis die ersten Gerüchte umgehen, die vor allem von Ihnen erzählen, Mr. Potter! Von Ihnen und Ihrer herausragenden Tat!" Flitwick schüttelte den Kopf, murmelte etwas und verschwand dann in der Küche.
Harry stand im Flur und verspürte einen gewissen, leisen Ekel vor dieser Tatsache. Natürlich mussten alle informiert werden, aber er wollte lieber in Ruhe gelassen werden.
„Harry?"
Er sah nach oben zur Treppe. Dort standen Ginny und Hermine und sahen irgendwie klein und blass aus. Sie stiegen die Stufen herunter und blieben vor ihm stehen.
„Wollt ihr was frühstücken?"
Hermine schüttelte den Kopf: „Haben wir schon. Tonks hat uns was rauf gebracht. Sag mal, wo ist denn Ron?"
„Bei den Zwillingen. Sie haben beide schon was gegessen und es sieht ganz gut aus." sagte Harry.
„Wirklich?" Ginnys hoffnungsvoller Blick traf ihn.
„Naja, so gut es eben sein kann, meine ich."
„Wie sehen mal nach den beiden. Oder nach deiner Mum?" Hermine schien tatsächlich ratlos zu sein.
„Wir gehen erstmal zu Mum." sagte Ginny und lächelte Harry zu, bevor sie sich zum Gehen wandte.
„Na, dann, Harry!" Hermine stupste ihn einmal an und folgte dann Ginny.
